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Literaturkritik - ein Handschlag

©Helmut Eisendle

Nehmen wir an, daß sich Literaturkritik auf das Verhältnis zwischen Produkt und Autor, der Struktur des Literaturmarktes und der Gesellschaft bezieht, bemerken wir in den seltsamen Auswüchsen der Literaturkritiker nicht selten Autobiographisches, ihre Psyche und ihren Zustand betreffend: Indem sie ausdrücken, was Ihnen nicht paßt oder unannehmbar erscheint, vergessen sie, daß sie einzig der sinnigen und unsinnigen Kolportage, die sie betreiben, ihre Behagen und ihr erfundenes Unbehagen verdanken. Der Literaturkritiker drückt, genau betrachtet, nichts anderes als sein verwirrtes und psychisches Dilemma mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit des Literaturmarktes aus. Trotzdem redet und schreibt er, als vertrete er Literatur, etwas Absolutes, das seiner Urteilsmacht unterliege. Daß auch er nichts anderes als ein in Notwehr gedrängter Autor ist, verschweigt er.
Die Präpotenz und Unangemessenheit der Literaturkritik beruht einerseits auf einem Mangel an Respekt vor dem Kritisierten, andererseits auf einer verblendeten Anerkennung jenes von ihm Auserwählten, den er oftmals als Maßstab benutzt. Der eine will er nicht und der andere kann er nicht sein.
Gerade die Unverfrorenheit des Vergleichs, der so ungültig ist wie der Maßstab, den man an Bananen legt, um Zitronen zu beurteilen, qualifiziert den Kritiker zumindest als einen, der irgendwann etwas gelesen hat, gehört, erfahren hat. Mehr ist nicht dahinter. Alfred Paul Schmidt mit Walter Serner zu vergleichen, beweist nur die Kenntnis darüber, wer Serner war. Es drückt das Imponiergehabe einer beiläufigen Bildung aus. Schmidt betrifft und ehrt diese nicht.
Viele Literaturkritiker können das Vorurteil schwer vermeiden, sie selbst machten jene Literatur, die dem anderen abgehe. Ihre berufliche Position gestattet ihnen, kraft der herrschenden Unart theoretischer und nostalgischer Etikettengebräuche, sich über das literarische Produkt hinwegzusetzen, obwohl die Kritik oft genug hinter dessen Wert zurückbleibt.
Wer auf Überlegenheit pocht, sagt Adorno, fühlt allemal zugleich sich als einer vom Bau, als einer, der es könne.
Eine gespielte und unerbittliche Überlegenheit fixiert sich auf das literarische Werk eines heimlichen Gegners, auf dessen Produkt der Literaturkritiker starrt wie ein Mungo auf die Schlange. Die hauptberuflichen Kritiker waren irgendwann einmal Berichterstatter, Informanten und Vermittler. Manchmal verstanden sie, was sie lasen, kamen zu einer wie auch immer gearteten Einsicht und trugen diese als Agenten des Marktes mit Verstehen des Werkes und dessen Bedeutung weiter. Die Rolle des Sachverständigen avancierte bald zu der eines Richters, der den Schein erzeugte, das Schicksal des Beurteilten hänge von ihm ab. Daß der Schein der Zuständigkeit seines Richturteils im Schatten seiner Position verschwand, bemerkte nur der Kluge.
Indem der Literaturkritiker geschickt in ein Loch schlüpfte, das ihm die Presse bot, erlangte er eine fiktive Autorität, die er nie besaß und nie besitzen kann. Nur wenige bemerken, daß auch die literaturkritischen Kolporteure an ihrem merkantilen Erfolg gemessen werden und ihre unverfrorene Überheblichkeit durch eine literarische Leistung belegt sein muß.
Wenn die Literaturkritiker auf dem Tummelplatz des kulturellen Marktes das nicht verstehen, was sie zu beurteilen vorgeben, und sich aus Notdurft zu Propagandisten und Zensurgenerälen erniedrigen, so belegen sie nur die Unredlichkeit ihres Gewerbes. Wenn man Literatur nicht versteht, kann man sie zumindest verdammen.
Das Vorrecht von Information und ihre zitternde Position in der Presse erlaubt ihnen, ihre Meinung, auch wenn sie keine ist, zu sagen, als wäre sie objektiv. Doch aber ist das, was von sich geben, nur die objektive Tyrannei eines herrschenden Geistes, dem die Medien verfallen sind.
Die angebliche Freiheit eines bildungs- und positionsbedingten Urteils belegt nur das Negative, die Unbrauchbarkeit und Unverantwortlichkeit der Literaturkritiker. Indem sie sich an eine Basisdefinition von Literatur klammern, die sich nicht festlegen läßt, die die Kolporteure aber als ewige Wahrheit beanspruchen, imitieren sie nur Fiktionen, Alltagsmythen und verbrauchte Nostalgien.
Aus dem entscheidenden psychischen Trick, mit dem der Literaturkritiker unabänderlich Souveränität dem Leser und Autor vorgaukelt und damit eine besserwissende Führerschaft vorspielt, die er, kraft seiner Unfähigkeit, ein freier Autor zu sein, nicht besitzt, entsteht auf eine seltsame Art und Weise jener Drang, sich zu äußern und zu produzieren, über andere sich selbst darzustellen, eben das, was den Autoren nicht selten vorgeworfen wird. Der Fehler der anderen wird so zur Verantwortung. Hinter der Lüge dieser Emanzipation, nämlich sich mitzuteilen und darstellen zu müssen, liegt nur der vergebliche Versuch, derjenige zu werden, dessen Produkt man kritisiert.
Literaturkritik ist ohne Zweifel ein Element unserer Kultur, diese aber hilflos imitierend, so wahr oder so falsch wie sie selbst. Das Bedenkliche dabei ist nicht der Versuch, etwas nachzuahmen, sondern die Hilflosigkeit und Unfähigkeit der Kritiker.
Die Minderheit der schlechten Kritiker ist bedeutend grösser, nicht zuletzt, weil sie sich der Medien bedienen, als eine angenommene Mehrheit bedeutungsloser Autoren, deren Disqualilfikation sich schnell an einem Buch festlegt.
Unsachliche Literaturkritiker- und die scheinen in der Mehrheit zu sein- sind in einer charakterlosen Treue immer unsachlich; Autoren spüren, wenn sie ein Buch geschrieben haben, irgendwann den Wunsch, ein anderes, ein besseres zu schreiben. Routine, die die charakterlose Treue des Kritikers bedingt, ist ihnen verhaßt.
Indem Literaturkritiker Literatur zu ihrem Gegenstand machen, versuchen sie sich noch einmal in Literatur. Daß ihnen dies unmöglich ist, bestätigt sie als mindere Autoren.
Die Maßlosigkeit ihre Gewerbes und die zunehmende Manifestation ihrer Arbeiten als mindere Literatur erzeugt im Leser dieser Produkte den Eindruck, die Literatur selbst sei schlecht. Der vermutete Verfall der Literatur, über den so oft berichtet wird, ist aber nichts anderes als der ständige Verfall der Kolportage der Literaturkritik.
Weil aber die Literaturkritik, unabhängig vom Inhalt von der Ökonomie der Verlage und Medien abhängig ist, die sich ihrer bedienen, spiegelt sie nur die Abhängigkeit wider, nicht die Literatur. Mit der Abschaffung der Distribution und ihren irrationalen Schlupfwinkeln innerhalb der Verteilung von Literatur würde das Geschwür der Literturkritik austrocknen und durch ein unsichtbares Netz der Kommunikation zwischen den Autoren ersetzt werden. Arbeitslos, würden die Literaturkritiker in aller Anstrengung versuchen müssen, was sie glauben zu sein, aber nicht sind: Autoren.
Eine Handvoll guter, ernsthafter Kritiker würde überleben und sich in die Autorenschaft einfügen, der große Rest an Faulheit und Dummheit, die kein anderer Berufzweig gestattet, zugrunde gehen. Nur die Distribution und die kalkulierbaren Verlagsapparate des literarischen und medialen Marktes lassen sie leben mit der Hoffnung, daß die letzte Chance nie zu Ende gehe.
Spenglers bedenklicher denunziatorischer Satz, daß Geld und Geist zusammengehören, rettet, da er zutreffend zu sein scheint, nur die Unfähigen.
Weil Literaturkritik zu sehr mit dem Kommerz verflochten ist, hat sie an dem angenommenen Niedergang aller Literatur ihren Anteil. Daß die Literatur nicht untergeht, wissen nur die Schriftsteller. In einzelnen Fällen spielen sich die Literaturkolporteure noch als reaktionäre Sozialkritiker auf, die die Literatur als solche gegen das raffende Kapital, von dem sie leben, auszuspielen versuchen. Der Literaturmarkt wird in den letzten Jahren eifrig auf Grund der Unkenntnis der Strukturen des literarischen Geschehens etikettiert und in Kategorien aufgeteilt, welch schnell wieder verpönt oder hochstilisiert werden. Daß dieses euphorische Einteilen in Klassen eine Konsequenz literaturkritischer Kolportage ist, steht außer Zweifel. Als Folge dieser Verwirrung ergab sich eine Diffamierung jeder Art von Literatur, die in einer agressiven Attitüde des Publikums den Autoren gegenüber endete. Daß der Prozess als Verursacher jene betrifft, deren Aufgabe die Vermittlung ist, begreift die Mehrheit des Publikums nicht; aus einer bedenklichen Überschätzung der Kolporteure von Literatur verwendet es deren fadenscheinige Argumente und gibt zu, ihnen mehr Glauben zu schenken, als den Autoren selbst. Daß diese fiktive Hierarchie und der Glaube daran ein Verrat an unserer Kultur sind, wissen nur die Schrifsteller. Die Mechanismen der Medien begreifend, freuen oder ärgern sie sich über eine gute oder schlechte Kritik im gleichen Maße; die Nennung des Namens und des Werkes ist ihnen genug ode mehr wert als der Inhalt der Kritik.
Eine Kritik der Literaturkritik ist die Sache nicht wert, da der Mehrzahl der Literaturkritiker eine Bedeutung zugemessen wird, die sie nicht verdient: Ignoranz der Autoren scheint so lange attraktiv, solange die Kolporteure sie im bösen oder guten Sinne nennen und ihre Arbeiten einem Publikum vermitteln, es dazu veranlassen, das zu tun, was sie selbst vergessen, nämlich: zu lesen., zu lesen, zu beurteilen oder das zu achten und zu beachten, was Schriftsteller herstellen- eben Literatur.


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