„Noch bevor ihr am Tag der Amtsübernahme die erste Ministerkutsche bestiegen habt, werdet ihr eure Wähler drei Mal verraten haben”, das könnte einem leicht abgewandelt zur FPÖ einfallen - vorausgesetzt man verfügt über eine gewisse Bibelfestigkeit.

Wofür die Grünen beinahe Jahrzehnte gebraucht haben, das schafften die angeblich Freiheitlichen in lachhaften zwei Monaten: vom Rebellen mit der vorschriftsgemäß geballten Faust zum saturierten Biedermann zu mutieren. Gut 30 Jahre benötigte man vom rechtsradikalen Schmuddelkind in Totalopposition zum System bis zum „echten“ Regierungseintritt (denn wir lassen „Schwarz-Blau die Erste und Zweite“ außer Ansatz, da war die FP noch nicht angekommen, wie Knittelfeld zeigte). Im Handumdrehen und in einigen Verhandlungsrunden wurden aus den „Ausgegrenzten“ Systemträger. Das hat seinen Preis – man muss eigene, jahrelang wiederholte Versprechungen flugs über Bord werfen (nur nicht das Thema „Ausländer“, bei dem man sich schon im Wahlkampf aufs Trefflichste mit der ÖVP traf)!

Manche haben sich den Spott, der sich nun über sie ergießt, hart erarbeitet, andere ihn sich durch die Gier auf Ministerämter mit leichter Hand verdient. So schnell ist noch nie eine Protestpartei ihrer Versprechen verlustig gegangen. Kein Wunder, lungern doch an jeder Straßenecke in rauen Mengen fremdländische Trickdiebe herum, die nur darauf gewartet haben, die FPÖ im wahrsten Wortsinn um ihre Wahlversprechen zu erleichtern. Jetzt wissen wir: die große Erneuerung sieht aus wie ein Biedermann, der froh ist, endlich den Säbel wegzulegen, mit dem man sich eben noch in aller Alkoholschwere Mannesmut und Charakterfestigkeit erfochten hat. Was keineswegs heißt, dass (uns) jetzt die feine Klinge regiert. Säbel bleibt Säbel, Haudrauf bleibt Haudrauf. Strache bleibt Strache.

Von dieser FPÖ, deren Vertreter uns jetzt satt und selbstzufrieden aus den Bildschirmen entgegengrinsen, kann man lernen: auch Verrat und ignorierte Wahlversprechen lohnen sich, sogar in höherem Ausmaß, als man vor der Wahl zu hoffen wagte. Aber noch mehr gilt es, im Hinblick auf die Zeit vor dem Regierungseintritt eine neue Tugend zu entdecken: Von der FPÖ lernen! Insbesondere die ob des Verlustes der Ämter in Tragstarre verfallene SPÖ kann einiges lernen. Und damit meine ich nicht, wie man ohne Chauffeur und Dienstwagen in die Hack’n kommt.

 

Die allererste Lektion, die zu lernen ist, betrifft die grundsätzliche Einstellung zur Rolle als Opposition. Denn der Glaube an den Wahrheitsgehalt des Satzes „Opposition ist Mist“, den einst der deutsche Sozialdemokrat Franz Müntefehring erfand, und der vom Chefideologen der SPÖ-Frauenkirchen, Hans Niessl, taxfrei übernommen worden ist, sollte schnellstens über Bord geworfen werden. Gerade Sozialdemokraten müssten im Hinblick auf ihren gesellschaftsverändernden Anspruch tief im Innersten einem gewissen Oppositionsgeist zugeneigt sein, ja diesen geradezu in ihrer DNA eingeschrieben haben. Aber wer will heute wirklich detailliert wissen, was in der DNA der SPÖ so alles drin steht … Sei‘s drum: die Opposition ist in einer Demokratie wichtiger als die Regierung. Nur sie sichert Kontrolle und Diskussion und damit eine funktionierende Demokratie.

 

Eine besonders dumme Theorie ist die, man könne in der Opposition nichts bewirken. Womit wir bei meinem zuvor aufgestellten Postulat wären: von der FPÖ lernen! In rund dreißig Jahren auf der angeblich so harten Oppositionsbank hat der bislang eher schwachbürgerliche Strache sich in den letzten Jahren nicht nur einen gutbürgerlichen Embonpoint, eine Staatsmännlichkeit vermittelnde Brille und eine irgendwie veränderte Haarpracht zugelegt, sondern dieses Land einschneidend verändert. Ganz ohne Regierungsbank, Ministerbüro oder Staatskarosse. Jede Wette darauf: die oppositionelle FPÖ hat das Land in den letzten Jahren mehr verändert, als es der mitregierenden FPÖ in den nächsten Jahren möglich sein wird. Was übrigens das ganze Geplapper von der großen Veränderung, mit dessen Hilfe allerdings ein einträglicher Wählerfang gelang, in Hinsicht auf die Realisierung dieser Veränderungen ad absurdum führt (das mit Leerformeln gefüllte – welche ein Paradoxon! – Regierungsprogramm ist der beste Beweis dafür).

In den 1970ern wurde von einer privaten Initiative – um der aufkommenden Gehässigkeit gegen die damals noch „Gastarbeiter” genannten ausländischen Menschen entgegenzuwirken – plakatiert “I haaß Kolarič, du haaßt Kolarič. Warum sogns‘ zu dir Tschusch?“ Die meisten Leute hielten das damals für eine Regierungskampagne. Eine Idee, auf die heute niemand mehr käme. Das Land und die Menschen wurden verändert. Von der FPÖ.

Im Gegensatz zur herrschenden Lehrmeinung, die Menschen würden Streit und Zwist ablehnen, hat die FP sich genau dieser Tugenden lautstark und skrupelfrei bedient. Und wurde nicht bestraft, sondern von der Wählerschaft jetzt mit Regierungsämtern belohnt. Genaugenommen hat die FPÖ – und viele andere rechtspopulistische bis rechtsradikale Parteien – gegen alle Regeln nicht nur des guten Geschmacks, sondern auch gegen jene der vorherrschenden Marketingfloskeln verstoßen. Auf Wahlveranstaltungen wurden Menschen mittels falscher Behauptungen denunziert, die Verachtung für politische Gegner wurde offen zur Schau gestellt, und was sich auf Facebook-Seiten der FPÖ abspielte war grenzwertig und wurde entweder toleriert oder – wenn es sich gar nicht vermeiden ließ – mit der größtmöglichen Verzögerung entfernt.

 

Wenn nun etwa SP-Chef Kern seine Partei „als Gegengewicht zum ‚Spektakel‘ der ‚Brot- und Spiele-Politik‘ von ÖVP und FPÖ positionieren“ will, fällt zweierlei auf: von Brot und Spielen ist im schwarz-bläulichen Regierungsprogramm nicht viel zu finden, denn es geht eher – siehe OÖ – in Richtung weniger Brot und dank drastischer Kürzungen bei der Kulturförderung in Richtung „sehr wenig Spiele“. Vor allem aber: was ist gegen Brot und Spiele einzuwenden? Zumindest Spiele, sprich viel Spektakel, ist eines der wichtigsten Mittel von Oppositionsparteien, um Aufregung und damit Aufmerksamkeit zu erzielen. Wie das geht, hat die FPÖ ausreichend vorgeführt und bewiesen, dass man bei entsprechender Skrupellosigkeit auch ohne Machtapparat das, was die Leute sagen und denken, deutlich verändern kann – und damit auch ihr Wahlverhalten.

Daher eine deutliche Mahnung an die Oppositionsparteien: mit Freundlichkeit wird man dieser Regierung nicht beikommen. Man muss es ja nicht ganz so grauslich anlegen wie die FPÖ. Aber Konflikt lohnt, und er muss bewusst geführt werden, insbesondere mit einer FP, die einen Teil ihrer Methoden auch in der  Regierung beibehalten wird.

Michael Amon lebt als freier Autor in Gmunden und Wien. Der Romancier und Essayist ist außerdem geschäftsführender Gesellschafter einer kleinen Steuerberatungskanzlei. Der vierte Band seiner „Bibliothek der Vergeblichkeiten“ (Echomedia Buchverlag), „Der Preis der Herrlichkeit“, ist soeben erschienen.