Kunst von Innen - Art Brut in Austria








Die Kulturjournalistin und Kommissarin diverser Biennalen und langjaehrige Praesidentin des Art Brut Centers Angelica Baeumer hat 2007 einen grossartigen wie respektablen Bildband Kunst von Innen bei Holzhausen herausgebracht, der mir erst jetzt zu Gesicht gekommen ist.

Neben der opulenten wie sehenswerten Sammlung von Werken geistig Behinderter aus diversen oesterreichischen Hilfsinstitutionen finden sich kenntnisreiche Beitraege u.a. von Arnulf Rainer, Alfred Hrdlicka, Gerhard Roth und Peter Pongratz, die ihre persoenliche Beziehungen zur Art Brut darstellen. Ein persoenliches Statement von Franz Ringel, der von Jean Dubuffet hoch geschaetzt worden ist, fehlt leider. Die Gruende warum das so ist, sind verstaendlich.

Auffaellig ist, dass die Qualitaet der Bilder und deren Botschaften durchaus von den Instituten, und da im weiteren von den leitenden Animatoren, abhaengig sind.

Ich habe keinerlei Abbildungen aus der Navratilschen Kunstmanufaktur aus der Niederoesterreichischen Nervenheilanstalt, heute Art Brut Center Gugging, jetzt Bau Areal der kuenftigen Elite Universitaet des Landes Niederoestereich, verwendet. Die setze ich als bekannt voraus.

Die hier gezeigten Bilder (siehe oben) stammen von Dominik Huber, entstanden in der Lebenshilfe Mattighofen bei Ried in Oberoesterreich und aus dem Lebenshilfe Atelier flip flap, der Werkstaette fuer Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung in Wien 9. Die Katze mit Bogen stammt von Michaela Koenig, die Tucane von Susanne Kuzma und den Turm in gruener Landschaft hat Hannes Lehner gemalt.

Fuer mich entspricht dieser ausgewaehlte Konnex am ehesten dem von Goethe gewaehlten Statement in der Presseaussendung des Verlages:

Um Seelen zu heilen, vermag der Verstand nichts, die Vernunft wenig, die Zeit viel, entschlossene Taetigkeit alles.

Ich halte es fuer eine der grossen Errungenschaften des 20.Jahrhunderts, den geistig Verwirrten und Verstoerten, bzw. geistig schlicht und einfach anders gelagerten, das Recht und die Moeglichkeiten des eigenen Ausdrucks zugestanden zu haben. Hier sind mir die offenen Einrichtungen wichtiger als die geschlossenen Anstalten, die wiederum ihre eigenen Regeln haben, aber doch so human wie moeglich zu handeln haben. Ob dies nun Kunst oder nicht Kunst ist, ist mir eigentlich gleichgueltig.
Insbesondere nach dem inflationaeren Statement von Josef Beuys Alle sind Kuenstler und in einem Zeitalter, dass die Kreativitaet als vordergruendiges umsatzfoerderndes Agens des Marktes in Spiel bringt, ist solch akademische Differenzierung hinfaellig.
Die helfende Zuwendung ist auch die einzig richtige Antwort auf den moerderischen und voellig verwerflichen Umgang der Nazis mit sogenanntem minderwertigen Leben. Siehe Langzeit BSA Mitglied (Bund Sozialistischer Akademiker, von Kreisky B-SA genannt) Heinrich Gross (NS-Spiegelgrund, Primarius in Steinhof und Psycho Gerichtsgutachter bis in die 80 er Jahre), weiters die Verwahrungs- und Mordanstalt Hartheim und vergleichbares mehr.

Ich hatte in den 70 er Jahren enge Beziehungen zur Malergruppe Die Wirklichkeiten, der Peter Pongratz, Franz Ringel, Robert Zeppel Sperl, Martha Jungwirth, Wolfgang Herzig und Kurt Kocherscheidt angehoerten.
Auch Walter Navratil, Sohn von Leo Navratil, bewegte sich in diesem Kreis. Letzterer und insbesondere Franz Ringel interessierten sich fuer den Hard Core Surrealismus, so wie ich auch und nicht fuer die Wiener Soft Version des Phantastischen Realismus. Ein Werk, dass ich heute noch schaetze, war fuer mich damals bestimmend Die Welt als Labyrinth von Gustav Rene Hocke.

Besonders Interesse hegte ich damals fuer das Werk von Sigmund Freud, der mich bedeutend mehr als Wittgenstein interessierte, obwohl auch der zum Lesekanon zaehlte. Die surrealistischen Manifeste Andre Bretons hin bis zum gemeinsam verfassten Manifest ueber die Freiheit der Kunst, mit unterzeichnet und gemeinsam verfasst mit Leo Trotzki und Diego Riveria passten ebenso gut in den Neodadaismus der franzoesischen Studentenbewegung 1968 wie zu den Situationisten.
So man politisch, gesellschaftlich und in Fragen des oeffentlichen Geschmacks nicht angepasst ist, wirkt man ohnehin leicht angeschraegt. Der Nimbus milder Verruecktheit, so man es selbst nicht allzu ernst nehmen muss, wirkt so gar ein wenig als Schutz davor, in seiner Radikalitaet allzu ernst genommen zu werden. Das war immer schon eine Spielform der Avantgarde, der Boheme und des Poète Maudit wie des Dandys. Allueren, die sowohl die Surrealisten wie auch die Wiener Gruppe perfekt beherrschten.

Eine kleine Schnittmenge von all dem bildete das Interesse an der Nische der Kunst der Geisteskranken, verbunden mit den sozialen Interessen etwa eines Francesco Bassaglia vom Hospitalico Psychiatrico Trieste. Hinzu kam der Kultur der Bewusstseinserweiterung der Beatniks und der Hippies, zuvorderst der LSD Profet Timothy Leary. Das gehoerte zum selbstverstaendlichen Kolorit des Jahres 1968. Arnulf Rainer warf damals unter aerztlicher Aufsicht LSD ein. Die Presse berichtete darueber auf der Kulturseite und nicht im Lokalteil wegen eines Drogenvergehens.

Der Luxus von Fluxus und Marcel Duchamp begann erst spaeter in der Wiener Kunstszene zu wirken. Antonin Artaud hatte in Hanno Poeschls Kleinen Cafe Kult-Statuts.
Unsere Debatten zu Kunst und Wahn hielten wir im Rahmen der Arbeitsgruppe Bauernschnapsen ebenfalls in einem Lokal der Familie Poeschl, im Cafe Dobner, gleich neben der Secession gelegen, in der ersten Haelfte der 70 er Jahre ab. Allerdings eher auf alkoholischer Grundlage.

Andre Heller - die wahren Abenteuer sind im Kopf - pilgerte zu Friedrich Schroeder Sonnenstern nach Berlin, dem ich zu einem spaeteren Zeitpunkt gemeinsam mit Gerhard Jaschke, der Texte und Zeichnungen von Sonnenstern im Freibord Verlag herausgegeben hat, einen Besuch abgestattet habe.

1974 strahlte der ORF eine Verfilmung von Anton Tschechows Krankenzimmer 6 mit Helmut Qualtinger in der Hauptrolle aus. Der Arzt einer Anstalt indentifiziert sich mit seinen Patienten sosehr, dass er selbst im geschlossenen Pavillon landet.
Vergleichbares, aber bei weitem nicht so tragisch wirkend wie bei Tschechow laesst sich in Elias Cannetis Die Blendung nachlesen.

Tatsaechlich gingen die Selbstversuche einiger im dyonisischen Treibhausklima der Wiener Kunstszene, das extra von den Aktionisten zusaetzlich aufgeheizt worden ist, mit fatalem Ergebnis zu Ende.

Nachdem ich persoenlich meine Neugierde gestillt habe und mein Interesse geschwunden ist, bin ich andere Wege gegangen.

2002 stellte ich in einer Ausstellung in der Burgenlaendischen Landesgalerie des gebuertigen Eisenstaedters Peter Pongratz fest, dass er neben Arnulf Rainer und Franz Ringel der konsequenteste und radikalste Brutist unter den offiziellen Malern des Landes ist. Das wurde lange Zeit von seinen terrestrischen Querschnitten ueberlagert. Es koennte aber genau so sein, dass er der groesste akademische Simulant ist. Walter Navratil hat immer gefordert, nicht nur das Ergebnis, sondern auch der Kuenstler muesse echt verrueckt sein.

Mit der Herausgeberin Angelica Baeumer hatte ich ein interessantes Gespraech betreffend der Definition von Kusnt. Sie legitimierte sich durch ihren Beruf der Kunstkritikerin und brachte die allgemeine akademische Legitimation ins Spiel. Die art brut nach akademischen oder anderen scheinbar objektiven Kriterien der Kunst beurteilen zu wollen, erscheint mir paradox. Darueber haette ich mich gerne mit Paul Watzlawick (Human Communications und deren Stoerungen aus logisch analytischer Sicht) unterhalten. Leider geht das nicht mehr. Das ist auch noetig, denn die Antwort laesst sich aus seinem wissenschaftlichen Werk herleiten.
Leo Navratil, der auch nicht mehr befragt werden kann, ebenso wenig wie sein Sohn, der frueh verstorben ist, haette ich fuer ein solches Gespraech fuer befangen gehalten. Und Arnulf Rainer ist in eigener Sache ohnehin eingeschraenkt wie befangen. Die Praesenz am Kunstmarkt allein kann es ja nicht sein.
Alle Grenzzonen zeigen sich verschwommen und koennen wissenschaftlich eben bloss begrenzt erschlossen werden. Wer das Diktat der Kunst und in der Kunst ablehnt, muss folgerichtig auch das Diktat der Definition ablehnen. Wider den Methodenzwang hat uns Paul Feyerabend ein kitisch, doch zustimmend zu wuerdigendes Erbe hinterlassen. Sowohl als Herausgeber wie als Kuenstler lasse ich mir ohnehin keinen Kunst & Literatur Kanon vorschreibe, und keine Beschraenkungen und Einschraenkungen auferlegen

Zitat : Brigitte Borchhardt-Birbaumer
Das Lob der Schizophrenie hat Peter Pongratz schon in Zeiten der von Otto Breicha erfundenen Künstlergruppierung "Wirklichkeiten" gesungen; als eigentlichen Lehrer bezeichnet der mehrjährige Assistent von Max Weiler an der Akademie den verstorbenen Johann Hauser aus dem Haus der Kunst in der Nervenklinik Gugging. "Get mad" und die letzten Selbstporträts mit der Aufschrift "Ich selbst, schon alt sechzig Jahre, ohne Haare, schwer hysterisch, manisch depressiv" verfolgen diese Orientierung bis heute. Sie begann während seines Studiums in Wien und Berlin nach der "Art brut" Dubuffets und den Cobra-Künstlern.

Verlag Holzhausen


Pongratz: derzeit Baustelle


Medienbaustein



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