Das Jahr der Mathematik Ausstellung MUMOK Genau und Ungenau + Rundgang Museumsquartier


© Franz Krahberger




Tatsaechlich laesst sich von einer Mathematisierung der Welt sprechen. Statistik, Wirtschaftsmathematik und Elektronische Datenverarbeitung bestimmen weitgehend unser Leben. Die Welt der Zahlen hat unser Leben in einem umfassenden Ausmass erfasst. Kosten Nutzen Rechnungen bestimmen ueber das Wohlergehen von Projekten oder deren Einstellung. Die Politik bedient sich der Statistik und entscheidet nach Zustimmung und nicht mehr allein nach Zielsetzung. Anstelle des Regierens und reagierens hat sie sich zur Marketingabteilung fuer diverse Lebensformen degradieren lassen.

Datenrechner kontrollieren und steuern den oeffentlichen Verkehr. Planung und Entwicklung in Wirtschaft kommt laengst nicht mehr ohne avancierte Mathematik aus. Ingenieurmathematik bildet die Grundlage von Forschung, Entwicklung, Simulation und Konstruktion.

Einer der weltweit fuehrenden Architekten, Frank Ghery, arbeitet mit einer Software, mit der zuerst das franzoesische Kampflugzeug Mirage konstruiert worden ist.
Der COOP Himmelblaue koennte die Statik seiner wolkigen Architektur ohneHilfe einer komplexen Statik und ohne die Nutzung des Gestaltungswerkzeuges Computer mit passender Software nicht mehr hinkriegen. Da geht's um Grenzflaechenberechnungen in avancierter Mathematik.

Das aber ist alles nur ein kleiner Ausschnitt der Nutzung der Mathematik im komplexen modernen Leben. Selbst den Wettervoraussagen dient sie mit zunehmender Effizienz und Treffsicherheit. Grosswetterlagen sind auf Monate hin voraus rechen- und vorhersagbar.

Umso neugieriger hat mich das laut posaunte Ausstellungsprojekt des Wiener MUMOKS Genau + anders - Mathematik in der Kunst von Duerer bis Sol LeWitt, von Wolfgang Drechsler und Wolfgang Taschner TU Wien zusammen gestellt, gemacht.

Nach erstmaliger Betrachtung haben sich leider meine Ahnungen bestaetigt. Tatsaechlich ist dies eine gut gemachte Ausstellung von bekannten Denkansaetzen und Werken der klassischen Moderne sowie der Kunst der 60er und 70er Jahre in ihren konzeptuellen, konstruktivistischen und logischen Ausformungen. Mit Mathematik hat das nur in den Basics etwas zu tun. So kann ich etwa im Werk von Roman Opalka, der seit 1964 wachsende Zahlenreihen auf grossen Formaten aneinander reiht, keinen wirklichen Bezug zur Mathematik sehen . Das meiste hier versammelte ist allein der klassischen Geometrie verhaftet. Von neuen, gekruemmten, imaginaeren Raeumen kaum eine Spur, wie auch ? Die formalen Paradoxien des Manierismus finden sich in Ansaetzen in alten Stichen und aufgeklappten Standard Handbuechern aus den Anfaengen der Neuzeit.

Es entfaellt der weite Bereich der Informatik und all die Gestaltungsmoeglichkeiten, die mittels des Computers und entsprechender Software in den letzten Jahrzehnten offensichtlich mangels Kompetenz und Unkenntnis der beiden Kuratoren. Dass sich mittels der EDV bereits kaum mehr ueberschaubare Entwicklungen im Bereich der Kuenstlichen Intelligenz, des digitalen Modellbaus, der digitalen Simulation, des Interface Designs, der Typographie, der Metamorphosen, der Hypermedien, der Radiosity und des Raytracing, der Fotomontage und der Bildbearbeitung, der Videografie u.a . auch auf der offenen globalen Praesentationsebene entfaltet haben, scheint sich bis ins MUMOK noch nicht durchgesprochen zu haben.
Schlichte Exponate aus den Anfaengen der computergenerierten Kunst des Wieners Herbert W.Franke, Nake, Noll und Ness koennen dieses offensichtliche Defizit nicht wettmachen. Sie haben damals nur das machen konnen, was ihnen die damals noch primitiven Moeglichkeiten des Computers angeboten haben, allerdings mit noetigenschlauen abstrakten Reduktionen in der allfaelligen Programmierung.
Die Faehigkeiten der Maschine und der eingesetzten Technologie allein machen es nicht aus.

Die beiden Kuratoren wie auch die meisten der ausgestellten Kunstwerke und KuenstlerInnen tuempeln nach wie vor in der Sphaere der von den alten Griechen erfundenen und gepraegten Fundamentalmathematik der Geometrie herum.
Davon abzulenken helfen auch nicht die Bemuehungen des Mathematikers Taschner, Escher ins Reich der Trivialitaet zu verweisen.

Zweifellos ist die Ausstellung elegant und auf hohem aesthetischen Niveau. Zum Beispiel ist eine hervorragende Hard Age Arbeit von Kurt Ingerl, Struktur , aus den 70er Jahren zu sehen.br> Viele der Exponate waren bereits in Wien zu sehen oder sind Teil Wiener Sammlungen und frueherer Ausstellungen, etwa des ehemaligen 20.er Hauses, des MUMOKS, der Secession, die Sol LeWit und Judd ausgestellt hat, der Galerie Insam, die etwa Weibels Skulptur des Quadrats erstmal zeigte. So gesehen hat sie, abgesehen von oben genannten Einschraenkungen, durchaus synoptische Qualitaeten und mag fuer New Beginners durchaus von Wert sein. Oesterreichische und andere Neuzugaenge, sind abgesehen von den bereits genannten, spaerlich. Willi Kopf zurecht mit seinen Novopan Platten Komprimimierungen und Oswald Oberhuber mit einem niedlichen informellen Zahlen und Zeichen Eintropf. Rubiks Cube, der um einiges intelligenter als Willi Kopfs Spiel mit dem Plattenformat funktioniert und zum weltweit verbreiteten Spiel der Massen geworden ist, wird im Ausstellungskonzept nicht wahrgenommen. Da bleiben sie bei Kassak und bei Megyik stehen.

Eines ist gewiss, die Kunst war immer schon die duemmere, wenn auch begehrenswertere Cousine der sproeden Mathematik.

Mit der technologischen Revolution des 19. , 20. und 21. Jahrhunderts ist die klassische bildende Kunst in ein Dilemma geraten. Die Fotografie und der Film hat die klassische Malerei in nicht mehr aufholbaren Zugzwang gebracht.

Die empirischen Mess- und Aufzeichnungstechniken sind sowohl im Mikro- wie im kosmischen Bereich in Dimensionen vorgerueckt, die dem Auge des malenden Betrachters sich natur- wie technikgemaess entzogen haben. Die Malerei und die Abbildung nimmt da nur mehr symbolhafte Funktion ein. So kann sich niemand anhand von Dalis Uhrenpalatschinke, die er in eine seiner surrealen Wuesten gehaengt hat, die Relativitaetstheorie erklaeren. Das gelingt auch populaerwissenschaftlichen Autoren in Sprache kaum. Der Zugang zu dieser und anderen erweiterten Realitaeten ist meist nur jenen moeglich, die Mathematik als hoehere Wissenschaftsprache beherrschen. So bleibt vieles zwangslaeufig einem breiteren Publikum ungeklaert. Mit Schroedingers Katze allein in der Black Box kann man einen Quanten Vorgang nicht beschreiben und verstehen.

Hinzu kommt, dass die visuellen Ergebnisse, die in der Astronomie im grossen durch extrem vorangetriebene Technologien erzielt worden sind und weiter erzielt werden, die sich im Bereich kleinster Teilchen im Teilchen Zyklotron CERN abbilden lassen, die malerische Vorstellung, die ohnehin nur mehr in schlecht gehuellter Analogie herumtapst, laengst gesprengt hat und zwangslaeufig uebertrifft.

In all den Bereichen, in denen die Kunst sich den naturwissenschaftlichen Ergebnissen und der den damit verbundenen Wahrnehmungs- und Messtechnologie annaehern will, ist sie hoffnungslos ins Hintertreffen geraten und hat bloss noch dekorative Funktion. Dieser Einsicht und Erkenntnis kann sich auch die gegenwaertige Ausstellung im MUMOK nicht entziehen.

Vor dreissig Jahren haben Kulturveranstalter regelmaessig Werner Steins Grossen Kulturfahrplan bemueht, um zu historischen Terminen fuer Jahresausstellungen zu gelangen. Dieses Jahr ist allgemein der Mathematik gewidmet. Da muss das MUMOK ja Flagge zeigen.

Ich habe im uebrigen ein paar interessante Adressen im Netz ausgewaehlt, von Rubiks Cube bis zur Imaginary, um zu zeigen, was wirklich laeuft bzw. laufen koennte und was da vom kunsthistorischen Museum der Postmoderne III MUMOK alles versaeumt worden ist. Diese URLs habe ich unter actuell gesetzt. Sie stammen nicht aus dem Fundus des MUMOKS.

Kurz gefasstes Resume der Ausstellung : Verpackung gut, inhaltlich in Kunst wie Auswahl Durchschnitt. Ohne Zukunfstperspektive

Das soll aber nicht heissen, dass die bildende Kunst voellig obsolet geworden waere, wie uns von ins Blaue oder ins malevitchschwarz stuermenden Avantgardisten immer weis gemacht werden wollte.
Die Kunst soll sich auf den ihr moeglichen Nischenraum in menschlicher Kultur und Evolution konzentrieren, dann wird sie auch wirksam bleiben, und ich gehe davon aus, dass noch genuegend Entwicklungs- wie Wandlungsgpotential vorhanden ist, vor allem dann, wenn man das neue digitale Potential einbezieht und ernst nimmt.

Aber gerade da ist im Museumsquartier viel schief gelaufen. Depot, Lioba Reddekers Basis Wien, wie der zugegebenermassen unleidliche Blender Konrad Becker mit seinem potemkinischen On-Line Dorf t0 sind draussen.
Verblieben ist die mickrige Electrische Avenue, unter anderen mit den Quaelgeistern von Monochrom, keineswegs eine Sternenmeile, sondern eine 100 meter lange Aneinanderreihung von Boxes , die im Aufbau alle an Oliver Baiers ORF Buehnenbild zu seiner Sendung Monte Video erinnern, und an realem Charme nach wie vor von jedem Naschmarktstandel geschlagen werden.

Mickrig und kleinlich ist da einiges. So verbietet der Neon Installateur Dusty Sprengnagel das Abfotografieren seiner Lichtzeile ausgangs des MUQUAS . Um die wenig sagenden drei Worte ablichten zu koennen, muss man den Dusty anrufen und um Erlaubnis fragen. Dass er selbst bei Flanvin und bei Jenny Holzer schamlos Ideen gebaggert hat, kann er sich nur in der Wiener Kunstprovinz leisten, zu verbergen.
Einmal mehr ein weiteres Beispiel von charakteristischer Hausmeisterkultur.

Dass sich die Ars Electronica Linz mit Hilfe der Telekom Austria im MUQUA eine, wenn auch kleine, Wiener Dependance geschaffen, halte ich fuer positiv. Aber auch da lassen sich die Schwierigkeiten, die Kunst der Neuen Medien spannend wie anschaulich, also auch unterhaltend zu praesentieren, nicht verleugnen.

Die Ausstellung MOMUK Genau und anders, die Sie trotz aller aufgezeigten Maengel besuchen sollten, beinhaltet Bilder von Max Bill, die wie eingefrorene Moments der Rotoreliefs von Marcel Duchamp wirken.

Albrecht Duerers raetselhaftes Concetto Melancholia wird in einer Leihgabe der Albertina gezeigt. Nach Besuch der Ausstellung bin ich zu einer durchaus angebrachten Interpretation des Duerer Blattes gekommen. Umgeben von soviel platonischen Koerpern und mathematischen Instrumenten kann man nur in Despression verfallen, und in Folge in eine schwere Neurose, da die menschliche Sinnenlust und Erotik ausgespart und unterbunden wird.

Kunst waere Sublimation sexueller Beduerfnisse, so haben radikale Wiener Avandgardisten in Anlehnung an Freuds Unbehagen an der Kultur in den 60 er Jahren postuliert. Wer die Antworten sehen will, kann im Keller des MUMOK Otto Muehls Zimmer-und Materialschlachten Dokumentation anschauen. Muehls gewalttaetige aktionistische Bilderzotten sind keineswegs sexuell befreiend gewesen, sondern fuehrten in neue repressive Sackgassen und Otto Muehl ins Gefaengnis, weil er auch vor den Kindern seiner Kommune im sexuellen Gebrauch nicht Halt gemacht hat. Das war aber nicht das einzige soziale wie menschliche Versagen dieses als fortschrittlich ausgegebenen Lebensmodells.
Wem meine erste Duerer Interpretation zu banal erscheint, sei daran erinnert, dass Duchamp ueber das raetselhafte Laecheln der Mona Lisa schlicht und einfach gemeint hat, ihr waere am Arsch so warm. Meist ist das Naheliegende zu sagen besser, als den Kopf in Metaphysik zu verrenken, ohne das weiteres dahinter waere bzw. herauskommt.

Mir faellt noch eine zweite zeitgemaesse analoge Interpretation zu Duerers Allegorie ein. Wird es der Kunst in Zukunft so ergehen, wie es der Religion (Dem Engel der Verkuendigung mit dem Kinde und dem Rinde) in der Neuzeit mit den aufstrebenden Wissenschaften ergangen ist ? Ist sie bereits ebenso paralysiert, wie die Religion durch die Aufklaerung ? Vieles weist allgemein, nicht allein in dieser Ausstellung, darauf hin....
Dies zu debattieren, muesste aber der naturgemaess ungeloeste humanistische Anspruch, wie ihn etwa Anders in der Obsoletheit des Menschen in den abwehrenden Diskurs gebracht hat, bzw. wie es Francis Fukuyama in seiner 2002 in New York erschienenen Posthuman Future in bedenklich positiver Zustimmung anstrebt.

Apropos, der Hinweis Peter Schreibers im Katalogtext, man muesse Duerers Bilder lesen, werden viele Betrachter nicht mehr verstehen. Denn fuer sie ist ein Bild ein Bild und nicht anderes als ein Bild. Doch auch die Greenberg Epoche ist unbemerkt wie unkommentiert von den Kunstkritikern ausgelaufen und damit auch ihr wesentlichstes Dogma. Die Schluessel zu Duerers Raetsel liegen noch herum, doch nur die, denen die Symbolik seiner Zeit etwas sagt, koennen sie nutzen und den verraetselten Kontext verstehen. Auch Duerer hatte den Bann des Vatikans, wie viele seiner Zeitgenossen, zu fuerchten und hat nicht jede Botschaft in den Vordergrund stellen koennen. So kann bildende Kunst auf ihre Art literarisch sein, dazu muss man nicht Kossuth allein bemuehen.

Auch in diesem potentiellen Kontext ist den Ausstellungsmachern entgangen, dass der digitale Hypertext mit seinen freistrukturierbaren Moeglichkeiten durchaus in Analogie zu Duerers vielschichtigem Repertoire organisierter und strukturierter Zeichen gesetzt werden kann. Eine weitere Chance, die da verspielt worden ist, die ich Ende der 90er in der Erstellung meines Admontinischen Universums, der Deutung und Beschreibung der Oberflaeche der barocken Admonter Monumentalbibliothek, Parallelprogramme mit erweitertem Verzweigungsbaum, durchaus wirksam und erfolgreich zu nutzen wusste.

Dass BesucherInnen sich einen MUMOK Sticker anheften sollen, um so die museale Corparate Identity auch auf das p.t. Publikum zu uebertragen, zaehle ich zu den neueren Hausmeistereien. Bloss ein arrogantes buerokratisches Management kann das fuer gut halten. Der Sticker ist bloss Ab- und Nachklatsch eines Zeitgeistes, der in seinem Marketingwahn alles etikettieren will !

Apropos, der Wiener Aktionismus, der 1968 im Hoersaal 1 des NIG seine massenwirksamste Veranstaltung abgezogen hat, kam urspruenglich aus dem Keller. Im MUMOK ist er endgueltig wiederum dort hin gelangt: in die unterste, zugaengliche Keller-Etage.















Jean Giambologna; Astronomie - Venus Urania; KHM






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Sehenswerte Ausstellung im Architekturzentrum










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Absolute Sackgasse










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Begruessenswert







Medienbaustein


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