Auf dem gut gemachten DVD Video erklaert Jean Tinguely in eindringlicher Weise seine Weltanschauung und die Beweggruende seiner kuenstlerischen Arbeit in einem spannenden Interview, das er anlaesslich seiner ersten Ausstellung im Wiener Kunsthaus 1991 gegeben hat.

Tinguely begreift seine Arbeit als Pandaemonium, als gut praeparierten Weltuntergang. Ein Ziel, auf das jeder Katholik ohnehin zuzusteuern hat, das sich in der apokalyptischen Verheissung der Weltvernichtung vollendet. die der Glaeubige in seiner eschatologischen Bindung zu durchlaufen hat, metaphorisch passend zur aktuell sich abzeichnenden Oekokatastrophe.
Doch Tinguely nimmts mit sarkastischem Humor und nicht als Glaubenspflicht, die man dem jungen Pfadfinder in Basel mit auf den Weg gegeben hat. Er sieht sich als Rattenfaenger, als einen floetenpfeifenden bockfuessigen Pan, der mit schrillen und schraegen Toenen die Kinder zum Aerger der Vaeter in sein kinetisches Pandaemonium aus zusammengepfuschten, aber sehr beweglichen Schrott und Tierschaedelwerk hineinzieht.

Er wollte in der Technik so unschweizerisch wie moeglich sein, so ungenau wie moeglich pfuschen. Den Witz an der Sache versteht man besser, so man an die zum Sprichwort gewordene Praezission des schweizerischen Uhrwerkes denkt. Seinem perfekten Helfer, Schlosser und Maschinenbauer, seiner dritten Hand Sepp Imhof hat er erst beibringen muessen, moeglichst schlampig , aber mit dauerhafter Wirkung zu arbeiten.

Tinguely erzaehlt, dass er ein grosser Verehrer Freuds gewesen ist, aber anstatt in Analyse zu gehen und da sein Geld auszugeben , hat er seinen sperrigen Seelenmuell auf die Kunsthalde geschuettet, so die Kunstgeschichte mit bestimmt und eine Menge Geld damit verdient. Das war ihm aber nicht so wichtig. Man traktiere ihn mit Geld, so Tinguely im Gespraech. Mit dem TV ist er weltberuehmt geworden und hat sein Massenpublikum gefunden, da gerade das Fernsehen auf spektakulaere Bilder aus ist, und die hat Tinguely anbieten koennen.

Nachdem er seine kleinen Malmaschinen, die meta matics erfunden hat, um die Tachisten zu aergern, eine davon wurde gerade zum Preis von 1,3 Millionen Euro in London versteigert, erwarb er sich die Anerkennung der Dadaisten. Marcel Duchamp und Huelsenbeck wurden u.a. zu seinen Freunden.

Den belebenden wie begeistert aufgenommenen Skulpturen Wasserpark neben dem Centre Pompidou gestaltete Tinguely gemeinsam mit seiner Lebensgefaehrtin Niki de Saint Phalle. Seine dunklen wasserspeienden und drehenden Skulpturen bilden ein mechanisches Ballett mit den lebensfrohen und bunten Figuren aus der Nana Welt der Saint Phalle. Der mythische Schmied Hephaistos und die schoene Venus vergnuegen sich ungeniert und ohne Unterlass zur Freude aller BetrachterInnen. In diesem bunten Wassertreiben wird besonders deutlich, warum Kinder die groessten Fans von Tinguely und der Saint Phalle sind.
Pierre Boulez, ein wesentlicher Unterstuetzer des Projektes, war davon ueberzeugt, dass es nur den beiden gelingen konnte, aus dem trostlosen Vorplatz einen anziehenden Ort zu schaffen.

Selbst sein Begraebnis in Basel, das Nike Saint Phalle und seine Schweizer Freunde Spoerri und Luginbuehl ausricheten, geriet zu einem riesigen Fassnachtstreiben, zu einem Totentanz, ganz so, wie es sich Tinguely noch zu Lebzeiten gewuenscht hat. Zig Tausende geleiteten ihn auf seinem letzten Weg und 30.000 Basler Kinder hatten schulfrei. Noch einmal fuhren spuckende, pfauchende und letztendlich sich selbst zerstoerende Maschinen durch seine Heimatstadt.

Ich weiss, Tinguely haette es nicht gemocht, er hat immer alle Ernsthaftigkeit bestritten, aber ich meine, dass er einen tiefen Verstand des menschlichen Wesens gehabt und damit virtuos gespielt hat. Er, der seine eigene Autodestruktion mit einer anarchischen wie absurden Bewegungsfreude und einem bewusst schlampig aussehenden kinetischen Konstruktivismus an die Wand gespielt hat, hat den Thanatos, den Todestrieb, der aller menschlichen Kultur innewohnt, ernst genommen.

Wir stehen heute noch immer fassungslos vor den Resultaten zweier Weltkriege, vor dem unfassbaren Holocaust und bewegen uns selbst ungebremst auf den voelligen Absturz ins oekologische Deasaster zu. Sind die Lemminge einmal in Richtung Steilkueste in Bewegung geraten, lassen sie sich durch nichts mehr stoppen. Die Lust am Untergang und die Neugierde auf das Ende ist staerker als alle Lebensvernunft. Das waren und sind die Spielkarten, mit denen auch Tinguely gespielt hat. Er hat am Spielertisch dem Tod in den hohlen Schaedel gelacht.

Franz Krahberger

Knallfroesche im Trauerzug









Brief an Maja Sacher






Kunsthaus Wien

Jean Tinguely Museum Basel

Medienbaustein


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