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Das Babylonprojekt


© by FRANZ KRAHBERGER


LITTLE NEMO & ALICE; INSTANT DREAMS



Zwei weit zurueckliegende Traeume erscheinen mir signifikant fuer die absurde Aesthetik des Traumes.
In dem einen traeumte ich ein ziemlich abstrakten Konfiguration der gegenlaeufigen Bewegung zweier vertikal und gegenlaeufig orientierter Pfeilfelder.
Die Pfeile waren gegenlaeufig verschraenkt und bewegten sich doch, obwohl dies allein aufgrund der Spitzen und der abschliessenden Federn ein Ding der Unmoeglichkeit gewesen waere. Man muss sich dies wie eine Zeichnung von Escher vorstellen. Der Traum war allerdings bewegt.
Damals wurde mir klar, dass im Traum Dinge passieren und entstehen, die in der Wirklichkeit unmoeglich erscheinen.
Ich meine jetzt weniger die inhaltlichen Hinter- und Untergruende eines Traumes, etwa seinen Wunschcharakter oder dass er ein verdraengtes Beduerfnis ins Traumbewusstsein treten laesst. Sigmund Freud hat diese mit inhaltlicher Verdraengung verbundene Formenverschiebung, diesen metamorphesken Charakter des Traumes in seiner Schrift: >Die Traumdeutung< klar gelegt. Der Pfeiltraum hat mich lange beschaeftigt, weil ich nicht wusste, es mir nicht vorstellen konnte, wie dieser formale Prozess, den ich im Schlaf so deutlich vor meinem inneren Auge gehabt habe, in die reale Wirklichkeit zu uebertragen waere, also wiederholbar gemacht werden koennte. Zeichnerisch gings zwar andeutungsweise und der Cover eines italienischen Schreibheftes, das ich mir in Venedig erstanden hatte, schaffte zumindest die statische und zweidimensionale Vorstellung .
Der Traum spielte sich nur in zwei Ausdehnungen ab, uebersprang die dritte und bewegte sich in der vierten Dimension, also in jener der Zeit. Das eigenartige war, dass die Pfeile nicht in die dritte Raumausdehnung ausweichen konnten, und sich doch trotzdem problemlos an einander vorbei kamen.
Erst Jahrzehnte spaeter, als die ersten graphikfaehigen PC herauskamen, konnte ich mir ein Programm vorstellen, dass zumindest mit Hilfe von Farbflaechenbewegungen bei gleichbleibendem Grundmuster, die Illusion dieses einen konkreten Traumes herzustellen imstande ist. Es bleibt da jedoch ein Rest, der auch damit nicht herstellbar ist. Damals begann ich zu begreifen, dass mit dem Medium Computer virtuelle Wirklichkeiten hergestellt werden koennen.

Dass ich mit meiner fuers ersten absurden Traum-Erfahrung nicht alleine dastand, wurde mir klar, als ich im Lauf der Zeit darauf kam, dass es innerhalb der Concept-Kunst eine bestimmte Richtung gibt, die vor allem darauf aus ist, Ideen und Concepte zu entwerfen, die in die dreidimensionale Wirklichkeit nicht uebertragbar sind.

Der zweite Traum spiegelte mir eine riesige Industriehalle vor, in der sowohl Personen wie auch Produkte permanent ihre Groesse wie auch ihre Gestalt verwandelten bzw. ineinander transformierten.
Hier waren wieder diese seltsamen, in der Wirklichkeit unvorstellbaren Materieuebergaenge und Metamorphosen , diesmal jedoch auch unter Vorspiegelung der Dreidimensionaliaet.

Kuenstlerische Intuition geht immer schon mit metamorphen Vorgaengen und Vorstellungen um. Um Ihnen konkretere Anhaltspunkte zu geben versuche ich im weiteren kuenstlerische Beispiele aus dem anglosaechsischen Raum zu geben.

Als erstes erinnere ich Sie an den Text von Lewis Caroll >Alice im Wunderland<. Alice gelangt dabei in seltsame Welten. Kaninchen tragen Taschenuhren mit sich. Tiere reden im Wunderland und treten mit Alice in Dialog, fuer eine Fuenfuhrteerunde steht die Zeit still, deswegen kann das Geschirr nicht abgewaschen bzw. erneuert werden.
Je nachdem, aus welchem Flaeschen Alice trinkt, von welcher Seite des Pilzes sie abbeisst, je nachdem waechst sie oder verkleinert sie sich, und dies in bedrohlicher Geschwindigkeit. Die artifizielle Veraenderung der Groesse kennen wir bereits von Jonathan Swift. Nur ist es so, dass Gulliver in seinen Reisen seine Groesse beibehaelt, und sich bloss die Dimension der Reiseziele verwandelt.
Der koenigliche Hof des Wunderlandes ist eigentlich ein aufgefaechertes Kartenspiel und im abschliessenden Prozess muessen die Schoeffen drei verschiedene Datumsangaben aufschreiben, die sie dann eifrig auf ihren Tafeln zusammenzaehlen, um sie in Pfund und Zentner umzurechnen.
Man kann das als absurd ansehen. Doch vielleicht verbirgt sich der Wunschtraum oder eine tiefere Ahnung des Mathematikers Charles Lutwidge Dodgson, so der buergerliche Beruf und Name von Lewis Caroll, Zeit in Materie und umgekehrt transferieren zu koennen.
Man muss sich da auch erinnern, das >Alice in Wonderland< erstmals 1865 erschien. Vielleicht lag die Absicht des Autors gar nicht in der Verbreitung von Non-sense. Vielleicht wollte er gerade mittels des Non-sense auf etwas hinweisen, dass ihm die wissenschaftliche Welt zu Lebzeiten nicht abgenommen hätte, nämlich die Relativität von Zeit und Raum.

Auch der Zen-Koan, die geistigen Exerzitien des Zen-Buddhismus, die vorlaeufige Entleerung der Begriffe, das bewusste Entwickeln von Paradoxien ist eine Methode, zu hoeheren Bewusstseinsstufen zu gelangen neue Perspektiven der Wirklichkeit zu erkennen.
Ludwig Wittgenstein etwa macht die Sinne frei, in dem er versucht, alles was der Fall ist zu definieren, um im Schluss des Tractatus nicht bechreibbare Sphaeren und Sinne anzudeuten.

Das uralte chinesische Weisheitsbuch der Wandlungen, das I Ching, haelt im Da Dschuan Kommentar, also in der grossen Abhandlung im Kapitel XII, § 2 folgende Worte des Meisters fest: >Die Schrift kann die Worte nicht restlos ausdruecken. Die Worte koennen die Gedanken nicht ausdruecken.<
Der Meister spricht weiter: > Die Heiligen und Weisen stellten die Bilder auf, um ihre Gedanken restlos auszudruecken, sie stellten Zeichen dar, um Wahr und Falsch restlos auszudruecken. Sie fuegten dann noch Urteile bei und konnten so die Worte restlos ausdruecken.<
(Sie schufen Veraenderung und Zusammenhang, um den Nutzen restlos darzustellen, sie trieben an, sie setzen in Bewegung, um den Geist restlos darzustellen.)

1905 erschien erstmals in der New York Herald Tribune eine Comicseite. Das Phantasygeschoepf >Little Nemo< des Zeichners Winsor McCay. Diese Comicsserie erschien nun woechentlich bis ins Jahr 1911 und zaehlt zum Besten in der Gechichte des Comics. Charakteristisch ist das fuer die Pariser Ausgabe geplante und eigenartigerweise nie veroeffentlichte Blatt vom 7.Jaenner 1906. Little Nemo liegt schlafend in seinem Bettchen, dass sich rasch in eine von schwarzgoldenen Clowns umstandene Kutsche verwandelt, die im Verlauf der Geschichte der strahlenden Sonne zustrebt. Am Schluss erwacht Little Nemo in seinem Bettchen und hat das Wort psahw auf den Lippen, dass die Erregung des Traumes noch einmal vermittelt.

Diese Grundform Einschlafen-Traeumen-Erwachen (Sprung Traum -Realitaet) wird von McCay in allen Geschichten beibehalten.
Was sich da jedoch im Verlauf der 10 bis 20 Bildchen abspielt, ist voll bizarrer Phantastik und Metamorphetik.

Ich habe gehoert, dass es in den zwanziger Jahren in New York eine Kuenstlergruppe gab, die sich vor allem mit dem Phaenomen der Synaesthesie beschaeftigte. Das waere eine weitere Entsprechung des metamorphetischen Wesens des Traumes.

Und selbstverstaendlich birgt der Zeichentrickfilm eine Menge nutzbarer Vorlaeuferaesthetik fuer die multimedialen Moeglichkeiten des Computers.
Ich erinnere hier nur an die grossartige Szene in einem Walt Disney Film zwischen Merlin und Mim, die vor den gebannten Augen der Kinder ihre Verwandlungs- und Kampfkuenste auffuehren.

Vor allem den Kindern ist die Phantasie des Comics, des Zeichentricks und des absurden Maerchens voellig selbstverstaendlich.

Ich habe bislang wenig vom Computer gesprochen. Ich will auch in diesem Zusammenhang nicht von der Rechen- und Denkleistungsmaschine, vom Konstruktionsgeraet und Desktop-Publishing Geraet, nicht vom Steuer-, Mess- und Regelapparat sprechen, nicht von computerunterstuetzten Waffen. Ich moechte vom Computer mit seinen bestehenden und kuenftigen multimedialen Moeglichkeiten sprechen.
Filme wie TRON und BATMANS Rueckkehr schoepfen da bereits aus dem Vollen. Es gibt bereits einen florierenden CD-Markt.
Die Zitation von >Alice in Wonderland< - erstmals bei Ted Nelson- ist ein gutes Beispiel dafuer, dass sich die Anwender eines Neuen Mediums einer aelteren, ja schon fast traditionellen Geschichte entsinnen, weil ihnen der individuelle kuenstlerische Entwurf als Anologie zu den erahnten Moeglichkeiten des Neuen Mediums dient. Nicht das neue Medium entwirft die Vision, es entdeckt sich in seinen Vorlaeufern und Vordenkern, die zu ihren Lebenszeiten nichts ausser Phantasie,Wissen ueber bestimmte Phaenomene und der Fertigkeit der Gestaltung ihr Eigen genannt haben.
Aehnliches vermerken wir auch in der musikalischen Vorstellungswelt. Edgard Varese gilt etwa als Vorlaeufer der elektronischen Musik.
Sie werden nun verstehen warum ich so lange von scheinbar anderen Dingen erzaehlt. Ich hoffe jedoch, Ihnen damit einen Zugang zur multimedialen Phantasie, deren Moeglichkeiten im Medium Computer noch nicht wirklich ausgeschoepft sind, geschaffen zu haben.

Einer der amerikanischen Vordenker der multimedialen Maschine, Theodor Nelson, dessen Schrift >Dreaming Machine< 1974 erschienen ist, der damals in Worten davon getraeumt hat, was Hypercard heute moeglich macht, hebt an Alice in Wonderland besonders die Traumqualitaeten, die vielfaeltigen bizarren und surrealen Aspekte hervor. Er lobt die Dynamik des Unangemessenen, des Missverhaeltnisses und der Ungereimtheit. Sozusagen die Vereinigung des Antagonistischen, die der Surrealismus zu seiner speziellen Methode erhoben hat. Der grossartige Kulturphilosoph Gustav Rene Hocke weist in seinen Schriften Manierismus I und II auf die enge Verwandtschaft dieser Kunstrichtung, die ihre Wurzeln in der Hochrenaissance hat, ja diese geradezu abloest, mit dem Surrealismus hin.
Welt als Labyrinth, Sprach-Alchemie und esoterische Kombinationskunst koennten ebenso die Axiome einer neuen multimedialen, elektronischen Kunst sein.
Und wieder ist es der Surrealismus, der dem Traum geradezu magische Qualitaet einraeumt.
Charles Baudelaire, einer der geistigen Vorfahren der Surrealisten, schreibt in seinem Text ueber den opiumsuechtigen Thomas de Quincey von kuenstlichen Paradiesen, von elysaeischen Hoffnungen.
Die Paradiesvorstellung ist und war eine virtuelle Vorstellung, die ueber der Wirklichkeit zu suchen ist.
Erinnern wir uns an die Himmelfahrtsbilder, in denen die Gerechten nach oben zu Gott hin streben und die Verdammten zur Tiefe hinabstuerzen. Auch sie, diese Bilder, bergen bereits den Traum der Aufhebung von Zeit und Raum, die im virtuellen elektronischen Raum Wirklichkeit, so wie auch in der Kunst bislang, und Gestalt anzunehmen beginnt.

Der simulierte virtuelle Raum, die kybernetischen (allzuoft korsettierten) Raeume haben mit den von jeher virtuellen geistigen Raeumen der menschlichen Schoepfungskraft zu tun. Es besteht allerdings auch die Gefahr einer Automatisierung des Denkens. Der Programmierer denkt in den Schienen, die er entweder vorfindet oder legt.

So wie die kybernetische, multimediale Maschine Wege zu neuen Phantasmagorien oeffnet, zu neuen Auslotungen des menschlichen Geistes fuehren wird, so eroeffnet sie auch die Moeglichkeit bislang ungeahnter Manipulation.
Sie wird teilweise die dokumentarische Bilderwelt entwerten. Im virtuellen Raum ist die fast absolute Faelschung moeglich. Mit Programmen wie Photoshop, Morph und aehnlichem koennen nicht nur neue Wirklichkeiten entstehen, es kann die bestehende Wirklichkeit auch gefaelscht werden. Ich erinnere hier an jenes Bild des Wiener Boersensaals, das im Ausgust deses Jahres im Profil erschienen ist. Die Boersianer sitzen herum, waehrend an den Waenden lustig die Flammen zuengeln. Nun, hier war die Manipulation erkenntlich. Man kann sich jedoch ebenso die perfekte gelungene Faelschung der Wirklichkeit vorstellen, die kuenftigen Diktatoren nicht nur die Umschrift sondern auch die Umbildung der Geschichte ermoeglichen koennte und dem einen oder anderen kompromittierenden Erpresser das Handwerk erleichtern wird.
Doch das ist nichts neues. Der Hang zum Phantastischen, der Hang zur Utopie ging zwangslaeufig immer schon Hand in Hand mit dem Realitaetsverlust einher. Der klassische TIME-LIFE Journalismus wird etwa voellig in Frage gestellt. Und das bedeutet ein nicht zu unterschaetzender Einschnitt, dessen Auswirkungen noch genau zu ueberdenken sein werden.


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