<li><a href="../index.html">e.journal</a> : [ <a href="../toc-nf.html">Inhalt</a> ]<br> <li><b>b&uuml;.cher</b> : [ <a href="toc.html">Inhalt</a> | <b>Das Baylonprojekt</b> ]<br> <hr>

Das Babylonprojekt


© by FRANZ KRAHBERGER


ELECTRONIC UNIVERSE - BASIC



Die Medien der Elektrizitaet haben unseren Lebensraum veraendert, sie beanspruchen zunehmend unsere Zeit sowohl im Berufs- wie auch im Privatleben.
Kultur und Kunst laesst sich heute unter Ausschluss der elektrischem Medien nicht mehr diskutieren und auf bestimmten Ebenen auch nicht mehr herstellen. Sie erobern unsere Sinne. Nach dem Fernsprechen, dem Telefon und dem Fernhoeren, dem Rundfunk, kam das Fernsehen, das sowohl Auge und Ohr in Anspruch nimmt. Nun zeichnet sich mit der sogenannten Cybertechnik als naechste Stufe das Fernhandeln ab.
Aber nicht nur das. Wenn die Hardwarekonfiguration etwa um eine entsprechend mit einem Prozessrechner ausgeruestete Werzeugmaschine erweitert wird, kann das am Computer entworfene Werkstueck sozusagen on-line von der Maschine hergestellt werden.
Die Telekommunikation wird zur Telematik. Vom Fernsehen zum Fernhandeln. Der Datenhandschuh und die Vernetzung der Roboterkamera via Cyber Space (Kybernetischer Raum) mit den Kopf- und Sehbewegungen des Menschen laesst eine Direktsteuerung von mechanischen Robotern durch den Menschen zu . Ob der Techniker in einem Raumfahrkontrollzentrum der Erde in seinem Cyberspaceanzug sitzt oder in der benachbarten Raumkapsel, solange die Laufzeitunterschiede nicht gravierend werden, ist vollkommen gleichwertig.
Wir verstehen heute McLuhans Theorie der Ausweitung viel besser, ist sie doch zunehmend durch praktische Beispiele anschaulich gemacht bzw. durch alltaegliche Kommunikationspraxis gelaeufig geworden.
Der Mensch ist faehig geworden, zu hoeren, zu sehen und handeln, ohne koerperlich vor Ort zu sein.

In der Nutzung der Ausbreitungsgeschwindigkeit der elektromagnetischen Wellen, wird die Zeit, gemessen an globalen und kontinentalen Entfernungen extrem verkuerzt, und der Raum schrumpft sozusagen auf das elektronische Fenster, den Monitor, vor dem wir setzen und in Echtzeit Datenaustausch mit in fernen Laendern oder im naechsten Strassenzug sitzenden Partner betreiben. Die Eigenheit des elektronischen Raumes ist , dass er zumindest im terrestrischen Masstab weder Entfernung noch Zeitdifferenz kennt. Diese Erfahrung waere auch schon mit einem Ueberseetelefonat zu machen und Ueberlegungen bzw. Nachdenklichkeit über die Verkuerzung von Raum und Zeit sind mir auch anlaesslich eines solchen aufgefallen, als ich ploetzlich waehrend eines solchen Telefonates im Hintergrund einer japanischen Wohnstube ein Kleinkind schreien hoerte.
Ich habe immer mit großer Faszination, wenn etwa Realzeitberichte aus Washington via ORF uebertragen wurden, sozusagen an der Schulter des Sprechers vorbei aus dem Fenster auf den Washington square gesehen und nach den vorbeirollenden Autos und den querenden Passanten Ausschau gehalten. Das war dann für mich Fernsehen im wirklichsten Sinn des Wortes. Die Schrumpfung von Zeit und Raum ist nicht eine wirklich neue Sensation, wie sie etwa von Paul Virilio in mehreren Schriften breitgewalzt wird. Die ersten Ueberseekabel wurden in den 50 er und 60 er Jahren des 19.Jahrhunderts verlegt und die erste Echtzeitdepesche wurde am 13.August 1885 zwischen den USA und Grossbritannien ausgetauscht. Ich halte es eigentlich für hoechst merkwuerdig, daß die Realzeitdiskussion, also die Verkuerzung von Zeit und Raum gegen Null erst in den letzten Jahre eingesetzt hat. Man koennte auch sagen, dass die Auswirkungen des Quellmediums Elektrizitaet dem Menschen relativ spaet zu Bewusstsein gekommen ist. Heute muessen wir von einer elektrischen Kultur zu sprechen, deren besondere Ausformung die im Titel dieser Veranstaltung erwaehnte Computerkultur ist und im weiteren auch sein wird.
Der Computer hat innerhalb des elektrischen Universums deswegen eine zentrale Bedeutung erlangt, weil mit ihm Information universell behandelt und bearbeitet werden kann. Die Formeln Synthese und Synergie sind dem Medium Computer im besonderen Masse eigen. Abgesehen von seinem in der Zwischenzeit unersetzlichen Einsatz in Forschung, Technik, Oekonomie, terrestrischer und kosmischer Erfassung und seinen unabsehbaren Spielmoeglichkeiten erweist er sich als potentielle kulturbildende Kraft. Mit ihm wird die Vision des Universalismus wieder eine ernstzunehmende und auch effektiv wirksame Denkform. Seine Anwendungsmoeglichkeiten erweisen sich nicht nur als universell, sie erlauben ueber das Netz globale Information und globale Kommunikation.
Information ist letztendlich alles, was digital verarbeitet werden kann. Jegliche Form der Nachricht, akustische Uebertragungen, Sprache und Musik, stehendes und bewegtes Bild, geschriebener Text, mathematische Groessen, Boersenkurs und Geldtransfer, Umweltdaten in Form von Messdaten veraenderlicher physikalischer Groessen werden mit demselben Verfahren und ueber dieselben Netze verarbeitet, gespeichert und übertragen.
Die binaere Maschinensprache des Computers ist universell, weil sie eben imstande ist, jegliche Form von Daten zu bearbeiten, zu verrechnen, zu kombinieren, zu transformieren und zu transferieren. Sie ist ein universeller Ansatz, um der Komplexitaet und Vielfalt der Erscheinungen gerecht zu werden. Selbstverstaendlich ist diese Reduktion auf zwei grundlegende Zustaende von 0 und 1 in gewisser Hinsicht eine Verallgemeinerung, eine Abstraktion. Die unabsehbaren Transformations- und Variationsmoeglichkeiten des Mediums stehen oft einer muehseligen Alltagspraxis gegenueber, die mit Kompatibilitaets- und Kommunikationsproblemen zu kaempfen hat.

Es ist faszinierend, zu erkennen, daß die digitale Denkweise und damit auch die digitale Maschine ihre Vorlaeufer sowohl in der europaeischen und wie auch asiatischen Denktradition hat. Die binaere Schreibweise wurde erstmals vom universellen Denker Gottfried Wilhelm Leibniz entworfen und er selbst wiederum ist vom chinesischen Orakel- und Weisheitsbuch I Ging inspiriert worden. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf den Briefwechsel von Leibniz mit dem Jesuitenpater und Chinamissionar Bouvet.
Im I Ging werden in einer binaeren Sprache, durch die geschlossene und die unterbrochene Linie, 64 Seins- und Wandlungszustaende in jeweils 6 Unterteilungen vorgefuehrt. Das I Ging ist wohl beispielhaft zu nennen für eine kybernetisch und interaktiv verwandlungsfaehige Weltvorstellung.
Einen aehnlich vergleichbaren kombinatorischen Versuch hat im 12. Jahrhundert der spanische Mystiker Ramon Lull mit seiner Ars Magna unternommen. Leibniz hat dann darueber auch in seiner Promotionsschrift Dissertatio de Arte Combinatoria gearbeitet . Nur Leibniz geht hier weiter als Lull und sein Zeitgenosse Athanasius Kircher, der seine Ars magna Sciendi erst 3 Jahr nach Leibniz veroeffentlicht. Leibniz beabsichtigte in seiner neugefassten Kombinationskunst mit einer universellen Sprache saemtliche Wissenschaften zu vereinigen und methodisch zusammen zu fuehren.
Das Wort computus selbst ist dem mittelalterlichen Sprachgebrauch entnommen. Damals wurde damit das Lehrbuch bezeichnet, in dem die Verfahren zur astronomisch- kalendarischen Ermittlung des beweglichen Ostertermins aufgezeichnet wurden. Es ging also um das Rechnen mit Variablen. Sollten Sie in der naechsten Zeit in den Prunksaal der Nationalbibliothek kommen, koennen Sie eine derartig komputistisch-astronomische handgeschriebene Enzyklopaedie aus dem 9.Jahrhundert in der ersten rechten Vitrine nach dem Mittelrund sehen. Uns Heutigen sollte daran zumindest wichtig die Verbindung hin zum astronomischen Denken sein, das sich schon immer als wesentlicher Hintergrund universeller Weltschau bewaehrte, beinhaltet es doch den wirklich grossen Horizont.
Interaktive Kombinationskuenste und Vernetzungsideen, also universelle Denkansaetze finden wir zunehmend bei zeitgenoessischen Kuenstlern, die den Computer und die elektrischen Medien als Mittel kuenstlerischen Ausdrucks nutzen. Bei jenen, die in ihm eher die gesellschaftspolitischen Wirkungen erkennen, sollte man immer nachsehen, ob da nicht auch unterschwellig Allmachtsphantasien im Spiel sind, denen jedoch eine merkwuerdige Sprachlosigkeit und Ohnmacht gegenuebersteht.

Die Universalitaet der elektrischen Maschine erlaubt es uns nicht nur in bis dato unsichtbare Bereiche vorzudringen, mittels des Computers koennen und werden kuenstliche, virtuelle Welten hergestellt.
Die Verwirklichung der virtuellen Phantasie hat eine voellig neue Aera des elektronischen Zeitalters eingeleitet. Charles Baudelaire hat 1860 in seinem Text ueber Thomas de Quincey und der damit verbundenen Verherrlichung der aus der Natur gewonnenen Rauschdrogen von >Kuenstlichen Paradiesen< gesprochen. Baudelaire war wohl einer der ersten eines von uns gut ueberschaubaren Zeitraumes, der die suggestive Macht des Traumes, mit welchen Mitteln dieser auch immer erzeugt wird, erkannt hat. Seine Lebenszeit endet etwa da, wo erstmals erste Versuche unternommen wurden, die Elektrizitaet nicht als Wunder zu bestaunen sondern sie effektiv zu nutzen. Die Chronik der Elektrizitaet des Kataloges der exemplarischen Ausstellung Electra 1983 im Musée d´ Art Moderne de la Ville de Paris reicht bis ins Jahr 1864 zurueck zur Maxwellschen Theorie des elektromagnetischen Feldes, zu dem auch das Licht zaehlt, und den Hertzschen Erkenntnissen, die so wesentlich für die Erfindung des Radios waren. Betrachtet man aus heutiger Sicht, also vom Ende des 20. Jahrhunderts her, die Ergebnisse und die Hervorbringungen der Avantgarde der Moderne, erscheinen sie im kathodischen Licht der elektronischen Medien und deren realen und auf weiteres denkbaren Dimensionen seltsam muede und veraltet, als Entwuerfe, als blosse Gedanken-Skizzen kuenftiger Ereignisse. Das elektronische Gebaeude beginnt sich nun in seiner Fuelle zu zeigen.
Die virtuelle Vorstellung war jedoch immer schon ein wesentlicher Bestandteil der europaeischen Kultur und sie hat sich auch in grossartigen Kunstwerken der bildenden Kunst und der Literatur geoffenbart, sie hat immer wieder versucht die Aura des Unsagbaren einzufangen. Inbesondere der Manierismus ist voll von virtuellen Grenzvorstellungen. Die virtuale Vorstellung war sowohl durch Religion wie auch durch das Beduerfnis nach Erkenntnis angetrieben.Vor allem durch die virtuelle Vorstellung wurden und werden neue Gebietsschoepfungen vorgenommen.
Nehmen wir den Gedanken des Traums auf. Der Traum ist eine besondere virtuelle Realitaet. Die Faehigkeit zu traeumen und der Traum, die Illusion, die Imagination ist, bei all den innewohnenden Gefahren, eine zutiefst menschliche Qualitaet. Die Metamorphetik, die operative Verwandlungs- und Verknuepfungsfaehigkeit des Mediums Computer wird es uns eines Tages ermoeglichen, Kunstwerke zu erschaffen, die unserem psychischen Leben, unserem Seelenleben mit seinen Manifestationen und Visualisationen sehr nahe kommen werden. Mit dem elektronischen Medium wurde uns ein dynamischer , von uns lenkbarer Reflektor in die Hand gegeben. Es mag sein, das wir damit und im Umgang damit mehr ueber uns erfahren, als uns das bislang moeglich war.
Ich erinnere Sie an >Alice im Wunderland<. Alice gelangt im Verlauf der Story in seltsame Welten. Kaninchen tragen Taschenuhren mit sich. Tiere reden im Wunderland und treten mit Alice in Dialog, für eine Fuenfuhrteerunde steht die Zeit still.
Je nachdem, aus welchem Flaeschen Alice trinkt, von welcher Seite des Pilzes sie abbeisst, je nachdem waechst sie oder verkleinert sie sich, und dies in bedrohlicher Geschwindigkeit. Die artifizielle Veraenderung der Groesse kennen wir bereits von Jonathan Swift. Nur ist es so, daß Gulliver in seinen Reisen seine Groesse beibehaelt, und sich bloss die Dimension der Reiseziele verwandelt. Hier zeichnet sich bereits eine Aufloesung der naturalistischen Raumvorstellungen zugunsten virtueller Vorstellungen ab.
Der koenigliche Hof des Wunderlandes ist eigentlich ein aufgefaechertes Kartenspiel. Im abschliessenden Prozess muessen die Schoeffen drei verschiedene Datumsangaben aufschreiben, die sie dann eifrig auf ihren Tafeln zusammenzaehlen, um sie in Pfund und Zentner umzurechnen.
Man kann das als absurd ansehen. Doch vielleicht verbirgt sich darin eine tiefere Ahnung des Mathematikers Charles Lutwidge Dodgson, der Ihnen wahrscheinlich als Lewis Caroll bekannter ist, ueber die Relativitaet von Zeit, Materie und Raum. Vielleicht lag die Absicht des Autors gar nicht in der Verbreitung von Non-sense. Vielleicht wollte er gerade mittels des Non-sense auf etwas hinweisen, dass wir heute mit outer or wider sense, bzw. expanded consciousness bezeichnen.
>Alice in Wonderland< taucht nicht von ungefaehr im Diskurs um Computerkunst auf. Der Text erschien erstmals 1865. Der Beginn des Zeitalters der Elektrizitaet faellt zusammen mit zwei exemplarischen Veroeffentlichungen virtueller Phantasie.
Die fuer das 20. Jahrhundert aeusserst bedeutungsvolle und spektakulaere Kunstrichtung des Sur-Realismus ist voll von virtuellen Vorstellungen und Phantasien, die in abgewandelter Form nun im elektronischen Kunstraum und im Cyber-Space ihre Entsprechung finden.
Betrachtet man den Computer als kuenstlerisches, kulturelles Medium, kommt man mit tradierten Auffassungen nicht besonders weit. Mehr erreicht man mit Traumvorstellungen, spielerischen Ueberlegungen und spielerischer Sehweise von Aktivitaeten. Das Medium Computer entfernt uns aus der Wirklichkeit und versetzt uns in eine Welt elektronischer und virtueller Artefakte, die auf streng formal logischen Grundsaetzen aufgebaut werden.

Grosse Bedeutung hat der Computer in der Unterhaltungs-, besser gesagt in der Spielindustrie erlangt. Computerspiele stellen einen nicht zu unterschaetzenden wirtschaftlichen Faktor dar und kommen einem latent vorhandenen menschlichen Beduerfnis entgegen.
Es waere interessant, einmal ueber den Spielbegriff des 20. Jahrhunderts , dem durchaus auch die virtuelle Vorstellung zuzurechnen ist, nachzusinnen. Das Spiel spielt bei durchaus ernstzunehmenden Wissenschafter wie etwa John von Neumann mit seiner mathematischen Theorie des Spiels, bei Manfred Eigens Spiel der Evolution und in der Gottesvorstellung des Wissenschaftspublizisten Heinz Pagels eine nicht unwesentliche Rolle.
Es waere hier noch anzumerken, daß so manche Ausstellung elektronischer Kunst an elektronische Spielhallen erinnert.
Der Platz des Computers ist in Wahrheit ja auch nicht die Ausstellungshalle bzw. das Museum. Richtig gesehen werden sollte das Medium in der Verbindung von Terminal am beliebigen Ort, eben etwa des Homcomputers mit dem Netz. Der Computer wird auch nur solange in Ausstellungen sinnvoll eingesetzt sein, bis die Anwender begreifen, dass sie von ihrem Wohnplatz in das elektronische Universum des Netzes eintauchen koennen. Er wird immer dann sinnvoll sein, wenn es darum geht, im oeffentlichen Raum neue Technologien zu praesentieren, neue Anwendungsmoeglichkeiten zu demonstrieren.
Glenn Gould hat in Zusammenhang mit dem Medium Tonkassette gueltig davon gesprochen, dass sein Konzertsaal das Wohnzimmer des Konsumenten waere. Er hat dann auch im Verlaufe seiner Karriere die Konzertsaele gemieden.
Im Fall des Computers kommt hinzu, dass dieses Medium interaktiv ist und damit dem Benutzer Freiraeume individueller Gestaltung ermoeglicht.
Juergen Claus hat vor Jahren für diesen medialen Verbund die Bezeichnung >Elektronisches Bauhaus< gewaehlt und damit eine zukuenftige Perspektive angedeutet. In der taeglichen Praxis muessen wir jedoch feststellen, daß das elektronische Bauhaus für den Anwender nach wie vor eine Baustelle, wenn auch eine von gigantischem Ausmass, ist.
Synergetische Formen des Datenverbands sind laengst Realitaet in der Weltraumfahrt, in den weltweit uebergreifenden Informationsnetzwerken. Sie wurden unter anderem drastisch im Kuweitkrieg vor Augen gefuehrt, in diesem ersten mittels Computerleittechnologie vernetzten Krieg, der groteskerweise auch sauberer Videokrieg genannt wurde. Sauber allerdings nur für die Angreifer und nicht fuer die Betroffenen.
Es gilt nun die Frage zu stellen, wie weit das Netz sinnvoll im zivilen und privaten Bereich nuetzlich und unterhaltend eingesetzt werden kann.

Die synergetischen Moeglichkeiten des Computers liegen nicht nur in der unterschiedlichen Datenkombination, sie entfalten sich erst so richtig im Netz, im globalen Datenverband. Im Netz erweist sich der Computer als dezentrales Medium, das sowohl Sender wie auch Empfaengerfunktion hat. Im Gegensatz zum Fernsehen und zum Rundfunk ist das Datennetz interaktiv, wie das Telefon und der Amateurfunk. Heute kann auch der nichtinstitutionalisierte Anwender weltweit Daten kommunzieren. Er kann dies in sehr pragmatischer Weise tun. Er kann jedoch ebenso als Flaneur im elektronischen Netz agieren und sich mit einer spielerischen Identitaet ausstatten, die ihm vielleicht zu Mitteilungen und zu Images verleitet, die er sich im realen Umgang nicht gestatten wuerde.
Das Netz muss jedoch mit realistischen Augen betrachtet werden. Die kuenstlerische Vision schiesst hier oft über die bestehende Wirklichkeit hinaus.
Frankreich weist mit dem Minitel Netz europaweit die hoechste Benutzerdichte auf. Etwa 6 Millionen Teilnehmer rufen vor allem Dienstleistungen auf, also das elektronische Telefonbuch, Bankdienste. 8% davon laden sich News, Telespiele und benutzen die elektronischen Briefkaesten. Nur 0,7 % nehmen die Unterrichtsdienste in Anspruch. Auf Grund dieser Zahlen fordert Gérard Raulet berechtigterweise eine Relativierung jener Vorstellungen, die sich vom Einsatz des Neuen Mediums eine Revolution von Kultur und Bildung durch elektronische Information erhofft haben. Die letztgenannte Zahl duerfte auch ein realistischer Anhaltspunkt für Prognosen über die Nutzung von kuenstlerischen Angeboten sein. Euphorie ist also keinesfalls angebracht. Andererseits werden weltweit astronomische Umsatzziffern im Multimediabereich erwartet.
In diesem Zusammenhang moechte ich feststellen, dass eine radikale Ankuendigungspolitik neuer Kunstrichtungen, neuer Medien und aller moeglichen sozialen und nicht sozialen Utopien auf die Dauer nichts bringt, da die Versprechungen und daran geknuepften Vorstellungen selten in der Form eingeloest werden, in der sie urspruenglich gedacht waren. Entscheidend ist die aktive Arbeit daran.
Es ist keinesfalls so, dass ein Medium das andere abloest. Das Buch, daß nur für kurze Zeit im 19.Jahrhundert eine Monopolstellung eingenommen hat, steht heute gleichwertig neben dem Medium Fernsehen, Film, Rundfunk, Bildplatte, Diskette, Zeitung etc. und wir hoeren auch nicht auf, ein gewohntes Medium zu benutzen, wenn wir uns einem neuen zuwenden. Es ist eine Frage der Einteilung unseres Zeitbudgets und letztendlich unsere individuelle Entscheidung welchen Medien und welche Informationen wir tatsaechlich nutzen. Alles zu erfahren ist sowieso ein Ding der Unmoeglichkeit und eigentlich auch gar nicht wuenschenswert.

Die Frage der verfuegbaren Zeit und deren effektive Nutzung ist letztendlich entscheidend. Wesentlich ist die Struktur und die Qualitaet der Information, die wir erlangen.
Warum sollten wir eigentlich noch langatmige Feuilletons lesen und der romantischen Innerlichkeit des buergerlichen 19.Jahrhunderts nachtrauern, laeuft doch unsere Alltagskultur bereits nach voellig anderen Mustern ab.


·^·