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Ding


Das Wirkliche ist die Unabhängigkeit, die ein Ding in bezug auf die Kenntnis bewahrt, die ich von ihm habe; das Ding ist mit Eigenschaften und Veränderungen begabt, von denen keine Erkenntnis, und sei sie noch so umfassend und eindringlich, sich vollständig an dessen Stelle setzen kann. Paul Valéry.

Nicht nur Götter und Geister oder die Natur als solche folgen verschwiegenen oder offenen Mythen; auch die Gegenstände, die künstlich hervorgebrachten Dinge, zum Beispiel die Kunstwerke, sind nichts anderes als Symbole und Vokabeln des Handelns, die in die Sprache eingebaut werden, mit der wir die Ursachen ihrer spezifischen Eigenschaften zusammenfassen.
Das Ding-an-sich ist als letzte Konsequenz der sogenannten Dingwelt formlos und hat keine Eigenschaften mehr; es ist nicht einmal die verwandelte Energie, die jedes greifbare Ding verlangt. Es ist rundweg nur das Ding-an-sich; nichts. Dingsda, ein unbekannter Gegenstand.
Obwohl dieses Dingsda, das Ding-an-sich, nichts ist, kann man mit ihm wie mit allen Dingen spielen, es eben zu Gedanken, einem Gedankending machen, das kein Scheinbegriff mehr ist, denn das Gedankending gibt es ja oder ?
Oder sind alle Dinge an die Sprache gebunden, also nur Gedankendinge ?
Ohne Gedanken gibt es keine Dinge, weder banale, noch künstliche, noch künstlerische. An die Phantasie - eine allzu menschliche Eigenschaft - sind wir gebunden und damit an die Dingwelt und die damit verbundene Eigenschaftswelt der Dinge.
Wir lächeln über das Kind, mit dem wir eine Reise in die Berge gemacht haben und wir die Berge, den Himmel, die Almen bewundert haben, wenn es uns fragt: Ja - aber wo aber ist denn die Reise ?
Wir oder die Philosophen behaupten doch auch, daß es das Ding-an-sich gäbe ? Das Ding-an-sich, das Apfel-Ding, das Himmel-Ding, das Höllen-Ding, das Dingsda-Ding, das Ding-an-sich-Dingsda-Ding, das Kunst-Ding. Wie heißt das Dingsda ? Kunst oder ? Auf meinem Schreibtisch stehen Bücher, die Schreibmaschine, Utensilien, Gläser mit verschiedenen Tinten, eine Löschwalze, eine Blechdose mit dem Klebstoff Cocciana, ein Flaschenöffner, eine Glaskugel zum Beschweren, Tonbandkassetten, ein Spielzeugautobus aus Blech, ein Operngucker, Notizbücher, ein Schraubenzieher, eine Landkarte, ein Brieföffner in Form einer Eidechse mit der Aufschrift Maria Zell, Papiertaschentücher, eine kleine Schachtel mit Büroklammern mit der Aufschrift: punti metallici originali - Agrafes d`Origine - Genuine staples for stapling - Original Klammern; Schreibmaschinenpapier, Briefkuverts, mehrere Füllfedern, unzählige Dinge, Dinge, ein Ding nach dem anderen, ich bin guter Dinge, bevor ich mir in meinem Kopf die Dingelchen dingfest gemacht habe.
Ich nehme ein Buch aus dem Regal:
Gertrude Stein, tender buttons - object, food, rooms, objects
...within, within the cut and slander joint alone, with sudden equals and no more than three, two in the centre make two one side. If the elbow is long and it is filled so then the best example is all together.
The kind of show is made by squeezing...
Wie Kinder über ein einfaches Vokabular die Sprache und die Welt der Worte kennenlernen, fordert der komplizierte Zustand unserer Zeit und meiner Welt ein Vokabularium, ein Alphabet des Sehens und Deutens und Empfindens, des Wahrnehmens von Dingen, einfachen Dingen, die Erfahrung einer Dingwelt, eine künstlichen Welt.
Die Schreibmaschine selbst ist ein wunderbares Ding, ein Wunderding. Es ist eine alte Kofferschreibmaschine Naumann & Seidl, Ideal, Baujahr 1938. Sie erfüllt meine Wünsche. Ich spiele mit ihr, liebe sie wie die draußen ihren Alfa Romeo, ihren Lancia und ihre Frau oder Geliebte.
An den Wänden hängen vier Bilder, eine Aufnahme zweier älteren Damen beim Pool-Billard von Abigail Heyman mit dem Titel: pool players, ein Ölbild meiner ersten Frau, ein Ölbild meiner zweiten Frau, eine Photographie meines zweiten Sohnes.
Daneben vier von mir gefertigte Dinge. Ein geflochtener Zopf aus Hanf, wie ihn die Installateure verwenden. Darunter ein von mir am Meer gefundenes abgeschliffenes Stück Holz, ein aufgebauschter Teil Hanf, der einen mit gebrannten Löchern verstümmelten Puppenarm bedeckt, eine Kugelkopfbeobachtungsmaschine, bestehend aus einer Apfelschälmaschine, einem Kugelkopf, eine Linse und einer Elektroinstallation mit einem roten Lämpchen.
Diese drei Dinge sind von mir erfundene Privatsymbole, Gegenstände, Dinge, Alltagsmythen ohne weitere Bedeutung.
Worte, Begriffe, Gedankendinge und tatsächliche Dinge ergreifen von mir über längere Zeit Besitz und begeben sich in mich hinein, als gehörten sie mir und nur mir allein. Irgendwann taucht dann in mir der Verdacht auf und ich empfinde fast ein Gefühl von Schuld, als hätte ich den Gebrauch von Sprache oder Mythen veruntreut. Etwas Altes, Verbrauchtes läßt sich nicht erneuern, nicht verändern, man muß etwas anderes an seine Stelle setzen. Daß etwas in Mode ist - und wenn es nur meine ist - erzeugt ein unangenehmes Gefühl von Betrug. Mythen, Symbole, Dinge. Gedankendinge. Alltag. Alltagsmythen. Sprache. Kunst.
Viele Worte sind bei mir in Mode, eine Zeitlang. Die Sprache, meine stellt sich selbst Fallen. Sie fällt, weil sie sich selbst verfolgt. Das Stück Holz, abgeschliffen von Ebbe und Flut durch die Steine, den Sand am Meer, ein runder Knüppel, das Symbol von Männlichkeit und Stärke. Die gebrannte Hand, das Stigma von Verletzungen, die uns die Welt bereits in der Kindheit zufügt, Hanf, das Symbol von Haar, die Frau, die Mutter, die Geliebte, die Hexe.
Mythologien als Konsequenz der Symbole alltäglicher Art.
Neben dem Fenster ist mit Reissnägeln ein Brief meines Freundes Gerd Rothmann befestigt: Er ist Silberschmied.
Lieber H. ich denke jeden Tag, immer, Tag und Nacht, an unsere Arbeit in Silber für Deinen Mund. Es ist nicht ganz einfach. Wir müssen noch viel Wein miteinander trinken und genügend Geduld haben, dann, irgendwann, ist es da..dann brauche ich das Ding in Silber nur zu machen, es wird Deine Sprache und Dein Gesicht verändern. Es ist fünfzehn Jahre her.
Es ist die Sprache, die uns alle Dinge gibt.
Black-box, das unerklärliche Ding, ist der Zusammenhang, die Verbindung zwischen Eigenschaften und dem Körper, die Verbindung zwischen den Adjektiven, die hinter den Dingen stehen, und den Subjekten, die wir wahrnehmen können. Es läßt sich nur darüber sprechen, was nicht bedeutet, daß wir die Dinge begreifen.
The box with the sound of its own making.
Ein Kästchen, welches das Geräusch seiner Herstellung wiedergibt. Morris hat die Sprache eines Dinges gefunden. Mehr wollte er nicht. Das Geräusch der Erzeugung ist die Eigenschaft des Kästchens.
Kunst.
So ist es mit den Dingen. Sie entsprechen immer einer black box, sind eine.
Das Ding-an-sich ist ein Ding-ausser-sich, das sich vom Ding-an-sich, also jenem Ding, das alles zeigt, dem Körper, der Form, dem Äusseren und seinen Eigenschaften unterscheidet.
The-box-with-the-sound-of-its-own-making ist das einzige mir bekannte, klassische Ding-an-sich. Vom Nutzen her ist es außer sich, eben ein Ding-ausser-sich, das sich und nur sich selbst demonstriert und bedeutet.
Kunst ist dinglich.
Sie ist sinnlich. Dinge. Gegenstände. Gedankendinge.
Ihr Bestreben, dieses und jenes zu erfinden, dient der Beruhigung des schlechten Gewissens der Zivilisation.
Jeder lügt, wenn er hinter seiner Arbeit ein Dahinter behauptet. Ein Dahinter zu haben, gehört nicht unbedingt zur Kunst, sondern ist ein Spiel wie ein Rebus. Kunst, die etwas will, das heißt, nicht schon selbst die Sache wert ist, ist eben keine. Ein Unding.


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