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Gesetze


Gesetze sind nur bekannt, wenn man sie studiert, sie sind Geheimnisse der Gesetzgeber, die man Politiker nennt. Diese beherrschen die Öffentlichkeit und damit das Volk, das sie wählen soll. Die Exekutive sorgt dafür, daß Gesetze und Regeln genau beachtet und eingehalten werden. Aber es ist etwas äußerst Quälendes, nach Gesetzen zu leben, sie zu achten und zu beachten und von ihnen beherrscht zu werden, Gesetze eben, die man nicht kennt. Oder die Gesetze zu seinem Vorteil auszunützen. Das gelingt nur jenen, welche die Gesetze kennen. Politiker, Juristen, Steuerberater, Rechtsvertreter. Ich denke dabei an die verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten. Der Vorteil der Auslegung ist nur dem gegeben, der über bestimmte Mittel und Möglichkeiten verfügt.
Das Gesetz ist die Beredsamkeit der Staatsgewalt.
Die Gesetze und Regeln sind alt und immer wieder - so wird gesagt - verbessert worden, in allen Zeiten der Monarchien, der Diktaturen, der Demokratien. An Auslegungen von Gesetzen hat man immer schon gearbeitet. Einige sind aber aus der Diktatur und der Monarchie übrig geblieben. Auch sie müssen einge- halten werden. Die möglichen Freiheiten bei der Ausnützung von Gesetzen gibt es zwar, sind aber für das Volk mehr oder weniger aus seiner Unwissenheit nicht vorhanden. Politiker sehen häufig keinen Grund sich bei der Deutung von Gesetzen von ihren persönlichen Interessen abhalten zu lassen oder gar zu Gunsten des Volkes etwas zu unternehmen. Oder doch ?
Oder ist jedes Gesetz nur ein Resultat aus dem Zusammenprall mehrerer Machtansprüche ?
Die Politik und die Politiker stehen gleichsam außerhalb der Gesetze und Regeln, da diese in ihren Händen liegen.
Dahinter steht natürlich Weisheit und Charakter - wer zweifelt die Weisheit der Gesetze und den Charakter der Politiker schon an ? - aber eben auch eine Qual für das Volk, wo es von ihnen doch viel zu wenig weiß. Kaum etwas. Vor allem nicht von den Gesetzen, die ihm einen Vorteil bringen könnten.
Gesetze erzeugen keine Gerechtigkeit. Gesetze sind nichts als die Erklärung und Anwendung dessen, was man für gerecht hält. Das Volk wird auf Gesetze verwiesen, wenn sie gebrochen werden, sonst nicht.
Es ist eine Tradition, daß es Gesetze gibt und den Politikern oder Mächtigen als Geheimnis anvertraut werden.
Das Gesetz ist nur eine Denkschrift.
Mehr als eine glaubwürdige Überlieferung ist es nicht und kann es nicht sein, da der Charakter der Gesetze auch ihre Geheimhaltung verlangt, vor allem, weil die übelsten Gesetze übelster Zeiten übernommen und kaum geändert worden sind.
Gesetze sind wie Spinnweben, da die kleinen Fliegen und Mücken in ihnen kleben bleiben, die Wespen und Hornissen sich aber von ihnen lösen können.
Wenn allerdings das Volk seit alten Zeiten die Handlungen der Politiker aufmerksam verfolgt hätte, Aufzeichnungen der Vorfahren darüber besäße und daraus gewisse Richtlinien zu erkennen geglaubt hätte und wenn das Volk diese sorgfältigen und gesiebten Schlußfolgerungen für Gegenwart und Zukunft ein wenig einzurichten suchen würde, so wäre alles zwar klar, doch aber unsicher und vielleicht nur ein Spiel der Phantasie; denn vielleicht bestünden diese Gesetze, welche das Volk so begriffen hätte, überhaupt nicht, sondern nur Regeln kraft Verantwortung und Erfahrung.
Das Gesetz garantiert zwar nicht das Mittagessen, aber die Mittagspause.
Es gibt eine kleine Minderheit im Volk, die nachzuweisen sucht, daß, wenn ein Gesetz besteht, es nur Politikern gehorcht und daraus schließt, daß das, was die Politik tut, das Gesetz ist. Diese Minderheit sieht nur Willkürakte der Politik, da sie dem Volk den kommenden Ereignissen gegenüber eine falsche, trügerische, zum Leichtsinn führende Sicherheit vorgaukelt. Diese Behauptung ist nicht zu leugnen.
Die bei weitem überwiegende Mehrheit des Volkes sieht aber die Ursachen der Probleme, die im Staat vorkommen, darin, daß die Bemühungen der Politiker bei weitem nicht ausreichen, daß sie also noch viel mehr in die Gesetzgebung und Auslegung und Einhaltung und Durchführung investieren müßten, daß allerdings auch das Material, so riesenhaft es scheint, noch viel zu klein ist und daß noch Jahrhunderte vergehen müssen, ehe es genügen würde, was Politiker tun.
Gesetze sind wie Arzneien, sie sind gewöhnlich nur Heilung einer Krankheit durch eine geringere oder vorübergehende Krankheit. Das Volk meint vielleicht, daß irgendwann eine Zeit kommt, wo Politiker gewissermaßen aufatmend einen Schlußpunkt setzen, alles klar geworden ist, die Gesetze endlich dem Volk gehören.
Gesetz ist die Objektivität des Geistes und der Wille in seiner Wahrheit.
Man kann es eigentlich nur in einer Art Widerspruch ausdrücken: Eine Partei, die neben dem Glauben an die Gesetze auch den Adel (die Politik) verwerfen würde, hätte sofort das ganze Volk hinter sich, aber eine solche Partei kann nicht entstehen, weil den Adel (die Politik) niemand zu verwerfen wagt. Auf dieses Messers Schneide leben wir. Ein Schriftsteller hat das einmal so zusammengefaßt: Das einzige, sichtbare, zweifellose Gesetz, das uns auferlegt ist, ist der Adel (die Politik) und um dieses einzige Gesetz sollten wir uns selbst bringen wollen ? Franz Kafka
Oder:
Aus einem elenden Zustand sich zu erheben, muß selbst mit gewollter Energie leicht sein. Ich reiße mich vom Sessel los, umlaufe den Tisch, mache Kopf und Hals beweglich, bringe Feuer in die Augen, spanne die Muskeln um sie herum. Arbeite jedem Gefühl entgegen, begrüße A. stürmisch, wenn er jetzt kommen wird, dulde B. freundlich in meinem Zimmer, ziehe bei C. alles, was gesagt wird, trotz Schmerzen und Mühe mit langen Zügen in mich hinein.
Aber selbst wenn es so geht, wird mit jedem Fehler, der nicht ausbleiben kann, das Ganze, das Leichte und das Schwere, stocken, und ich werde mich im Kreise zurückdrehen müssen.
Deshalb bleibt doch der beste Rat, alles hinzunehmen, als schwere Masse sich verhalten und fühle man sich selbst fortgeblasen, keinen unnötigen Schritt sich ablocken zu lassen, den anderen mit Tierblick anschauen, keine Reue zu fühlen, kurz, das, was vom Leben als Gespenst noch übrig ist, mit eigener Hand niederdrücken, d.h. die letzte grabmäßige Ruhe noch vermehren und nichts außer ihr mehr bestehen zu lassen.
Eine charakteristische Bewegung eines solchen Zustandes ist das Hinfahren des kleinen Fingers über die Augenbrauen.
Franz Kafka

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