Loews Statuten - Demokratie im Randomverfahren


Juden im Spannungsfeld von Tradition und Demokratie, von Aufklärung und Vernichtung

© Franz Krahberger März 2006

Wer sich allein mit dem Antisemitismus auseinandersetzt, weiss nichts über Juden, sondern erfährt bloss all das negative, das ihnen nachgesagt wird und angetan worden ist. Wer sich nur mit Holocaust beschäftigt, erfährt allein das grosse Leid, das daraus erwachsen ist.

Man muss nicht hebräisch können, um sich mit der Religion der Juden, die dem Christentum ohnehin nahesteht, mit ihrer Lebenauffassung und ihren Regeln zu befassen. Fast jede europäische Familie besitzt eine Bibel, in der die heiligen Texte des Alten wie Des Neuen Bundes zusammengefasst sind.
Eines der ersten Bücher meines Lebens, das ich gelesen habe, war eine illustrierte Kurzfassung des Alten Testamentes.

Das wichtigste heilige Buch der Juden, die Thora, umfasst die fünf Bücher Moses Genesis, Exodus, Levitikus, Numeri und Deuteronomium, die ohnehin jeder, der will, lesen kann. Zweifellos ist das Christentum eine aus dem Judentum hervor gegangene Religion, allerdings bei weitgehender religiöser Enteignung der religionsstiftenden Juden durch Paulus. So wurde die Religion eines kleinen Volks, dass sich von Gott auserwählt fühlte, zu einer Weltreligion, der heute die unterschiedlichsten Völker und Ethnien angehören.

Beginnend mit der Emanzipation und ihrer Gleichstellung wurden die wichtigen Schriften der Juden in andere Sprachen übertragen und viele Autoren jüdischer Herkunft haben ihre Literatur in anderen Sprachen verfasst.

Die inhaltliche Annäherung bringt eine bittere Erkenntnis mit sich, wird doch der ohnehin unverständliche Antisemitismus und seine schreckliche Folge, der Holocaust, noch unfassbarer.

Denn weder die Religionsausübung nach dem Alten Testament noch die Geschichte der jüdischen Diaspora ergeben vor allem aus der Sicht der Menschenrechte einen Anlass für die dauernden Verfolgungen und dem, was den Juden schliesslich im 20. Jahrhundert geschehen ist. In der traditionellen Verfolgung der Juden ist schon lange offenbar geworden, wie gefährlich religiöser Fundamentalismus sein kann. Nationaler Chauvinismus und vor allem Rassismus ging an die Wurzeln in seinem unverzeihlichen Bemühen, das Judentum völlig auszurotten.

Der gegenwärtige Revisonismus wie aber auch der vorlaufende Nationalsozialismus wirft den Juden vor allem ihre Beziehungen zur Aufklärung, zu sozialen Revolutionen und andererseits ihre Fähigkeiten in Kapitalgeschäften vor.

Tatsächlich beginnt die Emanzipation der kontinental europäischen Juden mit der am 26. August 1789 verabschiedeten Erklärung der Menschenrechte in Paris. Nachdem den Protestanten die vollen Bürgerrechte zuerkannt worden sind, verhandelte die Nationalversammlung im folgenden Dezember über die Rechte der Juden.

Der Girondist Clermont Tonnere formulierte die zukunftsweisende Regelung: Den Juden sollte als Volk alles versagt, aber als Einzelpersonen alles gewährt sein.
Dies bedeutete langfristig gesehen die Auflösung der autonomen Gemeinden und das Aufkommen des Zionismus, des Wunsches nach einem eigenen Staat und nach Unabhängigkeit.

Zu allererst erhielten die Sephardim (die von der Iberischen Halbinsel Vertriebenen) , die sich von den nördlich der Alpen angesiedelten Ashkenase und jenen im Elsass abgrenzten, am 28.1.1790 die volle rechtliche Gleichstellung.
Nachdem sich die Macht der Revolution zu den Jakobinern verlagert hatte, wurde den Juden allgemein, ohne Ansicht ihrer inneren Fraktionierungen am 27.9.1791 die völlige rechtliche Gleichstellung gewährt.
David Sorkin hält fest, dass die revolutionären Armeen Napoleons 1796 in die Niederlande, 1796 - 1798 nach Nord- und Mittelitalien und 1797 nach Bayern und dem Westen Deutschlands weiter verhalfen. Das war also ein brüchiger Boden, auf dem nicht sicher gebaut werden konnte.

Die Definition, die Napoleon 1806 den französischen Juden abverlangte, beendete das Selbstverständnis umfassender jüdisch autonomer Kultur, verblieben ist das Recht auf die eigene Religion, während dem bürgerlichen allgemeinen Recht der Vorrang gegenüber dem religiösen Gesetz gegeben ward.
Im Sinne der Trennung von Kirche und Staat, wie sie ohnehin die weitere Entwicklung der gesamten europäischen Demokratie prägte, die aktuell wieder in Ansätzen in der Diskussion um die EU-Verfassung von christlichen Fundamentalisten und konservativen Revisionisten bzw. von Vertretern des alten europäischen Adels in Frage gestellt. Vor allem die von Habsburg geführte Paneuropa Bewegung ist damit aufgefallen.

Durch die in der französischen Revolution wohl erworbenen Rechte mussten und müssen Juden sich bis ins Heute seitens konservativer Kräfte den Vorwurf gefallen lassen, in umstürzlerischen Bewegungen federführend gewesen sein, was so nicht zutrifft. Die Affaire um den deutschen CDU Abgeordneten Hohmann in den letzten Jahren gründet sich vor allem in derlei Diffamierungsversuchen.
Die Nazi verkürzten dies auf die Formel, die Juden verbreiteten das Gift der Aufklärung und begründeten unter anderem damit deren Vernichtung.

Das bringt ihnen aber auch vor allem das Misstrauen der Katholischen Kirche ein, die den Antisemitismus des 19.Jahrhundert wesentlich schürrte. Dieser wirtschaftlich, politisch und religiös begründete Antisemitismus wurde von französischen Jesuiten, vom preussischen Hofprediger Stöcker und von dem wesentlichen Vorläufer des österreichischen politischen Katholizismus Scheicher leider wirksam vorgetragen

Vor allem die Juden sind im Kampf um die Errungenschaften der Moderne und um die allgemeine Realisation der Menschenrechte in Europa ins Räderwerk und zwischen die Mühlsteine geraten.

Tatsächlich haben weder der Kanon der Kirche, noch die nationalen Chauvinismen und Rassismen und auch nicht die Verirrungen des Kommunismus, obwohl wir vor einer Wiederkehr anderer Formen des schrecklichen Massenwahns nicht gefeit sind, das Erbe der Aufklärung und der Menschenrechte vernichten können.
Nachdem sich all diese Richtungen Inhumanität zuschulden lassen haben kommen, scheint der einzige heute für alle brauchbare Kanon, der der Menschenrechte zu sein. In gewisser Hinsicht kann man die Juden als Märtyrer der Aufklärung und der Emanzipation ansehen. Es ist ihnen keineswegs zu verargen, dass sie sich auf die Seite des menschlichen Fortschritts gestellt haben, ja zwangsläufig nur dort ihren Platz finden konnten.
Aber dass wird ihnen von unbelehrbaren Konservativen und Revisionisten eben vorgeworfen, bzw. die Rädelsführerschaft zugeschoben.

Ihre einzige Sünde in religiöser Hinsicht war das Festhalten an ihrem Glauben, allerdings gebunden an die Leugnung oder Nichtanerkennung Christi. Grund für die katholische Kirche die Juden über 700 Jahre, beginnend mit dem 12. und 13. Jahrhundert in Geiselhaft zu nehmen. Man warf sich gegenseitig Gottlosigkeit und Häresie vor.
Den grösseren wie widerstandsfähigeren Glauben, scheinen die Juden gehabt zu haben. Es gab Gemeinden, die kollektiven Selbstmord verübten, um nicht zum Christentum übertreten zu müssen.

Zweifellos ist es auch innerhalb der jüdischen Gemeinden zu Spannungen aus der Widersprüchlichkeit von Orthodoxie und Aufklärung gekommen, die jedoch den Prozess der Emanzipation nicht wirklich behindert haben.

Die rassistischen Nazis setzten dem religiösen und dem wirtschaftlich politischen Vorwurf noch ein weiteres, furchtbar abschliessendes hinzu, das zum Inferno geriet. Sie betonten die jüdische geschlechtliche Zugehörigkeit und sprachen den Juden ab, Menschen zu sein.
Der Holocaust war vor allem ein Rassenkrieg, der Missbrauch begründete sich in den biologischen Wissenschaften des 19.Jahrhunderts, die zur Legitimation der sogenannten Rassenhygiene herhalten mussten, und dies nicht nur in Deutschland.

Der Wahn von der Überlegenheit des Weissen Mannes hatte alle postkolonialen Imperien wie auch die Vereinigten Staaten von Amerika erfasst. Die letzte, unmenschliche wie wahnsinnige Konsequenz blieb jedoch den Deutschen und den Österreichern vorbehalten. Der Antisemitismus in den USA ist jedoch zweifellos gering geblieben und es ist wohl der sicherste Ort an dem Juden heute leben, denn das Schicksal Israels ist ungewiss. Der aktuelle Antisemitismus heute wird vor allem vom radikalen Islam geschürrt, und betrifft damit auch Europa.

Dem gegenüber steht ein tiefgläubiges, gemeinschaftlich orientiertes Volk, dass allen Widrigkeiten zum Trotz in seiner zweitausendjährigen Diaspora seine Identität niemals, bei allen Bedrohlichkeiten, niemals verloren hat.

Ein Volk, das trotz aller Erniedrigung und Verfolgung, auch angesichts des demoskopisch geringen Anteils, überproportional viel zur Wissenschaft, zur Kultur- und Religionsgeschichte der Menschheit beigetragen hat, aber auch in sozialen Revolutionen immer wieder hervor getreten ist..

Ich werde mir nicht anmassen, religiöse Texte zu beurteilen. Über den Talmud lässt sich einiges völlig unkompliziert von authorisierten Seiten in seriöser Fachliteratur erfahren, die über das Internet in Erfahrung gebracht werden kann.

Ich möchte mich im weiteren auf die Geschichte der österreichischen Juden, wie sie in der Donaumonarchie und weiter bis zur grossen Katastrophe gelebt haben, konzentrieren und mich dabei wesentlich auf die Arbeit des jüdischen Historikers Gerson Wolf stützen, um den grunddemokratischen Beitrag der Juden in Österreich, den sie historisch geleistet haben, zu verdeutlichen, der in gewisser Weise ident mit ihren traditionellen gesellschaftlichen Strukturen ist.

Der aufgeklärte und demokratisch revolutionär engagierte Gerson Wolf umfasst den weiten Bogen der österreichischen Geschichte bis zu den Jahren demokratischer wie auch jüdischer Emanzipation im Liberalismus. Seine letzten Schriften sind in den 80 er Jahren des 19.Jahrhunderts in Wien erschienen.

Gerson Wolf wurde am 16.7.1823 in Holleschau (heute Holesov, Tschechische Republik) geboren. Nach dem Besuch der Talmud Schule in Nikolsburg studierte er Geisteswissenschaften in Wien. Er war als Pädagoge, als Schriftsteller, Religionslehrer und herausragend als Historiker der Geschichte der Juden in Österreich und in den umliegenden ehemaligen Kronländern tätig. Wolf war ebenso engagiert in der realen Emanzipation der Juden im Zuge der Aufklärung und wurde wegen der Abfassung eines liberal - democratischen Werkes, in dem er das allgemeine Wahlrecht und die Gleichstellung der Nationalitäten einfordert , 1852 drei Wochen in Untersuchungshaft genommen worden ist.

Gerson Wolf ist besonders interessant, weil er versucht, einen deutlich sichtbaren Bogen aus der Tradition der Juden bis hin zur Aufklärung und infolge zur Emanzipation zu schlagen, aber ebenso die socialliberalen und democratischen Ideen im Auge hat.

In seinem Beitrag über die Juden zu einer ethnographischen und kulturhistorischen Beschreibung der Völker Österreich Ungarn, die 1883 in Wien und in Teschen erschienen ist, lenkt Wolf das Augenmerk auf eine Besonderheit jüdischen Lebens, die wenig bekannt ist und doch so charakteristisch ist für das Leben der jüdischen Gemeinden.

Die Juden bildeten eine allgemein verbindliche Ratsdemokratie, in der alle wesentlichen Lebensfragen der einzelnen Mitglieder, der Gemeinde wie auch die Beziehungen nach aussen zu den Behörden der gastgebende Länder geregelt wurden.

Grundsätzlich gilt für Juden seit dem babylonischen Exil die Anerkennung der Gesetze jenes Staates, in dem sich aufhalten und in denen ihre Gemeinschaften akzeptiert wurden, wenn auch immer wieder von Vertreibung und Vernichtung bedroht.

Die Zerstörung des zweiten Tempels und die endgültige Auflösung des Synhedrions, des zentralen obersten Gerichtshofs in Jerusalem und anderer zentralen Behörden führten zur Gründung unabhängiger autonomer Gemeinden in der Diaspora.
Die Antwort auf die Auflösung der zentralen Entscheidungsinstanzen war ihre Dezentralisierung und Überführung in unabhängige Gemeinwesen. Das brachte eine Verflachung bzw. überhaupt die Aufhebung der Hierarchie mit sich.
In der Diaspora und auf Wanderschaft lässt sich kein bestimmendes Zentrum bilden.

Nachdem sich das Judentum als nichts Endgültiges betrachtet, sich in stetiger Vervollkommung versteht, kam es in verschiedenen Fragen zu unterschiedlichen Meinungen. Um sich nicht in dauernden Meinungsstreit zu verheddern, kam man zum allgemein geltenden Schluss, die eine wie die andere Anschauung habe im göttlichen Wort ihren Ursprung, und das Wort Gottes, die heilige Schrift, könne verschieden ausgelegt und gedeutet werden.
Das verleiht dem Judentum einen dynamischen Charakter, der sich grundlegend vom starren Dogmatismus des Christentums unterscheidet.

Die Thora und die ihre verbundene Talmudschule bildet das geistige Zentrum jeder jüdischen Gemeinde, an welchem Ort und in welchem Land sie sich auch immer befunden hat oder befinden mag. Das zentral vermittelnde des Judentums ist die Heilige Schrift.

Im Laufe der Zeit entstanden statuarische Bestimmungen, je nach Umständen, Verhältnissen oder unterschiedlichen Dringlichkeiten. Die Auslegung der Schrift ergibt sich von Fall zu Fall, muss sich aber doch in die Tradition vorlaufender Entscheidungen, soweit sie dem Rabbiner bekannt sind, fügen.

Grundsätzlich werden nicht Glaubensfragen wie etwa im Katholizismus ins Zentrum des religiösen Kultes gerückt, sondern eben an die Verhältnisse angepasste Handlungs- und Lebensanleitungen definiert, die für das Leben des einzelnen Juden wie für das Gemeinsame verbindlich sind, und doch des Wesentliche weitertragen, ja ermöglichen.

Die grundsätzliche Anerkennung von der Existenz von Auffassungsunterschieden ist ein wesentliches Moment moderner Demokratien wie des Toleranzgebotes.
Strittige Fragen und wie Auffassungsunterschiede und die vorgeschlagenen Lösungen werden im Talmud festgehalten.

Der Talmud, wörtlich die Belehrung, ist das grundlegende Werk der jüdischen Religion, das biblische Grundsätze in ihrer Auslegung, in den Erörterungen der Schriftgelehrten wiedergibt. Der Talmud hält mündliche Ausführungen, Fragen und Antworten, Streitpunkte wie Rätsel fest und gibt ihnen verbindliche Gestalt. Der Talmud enthält zwei Werke: die Mischna aus Palästina, die kanonische Sammlung jüdischer Gesetze, und die Gemara, die Diskussionen über diese Gesetze, die in Babylonien geführt und aufgezeichnet wurden. Nach diesem Ort heißt das Werk Babylonischer Talmud (gegenüber dem lückenhaften Palästinischen oder Jerusalemer Talmud).
Der Babylonische Talmud ist das verbindliche Werk für das Studium der Heiligen Schrift, das sich durchgesetzt hat. Die erste deutschsprachige Auflage nach Lazerus Goldschmidt erschien zwischen 1929 und 1936 im Jüdischen Verlag Berlin.
wikipedia

Gerson Wolf begründet ganz in diesem Sinne die Entwicklung der Ratsdemokratie aus der Tradition der Juden bzw. aus der Lösung der Probleme, die einerseits in der autonomen Selbstverwaltung und im Umgang mit dem jeweiligen Landesherren gefunden werden mussten.

Die Rabbinen waren ursprünglich Gelehrte, sie übernahmen leitende Funktionen in den Diaspora Gemeinden. Sie übten jedoch nicht die Seelsorge aus und hatten auch nicht die richterliche Macht, Ehen zu binden oder zu lösen. Diese Funktionen begannen erst die Rabbiner des Mittelalters auszuüben. Man erwartete von ihnen Entscheidungen in religiösen Fragen in Kenntnis der Lehren und Auslegungen. Verfügte jedoch ein Rabbiner nicht über das nötige Wissen, oder urteilte in einer Angelegenheit falsch oder ungenau oder schlicht und einfach nicht zufriedenstellen , so wendete man sich an einen Privatmann innerhalb der Gemeinde, der das nötige Wissen besass oder suchte ausserhalb der Gemeinde eine korrekte Entscheidung bei einem angesehenen Rabbi zu finden und ging gar bis zur landesfürstlichen oder kaiserlichen Gerichtsbarkeit.

So kam es hin und wieder zu Widersprüchen zwischen der weltlichen Macht, dem Vorstand der Gemeinde, der Entscheidungen zu administrieren hatte und dem Rabbiner, und dem Rat Suchenden.

Obwohl die Juden im 16. Jahrhundert über eine eigene Rechtssprechung verfügten, kam es zu Anrufungen im Fall innerer Strittigkeiten der allgemeinen weltlichen und damit damals kaiserlichen Justiz, die sich für derartiges aber nicht zuständig gesehen hat.
Man erkennt daran, dass die jüdischen Gemeinden über eine weitgehende rechtliche Autonomie verfügten, und eine unabhängige Verwaltung ausüben konnten, soweit sie die kaiserlichen Gesetze und katholischen Regeln nicht berührten. Natürlich bedurften sie der Zustimmung des jeweiligen Landesfürsten und der regelmässigen Anerkennung der Landesältesten.

Um den anfallenden interpretatorischen Misständen und der damit verbundenen Rechtsunsicherheit ein Ende zu setzen, entwickelte man statuarische Bestimmungen, die die Wahl derVorstände, der Gemeinde und Landesvertreter regelten, die sowohl für einzelne Gemeinden wie auch für das ganze Land Geltung hatten. Man versuchte , zu einer einheitlichen Rechtsprechung zu kommen, zumindest eine verbindliche zu erreichen.

Da weiterhin Uneinigkeiten das Leben der Juden bestimmten, schlugen die böhmischen Kammerräte am 1567 dem Kaiser vor, den Juden die eigene Rechtssprechung zu entziehen und sie unter die Jurisdiction der kaiserlichen Kammer zu stellen.
Doch Kaiser Maximilian II entschied 1571 den autonomen Status beizubehalten und machte weiterhin die Einsetzung der von den jüdischen Gemeinden gewählten Landes-Ältesten von seiner Anerkennung abhängig.

Die staatliche Integration der Juden in Österreich und in den Kronländern blieb Kaiser Joseph II, und in weiterer Entscheidungen der Verfassungsgesetzgebung nach 1848 vorbehalten. Das entsprach durchaus den Vorgängen in Frankreich, jedoch in sehr unterschiedlicher Weise. Während in Frankreich die Aufklärung in eine allumfassende Revolution des Staates und der Stände mündete, entwickelte sich unter Joseph II. der aufgeklärte Absolutismus, nach den Rücknahmen durch Franz I. zeichneten sich unter Franz Joseph I. deutliche liberale Reformen ab, die vor allem Meinungsfreiheit und Individualrechte so wie die Pressefreiheit verfügten, die so noch heute Grundlage der österreichischen Verfassung sind.

Der aufgeklärte Absolutismus josephinischer Prägung hat den Thron der Habsburger bis 1918 erhalten, erst dann kam Ende der Kriegswirren des 1.Weltkrieges die republikanische wie soziale Revolution durch und ein moderner demokratischer Staat wurde begründet, der aber durch die Ständestaat wieder zurückgedrängt worden und von den Nazis in Folge insgesamt abgeschafft worden ist. Erst die zweite Republik ebnete den Weg in eine moderne Demokratie nachhaltig, die durchaus in der Tradition der Aufklärung steht und auch gegen die Errungenschaften der französischen Revolution nichts mehr einzuwenden hat, nichts mehr einwenden kann. Die Menschenrechte sind zu einer allgemeinen Konstituante der Menschheit und deren weiteren Entwicklung geworden.

Nach dem Erlass des Toleranzpatentes wurden für die Juden im Zuge des aufgeklärten Absolutismus österreichischer Prägung am 17.6.1791 betreffs der Behandlung galizischer Juden gleiche bürgerliche, gleiche Gewerbefreiheit und gleiche Pflichten in Aussicht gestellt. Das Toleranzpatent erschien nicht für alle Kronländer zur gleichen Zeit, war aber doch der erste grosse Impuls für die allgemeine Integration der Juden in den Staat, der erst durch die Nazis 150 Jahre später völlig zunichte gemacht werden sollte.

Mit der Integration der Juden im Zuge der Aufklärung und der liberalen allgemeinen Gesetzgebung nach 1848 wurde ebenso wie in Frankreich der Status der Autonomie der Jüdischen Gemeinden verändert.

Die Wahlordnung, die Maximilian II zur Einsetzung des Rates der Ältesten akzeptierte, ging auf ein Gutachten des Paduaer Rabbiners Meir Katzenellenbogen zurück, das offensichtlich seitens der Prager Juden dem Kaiser zur Entscheidungshilfe vorgelegt worden ist.
Der 1565 verstorbene Rabbi Katzenellenbogen bezog sich in seinem demokratischen Wahlentwurf auf eine Stelle im Deuternomium, des 5.Buches Moses, also aus dem Bestand der Thora.1-9-18

9.Da sprach ich zur selben Zeit zu euch: Ich kann euch nicht mehr allein tragen;
10. denn der HERR, euer Gott, hat euch so zahlreich werden lassen, daß ihr heute seid wie die Menge der Sterne am Himmel.
11.Der HERR, der Gott eurer Väter, mache aus euch noch vieltausendmal mehr und segne euch, wie er euch zugesagt hat!
12.Wie kann ich allein tragen eure Mühe und Last und euren Streit?
13. Schafft herbei weise, verständige und erfahrene Leute unter euren Stämmen, die will ich über euch zu Häuptern setzen.
14. Da antwortetet ihr mir und spracht: Ja, das ist eine gute Sache, die du tun willst.
15. Da nahm ich die Häupter eurer Stämme, weise und erfahrene Männer, und setzte sie über euch als Oberste über tausend, über hundert, über fünfzig und über zehn und als Amtleute für eure Stämme.
16. Und ich gebot euren Richtern zur selben Zeit und sprach: Hört eure Brüder an und richtet recht, wenn einer etwas mit seinem Bruder hat oder mit dem Fremdling, der bei ihm ist.
17. Beim Richten sollt ihr die Person nicht ansehen, sondern sollt den Kleinen hören wie den Großen und vor niemand euch scheuen; denn das Gericht ist Gottes. Wird aber euch eine Sache zu schwer sein, die laßt an mich gelangen, damit ich sie höre.
18.So gebot ich euch zu der Zeit alles, was ihr tun sollt.

Die Juden sollten also die Vertreter aus den einzelnen Stämmen von sich aus bestimmen. Und vor dem Gesetz sollte ohne Ansehen der Person, ob diese nun reich oder arm sei, im Namen Gottes gerichtet werten.

Nach Gerson Wolf gab es im Meirschen Entwurf keine Bindung der Wahlfähigkeit an den Census, auch die Stimmen der armen Gemeindemitgleider zählten. Sieht man sich die mährische Gesetzgebung durch, muss man jedoch zu einem anderen Schluss kommen, da die Gemeinden je nach Leistung und Abgaben einen oder zwei oder gar keinen Deputierten entsenden konnten. Es fragt sich nun, in welcher Form diese Auflage sich innerhalb der Gemeinden ausgewirkt hat.
Und tatsächlich sind in der Wiener Synagogen Wahlordnung Tagelöhner und Armengeldempfänger von der Wahl des Gemeindevorstandes ausgeschlossen.

Nochmals zum Modell Katzenellenbogens. Jedes Mitglied der Gemeinde, dass sich religiös oder sittlich keinen Makel zu Schulden kommen hat lassen, verfügte über das passive wie aktive Wahlrecht. Alle unbeschultenen Gemeindeangehörigen wählten die Urwähler, aus denen gingen die Wahlmänner hervor, die nach geleistetem Eid die Ältesten, die Gemeindeältesten und den Richter ernannten.
Die Wahl der Ältesten musste durch den Kaiser und durch die landesfürstlichen Behörden bestätigt werden.

Die Vorstellungen des Meir Katzenellenogen wurde nicht nur in Prag, sondern auch vom Oberrabbiner von Deutschland, Jacob aus Worms und anderen prominenten Rabbiner des mittleren Europa begrüsst und berücksichtigt.

Jede Stimme in dieser Wahlordnung zählte, ob sie nun von einem reichen oder armen Gemeindemitglied gekommen ist. Man kann also von einem allgemeinen Männerwahlrecht sprechen. Allerdings gab es gewisse Einschränkungen, die in späteren Versionen deutlich werden.
Ob dies bereits in der Prager Wahlordnung, die mit der Mährischen weitgehend ident sein dürfte, der Fall gewesen ist, lässt sich meinerseits auf Grund der vorliegenden Unterlagen nicht bestimmen.

Ctibor Rybár berichtet in seinen Denkwürdigkeiten der Stadt Prag in gleicher Weise wie Gerson Wolf über die Rechtsunsicherheiten und mangelnden Übereinstimmungen, die zwingend neue Statuten erforderlich machten.

Das Wahlrecht und auch die Wahlprozedur war ausserordentlich kompliziert, alles hing in einem gewissen Mass von der Zahlungsfähigkeit der Wähler ab, von ihren finanziellen Möglichkeiten und nicht zuletzt auch davon, wieviel Steuern sie zahlten und mit welchen Beträgen sie zu Pflichtkontributionen beitrugen.
Auch der eigentliche Wahlverlauf war sehr kompliziert. Man wählte vermittelt über eine zweihundertköpfige Wählerkörperschaft, die dann wiederum in geheimer Wahl die Gemeindeleitung wählte, die aus zwanzig Mitgliedern bestand. Es ist anzunehmen, dass sich an diesen Wahlen nur die Einwohner des Prager Ghettos beteiligten, aus technischen und auch aus anderen Gründen waren die Juden, die nicht in Prag lebten von diesen Wahlen ausgeschlossen, wenn auch der Prager Primas diese Juden ebenfalls vertrat.

Am 24.12.1578 (Sonntag den 14.Kislew 5339) beschlossen 53 Mitglieder der Prager Jüdischen Gemeinde der neuen Ordnung zu folgen. Zu diesem Zeitpunkt stand der Prager Gemeinde Rabbi Loew vor, gleichzeitig auch oberster Landesrabbiner. Loew überarbeitetete die alten Mährischen Statuten, die die gesetzliche Grundlage seines Nikolsburger Rabbinats gewesen waren, nach den aktuellen Vorstellungen und Notwendigkeiten.

Die revidierten Statuten, bestehend aus 311 Paragraphen (Shaij tekanoth) und die nachfolgenden Synodalbeschlüsse wurden nicht nur massgabend für die jüdischen Gemeinden in Böhmen und Mähren, sondern ebenso massgebend für Gemeinden in den anderen österreichischen Kronländern und wirkten über die Grenzen des Kaiserreichs hinaus.

Das revidierte Werk der 311 Paragraphen kann vorerst nur mit Gewissheit auf die mährischen Verhältnisse bezogen werden. Nachdem jedoch Rabbi Loew die Leitung der Alt Neu Synagoge in Prag übernommen hatte und die Eigenschaft des Landesrabbiners ausübte, kann man davon ausgehen, dass die revidierten Statuten sowohl für Böhmen und Mähren Gültigkeit haben und weitgehend übereinstimmen.

Die Statuten des Hohen Rabbi Loew


Die Aufzeichnungen von Gemeindestatuten waren selten, bedingt durch die Vertreibungen und Verfolgungen, der Vernichtung ihrer Güter und Aufzeichungen, die die Juden immer wieder, letztendlich bis in 20. Jahrhundert, erleiden mussten.
Vor allem galt es, die heilige Thora zu retten, alles weitere war nach gereiht.
Deswegen zählen die Schaj Tekanoth, die 311 Paragraphen, die aus den Mährischen Statuten in der Revision Rabbi Loew nach der neuen Prager Gesetzgebung nach obigen Vorgaben konstituiert worden sind, zu den wichtigsten Aufzeichnungen, die nur in wenigen handschriftlichen Abschriften vorhanden gewesen sind.

Gerson Wolf hat sie nach einer im k.u.k. Ministerium des Inneren vorliegenden Abschrift vollständig übertragen und 1880 in Buchform bei M.Waizner in Wien I herausgebracht und damit der Nachwelt und der Öffentlichkeit erhalten.
Es ist ungewiss ob eine frühe, ebenso vollständige Abschrift sich noch in der Oxforder Bodleyan befindet, wie Wolf festhält.
Recherchen meinerseits in dieser Richtung haben nichts ergeben und die originale Abschrift des Innenministeriums dürfte nicht mehr vorhanden sein.
Im österreichischen Staatsarchiv habe ich bloss die handschriftlichen Kopien aktualisierter Statuten aus dem Jahr 1850 der Kultusgemeinden Brünn und Nikolsburg vorgefunden, die damals ebenso dem Ministerium des Inneren vorgelegt worden sind.
Da waren insgesamt bloss noch drei Kartons vorhanden, aus denen sich aber doch einiges strukturell rekonstruieren lässt.

Die Wolfsche Edition erscheint jedoch vollständig wie auch genau zu sein, und sich an den ihm bekannten deutschen Schrift-Wortlaut zu halten. Derartige Statuten hatten nur dann einen Sinn, wenn sie die deutschsprechende Obrigkeit auch lesen und verstehen konnten. Es mag sein, dass es eine hebräische Urfassung von Rabbi Loew gegeben hat, die jedoch verschollen ist. Soweit ich das jetzt im Gedächtnis habe, war die Amtssprache in den Kronländern auf ministerialen, auf Komitats- und Bezirksebenen Deutsch. Die böhmischen und mährischen Juden hatte ohnehin mehr Bindungen zu den deutschsprechenden Gemeinden als zur slawischen Bevölkerung. Das berühmte Prager Deutsch ist durchaus als Ergebnis dieser Symbiose anzusehen.
Auch so gerieten die Juden mit der zunehmenden Nationalisierung der Donaumonarchie in zusätzliche Konfliktzonen.

Die 311 Paragraphen - Die alten Statuten der jüdischen Gemeinden in Mähren machen bewusst, das der grosse mystifizierte Rabbi Loew, den meisten bekannt durch die Golemlegende, ein herausragender Gesetzgeber und hervorragender Talmudlehrer der altösterreichischen Juden gewesen ist, der aber durchaus, so schreibt der Prager Georg Langer, das überspitzte Klügeln der Talmudisten meidet und sich um chassidisch disziplinierte Schlichtheit bemüht hat.
Tatsächlich ist das Paragraphenwerk für das sachlich wie praktisch Nützliche verfasst.

Die alten mährischen Statuten in der von Loew revidierten Form zeigen, dass es eine geordnetes und weitgehend teilautonomes Leben der jüdischen Gemeinden im österreichischen König-und Kaiserreich gegeben hat. Allerdings nur in den Kronländern, da die Juden weitgehendst mit wenigen Ausnahmen und einer kleinen Gemeinde in Wien aus Innerösterreich rigid im 15. Jahrhundert abgeschoben worden sind und erst nach 1848 ins deutschsprechende Kernland zurückkehren durften und ab da an wesentliche Erfolge in der Integration und in der aufstrebenden Wirtschaft der Gründerzeit erzielten .

Diese jahrhundertelange Absenz, die Rückkehr und der plötzliche wirtschaftliche Erfolg könnte vielleicht den konditionierten antisemitischen Reflex der Innerösterreicher erklären, die Antisemiten gewesen sind, ohne jemals einen Juden gesehen zu haben, wie auch den völligen Unverstand der meisten Österreicher im Umgang mit der jüdischen Kultur und Gemeinschaft, der weiteste Bevölkerungskreise heute noch prägt.

Rabbi Loew, der von 1557 - 1577 der Nikolsburger Gemeinde vorstand, kann als der eigentliche Reformator des vorbildlichen mährischen Gemeindewesens anerkannt werden.
Loew unterzog die alten Statuten einer Revision, ordnete sie neu und fügte nach aktueller Anforderung Anordnungen hinzu. Wie dies nun alles tatsächlich zusammenging, inklusive der Empfehlung Rabbi Katzenellenbogens wäre in einer schwierigen historischen Analyse noch zu klären.

Die alten mährischen Statuten in der Fassung vom hohen Rabbi Loew

Die alten Statuten der jüdischen Gemeinden in Mähren sind in vier Teile unterteilt:

Der erste Teil § 1- 17 betrifft die Vermittlung der Lehre. Es zeigt sich, dass die Lehre, die Vermittlung der Thora und des Talmuds die zentrale Säule des jüdischen Gemeinschaftslebens in Religion- wie auch kultureller Übung bildet.

Ebenso wichtig und in den Statuten an die zweite Stelle gerückt ist die soziale Pflege und Armenhilfe.

Den Juden ist offensichtlich bewusst gewesen, dass sie ihre religiöse wie politische und kulturelle Identität nur bewahren konnten, wenn sowohl für die Wohlfahrt der minder bemittelten Gemeindemitglieder wie für eine humane Altenfürsorge entsprechend gesorgt wird.
Es zeigt sich deutlich, dass die jüdischen Gemeinden zutiefst Solidargemeinschaften gewesen sind und sie nur so über zwei Jahrtausende trotz aller Verfolgung ihre Identität wie ihre Religion bewahren konnten.

Die allgemeine, vor allem in den ostjüdischen Gemeinden verbreitete Armut, die allgemeine Enge der Ghetto widerspricht dem weit verbreiteten und immer wieder instrumentalisierten Vorurteil, die Juden wären rücksichtlose Nutzniesser der weitgehend christlichen Bevölkerung gewesen.

Der dritte Teil ordnet die Wahl wie die Ernennung und Erneuerung der Landesältesten. sowie der Anlagemacher und der Steuereinnehmer § 24 - 175

Der vierte und letzte Teil regelt die Ordnung der Gemeinden § 176 - 311.

Die Säule der Lehre

An den Beginn des ersten Teils, also über die Lehre steht der Satz:
Der Anfang der Weisheit ist die Ehrfurcht vor Gott. Das verdeutlicht, dass die Lehre und Belehrung der Juden in der Diaspora eng an ihren Glauben geknüpft gewesen ist, dass Gott und seine Gesetze Anleitungen für alles weitere Handeln darstellen. Beispielhaft stehen dafür die zehn Gebote, die Moses am Berg Sinai verkündete und die sowohl für den Alten die den Neuen Bund massgeblich sind. Im Talmud sind insgesamt sechshundertunddreizehn Verhaltensregeln aufgeführt, an die sich ein gläubiger Jude zu halten hat.

Die Juden waren besonders gottesfürchtig. Mit ein Grund, warum sie den Glauben des Neuen Bundes, der Christus als den Messias auswies, nicht angenommen haben. Die religiösen Traditionalisten haben bis ins heute ihre messianischen Hoffnungen nicht aufgegeben.

Jede jüdische Gemeinde, in der es mehr als 30 Familien gab, die ordentlich steuerlich veranlagt gewesen ist, die der Anlage entsprechend auch Abgaben entrichteten , war verpflichtet, den Rabbiner und im weiteren sechs Studenden und sechs Talmudschüler zu erhalten und diesen Unterhalt zu bezahlen.

Da die Gemeinden hin- und wieder Rabbiner annahmen, die ungenügend ausgebildet waren, mussten vor allem jene Gemeinden, in denen bloss 15 oder zwanzig Familien steuerlich veranlagt waren, die sich offenbar einen Rabbiner zu geringerem Lohn leisteten, in bestimmten Fragen die Meinung des Landesrabbiners einholen.

Der Rabbiner war verpflichtet, die Kenntnisse der ihm anvertrauten Studenten und Schüler regelmässig, vor allem aber zu hohen jüdischen Feiertagen zu überprüfen. Die Lehre soll nach der Ordnung des Talmud erfolgen.

Gemeinden, die weniger als dreissig veranlagte Familien zählen, die aber keinen Rabbiner und Schule unterhiellten, waren angewiesen, einen Schulmeister zu bestellen, um den Müssiggang der Kinder zu unterbinden.

In noch kleineren Gemeinden, die sich auch keinen Lehrer leisten konnte, sollte zumindest ein Vorbeter herangezogen werden, der den Kindern das nötigste Wissen beizubringen hatte.

Jeder Vater ist es schuldig, sein Kind zumindest bis zum dreizehnten Lebensjahr zur Schule zu schicken und das Lehrgeld zu bezahlen.

Das Erlernen der Gebete, die Lektüre der fünf Bücher Moses und der zugehörigen Propheten, des Erlernens des Schreibens und des Lesens steht über der Verwendung im väterlichen Handwerk. Ein Beruf ist erst nach dem Besuch der Thoraschule zu erlernen.

Im Fall von armen Waisen hat die ganze Gemeinde dafür Sorge zu tragen, dass diese wie alle anderen Kinder unterrichtet werden.

Dies galt nur für die männlichen Kinder der Gemeinde. So wie es ein allgemeines Männerwahlrecht gegeben hat, gab es eine allgemeine Schulpflicht für alle Knaben.

Den abschliessenden Teil der Schulordnung bildet im Paragraphen 17 eine Gebetsanordnung. Auch in den kleinen Gemeinden sind die Mitglieder verpflichtet, sich täglich einmal zum Gebet zu versammeln. Der jüdische Gottesdienst bedarf nicht der Anwesenheit eines Priester oder Rabbiners. Aber es müssen sich zumindest zehn Personen zusammen finden, um einen Gottesdienst abhalten zu können. Einer davon übernimmt die Rolle des Vorbeters.

Wird dieser Anordnung zuwider gehandelt, muss der Gemeindeälteste bzw. der Judenrichter dafür sorgen, dass die Gebetsrunden tatsächlich abgehalten werden.
Kommt der Judenrichter dieser Aufgabe nicht nach, kann er mit einer Strafe von zwei Dukaten belegt werden, die an die Armenkasse abzuführen sind.

Die Armencasse

§ 18 bis § 23 beinhaltet ein Gelöbnis, Spenden zu sammeln und u.a. an arme in Jerusalem verbliebene Juden zu schicken. Jährlich soll dafür eine Summe von fünfzig mährischen Talern aufgebracht werden.

Die Wahlordnung

Breiten Raum, 151 Paragraphen, nimmt die Ordnung der Erwählung und Erneuerung der Landesältsten, der Anlagemacher und der Einnehmer und eine Beschreibung ihrer Aufgaben ein.

§ 24 - § 175

Der Paragraph § 24: Wir haben beschlossen, dass sechs vernünftige, fromme Männer, aus jedem der Kreise zwei zu Landesältesten erwählt werden sollen, denen Kraft und Macht zugeeignet wird, die Renitenten und Widerspenstigen zu bestrafen und in Bann rufen zu lassen, und ihr Amt mit Ansehen zu führen.

Ingleichen sollen auch sechs kluge, fromme und wahrhafte Männer, aus jedem Kreis zwei (das Land ist in einen oberern, mittleren und unteren Kreis geteilt) zu Landeseinnehmern gemachet werden.

Und weilen derlei Einrichtung vorhin schon durch unsere Vorgewesten, vornehme Rabiner und Älteste statuiert worden, also haben auch wir uns dahin verbunden, dass bei uns, unserer Kinder und Kindeskindern bis zur Ankunft des Erlösers es also gehalten werden sollte.

Die öfter verwendet Formel ….bis zur Ankunft des Erlösers beinhaltet den zentralen Widerspruch zum Christentum und gibt den eigentlichen Kern des Zerwürfnisses ab. Sie beweist ausdrücklich das unbedingte Festhalten der alten Juden an ihrem Glauben, dass der Erlöser erst kommen wird.

Alle Gemeinden des Landes haben zur Wahl der Landesältesten und der Landeseinnehmer an einen vorher bestimmten Ort ihre Deputiertem zu entsenden.

Gemeinden, die weniger als einen halben Gulden zur Landesanlage beisteuern, sind von der Wahl ausgeschlossen.

Gemeinden, die zwischen einem halben und einem ganzen Gulden Abgabe entrichten, können einen Deputierten stellen.

Jene Gemeinden, die zwischen einem und zwanzig Gulden an Anlage entrichten, können 2 Deputierte entsenden.

Gemeinden, die es den letzten drei Jahren verabsäumt haben, ihre Abgaben komplett nach ihrer Veranlagung zu entrichten, sind zur Wahl der Landesältesten nicht zugelassen.

Die Deputierten sollen in einer Schule oder an einem besonderen Ort für jeden der drei Kreise gesondert zusammentreten und fünf Abgeordnete wählen.

Nach der Wahl der fünfzehn Deputierten durch das Los sollen diese zusammentreten und beratschlagen, was aktuell nötig sei, was zu ordnen und verrichten ist.
Sollten sich die 15 Abgeordneten nicht einig werden, sollen sich sämtliche noch im Amt befindlichen Landesältesten und Landeseinnehmer sich zu ihnen verfügen und im wohlüberlegten Vortrag zur Klärung beitragen. Sollte die Meinung trotzdem geteilt bleiben, ist in einer Abstimmung nach der Mehrheit zu entscheiden.

24 Stunden nach der Wahl der 15 Deputierten, soll man ohne weiteren Verzug aus der Versammlung aller Deputierten per Los weiters neun (Wahl-)Männer wählen, die letztendlich die sechs Landesältesten,die sechs Landesanleger, die sechs Landeseinnehmer zu bestimmen haben.

Nach Paragraph § 30 sollen sich zur Erneuerung der Landesältesten sämtliche Deputierte, alle sechs Landesältesten, alle sechs Landeseinnehmer und der Jüdische Landschreiber in der Synagoge versammeln.

Die Namen der neun Deputierten sind je auf einen gesonderten Zettel zu schreiben, und dann wie folgt in drei Büchsen oder drei Töpfe zu werfen. In den ersten die Namen des oberen Kreises, in den zweiten die Namen des mittleren und in den dritten die Namen des unteren Kreises.

Danach soll der Landschreiber aus der ersten Büchse einen Zettel ziehen und der darauf Genannte ist der erste Wähler der neun Wahlmänner.
Aus der zweiten Büchse soll der Namen des zweiten Wählers und aus der dritten, den unteren Kreis zugehörigen Büchse der Namen des dritten Wahlmannes gezogen werden.

Danach wird wiederum aus der Büchse des ersten Kreises der Name des vierten, aus der zweiten Büchse der fünfte und aus dem dritten Kreis der sechste gezogen.

In einem dritten Durchgang werden die Namen des siebten, achten und neunten Wahlmannes ermittelt.

Das dürfen jedoch keine verwandten Personen sein, weder unter einander noch gegenüber den bisherigen Ältesten bzw. Einnehmern. Wird der Name einer Person gezogen, der mit einem der bereits festgestellten Wahlmänner verwandt ist, wird dieser Zettel zurückgelegt und der nächste aus dem Topf gezogen.

Nikolsburg nimmt im zweiten Wahlkreis eine Sonderstellung ein. Nachdem sie sowohl in den Landesanlagen wie im mittleren Kreis selbst die höchsten Abgaben einbringen, soll einer der drei Wahlmänner des mittleren Kreises in jedem Fall ein Nikolsburger sein.
Diese besondere Ausnahme in der allgemeinen Wahlordnung zeigt denn die allgemeine herausragende Bedeutung dieser jüdischen Landesgemeinde vor allem in ihrer wirtschaftlichen Kraft.

Diese neun Wähler sind gebunden, bei geöffnetem jüdischen Altar und mit in Händen gehaltener Thora , dem schriftlichen Formular gemäss zu schwören, dass sie sechs Anlagmacher, sechs Landesälteste, sechs Einnehmer nach ihrer Pflicht und nach Gewissen machen und erwählen.

Hier zeigt sich, das Steuerschätzer und Steuereinnehmer unterschiedliche Funktionen sind, die nicht von einer Person ausgeübt werden durften.

Aus jedem des oberen, mittleren und unteren Kreises sind je zwei dieser sechs in den drei unterschiedlichen Funktionen zu ernennen.

Zuerst müssen die Anlagemacher, also die Steuerschätzer, die die Abgaben festzulegen haben, gewählt werden. Im Wahlprocedere werden wiederum Personen mit verwandtschaftlichen Beziehungen ausgeschlossen.
Die drei Wahlmänner eines Kreises haben ihrerseits durch Los zu bestimmen, wer von ihnen die beiden Anlagmacher ihres Kreises vorschlägt, über den dann die anderen acht Wahlmänner mit abzustimmen haben.
Die einfache Mehrheit reicht zur Festlegung aus.

Der Paragraph § 37 schreibt vor, dass die Anlagemacher gleich nach erfolgter Wahl aller sechs Personen, je Wahlkreis zwei, die Landschaftsanlage zu machen und die Abgaben der Gemeinden festzulegen haben.

Weder die Landesältesten noch die Landeseinnehmer sind befugt den Gemeinden die Anlage abzuändern oder das Gilgulot, das Kopfgeld bzw. die Leibmaut abzuändern, das ist allein Angelegenheit der Landesveranlager und muss während der Wahlversammlung festgelegt werden.

§ 40 Die Anlagemacher sollen zugleich aufweisen, wieviel jede Gemeinde zu den 500 sogenannten Gilgolot oder Kopfgeld ( die auf die gesamte mährische Judenschaft zu entwerfen sind) Vermögen gegenwärtigen Stand des Landes beitragen sollen.

§ 41 Die Anlagemacher sollen in der Synagoge vor geöffnetem Jüdischen Altars und in Berührung der Thora schwören, dass sie die Anlage und das Gilgolot nach ihrer Pflicht und nach gutem Gewissen machen wollen. Das Formular des Juramentes ist allbereits aufgezeichnet.

Nachdem die die neun Wahlmänner der Ordnung nach die sechs Anlage Macher erwählt haben, sollen dieselben die sechs Landesältesten erwählen.
Unter diesen sechs sollen ebensowenig Verwandtschaftsbeziehungen bestehen.

Aus den neun Wahlmännern kann keiner in das zu vergebende Amt gewählt werden.

Sollte es zwischen einem der Wahlmänner und einem der zu Wählenden eine verwandtschaftliche Beziehung geben, dann muss sich dieser Wahlmann in diesem konkreten Fall der Wahl enthalten.

Keiner der vorhergehenden Landesältesten, Anleger oder Einnehmer hat irgendwie Fug und Kraft, in der Wahl der neuen dagegen oder dafür Einfluss zu nehmen.
Während des Wahlvorganges sollen weder Landesbeglaubigte, Landesschreiber oder Landesbedienstete oder noch jemand anderer sich bei Verlust ihres Dienstes gebrauchen lassen, irgendwelche Mitteilungen an die Wahlmänner weiter zu geben.
Allein die Wahlmänner haben das Recht von sich aus eine Anfrage an die sich noch im Amt befindlichen Ältesten zu richten.

Während der Wahl dürfen allein die Deputierten der Gemeinden anwesend sein. Fremden Rabbinern, anderen In- und Ausländern wird der Zutritt verwehrt. Anwesend ist allerdings auch der alte abzuwählende Vorstand, allein jedoch nur in beobachtender Funktion.

Während der Dauer des Wahlkonventes werden keinerlei Streitigkeiten verhandelt. Nach Abschluss der Wahl sollen jedoch der Landesrabbiner und zwei der neu gewählten Landesältesten weitere drei Tage verweilen, um vorkommende Streitsachen anzuhören und abzutun. So erforderlich, sollen sie solange verweilen, bis alles abgetan und geklärt worden ist.

Der Ort der Wahlen soll in den drei Kreisen zirkulieren, jeweils im Abstand von drei Jahren.

Aus Paragraphen 54 geht hervor, dass die vorliegende Abschrift des Shaij tekanoth, auf die ich mich beziehe, etwa um 1680 verfasst wurde. Es ist also nicht das Original der Bearbeitung von Rabbi Loew. Ich habe jedoch keinen weiteren Hinweis darauf gefunden, dass es zwischen 1578 und 1680 entscheidende neue gesetzgeberische Aktivitäten gegeben hätte.
Es darf angenommen werden, dass sie mit der Fassung von Rabbi Loew übereinstimmt.

Eine Gleichstellung der Frauen war allerdings auch in in dem allgemeinen jüdischen inneren Demokratiemodell nicht vorgesehen, Das allgemeine Wahlrecht galt nur für Männer.

Dieses Wahlprocedere erscheint auf die Gesamtheit der Gemeinde beziehungsweise aller Gemeinden gesehen, durchaus demokratisch zu sein, verhindert aber völlig die Parteienbildung. Und es gibt ja auch tatsächlich keine Kandidaten, sondern eben ein Wahlsystem über Wahlmänner, die offensichtlich nach Los und Zufall aus der Menge aller anwesenden Deputierten ausgewählten werden.
Männer, die im Verwandtschaftsverhältnis zum bestehenden Vorstand bzw. im neu bestimmten Vorstand untereinander stehen, sind von den zu bestimmenden Funktionen ausgeschlossen. Erst die Wahlmänner, die in einem Randomverfahren bestimmt werden, haben das Recht die Funktionäre, und hier natürlich mit entsprechender Berücksichtigung ihrer Fähigkeiten, zu bestimmen. Es gibt da aber auch noch Einschränkungen, wie oft Personen nach entsprechender Pause von mindestens drei Jahren wieder gewählt können.

Nach diesem Wahlsystem können offensichtlich weder einzelne Familien noch Lobbys, noch ein bestimmter Landkreis das Übergewicht erlangen. Das setzt natürlich ein grosses Vertrauen in die Gemeinschaft und die Fähigkeiten der Einzelnen voraus.
Jedenfalls steht so offensichtlich das Gemeinschaftsprinzip, über einem personen-oder gruppengebundenen Wahlrecht. Es kann sich so auch keine bürokratische Funktionärsschichte bilden. Und es scheint so zu sein, dass dies tatsächlich gerade wegen der Randomisierung ein basisdemokratisches Wahlsystem ist, dass allein der Allgemeinheit und zur Erfüllung der weltlichen wie der religiösen Auflagen dient.
So konnten einerseits weder Parteien und andererseits keine bürokratische Nomenklatura gebildet werden.

Das Amt ist eine Ehre, die man nicht ausschlagen darf, doch geplant nicht anstreben kann.

Das steht völlig gegen feudale wie auch dikatorische Systeme, die an Personen gebunden sind, in denen der Einzelne in der Masse anonymisiert wird.
Das ganze geht aber nicht ohne allgemein mündiger wie wissender Bürger. Allerdings kann sich der besonders Wohlhabende in diesem System nur bedingt nach vorne schwindeln, bzw. steht nicht automatisch an einflussreichster Stelle.

Die Annahme, dass ein derartiges System nur einen kleinen kapitalkräftigen Gruppe dienen würde, kann man von der Hand weisen, da einfach in der Randomisierung zu viele Zufallsfaktoren bewusst ins Spiel gesetzt werden.

Auch die Nennung der Deputierten abhängig vom Steueraufkommen ist keineswegs kapitalistischer Wettbewerb, sondern spiegelte bloss die Leistungsfähigkeit der Gemeinden wieder.

Man muss deutlich sagen, dass die Juden drei Dinge zu erfüllen hatten, den Erhalt ihrer Familien, den Erhalt ihrer Gemeinden, in denen die Löhne für den Rabbiner, den Schullehrer, die Kosten der Thoraschule, diverse Gemeindebedienstete und der Tempel sowie die Armen- und Altenvorsorge gemeinsam zu finanzieren waren und andererseits die Abgaben an den Kaiser und Landesfürsten Form des Kopfgeldes, der Schutzgelder und etwaiger anderer Aufgaben.

Die Juden hatten zur Zeit von Maria Theresia den 45igsten Teil des gesamten Steueraufkommens aller Kronländer, das waren mehr als 2 Prozent, zu erwirtschaften. Darauf wollte sie letztendlich nach den Prager Vorfällen im Erbfolgekrieg nicht verzichten und gewährte Pardon. Von den Prager und den Nikolsburger Juden weiss man explizit, dass sie gute Zahler, also erfolgreiche Wirtschafter gewesen sind.

Der begrenzte Zufallsfaktor im Wahlverfahren ist keineswegs chaotisch anzusehen, sondern verhinderte schlicht die Bildung von Sonderklassen und von der Gemeinde abgehobene Privilegien, die sich leicht etwa an der Schnittstelle von Community, Landesfürst und Herrscherhaus bilden hätte können. Damit war zusätzlich eine Garantie des Zusammenhaltes in der Community gegeben, aber auch Eifersüchteleien zwischen ehrgeizigen Familien, Gemeinden und den drei Wahlkreisen konnten so vermieden werden. Allein aus pragmatischer Sicht kann ich mir ein derartiges Wahlsystem mit zeitlich rotierenden Vorstand und Einschränkungen in der Wiederwahl gut erklären. Tatsächlich hatte das System, das allen dienen und möglichst gerecht werden sollte, einen enormen Vorteil gegenüber einem personenfixierten Parteien Lobbyismus und Cliquenwesen. Es ist auf Ausgleich der Chancen bedacht und versucht einseitiger Bevorzugung und Bevorteilung zu entgehen und abzuschwächen.

Es gab allerdings reiche Juden, die die Community verlassen haben, weil sie ihr nicht mehr verantwortlich und personell zugehörig sein und keine zusätzlichen Abgaben leisten wollten. Das kam aber einem Auschluss, einem Weggang aus der jüdischen Religionsgemeinde gleich.
Solche Personen konnten dann eigentlich nur mehr zum Katholizismus übertreten.
Ein Konvertierung zum Protestantismus hätte keinerlei Vorteile gebracht.

Leider ist im Paragraphenwerk nicht vorgesehen, was zu geschehen hatte, so der Kaiser einer der Landesältesten nicht bestätigte. Immerhin stand ihm alle drei eine neue Deputation von sechs Personen gegenüber, den drei Ältesten und den drei Steuereinnehmern. Aber offensichtlich setzten die Herrscher weitgehend Vertrauen in die Community und die Wahlmänner achteteten von sich aus darauf, keine missliebigen Personen nach vorne zu stellen.

Im weiteren werden die Aufgaben und Pflichten der Landesältesten behandelt und deren Zusammenkünfte und jenen mit den Landeseinnehmern geregelt. In diesem Text werde ich auf die Rechte und Machtbefugnisse der Landesältesten nicht weiter eingehen, sie sind im Shaij tekanoth in den Paragraphen 56 bis 175 inklusive der Rechtsprechung, Justiz- und Polizeigewalt im Detail geregelt.

Eine genaue Untersuchung der Judicatur und der internen Exekutivgewalt würde ein interessantes Bild über die tatsächliche Autonomie der jüdischen Kommunen ergeben, wie weit sie in internen Fragen von der landesfürstlichen bzw. kaiserlichen Rechtssprechung unabhängig gewesen sind.

Dabei sollten in historischer Perspektive die Veränderungen unter Josef II und nach 1848 berücksichtigt sein. Im Zuge der Toleranzedikte und der Gleichstellung nach der liberalen Gesetzgebung infolge von 1848 ist ein Teil der Judikator wieder an den allgemeinen Staat über gegangen, ohne dadurch jedoch die Rechte der Juden weiter zu beeinträchtigen.
Die allgemeine Emanzipation der Juden führten zu einer Veränderung der Autonomie, die jedoch nicht zum Nachteil der Juden gerieten, aber doch zu gewissen Verlust der Identität wie der Eigenständigkeit, wenn die auch auf unsicherem Boden errichtet gewesen ist und von Zuneigung oder Willkür des jeweiligen Herrschers oder Landesfürsten abhängig gewesen ist.

Aufgeklärter Absolutismus

In der Josefinischen Gesetzgebung spielte ein Mann eine hervorragende wie unübersehbare Rolle, von dem man sagen kann, dass er aus einer Nikolsburger Tradition gekommen ist. Joseph von Sonnenfels, der grosse Staatsrechtler, Gesetzesformulierer und Staatsgestalter, der wesentlich den josephinischen Staat im Sinne des aufgeklärten Absolutismus spezifisch österreichischer Prägung gestaltet hat.

Joseph von Sonnenfels Vater Lipman Perlin (1705-68), Sohn des Landesrabbiners von Brandenburg, war zunächst als Übersetzer und Lehrer orientalischer Sprachen in Nikolsburg tätig gewesen. 1734 ging er nach Wien und konvertierte im folgenden Jahr mit seinen drei Söhnen zum Katholizismus. Zuvor hatte die Familie noch einige Zeit Station in er jüdischen Eisenstädter Gemeinde genommen.
Er nahm den Namen Alois Wienner an und wurde 1746 zum Freiherrn von Sonnenfels geadelt.

Joseph Sonnenfels machte wirklich grosse Karriere im Staat, beeinflusste und prägte dessen Neuordnung im Zuge der Aufklärung entscheidend. Die Kanzleiordnung der österreichischen Staatskanzleien und Ministerien wurde von ihm gestaltet und selbst in der Digitalisierung des innerministeriellen und allgemeinen staatlichen Büroverkehrs nicht völlig verworfen. So gut war die Struktur und der Geschäftsstil damals bereits ausgearbeitet, dass sie auch heute noch nützlich erscheint. Ebenso geht die staatliche Kameralistik auf ihn zurück: Grundsätze der Polizey, Handlung und Finanzwissenschaft.

Man kann gewiss sein, dass Joseph Sonnenfels von den inneren demokratischen Traditionen der mährischen und böhmischen Juden gewusst hat. Andererseits kannte er sich gut in der französischen Aufklärung aus. Sein Handbuch der Staatsführung entwickelt er aus einem kritischen wie distanzierenden Diskurs des Rosseauschen Gesellschaftsvertrages.
Sonnenfels stand zweifellos auf dem Höhepunkt der Zeit, im europäischen Masstab gesehen und nicht allein begrenzt auf die österreichische Domäne.

Dass Sonnenfels die Staatspolizey, es war also nicht erst Metternich, zum obersten Kontrollorgan des Staates erhob und ihr gleichzeitig eine vorbildliche Rolle an humaner Gesinnung und lauteren Charakters zuschrieb, zählt zu jenen Merkwürdigkeiten der Aufklärung, die Horkheimer und Adorno ausführlich in ihrer Dialektik der Aufklärung in Kritik des damit verbundenen totalitären Anspruches abhandeln.
Sonnenfels war nie ein aktiver Revolutionär wie zbsp. einer der führenden Köpfe der französischen Revolution, Joseph Fouche, und auch nicht ausgestattet mit der exekutiven Machtfülle, die dieser innehatte. Doch Aufklärer wurden damals grundsätzlich verdächtigt so radikal wie die Franzosen zu sein.

Sonnenfels war mehr Theoretiker, Gesetzesentwerfer und Berater und diente klarerweise mehr dem Kaiserhaus als der Revolution. Joseph II beschäftigte ihn offiziell eigentlich nur als Stilisten. Der Kaiser war aber keinesweg Marionette seiner Mutter noch seiner Berater oder Minister. Er achtete peinlich genau auf seine monarchische Unabhängigkeit. Obwohl er eng mit Freimaurern zusammen arbeitete und Logen mit aufkläererischen Projekten unterstützte, wurde er selbst nie Mitglied einer Loge, weil er sich nicht der Logendisziplin unterordnen wollte. Das aus Staatsräson und nicht aus religiösen Gründen.

Sonnenfels lehrte an der damaligen Universität Politik- und Staatswissenschaft.
Er war ein Aufklärer, der die absolutistische Machtfülle mit sanften Humanität der Emanzipation möglichst gewaltfrei in Einklang zu bringen suchte, und fern jedes revolutionären Ansinnens, mittels Gewalt die Verhältnisse zu ändern, stand.
Die österreichische Aufklärung stellt einen hohen Anspruch an die Sittlichkeit, zu dem der Mensch erst erzogen werden muss. Es mischt sich das Ideal der Vernunft mit einer starken autoritären Komponente. So lässt sich in Stifters Nachsommer das sanfte Gesetz erklären, die Veredelung des Humanen, eine Gärtnerphilosophie, ebenso passend zum Biedermeier.
Die österreichische Aufklärung ist nicht libertär, sie ist mit einem strengen Verhaltenskodex verknüpft und ihrem Wesen nach zutiefst schulmeisterlich. Dem entspricht das sonnenfelsische Konzept der Staatspolizey als Hüterin der öffentlichen Ordnung, das mit der Zeit ins Metternichsche Spitzelwesen umschlägt und später auf Hausmeister- und Blockwächter Niveau absinkt. Die Aufklärung verkommt in Tugendwächterei.

Ebenso interessant sind die preussischen Wurzeln der Perliner, ich erinnere an den etwa zeitgleichen Moses Mendelssohn. Im preussischen Judentum breiteten sich damals die Ideen der Aufklärung aus und es ist ebenso anzunehmen, dass die böhmischen und mährischen Juden unabhängig von Joseph Sonnenfels die besten Beziehungen zu den jüdischen Gemeinden in Preussen und in Berlin pflegten.

Dass wird ihnen kurzzeitig zum Verhängnis. Im Zuge des siebenjährigen Erbfolgekrieges bricht Friedrich von Preussen mit 80000 Mann im August des Jahre 1774 in Böhmen ein und belagert und besetzt Prag.
Die Prager Juden geraten in Verdacht mit den Preussen konspiriert zu haben und die Kaiserlichen fallen in Folge über das Prager Ghetto her.
Danach verweist und vertreibt Maria Theresia die Juden aus Böhmen, nimmt aber 1778 diese Massnahme zurück, weil ihre Berater ihr klar gemacht haben, dass sie damit auf ein nicht unerhebliches Finanzaufkommen verzichten hätte müssen.

Ebenso verzichten müsse sie auf die innovative Kraft früher jüdischer Unternehmer, die durch die Neugründung von Fabriken und Manufakturen in Böhmen und vor allem in Mähren bereits damals für wesentliche wirtschaftliche Impulse sorgten. Ein wichtiger Aspekt der österreichischen Industrie- und Wirtschaftsgeschichte, der aus bekannten Gründen vernachlässigt worden ist, der seinen Höhepunkt zweifellos wirtschaftlich wie kulturell in der Wiener Gründerzeit gefunden hat.

Maria Theresia nahm ihre harten Massnahmen zurück.

Der Freimaurer und Universitätslehrer Joseph von Sonnenfels hat mit seinen Entwürfen der staatlichen Reformen zweifellos zur Emanzipation der österreichischen Juden beigetragen. Joseph der II. verbesserte die Stellung der Juden in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht auch zur Zufriedenheit von Sonnenfels.

Zum Universitätsprofessor konnte er allerdings nur werden, weil sein Vater und damit auch die Familie Sonnenfels zum Katholizismus konvertiert ist. Universitätslehrer mussten damals einen Eid auf die Heilige Jungfrau und den Papst leisten. Das konnte klarerweise ein gläubiger Jude nicht.
Erst die josefinischen Reformen schufen auch hier mit dem Toleranzpatent und den neuen Studienregelungen, die von Sonnenfels mit konzipiert worden sind, mehr Bandbreite.

Wesentlichen Anteil hatte Sonnenfels an der Theresianischen Strafrechtsreform, die sie gemeinsam mit ihrem Sohn beschlossen hat. Die Argumente von Sonnenfels wider die Folter bewogen sie dazu, einer Abschaffung derselben zuzustimmen. Das ist eine ausserordentlich bemerkenswerte Entscheidung, so man daran denkt, dass Nationalsozialisten und russische Kommunisten nichts daran fanden, ihre Gegner willkürlich zu foltern, dass noch vor einem Jahr vereinzelte deutsche Politiker die Folter in bestimmten Anlassfällen als möglich angesehen haben, und die USA im akuten Kriegsfall noch immer foltern.

Das Toleranzpatent, dass den Juden freie Religionsausübung gestattete wurde von Joseph II am 2.1.1782 erlassen. Die Leibmaut, wahrscheinlich das oben erwähnte Kopfgeld, wurde aufgehoben,die wirtschaftlichen Möglichkeiten wurden grosszügiger gestaltet. Die Juden erhielten weitgehende Gewerbefreiheit und wurden auch an Schulen und Universitäten zugelassen.

Ab 1788 wurden sie der Wehrpflicht unterstellt. Franz I. schränkte allerdings nicht nur die josefinischen Gleichstellungsgesetze wieder ein. So erscheint zbsp. am 28.4.1800 ein Hofbescheid mit der laufenden Nummer 3452 Dass auf das Verboth, daß keinem Juden auf dem flachen Lande ein permanenter Aufenthalt gestattet werden solle, feste Hand gehalten werden solle.
Mit Zahl 3466 wird den mährischen Juden im innerösterreichischen Raum der Handel und das Hausieren auf dem Lande strengstens untersagt. Nach 3481 durften ihnen bloss Reisepässe und keine Handelspässe ausgestellt werden.

Ein weiteres Beispiel, das Österreichs Juden aus Innerösterreich herausgehalten worden sind. Ihr Aufenthalt blieb auf Böhmen, Mähren, Ungarn, Galizien und den südlichen Teil der Monarchie beschänkt.

Aus dieser Zeit stammen auch erneute Anschuldigungen, dass die Juden in staatsfeindliche Umtriebe und diverse Verschwörungen verwickelt wären.
So hält sie Metternichs Berater, Friedrich von Gentz,für geborene Repräsentanten des Atheismus, Jakobinismus und der Aufklärerei.

In einem Gutachten aus dem Jahr 1823 verlangte der Staatswissenschaftler Adam Müller die Rücknahme aller Gleichstellung und setzte erstmals Judentum und Kapitalismus gleich.Müller war ein konservativer Denker, Kriegskorrespondent Metternichs, Angestellter der österreichischen Staatskanzlei, der mit seinem Staatstheorien noch Carl Schmitt, und damit indirekt die Nationalsozialisten beieinflusst hat.

Tatsächlich engagierten sich in der Märzrevolution die Mehrheit der österreichischen akademischen Juden für den bürgerlichen Liberalismus. Sie standen gegen das totalitäre System Metternich auf der anderen Seite der Barrikade, und doch gab auch zu dieser Zeit Juden, die noch radikalere Veränderungen vorbereiteten. Karl Marx veröffentlichte sein Kommunistisches Manifest.
1849 brachte den Juden einen entscheidenden Fortschritt in ihren Rechten wie auch in allgemeinen Anliegen der Menschenrechte.

In der Verfassung vom 4.März 1849 wurde im Paragraphen 1 des Grundrechtkataloges verfügt: Der Genuss der bürgerlichen und politischen Rechte ist von dem Religionsbekenntnisse unabhängig.

Das bedeutete das vorläufige Ende der jahrtausendelangen Verfolgung und Erniedrigung der Juden. Und tatsächlich wurden sie im weiteren demokratischen Fortschritt sowohl in der Monarchie wie ersten Republik uneingeschränkt und gleichgestellt von der Gesetzgebung berücksichtigt. Christliche und jüdische Frauen erlangten 1918 gemeinsam erstmals das Wahlrecht und damit die formale Gleichstellung in den bürgerlichen Rechten.

Die Wiener jüdische Gemeinde reagierte rasch auf die durch die neue Verfassung eröffneten Möglichkeit und schrieb am 9.April 1849 die erste Wahl nach neu verfassten Statuten aus, die allerdings von der Obrigkeit erst 1852 genehmigt worden sind.


Gerson Wolf führt das wichtigste daraus in seiner Geschichte der israelischen Cultusgemeinde in Wien 1820 - 1860 an.

Die Wiener Statuten

Zur Ausschreibung der Gemeindewahl am 9.4.1849

Die israelitische Gemeinde in Wien ist eine Religions Genossenschaft und kein politischer Verband.

Der Zweck der israelitischen Religionsgemeinde ist, ihren Mitgliedern die Theilnahme an allen von ihr unmittelbar erhaltenen, jetzt bestehenden, oder in Zukunft noch ins Leben tretenden rituellen Unterrichts- und Wohltätigkeits Anstalten zu gewähren, und die Erhaltung und Förderung derselben auf die zweckdienlichste Weise sicher zu stellen.

Bis zur Feststellung eines definitiven Status bilden diejenigen Israeliten, welche das Bürgerrecht, oder die Zuständigkeit für Wien bereits besitzen werden, so wie jene, welche die Ertheilung der Verfassung vom 4.März 1849 mit behördlicher Bewilligung in der Stadt und der Umgebung ansässig waren, und daher auf die Zuständigkeit Anspruch haben, sammt ihren Frauen und Kindern die israelitische Religionsgemeinde, und müssen sich sofort in die zu eröffnende Matrikel eintragen lassen.

Zu den Rechten der Gemeindemitglieder gehören:

I. actives und passives, nur den Männern zukommendes Wahlrecht zur Ernennung des Gemeindevorstandes.

II. Das Recht zur Theilnahme für sich, ihre Frauen, Witwen und Kinder an allen gottesdienstlichen Anstalten, Unterrichts Anstalten und rituellen Einrichtungen der Gemeinde.

Jedes Gemeindemitglied ist verpflichtet, sich durch die Entrichtung eines directen jährlichen Beitrages an der Erhaltung der Gemeinde Anstalten zu betheiligen.

Es werden zu diesem Behufe sechs Classen und zwar nach den Beträgen von fl. 10, 20, 40, 60, 80 und 100 C.M festgesetzt.
Die Gemeindemitglieder werden aufgefordert, sich in eine dieser Classen nach gewissenhaften Ermessen ihrer Vermögensverhältnisse einzureihen.

Eben so sind alle Israeliten, welche durch ein Jahr hier wohnen, ohne einer der im §.3 genannten Kategorien anzugehören, zur Theilnahme an den gottesdienstlichen, Unterrichts- und rituellen Anstalten der Religions Gemeinde berechtigt; dagegen sind sie verpflichtet, zur Erhaltung derselben verhältnismässig beizutragen, und sich zu diesem Ende ebenfalls in eine für sie zu eröffnende Matrikel eintragen zu lassen.

Der Gesammt-Vorstand bildet aus seiner Mitte eine Commission, welche die eingegangenen Erklärungen der Selbstfassion zu prüfen, etwaige Bedenken in denselben auf dem Wege der Verständigung zu beheben und hiernach die Beitragslisten zu entwerfen hat. In diesen Beitragslisten sind auch die neu aufzunehmenden Mitglieder nach gleichem Vorgange einzutragen, und alle 3 Jahre die diesfällige Revision und etwaige Modifikationen vorzunehmen. Es steht der Commission zu, sich zu diesem Behufe mit Vertrauensmännern zu verstärken.

Rückständig gebliebene Beträge sind einzubringen.

Jeder der Religions-Gemeinde neu Beitretende, welcher nach § 5 beitragspflichtig ist, hat auch eine Aufnahmegebühr zu erlegen, über deren Betrag er sich mit dem Vorstand zu einigen hat. Witwen und Kinder von Gemeindemitgliedern sind von dem Erlage des Aufnahmsbeitrages befreit. Die im letzteren Fall freiwillig geleisteten Beiträge werden nach den Bestimmungen des Spenders den respectiven Wohltätigkeits-Anstalten zugewiesen.

Die Gemeinde wird in allen Religions- und Cultusangelegenheiten durch den von ihr selbstgewählten Vorstand repräsentiert, und deren Angelegenheiten durch denselben verwaltet.

Der Vorstand besteht aus 5 Vertretern und 15 Beiräthen, ausserdem bestehen Vorsteher der einzelnen Institute, welche deren specielle Angelegenheiten, jedoch unter Oberaufsicht des Gemeinde-Vorstandes leiten.

Alle diese Ämter sind Ehrenstellen und als solche unbesoldet.

Vier Wochen vor der im November jeden Jahres statthabenden Wahl der Vorstandsmitglieder stellt der Vorstand das Verzeichnis der Wahlberechtigten den Gemeindemitgliedern zu und bestimmt den Tag der Wahl.

Sollte Jemand gegen die Anführung oder Weglassung eines Namens Einsprache zu erheben Willens sein, so hat er seine diessfällige schriftliche Äusserung 14 Tage vor der Wahl dem Vorstande mitzutheilen, der hierüber rechtzeitig und endgültig entscheidet.

Von dem, nur männlichen Gemeindemitgliedern zustehenden Wahlrechte sind ausgeschlossen:

a) Alle diejenigen, welche unter väterlicher Gewalt, Vormundschaft oder Curatel stehen;

b) Diejenigen, welche zu einer Strafe verurtheilt worden sind, womit die Strafgesetze den Verlust der Ausübung der politischen Rechte verknüpfen, bis zum Erscheinen solcher Gesetze aber diejenigen, welche wegen eines Verbrechens der Gewinnsucht hervorgegangenen, oder die öffentliche Sittlichkeit verletzenden Vergehens, oder einer solche Übertretung schuldig erklärt, oder wegen einer anderen Gesetzesübertretung zu einer mindestens halbjährigen Freiheitsstrafe verurtheilt worden sind.

c) Diejenigen, welche wegen eines Verbrechens oder einer aus Gewinnsucht hervorgegangenen, oder die öffentliche Sittlichkeit verletzenden Vergehens, oder einer solchen Üertretung in Untersuchung verfallen sind, während der Dauer derselben.

d) Diejenigen, welche mit ihrem Beitrage nach § 5 im Rückstande sind, und

e) Diejenigen, über deren Vermögen der Concurs ausgebrochen ist, in so lange die Crida Verhandlung dauert, und nach Beendigung derselben, wenn -die Schuldlosigkeit des Cridatars nicht vollständig nachgewiesen wurde.

Die Wahl ist direct, geschieht persönlich mittelst geheimer Abstimmung, bei den Vertretern nach absoluter, bei den Beiräthen nach relativer Stimmenmehrheit.

Sollten jedoch bei der Wahlversammlung nicht drei Viertel der Wahlberechtigten persönlich erschienen sein, so ist dieser Wahlact als ungiltig zu betrachten, und eine neue Wahl in folgender Weise einzuleiten.

Den Wahlberechtigten werden Stimmzettel gegen Empfangsbestätigung zugestellt, von ihnen ausgefüllt, eigenhändig unterfertigt, und in bestimmter Frist wieder abverlangt.

Wenn die absolute Stimmenmehrheit sich nicht ergibt, so ist die engere Wahl unter denen, welche die relative Stimmenmehrheit hatten, einzuleiten.

Wenn zwei oder mehrere Individuen eine gleiche Stimmenzahl erhalten, entscheidet das Los. Nimmt ein Gewählter die Wahl nicht an, so tritt an seine Stelle derjenige, der respective als Vertreter oder Beirath die nächtsgrösste absolute, oder relative Stimmenzahl für sich hat.

Wählbar ist jedes Gemeindemitglied, welches 30 Jahre alt ist, und mindestens durch 3 Jahre als solches der Gemeinde angehört hat.

Ausgenommen sind: a) die nächsten Verwandten, d.i. Vater, Sohn, Bruder von gleichzeitig fungierenden, oder neu gewählten Vertretern oder Beiräthen.

b) Alle Personen, welche nach § 15 vom activen Wahlrechte ausgeschlossen sind, so wie Jene, die eine Armenversorgung geniessen oder vom Tag-oder Wochenlohn leben.< br>

c) Gemeinde-Beamte

d) Gemeinde Diener

e) Säumige Schuldner der Gemeinde und

f) Jene, welche in der Vermögensverwaltung der Gemeinde, oder einer Gemeinde-Anstalt mit Rechnung in Rückstande sind.

Den Wahlakt überwacht und vollzieht eine Commission, bestehend aus einem Vertreter, zwei Beiräthen und zwei hiezu von dem Vorstande einzuladenden Gemeindemitgliedern.

Die nach diesem Wahlmodus neu gewählten Vertreter und bleiben 5 Jahre im Amte.

Nach Ablauf derselben trifft jedes Jahr ein Vertreter und drei Beiräthe die Reihe des Austrittes, und zwar in den nächstfolgenden 5 Jahren nach dem Lose, später nach dem Amtsalter. Dieser Austritt findet Ende December statt. Die Amtswirksamkeit der Neugewählten beginnt am darauffolgenden1.Jänner. Die Austretenden können wieder gewählt werden.

Die Vertreter wählen aus ihrer Mitte einen Vorsitzenden auf Dauer eines Jahres. Bei Sitzungen, welche die Vertreter und Beiräthe gemeinschaftlich abhalten, führt er ebenfall des Vorsitz, in seiner Abwesenheit vertritt ihn ein anderes Mitglied aus der Zahl der Vertreter nach deren Bestimmungen für den jeweiligen Fall.

Zur Fassung eines Beschlusses in den Sitzungen der Vertreter ist die Anwesenheit von drei, in gemeinschaftlichen Sitzungen der Vertreter und Beiräthe die von 12 Mitgliedern ( drei Vertreter und neun Beiräthe) erforderlich. Bei gleicher Stimmenanzahl steht dem Vorsitzenden ein Doppelvotum zu.

Abwesende können weder schriftlich votiren, noch sich durch ein anderes Mitglied vertreten lassen.

Ueber alle Verhandlungen wird ein Protokoll vom Sekretär geführt, und dieses von allen Anwesenden unterzeichnet, den Abwesenden aber zur Kenntnisnahme und Vidierung mitgetheilt.

Der Vorsitzende ist berechtigt, die Mitglieder zu Sitzungen einzuberufen, auf Verlangen von 5 Mitgliedern des Gesammtvorstandes ist er hierzu verpflichtet. Die Sitzungen der Vertreter haben in der Regel wöchentlich, die des Gesammtvorstandes monatlich, und zwar in der ersten Woche jede Monats, stattzufinden.

Die Vertreter sind verpflichtet, für die Ausführung der in den Sitzungen gefassten Beschlüsse zu sorgen.

Die Leitung sämmtlicher Gemeinde-Angelegenheiten liegt den Vertretern ob; ebenso die Vertretung nach Aussen den Behörden und den einzelnen Mitgliedern der Gemeinde gegenüber.

In Betreff der Führung der Geburts-; Trauungs- und Sterberegister ist sich jederzeit genau nach den hierüber bestehenden gesetzlichen Bestimmungen zu beachten.

In wichtigen Repräsentations-Fällen haben die Vertreter durch von ihnen hierzu bestimmte Mitglieder des Beirathes sich zu verstärken.

Ehrenämter und solche Dienststellen, zu denen eine besondere Bildung oder eine höhere Intelligenz erforderlich sind, wie Seelsorger, Lehrer, Secretär, Verwalter, u.s.w., verleiht der Gesammtvorstand.

Die anderweitigen Dienststellen werden von den Vertretern, ohne Zuziehung des Beirathes, verliehen. Die Entlassung der Gemeinde-Angestellten findet nach den bei deren Aufnahme zu Grunde gelegten Principien statt.

Die Vertreter legen dem Beirathe jährlich den Voranschlag des Gemeindehaushaltes und der Beiträge zur Mitgenehmigung, und die geschlossene Jahresrechnung zur Ertheilung des nöthigen Absolutoriums vor. Die Jahresrechnung bleibt jedem Mitgliede der Gemeinde 14 Tage nach dem Abschluss offen.

Bei Contrahierungen von Anlehen, Verkäufen, und Erwerbungen, Verträgen, Vergleichen u.dgl. m. von höherem Belange ist die Zustimmung des Beirathes erforderlich. Gleiches findet in der Beziehung auf alle sonstigen wichtigeren Angelegenheiten der Gemeinde unerlässlich statt.

Der Beirath ist berufen, die gegenwärtigen Statuten auszulegen, wenn zwischen den Vertretern und den Gemeindemitgliedern eine divergierende Ansicht besteht.

Änderungen in den Statuten können nur unter Zustimmung von zwei Drittheilen, d.i. von mindestens 14 Vorstandsmitgliedern beantragt werden, dürfen jedoch erst nach einverständlich ertheilten Genehmigung von Seite der Ministerien des Innern und des Cultus in Wirksamkeit treten.

Die Wiener Wahlordnung hat mit der Loews nur mehr zum Teil zu tun. Die ihm Los-und Zufallsverfahren ermittelten Wahlmänner scheinen so keine Rolle mehr gespielt zu haben. Nicht klar hervor geht, wie sich die Kandidaturen ergeben haben.

Es scheint jedoch eine allgemeine Annäherung an gängige bürgerliche Wahlverfahren bzw. Vorstellungen davon gegeben zu haben.
Die Juden waren unumkehrbar auf dem Weg in die allgemeine Integration, der 90 Jahre später ins absolute Verderben führen sollte.

Im der Schlussbemerkung des Redakteurs der Neuen Freien Presse Wilhelm Goldbaum zur Geschichte der österreichischen Juden von Gerson Wolf zieht dieser 1883 Bilanz über den Fortgang der Emanzipation der österreichischen Juden, lässt erkennen, wieviel Gutes in einem relativ kurzem Zeitraum geschehen ist und sieht aber doch die düsteren Wolken am Horizont der geschichtlichen Entwicklung heraufziehen.

Der Politiker steht ratlos am Grab der schönsten Hoffungen. Er ist wie der Baumeister, der einen Bau bis fast zur Kuppel empor geführt hat und plötzlich Risse und Sprünge in den Fundamenten entdeckt, welche seinem Bau den Einsturz drohen.
Was hat ihm alles Sinnen und Mühen, alles Ringen und Kämpfen, alle Hingebung an die Sache des Volkes genützt, wenn plötzlich Unholde aus der Tiefe empor steigen, um sein Werk schmachvoll zu vernichten ?
Sie geben sich einen Namen: Antisemiten, sie predigen das rohe Gebot von der Rechtsverschiedenheit der Racen, sie erheben die brutale Gewalt zu einem Factor im modernen Staate. Und die Juden sind das Versuchsobject für die neue Lehre. Aber was liegt am Ende an den Juden ? Ginge es darum, diese mit Gewalt niederzukämpfen, so wäre der Antisemitismus eine schamlose Feigheit, er Riese stünde wieder den Zwerg.

Doch es geht um etwas Anderes. Was man den Juden nehmen kann, obwohl es ihnen in den Verfassungen verbürgt ist, die persönliche Sicherheit, den gleichen Anspruch auf Pflicht und Recht im Staate, das nimmt man gelegentlich auch den Übrigen, denen es ja ebenfalls durch Verfassungen verbürgt ist. Und das verhüte Gott !

Die Antisemiten bilden den Vortrab der Reaction. Wenn sie von Capitalismus, von Nationalismus, von Patriotismus reden, so ist es Lüge und nichts als Lüge.
Der Capitalismus ist nicht etwas ausschliesslich Jüdisches und noch weniger etwas an und für sich Schädliches; der Nationalismus ist in seiner Ausschliesslichkeit ein Unglück für den Staat, welchem man ihn als treibenden Gedanken aufnöthigen will; der Patriotismus ist ein gemeinschaftliches Gut aller, welche derselbe Boden zeugt, er hat mit Race und Bekenntnis nichts zu schaffen.

Verfasst im Seebad Norderney, im August 1883.

Aber nicht nur der Liberalismus wird mittels des Antisemitismus denunziert, auch soziale demokratische Strömung werden so ins schiefe Licht gebracht.

Die Folgen der Geschichte sind bekannt. Darüber mehr in einem weiteren Text.

Quellenangaben:

1) Das Alte Testament

2) Die Völker Österreich - Ungarns
Ethnographische und Culturhistorische Schilderungen
Die Juden
Gerson Wolf K.u.K Hofbuchhandlung Karl Prochaska
1883, Wien und Teschen

3) Die alten Statuten der jüdischen Gemeinden in Mähren, sammt den nachfolgenden Synodalbeschlüssen
veröffentlicht von Gerson Wolf
Verlag M. Waizner
1880 Wien

4) Geschichte der Israelitischen Cultusgemeinde in Wien (1820 - 1860)
Gerson Wolf
Verlag Wilhelm Braumüller
1861 Wien

5) Zur Culturgeschichte in Österreich Ungarn (1848 -1888)
Gerson Wolf
Verlag Alfred Hölder
1888 Wien

6) Die Vertreibung der Juden aus Böhmen im Jahre 1774 und deren Rückkehr im Jahre 1748
Gerson Wolf
Druck Oskar Leiner
1869 Leipzig

7) Das jüdische Prag. Denkwürdigkeiten
Ctibor Rybáe
Eigenverlag
1991 Prag

8) Der Mann ohne Vorurteil
Dolf Lindner
Österreichischer Bundesverlag
1983 Wien

9) Neun Tore - Das Geheimnis der Chassidim
Georg Langer
Abraham Melzer Verlag
Neuauflage 2004

10) Illustrierte Geschichte des Judentums
Hrsgb. Nicholas de Lange
Campus Verlag
2000 Frankfurt/ Main

11) Die Geschichte des Judentums
GEO Epoche, das Magazin für Geschichte Nr.20
Gruner + Jahr AG
2005 Hamburg

Verfolgt, verachtet, geächtet... ermordet

Das grosse Verderben Antisemitismus


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