Der europäische Himmel - Michelangelo Buonorrotis Welt


Ein Streifzug 1991

© Franz Krahberger

Michelangelo ist es in unserer Zeit ergangen, so wie es allen Göttern und Himmelsboten widerfahren ist. Sie leben weit von entfernt. Jeder weiß von ihnen, wenige wissen Genaues über sie zu berichten und niemand nimmt sie mehr wirklich ernst. Sie wirken wie verblassende Mythen in der Geschichte der Menschheit. Treten wir näher an sie heran, merken wir, daß sich ein Vielzahl von Intellektuellen, Forschern Künstlern, Schriftstellern mit ihnen auseinandergesetzt hat, daß sie in das Repertoire des Films und der Television aufgenommen wurden und damit einer großen Zahl von Menschen zugänglich geworden sind.
Sie sind Fixsterne am Himmel der Menschheitsgeschichte, die man eben nicht mehr wahrnimmt, weil sie nun für alle Zeiten da sind.
Das Werk Michelangelos ist eines der wichtigsten und bahnbrechendsten der Kunstgeschichte und seine Zeit zählt zu den wesentlichen Kristallisationspunkten der Weltgeschichte.Wir begegnen den Namen seiner Zeitgenossen in unserem täglichen Medienleben , ohne daß wir sie tatsächlich bewußt zuordnen und in Zusammenhang bringen.
Leonardo da Vinci, Lorenzo di Medici, die Borgias, Raphael, Maximilian I, Karl V, Heinrich VIII, Savonarola, Ignatius von Loyola, Albrecht Dürer, Paracelcus, Kopernikus, Christoph Kolumbus, Machiavelli, Thomas Morus, Martin Luther sind längst standardisierte Repräsentanten europäischer Geschichte.

Sie werden nach wie vor ins Gespräch gebracht. Heinrich der VIII als zügelloser Blaubart, Karl V findet laufend Erwähnung in der Diskussion um die europäische Gemeinschaft EWG, Leonardo da Vinci wird gern in der Beziehung von Kunst und Technik zitiert und Savonarola, Machiavelli und Luther werden in politischen und moralischen Fragen wie auch deren kritischer Hinterfragung nach wie vor genannt. Allen ist eine bestimmte flache Symbolik eigen geworden.

Diese Männer werden nicht deswegen erwähnt, weil man damit etwa mit seiner Bildung glänzen will, sondern weil sie tatsächlich zentrale Bedeutung und Wirkung in der europäischen Geschichte haben.
Andererseits, Dante , das große geistige Vorbild Michelangelos ist bekannt als einer, der seine Schönste ein ganzes Leben lang verehrt hat, ohne ihr jemals näher zu treten. Dass die Komödie zu einem der wichtigsten moralischen Werken des Mittelalters zählt, daß die diese Arbeit ein Gesamtschau der bis dahin bekannten Menschheitsgeschichte darstellt, ist nur mehr wenigen Interessierten von Bedetung.
Heinrich VIII ist nicht bekannt als Reformator sondern als blutiger Lüstling, und der Politikhistoriker Machiavelli gilt als skrupelloser Machtmensch, obwohl er über die Macht und die Mächtigen nur offen und ehrlich geschrieben hat. Seine geistigen Opponenten Savonarola und Loyola müssen als Inbegriff des religiösen Fanatismus herhalten.
Vergessen ist auch, daß viele der Renaissance-Intellektuellen Verfolgung und Verbannung erdulden mußten, daß auf viele das Bild des Dissidenten unserer Tage zutrifft.
Michelangelo ist auf eigenartige Weise entrückt. Auch die Restauration des Deckenfreskos in der Sixtina, gesponsert durch einen japanischen Medienkonzern hat daran nicht viel geändert. Das unablässig sich drehende und vernichtende Messer der Avantgarde hat Wirkung gezeigt und fast allen Kontext aus der Gegenwartskunst zugunsten einer Reduktion seziert und verbannt.

So wird es zu einem im Kunstbetrieb kaum mehr erzielbaren Vergnügen, sich einem vor vierhunderten Jahren lebenden und schaffenden Künstler zuzuwenden und als stiller Betrachter , der sich weder dem Markt noch der Kunsthistorie verpflichtet fühlt, am abgeschloßenen Werk die Welt, das menschliche Wesen und die Natur einer bestimmten Form von Kunst zu reflektieren ohne sich den ewigen und unsinnigen Vorwurf der Formalisten machen zu lassen, dieses und jenes Werk sei zu literarisch und so nicht Kunst. Darunter wird vor allem der Artefakt, der sich zunehmend an unserer industrialisierten Gestalt- und Warenwelt orientiert, verstanden.

Es ist spannend, in diese vergangene Welt einzutauchen und der mögliche Irrtum rückt sich durch behutsame Annäherung an den Stoff von alleine zurecht. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß die Beschäftigung mit Geschichte und historischen Hervorbringungen einen Spielraum offen läßt, ja gerade zu von ihr gewünscht wird.
Spekulatives und assoziatives Denken ist erlaubt, selbst wenn es dem Ergebnis an positivistischer oder historisch-materialistischer Beweiskraft fehlt., vielleicht auch deswegen weil sich bestimmte Widersprüche oder Ungereimtheiten nicht mehr aufklären lassen. Aber vielleicht ist das so oder so nur eine Schwäche, die wir mit unserer stringenten, schlüssigen und damit linear geschlossenen Denkwelten eingehandelt haben. Das heißt nicht, Genauigkeit zu mißachten, wo Genauigkeit möglich ist.

. Michelangelo, eine der widersprüchlichsten und spannendsten Renaissanceerscheinungen, an der sich eine Unmenge von Schnittstellen geistiger und moralischer Auseinandersetzungen bündeln, liegt seltsam im Dunkel kulturellen Bewußtseins, obwohl seine Malerei und sein Werk kunsthistorisch gesichert und nach wie öffentlich zugänglich ist.
Er ist nicht eindeutig festlegbar auf eine rein christliche Ideologie und ebensowenig festlegbar auf eine rein heidnische Weltanschauung und gerade deswegen entsteht ein hochinteressantes Spannungsfeld von eigenem Kunstwollen und Vorstellungen der Auftraggeber.
Michelangelos Aufträge kamen sowohl aus dem kirchlichen, öffentlichen wie auch privatem Bereich, doch niemand war imstande, im Vorschreibungen zu machen. Im Gegenteil, er bestimmte den Stil der bildenden Kunst seiner und der folgenden Zeit.
Eindeutig ist das Bekenntnis des Michelangelo zum nackten männlichen Körper, zu einer starken erotischen lebensbejahenden, also diesseitigen Ausstrahlung, die im Gegensatz zur mittelalterlichen Kunstauffassung steht.

In der Darstellung der menschlichen Gestalt nimmt er nicht nur einen künstlerischen sondern auch einen naturwissenschaftlichen Standpunkt ein. Um zu einer genauen Kenntnis des menschlichen Körpers zu gelangen, seziert er Leichen, obwohl dies bei schwerster Bestrafung untersagt ist. Er geht für die Studien der Grundlagen seiner Kunst ein enorm hohes Risiko ein. Und doch haben seine Arbeiten darüber hinaus etwas an sich, daß einer anderen Dimension entstammt, nämlich der der lebendigen Anschauung und der Liebe zum menschlichen Körper
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Faszinierend ist die Universalität Michelangelos. Von den einfachen Handgriffen des Steinmetzen bis hin zu komplizierten Kompositionen in Zeichnung und Malerei, bis hin zur Konzeption und Modellierung technisch anspruchsvoller Aufgaben beherrscht er alles. Allein schon die Herstellung des 5,6 m hohen Giganten, des David, aus einem vorgefundenem, in andere Richtung bearbeiteten Stein ist eine herausragende Leistung die auf geniale Flexibilität und absolute Beherrschung der Materie schließen läßt. Michelangelo war mit hoher Intuition für das Material ausgestattet und er führte das meiste vor allem selbst aus. Und angesichts der Zahl und Größe der Skulpturen, angesichts der bemalten Flächen der Sixtina und der damit verbundenen malerischen und gestalterischen Innovation, ergibt sich eine enorme quantitative Leistungskraft, die voll in Qualität umgesetzt worden ist. Eigenwillig und revolutionär für seine Zeit wirkt die Farbgebung, und, obwohl er zur Malerei mehr oder minder gezwungen wurde, hat er auch darin bahnbrechendes geleistet.

Die größte technische Leistung Michelangelos ist zweifellos die Planung der Kuppel und die Errichtung des Petersdoms nach den Plänen Bramantes: Erselbst hat wahrscheinlich den Neubau durch das monumental konzipierte Julius Grabmal ausgelöst, das so nicht mehr in den alten Dom passet. Erst seine technischen Überlegungen und seine Strukturierung der Bauorganisation der ursprünglichen Bramante Planung führten schließlich Jahrzehnte nach seinem Tod zur Fertigstellung dieses Jahrhundertbauwerkes. Michelangelo vereinigt in einer Person schöpferische Kunst und hervorragende Ingenieurleistung.

Wie stehen dem universellen Künstler der Renaissance gegenüber. Leonardo da Vinci, unbestritten seiner Leistung, wirkt da plötzlich wie ein Concept-Artist.

Beeindruckend ist der kulturelle Bogen, den er mit seinem Wissen umspannt. Das Altertum, das Archaische ist im ebenso gewärtig wie die geistige Entwicklung auf der Höhe seiner Zeit. Sein Engagement gilt den kritischen Strömungen, die hell über den menschlichen Wirren und Irrfahrten der Renaissance aufleuchten. Die Kraft schöpferischer Integration und Verschmelzung spricht aus seinem Werk. Wer es zu lesen versteht, wird bereichert sein.

1475 Michelangelo Buonorroti
geb.6.März 1475 Caprese bei Arezzo
gest. 18.Febr.1564 in Rom

1488 Michelangelo tritt in die Werkstatt des Domenico Ghirlandaio ein
Er malt sein erstes Bild nach einem Kupferstich des deutschen Malers Martin Schongauer. Die Versuchung des heiligen Antonius. Eine Gesellschaft fratzenhafter Ungeheuer entführt den heiligen Antonius in die Lüfte entführt.

1489 Francesco Crannacci, einem Günstling Lorenzo Medicis führt Michelangelo in den Garten von San Marco ein. Der Bildhauer Bertoldo nimmt ihn als Schüler auf. Im Garten waren Skulpturen aufgestellt, in den dazugehörigen Gebäuden hingen Bilder und Kartons der ersten florentinischen Meister. Der Bildhauer Bertoldo, ein Schüler Donatellos, leitete die Übungen. Der Mitschüler Torrigiano zerschmettert ihm aus Eifersucht auf die Tüchtigkeit mit einem Faustschlag das Nasenbein.

1490 /91 Michelangelo kopierte die Maske eines Fauns. Lorenzo Medici, dem diese Arbeit auffiel, nimmt ihn in den Palast auf.
Der Dichterphilosoph Polizian führte ihn in die Kenntnis des Altertums ein. Auf seine Anregung hin entsteht das Marmorrelief des "Zentaurenkampfes".
Bertoldo unterweist ihn im Erzguß.
Lorenzo Medici bringt seinen Schützling mit den hervorragenden Denkern Italiens zusammen. Die platonische Akademie. Zur selben Zeit kommt Savonarola nach Florenz und fordert Reform in politischer und sittlicher Beziehung .

Zeitgeist: Geweihte Priester, Bischöfe und Kardinäle dichten obszöne Verse und bekennen sich öffentlich dazu. Die Lehren der Religion werden verspottet und erniedrigt. Astrologie und Wahrsagerei sind offizielle Einrichtungen, ohne deren Zustimmung selbst die Päpste nicht handeln würden.
Lorenzo begünstigte das Kloster Savonarolas

1492/93 Michelangelo arbeitet am "Herkules" für den französischen König und schafft das hölzerne "Kruzifix" für den Hauptaltar von Santo Spirito.
Lorenzo Medici verstirbt 44 jährig. Michelangelo verläßt den Medicipalast.
Innozenz VIII stirbt und Alexander VI Borgia wird Papst.
Marsilio Ficino, Neuplatoniker unterwirft sich der Lehre Savanarolas. Polizian endet im Wahnsinn.

1494 Flucht nach Bologna. Aufenthalt im Palast des Messer Aldovrandi in Bologna. Michelangelo eignet sich genaue Kenntnis von Dante, Boccaccio und Petrarca an. Die Statue des "knienden Engels" entsteht.
Lorenzo di Credi, Baccio della Porta, Cronaca, Botticelli kämpften mit ihrem Gewissen, ob die Arbeiten, die sie so schön hervorgebracht hatten, nicht Werke des Teufels seien.

1494
Die Medici werden zu Feinden von Florenz erklärt.

1495 Michelangelo kehrt nach Florenz zurück und führt den "Cupido" aus, die als echte Antike gehandelt wird.
Baccio della Porta und Lorenzo di Credi verbrennen eigene Arbeiten.
Für den Umbau des Saals für das Consiglio Grande im Palast der Regierung auf Drängen Savonarolas wird u.a auch Michelangelo zu Rate gezogen.

1496 Mit 21 Jahren kommt Michelangelo nach Rom. Hier lernt er die Arbeiten zweier Meister kennen. Mantegna und Melozzo. Michelangelos erste Arbeit, die er in Rom ausführt, ist die Statue eines trunkenen Bacchus (August 1497). Das Bildnis der Madonna entsteht.
In der Zwischenzeit wächst die Macht und Einfluss Savonarolas in Florenz.
Am 12.Mai 1497 exkommuniziert Alexander Borgia Savonarola.
Die florentinische Regierung bleibt bis zum März 1498 in den Händen der Anhänger Savonarolas.
Savonarola fordert die Einberufung eines Konzils.
Savonarola wird zum Tod verurteilt und am 23.Mai 1498, am Himmelfahrtstag, verbrannt.

1498/99 entsteht Michelangelos Hauptwerk, die Pieta. Damit avanciert er vom geachteten Künstler zum berühmtesten Bildhauer Italiens.

1501 Michelangelo ist wieder in Florenz. Die Wollwebergilde beauftragt ihn mit der Ausführung des "David" (9 Ellen hoher Stein) .Für diesen Auftrag stellt Michelangelo im Auftrag des Kardinal Piccolomini über 15 lebensgroße Marmorstatuen für eine Grabkapelle seiner Familie zurück.
Die Brügger Madonna dürfte ebenfalls in der Zeit von 1501 entstanden sein.

1503 schloßen die Konsuln der Wollweberzunft einen Kontrakt über die Herstellung von 12 Apostelskulpturen. Alle Jahre sollte ein Apostel geliefert werden. Mit jeder Statue gehe ein Zwölftel des Eigentums an einem Haus auf Michelangelo über, daß der Kirchenvorstand nach seinen Vorschlägen als Werkstätte eigens für ihn erbauen ließ.
Etwa zur selben Zeit befindet sich der 50 jährige Leonardo in Florenz und malt die Mona Lisa.
Am 15.August 1503 vergiften sich Alexander und Cesare Borgia versehentlich an dem für einen Kardinal bestimmten präparierten Wein.
Im weiteren entstehen die "Madonna von Brügge" und das Rundbild der "Heiligen Familie" für Agnolo Doni.
Leonardo 1504 wurde beauftragt die eine große Wand des Consiglio grande zu bemalen. Michelangelo zeichnet im Wettstreit mit ihm an der "Kampfszene aus der Schlacht bei Pisa". Der Karton der "Badenden" entsteht, der eine Schlüsselposition für die neue Auffassung der Malerei im Cinquecentro einnehmen wird.

Der David wird fertig. Die Aufstellung wird zum Naturereignis, nachdem die Bevölkerung zu rechnen pflegte: so und soviel Jahre nach der Aufstellung des Giganten.
Kardinal Piccolomini besteigt als Pius. III den päpstlichen Stuhl
Michelangelo stellt 4 Statuen für Siena fertig.
Gegen Pius III vereinigen sich die Kardinäle, laßen ihn vergiften und an seine Stelle tritt mit seltener Einstimmigkeit Kardinal Vincula unter dem Namen Giulio II.

Im Herbst desselben Jahre erhält Michelangelo, nach einer Sommerpause, die der Lektüre und der Dichtung gewidmet war, den Auftrag die zweite große Wand zu bemalen.

Etwa zur selben Zeit betritt Raphael florentinischen Boden.

Der Architekt San Gallo (er hatte im Auftrage von Lorenzo Medici einen Palast für den Herzog von Kalabrien errichtet) wird an den päpstlichen Hof Julius des II. berufen. San Gallo macht den Papst auf Michelangelo aufmerksam.

1505 trifft Michelangelo in Rom ein. Julius II. beauftragt ihn mit dem Entwurf eines kolossalen Grabmonuments in der Basilika von Sankt Peter.
Diese Kirche, ein ungeheures Werk aus den ältesten Zeiten des Christentums, an dem Jahrhunderte hindurch gebaut worden war, besaß eine Fülle von Kunstschätzen.Unaufhörlich wurde an diesem Zentralheiligtum der christlichen Welt gearbeitet und im großen oder kleinen Altes verändert und Neues hinzugefügt.
Der Neubau der Basilika wird in Angriff genommen und die Errichtung eines neuen gewaltigen Tempels beschlossen. Bramante gewinnt gegenüber San Gallo, der den Vatikan verläßt.
Bramante ist nun mißtrauisch gegenüber Michelangelo, ist dieser doch ein Protege Gallos.

1506 ist jedenfalls Michelangelo mit einem Teil seiner Blöcke für das Julius Grab aus Carrara zurück.
Im Frühling 1506 wird die Laokoongruppe in den Ruinen des Tituspalastes entdeckt. ( Die Schlangen - Das Band der Liebe). Julius trat mit einem neuen Plan an ihn heran, da ihm eingeredet worden war, daß die Errichtung eines Grabmals zu Lebzeiten eins schlechtes Omen sei. Die Wölbung der Sixtina sollte mit Malereien versehen werden. Es kann angenommen werden, daß die Initiative dazu von Bramante ausging, um Michelangelo auf ein für ihn unsicher erscheinendes Feld zu locken.
Michelangelo entzweit sich mit dem Papst und verläßt Rom. In Florenz nimmt er die Arbeit am Karton wieder auf.

Am 8.Juli 1506 fordert Julius die Florentinische Regierung auf, Michelangelo dazu zu bewegen, nach Rom zurückzukehren und verspricht ihm Straffreiheit.
Nach der zweiten päpstlichen Aufforderung sagt ihm der Gonfalonier Soderini, daß sich Florenz wegen ihm keinen Krieg mit dem Papst leisten wolle.
Michelangelo überlegt nun, ein Angebot des türkischen Sultans anzunehmen. Erst als in die Florentiner zu ihrem Gesandten am päpstlichen Hof machen, überwindet Michelangelo die Scheu vor der Rückkehr in den Vatikan.
Der Papst führte jedoch Krieg und so konnte Michelangelo seinen Karton in Florenz fertigstellen, der sich als Schule für eine ganze Künstlergeneration herausstellte. Der Karton wurde jedoch niemals an einem Bauwerk ausgeführt.
Mit Leonardo da Vincis Arbeit ging es nicht so recht voran, die Arbeit verdarb ihm unter den Händen.
Michelangelo kehrt zurück an den päpstlichen Hof und trifft den leicht zürnenden Julius auf halben Wege in Bologna. Die Gunst des Heiligen Vaters wird ihm weiterhin unvermindert zu Teil.
Er beginnt mit der Arbeit an einer kolossalen Bronzestatue Julius II.

1508 Enthüllung der Bronzefigur Julius II in Bologna. Michelangelo kehrt er nach Florenz zurück, blieb bis März und geht wieder nach Rom.
Michelangelo entwirft für das Deckenwerk der Sixtina ein Gerüst, ein frei haltendes Sprengwerk ohne Bodenstützen. Von dieser Gerüstkonstruktion sagt Condivi, sie habe Bramante die Augen geöffnet und ihm später beim Bau von Sankt Peter wesentliche Dienste geleistet.
Michelangelo entschließt sich die Arbeit allein auszuführen und nimmt nur die Dienst eines Farbenreibers in Anspruch.

Michelangelo dirigiert von Rom aus als Oberhaupt seiner Familie den Florentiner Haushalt. Er wird von seiner Familie wird er in allen, auch in den geringfügigsten Angelegenheiten befragt.

1509 war die halbe Arbeit in der Sixtinischen Kapelle vollendet und wird enthüllt. Die besten Künstler haben in ihr gearbeitet; Botticelli, Signorelli, Ghirlandaio, Perugino....
Michelangelos Deckengemälde bezeichnen den Anbruch neuer Anschauungen. Er erfand ein neues Prinzip. Er ignorierte gleichsam die Wölbung, richtete die Malerei so ein, als wäre der Raum oben offen und ohne Dach, baute eine neue Architektur in die freie Luft hinein, alles durch perspektivische Täuschung, und verband die imaginären Marmormauern, die er ringsum mit einem prachtvollen Gesims versehen hatte, durch luftige, durchbrochenes Bogenwerk, das sich von einer Marmorbrüstung zur anderen hinüberspannte.

1511 Die Bronzestatue Julius II wird in Bologna von den Bentivoglio zerstört.
1512 Im Oktober wird die Arbeit an der Sixtinischen Decke abgeschlossen.

1513 Am 21.Februar stirbt Julius II
Michelangelo nimmt die Arbeit am Grabmal wieder auf. Der Moses dürfte zuerst entstanden sein. Diese Arbeit verblieb jedoch noch fast 40 Jahre in seiner Werkstätte.
Machiavelli schreibt sein Buch Il Principe und widmet es dem jungen Lorenzo.

1515 Papst Leo X (Medici) .
Michelangelo arbeitet zu dieser Zeit an den beiden gefesselten Jünglingen. (Der sterbende Jüngling). Der Papst beauftragt in mit der Ausgestaltung der Fassade von San Lorenzo, der mediceischen Familienkirche in Florenz. Er entwirft und fertigt ein Modell aus. Die Arbeit selbst wird nie realisiert werden. Die neue Tätigkeit, in welche Michelangelo durch den Auftrag Leo X versetzt worden war, forderte nicht nur einen Bildhauer und Baumeister, sondern einen Ingenieur, und dazu einen Mann, der Leuten zu befehlen verstand. Michelangelo war offensichtlich damit überfordert, er, der immer alles selbst ausführen wollte, war nicht imstande zu delegieren. Erst im Neubau von St.Peter erwies er sich auch diesen Anforderungen gewachsen.
Der Karton der Badenden wurde zu dieser Zeit zerstört.
Es scheint das Leos und Michelangelos Naturen einander abstießen. Leo scheute sich vor ihm. Er sprach offen aus, Michelangelo sei so wild, und es lasse sich mit ihm nicht verkehren.

1517/ 1518 Aufenthalt in Rom, er arbeitet am Juliusgrab weiter.

1518/1519 Aufenthalt in Carrara und Serevezza zur Beschaffung der Marmorblöcke für das Juliusgrabmal und für die Fassade von San Lorenzo

1519 stirbt Lionardo da Vinci.
Die Akademie in Florenz ernennt Michelangelo zu ihrem Mitglied.

1520 Am Karfreitag stirbt Raphael

1520/21 Michelangelo schafft den "Christus der Minerva" und beginnt die Arbeiten für die Mediceerkapelle in San Lorenzo.

1521 Erkrankung Michelangelos

1522/23 Fortsetzung der Arbeiten für das Juliusgrabmal

1524/25 Erstellung der Mediceer-Grabmäler

1529 Michelangelo wird in den Rat der Neun aufgenommen und zum Generalkommisär und Prokurator der Festungsarbeiten von Florenz ernannt.

Während der Belagerung von Florenz flieht er nach Ferrara und Venedig. Im November kehrt er nach Florenz zurück und befestigt die Kirche von San Miniato al Monte.

1533 Freundschaft mit Tommaso Cavalieri

1534 Lodovico, der Vater Michelangelos stirbt. Michelangelo übersiedelt endgültig nach Rom

1535 Papst Paul III ernennt Michelangelo zum obersten Baumeister, Bildhauer und Maler des vatikanischen Palastes.

1536 Michelangelo beginnt das "Jüngste Gericht" an der Hauptwand der Sixtinischen Kapelle. Der Auftrag stammt noch von Papst Clemens.

1538 Freundschaft mit Vittoria Colonna, Marchesa von Pescara.

1541 Enthüllung des "Jüngsten Gerichts"

1543/44 Fresken in der Paulinischen Kapelle

1544 Zweite schwere Erkrankung Michelangelos. Er wird im Haus des Luigi del Riccio gesundgepflegt.

1545 Fertigstellung des Juliusgrabmales

1547 Antonio Sangallo stirbt und Michelangelo wird als sein Nachfolger von Paul III zum Baumeister von St.Peter ernannt.
Vittoria Collonna und sein Freund Sebastiano del Piombo sterben.

1549/50 Vollendung der Fresken in der Paulinischen Kapelle. Arbeit an der "Kreuzabnahme" für den Dom von Florenz.

1555 Tod des Urbino, des Gehilfen und Dieners Michelangelos.

1558 Modell für die Kuppel von St.Peter

1559/60 Entwürfe für die Kirche San Giovanni de Fiorentini

1563 Michelangelo wird Vorsitzender der Zeichenakademie in Florenz.

1564 18. Februar: Michelangelo stirbt in Rom

1564 14.Juli: Leichenfeier in San Lorenzo zu Florenz

Mit dem Eintritt in den Skulpturengarten des Lorenzo di Medici, den dieser zur Ausbildung und Förderung junger Talente eingerichtet und vom Bildhauer Bertoldo, einem Schüler Donatellos , geleitet wurde , beginnt nicht nur Michelangelos ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Handwerk der Kunst. Die Aufnahme in den mediceischen Pflanzgarten wird auch richtungsweisend für seine geistige Bildung. Lorenzo Magnifico hatte die Schule eingerichet, um die Künste wieder auf die Höhe der Kunst des Altertums heranzuführen. Mit der Ausfertigung des "Alten Fauns" fällt das junge Talent Lorenzo auf und er nimmt den jungen Michelangelo zu sich in seinen Palast. Michelangelo sitzt künftighin am Tisch der mediceischen Familie. Lorenzo sammelte nicht nur die Talente um sich, er zog auch die hervorragendsten Denker Italiens an seinen Hof, nach dem Vorbild des Cosimo Medici. Michelangelo begegnet so in jüngsten Jahren Männern wie dem Universalisten Pico della Mirandola, dem humanistischen Dichter Angelo Poliziano, dem Dantekenner, Platoniker und Kunstkritiker Landino und der große Marsilio Ficino. Das was Lorenzo nun in der Kunst initierte, hatte Cosimo bereits in der Philosophie vollbracht. Auf Anregung des in Italien lehrenden Griechen Gemistos Plethon gürndete Cosimo 1462 die "Platonische Akademie" und beauftragte Marsilio Ficino mit der Übertragung griechischer Handschriften und bildete damit eine wesentliche Grundlage der Erforschung des platonischen Werkes und Denkens. Lorenzo setzte auch diese Linie konsequent fort.

Angelo Poliziano Humanist, Dichter in drei Sprachen - griechisch, lateinisch, italienisch - wurde der vierte Lehrmeister Michelangelo. Er führte ihn in die Welt der Antike ein. Michelangelo konnte allerdings nur italienisch. Poliziano war homosexuell. Es liegt nahe, zu vermuten, daß Poliziano den jungen Michelangelo nicht nur in die geistige und künstlerische Welt des Altertums eingeführt, sondern ihm auch die Augen für die Männerliebe geöffnet hat. Ein Hinweis ist, daß Polizian Michelangelo zur Darstellung des Raubs der Dejanira und des Kentaurenkampfes anregte. Das ganze sieht gar nicht so kämpferisch aus, sondern könnte ebenso eine Gruppe sich lustvoll balgender junger Männer und Jünglinge ausdrücken.
Und es spricht auch aus damaliger Sicht nichts dagegen, daß ein gelehrter Mann, der seine sexuelle Haltung als Ausdruck einer verfeinerten Kultur ansieht, diese auch seinem jungen Schüler mitteilt. Wie in vielem mit und um Michelangelo wäre es falsch, in und seine Weggefährten an der heutigen Moral zu messen. Diese Überlegung sei mir erlaubt.
Poliziano war zweifellos ein libertärer Geist und er besang unter anderem auch die Passionen seines Brotherrn Lorenzo Magnifico und Maler, wie etwa Leonardo da Vinci malten die Mätressen ihrer Herren.
Poliziano war nach dem herausragenden Kenner der Renaissance Jacob Burckhardt Verfasser meisterhafter Briefe und von Meisterwerken des lateinischen Stils und der Epistolographie. Im 15.Jhdt. strebten Poliziano und Ermola Barbaro bewußt nach einer eigenen, individuellen Latinität , auf der Basis einer umfassenden Gelehrsamkeit.

Jacob Burckhardt findet "die echte Schilderung des Bauernlebens, welche besonders bei Lorenzo magnifico und den Dichtern in seiner Umgebung bemerklich wird" besonders merkwürdig.
Angelo Poliziano pflegte einen rustikalen Stil in lateinischen Hexametern. Er schildert speziell das toskanische Bauernjahr durch die Jahreszeiten.Besondere Aufmerksamkeit widmet er der Beschreibung des Kelterfestes im toskanischen Herbst. Auch italienisch hat Poliziano einiges geschrieben. Das läßt darauf schließen, daß man im Kreise des Lorenzo das Leben der unteren Stände realistisch behandeln durfte.

Nach Jacob Burckhardt waren die Medici nicht von altem Adel, sondern aufgestiegene Bürger die jedoch die höfische Entfaltung, Turniere, die Kunst und den geistigen Diskurs pflegte und es durchaus mit den althergebrachten Fürstenhöfen ihrer Zeit aufnehmen konnten. Gerade in Florenz wird das Gesellschaftsleben stark bedingt von seiten der Literatur und der Politik. Lorenzo Magnifico ist vor allem eine Persönlichkeit, die nicht durch seine fürstengleiche Stellung , sondern durch das außerordentliche Naturell sein Umgebung vollständig beherrscht, eben weil er diese unter sich so verschiedenen Menschen in Freiheit wirken läßt. "Er schontePoliziano, obwohl die eigensinnigen Manieren des Gelehrten und Dichters eben noch kaum verträglich waren mit den notwendigen Schranken, die der sich anbahnende Fürstenrang des Hauses erforderlich machte.

Wenn man den Zauber zu analysieren sucht, durch welchen die Medici des 15.Jahrhunderts, vor allem Cosimo der Ältere († 1464) und Lorenzo Magnifico († 1492 ), auf Florenz und ihre Zeitgenossen überhaupt gewirkt haben, so ist neben aller Politik ihre Führerschaft auf dem Gebiete der damaligen Bildung das Stärkste dabei. Wer in Cosimos Stellung als Kaufmann und lokales Parteihaupt noch außerdem alles für sich hat, was denkt, forscht und schreibt , wer von Hause aus als der erste der Florentiner und dazu vom Bildungswesen als der größte der Italiener gilt, der ist tatsächlich ein Fürst. Cosimo besitzt den speziellen Ruhm, in der platonischen Philosophie die schönste Blüte der antiken Gedankenwelt erkannt, seine Umgebung mit dieser Erkenntnis erfüllt und so innerhalb des Humanismus eine zweite und höhere Neugeburt des Altertums ans Licht gefördert zu haben.

Der begeisterte Lehrer (Ficino) hat an mehreren Stellen seiner Schriften erklärt, Lorenzo Magnifico habe alle Tiefen des Platonismus durchforscht und seine Überzeugung ausgesprochen, ohne denselben wäre es schwer, ein guter Bürger und Christ zu sein. Die berühmte Reunion von Gelehrten, welche sich um Lorenzo sammelte, war durch diesen höhern Zug einer idealistischen Philosophie verbunden und vor allen Vereinigungen anderer Art ausgezeichnet.
Jacob Burckhardt.

Marsilio Ficino verteidigte ebenso die Astrologie und stellte den Kindern des Hauses das Horoskop, wie er denn auch dem kleinen Giovanni Medici geweissagt haben soll, er würde Papst Leo X werden.

Dagegen machte Pico della Mirandola wahrhaft Epoche durch seine berühmte Wiederlegung. Er weist im Sternglauben eine Wurzel aller Gottlosigkeit und Unsittlichkeit nach; wenn der Astrologe an irgendetwas glauben wolle, so müsse er am ehesten die Planeten als Götter verehren, indem ja von ihnen alles Glück und Unheil hergeleitet werde; und aller übrige Aberglaube finde hier ein bereitwilliges Organ, indem Geomantie, Chiromantie und Zauber jeder Art für die Wahl der Stunde sich zunächst an die Astrologie wendeten. In Betreff der Sitten sagt er: eine größer Förderung für das Böse gäbe es gar nicht, als wenn der Himmel selber als Urheber desselben erscheine, dann müsse auch der Glauben an ewige Seligkeit und Verdammnis völlig schwinden.
Im IV. Buche trägt er eine positive christliche Theorie über Weltregierung und Willensfreiheit vor, welche auf die Gebildeten der ganzen Nation einen größern Eindruck gemacht zu haben scheint als alle Bußpredigten, von welchen diese Leute oft nicht mehr erreicht werden. Giovanni Pico della Mirandola besaß das ganze talmudische und philosophische Wissen eines gelehrten Rabbiners. Er ist der einzige, welcher laut und mit Nachdruck die Wissenschaft und Wahrheit aller Zeiten gegen das einseitig Hervorheben des klassischen Altertums verfochten hat. Nicht nur Averrhoes und die jüdischen Forscher, sondern auch die Scholastiker des Mittelalters schätzt er nach ihrem Sachinhalt; er glaubt sie reden zu hören: Mirandola "Wir werden ewig leben, nicht in den Schulen der Silbenstecher, sondern im Kreis der Weisen, wo man nicht über die Mutter der Andromache oder über die Söhne der Niobe diskutiert, sondern über die tieferen Gründe göttlicher und menschlicher Dinge; wer da nähertritt, wird merken, daß auch die Barbaren den Geist (Mercurium) hatten, nicht auf der Zunge, aber im Busen...........Im Besitz eines kräftigen , durch aus nicht unschönen Lateins und einer klaren Darstellung verachtet er den pedantischen Purismus und die ganze Überschätzung einer entlehnten Form, zumal wenn sie mit Einseitigkeit und Einbusse der vollen großen Wahrheit in der Sache verbunden ist. An ihm kann man inne werden, welche erhabene Wendung die italienische Philosophie würde genommen haben, wenn nicht die Gegenreformation das ganze höhere Geistesleben gestört hätte.

Im Italien jener Zeit verloren die Geburtsunterschiede zwischen den Menschenklassen ihre Geltung. Gewiss trug hierzu viel bei, daß man hier zuerst die Menschen und die Menschheit in ihrem tieferen Wesen vollständig erkannt hatte. Schon dieses eine Resultat der Renaissance darf uns mit ewigen Dankgefühl erfüllen. Den logischen Begriff der Menschheit hatte man von jeher gehabt, aber sie kannten die Sache.
Die höchsten Ahnungen auf diesem Gebiete spricht Pico della Mirandola aus in seiner Rede von der Würde des Menschen, welche wohl eines der edelsten Vermächtnisse jener Kulturepoche heissen darf. Gott hat am Ende der Schöpfungstage den Menschen geschaffen, damit derselbe die Gesetze des Weltalls erkenne, dessen Schönheit liebe, dessen Größe bewundere. Er band denselben an keinen festen Sitz, an kein bestimmtes Tun, an keine Notwendigkeiten, sondern er gab ihm Beweglichkeit und freien Willen.
Jacob Burkhardt

Pico de Mirandola: Mitten in die Welt, spricht der Schöpfer zu Adam, habe ich dich gestellt, damit du umso leichter um dich schauest und sehest alles was darinnen ist. Ich schuf dich als ein Wesen weder himmlisch noch irdisch, weder sterblich noch unsterblich allein, damit du dein eigener freier Bildner und Überwinder seiest; du kannst zum Tier entarten und zum gottähnlichen Wesen dich wiedergebären. Die Tiere bringen aus dem Mutterleibe mit was sie haben sollen, die höhern Geister sind von Anfang an oder doch bald hernach was sie in Ewigkeit bleiben werden. Du allein hast eine Entwicklung, ein Wachsen nach freiem Willen, du hast Keim eines allartigen Lebens in dir. Die Totenrede Picos wird von seinem Freund Savanorola gehalten.

Michelangelo wurde in seiner Jugend von Savonarola, der eine Theokratie - die Gottesherrschaft - auf Erden einrichten wollte, beeindruckt. Einer seiner Brüder war Mönch im Kloster des Savonarola.

Nochmals Jacob Burckhardt: Der größte Bußprediger und Prophet aber war in Florenz schon 1498 verbrannt worden: Fra Girolamo Savanarola von Ferrara. Das gewaltige Werkzeug , durch welches er Florenz umgestaltet und beherrscht (1494-1498), ist seine Rede, wovon die erhaltenen, meist an Ort und Stelle ungenügend nachgeschriebenen Predigten offenbar nur einen beschränkten Begriff geben. Nichts als ob die äussern Mittel seines Auftretens sehr groß gewesen wären, denn Stimme, Aussprache, rhetorische Redaktion u. dgl. bildeten vielmehr eher die schwache Seite, und wer einen Stil und Kunstprediger verlangte ging zu seinem Rivalen Fra Mariano da Ghinazzano - aber in Savanorolas Rede lag jene hohe persönliche Gewalt, welche wohl von da bis Luther nicht wieder vorgekommen ist. Er selber hielt es für Erleuchtung und taxierte deshalb ohne Unbescheidenheit das Predigtamt sehr hoch: Über dem Prediger folge in der grossen Hierarchie der Geister unmittelbar der unterste der Engel.
Dies völlig zu Feuer und Flammen gewordene Persönlichkeit vollbrachte zunächst ein anderes , grösseres Wunder; das eigene Kloster S.Marco Dominikanerordens und dann alle Dominikanerklöster Toscanas werden desselben Sinnes und unternehmen eine freiwillige Reform.

Die Dominikaner wurden später gemeinsam mit den Jesuiten die Träger der Insquisition.

Die mächtigen biblischen Visionen des Savonarola in seinen Predigten und seine Verdammnis des sinnenfrohen Lebens haben auch den jungen Michelangelo beeindruckt, mit hoher Wahrscheinlichkeit geprägt. Und ebenso wahrscheinlich ist aus diesem Spannungsfeld zwischen dem weltlichen und libertären Medici Hof und der radikalen religiösen Konsequenz und Unerschütterlichkeit des Savonarolas die spätere Ambivalenz des Charakters und der künstlerischen Äusserung des Michelangelos verstärkt worden. Aber nicht nur er wurde in dieses Spannungsfeld gezogen, auch Pico, Poliziano und Lorenzo beugten sich schlußendlich dem Savonarola.

Michelangelo hat sich seine Freiheit des Geistes und des Ausdrucks bis zu seinem Tode 1564 bewahrt und nichts von seiner Schau der Welt hat er jemals zurückgenommen, auch nicht zurücknehmen müssen. Die Lebensspanne des Michelangelo umfaßte dreizehn Päpste und vielen von ihnen hat er gedient oder wurde von ihnen gefördert. Im hohen Alter noch wurde er von Ignatius von Loyola umworben.

Dieses sich klar machend und sein Werk erkennend, daß von der einfachen Steinmetzarbeit, über die Zeichnung, die Skulptur, über die Architektur und die Malerei bis hin zur Gestaltung des größten Bauvorhabens jener Zeit, des Petersdoms, reicht, seinen geistigen Einfluß durch die Jahre hindurch mit rechnend wird Michelangelo zur Zeiten übergreifenden Figur, die nicht nur die Renaissance beinhaltet, sondern auch dem Barock seine künstlerische Vision aufdrückt. Nicht von ungefähr nannten sie ihn den Göttlichen. Angesichts seiner Leistung ist es Ehrung ohne Pathos.

Michelangelo galt als großer Kenner des Werks Dante Alighieri's Im "Jüngsten Gericht" verwendet er z.Bsp die Höllenszene mit Charon (3.Gesang, Vers 109). Charon der Dämon treibt sie alle jagend mit barschen Blick zusammen, die da säumen, zornsprühenden Auges mit dem Ruder schlagend.
Es liegt nahe, die Arbeit Michelangelos auf weitere Einflüße Dante's zu untersuchen, sie im Zusammenhang mit dessen künstlerischem Selbstverständnis zu betrachten.
Über das Wesen Dante'scher Literaturauffassung schreibt der Dante -Übersetzer Richard Zoozmann in der 1907 in Leipzig erschienenen Übertragung von "Das neue Leben" und "Die göttliche Komödie" in seinen Erläuterungen Er gibt alles Objektive ganz auf und macht sich und seine eigene Seelengeschichte zum Gegenstand,
Nach Gervinus in Danten die Seelengeschichte des Dichters selbst den Stoff zu seinem Gedichte liefert.
Das entspräche in etwa der Michelangeloauffassung von Heiner Fürst, dass jener eine Reihe persönlicher Erlebnisse und Anschauungen in seinem bildnerischen Werk verarbeitet hat, und nichts spricht dagegen, daß Michelangelo diese Dante'sche Eigenheit entgangen wäre. Hinzu kommt, daß der Individualismus als das erstrebenswerte Ziel der Renaissance überhaupt galt. Mit dem Individualismus eng verbunden ist das persönliche Erleben.
Nach Zoozmann wies die italienische Dichtung zu Dante's Lebzeiten noch keine klaren und charakteristischen Züge auf. Sie lehnte sich stark an das lateinische und ans Provenzialische (Okzitentale) an. Der Einfluß der altfranzösischen und provenzialischen Dichtung läßt sich seit dem 12.Jahrhundert an Hand von Dichtungen nachweisen.

Die Dichtkunst der südfranzösischen Trobairitz und Troubadors zeichnet sich durch Mehrdeutigkeit aus. Es geht nicht um die einzige wahre Bedeutung eines Wortes, sondern um die Vielfalt der Interpretationen.

Inhalte und Anspielungen sexueller Natur sind charakteristisch für diese den ganzen französischen und im weiteren den italienischen Sprachraum beeinflußende Minnedichtung.

Der Biograph der Päpste, der Innsbrucker Jesuit Pastor, vermerkt für die Zeit Alexander VI eine handschriftliche Gedichtsammlung, die eine Reihe von fortlaufenden Epigrammen enthält, die einmal die Jungfrau Maria und andere heilige Frauen heiligen und dann im selben Atemzug, ohne Absatz berühmten Courtisanen der Zeit huldigen.
Dante wurde durch das provenzialische stark angezogen; wandte sich jedoch ab, als es in Wortspielereien und schwerverständliche Redeweisen verfiel und verweigerte die platte Nachahmung seiner italienischen Zeitgenossen und setzte dagegen den dolce stil nuovo der "Vita nuova".
Diese erwähnten Wortspielereien und schwerverständlichen Redeweisen haben natürlich auch ihre Ursache in zunehmender Verschlüsselung "gefährlicher" Inhalte haben.

Die wiederkehrende Bezug in der "Göttlichen Komödie" auf die von Dante verherrlichte Beatrice , kann durchaus als eine besondere Form von Minnedichtung angesehen werden. Anstelle von Beatrice treten bei Michelangelo dessen homoerotischen Obsessionen im bildnerischen Werk .

Ebenso wesentlicher an Dante's Arbeit ist die Verschmelzung beziehungsweise Kontrastierung des altertümlichen, alttestamentarischen und christlichen Kultur- und Gedankengutes, wobei die Wertung der einzelnen Personen, geschichtlichen und mythologischen Gestalten und der damit verbundenen Geschehnisse der christlichen und der persönlichen Weltschau Dante's entspricht. Immerhin ist ihm Vergil, Heide und Römer, Führer und Wegbegleiter durch die Hölle. Dieses Neben- und Ineinander von heidnischen und christlichen werden wir bei Michelangelo wiederfinden.
Die Scheidung in Gut und Böse, in Erlösung und Verdammnis läßt sich an der Dreiteilung des Werkes in Hölle, Läuterungsberg und Paradies ablesen. Eine Hierarchie der Verdammnis und der Erlösung wird konstituiert.

Gerichtet über die Lebenden und die Toten wird aus christlicher Sicht im Jüngsten Gericht, das für alle Zeiten das Gute vom Bösen scheidet und den menschlichen Seelen ihren Platz im Himmel, im Fegefeuer (Läuterungsberg) oder im Himmel, im Paradies anweist.
So kann man die "Göttliche Komödie" auch als Jüngstes Gericht ansehen und damit bekommt das Charon Zitat im "Jüngsten Gericht" in der Sixtina eine über das Detail hinausgehende Bedeutung.

Paul Pochhammer (Leipzig 1907) erklärt den Zweck der Komödie als einen sittlich religiösen und zugleich praktischen. Dante ist ein furchtbarer Richter seiner und aller Zeiten. Er schreibe das Drama des Menschen in universeller Zusammenschau.
Interessante Abweichungen fallen jedoch dann auf wenn etwa der Selbstmörder Cato nicht nur begnadigt, sondern gar als Hüter des Läuterungsberges erscheint, wenn wir die Cunizza, die Liebessünderin und Folko, den lustigen Schwärmer von Marseille im Himmel antreffen. Wie wichtig die "Göttliche Komödie" Dante's in Folge genommen wurde, kann man daran ersehen, daß fünf Jahrzehnte nach seinem Tod in Florenz ein Lehrstuhl zur Erläuterung der Komödie errichtet wurde, auf den Boccacio berufen wurde. Weitere Lehrstühle in anderen italienischen Städten folgten.
Zum Begriff der Komödie selbst ist zu sagen, das nach Zoozmann der Begriff aus zwei Worten gebildet ist, aus dem Comos (Dorf) und Oda (Gesang). Demnach könnte man ihn sinngemäß mit Dorfgesang (dörfliches Lied) auffassen.
Die Komödie fängt mit etwas Rauhem (Derbem) an und hat im Gegensatz zur Tragödie einen guten Ausgang.

Man kann darin auch eine Orientierung an einfachen Kunstformen sehen und es ist nun auch tatsächlich so,daß Dante die italienische Umgangssprache zum Material seiner Dichtung machte und ihre eine gehobene sprachliche Gestalt verlieh.

Poliziano, der Lehrer Michelangelo's , war ein begeisterter Sänger des dörflichen Lebens . Das merkwürdigste dieser Art aber ist die echte Schilderung des Bauernlebens, welche besonders bei Lorenzo magnifico und den Dichtern in seiner Umgebung bemerklich wird.
Jacob Burckhardt

In der Betrachtung der Figuren des Michelangelo ist mir aufgefallen, dass sie über ihre Monumentalität hinaus eine fast derbe Körperlichkeit aufweisen. Und tatsächlich hat er ja seine ersten Lebensjahre auf dem Lande unter einfachen Steinmetzen verbracht, die sicher ihre Leiber nicht so verhüllten, wie es etwa unter Patriziern der Brauch war, und sich auch unbefangener im Alltag bewegten.
Hirtenwesen nur ein äußerlich übergeworfenes ideales Kostüm für Empfindungen ist, die einem ganz anderen Bildungskreis entstammen.

Die bäuerliche Welt steht naturgemäß in Zusammenhang mit Fruchtbarkeitsriten- und Kulten. Auf ähnliche Zusammenhänge bin ich erstmals in der Lektüre des Werks des österreichischen Dichters Hermann Broch gestoßen, insbesondere im Bergroman, bzw. Demeterfragment. Einges an Michelangelos Werk hat mich an den Mithraskult denken lassen. Übertragen auf das Männliche gewinnt der Stier eine besondere Bedeutung. Er steht für Stärke, Kraft, Ausdauer, Natur- und Erdverbundenheit, für männliche Potenz und Zeugungskraft. Das Christentum beruft sich auf den den männlichen Schöpfergott . Die Verherrlichung des männlichen durch Michelangelo nicht nur Ausdruck seiner sexuellen Obsessionen ist, sonder auch eine Art maskulinen Fruchtbarkeitskult darstellt, der im männlichen Eros auch die göttliche Kraft verherrlicht.

Die Kirche hat und versucht es immer wieder, die Sexualität unter Kontrolle zu bringen. Sie fürchtet heute noch, daß ihr zum Beispiel im Wege der künstlichen Geburtenkontrolle die Verteilungspolitik mittels des Sakrements der Ehe des göttlichen Geschenk des Lebens an die Menschen aus der Hand genommen wird.
Sexuelle Andersartigkeit ist der Kirche suspekt, weil sie sich ob ihrer Folgenlosigkeit auch der gesellschaftlichen Kontrolle entzieht.
Allerdings kenne ich kein Staatswesen, keine auf die menschliche Gemeinschaft zugeschnittene Weltanschauung, ob theistisch oder atheistisch, ob diktatorisch oder demokratisch ,ob frei oder unfrei, ob primitiv, zivilisiert, ob archaisch oder neuzeitlich, die nicht sich darum bemüht hätte eine ähnliche oder anders strukturierte Ausübung von Macht über die Sexualität zu erlangen, und wenn es deren pure Kommerzialisierung in der Gegenwart ist.

Jacob Burckhardt weist auf die wiedererwachenden heidnischen Himmelsvorstellungen der Renaissance hin. Cosimo, der ältere Medici wird in einem Gedicht Bernardo Pulcis von Cicero, dem "Vater des Vaterlandes" im Himmel willkommen geheißen. Die Begriffe von Sünde und Erlösung werden verschoben, die christlichen Vorstellungen aufgelöst und durch solche des klassischen Altertums ersetzt. So ist auch der Rekurs auf Plato, auf die alten Schriftsteller, auf die Kunstwerke des Altertums zu verstehen, auf das von der Kirche noch nicht besetzte beziehungsweise schon verworfene und verdammte Gedankengut.

Der Eklektiker und Synthetiker Pico de Mirandola, der eine Vermählung des Altertums und des Christentums anstrebte, wurde mit dem päpstlichen Bann belegt. Gerade er war es, der Lorenzo di Medici dazu bewegte, Savonarola in Florenz Aufenthalt zu gewähren und in Zusammenhang mit Mirandola können wir wohl das erstemal in der Geschichte von umfassender Toleranz als humane Haltung sprechen.

Ludwig Pastor wirft in seiner Geschichte der Päpste den Humanisten schwankende Haltung zwischen anerzogener Religion, an der man beim Sterben festhielt und Freigeistertum vor. Eine Haltung die wir bis in unsere Zeit verfolgen können und tatsächlich haben sich die "Heiden" Mirandola, Lorenzo und Poliziano in der Nähe ihres Ablebens Savonarola zugewandt.

Man kann jedoch in diesem Spannungsfeld von "Heiden-" und Christentum von einer kulturellen Identitätskrise der italienischen Kultur mit ihren vielfältigen natürlichen römischen und griechischen Wurzeln sprechen. War doch das Christentum tatsächlich weder römischen noch griechischen Ursprungs.

Das Christentum entstand in einem dem römischen Weltreich unterworfenen Landstrich, in einer überseeischen Grenzregion und diese Religion hatte es trotzdem vermocht, das römische Imperium ins Wanken zu bringen und an die Stelle der römischen Cesaren und Fürsten die katholischen, christlichen Päpste zu setzen. Wir können darin auch den kulturellen Assimilierungsprozeß eines supranationalen, völkerübergreifenden Idee sehen und die Renaissance als Versuch betrachten, die ursprüngliche Identität wiederzufinden.

Im Mittelalter hatte die Kirche eher die Leidensgeschichte, das Martyrium in der Vordergrund der Darstellung geschoben und alles Lob und alle Herrlichkeit einer nicht sichtbaren Gottheit und einem Paradies, daß erst nach dem Tode erreicht werden konnte, gewidmet. Eine lebensbejahende, diesseitige sinnliche Haltung war gezwungen, damit zu brechen. Die Gleichsetzung christlicher Symbolik und christlicher Personen mit heidnischen Göttern und Mythen in der Ikonologie der bildenden Kunst und in der Metapher des Textes ist Ausdruck antiker Restauration, anderseits auch Synthese und Wiedererkennen .
Es kam jedenfalls zu einer breiten Antikisierung der Lebensverhältnisse. Der Himmel wird mit dem Olymp gleichgesetzt, Gott Vater donnert wie Zeus seine Blitze geschleudert hat , Maria wird zur Mutter und Königin der Götter, Christos wird zum "erhabenen Heros"

Paulus Cortesius, der Sekretär des Alexander VI versucht den eleganten Stil der Humanisten und die heidnische Terminologie und Phraseologie in die theologische Wissenschaft einzubringen. Anstelle des Sündenfalls muß Phaeton herhalten.
Cortesius schafft es, Thomas von Aquin als den Apollo der Christenheit hinzustellen und Augustinus gerät ihm zum alten römischen Seher. Tatsächlich hat Thomas eine Ästhetik und eine Philosophie des Schönen erarbeitet. Auch der Geheimschreiber des Medici Papstes Leo X formulierte Concetti dieser Art. Die Gegner, wie etwa Adriano Corneto bekämpfen sowohl die aristotelische als auch die platonische Philosophie, allein den Glauben läßt er gelten.

Im Originaltext klingt das so: Was soll ich reden über Physik, Ethik oder Logik? Was eine menschlich Zunge hervorbringen kann, ist in der Heiligen Schrift enthalten. Größer als ihre Autorität als die Fähigkeit des menschlichen Geistes. Die freien Künste verdienten ihren Namen nicht, nur Christus mache frei. Die Philosophen des Altertums wünscht er sämtlich in die Hölle. Nur, wenn die Philosophen etwas Wahres und dem Glauben gemäßes gesagt haben, und das wäre am ehesten bei den Platonikern der Fall, so sei dies nicht zu fürchten, sondern den "unrechtmäßigen" Besitzern zu entwenden. Alles weltliche Wissen ist Torheit, nur bei Gott allein ist Weisheit und Wahrheit.

Im Zusammenhang mit den Aneignungsversuchen Platos sei an die umgekehrte Vorgangsweise Pico della Mirandola erinnert, der den Platonismus mit dem Christentum verschmelzen wollte.

Am universellen Denk- und Wissenskreis Pico della Mirandola läßt sich eine umfassende Bildung ablesen. Er eignete sich eingehende Kenntnise der griechischen Sprache und Literatur an. Er studierte Arabisch und die großen arabischen Philosophen des Mittelalters, lernte Chaldäisch und ein aus Byzanz eingewanderter Jude unterrichtete ihn im Hebräischen und führte Pico in die Kabbala ein.

Die Antikisierung durchdringt in der italienischen Renaissance das tägliche Leben. Es wird zur weitverbreiteten Sitte griechische und römische Namen als Taufnamen auszuwählen. Alte Ceremonien werden wieder belebt Altertümliches wird zur begehrten Mode und mit der den Italienern eigenen Theatralik zur Schau gestellt. Mit dem Altertum wird auch der Aberglauben wiederbelebt. Die Astrologie gewinnt an Einfluß.

Man versucht aus der jeweiligen Stellung der Planeten zueinander und zu den Zeichen des Tierkreises die Zukunft vorauszusagen. Ebenso ist man davon überzeugt, daß bestimmte Planetenkonstellationen einen entscheidenden Einfluß auf den Menschen ausüben. Hinzu kommen arabische Einflüße, die sich seit der Regentschaft Kaiser Friedrich II auszuwirken begonnen hatten. Innocenz VIII erläßt 1484 die sogenannte Hexenbulle.

Dieser Agglomerationen von Rationalität und Irrationalität , das nebeneinander und ineinander verschiedener Religionen, ergänzt um die asiatischen und indianischen Spielformen, das rekurieren auf europäische Naturreligionen wie etwa die der Kelten erleben wir in den New Age Strömungen der Gegenwart wieder. Umberto Eco hat in Schriften und Interviews auf diese Affinität ausdrücklich hingewiesen.

Ludwig Pastor definiert zwei Formen der Renaissance, der Wiedergeburt, die falsche und die richtige. Mit der richtigen meint er die christliche Erneuerung und die falsche bezeichnet nach ihm die Restauration des Heidnischen und des Altertums. Er gesteht jedoch selbst zu, daß das Studium der Klassiker wichtige und unentbehrliche Bildungsmittel bot und sagt, daß die Grenzlinie zwischen christlicher und heidnischer Renaissance überaus schwer zu ziehen wäre, da beide Richtungen sich oft nahe berührten und sich oft in ein und derselben Person bunt mischten.
Als Ausdruck dieser Ambivalenz stellt er den Borgia Papst Alexander IV und Julius II, der den Beinamen Il terribile trug, -den Päpsten Innocenz VII und Pius III gegenüber.

Als Ursache des Übels nennt er die schrankenlose Entwicklung des Individuums. Hier sei jedoch ausdrücklich erwähnt, daß der Medici Papst Leo X auf dem Laterankonzil (1513) eine Konstitution zum Schutz der Unsterblichkeit und der Individualität der Seele, letzteres gegen die Averroesisten und Neuperipatetiker, welche lehrten, die Seele sei in allen Menschen nur eine, erläßt. Abgesehen von Übertreibungen und individualistischen Exzessen ist diese Konstitution wohl eine der entscheidendsten, die weitere gesellschaftspolitische Entwicklung Europas mitbestimmt, hin bis zu den bürgerlichen Freiheiten und Rechten, aber auch zu den Menschenrechten als Entwicklung des Schutzes vor den Übergriffen der Macht auf den Einzelnen.

Wer denkt, daß diese Auseinandersetzung überholt wäre, sei auf ein am 22.Dezember 1990 in der Wiener Tageszeitung Der Standard erschienenen Interview mit dem Außenminister des Heiligen Stuhles Achille Silvestrini hingewiesen, in dem dieser feststellt: In der Politik muß man , irgendwie, immer zwischen Machiavelli und Savonarola wählen. Auf der einen Seite die Resignation gegenüber der unausweichlichen Logik aller Dinge; auf der anderen aber die Wahl der Freiheit des Christen, der immer auf den moralischen Gedanken hofft.

Mit Vorliebe verfassten die Humanisten Sammelwerke berühmter Männer, berühmter Frauen. Der irdische Erfolg stand über dem christlichen Ideal. Das Streben nach Größe und Denkwürdigkeit kennzeichnete die Zeit.
Pastor vermerkt etwa, das Cola die Rienzo weniger von Freiheitsliebe, als von der Gier nach Macht getrieben war.
Er vermerkt Verschwendung und Luxus, Spiel und Rachsucht, Lug und Betrug, Sittenlosigkeit, Frevelsinn und Mord. Zu jenen, die das Verbrechen nur um des Verbrechens willen übten, zählt er Cesare Borgia, den Sohn Alexander IV und Sigismondo Malatesta. Es herrschte gegenüber dem steigenden Luxus ein Verfall der einfachen und guten Sitten. Erst diese zügellose Dynamik der Verschwendung in aller Öffentlichkeit läßt den verzweifelten Auftritt Savonarolas verstehen.

Wir wissen, daß Michelangelo selbst diesen Zwiespalt von vorchristlichem Altertum und Christlichem in seinem Werk ausstrahlt. Er , der bis in sein hohes Alter Savonarola verehrte, so Vasari ; man sagt auch, daß der Kreis um Vittoria Collona das geistige Erbe Savonarolas weiterpflegte, ließ ebenso wenig von den heidnischen Aspekten und Bemühungen seiner Kunst, die er ausdauernd mit christlichen Vorstellungen zu verschmelzen suchte.

Es sei vermerkt das Savonarola im Dezember des Jahres 1494 ein Verdikt wider die weit verbreitete Homosexualität gefordert hat. Ein Verdikt, das Michelangelo keineswegs entgangen sein kann.
Gleichzeitig mit der Verschwendung trat Wucher und Betrug auf. Alles war erlaubt, wenn es nur von Nutzen war und das angestrebte Ziel erreicht wurde. So gesehen erscheint die machiavellische These, daß das Ziel jedes Mittel billige, Ausdruck des vorherrschenden Zeitgeistes zu sein.
Nachdem es kein einheitliches Maßsystem gab und die Überprüfung nur mit großem Geschick möglich war, wurde mit falschem Gewicht und falschem Maß betrogen. Ebenso unerträglich war der Zinswucher und es kam auch zu einer starken antisemitischen Strömung, da der jüdische Geldhandel maßgeblich an den Zuständen beteiligt war, wobei Pastor in diesem Zusammenhang sowohl Christen wie auch Juden kritisiert.
Bemerkenswert ist auch der ausgeprägte Hang zum Glückspiel . Man bevorzugte Hazard und Würfelspiele.
Pastor stellt fest , daß die Immoralität der Borgia kein Einzelfall war, sondern daß fast alle hervorragenden Familien des Landes willkürliche und grausame Übergriffe ausübten. Obendrein waren sie in sich durch oft blutig ablaufende Nachfolgekämpfe zerstritten, wobei es gar nicht einmal darum ging, ob die Nachfolge legitim oder illegetim war.
Auch Lorenzo d'Medici verlor das nötige Augenmaß, eignete sich öffentliche Mitteln an und zog florentinisches Staatseigentum an sich, unter anderem auch die Mittel aus der gemeinschaftlichen Kasse für junge Mädchen, die als Mitgift eingerichtet worden war. Diese willkürlichen Übergriffe schadetem dem Ansehen der Medici, untergruben ihre Macht und der französische König Karl VII vertrieb sie schlußendlich aus Florenz.
In diesem Zusammenhang ist auch bemerkenswert, daß Michelangelo in späteren Jahren in Auseinandersetzungen auf Seiten der Republik stand. Er ist also keinesfalls der Fürstendiener, wie es das oft erwähnte Naheverhältnis zu den Medici's annehmen läßt. Allein schon sein großes Interesse für Savonarola spricht dagegen.

Mit Erstaunen vermerkt Pastor mit welcher Nachsicht die Gebildeten die Ausschweifungen der Großen ansahen.... Mit den Fürsten wetteiferten in Unsittlichkeit die Vertreter der falschen Renaissance: zahlreiche Humanisten, die sich als Prinzenerzieher, Prunkredner und Gesandte an fast allen Fürstenhöfen unentbehrlich zu machen gewußt haben.
Der christlichen Forderung nach Treue und Sittlichkeit der Ehe wird das Ideal der freien Liebe gegenübergestellt. Das Hetären und Courtisanenwesen erlebte eine neue Blüte, hier sei an Piero Aretino's Courtisanengespräche erinnert.
Allerdings ist das Schanken zwischen ungezügelter Lust und Buße wohl ein bemerkenswertes Charakteristikum des Renaissance Menschen.
Niemand kümmerte sich jedoch mehr um die Courtisanen , wenn sie ihrer Schönheit verlustig gegangen waren und sie endeten krank im Spital "auf dem Stroh". Ebenso praktiziert wurde Homosexualität und Päderasterie, propagiert über antike Sagen, Dichtungen und Philosophien. Pastor stellt fest, daß Homosexualität von der Kirche und der herrschenden Gesetzgebung im Mittelalter unbarmherzig verfolgt und fast gänzlich ausgerottet wurde.

Viele Bußprediger der Reanaissance, unter anderen auch Savonarola wetterten dagegen und drohten mit dem Zorn Gottes.
Namentlich hebt Pastor den Päderasten Angelo Poliziano hervor.
Die Verstrickung Michelangelos wird jedoch von kirchlichen Schriftstellern wie etwa Pastor und auch von vielen seiner Biographen und Kunsthistoriker bestritten, übergangen und übersehen, obwohl sein Werk voll von homoerotischen Sehnsüchten und sexuellen Anspielungen ist.

Es gab sämtlich sämtliche Spielformen sexueller Aktivität, mit eingeschlossen des Inzests . Die sexuelle Libertinage trat nicht nur in der Oberschicht auf nach Pastor war die Homosexualität in allen Bevölkerungsschichten vorgedrungen und ein Chronist vermeldet, daß das ganze Land, alle großen Städte, Rom, Florenz, Neapel, Bologna, Ferrara von dem "Laster angesteckt seien". Viele Prediger führten die Katastrophen, von denen Italien heimgesucht wurde, nämlich Krieg, Teuerung, Erdbeben auf den "fortgesetzten Frevel" zurück und interpretierten diese als eine Strafe des Himmels .
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Angesichts des nahenden Todes wandten sich fast alle wiederum der kirchlichen Gnade zu. Lorenzo Medici, Machiavelli, Malatesta und auch die Angehörigen der platonischen Akademie suchen letztendlich Trost vor der Ungewissheit des Todes.

Die starke antihumanistische Bewegung wurde vor allem von den Bußpredigern erzeugt, deren herausragendster Exponent zweifellos Girolamo Savonarola ist. Dem lustvollen weltlichen Treiben, den großartigen weltlichen Aufführungen, der spektakulärem Inszenesetzung , in der sich unter anderen auch Leonardo da Vinci als Inszenator etwa am mailändischen Hof hervortat, den Triumphzügen, den prächtigem Karneval stand ebenso spektakulär die öffentliche Bußrednerei, voll von dramatischen Übersteigerungen und die öffentlichen Vernichtungsaktionen, den Autodafes, denen weltlicher Tand und auch das eine oder andere Kunstwerk geopfert wurde, gegenüber.
Hier muß jedoch gesagt werden, daß die Vernichtung großer Kunstwerke nicht die Regel war, sonder eher Alltagskitsch den Flammen geopfert wurde. Zur Bücherverbrennung allerdings haben sich die Insquisitoren der Renaissance nicht völlig durchringen wollen. Im Gegenteil. Die "heidnische" Bibliothek des Lorenzo Medici wurde, nachdem die Menge den Mediceer Palast gestürmt und geplündert hatte, im Kloster Savonarolas verwahrt.

Jakob Burckhardt beschreibt einen derartigen Opferbrand des Jahres 1497 im Florenz Savonarolas:
Und so konnten am letzten Karnevalstage des Jahres 1947 und an demselben Tage des folgenden Jahres die großen Autodafés auf dem Signorienplatz stattfinden. Da ragte eine Stufenpyramide, ähnlich dem rogus, auf welchem römische Imperatorenleichen verbrannt zu werden pflegten. Unten zunächst der Basis waren Larven, falsche Bärte, Maskenkleider und dergleichen gruppiert; darüber folgten die Bücher der lateinischen und italienischen Dichter, unter anderem Morgante des Pulci, der Boccaccio, der Petrarca, zum Teil kostbare Pergamentdrucke und Manuskripte mit Miniaturen; dann Zierden und Toilettenartikel der Frauen, Parfüms, Spiegel, Schleier, Haartouren; weiter oben Lauten, Harfen, Schachbretter, Triktraks, Spielkarten: endlich enthielten die beiden obersten Absätze lauter Gemälde, besonders von weiblichen Schönheiten, teils unter den klassischen Namen der Lucretia, Cleopatra, Faustina, teils unmittelbare Porträts wie der schönen Bencina, Lena Morella, Bina und Maria de' Lenzi. Das erstemal bot ein anwesender venezianischer Kaufmann der Signorie 20 000 Goldtaler für den Inhalt der Pyramide; die einzige Antwort war, daß man ihn ebenfalls porträtieren und das Bild zu den übrigen hinaufstellen ließ und das ganze dann vor versammelter Signorie, Mönchen, Engelsknaben, jungen Geistlichen und Laien, Greisen, Bürgern und Priestern und Trompetenschall und feierlichen Gesängen abbrannte.

Über die Sitten der Renaissance schreibt auch Burckhardt einiges und ich zähle im folgenden einige Stichworte auf: Spielwut, in deren Folge Italien die Heimat des Lotteriewesens wurde. Thyestische , mit Gift gewürzte Mahlzeiten und weit sich ausbreitender Wechselmord. Blutrache. Rachebedürfnisse. Die Erniedrigung der Ehe, alle Leidenschaft bezog sich auf verheiratete Frauen. Untreue. Giftmorde. Gedungene Mörder.Allgemeiner Frevelsinn. Drohbriefe. Spottsonette. Hostienraub. Räuberunwesen. Notzucht. Parteienhaß. Fürstliche Mordstifter. Meuchelmord. Blutschande.Meineid. Verrat . Zauberei und schwarze Magie. Das Verbrechen der Bravi um des Verbrechens willen. Der Blutdurst des Cesare Borgia. Das Brustschild Werner von Urslingen, eines Zeitgenossen trug die Inschrift: Feind Gottes, des Mitleids und der Barmherzigkeit. Sigismondo Malatesta versuchte seinen eigenen Sohn Roberto zu vergewaltigen usw.

Hinzu kommt die Furcht vor der sich nun ausbreitenden Lustseuche, die von den kriegführenden Franzosen in den 90 er Jahren ins Land gebracht worden war, der Syphylis, damals auch Franzosenkrankheit damals genannt. Die sexuelle Promiskuität war der raschen Ausbreitung der Seuche natürlich förderlich.
Die feindliche Haltung gegenüber freier Sexualität seitens der Kirche geht auf Paulus zurück. Die freizügige sexuelle Libertinage wurde von Paulus im ersten Römerbrief 1.21 verurteilt.

Es sind jene Paulusbriefe, die Frater Ambrogio, Caterino Politi Michelangelo und Vittoria Colonna in ihren gemeinsamen Zusammenkünften auch diskutiert wurden. So berichtet der portugiesische Maler Francisco da Hollanda über diese Gespräche in seinen "Dialogen über die Malerei".

Im Mittelalter noch wurden Homosexuelle unbarmherzig verfolgt . Es gibt Darstellungen , die zeigen, das homosexuellen Deliquenten, die Kopf über an den gespreizten Beinen aufgehängt sind, das Geschlecht, der Anus, das Becken bauchabwärts mit einer Art Zugsäge von zwei Henkern aufgeschnitten wird.

Im Vers 29. ist es nicht ganz klar ob mit den Lohn ihres Irrtums (wie es denn sein sollte) an sich selbst empfangen. die Strafe, also die Todesstrafe oder eine daraus sich entwickelnde Geschlechtskrankheit gemeint ist. Die Krankheiten zählten zu den Geisseln Gottes.

Jedenfalls ist dies alles Grund genug für den sensiblen und in Fragen seiner persönlichen Sexualität mit hoher Wahrscheinlichkeit gespaltenen Michelangelo diese sexuelle Obsession im "Jüngsten Gericht" mehr oder minder offen und dann wieder versteckt abzuhandeln. Es handelt sich immerhin um die Darstellung des höchsten und letzten göttlichen Gerichtstages und der damit verbundenen und ergehenden Urteilssprüche. Aber es ist natürlich eine Taktik der Renaissancemaler Verbotenes in einem verurteilenden Kontext zu malen.
James Cleugh schreibt in seiner Medicibiographie, das Lorenzos Sohn, Piero dem strammen Michelangelo ebensoviel Zeit wie einem gut aussehenden Spanier, der von Beruf Stallknecht und zu dem Piero anscheinend eine homosexuelle Beziehung unterhielt, widmete. Pieros bisexuelle Abenteuer während seines römischen Aufenthalts sind wohlbekannt und gaben Anlass zu einer Reihe von Skandalen.. Piero bildete allerdings in der Familie der Medici keine besondere Ausnahme.

Michelangelo steht hier also in einem geistigen und seelischen Spannungsfeld. Hinzu kommt natürlich seine fast zwanghaft zu nennende Verherrlichung des männlichen Körpers in seinem bildhauerischen, malerischen und zeichnerischen Werk. Etwa ist der Karton der Badenden, der nur in Kopie überliefert wurde,. voll von offensichtlicher homoerotischer Sinnlichkeit. In den Fresken der Sixtina bietet sich der männliche Körper gehäuft an, abgesehen von den versteckten Anspielungen und Andeutungen, etwa die Errichtung der Geißelsäule Christi im rechten Oberen Bildteil des Jüngsten Gerichts. Die Skulptur, die "der sterbende Sklave" genannt wird, erweckt nicht den Eindruck des Todes sondern im Gegenteil den sich darbietender Lust . So nenne ich diesen Sklaven auch den "vor Lust sterbenden Sklaven". Da wo andere ein brechendes Auge erschauen wollen, kann ich nichts anders als verzückte Männererotik erblicken.
Michael Jäger schreibt in seiner Ästhetik des Renaissanceschönen, daß die tägliche Arbeit in den Werkstätten die künstlerische Bevorzugung des Mannes unterstützte und... Michelangelo, selbst homosexuell, war ein Vertreter jener Künstler, die eine Vorliebe für den männlichen Akt hegten. Seine Frauenfiguren verrieten deutlich ihre Herkunft von Aktstudien an Männern.

Ich neige jedoch zur Ansicht das Michelangelo seine Homosexualität nicht wirklich, und wenn ja, nicht exzessiv ausgelebt hat, deswegen auch sein immer wieder von den verschiedenen Zeitgenossen erwähnter höchst sittlicher Lebenslauf, sonder viel mehr in seiner Kunst ausdrückt. Man kann auch annehmen, das er mit der tatsächlichen ausgelebten Sinnlichkeit eine bestimmte Gefährdung verband. Und er hatte wenig Zeit für ausgedehnte Liebesabteuer.

Sigmund Freud stellt in seinem Text " Eine Kindheitserinnerung des Leonardo da Vinci" 1910 fest, daß nicht die reale Betätigung, sondern die Einstellung des Gefühls darüber entscheidet, jemanden die Eigentümlichkeit der Inversion zuzuerkennen.

Dies dürfte auf Michelangelo tatsächlich zutreffen. Es geht also gar nicht darum nachzuweisen, das Michelangelo homosexuell gewesen ist, das ist wohl offensichtlich. Daß Homosexualität zu seinen Lebzeiten etwas selbstverständlich geübtes war, konnten wir wohl durch den untadeligen Biographen der Päpste, den Innsbrucker Universitätsprofessor Pastor, nachweisen.

Es geht also eher darum, wie Michelangelo in seiner Kunst mit einer möglichen Verdrängung fertig geworden ist, mit seinen Ängsten und Widersprüchen und mit seinen abgrundtiefen Qualen. Vielleicht können wir auch sagen, daß er das Jüngste Gericht an sich selbst durchlebt, in seiner Malerei an sich selbst vollzogen hat.
Und da seine Ängste auch die Ängste seiner Zeit sind, ist es darüberhinaus auch ein Gericht der Zeit.
Interessant ist die Verdrängung des homoerotischen Inhaltes des Werkes durch die Kunstgeschichte und es ist einmal mehr festzustellen, daß Homosexualität bis herauf in unsere Zeit zu den unbewältigten Tabuzonen der menschlichen Gesellschaft zählt.

Die Schrift "Die Wirklichkeit der Bilder - Malerei und Erfahrung im Italien des 15.Jahrhunderts" von Michael Baxandall ist eine hervorragende Analyse der Eigenschaften und Eigenheiten der Renaissance-Malerei. Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, dürfen wir das Bild unseren Seh- und Lesegewohnheiten entsprechend nicht für das Bild an sich und für sich nehmen, sondern müssen vielmehr einen kognitiven Stil des Sehens entwickeln, der die Inhalte und ihr Zusammenspiel erst erkennen läßt. Der kognitive Stil ist wiederum verbunden mit einer Kenntnis der Symbolik, also einem kulturellen Kontext, der über die Bildebene hinausverweist. Für der Renaissance - Menschen, dessen Ideal umfassende Bildung ist, war es selbstverständlich Bilder im kulturellen Kontext zu lesen und man erwartete von kultivierten Menschen auch, den Inhalt der Bilder nicht nur zu verstehen sondern auch die Qualität der Bilder zu beurteilen. Dies steht im krassen Widerspruch zu unserer Zeit, die eine Wertung von Bildern geradezu zu vermeiden sucht und diese Weigerung mit dem völlig subjektiven Recht des Künstlers auf seinen Ausdruck begründet.

Der gebildete Teil, die auch die Patronatsschichte der Künstler darstellte, war nicht besonders groß. Er setzte sich aus Kaufleuten und öffentlichen und kirchlichen Amtsträgern zusammen. Die Bauern und die kleinen Leuten in den Städten spielen in der Renaissance - Kultur kaum eine Rolle.

Die meisten Bilder des 15.Jahrhunderts sind religiöse Bilder. Dies sei hier auch deswegen vermerkt, um die besondere Stellung des Spät-Renaissance Künstlers Michelangelo und jener Maler, die sich nichtchristlichen Motiven zuwenden,hervorzuheben.
Das religiöse Bild hatte drei Zweck zu erfüllen. Erstens die Unterweisung des einfachen Menschen in Glaubensangelegenheiten, zweites die Vertiefung der Mysterien und des Vorbildes der Heiligen und drittens um Empfindungen der Frömmigkeit hervorzurufen, die durch Gesehenes leichter wach werden als durch Gehörtes. Bilder waren also Anlaß zu Meditation und Gebet. Das hier von einfachen Menschen die Bilder als Heilige selbst und nicht als deren Sinnbilder genommen wurden, sei hier am Rande erwähnt.
Bilder sollten also innere Vorstellungen wecken und diese Vorstellungen sollten auch mit der alltäglichen Erlebniswelt verknüpft werden. In einem Gebetbuch für junge Mädchen wurde etwa empfohlen, die Passionsgeschichte in die eigene Stadt zu verlegen, die handelnden Figuren mit Personen aus dem eigenen Bekanntenkreis zu ersetzen und durch Meditation die Heilslehre in das tägliche Leben einfließen zu lassen. Die religiöse Ideologie sollte das Leben durchdringen.

Eine ähnliche Vorgangsweise mit anderen Inhalten nehmen wir am Hofe der Medici wahr, die die Lehren des klassischen Altertums, insbesondere Plato's in direkte Lebenszusammenhänge umzuwandeln trachteten. Gerade das Werk Michelangelo's ist durch diese Ambivalenz von christlich/heidnischem und persönlichem geprägt.

Die Malerei Renaissance - Malerei lieferte eine Grundlage, die der Betrachter mit seinen persönlichen Details ausstatten konnte. Die Gesichter waren durchschnittliche, allgemeine auswechselbare Typen. Der Maler bietet also Masken an, die der Betrachter mit eigenen Vorstellungen auffüllen kann.
Michelangelo konkurriert mit dieser Vorstellung, indem er seiner persönlichen Obsession in seinen Bildern Ausdruck verleiht und letztendlich auch unverwechselbare Charaktere ausdrückt, die für sich selbst stehen.

Der eigentliche Kern der Renaissance Malerei ist die menschliche Figur. Und in Michelangelo's Malerei wird es der nackte, vor allem männliche Körper. Bei ihm steht der erotische Ausdruck im Vordergrund.

Die Maler des Quattrocento gehen nach Hermann Grimm in der ersten Konzeption ihrer Arbeiten von der bekleideten menschlichen Gestalt aus. Michelangelo war der erste, der inspiriert durch antike Statuen und durch genaue anatomische Studien der nackten Körperlichkeit zur neuen Qualität der Malerei verhalf. In dem nur in Kopien erhaltenen Karton der badenden Soldaten zeigte sich, daß dem menschlichen Körper ein Architektur innewohnt, ohne deren Kenntnis die Darstellung menschlicher Bewegung unvollkommen wäre. Er verbindet die Gruppen so miteinander, daß die Bewegung der einen Figur die der anderen bedingt und und aus vielen Körpern ein von gemeinsamer Bewegung erfülltes einheitliches Ganzes sich bildet. Michelangelo entwickelt so die universelle Ausdrucksfähigkeit der Malerei weiter.

Ein Bild, daß den weiblichen Körper weitgehend enthüllt,finden wir bei Botticelli. Die rechte Hand der Primavera im "Der Frühling" weist den Blick auf den Tanz dreier Grazien und die Hände zweier der Damen verschlingen sich über dem Geschlecht der einen.

Alberti schreibt in seiner Abhandlung über die Malerei:
Bewegungen der Seele erkennt man an Bewegungen des Körpers. Es gibt Bewegungen der Seele, Affektionen genannt, wie Kummer, Freude, Furcht, Sehnsucht und andere. Es gibt Bewegungen des Körpers: Wachsen, Schrumpfen, Siechtum, Besserung und Fortbewegung. Wir Maler, die wir die Bewegungen der Seele mit Hilfe von Bewegungen der Körperteile darstellen wollen, bedienen uns hier nur der Fortbewegung von Ort zu Ort.

Eine besondere Bedeutung kommt hier der Gestik zu, dem Fingerdeut oder Fingerzeig. Es gibt zwar keine Auflistung der Gestensprache der Renaissance. Leonardo da Vinci empfahl dem Maler zwei Quellen: Redner und Taube. Es gibt aber auch eine Zeichensprache, die von Benediktinern für ihre Zeiten des Schweigens entwickelt wurde, ebenso von Mönchen, die ein Schweigegelübde abgelegt haben. Die noch heute weit verbreitete Gestik im Alltagsverhalten insbesondere bei Italienern dient als zusätzliche Anregung für entsprechende Überlegungen. Wir können also eine in die Bilder integrierten Zeichensprache annehmen.

Eine Figur erfährt die Bedeutung ihrer Rolle vor allem durch Interaktion mit anderen, mit Gruppierungen und der Maler drückte damit Beziehungen und Handlungen aus. Der Betrachter mit entsprechenden Nuancen, die die Figur dem Betrachter deutlich erkennbar machte und die Gemälde waren gewöhnlich Abwandlungen eines Themas, das dem Betrachter bekannt war.
Ebenso bedeutend war der Einsatz der farblichen Mitteln, mit dem Wertigkeit hergestellt wurde, bzw. der Grad der Anbetung sich ausdrücken ließ. Der Wert dieser Farbe wurde über deren Preis bestimmt.

Eine wesentliche Qualität der Renaissancemalerei ist das Zusammenspiel von Mannigfaltigkeit - Varietà und Komposition. Baxandall nennt diese Einsicht den wichtigsten Zugang zum Verständnis des kognitiven Stil des Quatrocentro, eben des Ausdrucks der "Bewegungen des Körpers und des Geistes"(Landino).
Die Schriften Landino's , den wir als Kunstkritiker seiner Zeit betrachten dürfen ,der das geistige Leben des Medici Hofes wesentlich mitbestimmte, und mit Sicherheit auch den jungen Michelangelo mitgeprägt hat, enthalten wesentliche Kategorien der Renaissancemalerei.
Die erwähnten Qualitäten sind natürlich nur ein kleiner Teil der sechzehn Termini, die das Rüstzeug in der Betrachtung der Quatrocentromalerei ausmachen.

Michelangelos Gestalten aber wissen nichts von jenen lichten Regionen, unter einem wolkenschweren Himmel scheinen sie zu wandeln, in Höhlen scheinen sie zu wohnen und ihr Schicksal jene fortzurollen wie eine Felsenlast, die alle Muskeln aufs höchste anspannt. ernst, trübe Gedanken durchziehen ihre Stirn, es ist als verschmähten sie in ihrer Hoheit das lächelnde Dasein, in das Raphael die seinigen hinaussandte. Bei jedem Schritt scheinen sie sich zu erinnern, daß die Erde unter ihren Füßen eine eiserne Kugel sei, an die sie gefesselt sind, und unsichtbar schleppen die Ketten nach, mit denen sie die Gottheit an ein düsteres Schicksal schmiedete..Nun, welch düsteres Schicksal kann das sein.
Herman Grimm Raphael

Lodovico Dolce, ein Schriftsteller des 16.Jahrhunderts : Michelangelo suchte in seinen Werken immer die Schwierigkeit während Raphael Leichtigkeit suchte - eine schwierige Aufgabe.

Wir vermuten, daß das Bekenntnis zur Kunst und Kultur der Antike in Michelangelo den christlichen Glauben keinen ausgelöscht hat. Die beiden feindlichen Welten stritten in seiner Seele und er versuchte daraus eine Symbiose zu bilden.

Die Schönheit der Welt nimmt ihn gefangen. Er liest Boccaccio , Dante und Petrarca. In einer Art Trotz gegen den Fanatismus der Savonarolisten meißelt er seinen berühmten "Schlafenden Cupido". Er geht nach Rom und ist dort bis zum Tod Savonarolas der heidnischste der Künstler. Er macht den trunkenen Bacchus, den sterbenden Adonis und den großen Cupido, im selben Jahre, in dem Savonarola die "Nichtigkeiten und Anathema" verbrennen läßt .
Savonarola bekämpft das lebensfreudige, lustvolle und lüsterne in der Kunst , für ihn ist es die falsche Renaissance. Kunst muß der Religion dienen. Er stellt sich gegen die Verweltlichung der Kunst, gegen die Darstellung erotischer Motive und Empfindungen. Im besonderen geißelt er die Darstellung des nackten Körpers als unkeusch und verderblich. Gerade die Darstellung des nackten Körpers ist Michelangelos höchstes Ziel, und er findet das keineswegs sündhaft. Er versucht Lust vor allem an der Schönheit des männlichen Körpers zu vermitteln. Savonarola stellt sich gegen den Naturalismus, anerkannt zwar das Studium der Natur als Voraussetzung der Kunstausübung, rät jedoch den Künstlern mehr die Schönheit der Idee in den Vordergrund zu stellen , als auf Formvollendung Wert zu legen. Er möchte jeden Luxus aus der Kunst verbannt wissen. das ist wohl das einzige, worin im Michelangelo in seiner Kunstauffassung entspricht. Savonarola war in allem gesehen der Vorläufer einer tiefgreifenden Neuorientierung der Kirche, eben der Gegenreformation, und der damit verbundenen öffentlichen Moral.
Michelangelo schweigt zum Tode Savonarolas , dessen christliches Ethos in zutiefst beeindruckt hat. Er bildet kurz danach die Pieta.

Wenn die Sprache auf die Erotik Michelangelos kommt, werden die meisten der Autoren, die sich mit dem Phänomen Michelangelo auseinander setzen, auffällig vorsichtig und ergehen sich, wenn überhaupt, in Anspielungen.

Romain Rolland, dessen Leben Michelangelo in Fragen des Charakters des Künstler und auch in noch näher zu erwähnenden Details höchst interessante Aufschlüsse bietet, schreibt im zweiten Teil im Kapitel über die Liebe geradezu davon weg und verleiht der Liebe Michelangelos zu Cavalieri eine mystische Dimension der Anbetung der Schönheit dieses Mannes, die angeblich frei war von Eigensucht und sinnlichem Drängen. Er ist jedenfalls bemüht, Michelangelo frei vom "Verdacht der Homosexualität" zu halten.
Rene Fülüp Miller schreibt in "Macht und Geheimnis der Jesuiten", daß in der Mitte des Cinquecentro, als gegen das Lebensende des Michelangelo zu, die Einrichtung einer Zensur für Kunstwerke gefordert wurde, ähnlich dem bereits durchgesetzten Index der verbotenen Bücher.
Er versteht zwar die Stimmung, die zur Verdammnis von Michelangelos "Jüngstem Gericht" als "zu wenig christlich" führte, ebenso die Übermalung der "Nuditäten". Nudität unter Anführungszeichen zu setzen , heißt wohl, daß darunter auch noch anderes verstanden werden kann. Er stellt jedoch fest, daß die Jesuiten zur Ansicht kamen, daß es nicht ratsam sei, die Kunst wieder in ein früheres Stadium ihrer Entwicklung zurückzudrängen.

Die Bilderstürmerei der strengen Reformpartei wäre eher bezeichnend für die Feindschaft gegen alles Schöne und charakteristisch für den "ketzerischen Geist" des Calvinismus und des Wiedertäuferwesens.
Es wäre klüger, wenn der Katholizismus die bildende Kunst als Waffe gegen die Reformation einsetzen würde. Und so kam es dann auch zum propagandistischen Einsatz der barocken Kirchenkunst in all ihren Ausformungen.
Anfang des siebzehnten Jahrhunderts konnte der Jesuiten Orden deb dem Sinnlichen ebenso zugeneigten Peter Paul Rubens gewinnen.

Romain Rolland setzt die zeitliche Nähe der Zulassung des Jesuitenordens 1540 durch Papst Paul IV in Zusammenhang mit der 1542 der Einsetzung des Insquisitionsgerichts , das mit allen Vollmachten gegen die Häretiker ausgestattet wurde und auch Fülüp Miller selbst bezeichnet den Jesuitenorden als den stärksten Exponenten der Gegenreformation . Rolland sieht mit dem Tridentiner Konzil 1545 das Ende des freien Christentums, wie es von Contarini, Giberti und Poole gedacht wurde, gekommen.

Man kann an der Auseinandersetzung um Michelangelo insgesamt einen Richtungsstreit der katholischen Kirche in ideologischen und moralischen Fragen ablesen. Der breiten Bevölkerungsmehrheit war das wahrscheinlich ziemlich gleichgültig, die hielt das wohl alles insgesamt für Überdrehtheiten, die für das persönliche Fortkommen ohne Belang waren.

Die Vorsicht Rollands und anderen Autoren in diesem Zusammenhang ist verständlich, wenn man sich das Schicksal Oskar Pannizas vor Augen hält, der wegen seines Stückes Das Liebeskonzil, daß die etwa auch vom Biographen der Päpste Pastor bestätigten Zügellosigkeiten am Hofe des Borgia Papstes Alexander VI. zum Vorbild hat, von der bayrischen Obrigkeit völlig ruiniert, 1905 per Gerichtsbeschluß entmündigt und bis zu seinem Tode 1921 ständig in der Irrenstation des Münchner Städtischen Krankenhauses und in diversen Sanatorien angehalten. Das 1894 erstveröffentlichte Stück erlebt seine Welturaufführung erst 1969 im Theatre de Paris.

Trotz der merkbaren Vorsicht Rollands wird dieser allerdings auch im kleingedruckten, in den Fußnoten, deutlicher.

Fußnote 189) In den gleichen Jahren (ca 1544), den düstersten in Michelangelos Leben, führte er aus wilder Reaktion seiner Natur gegen den ihn erstickenden Pessimismus Werke eines kühnen Heidentums, aus wie "Leda vom Schwan geliebkost" (1529/30), die, für den Herzog von Ferrara gemalt, dann von Michelangelo seinem Schüler Antonio Mini geschenkt und von diesem nach Frankreich gebracht wurde, wo sie, 1643 etwa, durch Sublet des Noyers wegen ihrer Laszivität zerstört worden sein soll. Ein wenig später malte Michelangelo für Bartolommeo Bettini einen Karton : "Venus von Amor geliebkost", woraus Pontormo ein Gemälde machte, das sich in den Uffizien befindet. Andere Zeichnungen von großer und unerbittlicher Schamlosigkeit stammen wahrscheinlich aus derselben Zeit. Charles Blanc beschreibt eine von ihnen, " wo man die Verzückung einer vergewaltigten Frau sieht, die sich kräftig gegen einen kräftigeren Räuber wehrt, nicht ohne ein unfreiwilliges Gefühl von Glück und Stolz auszudrücken."

Der Großneffe Michelangelos wagte in seiner ersten Ausgabe von 1623 der "Rime" nicht, die an Tommaso de Cavalieri gerichteten Dichtungen treu wiederzugeben. Er ließ den Glauben bestehen, sie seien an eine Frau gerichtet. Bis zu den neuerlichen Arbeiten von Scheffler und Symmonds galt Cavalerie als ein erdachter Name, der Vittoria Colonna verbergen sollte.

Veronese, der im Juli 1573 wegen seines Gemäldes "Gastmahl bei Simon" vor die Insquisition gezerrt wird, stützte sich in seiner Verteidigung auf das Vorbild des "Jüngsten Gerichts":
Ich gebe zu, daß es unrecht ist, aber ich komme auf das zurück, was ich gesagt habe, daß es ein Pflicht für mich ist, den Beispielen zu folgen, die meine Meister mir gegeben haben. Wer sind den eure Meister? Für derartige Sachen? Michelangelo in Rom hat in der Papstkapelle unseren Heiland, die Mutter Gottes, St.Johannis, St.Peter und die Himmlischen nackt dargestellt, selbst die Jungfrau Maria, und zwar in Stellungen, die nicht gerade der strengste Glaube inspiriert hat--" (A.Baschet:Paul Véronèse devant Le Saint-Office1880 -siehe auch Michael Jäger)

Das Tribunal antwortete daraufhin spitzfindig, daß bei Eintreten des jüngsten Gerichts keinerlei Kleider mehr erforderlich wären.
Eine weitere Blüte des Diskurses um die Freiheit der Kunst hat uns eben dieses venezianische Insquisitionstribunal durch die Jahrhunderte hindurch beschert. Die Narrenfreiheit des Künstlers.
Paolo Veronese: Wir Maler nehmen uns die Freiheit, so wie die Dichter und die Narren..
. Dem Hofnarren war als einzigem zugebilligt, dem Fürsten wo auch immer und wie auch immer die Wahrheit zu sagen. Dafür mußte er auch allerdings die Rolle des Narren, des Verrückten in Kauf nehmen.
Im weiteren fragt das Tribunal ob Veronese es wirklich für richtig empfinde bei Jesu' letztem Abendmahl Narren, Trinker, Zwerge, andere Albernheiten und Deutsche... hinzumalen.
Veronese verneint, um seinen Kopf zu retten.Wie verachtet waren die Deutschen damals in Italien, nach dem sacco dir roma und im Verlauf der protestantischen Absetzbewegung? Ein krichlich verbrieftes Beispiel, daß nationale Interessen die Freiheit der Kunst beeinträchtigen.

Bereits der Zeremonienmeister des Paul III., Biagio da Cesena, meinte dem Papst gegen-über, es wäre äußerst ungehörig an einem so heiligen Ort wie der Sixtina so viele Nacktheiten darzustellen, die eher in eine Badestube oder in eine Herberge passen würden. Badestuben waren jedoch zu dieser Zeit auch Orte der Prostitution.

Und der Meisterpornograph Aretino, dessen Courtisanengespräche erhalten sind, schrieb scheinheilig empört an Michelangelo, daß er Dinge darstelle " vor denen ein Bordell erröte" und forderte im weiteren den Papst auf, das "Jüngste Gericht" zu zerstören, wohl um von seiner eigenen Obszönität abzulenken und kniefälligst den eigenen Hals zu retten.

Paul IV. und in Folge Clemens VIII wollten dann tatsächlich auch die Fresken abkratzen lassen. Paul IV einigte sich schließlich darauf, die auffälligsten "Blößen" vom Michelangelo Schüler Daniele da Volterra, der als "Hosenmaler" in die Kunstgeschichte einging, übermalen zu lassen. Clemens wütete dann nochmals gegen die "bereinigte" Fassung. Michelangelo vermied es, sich in irgendeiner Form zur Wehr zu setzen.

Romain Rolland spricht in Zusammenhang mit diesen Ereignissen andauernd vom keuschen Michelangelo, wie viele seiner Verehrer auch. Aber Cesena und Aretino hatten nicht ganz so unrecht. Ich habe schon an anderen Stellen die Meinung ausgesprochen, daß die Darstellung des nackten Körpers durch Michelangelo durchaus lustbesetzt war. Und bestimmte gedanklich zu vollziehende Spiegelungen sowohl im Deckengemälde wie auch im Altarbild geben den Figuren überraschende Zuordnungen.
Man kann von verhüllten Inhalten sprechen, von versteckten Anspielungen, die selbstverständlich nicht völlig .

Eine mir bekannte Kunstkritikerin meinte, als ich ihr vom vorliegenden Projekt erzählte, daß sie an Michelangelo am meisten enttäuscht habe, daß er die Frauen mit so männlichen Körpern ausgestattet hätte. Sie hatte natürlich nicht realsiert, daß sie dadurch erst für den homoerotischen Michelangelo begehrenswert erschienen. Man kann es auch anders sehen, nämlich so, daß er umgekehrt Männer mit weiblichen Sex appeal ausstattete.

Diese Problematik des Begehrens und des Begehrtseins, des Hingebens und des Nehmens , der Hermaphrodismus dürfte gerade unter Homosexuellen eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen, wie es ja auch zunehmend in heterosexuellen Beziehungen Bedeutung hat, und so könnte die oben erwähnte Vergewaltungsskizze, so sie tatsächlich von Michelangelo stammt, in einer eher projizierten und verschlüsselten Sicht zu betrachten sein. Von Michelangelo wissen wir, daß er in Fragen der Kunst und des Kunstwollens uneingeschränkte Autorität anstrebte, sie auch besaß, des öfteren Streit vom Zaun brach und in nicht gerade feinfühliger Weise seine Meinung kundtat . Er war sicher nicht dazu imstande eine homosexuelle Beziehung unter Gleichen oder gar unter einer dominanten Person auszuleben, die seine persönliche Identität auch nur irgendwie in Mitleidenschaft gezogen hätte.Hinzu kommt, daß der Homosexuelle andauernd Gefahr läuft, ob seiner Schwäche ausgenutzt zu werden. Der tiefreligiöse Michelangelo scheute nicht nur die moralische Diskriminierung und Bestrafung der Unkeuschheit, möglicherweise fürchtete er Verletzung durch Leidenschaft noch mehr.

Flieht, Liebende, die Liebe! flieht das Feuer!
Wild ist der Brand, die Wunde führt zum Tod;
nichts hilft, nachdem die erste Glut geloht;
nicht Kraft, Vernunft noch Flucht erbarmt sich euer.

unvollendetes Sonett von Michelangelo

Er wollte wahrscheinlich eine reine Liebe, frei von Eifersucht, frei vom Gefühl des Benutztseins, frei von Erniedrigungen und Demütigungen. So können wir auch die bemerkenswert oft zitierte platonische Empfindungsvorstellung, die er in vielen Gesprächen äusserte, verstehen. Seine Liebe galt offensichtlich dem Mann, und er verheimlichte das auch nicht, eine Liebe die sich jedoch unter den Vorstellungen, die er selbst hegte, nicht erfüllte. Hinzu kam, daß sein eigenes Aussehen seinen Idealvorstellungen keineswegs entsprach, war er doch von seinem Mitschüler Torrigiani für alle Lebenszeit verunstaltet.
Torrigiani zu Benvenuto Cellini: "Ich ballte die Faust, schlug ihm so heftig auf die Nase, daß ich fühlte, wie Knochen und Knorpel zerquetscht wurden gleich einer Oblate. So habe ich ihn für sein ganzes Leben gezeichnet."
Warum ihn Torrigiani gezeichnet hat, läßt sich beim besten Willen nicht mehr herausfinden, bloss vermuten. Wahrscheinlich was es der Neid auf das Talent Michelangelo .Jedenfalls mußte der dem Männerschönen zugetane Michelangelo sein ganzes künftiges Leben fürchten, nicht ob seines äusseren geliebt zu werden. Er hatte sich von vornherein einen Nachteil eingehändelt, den es in alle Zukunft zu kompensieren galt.

Die des öfteren erwähnte auffallende Sittlichkeit des Michelangelo hat sicher auch ihre Wurzel in der Sehnsucht nach dem Seelenschönen, das insbesondere von den florentinischen Neuplatonisten verlangt wurde.Jedoch, das dem Menschen gefällige kann nicht schlecht sein , es ist gut und so gehörte die Kunst des Liebens, auch der physischen Liebe zu den verfeinerten und gesteigerten Kulturvorstellungen der Renaissance.

Es kann durchaus sein das Michelangelo mit seinem ausgeprägten religiösen Wesen, daß in der Reflexionsfähigkeit weit über den Durchschnittsbürger hinausging, mit seiner Sexualität in sich in Konflikt geriet. Denn da zählt nicht, was dem Menschen gefällt, sondern dem Gott gefällig ist.

Es gab einige Männer, von denen wir wissen, daß seine Leidenschaft an ihnen entflammte. Tommaso Cavalieri war ihm zweifellos der treueste von ihnen allen. Die leidenschaftlichen Liebesgedichte Michelangelo an diesen Mann wurden rasch in literarischen Kreisen zitiert und waren in ganz Italien bekannt. Michelangelo machte also seine Vorlieben durchaus öffentlich und fand daran offensichtlich nichts besonders verwerfliches.

Und da war noch etwas, das ihn davor abhielt, in einer körperlichen Leidenschaft völlig aufzugehen. Er, der selten nach der Natur arbeitete, weil sie ihm nicht ideal genug erschien ( nur der Körper Cavalieris konnte in dieser Vorstellung mithalten) ging völlig in seiner Kunst auf. Michelangelo hatte offensichtlich immer wieder Idealvorstellungen, die er sich nur in der Kunst und nie im Leben erfüllen konnte, nicht wollte oder nicht durfte.

Seine Armut, über die er andauernd sein ganzes Leben lang klagte, und es gibt genügend Belegstellen hiefür, erscheint als eine selbst auferlegte Kasteiung. Denn Michelangelo war reich. Er verdiente hervorragend und kann nach heutigen Begriffen als mehrfacher Millionär gelten der unter anderem Investitionen in Ländereien tätigte und auch reich verstarb , er war einer, der nicht nur Güter sondern auch eine Menge Bargeld hinterließ.

Man vergleiche Leonardo d Vinci , der seinen Wohlstand und seine Schönheit gern öffentlich zur Schau stellte oder gar Raphael, der fürstlich Hof hielt. Wir dürfen nicht vergessen, das Michelangelo zu den absoluten Stars seiner Zeit zählte, man nannte ihn den Göttlichen, aber er verhielt sich nicht wie die vergleichbaren Personen.

Man kann Michelangelo jedoch nicht als geizig gegenüber zweiten und dritten bezeichnen. Seine Gehilfen unterstützte er großmütig und seiner Familie ließ er genügend zukommen. Hier hatte er bloß Angst, daß das Geld,das er ihnen reichlich gab, nicht sinnlos vergeudet werde. Seinen Freunden machte er fürstliche Geschenke. Von seinen Kunstwerken hat er angeblich mehr verschenkt als verkauft. Das will angesichts der Preise, die er damit erzielen konnte, etwas heißen. Und in den von Francisco Hollanda aufgezeichneten Gesprächen im Kreis der Colonna sagt er : Mich deucht es unwahrscheinlich, daß die antiken Maler mit euren spanischen Bezahlungen und Wertungen zufrieden gewesen wären; vielmehr bin ich überzeugt, daß sie es nicht gewesen wären, denn es ist uns von einigen besonders großzügigen und freigebigen Künstlern überliefert, daß sie , da sie wußten, es sei in ihrem Vaterlande nicht genügend Geld vorhanden, um ihre Werke zu bezahlen, dieselben hochherzig umsonst hergaben, wiewohl sie zum Malen dieser Bilder Zeit und Geisteskraft und Geld gebraucht hatten.

Michelangelo war geizig sich selbst gegenüber. Dieses Nichterfüllen von Wünschen, diese Feindlichkeit gegenüber dem vorhandenen Wohlstand kann ebenso für seine sexuelle Sphäre gelten. Michelangelo verweigerte sich allem, nur einem nicht, dem Ziel, der größte lebende Künstler seiner Zeit zu sein.
So etwa die Gestaltung der Sixtina, die er im ersten Moment an Raphael abschieben wollte. Die Abwehr wider die Malerei erwächst seiner bildhauerischen Leidenschaft zum Körper, zum dreidimensionalen Körper.

Die Auseinandersetzung mit dem Werk Michelangelos ist auch Auseinandersetzung mit der Instanz der Zensur jener Zeit gegenüber Kunst.

Da sie sich zum Teil im Bereich der religiösen Kunst abspielt, kann nicht allein als Blasphemie gewertet werden. Die Verbindung von erotischen und religiösen Motiven hat gerade ím Thema des "Jüngsten Gerichts" eine bestimmte Brisanz und Vieldeutigkeit.

Michelangelo war zwar als Künstler ein extremer Einzelgänger, als umfassend denkender und gebildeter Mann hatter er ein Bedürfnis nach offenem geistigen Austausch.

Am bekanntesten ist wohl die Freundschaft mit Vittoria Collona, teilweise dokumentiert durch Briefe , durch Sonette die er an die Verehrte richtete und durch die Aufzeichnungen des Francisco de Hollanda , den "Gesprächen über die Malerei."
Michelangelo lernt Vittoria, die Witwe des Marchese von Pescara, relativ spät kennnen. Die Collona lebte nach dem Tod ihres Mannes, der an den Folgen von Kriegsverletzungen verstorben war, äusserst zurückgezogen, stand jedoch in regem brieflichen und freundschaftlichen Verkehr mit den bedeutendsten Männern und Frauen ihrer Zeit. Sie verfasste selbst Sonette, die ihr schon zu Lebzeiten einigen Ruhm einbrachten. In ihren religiösen Einstellung stand sie jenen italienischen reformatorischen Kräften nahe, die eine Neugestaltung der Kirche anstrebten und dabei die Spaltung, das Schisma zu vermeiden trachteten. Der Führer dieser reformatorischen Strömung war Juan Valdes, der "Gerechtigkeit allein durch den Glauben "predigte und die Erleuchtung durch den Heiligen Geist über die Unterweisung durch die Schrift stellte. Ein Glauben dem nach Papini auch Michelangelo anhängt. Dies war kein häretischer Glaube, es war jedoch eine Abweichung von der Orthodoxie, stellt sie doch die Autorität der kirchlichen Leitung als einzig berechtigte in Glaubensangelegenheiten in Frage. Sein Mitstreiter, der Kapuziner Bernardino Occhino, war ein vertrauter Freund Vittoria Collonas. Occhino wurde bis 1542 trotz kirchlicher Verbote vom Volk unterstützt, mußte dann allerdings Florenz verlassen und trat in Genua zum Protestantismus über.

Der Geheimschreiber (Protonotar) des Clemens VII, Schüler und Freund von Valdes, dessen Vater Geheimsekretär Karl des V. gewesen war, Pietro Carnesecchi, der 1546 erstmals vor dem Insqusitionsgericht erscheinen mußte und 1567 in Rom verbrannt wurde, stand bis zum Tod der Collona in vertrauter Beziehung zu ihr.

Der von Paul III zum Kardinal ernannte Gaspare Contarini versuchte auf dem Reichstag von Regensburg einen Ausgleich mit den Protestanten herzustellen und scheitert.

Ein weitere interessante Person ist der Kardinal Poole, der nach Paul III fast Papst geworden wäre, eine Stimme fehlte ihm zur Wahl. Poole , aus dem königlichen Hause York war in seiner englischen Heimat mit Heinrich VIII in Konflikt geraten, da er sich offen gegen die Abtrennung von der katholischen Kirche stellte. Dieser Poole oder Reginald Pole war sowohl mit Michelangelo wie auch Vittoria Collona befreundet. Die beiden dürften durch Vittoria bekannt gemacht worden sein. Poole war nach Rolland ein enthusastischer Freund des Contarini, ordnete sich dann jedoch den gegenreformatischen Kräften unter und führte viele Freigeister der Contarinigruppe zurück zum katholischen Gehorsam. Dieser Poole kehrte 1554 als päpstlicher Legat nach England zurück, wäre durch eine von vielen Seiten gewünschten Eheschließung mit Maria, der Katholischen fast englischer König geworden, wurde zum Erzbischof von Canterbury ernannt und schlußendlich vom Papst Paul IV vor das Insquisitionsgericht zitiert, verstarb allerdings vor der Ingangsetzung des Prozeßes.

Am Rande sei hier vermerkt, daß der österreichische Habsburger und Kaiser Maximilian I ebenso eine Zeitlang die Wahl zum Papst angestrebt hat. Die Wiedergesundung des Julius II vereitelte diesen Plan. Der Wechsel aus einem Herrscherhaus in die Spitzenposition der Katholischen Kirche war also durchaus vorstellbar. Maximilian I war für Papst Alexander IV eine der stärksten Stützen gegen die Pläne Karl des VIII.

Die Habsburger selbst haben auch ohne Sitz in Rom die wesentliche wie entscheidende in der Gegenreformation eingenommen und der Eindruck , daß sich die eigentliche europäische Macht nach dem Sacco di Roma, also des Massakers unter der kaiserlichen Befehslgewalt des Karl V in Rom vom päpstlichen Rom zu den Habsburgern spanischer und dann wieder österreichischer Prägung verlagerte, verstärkt sich so. Das sinnliche Rom wird überlagert vom lustfeindlichen und jenseitsorientierten schwarzspanischen und österreichischen Katholizismus habsburgischer Prägung. Die Habsburger fochten die Gegenreformation im Dreissigjährigen Krieg, der ganz Europa in Mitleidenschaft zog, mit allen ihnen zu Gebote stehenden militärischen.justitiarschen Mitteln durch. Karl V. erliess die peinliche Gerichtsordnung. Foltern im Namen des Glaubens war damit Tür wie Tor geöffnet.

Die moralischen und wissenschaftlichen Verdammungen der Insquisition finden in unserem Jahrhundert ihre noch bedeutend schrecklichere Entsprechung in den Gewaltorgien der Nationalsozialisten und der Stalinisten.

Die Renaissance, bzw. das Ende der Renaissance leitet eine Verschiebung des europäischen Kräfteverhältnisses in Form der Dialektik von Reformation und Gegenreformation ein, daß erst in unserem Jahrhundert neustrukturiert wurde.

Michelangelo bewegte sich von Jugend an in diesem Spannungsverhältnis. In Florenz der Widerspruch zwischen den weltlich und heidnisch ausgerichteten Medici und dem Gottesreich Savonarolas, in seinem Alter zwischen eine freien Christentum etwa auch im Sinne eines Pico della Mirandola und einer rigorosen geistfeindlichen Gegenreformation. Am Kreis der Vittoria Collona können wir erkennen, wie eng der Spielraum praktischen Handelns und Ausübens geworden war.

Giovanni Papini , der vor allem den Freundeskreis und potentielle Bezugspersonen Michelangelos beleuchtet kommt in Zusammenhang mit Martin Luther zu einem grotesk anmutenden, jedoch nicht ganz von der Hand zu weisenden Schluß Michelangelo habe den auf gigantische Unternehmungen versessenen Julius II mit der großzügigen und monumentalen Konzeption des Grabmals erst dazu gebracht den Neubau des Petersdoms in Angriff zu unternehmen. Dieses Großvorhaben bedurfte nun auch entsprechender Geldmittel. Um die notwendigen Mittel aufzubringen, verstärken Julius und seine Nachfolger den Ablaßhandel.

Dem sinnenfrohen italienischen Katholizismus der Renaissance tritt die dunkle, nachtseitige Gegenreformation mit ihrer mörderischen Insquisition und der puritanische Protestantismus gegenüber. Wenn Pastor fast 400 Jahre später über die große Sittenverderbnis der Renaissance berichtet, müssen wir das Wirken und den Sieg der Gegenreformation, der erst wieder in der Aufklärung entschieden Kräfte gegenübergesetzt werden, einrechnen. Ich habe in der Betrachtung der Renaissancemalerei, insbesondere der des Michelangelo den Eindruck gewonnen, daß diese Menschen dem menschlichen Körper, der Sinnenfreude und der damit verbundenen Sinnenlust schlicht und einfach unbefangener und etwas freier von Schuldgefühlen genießender gegenübergestanden sind. Auch Fragen verschiedener geschlechtlicher Orientierung stellen sich da nicht in jener Krassheit und Schlüpfrigkeit, die in diesem Themen noch immer mitschwingt.
Der einzig wirkliche, allerdings nicht zu unterschätzende Schrecken, der mit der frei praktizierten Sexualität einher ging, war wohl die rasche Ausbreitung der Lustseuche Syphilis die in unserem libertären Zeitalter ihr Pendant in der möglicherweise noch gefährlichen Infektionskrankheit AIDS findet. Doch wissen wir, zumindest reden wir es uns ein, daß die Verdrängung eines Problems noch niemals eine Lösung gebracht hat.

Man braucht sich in diesem Zusammenhang die österreichische Lustfeindlichkeit, die bis in unsere Tage reicht, vor Augen halten. Es hat sich seinen Grund, daß der große Analytiker des menschlichen Trieblebens, Sigmund Freud, seine wissenschaftliche Erkenntnis in Wien erarbeitet hat. Man muß sich da nur deutlich machen, daß die wirkliche Anerkennung Freuds in Österreich erst ab den 70er Jahren des 20 Jahrhunderts stattgefunden hat. Also nocheinmal ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod.

Michelangelo fand in Vittoria Collona nicht nur eine Wahlverwandtschaft, in der wahrscheinlich auch die innersten Gedanken nicht verborgen blieben, sondern er bewegte sich auch in einer Schnittstelle von Personen, die sensibel für das Vergangene und hellhörig für das Kommende waren und die zweifellos das wahrnahmen, was wir heute internationale Politik und interkulturellen Zusammenhang nennen. Und es war eine kritische Szene, freigeistige, wenn auch tiefreligiöse Szene, der er sich zugehörig fand.

Ob nun Vittoria die Frau seines Lebens hätte sein können, oder ob es jene Bologneserin, der er kurzfristig seine Leidenschaft zuwandte, gewesen wäre, ist nun doch nur ein Thema für die, die Michelangelos männliche Vorlieben einfach nicht akzeptieren können oder wollen. Papini schreibt das Vittoria Collona nach ihrem geistigen Habitus und nach ihrem äußeren mehr Mann als Weib war. Sie habe mit Catherina von Siena und Caterina Sforza zu den sogenannten "Mannweibern" gezählt.

Ihr Biograph Filonio Alicarnasso schreibt in Hinblick auf ihre Ehe: Da sie sich durch das Band der Ehe mit einem solchen Manne verknüpft sah, war sie darauf bedacht, ihre Geistesgaben zu entwickeln, die sie auf die Literatur und Welterkenntnis richtete, weil sie nicht über besondere Schönheit verfügte. Unter einen ähnlichen Problematik hat auch Michelangelo gelitten. Nur ging es ihm nicht darum, einer Ehefrau zu gefallen.

Die wohl mächtigste Gestalt, mit der sich Michelangelo auseinander zu setzen hatte, war Papst Julius II aus der Familie della Rovere und Neffe Sixtus VI. Als Kardinal hatte er wie viele kirchliche Würdenträger seiner Zeit ein recht lockeres Leben geführt. Aus seiner päpstlichen Amtszeit werden jedoch kaum sittliche Verfehlungen vermerkt. Julius war eine durchaus politische Persönlichkeit, der vor militärischen Aktivitäten nicht zurückscheute. Sein politisches Ziel war die Wiederherstellung, Befestigung und Erweiterung des Kirchenstaates und dies nicht zum Nutzen seiner Familie sondern um dem päpstlichen Stuhl die Unabhängigkeit sichern. Eine Reihe seiner Vorgänger übten Nepotismus, und dachten nur daran das Wohlergehen und den Einfluß ihrer Familien zu sichern und auszuweiten. Er war eine mit großen geistigen und körperlichen Fähigkeiten ausgestattete Titanennatur von gewaltiger Willenskraft, unbezähmbarer Energie und rastloser Schaffenslust. Charakterzüge die uns an Michelangelo ebenso auffallen. Als dieser das Standbild des Papstes nach beigelegtem Streit gießen mußte, fragte Michelangelo Julius, was er im den in Hand geben sollte und Julius wünschte sich ein Schwert, Michelangelo fand dann doch die Schlüssel des Petrus angemessener. Julius Beiname war "Il Terribile" - der Fürchterliche. Michelangelo hatte sich in der Auseinandersetzung um das geplante Grabmal seinen Unwillen zugezogen. Er floh aus Rom und seine Florentiner Mitbürger brauchten lange, um ihn zur Rückkehr an den päpstlichen Hof zu bewegen. Sie fürchteten sogar, daß Julius in Florenz mit seiner Militärmacht einfallen würde, um den störrischen Michelangelo zurückzuholen. Diese beiden Geister waren einander ebenbürtig und Julius ließ Michelangelo in der Ausführung der Sixtinischen Decke völlig freie Hand. Im zweiten Vertrag war festgehalten, daß der zu malende Stoff dem Künstler völlig frei gestellt sei.
Und mit energischem und umsichtigen Vorgehen erreichte Julius seine politischen und militärischen Ziele. Er demütigte Cesare Borgia. Er gewann Perugia und Bologna dem Kirchenstaat zurück. Im Bündnis mit Maximilian I, der 1508 mit Zustimmung des Papstes den Titel eines "erwählten römischen Kaisers angenommen hatte, mit dem französischen König Ludwig XII und Spanien, die sich in der Liga von Canbrai zusammenschlossen, zwang er die Venezianer zum Ausgleich. Gegen die Interessen seiner Bündnispartner ermöglichte Julius den Venezianern eine friedliche Einigung. Maximilian versuchte selbst Papst zu werden und rechnete mit dem Ableben des Julius und Ludwig XII berief in Pisa ein allgemeines Konzil ein, mit dem Ziel der Amtsenthebung. Julius antwortete mit einer allgemeinen Lateran Synode und erklärte den Zusammenschluß in Pisa für unrechtmäßig. Um Ludwig XII auch militärisch zu besiegen schloß der Papst die Heilige Liga mit Venezianern und Spaniern. Sie erlitten zwar bei Ravenna eine schwere Niederlage, doch das französische Heer war durch den Tod seines Feldherrn der Führung beraubt.

Die Annäherung Maximilians und Englands an die Liga führte im weiteren zur Beseitigung der französischen Herrschaft in Italien , die mit dem Feldzug Karl VIII von Frankreich begann, der im Jahre 149? in wenigen Wochen mit seinem Heer siegreich Italien eroberte um den vom französischen Thron schon seit längerem erhobenen Anspruch auf das Königreich Neapel durchzusetzen.
Wechselnde Bündnisse waren durchaus keine Seltenheit und führten wie im Falle Julius zum Sieg des gewiegteren Taktikers.
Eine seiner wesentlichsten Bullen war wohl jene, die jede simonistische Papstwahl, also durch Bestechung manipulierte für nichtig erklärte und simonistische Wähler mit den schwersten Kirchenstrafen bedrohte.
Trotz seiner Verwicklung in politische und kirchliche Unruhen, in militärische Auseinandersetzungen zählt Julius zu den großartigsten Förderern der Künste. Bramante, Michelangelo und Raphael sind für immer mit seinem Namen und seinen Leistungen verbunden.


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