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Virtueller Faschismus

© Franz Krahberger

Electronic Journal Literatur Primär ISSN 1026 -0293

Virtuell bedeutet im ursprünglichen Sinn eine versteckte Kraft, wurde auch als potentielle Macht, Gewalt im militärischen Sinn definiert, die nicht offensichtlich, sondern erst bei Abruf bzw. Aufruf ihre wahrnehmbare Gegenwart entfaltet. Dies entspricht durchaus der militärischen Usance, die wahre Schlagkraft wie auch die Methoden der Verteidigung zu verschleiern.
Es ist eine innewohnende, potentielle Kraft, die jederzeit aktiviert werden kann. Ebenso beschreibt der Begriff ein System, mit dem (virtuelle) Images hergestellt werden können. Imagination, also die Herstellung mentaler Bilder und Konzepte, die den Sinnen nicht direkt aktuell offensichtlich sind, die permanent  transportiert werden und unterbewusst wirksame Einbildungen entwickeln, die dann je nach Bedarf potenziert und in reale Präsenz gerufen werden können.

Im mythologischen Urbild steht Virtus, die Personifikation kriegerischer Tapferkeit, in enger Beziehung zur Personifikation der Ehre, zu Honor. Die Römer verehrten beide Gottheiten in einem Tempel verehrt. Sie wurden entgegen des römischen Ritus, der nur die Verehrung jeweils einer Gottheit an einem Platz vorsah, in einem Tempel vereint. Dieser kleine historische Exkurs erhellt die Herkunft des Wortes aus dem militärischen Denken und Handeln. Kraft und Ehre, eine merkwürdige Analogie, die man so im Gebrauch des Wortes im aktuellen medialen Diskurs nicht verbindet.

Im dritten Buch seiner Abhandlung vom Hauswesen Della famiglia spricht Leon Battista Alberti vor allem über die virtu, die Trefflichkeit. Sie stünde über allen menschlichen Gütern. Der Mensch kann seinem Wollen entsprechend alles erreichen. Der vielseitig Tätige verdiene den höchsten Preis, und nicht der, der sich aus Bequemlichkeit eine enges Gebiet gesucht habe. Um die Trefflichkeit zu erwerben müsse man streben, dass zu sein, wofür man gelten möchte. Ich füge dieses Beispiel auch deswegen an, um zeigen wie ein kriegerischer Begriff in den zivilen Bereich hineinreicht und dessen Verhalten mitzuformen imstande ist. Das ist wesentliche Charakteristik faschistischen Denkens, militärisches Denken in ziviles überzuleiten und nicht umgekehrt. Im italienischen Hochmittelalter galt die virtu als die Tugend, das wahre Glück der Seele, die ohne Kampf nicht bestehen konnte, während sie sich in der Renaissance in die Trefflichkeit, unter der aber auch rücksichtslose Tüchtigkeit verstanden wurde, verwandelte.

In der Elektronischen Datenverarbeitung wird ein virtueller Speicher aus dem Zusammenwirken des Arbeitsspeichers und einem sekundären Hintergrundspeicher definiert. Bei diesem Verfahren wird der Arbeitsspeicher virtuell vergrössert, man lagert aktuell nicht benötigte Programmteile aus und holt sie erst bei Bedarf wieder in den Arbeitsspeicher.

In zivilen demokratischen Gesellschaften steht die militärische Ordnung im Hintergrund, auf Abruf für den Fall von Bedrohungen im äusseren wie auch im inneren. In Österreich hat das Heer, abgesehen vom für alle männlichen Staatsbürger verpflichtenden Präsenzdienst, in der Öffentlichkeit nur geringe Bedeutung. In anderen europäischen Demokratien ist der öffentliche Stellenwert ungleich grösser. Das lässt sich etwa an den alljährlichen kontinentalen TV- Ereignissen wie etwa der Parade der britischen Armee zum Geburtstag der Königin oder an der Parade des französischen Heeres am Jahrestag der französischen Revolution, dem 14.Juli, ablesen. Abgesehen von diesen öffentlichen Würdigungen des Staates und der militärischen Macht hat dies jedoch unmittelbar kaum Einfluss auf das tägliche Leben dieser Staaten. Im Selbstverständnis dieser Nationen dienen diese stehenden Heere der Sicherung des Friedens und des Wohlstands.
Obwohl das Militär heute in Österreich kaum Bedeutung hat, die Politiker streiten zum Beispiel über den Nachkauf von Abfangjägern, kommt es in Zusammenhang mit der militärischen Vergangenheit des Landes immer wieder zu öffentlichen Erregungen, wie etwa im Fall Waldheim oder im Streit um die Ausstellung Verbrechen der Wehrmacht. Das Verhalten der Kriegsgeneration hat nachhaltige innenpolitische Grundlagen bewirkt.

Diese Menschen haben eine Vorgeschichte, die mit der gesellschaftlichen Realität nicht mehr übereinstimmt. Über längere Zeit gehörten sie einem totalitären Staatswesen an, in dem die militärische Vorstellung das zivile Leben überlagerte und zurück drängte, in dem die veröffentlichte Meinung des militärischen Führers und Diktators gleichzeitig auch die öffentliche und die private Meinung zu sein hatte. Abweichungen waren nicht zugelassen, Überschreitungen wurden schwer bestraft. Der Partei dieses Führers war es gelungen, alle staatlichen Organisationen gleichzuschalten, die anderen Parteien auszuschalten bzw. zu verbieten.
Anstelle des parteilichen Wettbewerbs wurde die allumfassende Volksgemeinschaft und deren Durchdringung mit einer einheitlichen Ideologie gesetzt, die für alle Lebenslagen und Lebensfragen bindend gewesen ist. So hat Hitler vor seiner Machtübernahme in Deutschland öffentlich vor grossem Publikum wiederholt unter heftigem Beifall erklärt, er werde die dreissig Parteien, die in der Weimarer Republik um die Gunst der Wähler stritten, aus dem Land hinausfegen. Höheres Ziel dieser Volksgemeinschaft war es, einen umfassenden Krieg zu führen, um die Niederlage des Ersten Weltkrieges, die als Schmach dargestellt wurde, zu rächen, um Gebietszuwächse zu erzielen, fremde Rohstoffquellen und fremde Arbeitskraft auszubeuten. Die Nazis haben die Gesellschaft von Anfang an militarisiert, und setzten anstelle des zivilen Lebens eine militärisch diktatorische Ordnung.
Die sozialen Unterschiede wurden innerhalb der Volksgemeinschaft verwischt, ihre Führer gaben sich betont volksnahe, lehnten den Klassenkampf völlig ab. Links orientierte Weltanschauungen und Parteien wurden als Wegbereiter der Unterjochung dargestellt. So konnten die Nazis einerseits die eigenen totalitären Massnahmen rechtfertigen und von ihrer Willkür ablenken.
Zum Konzept dieser Volksgemeinschaft gehörte ein Gesetz wider die ethnische Vermischung, die man Rassenschande nannte. Verletzungen des Gesetzes wurden streng geahndet. Sogenannte volksfremde Personen wurden abgestossen und vernichtet. Es war also in jeder Hinsicht gefährlich, kein Angehöriger der Volksgemeinschaft zu sein, beziehungsweise die gezogenen Grenzen zu überschreiten. Die Volksgemeinschaft war eine militärische Zwangsgemeinschaft, deren ideologischen Kern die rassische Zugehörigkeit bildete.
Nach den ersten Schritten der Gebietserweiterung, in der sie die sogenannte deutsche Sprach - und Kulturgemeinschaft mit militärischen Mitteln zu einem Reich zusammenschlossen, gingen die Nazis zu einem kontinentalen Agressionskrieg, zur Eroberung von Lebensraum und Rohstoffen über, der letztendlich zu einem globalen Inferno sich ausweitete. Der totale Krieg der Nazis endete mit einer ebenso totalen Niederlage des Dritten Reiches und seiner Verbündeten.

Insgesamt ist dies alles sehr gut dokumentiert. Wer wissen will und wollte, kann und konnte sich jederzeit informieren. Ebenso wichtig wie die Kenntnis der historischen Ereignisse erscheint eine Analyse der mangelnden moralische Reflexion der Vergangenheit, die sich noch tief im Alltagssprachgebrauch verwurzelt zeigt.

In Österreich versuchte man nach 1945  die Geschichte zwischen 1938 und 1945 möglichst auszublenden. Anstelle dessen trat eine betont österreichisch orientierte Geschichtsschreibung, die tunlichst alle Anklänge an Deutschland vermied, die eine Art Historizismus hervorbrachte und bis hin zur Beschwörung der imperialen Vergangenheit geriet. Bevorzugtes Thema ab 1970 waren die Ereignisse der ersten Republik bis zum Anschluss 1938, inbesondere der Bürgerkrieg des Jahres 1934.
Sowohl nach aussen wie auch nach innen stellte man sich als erstes Opfer des Nationalsozialimus dar. Man verschwieg die Übereinstimmungen mit dem Nationalsozialismus. Die Tatsache, dass Österreicher mit Hitler für ein gemeinsames Ziel in den Krieg zogen, liess sich jedoch nicht aus der Welt schaffen. Im Gegensatz zu den Zwangsarbeitern fühlte sich nur eine Minderheit der Österreicher zwangsverpflichtet. Auch darin lässt sich die gemeinsame Vergangenheit erkennen. Da es nicht gelang, sich zu einer wirklich schuldbewussten Sehweise dieses Krieges durchzuringen, bleiben nationalsozialistische Inhalte latent und virtuell bestehen, obwohl offizielles Österreich  jeden Zusammenhang damit leugnete.
Erst eine jüngere Historikergeneration begann sich intensiv mit diesen Zusammenhängen der nationalen Problematik und, allerdings in geringerem Ausmass, mit den Folgen nach 1945 auseinander zu setzen. Erst ab den 80er Jahren begann eine umfassende Aufarbeitung der Geschichte des Kalten Krieges, der Zeit nach 1945 und der Nachwirkungen in der Gegenwart.

Totalitarismuskritiker wie Sperber und Koestler, die mit dem Kommunismus  bereits in den 30 Jahren gebrochen hatten, waren durch ihre Nähe zum Kongress für Freiheit, nach der Blosstellung des CIA Hintergrundes für die jüngere Generation unglaubwürdig geworden. Sie erschienen durch die CIA korrumpiert. Arthur Koestler hielt an dem von der CIA initiierten Kongress für kulturelle Freiheit in Berlin zu Beginn der 50 er Jahre eine der Grundsatzreden und forderte in pathetischer Rede zur Verteidigung der Freiheit auf. Der betonte Antiamerikanismus der 68er Generation richtete sich auch gegen die ehemaligen Linksintellektuellen des Kongresses und verdeckte damit wesentliche kritische Blickwinkel auf den realen Kommunismus.

Erst jüngst stellte der Vorsitzende der österreichischen kommunistischen Partei egoistisch fest, dass die kommunistische Partei zwischen 1938 und 1945 die Hauptkraft des österreichischen antifaschistischen Widerstands geleistet habe. Gerade auf diesen Widerstand hätten sich die Politiker beziehen können, die im April 1945 die Zweite Republik ausriefen. Die staatlichen FunktionärInnen der KPÖ wären nach 1945 am entschiedensten für eine konsequente Entnazifizierung eingetreten. Nicht zuletzt deshalb wären sie sehr schnell von ÖVP und SPÖ aus dem Staatsdienst entfernt worden. Die Ausgrenzung der Kommunisten und die Reintegration ehemaliger Nationalsozialisten sei  im Zeichen des Kalten Krieges kein Zufall gewesen zu sein.
Obwohl es neben dem kommunistischen Widerstand auch andere Formen des Widerstandes gegeben hat, haben die Kommunisten von sich aus immer versucht, den Antifaschismus auf ihrem Konto verbuchen, weil in ihrer ideologischen Projektion alle anderen Gesellschaftsformen faschistische Charakterzüge aufweisen. So wurden etwa die Sozialisten zu Beginn der 30 er Jahre als Sozialfaschisten verunglimpft. Diese Vereinnahmung des Anti-Faschismus erleichterte selbstverständlich den Umkehrschluss sowohl der bürgerlichen wie auch der offen faschistischen Kräfte; alles antifaschistische wäre von vornherein kommunistische Taktik. Eine Linie die etwa derzeit der Klubsprecher der Freiheitlichen verficht. Alle DemonstrantInnen auf dem Wiener Heldenplatz anlässlich der der schwarzblauen Regierungsbildung wären Kommunisten. Eine völlig absurde Einschätzung und versuchte Verunglimpfung, die etwa auch gegenüber der evangelischen Bischöfin bedrohlich  zu Unrecht angewendet wird.
Tatsächlich kann man die Kampfhandlungen der westlichen Alliierten gegen Hitler Deutschland als ebenso antifaschistisch einstufen und 1945 wurde in Potsdam eine breite antifaschistische demokratische Front gebildet der neben den Kommunisten sowohl Vertreter der Christdemokraten, der Sozialdemokraten und der Liberalen angehörten.
So berichtete die Neue Zürcher Zeitung am 16.Juli 1945 von der Berliner Erklärung von KPD, SPD, CDU und LDP zur Konferenz von Potsdam vom 14.Juli.
Nur mittels eines radikalen Umbruchs im Leben und in der Einstellung des ganzen deutschen Volkes, nur durch Schaffung einer antifaschistischen und demokratischen politischen Ordnung ist es möglich, das Leben der deutschen Nation zu retten. Die Vertreter der vier Parteien sind bei voller gegenseitiger Anerkennung ihrer Unabhängigkeit entschlossen, mit einmütiger Kraft diese grossen Probleme durch Bildung einer festen Front antifaschistischer und demokratischer Organisationen zu lösen.

Man rief in dieser gemeinsamen Erklärung zur Zusammenarbeit im Kampf zur Säuberung Deutschlands von den Überresten des Hitlerismus und für den Aufbau des Landes auf antifaschistisch-demokratischer Grundlage sowie zum Kampf gegen das Gift der Naziideologie auf.
Ein ebenso klares wie deutliches Bekenntnis zu den demokratischen Grundrechten, wider den Rassismus, eine besonders starke Betonung der Menschenrechte beinhaltet die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4.November 1950, die wesentlich den Wertekatalog der Europäischen Union in ihrer Gründung bestimmt hat. Auch sie zeugt von antifaschistischen Positionen und entsprechenden Haltungen.
Der Antifaschismus, den sich also auch nichtkommunistische Parteiungen und Weltanschauungen wurde jedoch alsbald, vor allem unter der Anleitung der USA, vom Antikommunismus überlagert.

Es gibt  einen nicht kommunistisch dominierten Antifaschismus, der sich aus den Menschenrechten herleitet, der eine wesentliche Rolle in der Gründung der Europäischen Union sowie im Selbstverständnis westlicher Demokratien, eingeschlossen die USA bildet.
Dieser dritten, historisch sich behauptenden Komponente wurde zuwenig Aufmerksamkeit in der Auseinandersetzung geschenkt. Dies stellt Christian Graf Krockow in seiner Churchill Biografie fest. Es muss diesen Antifaschismus sogar geben, um das Abgleiten der modernen westlichen Demokratien in repressive Systeme erfolgreich zu verhindern und er darf nicht als kommunistisch denunzierbar sein. Denn genau diese Form des Ausschliessens von demokratisch fundiertem Widerstandes und dessen Denunzierung als linksradikal oder eben totalitär ist wesentliches Charakteristikum eines virtuell existenten Faschismus. Die Komponente des ideologisch dominierten Antifaschismus war der Aufklärung ebensowenig förderlich, da er meist zur Polarisierung führte, zu Positionen der Auseinandersetzung, die niemals imstande waren, breite Teile der Bevölkerung zu erreichen.
Die österreichische Variante des Anprangerns und das Ausbreiten des doppelten historischen Bodens, die Thomas Bernhard in seinen Stücken betrieb, erreichte die breite Bevölkerung nur in Form des durch den Boulevard kolportierten Skandals. Was macht die österreichische Bevölkerung so immun gegen den Versuch, die Vergangenheit im grellen, nichts auslassenden Licht zu sehen ?
Liegt es tatsächlich an jener seitens der Regierung im Parteienkonsens in den fünfziger Jahren konzipierten Einstudierung der Opferrolle ?
Der vorgeblich antifaschistische Grundkonsens der Zweiten Republik, der durch die Anwesenheit der Sowjets wie auch der Alliierten Westmächte erzwungen wurde, garantierte auch der Mehrzahl ehemaliger Nationalsozialisten und deren Familien das Verschweigen der Vergangenheit, ohne sich einer mühseligen Aufarbeitung und Selbstkritik unterwerfen zu müssen.
Veranstaltungen wie Pürgg zeigen deutlich, wie umfassend dies auf kultureller Ebene, spiegelbildlich zur Gesamtgesellschaft gelaufen ist. Auch die Sozialdemokratie war nicht frei davon. Sie nahm u.a. ehemalige Nazi-Parteigänger über den Bund Sozialistischer Akademiker auf. Selbst Bruno Kreisky witzelt in seinen Erinnerungen über den BSA, der B-SA genannt worden ist.

In einem Buch Österreich - Land im Aufstieg aus dem sozialdemokratischen Europa Verlag habe ich einen Beitrag zur Gegenwartsliteratur, Österreichische Dichterolympiade 1954, gefunden, in dem etwa bemängelt wurde, das Bruno Brehm zuwenig geehrt werde, während hingegen kritische und wirklich intelligente Autoren wie etwa Günter Anders als bedeutungslos hingestellt werden. Unter anderem bedauerte der Autor die Abwesenheit der besten österreichischen Köpfe und führt den Hans Gustl Kernmayr und den Hans Weigel an. Josef Weinheber hält er für den grössten heroisch tragischen Lyriker seit Goethe und Hölderlin. Doch es scheint sich um eine hintergründige Satire zu handeln. Der Verfasser Hermann Hakel präsentiert in ironischer Überzeichnung jenen kulturellen Ungeist, den wir in Pürgg vorgefunden haben. Dass der Text nur als Realsatire gemeint sein kann, wird längstens klar, wenn etwa die Abwesenheit von Mirko Jelusich, dem Dichter der grossen geschichtlichen Führernaturen, beklagt wird. In jedem Fall hat Hakel den literarischen und kulturellen Geschmack des Landes getroffen.

Ein weiteres umfassendes Projekt war die Säuberung der österreichischen Sprache von Germanismen. So entstand 1951 das bereits erwähnte österreichische Wörterbuch,  Grundlage der Rechtschreibung in Schulen und Ämtern.
Das österreichische Wörterbuch wäre ein Wörterbuch der guten, richtigen deutschen Gemeinsprache, so in der Selbstdefinition der ministeriellen Herausgeber, es sei jedoch in erster Linie für Österreicher bestimmt und werde vor allem von Österreichern benützt werden. Dementsprechend wurden Wörter der österreichischen Umgangssprache besonders berücksichtigt. Formen des Kanzleistils und des amtsösterreichischen werden extra mit einem A im Kreis hervorgehoben.
Man verordnete den Österreichern eine neue Sprache, man versteckte die üblen Inhalte jener jüngsten Vergangenheit hinter  einer neuen Form, die gleichzeitig über die Sprache die neue österreichische Identität stiften sollte. Man verbuddelte das grausame Geschehen ebenso wie das demokratische Versagen, setzte anstelle dessen gewohntes Repertoire der österreichischen Hochkultur aus Burg und Oper. Mozart, Beethoven, Grillprazer, Nestroy, die Zauberspiele Raimunds für die verträumten Naturen, ergänzt um die zeitgenössische Besetzung der Pürgger Tischgesellschaft.
Für das breite Volk wurde die Heimatkulturpflege weiter fortgesetzt, die von den Nationalsozialisten vom österreichischen Ständestaat übernommen wurde und die problemlos in das Kulturverständnis der Nazi gepasst hatte. Die Inhalte des Speichers mussten neu koordiniert und dem neuen Selbstbewusstsein angepasst werden. Im wesentlichen wurden sie jedoch nicht gelöscht, sondern eben nur ausgelagert.
Doch dieses Verschweigen und Verdrängen betraf nur die Oberfläche. An unzähligen Wirtshaustischen in unzähligen Besäufnissen wurde erneut nach Stalingrad marschiert und das Wort vom Hitler, der schon recht gehabt habe, hielt sich unabhängig von der neuen Parteizugehörigkeit nicht nur in den schlichten Bevölkerungskreisen bis in die Gegenwart.

Das Nachkriegs Gesinnungs-Paket sowohl des unbewältigten Austrofaschismus und des ebenso unbewältigten Nationalsozialismus erhielt sich im virtuellen Speicher, jederzeit in Anspielung referenzier- und in Massen reaktivierbar.
Grundsätzlich gehe ich davon aus, das dieser virtuelle Faschismus nicht direkt sichtbar ist. Also ohne ausdrückliche Staatssymbolik, Versammlungswesen und Strassenaufzüge, ohne einem expliziten Bekenntnis zur Ideologie seitens politischer Funktionäre. Das virtuelle politische Hintergrundrepertoire ist jedoch noch immer imstande, den politischen Alltags Diskurs zu beeinflussen bzw. verdrängte Inhalte in aktuellen Bezügen etwa in der Position gegenüber Ausländern und Zuwandernden zu setzen. Diese virtuelle Repertoire spricht Bestände aus der Vergangenheit an, die nicht nur unterbewusst sind, also auf scheinbar verdrängte, aber nicht wesentlich aufgehobene politische Inhalte, auf die nach Bedarf rekurriert wird.
Voraussetzung dafür ist die Erhaltung (scheinbar verdrängten) Referenzinhaltes im Alltagsbewusstsein. Je nach Bedarf wird aus dem virtuellen Hintergrundspeicher faschistischer Inhalt bzw. faschistische Drohgebärde abgerufen und nach Erreichung des entsprechenden Programmzieles bzw. der aktuellen tagespolitischen Zielsetzung wieder aus dem Blickfeld der politischen Öffentlichkeit entfernt. Man bedient sich faschistischer Inhalte, ohne auf die Errichtung faschistischer Ordnungsstrukturen aus zu sein.

Im Verhältnis von legitim demokratischen und virtuellem Speicher mit versteckten Inhalten lassen sich Doppelbindungen erkennen, die bewusst zur Paralysierung des politischen Gegners eingesetzt werden, aber auch der Fixierung des Bürgers in einem merkwürdig unaufgeklärten Zustand dienen. Die Existenz von Doppelbindungen - die Betroffen(e)n sowohl hemmen wie auch an bestimmten Inhalten festhält, zählt zum Repertoire sowohl des familiären- wie auch des politischen Tyrannen. Die Methode funktioniert aber nur, wenn fern von Aufklärung genügend faschistisches Restverhalten in der Bevölkerung am Leben gehalten wird.
Um in der Beschreibung der Funktionen eines virtuellen Faschismus weiter zu kommen, bedarf es jedoch einer näheren Definition des Verdrängten, der nicht aufgearbeiteten Vergangenheit, der nicht bewältigten Vergangenheit.

Die Versuche österreichischer SchriftstellerInnen, beginnend mit den 70 er Jahren den ungetrübten Blick auf die Vergangenheit bzw. der Redundanzen im jeweils Gegenwärtigen freizulegen, sorgten insgesamt für andauernde Eklats, an denen sich vor allem der Zeitungsboulevard ereiferte. Sie wurden fortgesetzt als Nestbeschmutzer angeprangert und in ihrer Existenz in Frage gestellt. Die Diskriminierungen vor allem aus den Reihen der Österreichischen Volkspartei, die in abgeschwächter Form an ihrem Pürgg Modell festhielt. Der Bundesminister für Unterricht und Kunst Piffl Percevic nannte Bernhard einen Hund und verliess Ende der 60 er Jahre türenschlagend die Verleihung eines staatlichen Kulturpreises an Bernhard im Festsaal des Ministeriums für Unterricht und Kunst. Dazu aus einem Schreiben von Thomas Bernhard an den Organisator des 1980 stattgefundenen Schriftstellerkongresses :
Der Minister war mit erhobener Hand auf mich losgegangen, hatte den Saal verlassen, nicht ohne die Audienzsaaltür zuzuschmeissen, wie ich sagen muss. Bei dieser Gelegenheit hatte mir Herr Henz (lange Zeit Präsident des österr.Kunstsenats) die Fäuste gezeigt und mich als „Schwein“ apostrophiert.

Soweit Thomas Bernhard, der sich nie zur Pürgger Tischgesellschaft gesellt hatte. Dieser frühe Thomas Bernhard war noch nicht so deutlich in seinen Aussage wie etwa in „Heldenplatz“, dessen Aufführung zu den Höhepunkten der österreichischen „Kulturskandale“, die in Wahrheit immer politische Skandale gewesen sind, zählte. Die Tendenz seiner Kritik liess sich bereits damals  erkennen.
Mit Bernhard hatte man einen gefunden, den man ab da zum Vorzeige-Nestbeschmutzer machte. Der Nestbeschmutzer ist  eigentlich der, der auf die Verschmutzung hinweist. Die Etikettierung Nestbeschmutzer gehört seit der Denunzierung Ossietzkys zum Standardrepertoire des realen Faschismus. Bernhard wurde sogar als geistesgestört und irre hingestellt. Dies zu tun, blieb jedoch einem sozialdemokratischen Minister vorbehalten. Im Falle Bernhard wäre eine Diffamierung als Kommunist ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, Bernhard war nicht nur ein konservativer Geist, sondern auch Mitglied des Bauernbundes. So war er den Sozialisten suspekt und den Konservativen nicht geheuer, weil er es nicht bleiben lassen wollte, den österreichischen Ungeist in seiner tiradenhaften, sich bis zur Erregung übersteigernden Sprache anzuprangern.

Die Punzierung hatte aber auch noch einen anderen Sinn. Mit ihr konnte klar ausgedrückt werden, wer denn nun befugt wäre, in diesem Land über Geschichte zu reden, Geschichte zu deuten. Befugt waren Politiker der verschiedenen Richtungen, die ihre Spielformen im Rahmen des historischen Konsenses bestens kannten, die hohen Beamten diverser Ressorts , die Chefredakteure, Intendanten etc., die im stillschweigenden Schulterschluss den Rahmen abgesteckt hatten und auf dessen Einhaltung achteten. Eben die Exponenten und Verwalter der repräsentativen Demokratie.
Jeder, der diesen Rahmen in Frage stellte, ihn überschritt wurde in der einen oder anderen Form als unbefugt erklärt, abqualifiziert, diskreditiert.

Thomas Bernhard hat sich mit seinem Stück Heldenplatz den Unmut des  Bundespräsidenten Kurt Waldheim  zugezogen. Der meinte dazu: Ich halte dieses Stück für eine grobe Beleidigung des österreichischen Volkes.
Bernhard darauf: Ja, mein Stück ist scheusslich. Aber das Stück, das jetzt drumherum aufgeführt wird, ist genauso scheusslich.
Bernhard hat Heldenplatz nach 1986, also nach dem Wahlsieg von Kurt Waldheim verfasst und hat die damit verbundene Stimmung in Übertreibung und Zuspitzung verdichtet. Es zeigt die trauernde Familie eines freiwillig in den Tod gegangenen Universitätsprofessors, eines jüdischen Rückkehrers aus dem Londoner Exil, 50 Jahre nach der Ansprache Adolfs Hitlers auf dem Wiener Heldenplatz in einer Wohnung an diesem Platz und deren Dienstboten.
Des verstorbenen Professors Tochter Anna:
Wien ist mir jeden Tag der viel grössere Alptraum / ich kann hier nicht mehr existieren / ich wache auf und habe es mit der Angst zu tun / die Zustände sind ja wirklich heute so / wie sie achtunddreissig gewesen sind /es gibt jetzt mehr Nazis in Wien / als achtunddreissig / du wirst sehen / es wird schlimm enden / dazu braucht es nicht einmal / einen geschärften Verstand /jetzt kommen sie wieder / aus allen Löchern heraus / die über vierzig Jahre zugestopft gewesen sind. !
Die Löcher waren eben nur zugestopft. Die Frau des Verstorbenen hört seit über zehn Jahren, seit dem die Familie in diese Herrschafts-Wohnung am Heldenplatz gezogen ist, das Geschrei und Gebrüll der tobenden, johlenden, Hitler zujubelnden Massen am 15.März des Jahres 1938. Sie leidet an dieser Wahnvorstellung, die zu einer schweren chronischen Erkrankung ihrer Psyche geführt hat. So wird dieses Bild eine dramatisch überzeichnete Metapher der Gegenwart eines virtuellen Faschismus, die sowohl Vergangenes wie auch Gegenwärtiges verbindet. Die meisten haben es nicht gesehen, nicht gelesen, so auch nicht verstanden. Über die Boulevardpresse wurde eine landesweite Aufregung erzeugt. Waldheim konnte und wollte es ebensowenig verstehen, traf es doch auch seine eigene, persönliche Verdrängung.

Der freiheitliche Parteihistoriker Lothar Höbelt versuchte in einem Fernsehinterview am 26.März 2000 das Wort Verdrängung, mit der Begründung, es wäre ein freudianischer Begriff, aus der historischen Diskussion herauszuhalten. Er wollte Freud als unwissenschaftlich denunzieren. Die Nazis haben sich gegenüber Sigmund Freud direkter und hämischer ausgedrückt. Höbelt kann oder will  den Zusammenhang von Verdrängung  mit ihren psychischen Implikationen nicht wahrhaben. Es ist die brennende Schande, die bei näherer Betrachtung des Geschehenen zwangsläufig entsteht, die das Bewusstsein der Österreicher verstört.
Höbelt hat übrigens in einem in der Aula erschienenen Artikel explizit von einem selektiven Geschichtsverständnis geschrieben. Selektives Geschichtsverständnis ist jedoch ideologisch motiviertes Geschichtsverständnis, charakteristisch sowohl für die faschistische wie auch kommunistische Geschichtschreibung.

Thomas Bernhard, längst ins Visier des Haiderschen Kulturkampfes geraten, verglich in Heldenplatz Österreich mit einer Bühne, auf der alles verlottert und vermodert und verkommen ist / eine in sich selber verhasste Statisterie / von sechseinhalb Millionen Alleingelassenen / sechseinhalb Millionen Debile und Tobsüchtige / die ununterbrochen aus vollem Hals nach einem Regisseur schreien/ Der Regisseur wird kommen /

Seit dem Innsbrucker Parteitag der FPÖ am 16.September 1986, an dem Haider den liberalen Flügel der Freiheitlichen stürzte und die Führung der Freiheitlichen übernahm, bestimmt Haider die Sprache der innenpolitischen Auseinandersetzung. Er hatte rasch aus dem Wahlsieg von Kurt Waldheim gelernt und eine seiner ersten Grussadressen galt den Weltkriegsteilnehmern. Haider hat seitdem oft Assoziationen zu politischen Inhalten des dritten Reiches hergestellt, eine fremdenfeindliche Politik betrieben, die im weiteren zu rassistischen Äusserungen und Haltungen in breiten Bevölkerungskreisen geführt hat.
Haider weiss ebenso gekonnt wie zynisch auf das virtuelle Potential von verdrängter Vergangenheit zurück zu greifen und damit den Ungeist der Gegenwart zu gestalten.
Dies wurde ihm durch das Versagen der beiden grosskoalitionären Parteien in wesentlichen Fragen erst möglich gemacht.
Das aktuelle Parteiprogramm der Freiheitlichen gründet in der Lorenzener Erklärung, die kurz vor Haiders Machtergreifung 1986 im obersteirischen St.Lorenzen, in einem Seitental des Ennstales, formuliert wurde.
Über den Lorenzener-Kreis schreibt Susanne Falkenberg in ihrer im Internet zugängliche Studie über die Neue europäische Rechte:
„Die in diesem informellen Kreis versammelten rechtsextremen FPÖ-Exponenten rühmen sich selbst ihrer Urheberschaft des "putschartigen" Wechsels. Dies mag vielleicht etwas selbstgefällig sein; aber immerhin wurde ihr Engagement von Haider auf dem Sonderparteitag in Innsbruck gelobt. Der Lorenzer Kreis fungiert als Kadergruppe der harten deutschnationalen Strömung und kümmert sich hauptsächlich um personelle Koordination und politische Strategie. Deshalb existieren auch keine schriftlichen und öffentlichen Stellungnahmen, Anträge oder Publikationen“.
Mit einer Ausnahme. 1989 wurde in der Aula  die "Lorenzer Erklärung" mit reaktionärem, rassistischem, faschistischem und nationalrevolutionärem Inhalt veröffentlicht. Weitere der im Papier diskutierten Themen sind Ausdruck der Ereignisse Ende der 80er Jahre: Fall der Mauer, Ende des Ost-West-Konflikts, Ideologienkrise, Ostöffnung.

Österreichische Universitätsprofessoren beurteilen den Lorenzener Kreis im Handbuch des des Rechtsradikalismus folgend:
„Die angepeilte gesellschaftliche Erneuerung, die Haider und seine Ideologen im Lorenzener Kreis auf die FPÖ Fahne geschrieben haben, folgt also durchwegs alten, konservativen, kulturrassistischen und faschistischen Mustern. Neu ist lediglich die Offenheit und Sprache, in der heute wieder derartige menschenverachtende Ideen propagiert werden.“
Hauptinitiator dieses Kreises war der in der Zwischenzeit verstorbene Raimund Wimmer, der 1991 noch für die FPÖ in seiner Heimatgemeinde kandidierte. In der ORF Sendung „Inlandsreport“ vom 9.11.1989 wurde eine Liste gezeigt, die u.a. Haider, Gugerbauer und Krimhild Trattnig als Mitglieder des Lorenzener Kreises ausweist. Von beiden hat sich Haider in der Zwischenzeit getrennt Andreas Mölzer, steht ihm bis auf weiteres als kulturpolitischer Berater in vielen, inländischen wie auch ausländischen, insbesondere bundesdeutschen Angelegenheiten zur Seite.
Nochmals aus Thomas Bernhards’ Heldenplatz:
Anna zu Olga: In Österreich musst du entweder katholisch oder nationalsozialistisch sein, alles andere wird nicht geduldet, alles andere wird vernichtet.

Ein bemerkenswertes, analoges Sittenbild liefert die Ehrenschutzliste des 48. Grazer Akademikerballs 2000, veranstaltet von durchwegs rechten Burschenschaften. Drei schwarze Landeshauptleute, der Kärntner Landeshauptmann, mehrere freiheitliche Landesräte, ebenso wie solche der Volkspartei und eine Reihe von Hochschulprofessoren, die meist auch für betont deutschnationale Studentenverbindungen stehen, bilden das Ehrenkomitee.
Selbst der sozialdemokratische Landeshauptmann-Stellvertreter der Steiermark wollte oder konnte sich dem nicht entziehen.
Eine Besonderheit bietet jedoch der das Ehrenkomitee anführende Bundesminister. Er firmiert in diesem Ehrenkomitee für den Akademischen Turnverein Graz. Dieser Turnverein ist sowohl Mitglied im Österreichischen Turnerbund, eine prononciert rechtsorientierte Vereinigung. Ebenso finden sich die Akademischen Turnvereine Österreichs auf den Websites der deutschen Jahnbünde, betont deutschnationalen Turnvereinigungen in partnerschaftlicher Beziehung.
Die  Ausgabe des österreichischen Wirtschaftsmagazins Trend 4/2000 berichtet über zwei Seiten ausführlich und fundiert unter dem Titel: Frisch, fromm, fröhlich und frei über die sportlichen Verbindungen des Ministers, zu denen sich dieser offen bekennt. Der Minister galt Insidern schon längere Zeit als als Verbindungsmann der Schwarzen zu den Freiheitlichen. Auch hier aktuelle Anklänge an die Aktivitäten des Ennstalerkreises in den 50 er Jahren, die nicht allein literarisch orientiert gewesen sind.
Die empfindlichen französischen Reaktionen anlässlich der blauschwarzen Regierungsbildung waren vor allem auf die Nähe der Freiheitlichen zum deutschnationalen Lager zurück zu führen. Ein Minister, der sich in solchen Kreisen bewegt, ist nicht besonders geeignet, europäisches Misstrauen abzuschwächen, vor allem dann, wenn einem bewusst ist, wie sehr das Rückgrad dieses Europas vor allem von der deutschfranzösischen Freundschaft bestimmt wird, die bereits 1947 durch Winston Churchill in seiner Zürcher Rede angeregt und von Charles de Gaulle und Konrad Adenauer 1963 offiziell vollzogen wurde. Jede deutschnational orientierte Regung wird in Frankreich empfindlich registriert und als Störung des europäischen Gleichgewichts empfunden.

In einer der Zur Sache Sendung des ORF mit DiskussionsteilnehmerInnen aller im Europaparlament vertretenen österreichischen Parteien in den Monaten der seitens der EU verhängten Sanktionen richtete der Diskussionsleiter, Chefredakteur der Salzburger Nachrichten die erste Frage an freiheitliche Abgeordnete:
Wie würden Sie es sehen, nachdem Sie an der Front stehen... Es gehört seit Jahren wenn nicht Jahrzehnten zum Sprachgebrauch des ORF, in politischen Fragen militärisches Vokabular zu wählen, vor allem im redaktionellen Bereich.
Mittelbare Rekurse auf den militärischen Komplex gab und gibt es fortwährend in der Geschichte der Zweiten Republik und, ich meine hier weniger jene, die sich auf die jeweils aktuelle Landesverteidigung beziehen, sondern jene, die sich an die Generation gewendet haben, die im zweiten Weltkrieg in den militärischen Einheiten der deutschen Wehrmacht und in den Gliederungen der SS beteiligt gewesen sind.
Die Frage der Wehrmachtszugehörigkeit ist in der jüngeren Zeit Gegenstand heftiger politischer Auseinandersetzungen geworden, die das innenpolitische und das äussere Bild unseres Landes entscheidend verändert haben. Eine wesentliche Schlüsselstelle der Veränderung der politischen Konstitution des Landes ist die Waldheim Affaire. Waldheim wurde wegen seiner Zugehörigkeit zur berittenen SA heftig kritisiert. Abgesehen davon, dass man Waldheim im weiteren Verlauf der Geschichte keine Kriegsverbrechen nachweisen konnte, hat er doch entscheidend das politische Verhältnis zu den  Kriegsteilnehmern definiert. Es wäre alles rechtens gewesen und man habe seine Pflicht getan. Diese Erklärung löste vor allem in der antimilitaristisch eingestellten Generation der 68er Empörung aus, legitimierte doch Waldheim diesen Nazi-Krieg in sowohl österreichischer wie auch deutscher Tradition als Pflichterfüllung.
Der Kern des Problems liegt tiefer. Die Soldaten sind für die Ziele der Nazis in den Krieg gezogen, und die waren sowohl undemokratisch wie auch verbrecherisch. Jeder dieser Soldaten wusste, dass es um die Errichtung eines Europas unter deutscher Vorherrschaft, um Gebietsgewinn im Osten gegangen ist. Hans Grimms Volk ohne Raum, erstmals erschienen bei Albert Langen, München 1926, hat wesentlich zur Motivation dieses kriegerischen Gebietserwerbes beigetragen. Parallel dazu wurde ein ethnischer Vernichtungskrieg, ethnische Säuberung vor allem gegen Juden und Zigeuner geführt, der den Soldaten der Wehrmacht nicht verborgen blieb. Trotz einiger problematischer Bilder konnte im Rahmen der Ausstellung „Vernichtungskrieg:Verbrechen der Wehrmacht“ in erschreckender wie bedrückender Form, neben den Einheiten von SS und eigens gebildeter Sonderkommandos, auch die Beteiligung der Wehrmacht an den Verbrechen an der Zivilbevölkerung überzeugend nachgewiesen werden. Diese Ausstellung wurde jedoch kurzfristig durch die Verwendung von geringfügig falsch zugeordnetem Bildmaterial diskreditiert. Jüngste Fernseh Dokumentationen des ZDF bestätigen jedoch die Erkenntnisse, die aus dieser Ausstellung gezogen werden mussten. Eine neue Version der Ausstellung wird ab November 2001 in Berlin gezeigt.
Gewöhnliche Deutsche wie auch Österreicher, so wie es Daniel Jonah Goldhagen in Hitlers willige Vollstrecker beschreibt, haben von diesen verbrecherischer Komponenten sowohl im Landesinneren des dritten Reiches wie auch in den Kampfgebieten insbesondere im Osten immer schon gewusst und darüber geschwiegen.
Hitler und seine Funktionäre haben ihre Ziele inklusive der Vertreibung und Vernichtung der Juden in ihrer politischen Propagandarbeit schon lange vor dem Ausbruch des Krieges klar und deutlich öffentlich ausgedrückt. Sowohl die Deutschen und die Österreicher haben es gewusst.
Niemand derer, die nicht zur Partei der Nazis gehört haben, aber doch für deren Zielsetzungen und Kriegsvorhaben in den Kampf gezogen sind, wollte nach 1945 in diesem Kontext gesehen werden. Anstelle dessen traten eher Formeln wie Verteidigung der Heimat, der bolschewistische Feind, Bollwerk gegen den Osten. Formeln die bereits von den Nazis verstärkt wurden, nachdem der Führung und Hitler selbst klar wurde, diesen Expansionskrieg nicht mehr gewinnen zu können. Um so verbrecherischer war es,  die im Inferno des völligen Zusammenbruches endende Abwehrschlacht bis zum letzten Mann, bis zum letzten Blutstropfen hinaus zu zögern,  Die Vernichtungsmaschinerie zur Auslöschung der Juden wurde ab diesem Zeitpunkt verschärft; dies ein weiteres erklärtes Kriegsziel Hitlers und der Nazis. Hitler bestätigt noch in seinem völlig reuelosen Testament die weitgehende gelungene Durchführung des schrecklichen Planes.
Mit der Beschwörung einer Bedrohung des Abendlandes wie auch Bedrohung der weissen Rasse fanden die Nazis Zulauf aus den bürgerlichen konservativen Kreisen. Ein Bedrohungsbild, dem sich auch die katholische und evangelische Kirche nicht verschliessen wollten.

Jörg Haider hat die Teilnahme am Zweiten Weltkrieg und die damit verbundene Ambivalenz zur deutsch nationalen Geschichte, inklusive ihrer nazionalsozialen Ausformung unter Integration der österreichischen Bevölkerung nach dem Anschluss politisch aktualisiert. Höhepunkt dürfte die Rede anlässlich eines Treffens ehemaliger SS-Angehöriger am 30.September 1995 im kärntnerischen Krumpendorf gewesen sein..

Ich möchte einmal wissen, ob jemand von jenen, die zu feige sind, dort hinzugehen, oder die ständig den Stab über das Ulrichsbergtreffen brechen, ob sie einmal ein vernünftiges Argument sagen können. Es gibt nämlich keines, ausser dass man sich ärgert, dass es in dieser Welt einfach noch anständige Menschen gibt, die einen Charakter haben und die auch bei grösstem Gegenwind zu ihrer Überzeugung stehen und ihrer Überzeugung bis heute treu geblieben sind. Und das ist eine Basis, meine lieben Freunde, die auch an uns junge weitergegeben wird. Von der wir letztlich auch leben, und daher haben wir gemeinsam mit Euch die Aufgabe, etwa dafür zu sorgen, dass Ausstellungen, wie sie heute etwa von Deutschland ausgehen, nach Österreich hereinkommen, um über die Wehrmacht aufzuklären, wo also plötzlich die Wehrmacht oder die Teilnehmer und Angehörigen der Deutschen Wehrmacht als Verbrecherbande dargestellt werden. Das ist jetzt üblich. Und auch bei uns in Österreich läuft eine derartige Ausstellung mit Unterstützung von der öffentlichen Hand, denn dafür haben wir ja das Geld. Wir geben Geld für Terroristen, wir geben Geld für gewalttätige Zeitungen, wir geben Geld für arbeitsscheues Gesindel, und wir haben kein Geld für anständige Menschen. lch werde mit meinen Freunden immer dafür eintreten, dass dieser äIteren Generation Respekt erwiesen wird, Respekt erwiesen wird für lhren Lebensweg, Respekt für das, was sie durchgemacht haben, Respekt vor allem für das, was sie für uns bewahrt haben. Das ist etwas sehr Entscheidendes. Und jeder, der heute mitmacht, der sagt, dass die Angehörigen der Kriegsgeneration, der Wehrmacht, alles Verbrecher gewesen sind, der beschmutzt letztlich seine eigenen Eltern, seine eigene Familie, seine eigenen Väter, und ein Volk, das seine Vorfahren nicht geehrt hält, ist soundso zu Untergang verurteilt.

Hier liegt der Kontext offen, die Verknüpfung mit dem NS-Geschehen, mit dem Krieg, aber auch mit den Kriegszielen, die Haider anspricht, wenn er hervorhebt, wie sehr die SS-Veteranen ihrer Gesinnung treu geblieben wären, ihren aufrichtigen  Charakter bei behalten hätten. Und es geht um die Ehre, die Ehre des Volkes, der Eltern, der Väter, und die der Vorfahren. In der Ehrung der Überlebenden bzw. im Referenzieren auf den Totenkult, nimmt Haider willentlich oder unwillentlich die Öffentlichkeit in Geiselhaft der NS-Geschichte. Wer den Soldaten. lebendig wie gefallen, die Ehre nicht erweist, befleckt das Land, das Volk, die Angehörigen der Gefallenen, wie auch die Überlebenden und Nachgekommenen; so argumentiert er.
Ehre deinen Vater und deine Mutter; so steht es als Grundsatz in den zehn Geboten Gottes geschrieben. Haider nutzt geschickt diese Formel in einem von Grund auf katholischen Land aus. Er schafft eine Doppelbindung, die er an die katholische Ethik bindet und damit die Verbrechen des Vaters verdeckt.

Ich weiss, kaum jemanden in diesem Land fällt dieser Kontext leicht. Auch ich musste eine Reihe schmerzhafter Diskussionen mit meinem Vater führen, der als einfacher Soldat der deutschen Wehrmacht sowohl gegen den Westen wie auch gegen den Osten gezogen ist.
Arnold J.Toynbee zeichnet in seinem 1950 in Oxford erschienenen Buch "War and Civilisation" eine weitere interessante Parallele. Das Konzept der Nazis wäre mit dem spartanischen Staatswesen durchaus vergleichbar. Sowohl in der Heraushebung des Kriegers, in Form eines alles übergreifenden militärischen Ordens, in der (rassistischen) Stammeszugehörigkeit, in der Züchtung des Menschenmaterials, wie auch der in der Unterwerfung eines griechischen Brudervolkes, der Messener, Hellenen, die dieselbe Kultur und die dieselben Leidenschaften pflegten, die ab da an Sklavenarbeit für das Herrenvolk der Spartaner zu verrichten hatten. Ebenso bemerkenswert die Verachtung der Spartaner gegenüber Kunst und Kultur. Nur die kriegerischen Tugenden zählten.
Die (Ost-) Mark hatte die Grenzen des Reiches gegenüber den Übergriffen von Fremdvölkern zu schützen. Dieses Bewusstsein lebt insbesondere in Kärnten fort. Der Kärntner Abwehrkampf (gegen den slawischen Süden) ist integrierender Bestandteil des politischen Bewusstseins dieses Bundeslandes, von Haider in Permanenz aktiviert. Diese Sehweise, das Bollwerk bietet im ungebrochenen Rückhalt.. Das wehrhafte Bekenntnis zur Heimat ebenso wie die Abwehr des Fremden finden wir sowohl in der Literatur des Ständestaates und der nachfolgenden Nazi Literatur.
Toynbee zitiert Moltke: Der ewige Friede ist ein Traum, und nicht einmal ein schöner, und der Krieg ein Glied in Gottes Weltordnung. In ihm entfalten sich die edelsten Tugenden des Menschen, Muth und Entsagung, Pflichttreue und Opferwilligkeit mit Einsetzen des Lebens. Ohne den Krieg würde die Welt im Materialismus versumpfen.
Der Krieg und die damit verbundene Pflichtreue wird gerade zu als göttliche Tugend gelobt und Haider würdigt noch heute diese Traditionslinie, die Deutsche und Österreicher ins Verderben gestürzt hat.

Der österreichische Konsens, vorgebliche Voraussetzung zur Abwehr der getroffenen EU- Sanktionen, wird fortdauernd unter der Losung eines Nationalen Schulterschlusses eingefordert. Nicht berücksichtigt wird dabei die Einschränkung der Möglichkeiten der Opposition und die der individuellen Meinung. Die Regierungsparteien werfen den abgetretenen Sozialdemokraten mangelndes Demokratieverständnis vor, weil sie angeblich mit dem Machtverlust nicht zu Rande kommen und trotzig auf die Strasse gegangen sind, fordern aber im gleichen Atemzug von der Opposition den Schulterschluss zur Bereinigung des europäischen Flurschadens, der durch die Beteiligung der Freiheitlichen erst entstanden ist.

Der Klubchef der Volkspartei stellte im Parlament fest, wer die EU-Sanktionen verteidige, sei kein Patriot. Auffällig oft verwendet der ORF die Losung "Schulterschluss" beziehungsweise die übergreifende Formel "Nationaler Schulterschluss".
Ich habe diese aufdringliche Wort in Erinnerung aus meiner Präsenzdienstzeit. Das laute Brüllen des Schleifers: Aufschliessen ! ist mir noch akustisch gegenwärtig. Tatsächlich kommt das Wort aus dem militärischen Reglement.
Ursprünglich wurde es in der Landsknecht-Kriegsordnung verwendet, die dicht im Schulterschluss aufschliessen mussten, um das Durchdrängen der feindlichen Reiterei zu verhindern. Fiel einer der Landsknechte, musste weiterhin dichtauf, also Schulterschluss gemacht werden.
Ich habe einen Suchlauf im Internet gemacht und fand dieses Wort vor allem im Zusammenhang von Sport- und Wirtschaftsberichterstattung. Das Wort findet sich allerdings ebenso auf deutschnationalen Sites. Vom Landsknecht bis zum Landser des Zweiten Weltkrieges ist es historisch nicht allzu weit. Mir ist zwangsläufig jenes unsägliche Kampflied eingefallen, zu dem in dicht geschlossenen Reihen in festem Schritt und Tritt marschiert wird. Es ist das unselige Lied der SA. Tatsächlich haben die Nazis zuallererst die zivile Gesellschaft militarisiert. Die militärische Herkunft des Wortes Schulterschluss ist eindeutig zu verifizieren. Ebenso deutlich erscheint der fatale Kontext zur NS-Geschichte. Auch das allseits bekannte Wort Anschluss ist vom Schulterschluss nicht weit entfernt.

Ich frage mich nun ernsthaft, wie eine zivile, demokratische Gesellschaft sich auf derartige Sprach - Codierung überhaupt einlassen kann, noch dazu im höchst empfindlichen europäischen Kontext. Österreich stand Monate im kritischen Fokus der internationalen Öffentlichkeit; man weiss um die Empfindlichkeit aller Bezüge zur NS-Geschichte. Und trotzdem trommelt der ORF Tag und Nacht zum Schulterschluss. Im Marschblock wird aller Widerspruch erstickt.
Das bestätigt letztendlich einen fahrlässigen Umgang mit der Sprache. Ein rotweissrotes Image Programm kann und darf nicht unter einer derartigen Losung umgesetzt werden. Sprache ist nicht nur Information, sie formt Verhalten.
Ich halte es für unendlich wichtig, vor dem Einsatz falscher Worthülsen zu warnen, die alsbald zu falschen Schlüssen wie auch einengenden Perspektiven führen werden.
Die Wortwahl Nationaler Schulterschluss, die sich alsbald in der Bevölkerung durchgesprochen hat,  wird von bestimmten Kreisen absichtlich forciert. So wird latent ein Klima des virtuellen Faschismus erhalten. Demokratisches Bewusstsein hingegen muss auch die Nuancen beachten, der Vielfalt gerecht werden, auch den Widerspruch ertragen.
 


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