2. Aufzug


Eine Weile ist noch der ohrenquälend vorgetragene Radetzkymarsch
der vorigen Szene zu hören. In den Szenen 1 bis 7, die zu Radetzkys
irdischen Ruhmestaten überleiten, sind einige bühnenbildlos
(die Akteure werden aus der Dunkelheit herausgeleuchtet),
die anderen spielen in einem jeweils sparsamst angedeuteten Milieu.
 
 
 

1. Szene

Sekretär, Assistentin

ASSISTENTIN:
Und müssen wir jetzt wirklich?  Nationalheros pur?  Großer Stil,
Hoftheater oder gar Burgtheater?

SEKRETÄR:
Anderseits, wenn wir ihm ermöglichen, die Menschen militaristisch
ermunternd anzugehen, verfehlt er gerade damit seinen Zweck.
Radetzky schreckt ab.

ASSISTENTIN:
Auch die Blöden?

SEKRETÄR:
Österreichs Vergangenheitsverklärer stören die vemünftige Entwicklung
des Landes.  Da richten wir in aller Ewigkeit nichts aus.
 
 

2. Szene


Publikum im Wiener Konzerthaus

Der leiser gewordene jämmerliche Vortrag des Radetzkymarsches wird
übertönt von einer tadellosen forte-Darbietung des Marsches durch die
Wiener Philharmoniker.  Applaus des Publikums, taktmäßig, begleitet
einige Passagen.

WIENER:

klatscht, leuchtenden Auges zu einem Japaner

Neujahrskonzert!  Radetzky!

WIENERIN:

klatscht, ermuntert japanische Nachbarin zum Mitmachen

Unser Radetzky!  Tuts nur orndlich, im Takt!

WIENER:

klatscht, zu "seinem "Japaner

Du wissen wer Radetzky sein?

WIENERRN:

klatscht, belehrt die Japaner

Radetzky, Erfinder von Radiergummi!

WIENER:

klatscht

Reden S kan Blödsinn!
Sie verwechseln den Edison mitn Radetzkymarsch!

Belehrt die Japaner

Radetzky bumbum!  General, aber guter Mensch!  Du verstehn?

JAPANERIN:

klatscht, belehrt den Japaner

Radetzky austrian Bushido!  Hero with a big heart!
Greatest Samurai they ever had!

JAPANER:

klatscht

Ah, Samurai!  Two swords!  Combat machine!
Fighting robot mit zwei Schwert!
Banzai!

WIENERIN:

klatscht

Sechts, das is Völkerverständigung!
So an Radetzky brauchen m'r halt wieder!
 
 
 

3. Szene


Minister und Sozialdemokrat im Ministerzimmer

MINISTER:

verweist auf ein Radetzkyporträt

Schau oba, Vater Radetzky!  Schau oba!

SOZIALDEMOKRAT:
Herr Minister, als sozialdemokratischer Wehrsprecher verehr
natürlich auch ich den Radetzky, nur...
warum soll er auf mich obaschaun?

MRNISTER:
Weil S Ihnen nicht in seinem Sinne verhalten!
Da, die dreißg neuen Abfangjäger!  Unterschreibn S! Wie schaut
denn das aus, Österreich drängt jetzt ungestüm in die Nato...

SOZIALDEMOKRAT:
Meine Partei doch nicht!

MINISTER:
Kommt schon noch, wett m'r?  Wir alle drängen in die Nato,
da müss m'r beim Entrée unsem Armutschkerlstandpunkt aufgebn.

SOZIALDEMOKRAT:
Und was sagtn Ihner Radetzky zur Beschaffung von Abfangjägern ?

MINISTER:
Unsere einmalige Lage im Herzen Europas, sagt er, legt uns auch in
faulen Friedenszeiten die Pflicht auf,
daß wir beständige Kriegsbereitschaft halten.

SOZIALDEMOKRAT:
Hh Ihr Radetzky!  Auf sein' Denkmal, aufm Ring, aufm hochn Roß,
wie er umideut auf die Postsparkassa vis-á-vis: Geld, Geld, Geld!
Sie als bürgerlicher Minister haben leicht redn, aber wir?
Unser Wähler ist sparsam und ein Pazifist!

Nach einer Pause

A was, gebn S her, ich unterschreib die Abfangjäger trotzdem!

MINISTER:
Oho!  Wieso auf einmal?

SOZIALDEMOKRAT:

Schaun S...

Unterschreibt

Waffenkäufe!  Von die Milliarden, die ins Ausland abströmen,
rinnen ja immerhin Millionenbacherln zurück.

MINISTER:
Hh Provisionen!  Klingeling in Ihre

SOZIALDEMOKRAT:
...und in Ihre...

MINISTER, SOZIALDEMOKRAT:

beide zugleich

Parteikassa!

SOZIALDEMOKRAT:
Glaubn S, schaut er oba?
 
 
 

4. Szene


Radetzky, Assistentin, dann Sekretär

Der aus der Dunkelheit herausgeleuchteteRadetzky ist
jünger als zuletzt.  Er trägt einen schweren Küraß (Brustharnisch)
und auf dem Kopf eine pompöse Reiter-Pickelhaube mit
metallenem Nasenrückenschutz.  Waffen: Pistole und Säbel.

ASSISTENTIN:
Aber wie schaun denn Sie aus?

RADETZKY:
Wie soll ich denn ausschaun, wenn ich meine Schlachtenlaufbahn
dokumentier?  Angefangen als jugendlicher Kürassier unterm
Kaiser Josef. Türkenkrieg!  So hh

Säbel quer in den Mund

mit avec!  Aufklärungsritt durch die Flüsse!

ASSISTENTIN:
Ganz schön schwer die Ausrüstung!

RADETZKY:
Gellja, daß ich alser Junger nicht zsamm'brochn bin!  Habn si
eh alle gwundert, und vom Regimentsarzt hab ichs sogar
schriftlich 'kriegt:
'Der junge Graf ist viel zu schwach, als daß er die Beschwerden
des Militärdienstes auch nur einige Jahre ertrüge'
hh hh! Zweiundsiebzig Dienstjahre!  Und jetzt brauchen ich ein
Pferderl, primo als Tragtier für meine Sachenberger, und pro
secundo daß man mirs effektvoll direkt unteren Leib wegschießt...
Aber, was isn jetzt mit mein' türkischen Kriegstheater?
Keine Kulissen?

SEKRETÄR:

wird herausgeleuchtet

Ihre türkischen Feldzüge sparen wir uns.  Ihre damalige Rolle
war ja mehr eine malerische als weltbewegende.
Bitte Marscherleichterung!  Die Zehn-Kilo-Garderobe des
Leutnants fällt bei der Gesamtabwaage der historischen Figur
kaum ins Gewicht.
Wenn Sie vor allem den Säbel aus dem Mund... !

RADETZKY:

legt Panzer und Helm ab

Sparerei, lausige!  Hätt ich mir denkn können, daß ihr mir
meine heroischen Anfänge unterm Kaiser Josef und unterm
Kaiser Leopold unterschlagts.  Na, in Gottsnam streichts
meine zwei anfänglichen Kaiser
Nicht streichen aber lass ich mir, wie ich etliche Jahr drauf..

greift in die Luft, hat plötzlich wieder seinen Generalstschako
und setzt ihn auf

... wie ich, schon als Generalstabschef...
 

SEKRETÄR:

zur Assistentin

Radetzky unter seinem dritten Kaiser!

RADETZKY:

... als ich Napoleon bezwang!
Schaun S net so ungläubig, schöne Frau, hab i wirklich!

SEKRETÄR:
Hat er wirklich!
Frau Kollegin, bereiten Sie, bitte, den Schauplatz vor: 1813,
Völkerschlacht bei Leipzig!  Nicht zu kleines Leichenkontingent!

Assistentin entschwindet in die Dunkelheit.

RADETZKY:

ruft

Und drei Pferderln!  Drei!

Zum Sekretär

Sie, als Tierfreund war ich schmerzlich berührt, wie mir der Feind
gleich drei brave Viecher, hintreinand... !

Ruft der Assistentin nochmals nach

Ja net auf meine drei Pferderln vergessn!
 
 

5. Szene


Marschallin ( = Gräfin Radetzky) in noblem Heim

MARSCHALLIN:

hats eilig, will sich hinter die Szene begeben, spricht ins Publikum

Wie bitte, ICH, die Marschallin, über meinen Gatten?  Non non!
Keine Silbe!, und außerdem bin ich pressiert, pardornnez-moi!
Nebenan...

Ins Off sprechend

Moment s'ilvous  plait!

Erklärend zum Publikum

Erstklassige Lieferung aus Paris, Haute couture... Non non non,
keine Silbe über Radetzky!

Wird nachgiebiger

Über ihn nicht, aber sollte Sie MEIN Schicksal interessieren...
Wäre eventuell opportun, seine Aussagen zu meiner Person zu
korrigieren.  Denn seine horriblen Rufmordbehauptungen!
"Ich bin dauernd gestraft aus zu großer Herzensgüte,
die mich zu dieser Ehe verdammt hat!"
... genau so schrieb ers ja! Und als ich starb, hundeschnauzenkühl:
"eine große Wohltat!" Das mir, der einst vielumworbenen Komteß,
die diesem mittellosen Major so lang ihre Ehre aufgeopfert hatte,
bis ihm nur noch Heirat meiner Familie Entrüstung abzuwenden half.
Ach, mein Elternhaus!  Samt und Seide, teure Speisen auf porcelaine
de Sèvres!
Er jedoch, nachdem ich sein Jawort erst erzwingen gemußt...
Lohnt nicht, seine Kasernenusancen en detail zu beschreiben!
Blechtellerstil, Feldflaschenfusel!

Ins Off

Tout de suite!... Wie?  Den Champagner addieren Sie zum übrigen,
mein saldo passif hälts noch aus!

Wieder zum Publikum

Aber als ich unser Niveau zu heben suchte, hätten Sie ihn hören
sollen!
"Fantschi!  Deine Schuldenmacherei, als wärst du der Stabsoffizier !"
Sie, ihm in sechsundfünfzig Ehejahren acht Kinderchen geschenkt,
und der Dank?
Nie ein Gulden im Haus!  Nie!  Auch später nicht, als wir schon
Marschall waren.
"Fantschi, die Rechnung dieses Juweliers, wie konntest du?"
Oder: "0 Fantschi, fünfzig Straußenfedern, wozu?"
Er selber Fedem auf dem Tschako, aber bei mir... Schmafu!
Oder: "Noch drei Dienstboten?  Bin ich ein Geldsch ... sch-..."
Excusez, je vous en prie, aber... en effet, er artikulierte sich
tatsächlich so ungepflegt: "Bin ich ein Geldscheißer?'
Obwohl ER, wenns um sein Amüsement ging...
Mit vollen Händen!  Ich sage bloß: Giuditta Meregalli!
Bei der wär auch Ihnen die Gall herausgegangen!
Puttana italiana! Geradezu überschüttet von ihm... im wahrsten Sinn!...
überschüttet aus vollen Händen und Lenden!
Na, Letzteres neid ich ihr nicht.  Ich selbst ja stets gesegneten Leibes...
huit fois enceinte, ca me suffisait!...
Dazu tagaus tagein vor mir sein großer Zeigefinger:
"Fantschi, der Schuldarrest!"
Und seine schlimmste Rücksichtslosigkeit:
Halbierung unserer Revenuen!  Zur Bezahlung der Gläubiger ließ
er sich nämlich auf Halbsold setzen.
Halbsold!  Siebzehn Jahre lang!  Und dann weitere sechzehn Jahre:
Kürzung um ein Drittel!
Siebzehn und sechzehn Jahre, macht dreiunddreißig!
Ein Menschenalter verkürzten Konsums!
Oh, meine Entbehrungen wären erhebliche gewesen, hätte ich
inmitten solcher Asketik nicht stets neue nette Lieferanten zu finden
gewußt... ! Die neuen Schuldscheine waren kein Problem, ich
versteckte sie, und er fand sie nur selten, denn in dem von mir
auf höchstem Niveau gestalteten Heim schnüffelte er nur de
temps en temps herum, mußte ja ständig außer Haus seine berühmten
Schlachten schlagen!

Ins Off

Jaja, komme!

Zum Publikum

Ausgesprochen günstig, dieser Lieferant!

Sie geht ab, ist aber hinter der Szene noch zu hören

Ah,très joli !Quoi donc... Geld ?  Immer Geld!
Sie Halsabschneider, ich habe Ihnen doch schon alle
Tantiemen auf den Radetzkymarsch zediert!
 
 
 

6.Szene


Konfident in armseliger Wohnung

KONFIDENT:

liest ein Schriftstück und verbessert  es

' ...übermittelt der gehorsamst Gefertigte dem hohen
k.k. Hofkriegsrat die gnädigst anbefohlene Recherche in betreff
Hochgebornem Herm Feldmarschalleutnant Graf Radetzky...'
Also: daß der Kerl...

liest

'...ist infolge seiner notorischen Sauf-, Glücksspiel- und Weiber-.
geschichten klarerweise schwerst verschuldet.'
Mhm, nein, gedämpfter!  Etwa...

Streicht aus und schreibt neu

'Die mit des Herm Feldmarschalleutnants Bezügen meist nicht ganz
übereinstimmenden Zech- und Spielusancen fuhren leider immer
wieder zu gewissen monetären Differenzen...'
hh hh!  Und bezüglich Weiber, sein Ruf als Schlitzhusar...
daß er nur deshalb wahllos herumpempert...

Schreibt
'...weil nur so, wie der Observierte vor Freunden neulich scherzte,
die schmerzhafte Trennung von seiner Marschallin zu betäuben ist.'
Zum Schluß dann, a ja ja, das Politische!  Heikel, sehr heikel!

Schreibt

'Erlaubt sich der gehorsamst Gefertigte dem Hohen Hofkriegsrat
mitzuteilen, daß der hierortige Wohllöbliche Kaiserliche Rat Friedrich
von Gentz vor Radetzkys hochverräterischer Gesinnung warnt...'

Streicht es wieder durch

Weg!  Zu gefährlich!  Würde nicht nur ein edles Grafen-, könnt
auch ein armes Spitzlgnack brechen, falls ich nicht beweisen kann,
was der alte Reaktionär Gentz in seinem Tagebuch festgehalten und
sein Stubenmädel mir sofort, die Tintn war noch nicht trocken, brav
abgeschrieben hat.  Daß nämlich der Radetzky, der öffentlich den
Habsburgern stets in den Arsch kräult, den Gentz mit einer
Umsturzidee angegangen ist: Napoleon zu besiegen, sagte er,
erfordere doch zuallererst... der Gentz war baff, daß eine Stütze
des Systems sich so um Kopf und Kragen reden kann!...
erfordere doch zuallererst die Abschaffung des unfähigen Kaisers Franz
und der ganzen Dynastie... Hh na ja, am gscheitesten wird sein, ich
tunk den Radetzky ein bissl ein wegen seine privaten Flatterhaftigkeiten,
verlier aber kein Wort über meinen historischen Stubenmädelreport!
Den hohen Hofkriegsrat, den lass i samtn Kaiser Franz teppert sterben...
und mit denen auch die ganze radetzkybegeisterte Biographenzunft,
die ihrem Helden in Zukunft totale Kaisertreue andichten wird.

Schreibt 'Submissest...'
 
 

7. Szene


Radetzky, dann Sekretär, dann Assistentin
 
 

RADETZKY:

aus der Dunkelheit herausgeleuchtet, ruft

Hallo!  Also was is?  Habts mir für Leipzig alles hergerichtet?
Die drei Pferderln!

Sekretär wird herausgeleuchtet.  Er ist als Kaiser Franz gekleidet.

SEKRETÄR:
Tut mir leid.  Völkerschlacht, menschliches Schlachtvieh bis zu
einer Million.  Da sind Ihre drei Pferde doch vernachlässigbar.
 

RADETZKY:
Net wenn man selber draufsitzt und die Viecher werden einem
hintereinand, ehschowissn, dreimal, unterm Leib!...
Aha, Sie machn den Kaiser Franz!
Und warum kommt Majestät net selber?  Kränkt mich eigentlich.
 

SEKRETÄR:
Als ich ihn um Übernahme seiner tragenden Rolle anging, hat er
nur geraunzt.

Im Tonfall des Kaisers

Laßts mi aus, i hab Wichtigeres z'tun, als daß i in dem Radetzky
seine Schlachtn noamal auftritt!  Da, Postarbeit: die Käfig für
meine exotischen Vögel sind zum Fertigbasteln!  Und nachher tu
ich pflichtgemäß ein paar Konfidenten einvernehmen, denen kitzl
ich privat außi, was sie sich in ihre Berichte nicht zum schreiben traun.
Und... was?... mei' Frau wollts aa?  Dem Radetzky z'lieb?  Niemals!
Mit der Maria Ludovica hab i so schon genug Schwierigkeiten,
und wann i ihr auch noch den Radetzky zumutert... !

RADETZKY:
Ah, ich kenn die Gründe!
Majestät will grad an die Zeit net erinnert werdn, weil... noja!

SEKRETÄR:
Weil er damals als Mensch so unbefriedigt war.

RADETZKY:
Unbefriedigt, das isses!  Maria Ludovica, seine dritte Ehe!
Die war ein Einifaller: schöns Gsicht, aber nix auf die Rippn!...
Also was is jetzt mit Leipzig?

Assistentin, als Kaiserin Maria Ludovica gekleidet, wird herausgeleuchtet.

ASSISTENTIN:

verweist auf eben einsetzenden leisen Schlachtenlärm

Leipzig!

RADETZKY;

überrascht

Majestät!... hh na ja, kaum von der Maria Ludovica zu unterscheiden!

Zum Sekretär

Nur, Sie Kaiser-Franz Kenner, was tut die Fräuln in Leipzig?
Die Kaiserin hat der Völkerschlacht doch nie die Ehre gegeben.

SEKRETÄR:

zur Assistentin

In Leipzig können Sie wirklich nicht auftreten.
Aber bleiben Sie trotzdem hier.  Kaiser Franz hat Radetzky lange
Zeit konträr dessen militärischen Verdiensten behandelt,
hat ihm mißtraut, und daher wäre gerade mit Ihrer Hilfe der Aspekt
herauszuarbeiten, daß Radetzkys Karriereknick nach Leipzig auch
mit des Kaisers Ehe zusammenhing.

Zu Radetzky

Besonders nachteilig für Sie:
Er hielt Sie immer für einen glücklicheren Menschen als sich selber...
Nun, lassen wir den Kaiser sich einüben in seine Frustrationen!

Der Sekretär spielt im folgenden den Kaiser, seine Assistentin die Kaiserin.

FRANZ:
Ach, Maria Ludovica, 's is ein Gfrett mit uns zwei!

MARIA LUDOVICA:
Oweh, was kann denn ich davor?  Du weißt doch, lieber Franz,
dein Frauchen muß geschont werden.  Immer geschont!

FRANZ:
Sagn deine Ärzte, ich weiß.

RADETZKY:
Hh nix auf die Rippn!

MARIA LUDOVICA:
Bin ich dir zu mager, gelt?

Wird zärtlich

böser Mann!

RADETZKY:
Diese Schwindsüchtign!  Na ja, schon seine Dritte.

Der leise Schlachtenlärm schwillt langsam an

Leipzig! Als Generalstabschef muß ich das gleich inspiziern.

Zu Sekretär und   Assistentin

I geh inzwischen voraus!

Die Dunkelheit verschluckt ihn.  Der Schlachtenlärm verebbt.

MARIA LUDOVICA:

weiter zärtlich

Du, wenn ich dir zulieb versuche, dick zu werden, was meinst?

Als Franz sie an sich zieht

Nein, lieber Franz, verboten!

FRANZ:
A du!  Mich so fastn lassn!

MARIA LUDOVICA:

küßt ihn

Der Herr speist  ja sowieso ständig außer Haus!

FRANZ:
Wie-... wieso?

MARIA LUDOVICA:
Du lieber lieber Lump!  Von mir ein paar Karessen, gelt, und
nachher laßt du dich heimlich zu einer dieser gefallenen Frauen
führen, die deine Ärzte dir ausgesucht haben.

FRANZ:
Doch nur zu deiner Schonung.

MARIA LUDOVICA:
Meistens ganz dicke, sagt man mir.

Zärtlich

0 Franz, muß das sein?

FRANZ:
Is mir eh zuwider.  Und ich beichts eh.

Leipziger Schlachtenlärm wieder leise einsetzend.
Franz entzieht sich den sterilen Liebkosungen.

MARIA LUDOVICA:
Aha, wartet schon eine?

FRANZ:

im Weggehen

Meine Pflichten sind auch militärische.

Die Dunkelheit verschluckt ihn.

MARIA LUDOVICA:

allein

Der liebe Mann!  Ich sollt meine Ärzte fragen.
Wenn ich dicker wär, täts ihn vielleicht ein bißchen befriedigen.

Dunkel.

Schlachtenlärm anschwellend.  Kampfrufe, Verwundeten- und Todesschreie.
Zeitweise ist die Marseillaise zu hören.  Dann schlagartig Ruhe.
Aus der Dunkelheit taucht das Bühnenbild des 2. Aufzugs auf.-
Eine kriegsbeschädigte Kirchenfassade in Leipzig, davor ein Platz.
 
 
 

8.Szene


Leipzig,  Platz vor einer Kirche: Verwundete und sterbende Soldaten,  ein
Feldscher, sein Gehilfe, Bevölkerung
 
 

Die Völkerschlacht ist an diesem 20.  Oktober 1813 für die Leipziger glücklich
vorbei.  Gelegentlich überqueren Zivilisten die Szene, schaun sich um im
veränderten Stadtbild und gehen wieder weg.
Aus der Kirche das Jammern von dort untergekrochenen verwundeten und
sterbenden Franzosen.

An der Fassade ist überraschenderweise eine Trikolore angebracht.
Auf dem Platz, zwischen verwaisten Geschützen und Pferdekadavern eine
Anzahl zerschossener und sterbender Menschen, die im Blut und eigenen Kot
daliegen, sowie "ein so hoher Haufen von Toten, daß man es von weitem bloß
fürlumpen und alte Kleidungsstücke"; wie es der Augenzeuge Alexander von
Humboldt formuliert) hält.  Manchmal bewegt sich da noch etwas.
Nicht nur die Toten, auch alle Verwundeten und Sterbenden stecken noch in
den verdreckten, blutverkrusteten Uniformen ihrer Herkunftsländer (Frankreichs,
Österreichs, Rußlands, Preußens, Sachsens u.a.).
Manche Verstümmelte, wundfiebernd, kriechen, humpeln, taumeln zu einer
Holzbank, wo ein Feldscher und sein Gehilfe den Wartenden, einem nach
dem andern, den Arm oder das Bein abschneiden. Keine Operation dauert
länger als ein paar Minuten, und obwohl es kein Betäubungsmittel gibt,
wird beim Amputieren nur selten laut geschrien.

1. BÜRGER:

zu einem andern

Nu gugge da!

2. BÜRGER:
Scha, also der Kriech, wissen Se, nee!  Und unser Keenich gefangn!  Haddm
je nischt genützd, daß er middn in der Schlacht kehrd machte und uf Napoleon
schießn ließ.  Mir Sachsnmenschen sin mitbesiechd.

1. BÜRGER:

zeigt auf die Kirche

Der Franzos aber!  Besiechd wie mir, aber in der Thomaskeerch, Notspital,
hamse noch egalweg Proviant!

Aus den Fenstern einer großen Nebenkapelle dringt Rauch

Abkochn dunse.  Mit Schwarzpulver!  Wenn das man gut geht!

2. BÜRGER
Und de Kardoffln schlagn uff im Preise!

Einem Schwerverletzten in der Warteschlange geht es zu langsam mit einer
eben stattfindenden Amputation.

SCHWERVERLETZTER:

fiebernd

Der Kamrad soll si fei schickn!  Hot j o a jeder a Recht auf.. Jawohl!

Andere Verwundete auf dem Pflaster ächzen flehentlich, in verschiedenen
Sprachen und Dialekten, nach Wasser.

1. BÜRGER:
Arme Leide, wie die stinkn, und keener hilfd ihn'.

2. BÜRGER:
Der ganze Kriech!  Wenn doch bloß de Kartoffln nich so unv'rschämd
uffgeschlagn häddn im Preise!

Faßt einen der Pferdekadaver ins Auge

Das scheene Fleisch!

1. BÜRGER
Machen m'r am besden heeme!

Sie gehen nachhaus. Kaiser Franz, vom Sekretär dargestellt, und Radetzky
kommen auf Besichtigungstour.  Beide tragen über ihren glänzenden Uniformen
unauffällige Mäntel.
 

9. Szene

Kaiser Franz, Radetzky, die Vorigen
(ohne 1. und 2. Bürger)

FRANZ:

schaut sich um, schnuppert mißmutig

Ah ja, gute Arbeit!  Ihr Aufmarschplan und Sehlachtplan warn in Ordnung,
aber die Ausführung beleidigt mei' Nasn!

RADETZKY:

'tschuldign ... !

Schaut Franz prüfend an, macht sich an dessen Mantel zu schaffen

Pardon, Majestät, mehr inkognito bitte!

Wenn Eure Majestät sich bissl besser zuknöpfln.  Sachsen ist offiziell noch
immer Feindesland.

FRANZ:
Mir fallt auf, Sie hinkn ja.

RADETZKY:
Nur zwei Prellschüsse!  Und drei Pferderln, unterm Leib!

FRANZ:

mißmutig

Issja Ihre Spezialität...  Was sind S denn überhaupt persönlich dreingangen?

Über den Schrecken ringsum

Mhm, daß die Leut da so langsam abstinkn, also ich mein: krepiern!
Die Nachtfröste!

RADETZKY:
Eure Majestät solltn sich da kein Gewissn machen.  Im Moment sinds halt
noch zu viel, und die alle in die Bürgerhäuser unterbringen wolln wär
aussichtslos.
Aber in längstens einer Wochn haben die meistn eh das Zeitliche
gesegnet, und fürn Rest is dann schon leichter was zu machn.

FRANZ:
Gut... Und warum, frag ich mich, habts ihr IHN nicht derwischt?

RADETZKY:
Kaiser Napoleon?

FRANZ:
Kaiser!... Mein Schwiegersohn, Noch Schwiegersohn, Erpresser,
Emporkömrnling ... !
Solls mich tröstn, daß er mehr verlorn hat als ich?

Deutet auf die Kirche

Was isn mit die Franzosn da drin?
Wieso gestattn Sie denen einen exterritorialen Kuchlbetrieb?

RADETZKY:
Sehr eigentümliches französisches Lazarett, gleichzeitig nämlich ihr
Munitionsdepot.
Ein paar hundert Marode, die sich nicht desarmiern  lassn, weil sie
sich vor uns fürchtn... hh mit Recht!
Hauptsächlich Ruhr, manche nur die Nervn.

FRANZ:
Die mein Herr Schwiegersohn offenbar nicht hat.  Trotz verlorner Bataille.
Der Napoleon ist Eisen!  Sie, sagn S mir einmal..
Der Schwarzenberg und Sie, wars amend eine Absicht, daß ihr mir den
Napoleon habts auskommen lassn?

RADETZKY:

kann die Quasi-Anschuldigung nichtfassen

Majestät!  Das überaus geschickte Rückzugsmanöver Napoleons...

FRANZ:
Weg war er wiara Schaas aus der Reiter... und mi lassts wiederamal
dastehn als den blamierten Europäer.
Unsere zehn-, zwanzigtausend Totn wärn ja net das Ärgste...

RADETZKY:
Wahrlich leicht zum ersetzn!

FRANZ:
Aber das Drumherum!  Zusammen mit die Russn und Preußn gwinnen
wir zwar die größte Schlacht der Weltgeschichte, aber meine Tochter aus
zweiter Ehe is noch immmer verheirat' mit dem Hundskerl, mein Reich is
hint und vorn infolge napolionischer Tätlichkeiten so geschrumpft,
daß man beiin Anschaun einer Landkarten melancholisch wird...
Und wann ich Ihnen anschau ... !
Was glauben S, was mir grad zu Ihnen alles noch einfallt?

RADETZKY:

ablenkend

Vielleicht  dort, zurAufmunterung: im Graben liegn feindliche Leichn noch
und noch.  Wenn Eure Majestät... !

Sie gehen ab.
Ein eben amputierter Russe, den blutigen Unterarm mit Fetzen
notdürftig umwickelt, entfernt sich von der Bank.

10. Szene

Vorige ohne Radetzky und Franz

FELDSCHER:

flotter Typ, den Amputierten verabschiedend

Doswidanje!  Beehren uns bald wieder!... Prima Moskowiter, kein Mucks!
Nimm dirn Beispiel, Mann!

Das gilt dem schwerverletzten Patienten in der Warteschlange, der vorhin
schnelleres Amputieren angemahnt hat und  jetzt herangekrochen ist.
Der Gehilfe hilft  ihm, sich auf die Holzbank zu setzen und ein Bein,
das abgenommen werden soll, darauf zu legen.

PATIENT:
Jawohl!

GEHILFE:
Die Scharpie ist bald alle.

FELDSCHER:

mit dem Patienten befaßt

Schön zerschmettert, mhm, brandig!  Da müssn wa wohl.

GEHILFE:
Unterm?

FELDSCHER:
Überm!  Zum Patienten Ja, Schneiden und Meiden tut weh.
Aber sag dir: vemünftiger 'n Bein als der Hals.

PATIENT:
Jawohl!

FELDSCHER

zum Gehilfen
Glüheisen, isses drin?

Der Gehilfe rückt das in einem offenen Glutöfchen stehende Eisen zurecht,
und die von gelegentlichen Schreien des Patienten begleitete Operation
nimmt ihren Verlauf.

GEHILFE:
Sagten Sie unterm?

FELDSCHER:
Überm!

GEHILFE:

zum Patienten

Müssen überm Knie.

PATIENT:
Jawohl!

FELDSCHER:

zum Gehilfen

Strick!

Gehilfe schnürt den Oberschenkel ab

Feste feste strikke stracke!... und nu sehnse 'n Professer mitn scharfn Messer...

Führt unterhalb des Stricks einen Rundumschnitt

Sin schon aufm Knochen!  Und...

der Gehilfe muß zupacken

Fleisch zurückdrängen!... Säge!

Sägt den  Knochen durch.
Zum Patienten

Bsch-sch, he, willste wohl!  's Ärgste hättn wa...
Brav, gleich kommts Rosenwasser hh!

Der Gehilfe nimmt das abgesägte Bein von der Bank und wirft es zur Seite,
wo schon andere Gliedmaßen liegen

Zange!... Vorziehn die Adern...

tut es und weist den Gehilfen an

Abbinden!  Is doch alle fingerlang det Nämliche...
Und die zischn wa zu!

Gehilfe agiert mit glühendem Eisen, das  er aus dem Öfchen zieht

No!  Und Streusel aufn Kuchen: die feine Scharpie!

GEHILFE:

entnimmt einer Kiste feuchte Leinwandstückchen und bedeckt damit den
Beinstumpf

Ist aber jetzt alle!

Zum Patienten

Den Sack!

Umhüllt und verschnürt mit  einem  grauen Leinwandsack den Stumpf
und drückt dem Mann abschließend zwei primitiv gefertigte Hölzer in
die Arme.

Bedient, Kamerad!

PATIENT:
Jawohl!

Es gelingt ihm, ein Stück fort zu humpeln,
dann fällt er ohnmächtig aufs Pflaster.

FELDSCHER:
Gehtm schon besser. Einfach weggetreten.  Sehr vernünftig!

Er nimmt den nächsten Wartenden dran.
Radetzky und Kaiser Franz kommen.
 
 

11. Szene


Franz, Radetzky, die Vorigen

FRANZ:

lobt Radetzky wieder mißmutig

Ah ja, gute Arbeit!

Da Radetzky stark hinkt:

So setzn S Ihnen halt!

RADETZKY:

setzt sich auf ein totes Pferd

'tschuldign!

FRANZ:
Entschuldigen?... hh wie schuldig fühln S Ihnen denn?

RADETZKY:
Wie darf ich Eure Majestät verstehn?

FRANZ:
Das Unschuldslamperl!  Weiß nix von Schuld, hat net einmal Schulden,
oder?

RADETZKY:
Meine Schulden sind für Eure Majestät ja nichts Neues.

FRANZ:
Am Kartentisch die paar Netsch verpulvern und dann auf eine kaiserlich
königliche Aushilf spekuliere...
Nein, nüx Neues zu lesen auf Ihrer Konduitelistn!  Und daß S Ihnen
ständig sittlich verfehlen: eine Schürzenjägerei, daß s höher net geht!
Jedn Tag a andere, haben S das in die Türkenkriege glernt?...
Na seis drum!
Was ich Ihnen aber keinesfalls durchgehn lassn kann...
Ziemlich arge Gschicht, ungut, Sie!  Ungut!
Und Sie verstehn mi schon wieder net, was?

Da Radetzky aufstehen will

Bleibn S nur, rasten S Ihnen aus, vielleicht
stärkt das Ihr Gedächtnis.

Geht ab.

RADETZKY:

schaut, so gut es geht, unter dem Mantel nach seinem verletzten
Oberschenkel

Der Haxn ist eitrig.  Mhm, statt daß ER mirs Großkreuz vom
Theresienorden gibt, peckt er auf mir herum.  Warum nur?
Meine Schulden, von mir aus!
Aber warum muß mir ein Kaiser neidig sein auf mein...
wo is ein Holz?... auf mein ausgeglichenes Geschlechtsleben?
Ein kühler Herr, und seinem Knecht neidig auf  jeds Hafterl hh!
Dabei hat er von der zweiten Frau zwölf Kinder.
Na ja, seine Jetzige... !
Und was ganz Arges soll i angstellt haben.  'Ungute Gschicht', sagt er.
Wüßt nicht was.

Steht auf

Weit kann er ja nicht sein.

Hinkt Ausschau haltend aus der Szene.
 

12.  Szene


Vorige ohne Franz und Radetzky

Dem Feldscher, gerade mit dem Bein eines sächsischen Soldaten befaßt,
wird vom Gehilfen eine Dachschindel gereicht,
die dieser von einem aufgeschichteten Stoß Schindeln herunternimmt.

FELDSCHER:

zum Gehilfen

'ne Kleinere!  Oder hau mal durch!

Zum Patienten

Und da sag einer, der Krieg sei nicht vemünftig.
Zertöppert er doch auch gleich die Hausdächer, damit wa Is Beinchen
mit den Schindeln schön schienen könn'...
Heile, heile Segen!  Als Sachse müßtest ja eigentlich...

deutet auf die Kirche

zu deinen ollen Verbündeten.

SOLDAT:
Nee, die sin nich gud ze schbrechn uf uns.

FELDSCHER:
Habt sie verratn, wa?  Mittn in der Völkerschlacht!

GEHILFE:

auf den vorhin ohnmächtig hingefallenen Amputierten bezogen

Bewegt sich wieder.

FELDSCHER:
Armer Blödmann!  Schon so erfolgreich desertiert gewesen,
wat meldt er sich wieder zurücke?

Bürger 1 und Bürger 2 tauchen auf mit Sack und Messer.
Sie wollen aus einem Pferdkadaver ein Stück herausschneiden.
Radetzky hinkt wieder heran.
 

13.  Szene


1. und 2. Bürger, Radetzky, die Vorigen
 

1. BÜRGER:

fitzelt vergeblich an dem Pferd herum

Is aber keen Durchkomm' nich!

2. BÜRGER
Das scheene Fleisch!

RADETZKY:

Monolog

Fleisch!

Auf sein Bein bezogen

Wanns nur net eitert!
Ah ja, Fleisch ist und bleibt für mich was Schönes.
Lustvolle Verarbeitung fordernde Gottesgabe!
Ob Menschenfleisch oder Viecherfleisch, allerweil laßt es sich
angenehm zsammschießn, zsammfressn, zsammvögln,
je nachdem,  bis nix mehr da is.
Ich bin saturiert.  ER aber, grad ER!
Kein allerhöchster Frißling, leider.
Nicht einmal die vielen Toten gebn ihm was.
Kommt dazu noch seine Jetzige, das schwindsüchtige Krispindl!
Die spielt Fleischversteckn, laßtn umadumrenna mitn kaltn Bajonett.
Und will er sich im Familienkreise die Kraft holen,
iss erst recht gfehlt: sieben Kinder von seine zwölf sind ihm
schon gestorben, und der Thronerbe, der Ferdinand, hats
Hinfallende und dazua aan Wasserschädl,
der is nicht von schlechte Eltern... nicht von schlechte Eltem hh,
Gott behüt!  Möcht wissen, wer da die Schuld hat.
Bei dem einen Schwesterl vom Ferdinand, genau so
schwachsinnig wie er, sagt man ja:
ein Aff is schuld, weil die Mutter während der Schwangerschaft
in Schönbrunn von ein' Orang Utan gebissn wordn sein soll.
Ich glaubs net.
Die Leut haben sich die Affengschicht wahrscheinlich nur
ausdenkt, weil der Kaiser die nicht herzeigbare Prinzessin
jetzt in Schönbrunn eingesperrt haltet, affnmäßig,
unter Aufsicht eines Tierwärters...
Der Mann soll freilich sehr gutmütig sein.

GEHILFE:

zum Feldscher

Ohne Scharpie können wir aber nicht!

FELDSCHER:

verweist auf die Kirchenkapelle,
wo immer mehr Rauch aufsteigt

Frag doch nach bei die maroden Franzosen!
Und offerierst ihn'n als Gegengeschenk,
damit sie dich nicht mißverständlich zrschießn... dort!
Cadeau macht froh.

Meint damit das gefallene Pferd, an dessen harter Haut
Bürger 1 und 2 noch immer erfolglos herummessern,
und händigt dem Gehilfen das große Operationsmesser aus

Feuer zum Veredeln des berühmt feinen Leipziger Roßschinkens
hamse da drin ja mehr, als dem Gotteshaus gut tut!

Gehilfe macht sich flink ans Werk,
die beiden Bürger schaun hilflos drein.

FELDSCHER:
Kannste ooch gleich dem besiegten Sachsenvölkchen wat abtreten.
Nehmse nur!

1. BÜRGER:

bereitwillig den Sack aufhaltend zum Gehilfen

Nuschaa sehnse, Herr Dogdor, m'r könn' werklich nischd
for unsern Keenich.  M'r sin loyal!

2. BÜRGER

einladend

Und wenn die Herrn Dogdorn bei uns kommn zu ner guden
Fleischermahlzeid inner warmn Stuwe?  Mid Kardoffln!

FELDSCHER:
Denn siehe, ich decke euch den Tisch im Überflusse,
spricht der Herr!

Schaut auf den ohnmächtigen Amputierten,
der erwacht ist und stöhnt

Nu kiek ma!  Der will partout zurücke.

Der Gehilfe schneidetflink aus dem Pferd große Stücke heraus,
die die beiden Bürger in Empfang nehmen.

RADETZKY:

Monolog

'Ungute Gschicht', was meint er damit?  Mir neidig wann er ist,
hat er doch keine Ursache.  Mhm, wenn der meine Ehe kennert,
wie ich da hineingetappt bin aus lauter Wohlanständigkeit!
Denn der Erste wannst bist bei einer Komteß, kannst dich
nacher nicht einfach abputzen... pfüat di Gott, schöne Gegend!...
das noblige Fräulein buseriert dich ja dauernd wegn ihm
verlorenen Jungfernkranz.
Heiratst'as also, die Fantschi, und kommst drauf, sie ist nix
als eine hirnlose, mit Luxusbedürfnissen geölte Verschwend-
ungsmaschinerie.
Ständig mit ihr zsamrnwohnen gingert über meine Kräfte.
Hh das ist auch der Grund, warum der liebe Gott uns immer
wieder den Krieg schenkt und mir in der Armee ein behagliches
Zuhause... Jetzt aber ER mit dera 'unguten Gschicht'!

FELDSCHER:

geht ab und erklärt sich den auf Amputation Wartenden

Keene Bange nich!  Bloß 'n kleines Staatsessen, da muß er
mit bei sein, euer Professer mitn scharfn Messer... und mit der
Gabel!  Seid lustig, verkürzt euch die Zeit, auf daß ich euch am
Leibe bald wieder kunstvoll verkürze!

Schließt sich den beiden abgehenden Bürgern an

Nu ma ran an' Speck!

Die Warteschlange der Leidenden nimmt die vorübergehende
Schließung der Station ergeben hin. Feldscher sowie Bürger 1 und 2 ab.
Der Gehilfe ladet sich einen Pferdeschinken auf und hat vor, sich in
Richtung des französischen Lazaretts in der Thomaskirche zu entfernen,
wird aber abgelenkt von dem aufdem Pflaster liegenden
Oberschenkelamputierten, der auf einmal laut um Hilfe zu winseln
beginnt.  Der Gehilfe bemüht sich um den Patienten.

PATIENT:
Brennt!  Brennt!

GEHILFE:

entblößt den mit einem Sack umhüllt gewesenen Beinstumpf des Patienten

Der Sack!  Dadavon das Salzige brennt dich!  Schlecht ausgewaschner
Leinensack aus der DürrnbergerSaline ...
Na, vielleicht hilft uns der Franzos.  Komm!

Schiebt dem Amputierten die Krückenhölzer unter die Arme und
schultert sein Pferdetrumm. Beide ab in Richtung Kirche.
 

14.  Szene


Radetzky, Schwerverletzte, Sterbende
und Tote, dann Franz

RADETZKY:

hat Gehilfen und Patienten beobachtet

Mhm, dazu auch noch

befühlt seinen Oberschenkel

mein eigenes  lädiertes Pedal!  's könnt einem die Lust am
Beruf vergehn.  Nicht zu vergessen SEIN kränkender Argwohn!
Ist ihm der Sieg über den Napoleon nicht genug?
Ist ihm mein Haxn nicht eitrig genug?
Belieben Majestät mir doch zu glauben:
Meine Herzenssache heißt Habsburg.

Aus der  Kirche raucht es immer stärker, und einige
Male knatterts bedrohlich.

Lazarett und Munition, das vertragt sich nicht.

Franz kommt zurück.

FRANZ:
Na, iss' Ihnen eingefalln?

RADETZKY:
Eure Majestät werden gütigst meinem miserablen
Gedächtnis nachhelfen.

FRANZ:

zieht ein Schriftstück hervor

Vor vier Jahr...  Na? Vier Jahre!  Nix?

RADETZKY:
Das unglückliche Neunerjahr, als Hochdero Schwiegersohn ...

FRANZ:
Achtzehnhundertneun!  Wie das korsische Monstrum Wien
okkupiert, in Mantua den Andreas Hofer füsiliert
und uns bei Wagram ausmanövriert hat.

RADETZKY:
Mhm, eigentlich besiegt hat, halten zu Gnaden!

FRANZ:
Blödsinn!  Ich hab die Schlacht als Augenzeuge ad notam
genommen und kann Ihnen sagen, gwonnen haben m'r zwar nix,
aber ganz so arg wars auch wieder net.  Erinnern S Ihnen, Sie
selber mit Ihrer Division haben bei Wagram maximal eintausend
Mann verloren, was isn das schon?

RADETZKY:
Und Majestät waren im Neunejahr von vorbildlicher Seelenruhe,
haben nach der Schlacht bei Wagram die Karosse bestiegen
und die bekannten Worte gesprochen:
'Leutln, sagn m'r, 's war nix, fahr m'r wieder z'haus!'
Alle Welt bewunderte Eure Majestät!

FRANZ:
Net schmeicheln, Radetzky, net schmeicheln!
Auf diesem Blattl

zeigt auf sein Schriftstück

stehn andere Sachen!  Und was könnt draufstehn?
Was hab i mir denn da aufgschriebn vor vier Jahr, als Österreich
in seinrtiefsten Emiedrigung... ?
Sie wissen ja, neugierig wie ich bin, lass ich mir hie und da
eine von unsere zehntausend Geheimwanzen und Konfidentenläus
vorführn und quetsch aus so einem Insekt...
die traun sich nämlich nicht immer alles rapportiern,
was sie intus haben... quetsch ich also in huldvoller Audienz
dem Burschen die Baaz, das letzte Informationssekret, heraus.
Und da hat mir so ein netter kleiner Dreckspitzl doch in der Tat

schwenkt das Papier

zu Protokoll gegeben, daß Herr Feldmarschalleutnant Radetzky
im Neunejahr erstaunliche politische Pläne entwickelt hat,
und zwar wem gegenüber?  Dem Herrn von Gentz gegenüber.
No, jetzt fallt Ihnen schon was ein, gelt?
Abschaffung meiner unfähigen Person, ja der ganzen Dynastie
seien das einzige Mittel, um mit dem Napoleon doch noch
fertig zu werden!  Wortwörtlich so!  Der Gentz hats notiert,
auf französisch, was Sie als selbstemannter Armeesprecher von
sich gegeben haben.

Liest

'Des idees qui commencent à circuler dans l'armée sur l'incapacite
de l'Empereur...'
Hh Umsturz à la francaise, net weit weg von régicide, parricide,
tyrannicide!

Als von der Kirche einige kleine Explosionsgeräusche herüberdringen

Hh jetzt noch möchtn mich die umbringen!... Und Sie?
Sind S ein Jakobiner?  Warn S ein Jakobiner?
Sie wissn ja, was wir mit die österreichischen Jakobiner gmacht habn?

RADETZKY:
Sie sind prozessiert worden.

FRANZ:
Und ich persönlich hab für die Urteile gesorgt!  Schriftsteller,
Gelehrte, Advokaten, lauter geistreiche Herrn...

Geste zum Hals

k-ch!

RADETZKY:
Zu der Zeit, Eure Majestät, bin ich im Feld gestanden.

FRANZ:
Wiss m'r.  In Frankreich.  Ich hab den Radetzky damals ja
belobigt:  Flußdurchquerungen auf Teufel komm raus,
Sabel zwischen die Zähnd, unteren Hintern wieder einmal s
Roß weg, am Kopf zwei Schußverletzungen!
Tatkräftig, zum Unterschied von diese windign Hirmnenschen.
Schaun S, im Grund isses m'r eh klar, daß ein Nicht-Intelligenzler
wie Sie kein Jakobiner sein kann.  Was mach i nur mit Ihnen?
Wen soll i skartiern ?  Das Papierl oder Ihnen?

Zerreißt das Papier

Der Krieg gegn mein' Schwiegersohn is noch nicht aus.

RADETZKY:
Und mein Plan, unmaßgeblichst, unter Einbeziehung der Schweiz...
daß wir rücksichtslos...
wie ich Majestät darzulegen schon die Ehre hatte...

FRANZ
Nein, Sie!  Schon wieder was, wofür S 'köpft ghörn..
Bin ich ein Räuberhauptmann?
Mir vorzuschlagen, ich soll den Napoleon jetzt von der Schweiz
aus packn...
also erst einmal quer durch die Eidgenossen marschiern,
obwohl die neutral sind!  Das heilige Völkerrecht!
Zum Himmel hinauf Allmächtiger, lass mich lieber tot umfalln,
als daß ich je den Versuchungen eines gottverlassenen Radetzky... !

Pulverexplosion in der Thomaskirche.
Franz und Radetzky werden zu Boden geworfen.
Als sich die Rauch- und Feuerwand im Hintergrund wieder lichtet,
ist zu erkennen:
Das Dach der großen Nebenkapelle ist in die Luft geflogen,
ein Teil der Kirchenmauer eingestürzt.
Aus dem Inneren des zerstörten französischen Lazaretts kriechen
(so ein zeitgenössischer Bericht) "die elenden, kaum Lebenden
ähnlichen Kranken, gleich Haufen von Gewürme, einer über den
andern " heraus. Eine Kirchenglocke beginnt zu läuten.
Radetzky und Franz rappeln sich auf.

RADETZKY:
Schlamperte Franzosen!  Eure Majestät so zu gefährden!

Da die herausgekrochenen Franzosen jämmerlich schreien

Und jetzt bettlns auch noch um Pardon.
Die glauben, wir habens herausbombardiert.

Zu Angstgeschrei und Glockenläuten tönen jetzt auch noch aus
dem Off die letztes Takte eines Militärmarsches.

FRANZ:
Eine Remasuri!  Sie, so eine Völkerschlacht ist doch wahrlich
für Arsch und Friedrich. I geh zhaus!

RADETZKY:
Aber wir sind doch net bei Wagram, Majestät!

Macht auf eine neu einsetzende Musikdarbietung aufmerksam

Belieben Majestät doch zuzuhörn!  Das Kaiserlied!

Salutiert seinem Souverän, spricht gefühlvoll die Anfangsverse
der Haydnhymne:

Gott erhalte Franz den Kaiser
Unsern guten Kaiser Franz!
Lange lebe Franz der Kaiser
In des Glückes hellstem Glanz!

Jaja, der offene Mantel... das Inkognito Eurer Majestät ist gelüftet,
eine sächsische Unterwerfungsbanda kommt um gut Wetter bitten.

FRANZ:
Na dann stell m'r uns halt in Positur!

Faßt Posto auf einem erhöhten Standort, macht seinen Mantel auf
so daß seine glänzende Uniform zur Geltung kommt.
Radetzky tut ein Gleiches.
Den so plötzlich sich enthüllenden Strahlemännern wendet sich
die Hoffnung der Kriegsverletzten aller Nationen zu.
Manche knien nieder, heben bittend die Hände etc.
Ernst salutierend erwarten Franz und Radetzky die mit dem
Kaiserlied heranmarschierende Kapelle.
Dunkel.  Einige Zeit ist noch die Haydnmusik zu hören.
Die folgende Szene sowie die Szenen 16,19 und die Schlußszene
des 2. Aufzugs sind bühnenbildlos
(die Darsteller werden aus der Dunkelheit herausgeleuchtet),
die übrigen Szenen kommen mit einigen Versatzstücken aus.
Bis zum Schluß des Aufzugs handeln und sprechen Assistentin
und Sekretär je nach Erfordernis auch als Kaiserin und Kaiser.
 

15.  Szene

Sekretär, Assistentin, dann Radetzky

SEKRETÄR:
Nun, Frau Kollegin?  Ihre Befürchtungen ausgeräumt durch
Radetzkys bisherige Auftritte?  Mit solcher Eisenfresserei schmeichelt er
sich doch keinesfalls in die Herzen, die er verfuhren möchte.

ASSISTENTIN:
Ihr herzliches Zutrauen zu Österreich!  Als ob das Land trotz aller
Rettungsüberlegungen der Hohen Kommision nicht sowieso schon
drauf und dran wäre, ins Nato-Loch zu rutschen.
Sie selber sagten es.

RADETZKY:

ist herausgeleuchtet worden und mischt sich ein

Hh hh rutschts schon? IhrWort ins Ohr von dem, dens bei euch
angeblich gar net gibt!
Und passen S auf, das Einirutschn in die Nato geht wie gschmiert,
das kriegt durch die Vorweisung meiner weiteren Karriere
noch ein Beschleunigungsmoment!

Worauf sich Assistentin und Sekretär, damit Radetzky
von ihrem Dialog nichts mitbekommt,
nur noch halblaut unterhalten.

ASSISTENTIN:
Ihre Duldung von Radetzkys Gloria-Viktoria-Reklame...
Handeln Sie da eigentlich, Herr Sekretär, nach den
Richtlinien der Hohen Kommission?

SEKRETÄR:
Richtlinien?  Kinderglaube!

RADETZKY:
Was tuscheln die?

Er versucht auf Hörweite heranzurücken.

SEKRETÄR:
Unsere Hohe Kommission, sie denkt, aber sie lenkt nicht.
Leider.  Der als Humanist sich verstehende Vorsitzende läßt die
Zügel schleifen, und oft frage ich mich, ob er nicht gerade
damit seine widerspruchsvolle Lehre veranschaulichen möchte,
wonach die Weltgeschichte zwar logisch und vernünftig voranschreitet,
dabei aber keineswegs... Sie als sehr junge Kollegin sollten diese
Seminarweisheit noch auswendig hersagen können.

ASSISTENTIN:
Jaja.  'Die Weltgeschichte ist nicht der Boden des Glücks,
die Perioden des Glücks sind leere Blätter in ihr.'

SEKRETÄR:
Exakt.  Unsere Einwirkungen aufs Irdische beschränken sich auf
moralische Einreden.
Eine Drucksorte Jenseitsdekret hat nie existiert.
So dürfte der Hereinfall dieser schon mehrfach
katastrophengeschädigten kleinen Republik wohl nicht aufzuhalten
sein, und wir beide haben, ob traurig oder nicht, bloß den
Auftrag, den jenseitigen, will sagen hiesigen Radetzky ruhigzustellen.

ASSISTENTIN:
Indem wir ihn marschieren lassen.

Zu Radetzky, der herangerückt ist

Zufrieden gewesen mit unserem Leipziger Panorama?

RADETZKY:
Es geht.  Aber ich protestiere, wann ihr mir solche Haufen Tote
hinaufdividierts.  Manchmal isses eben nicht anders gegangen.

SEKRETÄR:
Als Generalstabschef haben Gefallene Sie ganz schön glücklich
gestimmt.  Radetzky, Originalzitat: 'Es gehört dieses Gefecht',
und zwar meinen Sie hier eins von den kleineren, nach Leipzig...
'Es gehört dieses Gefecht nicht allein zu den ehrenvollsten,
sondern auch zu den glücklichsten Ereignissen, in dem die
8.000 Mann, welche dabei verloren wurden, sehr reichlich durch
15.000 Gefangene und 6.000 bis 8.000 Tote, die der Feind zurückließ,
ersetzt wurden.' Jetzt weiß man endlich, was ein glücklichstes Ereignis
ist und wie man eigene 8.000 Tote durch Feindverluste, wie sagen Sie?...
'sehr reichlich ersetzt.'
Oder eine andere biedere Rechnung nach der Völkerschlacht:
'Selbst wenn wir in diesem Winterfeldzug 50.000 Mann verlieren,
so sind diese im Frühjahr durch 100.000 Rekruten ersetzt.
' Schon wieder Ihr 'ersetzt'!

RADETZKY:
Sie militärischer Laie!  Glauben S, ein Feldherr unterscheidet:
da die toten, da die lebendigen Soldaten?
Der Soldat ist ein Spatz.
Ein strenger Winter bringt zwar viele um,
aber jeds Frühjahr sind alle wieder da.

SEKRETÄR;
Kaiser Franz wußte seinem erfolgreichen Spatzenvertilger
freilich keinen Dank.  Nach dem Endsieg über Napoleon bekamen
Sie seinen Mißmut zu spüren...

Wieder als Kaiser

Sie habn zu viele Gegner, Radetzky!
Meinen Hofkriegsrat erbittern Ihre zerrütteten materiellen
Verhältnisse, und meine Frau, sittenstreng wie sie ist,
tut sich schwer mit ...

ASSISTENTIN:

als Kaiserin Maria Ludovica ...

mit seinen skandalösen Amouren!

FRANZ:
Unverzeihlich!  Ein Hupferl sind S, ein Springerl sind S!
Jede gleich packen!

Drückt dabei seine Frau an sich

Wahllos!

MARIA LUDOVICA:
Oh, du lieber Mann, lieber... nicht!
Nicht greif m i c h an!  Nicht m i c h, du Lump!
Geh doch lieber zu diesen... diesen dicken...
Du weißt schon!

Entzieht sich ihm und entschwindet.
 
 

16.  Szene

Vorige ohne Maria Ludovica

FRANZ:
Oje!  Späht in die Dunkelheit.
Todkrank wies is, muß sie sich jetzt auch noch
aufregn, Ihretwegn!

RADETZKY:
'tschuldign!
Halten Eure Majestät Ausschau nach Ihrer Majestät?

FRANZ:
Nach der Maria Ludovica ausschaunzahlert sich nimmer aus,
die stirbt mir sowieso gleich nachn Wiener Kongreß.
Mein Blick gilt meiner Nächsten.

RADETZKY:
Ergebenste Gratulation zu Allerhöchstdero viertem Lebensbunde!

FRANZ:
Häkeln S Ihner Großmutter!
Und damit ich Sie jetzt, im Frieden, kleinkrieg, vergiß ich Ihnen,
bis zu Ihrer Pensionierung keine Beförderung mehr!

Entschwindet in die Dunkelheit.

RADETZKY:
Daß er mirs fürn Rest meines Lebens so anzwidern will!...
Mhm, seine Vierte, die Karoline Augusta!  Eine ganz junge!
Schön iss ja nicht, aber ihre Busitur versöhnt den Betrachter.
Nur deswegn, sagt man ja auch, hat s' der Goethe
in Karlsbad so fleißig andicht.
Und obwohl s' schon einmal verheirat war, steht in der
amtlichn Wiener Zeitung hh sie is noch Jungfrau!
Der Vatikan soll vor der Scheidung genau nachgwassert habn.
Armer Kaiser!  Ein Mann, der viermal heiratet,
hat eine weiße Leber.  Obs in seinem Fall stimmt, wird man
freilich erst erfahm, wanns ihn dereinst aufmachn für die
Kapuzinergruft.

Dunkel.
 

17.  Szene


Minister und Sozialdemokrat im Ministerzimmer

MINISTER
Schau oba, Vater Radetzky!

Drängt seinem Gegenüber ein Schriftstück auf

Schau oba!

SOZIALDEMOKRAT:
Und wenn S zehnrnal Ihren Nothelfer anrufen, wir Sozialdemokraten
unterschreiben nie und nimmer die Anbindung Österreichs an die
Nato.  Haben wir doch auf die Neutralität des Vaterlandes
einen Eid geschworen.

MINISTER:
Neutralität!  Vaterland!  Lassn S nach, Sie!  Wir zwei warn doch
nicht erst einmal dem westlichen Militärbündnis behilflich.
Zuletzt im Nahostkrieg, Stichwort Bergepanzer!

SOZIALDEMOKRAT:
Gut, ich geb zu, unser Neutralitätsverständnis war bis jetzt, na ja...
mehr pro forma.  Aber der Wähler hat den Schmäh ganz gern ghabt.

Nach einer Pause

Ewig schad um die Neutralität, falls ich vielleicht doch noch
einmal für die Nato unterschreib!

MINISTER:
Aha!  Und wenn, warum?

SOZIALDEMOKRAT:
Schaun S, ich sag mir, das Wichtigste heutzutag sind Arbeitsplätze,
und die Nato schafft schließlich welche.

MINISTER:
Klar!...   Wieso?

SOZIALDEMOKRAT:
Sind wir ersteinmal inder Nato, was glauben S, wieviel
Bürosessel dort auf unsere Hintern warten?

MINISTER
Hh Arbeitsplätze für die politische Klasse!

SOZIALDEMOKRAT:
Saftige Diäten!

MINISTER:
Expertisen auf Dollarbasis!

SOZIALDEMOKRAT:
Und die Differenz bei der ständigen Hin- und Herfliegerei!

MINISTER:
Sie meinen: Differenz wirkliche Spesen und Abrechnung!
Ideal!

SOZIALDEMOKRAT:
Hh grad für Sie vielleicht doch nicht ganz, weil ein Mann über
fünfzig ist ja kaum mehr imstande die ganze Differenz außerehelich
zu vervögeln.

MINISTER:
Spaßvogel hh hh... Na warten S, eine Retourkutschn!
Was für ein Unterschied ist zwischen Ihnen und einem Sozialdemokraten
von vor hundert Jahr?

SOZIALDEMOKRAT
No?

MINISTER:
Eigentlich keiner.  Der Sozialdemokrat vor hundert Jahr hat die
Internationale in prolo-Dur gesungen, und Sie singen jetzt in einer
Tour die Internationale des Kapitals.
Vaterlandslose Gesellen hat man euch damals geschimpft,
aber heut freun wir uns, daß'as wirklich seids!  Wo wären wir
ohne euch brave vaterlandslose Sozialdemokraten?
Ohne euch gäbs ja noch immer Österreichs Souveränität,
wirtschaftlich, politisch, militärisch, und in einer solch beengenden,
überstandigen splendid isolation müßt sich unsere Klientel ihre
weltumspannenden Geschäftsinteressen aufm Bauch verreibn.

SOZIALDEMOKRAT:
Aber noch sind wir halt neutral!  Offiziell!

MINISTER:
Was eine wacklerte pro-forrna-Neutralität taugt, hat uns Radetzky
an Hand der Schweiz klargemacht.  Ursprünglich, als er gegen den
Napoleon durch die neutrale Schweiz marschieren wollt, hat ihm
der Kaiser Franz angedroht, wegn dieser political incorrectness
laßt ern köpfen.
Aber wer ist schließlich wirklich geköpft worden?
Die Schweizer Neutralität!
Die Eidgenossen haben sich der Nato... a, ich mein der Großmacht
Österreich!... gebeugt, der Radetzky is durch die Schweiz wies
heiße Messer durch die Butter, und der Kaiser hatn wieder einmal
belobigt.

SOZIALDEMOKRAT:
Und wieso sind die Schweizer so leicht umgfalln?

MINISTER:
Hh wahrscheinlich warn schon damals ein paar Sozi drunter.

Dunkel.
 

18.  Szene


Marschallin und Radetzky in ihrer Wohnung
(in der Festung Olmütz)

MARSCHALLIN:

unwirsch zu Radetzky, der nicht zu sehen ist, sich aber offenbar
hinter den zugezogenen Vorhängen eines Betts befindet.

Wohl geruht nach dem meiner Seele angetanen Schimpf.
Steh doch auf, weide dich an deines Weibes Verletzung!

Pause

Willst nicht hören, was?

Pause

Seit einer Ewigkeit auf Halbsold, und gestern die Sache mit
diesen sogenannten Nasenbatzln!  Nasenbatzln, fi donc!
Tief unten!  General in minderwertigen Friedenszeiten sind wir,
Festungskommandant in, ausgerechnet, Olmütz!
Der Sieger von Leipzig hh hh!
Meine Haute Couture ein Kasten voll verwetzte Hadern,
unsere Haute Cuisine die Gulaschkanone!
Der Herr Feldmarschalleutnant züchtet Kaninchen,
alle Kohlköpfe im Küchengarten hören auf sein Kommando,
zumindest noch in den paar Wochen bis zu seiner
Pensionierung, und infolge deiner en-canailleBehandlung durch
den Kaiser ist auch die Karriere unserer Buben ...
jaja, willst es nicht hören, je le sais, aber ich sags inimer wieder...
ist auch die Karriere von unseren armen Buben im Kübel.
Bist fünfundsechzig und tust, als ob!  Spielst dich auf als Reformer,
grand seigneur, grand style!  In Wien lachen sie über den Monsieur
Staatssanieerer, über den Aufrüstungsschwafler à tout prix...
ah, und gestem der Nasenbatzltiefpunkt!
Diese deine Lächerlichkeit, die dir ja gar nimmer
zu Bewußtsein konunt!
Nachmittags schickst du dem Hofkriegsrat eine neue pompöse
Denkschrift... Umschichtung von hunderten Millionen Budgetgulden ...
und abends, als du mir beim Tarock einen Gulden Spielschulden
zahlen sollst, e i n e n Gulden!
sagst du seelenruhig: 'Hab ich nicht, Fantschi, also kriegst auch nix,
gibst mir halt statt dessen zwei Nasenbatzln!'
Und zwingst mich in der Tat, mich...
Franziska Gräfin von Strassoldo-Gräfenberg,
die in deiner Quargelfestung zum tarot àdeux verurteilte Gräfin!...
zwingst mich, dir mit den Tarockkarten diese...
plebejische rémunération en nature!... diese, äh!...
Nasenbatzln zu applizieren.
Sag selbst, ging je eine Feldherrnlaufbahn verpfuschter zu Ende?
Auf Halbsold!  In Olmütz!

Radetzky streckt seinen Kopf zwischen
den Bettvorhängen heraus.

RADETZKY
Fantschi, sei keine Jammer-Fantschi!  Wir zwei demnächst als
Ruheständler hh das halbiert nocheinmal meine jetzt schon
halbierte Gage, und dann hamma net einmal mehr unsere
Gratis-Gulaschkanon.  Du wirst dich noch zurücksehnen ins
Olmützer Paradies!  Aber bisses so weit ist, hab ich noch eine
Massa zu tun.

Steigt aus dem Bett und schlüpft in die Uniform.

Erstens warne ich Majestät in einem ausführlichen Memorandum
vor den Gefahren, die Österreich aus Nord, Ost und West
bedrohen.

MARSCHALLIN:
Ah, du analysierst wieder einmal halb Europa!

RADETZKY:
Die Welt! Österreich muß ja nicht nur auf der Hut sein vor
a) dem potentiell feindlichen Preußen, dessen schlechtgeformte
Grenzen ständig Abrundung auf unsere Kosten signalisieren,
sowie b) vor Rußland, das seit Menschengedenken ins
habsburgische Mitteleuropa hereindrängt...
ich schlag Majestät einen Gegenstoß im Südosten vor!
Darüber hinaus geh ich c) als erster das Problem Amerika an,
denn wenn wir dort net bald was unternehmen, werden diese
neuen Staaten drüben so mächtig, daß sie... ich sags voraus!...
daß sie in naher Zukunft Europa unterjochen!

MARSCHALLIN:
Geh, die paar Indianer!  Und damit vertust du deinen Vormittag!

RADETZKY:
Nach dem Mittagessen... Déjeuner de luxe aus dem Menaschreindl
hh... fordre ich dann von Wien militärische Sofortmaßnahmen.
Billiges Soldatenmaterial tut not.
Und wen, glaubst, buserier ich damit?  Den Fürsten Mettemich!

Überlegt einen diesbezüglichen Brief ...

erlaube ich mir Eurer Durchlaucht Augenmerk hinzulenken auf
unsere drohende außenpolitische Schwächung dadurch,
daß man der Armee immer weniger Rekruten bewilligt,
so daß fürs künftige Kriegführen keine Bevorratung mit
kostengünstigem Burschenfleisch gesichert erscheint,
weshalb ich mir stark Eurer Durchlaucht Unterstützung
bei der Schaffung eines Landwehrsystems erbitte...

Zu seiner Frau

Verstehst, alles assentiern, was so penetrant zivil aus der
Wäsch schaut!  Ganze Regimenter haben heut nur mehr
Bataillonsstärke, und der Hofkriegsrat is unfähig daß er
was nachschiebert... Dabei könnt m'r uns doch
wahrlich bequem bedienen aus der gottlob karnickelartig
sich vermehrenden gesamtösterreichischen Population!
A propos Kamickel, an der Festungsmauer die total verpischtn
Zuchtkästen von unsere Belgischen Riesen falln auch bald zsamm.
Und weißt, an wem mich die dortigen Abflußbrettln für den
Urin erinnern ?
An den Hofkriegsrat!
Alles morsch... Tja, Majestät!  Reform, Reform, Reform!

Dunkel
 

19.  Szene

Assistentin, Sekretär, später Radetzky

Die Assistentin, in schlichtem Weiß (also nicht mehr als Kaiserin),
nähert sich dem Sekretär (noch immer im Kaiserkostüm) und
reicht ihm Unterlagen.

SEKRETÄR:
Danke.  Kaiser Franz sieht sich mitten in der Hochblüte seiner
Monarchie nicht mehr draus. Überall rühren sich nationale
Oppositionen, und richtig aufrüsten kann er nicht, weil...

im grämlichen Tonfall des Kaisers

Hint und vorn ka Geld!  Und gar in Italien, Bruader ums Eck...
nationale Einigung!  Risorgirnento, das brodelt wie ein Risotto!
Meine Lombardei is ein einziger Hinterhalt, auf jedn ehrlichn
Polizeisabel kommt ein Dutzend einheimische Dolche.
Lauter hinterfotzige Freimaurer, Carbonari!
Und meine Armee verludert und verschlafen

Durchblättert die Unterlagen,
dann im sachlichen Tonfall des Sekretärs

Wen, glauben Sie, wen in seiner Not ruft der Kaiser zu Hilfe?

ASSISTENTIN:
Den ungeliebten Fastpensionisten, auf den er einen Pick hat.

SEKRETÄR:
Ruft ihn ab aus den harngetränkten Kaninchenställen,
damit er dem italienischen Zuchtkasten der Monarchie
neue Bretter einzieht.

Licht auf Radetzky,
ohne daß ihn vorerst Assistentin und Sekretär bemerken.

ASSISTENTIN:
General Liederlich als Retter des Hauses Habsburg.

SEKRETÄR:
Er rettet es tatsächlich, und zwar unter solchem Blutvergießen,
daß ihn seither jeder Gutösterreicher einen Helden sein laßt.

RADETZKY:

für sich

Zivilfurzer!  Bürowanzn!  Sowas administriert den Himmel!
Na warts, falls ich euch euchere Vorrückung vermassln kann!

laut

Simmer soweit?  Italien, das Hauptstück, is dran, und wir
präsentieren gleich die Sternstunde meiner Lebensrevue:
wie mir der Kaiser den Süden seines Reichs ans Herz legt und
mich dabei um eine Gefälligkeit bittet... der Kaiser m i c h!

Drängt darauf daß der Sekretär wieder die
kaiserliche Rolle übernimmt

Avanti, Majestät, gemma gemma in medias rex!
Die schöne Frau bereitet uns derweil die Lombardei vor.

ASSISTENTIN:
Die dortigen Massaker sollen Ihnen Sympathie bringen?
Optimist!

RADETZKY:

auf das Publikum verweisend

Ob mich die lieben, weiß i net, aber draußtn die
hh... machen S eine Radetzky-Abstimmung:
ich krieg mehr als jeder amtierende Bundespräsident!

ASSISTENTIN:

zum Sekretär

Große Ausstattung, Massenszenen?

RADETZKY:
Tun S nur, tun S nur!  Meine Soldaten sterben gern ein zweitsmal,
und um die wallische Bagasch iss sowieso net schad.

Assistentin ab.

RADETZKY:
Na was is?  Unser authentischer geschichtlicher Dialog!
So bittn S doch schon!

SEKRETÄR

wird zum Kaiser Franz

Ah, lieber lieber Graf, lang net gsehn!
Gehn S, i tät Ihnen sehr um einen Gfalln bittn.

RADETZKY:
Oh!  Gefälligkeit?  Majestät haben zu befehlen.

FRANZ:
Nein nein, Sie, eine heikle Gschicht, drum bitt ich Ihnen.
Ich ernenne Sie hiemit zum Kommandeur meiner italienischen Armee,
und die Gefälligkeit besteht darin, daß Sie mir die verkommene
Truppe dortselbst orndlich herrichtn für einen Krieg.

RADETZKY:
Ich bin in tiefer Schuld von Eurer Majestät.

FRANZ:
A, Schuld... ! Ihnere Schuldn, die sind das Problem, was
mach m'r denn da?

Holt ein fingerdickes Papierbündelchen hervor

So ein Zufall, daß man mir in die letzten Tag alle auf Graf Radetzky
und seine Marschallin lautenden Schuldpapierln verkauft hat!

Zerreißt sie

Hh hh erinnern S Ihnen an Leipzig?
Kaum zwei Jahrzehnte und schon wieder hab i für mein'
Lieblingsgrafn was zum Skartieren.
Sagn S net danke, z'reißn S m'r dafür das Risorgimento!

Dunkel.
 

20.  Szene


Radetzky und seine Frau in ihrer Wohnung
(Festung Olmütz)

MARSCHALLIN:

Hhhh, hat mein Antreiben doch genützt!  Jetzt sind wir wer,
du schlagst wieder deine Schlachten, und vor der entschuldeten
Marschallin liegen wieder alle Kreditgeber auf dem Bauch.

RADETZKY:
Weh dir, du fängst wieder an!

MARSCHALLIN:
0 mon cher Joseph Wenzell!
Unser Umzug in die italienische Residenz... !
Neue Möbel, Teppiche!,
et quant à ma garderobe, mon dieu!
Du zeigst es denen da unten mit dem Schwert,
da muß meine Repräsentation eine entsprechend
glänzende sein...
Ah, große Gala!  Man empfängt uns mit Musik!

Einige Zeit schon waren musikalische Geräusche zu vernehmen,
und jetzt marschiert der zuletzt am Ende des 1. Aufzuges in
Erscheinung getretene Gefallenen-Musikzug aufdie Szene und
produziert sich wieder mit seinem kläglichst vorgetragenen
Radetzkymarsch.
Sekretär und Assistentin, beide in schlichter weißer Normalkleidung,
kommen hinterher gelaufen.
 

21.  Szene


Gefallenen-Musikzug, Sekretär, Assistentin, die Vorigen

SEKRETÄR:
Zurück!

1. TOTER:
Wird doch noch ein Ständchen für unseren Papa Radetzky erlaubt sein!

ASSISTENTIN:
Den Radetzkymarsch gibts erst
nach Radetzkys italienischem Triumph!

SEKRETÄR:

verscheucht die Gefallenen

Zurück!

MARSCHALLIN:
Keine Musik?  Quel dommage!

SEKRETÄR:

zur Assistentin

Italien, Maßstab eins zu eins, alles hergerichtet?

ASSISTENTIN:
Noch nicht ganz.  Das Herrichten wäre an sich ja
kein Problem, bloß... das ständige Hinrichten!

SEKRETÄR:

versteht nicht gleich

Wie?
 

RADETZKY:

erklärend

Die Galgen!

SEKRETÄR:

zur Assistentin

Sie konnten keine auftreiben?

ASSISTENTIN:
Natürlich konnt' ich Galgen auftreiben, aber leider nicht
so viele, wie Radetzky brauchen wird.

RADETZKY

ins Publikum

Mir scheint die mag mi net.
Dees is a Tugendterroristin!