3. Aufzug


Im Jenseits.  Das helle Innere einer großzügigen Mehrzweck-Architektur
(ein Teil der Spielfläche wird verdeckt durch Seitenwände oder
Vorhänge, die später entfernt werden),
worin der Sekretär gedankenvoll hin und her geht.
Von draußen stürmt Radetzky, herein.  Er schwenkt ärgerlich ein Papier.
Hinter ihm ein paar ramponierte Gefallene.
Noch bevor Radetzky den Sekretär sehen kann, zieht dieser sich
vorsichtig zurück, bleibt aber im Raum
(und hat Mühe, die Vorgänge genau zu verfolgen).
 
 
 

1. Szene


Radetzky, einige Gefallene, Sekretär
(halb verborgen)
 
 

RADETZKY:
Halt wer da?... Tintenburg, lausige!
Niemand da, bei dem man Rekurs machn kann?

Zu den Toten

Was wollts ihr denn von mir?
Zurück ins Gewölbe!

1. TOTER:
Halten zu Gnaden, die Truppe wartet auf die neuen Uniformen,

RADETZKY:

verweist auf das Papier

Da!  Der Wisch!  Mir werdn alle Schlachtenwiederholungen
gestrichen, ergo iss Essig mit neuche Uniformen.
Das sogenannte Sparprogramm der sogenannten Hohen Kommission!
Grad jetzt, wo bei mir, ich bin jetzt Mitte der Achtzig, mein Genie
beispiellos aufrauscht!
Weil wo habt ihr dessengleichen schon gesehn: ein Greis,
der wie ein junger Herkules ganz Italien zsammhaut!
Meine Armee, meine Standgerichte!
Hh veni, vidi, vitschi, Risorgimento quietsche!
Und Habsburg blüht, denn wo ein Radetzky hintritt,
wachst kein Gras mehr.
In Wien habn mir die dankbaren Monarchisten im Museum
einen Riesensaal mit meine Dutzende Siege eingerichtet:
Santa Lucia, Curtatone, Sommacampagna, Custozza und...
wart einmal,wo war noch was?...aja,Novara!
Iss ja bei der Überfülle meines Lebenswerks gar net leicht,
komplett sich zu erinnem, wen oder was i alles zerschmettert hab.
Aber die uns da herobnl enken... ogottogott, Sparprogramm!
Und dabei wollns mich auch noch beruhigen und erzähln mir in
dem Bescheid, daß das heutige Österreich eh schon halbert zur
Nato hin umgfalln is, ganz in meinem Sinn, so daß die
Natotrommler meine auf ihre Unterstützung angelegte
Spezialshow angeblich gar nimmer brauchn.

DieAssistentin kommt von draußen herein.
Radetzky verstellt ihr den Weg.
 

2. Szene


Assistentin, die Vorigen

RADETZKY:

Da!  Schweinerei!

Zerknüllt das Papier und wirft es weg

Mich ausrangiem wollts?  Was bleibt denn von mir in der
Weltgeschichte, wann ihr dem Publikum ausgerechnet
meine gelungensten Bataillen vorenthaltets?
Eine bessere Einstufung bitt ich mir aus!

ASSISTENTIN:

etwas  verlegen

Was ohne Schlachten von einem... einem Schlächter bleibt?
An uns solls nicht liegen.  Wir statten weiter aus, würdig,
trotz Streichung aller Schlachtpanoramen.

RADETZKY:

Das soll i glaubn?  Und wann gehts es an?  Die Warterei!
Der Sekretär is ausgflogn, nix geht weiter, außer daß man
einen Appetit kriegt!

Zu den immer wieder auf Körperfühlung an ihn herandrängenden
Toten

Und ihr hörts auf, da heraußt geht das nicht,
wir sind net im Gwölb!

1. TOTER:
Wegga!  Tuts am Marschall net herumzupfn!

RADETZKY:

wird gutmütig

Zutrauliche Kinder halt hh wanns nur ihrn Papa habn!

Zu einem besonders zudringlichen Toten

Willst angegessn werdn, gelt?

2. TOTER:

eifersüchtig

Der drängt schon wieder vor!

RADETZKY:

zum Zudringlichen

Hast gar kein' Genierer vor der Dame? Öffentlich!

ZUDRINGLICHER TOTER:
Nur einen Roßbiß, bittschön!

RADETZKY:

launig

Du, führe mich nicht in Versuchung!
Gleich reiß i dir ein' Haxen aus!

ASSISTENTIN:

will Radetzky aus dem Büro hinausbringen

Aber bitte!  Für Sie wär es jetzt am bequemsten,
Sie gehn mit Ihren Herren speisen, und ich überleg
mir inzwischen die Erfüllung Ihrer ungesättigten
Repräsentationswünsche.

RADETZKY:

Na, da darf man gespannt sein, was ihr mir noch
anzubietn habts.

Zu den Toten

Vorläufiger Rückzug, Kinder!

1. TOTER:
Ab zur Verzehrstunde, gemma gemma!

Radetzky und die Gefallenen ab.
Der Sekretär macht sich der Assistentin bemerkbar.
 
 

3. Szene

Sekretär, Assistentin

SEKRETÄR:
Ist er fort?  Und wohin?

ASSISTENTIN:
Nachfeldherrliche Tätigkeit.
Der Bescheid, der ihn so empört,
wie kam es denn dazu?

SEKRETÄR:
Sparsamkeit und Taktik.  Als ich den Hohen Herren mein
Nachtragsbudget vorstellte, wurde ich belehrt, das kostspielige
Nachstellen von Radetzkys italienischen Feldherrnhandlungen
sei gar nicht notwendig.
'Bringen Sie doch nur sein Wesentliches, Herr Sekretär!'
'Radetzky an sich!'... Lachhaft!  Wesentlicher Radetzky
ohne Schlachten, womöglich auch noch ohne Galgen!
Doch ich denke, der tiefere Grund für den restriktiven
Entscheid unseres obersten Organs liegt in der Sympathie
für das eher friedfertig gewordene kleine Österreich.
Man will das Land nicht anagitieren lassen mit altem
Austria-militans- und -triumphans-Tamtam, Militarismus-Trara...
woraus heutige Natolobbyisten ja mühelos ihre
Beitrittsoptionen ableiten könnten.

ASSISTENTIN:
Rücksichtsvolle Kommission!
An mich denkt niemand.
Alle meine szenischen Ausarbeitungen!
Wenigstens eine größere Dekoration sollte doch noch
drinsein?

SEKRETÄR:
Vielleicht.  Zur Beruhigung Radetzkys spielen wir aber
sofort und zwar hier in meinem bescheidenen Büro!
... spielen wir bei aller gebotenen Ökonomie:
Achtzehnachtundvierzig!
Das Jahr, in dem das Genie unseres Heldengreises so
beispiellos aufrauscht.

Ruft ins Off

Der Frau Doktor das Kostüm von Kaiserin Maria Anna!
Mir den Prachtrock von Kaiser Ferdinand!
Und irgendwer sollte Herrn Radetzky verständigen.
Er möge bitte seine Verzehrstunde unterbrechen,
sein Herr empfange ihn in Audienz!

Die Assistentin begibt sich hinter die Szene.
Hinter einem der nun entfernten Paravents (Vorhänge)
wird ein kaiserliches Gemach sichtbar.
Der Sekretär betritt es und zieht eine dort bereitliegende
Gala-Uniformjacke an.
Sekretär und Assistentin, die in majestätischer Kostümierung
bald wieder auftaucht, sprechen und verhalten sich im folgenden
je nach Erfordernis auch als Kaiser und Kaiserin.

SEKRETÄR:

mustert sich in einem Spiegel, übt sich ein als Ferdinand

Grausame Rolle.  Ferdinand der Gütige!
Radetzkys vierter Kaiser ist eine arme Haut.
Die Wiener spotteten ihn: Gütinand der Fetige.
Epileptische Anfälle.  Unästhetisch.

ASSISTENTIN:
Sie müssen auch sabbem!  Sabbern!  Sie zögern?

Sekretär will nicht, versucht es dann.

Na ja, gestatten Sie mir die Schmeichelei, daß Sie in Ermangelung
von Ferdinands Wasserkopf eine Fehlbesetzung sind.
Was freilich sind Ihre schauspielerischen Skrupel gegen meine
Verzweiflung, als ich...

sie beginnt sich in die Kaiserin Maria Anna einzufühlen,
der Sekretär wird a tempo zu Kaiser Ferdinand ...

als ich, Maria Anna von Savoyen, ihn, den mir bestimmten
Bräutigarn, das erste Mal sah und er mich, das Opfer...

Schaudernd zu Ferdinand

Jaja, du bists, mein guter Ferdinand!...
als du mich an dich drücktest...

FERDINAND:

grinst, drückt sie an sich

Hh hh hh jetzt hab i di!

Läßt sie wieder frei

Hh wie ich dich damals eingfangt hab,
war i doch wirklich gscheit, oder?
Und jetzt, gibs zu, bin ich wieder gscheit,
weil ich hab ja vor kurzem...
Verstehst eh... Radetzky!...
Aber... aber wieso?
Weinerlich Du, jetzt iss' mir entfalln,
wieso i eigentlich gscheit bin.

MARIA ANNA:
Weil du, guter Ferdinand, grad so wie dein Vater selig
dem Radetzky alle Schulden gezahlt hast!
Und zwar gegen den Widerstand deiner Berater.
Das war einmalig gescheit.

FERDINAND:
Aha!  Und, sag, wann?
Wann hab i ihm alle seine Schulden 'zahlt?

MARIA ANNA:
Noch vor Ausbruch von Revolution und Krieg.

FERDINAND:
Revolution?  Aso, wir habn ja noch immer Revolution, net?
Und vorm Krieg, sagst du... ? Aber warum?
I hätt ihm doch gar nix zahln müssen, net?
Sag, wieso bin i jetzt  trotzdem gscheit?

Während des kaiserlichen Zwiegesprächs ist Radetzky eilig
hereingekommen.  Beim ehrerbietigen Nähertreten merkt er
mit einemmal, daß er bei der vorausgegangenen Mahlzeit
Schnurrbart und Uniform etwas beschmutzt hat.
Er versucht sich zu säubern.
 

4. Szene

Radetzky, Ferdinand, Maria Anna

RADETZKY:
Ah,'tschuldign! Nur ein  paar  Blutströpferln, und da... !

Entfernt einen weiteren Essensrest

Der Bursch, haarig wie der war...
Soll i rni erst umziehn gehn, Majestät?
Hab mi ein bissl antrenzt.

FERDINAND:

gemütlich sabbernd

Hh samma zwaa!  Aber jetzt, lieber Graf, erklärn Sie mir, wieso,
falls ich Ihner hätt hängen lassn... i mein hh im Gegenteil, net hängen,
nein nein... Sie verstehn mich, gelt?
Also wann ich Ihnen mit Ihnere Schulden hätt hängen lassn,
wieso müßt i dann von mir jetzt sagn, daß i blöd bin?

RADETZKY:
Darf ich Eurer Majestät Weisheit gebührend beleuchten?
Hier, mein siegreicher Schwertarm, der unsere reichen
italienischen Besitzungen für alle Zeiten Österreich
zugeschlagen hat... dieser Arm hätt ja gar nicht dreinhaun
können, wären Majestät dem Hofkriegsrat gefolgt und hätten
mir voreilig, statt mich gnädigst zu entschulden,
den Pschisterer gegeben.

MARIA ANNA:
Ferdinand der Gütige!

RADETZKY:
Mit so weiter Voraussicht!

FERDINAND:
Ha ja, meine weite Voraussicht!  Jetzt müßts hh hh Ferdinand
der Weitsichtige zu mir sagn!
Hh nein, müßts nicht, is nur ein Witz! Aber im Emst...

Droht Radetzky  mit dem Finger

Sie, vor meinem geistigen Auge... irgendwas!
Habn S nicht mittn in diesem Krieg einmal gegn mich rebelliert?

Zu Maria Anna

Du, da war doch was in mein' Lo... in mein' Lo
so ein langer Namen ist nicht zum dermerken.

Dort unt!  Lo Lo Lo ! Sag schon!

MARIA ANNA:
Lombardo-Venezianisches Königreich!
Du hast dem Grafen einmal befohlen, er soll Frieden schließen,
er aber, als ob nichts wär, hat weiter seine Schlachten geschlagen,
durch welchen Ungehorsam dort unten

FERDINAND:

zornig zu Radetzky

Dafür stell ich
Ihnen da herobn vors Kriegsgericht!

MARIA ANNA:
...durch welchen Ungehorsam er dir  jedoch dein Lombardo-
Venezianisches Königreich und letztlich unsere ganze Monarchie
gerettet hat!

FERDINAND:
Was?  Aufg'strampft habn m'r, ungehorsam war m'r... und

strahlt

g'wonnen habn m'r?  Issja... bravo!
Drum ernenn ich Ihnen jetzt ja auch... haltn S Ihnen an!
Ich ernenn Ihnen zum Generalgouvemeur in mein' Lo... Lo...
da unt in mein' Königreich.
Aber daß mir so ein Ungehorsam nimmer vorkonnut!
Zum gewinnen und rettn is im Moment ja eh nix mehr.
Wir sind stabil, Sie sind entlassen!... nein nein, im Gegenteil!...
entlassen, schon, jaja, aber huldvollst!
Nur weiter so, Graf!
Pfüat Ihner!

Radetzky rückwärtsgehend ab.
Ferdinand und Maria Anna werden wieder zu
Sekretär und Assistentin.  Sie entledigen sich
im folgenden ihrer historischen Kostüme.
 

5. Szene

Assistentin, Sekretär, dann Radetzky

ASSISTENTIN:
Stabilisierung der Monarchie durch Radetzkys Ungehorsam!
Seine Biographen loben ihn dafür.

SEKRETÄR:
Undialektische Sichtweise!  Denn dadurch, daß er Italiens
Selbstbestimmung vereitelt, versäumt Gesamtösterreich
die Überfuhr zu eigener friedlicher Entwicklung, und das von
Radetzky blutig disziplinierte Oberitalien geht gleich nach
seinem Tod in neuen Blutbädern endgültig verloren.

ASSISTENTIN:
Radetzky in imperialistischer Sicht also eher kontraproduktiv?

Der eben abgegangene Radetzky kommt zurück.
Er hat das Letzte noch gehört.

RADETZKY:

für sich

Pazifismusschnatterer!  Friedenstauberlflatterer!
Meinen Ruf zerredn,
meine Feldherrngloriole verfinstem!

laut

Ich bin ein Idol des Volkes!
Und wann ihr euch nix mehr über meine italienischen
Triumphe bringen trauts...
 

SEKRETÄR:
Bringen wir!  Kommt noch!

RADETZKY:
Wanns mi schon politisch abitragn wollts, bitte, aber trauts
euch doch wenigstens meine Fruchtbarkeit zeign!

ASSISTENTIN:
Fruchtbarkeit?

RADETZKY:
A, net was Sie glaubn!  Net wie oft und wo überall ich einen
Bambino gestrickt hab...
Meine kulturelle Potenz!
In Wien habns eine Straße, einen Platz und sogar eine Bruckn
nach mir benannt, und der Bildhauer Zumbusch laßt mich auf
einem sehr schönen Roß aufn Ring sitzn, sehr haltbar,
Metall, was Bleibendes!  Die Künstler habn mich ja in jeder
Hinsicht verarbeitet.
Der Grillparzer!  Der Strauß!
Zeigts das, spielts das, bringts das!

ASSISTENTIN:

zum Sekretär

Könnten wir vielleicht, in Ihrem bescheidenen Büro ... ?

SEKRETÄR:
Schon vorbereitet!

Weist auf eine der Seitenwände

Als Kammerspiel: Radetzky und die holde Kunst.

RADETZKY:
Und nicht vergessen: ich als italienischer Generalgouvemeur!

SEKRETÄR:
Das besprechen Sie mit meiner Mitarbeiterin!

Zur Assistentin leise

Höchstens ein Bühnenbild, Frau Kollegin!

Assistentin und Radetzky ab.

SEKRETÄR:

ruft ins Off

Noch immner achtzehnhundertachtundvierzig!  Grillparzer!

Hinter der entfernten Wand sieht man Grillparzer in seinem
ärarischen Büro (Schreibtisch, Stehpult, Regale)
vor einem Stoß Akten, lustlos in Papieren kramend.
Der Sekretär weiter auf der Szene: als Kommentator,
der nur fürs Publikum vorhanden ist, nicht aber für Grillparzer.
 
 

6. Szene

Grillparzer, Sekretär

SEKRETÄR:
Vielhundertjähriger Staub des Hofkammerarchivs.
Lieber als Direktor des Archivs wäre er ja Burgtheaterchef oder
Vorsteher der Universitätsbibliothek geworden.

Als Grillparzer den Akten jetzt verächtlich den Rücken kehrt und sich
mit erhobenem Gänsekiel an das Stehpult stellt

Aber oft hebt er ab aus seiner Gruft.

GRILLPARZER:

dichtend

'Hier sitz ich unter Faszikeln dicht,
Ihr glaubt: verdrossen und einsam - '

Überdenkt das Geschriebene

'Verdrossen'.  Bin i eh, in Wahrheit.  Wills aber nicht sein!...
Und 'einsam'?
Reimt fatal auf 'peinsam'... Nein, eben nicht!

Und dichtet weiter

'Und doch vielleicht, das glaubt ihr nicht,
Mit den ewigen Göttem gemeinsam.'

Spricht

Der siegreiche Radetzky ist zumindest ein Halbgott...
Ha, ihn ehren auf Kosten der abscheulichen Revolution... !

Schreibt den Titel eines neuen Gedichtes hin

'An Feldmarschall Radetzky!'

Dichtet und murmelt einiges von dem,
was ihm am Herzen liegt

Glück auf, mein Feldherr ... !

SEKRETÄR:
Radetzky-Lobhudeleien.  Hochpreisung des, wörtlich,
'ruhmvollen Krieges' bei gleichzeitiger Verächtlichmachung
der den Staat erschütternden Revolution.
Den Studenten vor allem flickt er eins am Zeug.
Und läßt den Text, damit er die rechte Wirkung entfalte,
in den Zeitungen abdrucken.

Grillparzer hat sein Opus fertigstellt, nimmt es und geht
damit ab.
Sekretär zieht eine Zeitung hervor.
 

7. Szene

Sekretär, dann Stimmen der Wiener Studenten

SEKRETÄR:
Donauzeitung, 8. Juni.

Liest

Franz Grillparzer: An Feldmarschall Radetzky

Glück auf, mein Feldherr, führe den Streich
Nicht bloß um des Ruhmes Schimmer!
In deinem Lager ist Österreich,
Wir andere sind einzelne Trümmer.

Die neun Strophen bringen die mit Italiens Freiheitskampf
sympathisierenden Studenten Wiens in Rage.

Ruft ins Off

Bitte den Studentenprotest!

Im Off Stimmengewirr, ärgerliche Rufe.
Die selben Studenten, die bald darauf beim Kampf um Wien
von Radetzkys Feldherrnkollegen, den Windischgrätz und
Jellacic massakriert werden

STIMMEN DER STUDENTEN:
Kommilitonen, habts ihr das Gedicht auf den Radetzky glesn?
So ein Scheißdreck, der lobt frank den Radetzk!
Pfui!  Pereat!

SEKRETÄR:
Besonders erregt die jungen Revolutionäre Grillparzers
Vorwurf ihrer politischen Inkompetenz.  Dritte Strophe:
Es sei ein Glück, daß es im Kriegslager Radetzkys
keine Studenten gebe, denn...

Liest

Dort ist kein Jüngling, der sich vermißt,
Es besser als du zu kennen,
Der, was er träumt und nirgend ist,
Als Weisheit wagt zu benennen.

Das heißt, weil sie noch nicht etabliert sind,
sollten sie zu Radetzky das Maul halten.
Wozu mir übrigens der Vorsitzende unserer
Hohen Kommission gesprächsweise mitteilte,
er sei prinzipiell anderer Ansicht:
Gesellschaftlich Abqualifiziert-Sein bedeutet
niemals Nullität.  Nichts wird stets zu neuem
Sein.

STIMMEN DER STUDENTEN:
Der Grillparzer soll si schamen!

Quousque tandem?  Casus belli!

Dem ghört die schwarzgelbe Birn anghaut!
Weiß wer, wo er wohnt?

Na wo!  In der Spiegelgassn, bei seiner Kathi!

Sie setzen sich lärmend in Bewegung.

Rollkommando!

SEKRETÄR:
Glück für den Dichter, daß er zu der Zeit zufällig nicht in
der Spiegelgasse bei seiner ewigen Braut Kathi Fröhlich
wohnt, sondem solo, einige Häuserblocks weiter,
in der Grünangergasse.

Sekretär geht ab und weist im Abgehen auf eine andere
Seitenwand.  Die wird entfernt, und sichtbar wird ein
Wohnzimmer, in dem Grillparzer im Lehnstuhl sitzt.
Kathi Fröhlich stürzt herein,
 

8. Szene

Grillparzer, Kathi Fröhlich, später der Sekretär

KATHI:

schwenkt die Donauzeitung

Herr Grühpatza!  Herr Grühpatza, Sie müssn Ihna flüchtn!
Aufn Hohen Markt san Studenten, die mochn aan Morkt...

Sie beginnt in einen Koffer Wäsche und Kleidung zu stopfen.

GRILLPARZER:
'Grühpatza'!  Gewöhn dir doch endlich, beste Kathi,
dieses entsetzliche 'Grühpatza' ab!
Mein Name freut mich bekanntlich überhaupt nicht,
ich erduld ihn halt wie so vieles in meinem verputzten,
in meinem soidisant... Leben!
Ihn aber aus schönem Munde allerweil so, sub omni canone,
artikuliert zu hören: 'Grühpatza'... uah -!
Wenn du mich wirklich liebst,
sagst einfach 'Herr Direktor' zu mir!

KATHI:
Mhm, i waaß eh, i bin Ihna zu minder.
Aber bittschön, Sie müssn Ihna unbedingt flüchtn,
die Studentn wolln Ihna haun wegn dem Radetzkygedicht.

GRILLPARZER:
Doch nicht 'wegn dem'!
'Wegen', liebe Kathi, regiert den Genitiv!

KATHI:
In aner halbn Stund gangert der Stellwagn nach Baden.
Bitte, tummeln S Ihna, bitte!... Franz!...
Geh lass di doch net so bittn!  Zahlert sich doch wahrlich
net aus, dich derschlagn lassn für so aan Militärschädl.

GRILLPARZER
 über dich, törichte Jungfrau!  Als ob deinesgleichen je
den Wert des herrlichen Mannes erkennte!

Überlegt

Nach Baden?  Die dortige Gesellschaft befriedigt mich
garantiert noch weniger als hier in Wien die deinige.

KATHI:

für sich

Den schiachn Radetzky hamma braucht!

Flink den schweren Koffer aufnehmend und
Grillparzer fortdrängend

Jetzt nix wia weg!  Bitte, Franz!  Bitte, mir zliab...
Bitte, bitte, Herr Direktor... Grühpatza!

Beide ab.
Sekretär taucht auf.

SEKRETÄR:
Grillparzers herrlicher Mann seinerseits ließ sich auch nicht lumpen.
Er schickte ihm einen Ehrenbecher, von dem er Dutzende auf
Lager hatte, und ließ von einem Ghostwriter einen poetischen
Dankesbrief verfassen:
'Fahre fort, so zu singen, edler Barde!'...
Ein Jahr später, bei einem Aufenthalt Radetzkys in Wien, lemten
Dichter und Feldherr einander persönlich kennen.
Grillparzers Tagebuch informiert uns.

Grillparzer, mit dem erwähnten Ehrenbecher in der Hand,
kommt herein.
 

9. Szene

Grillparzer, Sekretär (abseits), später Kathi Fröhlich

GRILLPARZER:

bitter

Ich, der edle Barde.  Wenn ihm dieser leere Ehrenbecher
wenigstens aus vollem Herzen gekommen wäre!...
Das muß ins Tagebuch!

Setzt sich, schreibt

'Bin beim Marschall Radetzky gewesen und nichts weniger
als befriedigt fortgegangen.
Nach all dem Geschreibe, Gepreise und Gerede über jenes,
für Östreich wenigstens, historisch gewordene Gedicht...

Sich unterbrechend, direkt ins Publikum

Historisch!
Sie, was bin ich für das Radetzkylied geehrt worden!
Sogar von unserem Kaiser Maximilian in Mexiko!
Noch in den Sechzigerjahren, kurz bevors ihn derschossen habn,
hat er mir einen Orden geschickt: den berühmten Guadeloupe-Stern,
aus Gold, achtstrahlig, an einem sogenannten Cordon...
so einem Bandl, knallblau!
Na ja, die Verleihung war vielleicht dieses unglücklichen
Habsburgers letzte Freud, aber für mich...
auf der Brust ein Cordon bleu!... unbefriedigend!
War aber wenigstens ehrlich gemeint.  Radetzky hingegen...

Fährt mit seiner Eintragung fort

...hatte ich mir ihn wenigstens warm vorgestellt.
Er hat mich auch wirklich umannt, geküßt, hat geweint,
aber trotz dieses Rührungs-Beiwerkes war die Mitte leer und
kalt.
Hat sich während seines übrigen Aufenthaltes nicht mehr
um mich gekümmert.  Ich hatte mir ihn als einen echten
Menschen gedacht, und muß ihn nun, unbeschadet der
Dankbarkeit für seine Verdienste, als einen Schlaukopf
betrachten, der alles zu seinen Zwecken benützt, selbst die
Poesie, solang er sie braucht.

Klappt das Tagebuch zu

EdlerBarde hh!,und mich so zu kränken!
Ich werde ja oft gekränkt, aber dies übersteigt...

Indessen ist Kathi Fröhlich hereingekommen.

KATHI :
'Edler Barde', was isn dees?
Und wieso hat Ihna der Radetzky gekränkt?

GRILLPARZER:
Deine unkomplizierte Kathinatur mißversteht mich wieder
einmal!  Nicht er eigentlich kränkte mich... ich!
ich selber besudelte meinen Stolz, als ich am Ende der
Audienz mich von Radetzky nicht nur umarmen und küssen
ließ, sondern ihm gleichsam willenlos ein Gleiches tat.

KATHI:
Ha?  Gleichsam willenlos ein Gleiches?...
Intressant, Sie konntn Ihnen gar net wehrn?

Will den im Lehnstuhl Sitzenden zärtlich berühren,
der Ehrenbecher ist dabei im Weg

Stelln S doch dees Häferl weg!
Weil jetzt spiel i den Radetzky,und Sie san der Grühpatza!

Küßt ihn

Edler Barde, tu mir gleichsam willenlos ein Gleiches!

Sie schmusen, doch Grillparzer, seinen
(im selben Tagebuch exakt festgehaltenen)
Abstinenzvorsätzen treu, reißt sich nach einer Weile
heroisch los und geht ab.  Kathi folgt ihm ärgerlich.
Währenddem hat der Sekretär schon die nächste
Szene eingeleitet.
 
 

SEKRETÄR:
Auch in Wiens Musikwelt, in der Familie Strauß, gabs Probleme
mit Radetzky, denn der eine Johann Strauß wollte von ihm
ichts wissen.

Sekretär weist auf eine weitere sichtbar werdende Spielfläche,
auf der die beiden Johann Strauß, 23 und 44 Jahre alt, stehen.
Strauß Sohn, mit Violine, wie man ihn von seinem
Denkmal im Wiener Stadtpark her kennt, dirigiert eine im Off
befindliche Kapelle, die sein Opus 54,
den schwachen "Revolutionsmarsch ", spielt.
Strauß Vater hört zu.
 

10.Szene


Johann Strauß Vater und Sohn, Sekretär (abseits)

VATER:
Dein Revolutionsmarsch is ein Schmarrn!

SOHN:

weiterdirigierend

Aber Herr Vatter!

VATER:
Hör auf damit!  Is ja genant!  Mein Sohn haltet so eine
Fadesse für einen revolutionären Anpumperer!
Revolutionsmarsch hh!  Und hast du dir nicht überlegt,
daß das uns, der Compositeurdynastie Strauß, d
as Gschäft ruiniem kann?
Angenommen, der Hof kriegt das ins falsche Ohrwaschl.

SEKRETÄR:
Tatsächlich wird der künftige Kaiser Franz Josef dem künftigen
Walzerkönig den Revolutionsmarsch nie verzeihen.

VATER:

zum Sohn und ins Off

Aufhörn !  Aufhörn!

Einige Instrumente setzen kurz aus, doch der junge Dirigent
schafft es, daß sein Marsch weitergespielt wird.

VATER:
Und dein noch blöderer Bruder Josef hat sich gar einschreibn
lassn bei der Studentischen Legion!

SOHN:

dirigierend

Sein S doch froh, wenn wenigstens Ihre Söhne Charakter zeign!

VATER
Bettelst mir a Fotzn ab?

Wie oben

Aufhörn !

SOHN:

ins Off

Weiter!

Die Kapelle ist verwirrt, doch dann wird der Revolutionsmarsch
weitergespielt.
Da fördert Vater Strauß ein Dirigentenstäbchen zutage und
steigt auf ein kleines Podium, vor dem ein Notenpult steht.

VATER:
Um uns Habsburgs Gunst zu erhalten, seh ich mich gezwungen,
diese Notenmißgeburt meines untalentierten Sohnes
sofort zu übertönen, patriotisch!
Mein nächstes Opus, 228, widme ich unserem großen Feldherm
Radetzky.

Im folgenden kurzer Wettkampf zweier Kapellen:
Strauß jun. und seine Musiker mühen sich mit dem
Revolutionsmarsch, doch Vater Strauß gibt einer
anderen im Off befindlichen Kapelle den Einsatz und spielt
mit dem Radetzkymarsch den Gegner nieder.
Der Revolutionsmarsch wird immer leiser und verstummt.

VATER:
Na, Burscherl, is gleich was anders, oder?
Soll dir eine Lehre sein!

Vater Strauß dirigiert gar nicht zu Ende.
Er entfernt sich hochbefriedigt.

SOHN:

ihm langsam folgend

Sie tun mir doppelt leid, Herr Vatter!
Erstens wird Ihre Reklam für so einen Militärgockel auf
Dauer nix reißen, und zweitens bin und bleib ich ein
Revolutionär.

Ab.

SEKRETÄR
Doppelter Irrtum!  Johann Strauß Vater,
so haben schon die Zeitgenossen gespottet,
hat für die schlechtere Sache die bessere
Musik gemacht, und der Sohn selber ist
gleich nach der Revolution politisch
umgefallen.

Es ist dämmrig geworden.
 
 

11.Szene

Assistentin, Sekretär

ASSISTENTIN:

zu den Erscheinungen

Heute können sies wieder.

Will sachlichen Bericht erstatten

Ich habe mit Radetzky vereinbart, daß ...

SEKRETÄR:

abgelenkt von den Lichtphänomenen

Hohe Kommission, tatenlos irrlichternd !
Sie diskutieren endlos die Natofrage, entscheiden
wie immer nichts, erregen sich aber effektvoll
ins Elektrische.

ASSISTENTIN:
Der Zauber des Jenseits !

SEKRETÄR:
Hat sich was ! Seinerzeit, als hier noch der absolute
Regent waltete, ohne dessen Willen angeblich kein Spatz
vom Himmel fiel...so glaubten es die unten und hielten
daran fest trotz Kriegen, Erdbeben und Pest !...
schon damals waren die allerhöchsten Ratschlüsse
die Wolke nicht wert, von der herab Jener sie verkündete.
Und heute ? In welchen Diensten stehen wir ?

Verweist auf heran- und vorübertreibende Funken- und
Flämmchen.

Von einer Lichterlprozession kaum zu unterscheiden.

ASSISTENTIN:
Aber Herr Sekretär ! Spricht solch angestrengte Debatte
nicht für Gewissenhaftigkeit der Hohen Kommission ?
Österreich und die Nato-Fallgrube. Man erwägt Rettung
in der letzten Minute.

SEKRETÄR:
Lauter Nato-Gegner, doch in Einzelheiten ungemein
streitsüchtig. Koperniskus macht hü, der Vorsitzende
Hegel hott. Dort der grüne Regen, das dürfte Darwin
sein !
...hh unsere ins Gedächtnis der Menschheit
eingeschreinten Geistesheroen ! Leere Ambitionen.
Hauen sich ihre Stehsätze um die Ohren, im Glauben,
sie bastelten noch immer mit an der Weltgeschichte.
Und inzwischen geht Österreich, das prophezei ich
Ihnen, wieder einmal flöten.

ASSISTENTIN:

zu einem feurigem Phänomen

Ah, das zischt ! Ehrgeizige Leuchtkugel ! Marx !

Nahe daran rotiert, sprüht und kracht es

Und diese Schwärmer !

SEKRETÄRIN:
Bakunin ! Er gibt nicht auf, obwohl ihn ja Marx aus
der Hohen Kommission hinausintrigiert hat. So, und
was haben Sie mit Radetzky vereinbart ?

ASSISTENTIN:
Schlussphase. Ohne Kriegsgetümmel. Seine Lebens-
und Regierungsumstände, und zwar nach gewonnenen
Schlachten! Ich handelte ihn auf bloß ein Bühnenbild
herunter, muß ergo dessen Redetzkys triumphales
Finish zusammendrängen, leicht !

Handzeichen ins Off

Verwandlung !
 

Auftaucht das phantastisch gesehene Innere von Radetzkys
Gouverneurspalast: eine guteingerichtete Riesenhöhle mit
Stützpfeilern, Gängen, ins Unterirdische führende Stiegen,
vergitterten Fenstern und Türen. An einer Wand, weihevoll
beleuchtet, das große Porträt des jungen Kaisers Franz
Josef.
Der radetzkysche Hofstaat (Uniformen, Fräcke,
elegante Toiletten) steht und geht plaudernd herum.
Lakaien warten auf
Von unten sind kurz Peitschenschläge und erstickte
Aufschreie zu hören.

SEKRETÄR:

abwägend

Mhm, Ihre leichte Zusammendrängung!
Oben Residenz und Gouverneursmacht, unten Foltergewölbe.
Ist das fair?  Er hat doch kaum direkt in seiner Residenz foltern
lassen.
Oder?  Zu den Schlägen und Schreien Ach, meine Nerven!
Muß das sein?

ASSISTENTIN:
Realistische Raffung.  Radetzky an sich.
Diese Massenauspeitschung beispielsweise...
 

SEKRETÄR:

horcht

Ich komme wieder, wen das vorbei ist.
 
 

Sekretär ab.  Die Assistentin folgt ihm.
 
 
 

12.  Szene

 

 

Hofstaat in Radetzkys Gouverneurspalast

Draußen freudige Rufe: "Mille grazie!  ", "Grazie
tanto!", herinnen Smalltalk.
 
 

EINE JUNGE GRÄFIN:
Erstmals in seiner Nähe!  Mein Eintritt ins Paradies!
Wo bleibt er denn?

ZIVILIST:

deutet nach draußen

Frau Gräfin hören es ja.

JUNGE GRÄFIN:
Und kommt auch seine hohe Gemahlin?

OFFIZIER:
Hh die Marschallin!  Da wüßte er manches zu sagen
Hh die Marschallin!

ZIVILIST:

ablenkend

Der Herr Feldmarschall wirft stets persönlich Almosen unter die Armen.
Seine berühmten Silber-Zwanziger.

JUNGE GRÄFIN:
Ists möglich?  Der verehrungswürdige Patriarch, so nett zu diesem Volke!
Aber wie lohnend doch für uns Österreicher!
Man liebt uns.  Nie genoß ich aufrichtigere Bücklinge und Knickse
als die meines hiesigen Personals.

OFFIZIER:
Hh das popolo basso!  Aber die bessere Gesellschaft schneid't uns!
Bitte, schaun sich Frau Gräfin doch um, ist da herin...

verbessert sich, als gerade von unten sekunden lang Schläge und
Klagelaute heraufdringen ...

ist da herobn auch nur ein einziger Eingeborener?
Oder die italienischn Theater!  In die ersten Reihen nur die weißen
Waffenröck von uns Offziere, dahinter... nix!  Das Publikum bleibt aus,
unsertwegn.
Mir bestelln zwar ganze Batterien vino spumante, lassn uns vor die
Bühne Tische hinruckn, und auf die drauf legn m'r aa no, ist sehr bequem!,
unsere Haxn... pardon! ich meine unsere edlen Offisiersextremitäten!...

Dezent zum Zivilisten

Rückenlage !, optimale Perspektive hh bei die wallischn Ballettratzerln!...

Zur Gräfin

Aber es nutzt nix, so a leeres teatro is ka Hetz!
Zu deiner Sicherheit hast zwar den Sabl neben dir stehn, aber dein
ungeschütztes Gnack sagt dir: Obacht!  Im Hinterrucksstechn san die
Wallischn bekanntlich capo, und die Gfraster vergessen uns net,
daß m'rs anno achtavierzg zsamm'prackt habn, wies das
österreichische Tabakmonopol ruiniern wolltn durch Nichtrauchn.
Ah, Frau Gräfin!  Das warn lustige Sachn damals.
Ich selber einmal: Milano, Bestrafungsaktion gegn die
Tabakabstinenzler.  Jeder von meine Leut im Gsicht zwei
Dienst-Wetschina, in jedn Mundwinkl eine!
Fangen a paar ostentative Nichtraucher net zum Lachn an,
werdn renitent, lassn sich nicht und nicht Strafzigarren in die
Goschn stecken, habn m'r ihnen halt bissl vorzeitig hh
Schießgebärde Feuer gebn. 64 Tote und Verwundete.
Immerhin, guat is ganga, jetzt rauchns wieder!

JUNGE GRÄFIN:
Und wird uns heute auch die hohe Gemahlin die Ehre
geben ?

OFFIZIER:
Da muss ich Frau Gräfin auch in diesem heiklen Punkt
enttäuschen ! Herr und Frau Feldmarschall leben schon
lang auf ganz verschiedene Schlösser.

JUNGE GRÄFIN:
Nein !

OFFIZIER:
Zum Ausgleich für die hohe Gemahlin hamma aber hh
die ganz tiaefe  Signora Giuditta!

Zum Zivilisten

Hab i recht, Herr Doktor Wurzian ?

DOKTOR WURZIAN:
Als Arzt äusser ich mich nicht zu Moralproblemen.

OFFIZIER:
Hh hh als sein Leibarzt geht Ihner doch auch sein
Unterleib was an !

DOKTOR WURZIAN:
Also wenn Sies durchaus wissen wollen:
Ich rate dem Herrn Feldmarschall tatsächlich zu Enthaltsamkeit,
nämlich in Diätfragen. Vor allem diese Tiroler Speckknödel !
Offen gesagt, ich verbiete sie ihm, gebe der Küche Order.
Aber leider, an jedem Donnerstag...!
Ich selber speise da auswärts, und Patient, meiner Kontrolle
entzogen, konsumiert an jedem Donnerstag seine
kanonenkugelschwere Leibspeise so heißhungrig und in
solchen Mengen, daß ich die Tage danach gefordert bin:
Massagen, Kompressen, Klistiere !...
und jedesmal das Gleiche: Exzellenz, erleichtert und mir ins
Gesicht:
'Ah, mein lieber Wurzian, danke und ich schwörs Ihnen,
daß ich nie mehr diese für mein Alter ja wirklich
lebensgefährlichen Tiroler  Speckknödeln...!'
Schwörts charmant, aber schon am nächsten wurzianfreien
Donnerstag...

Bewegung unter den Uniformen und Fräcken:
Radetzky ist in Begleitung von Giuditta Meregalli erschienen.

Gleichzeitig kehren Assistentin und Sekretär auf die Szene
zurück.
Sie halten sich abseits und werden im folgenden vom
Hofstaat nicht weiter beachtet.
 

13.  Szene


Radetzky, Giuditta, Hofstaat, Sekretär, Assistentin

SEKRETÄR:

Handzeichen ins Off

Und jetzt, bitte, zur Verdichtung der geschichtlichen
Atmosphäre: Verdi!

A tempo leise Orchestermusik: erst das Vorspiel zu Verdis
bekanntem Freiheitschor,
später das sehnsuchtsvolle Largo des Chors selbst.

Akkurat so, mit diesen Tönen, hat ja Giuseppe Verdi die
Versklavung Italiens durch Habsburg beklagt!

ASSISTENTIN:

scherzend

Und noch mehr historische Atmosphäre entstände,
wenn Sie als Radetzkys Kaiser Nummer fünf aufträten.
Als junger Franz Josef !

SEKRETÄR:
Ja freilich.  Und Sie als Sisi! Ins Publikum.
Wäre zu grausam, nicht wahr?

Als wieder die Auspeitschung hörbar wird

Schon wieder, noch immer!
Dauert das noch lang?
Sie haben doch Spezialstudien gemacht?

ASSISTENTIN:
Nach einem von mir eingesehenen Torturprotokoll sind es
34 Personen à 40 Schläge.  Sie müssen bald durch sein.
Und die mißachtete Signora Meregalli, sehen Sie,
bittet ihren Radetzky um Gnade.

SEKRETÄR:

Es heißt, daß sie manchmal einiges erreicht hat.

GIUDITTA:

versucht trotz der vielen Leute vertraulich auf Radetzky
einzuwirken

0 tesoro mio, dein Giuditta bitten ihr Herr governatore...!

RADETZKY:
Aufhörst, dein Winseln bringt nix,
intervenzione portare nikesi!

GIUDITTA:

schmerzlich

0 mia patria si bella e perduta!

RADETZKY:

Bittich, red net wia... wia... !
Hast dees womöglich aus einer Oper?

ASSISTENTIN:

auf die Musik verweisend

Hat sie: Verdis Nabucco.  Die Signora fühlt mit den unter
Assyriens Großmacht schrnachtenden Hebräern.
Denn dieser biblische Stoff ist so aktuell zurechtgeschneidert,
daß sich jeder Italiener selber erkennt:
wir, die wir unser schönes Vaterland an Habsburg
verloren haben.

GIUDITTA:

betrübt zu dem jetzt sottovoce eingesetzt habenden Chor

Poveracci noi, wir arm arm italiani!

RADETZKY:
Tu povera?  Daß i net lach!  Hh arm?  Für unsere quattro bambini
soutenier ich dich doch wie eine Pompadour!

Mißmutig bezüglich der Musik

Alle Schlachten streichn s m'r, und dazu aa no dees italienische
Gsanglbrunner!

In Richtung Sekretär und Assistentin
 

Eine patriotische Musik bitt ich mir aus.

SEKRETÄR:

um Radetzky zu befriedigen, zur Assistentin

Eventuell aus dem nachrevolutionären Schaffen des jungen
Johann Strauß: Kaiser Franz Josef-Marsch, Harmonie-Polka,
Hofball-Quadrille, Viribus-Unitis-Marsch.

ASSISTENTIN:

erneut hörbar werdendes Peitschen kommentierend

Auch sein Opus 60 würde historische Atmosphäre schaffen:
die Geißelhiebe-Polka!

Sie geht hinter die Szene, kehrt dann wiederzurück.
Verdis Freiheitschor verebbt.
Bald wird die von Radetzky urgierte Musik ertönen.

GIUDITTA:

bezüglich der Kellerquälerei

0 caro Beppo... per carità!

RADETZKY:
Lass mi in Kraut!  Tu mi lasciare in càvolo!
Was hast?  Zwei Wünsche hast?

Wird milde, da jetzt eine Straußmelodie aufklingt
und eine Weile anhält.

Zwei Wünsche?
Warum net gleich drei hh i bin doch deine Glücksfee!

Spaziert herum mit Giuditta, die auf ihn einredet.

SEKRETÄR:

zur Assistentin

Und warum eigentlich diese Massenauspeitschung?
Sie haben sich doch aktenkundig gemacht.

ASSISTENTIN:
Der Offizier erklärt es eben.

OFFIZIER:

die junge Gräfin informierend

Issja eigentlich a Hetz!  Angfangt hats mit einer gewissen
Signorina Olivari, von Beruf Modistin und hh na wie soll ichs
sagn für zartere Ohren... diese österreichfreundliche modista
Olivari aus Milano, in ihrem zweitn Beruf tut sie, sag m'r,
fraternisieren, hingebungsvoll, mit uns Offiziere hh
Sie verstehn!  Die Olivari also hat beim Fenster einen
Bettvorleger außighängt, zum Lüften, und weil der in
den Farben Habsburgs, schwarzgelb, gehalten war,
hats in ihrem Grätzl eine Zusammenrottung gegeben,
der Bettvorleger is auspfiffn wordn.
Na, was is uns anders überbliebn, als wie die Protestierer
zsammfanga, und jetzt stellt halt die Justiz wieder hh die
Ehre des Bettvorlegers her.  Gelungen, net?

ASSISTENTIN:

zum Sekretär

Besatzungsalltag.  Doch dieser Fall regt ganz Italien
besonders auf.  Denn zwei der halbnackt über den Bock
gelegten Opfer sind junge Frauen, eine noch dazu eine arme Irre,
und die Auspeitschung ist nicht einmal kostenlos:
Radetzkys Bürokraten rechnen aus, daß die Opfer für die
ihnen verabreichten 40 Peitschenhiebe exakt
22 Gulden 37 Kreuzer zu bezahlen haben.

RADETZKY:

mit Giuditta, die auf ihn einredet, herumspazierend

Dein weichs Herzerl!  Na gut,bono,erstens!

Ruft die Stiege  hinunter

Ihr da unt!  Laßts es gut sein!
Sagts, warn die zwei teppertn Weiber eh no net dran?

Peitschengeräusche und Schmerzgeschrei hören
auf

RADETZKY:

wehrt die von Dankbarkeit überfließende Giuditta ab und
ergänzt sein Aviso an die unterirdischen Justizbeamten

Hallo!  Morgen gehts weiter, aber beim schönen Geschlecht,
das ja ein schwaches ist, lass m'r uns nix nachsagn!
Vierzg Wuchteln aufn Nackertn san effektiv a bissl viel,
gebts es ihnen halt net alle auf einmal...
Aufteiln auf a paar humane Portionderln!

Zu Giuditta

Geht net anders... io governatore, und als Gouverneur muaß
i halt, wia ma so sagt, ein Exempel studieren.
So, mia bella, und dein zweiter Wunsch?

GIUDITTA:

deutet nach unten

Pietro Frattini!  Ist so arm Pietro Frattini!  Morituro!

RADETZKY:
Was, grad den elendigen Frattini willst derrettn vorm Galgen?

GIUDITTA:
Ma e invalido!  Pietro Frattini... invalido!  Kaputt Mann!

Verdeutlicht, daß Frattini nicht gehen kann

Du gucken, cosi!

RADETZKY:
Ich weiß, so einHatscheluja.  Reg di ab!
Der Untergrund wirft Blasen: alto tradimento, Hochverrat,
und wann ich schon die ganze Zeit anstandslos a Massa
gsunde Advokaten und vor allem blühende Pfaffen derschiaßn,
aufhenkn und weiß Gott was alls lass, warum soll i bei einem
Krüppel passn?
Packlrass, razza di pacchetto!
Da hilft nur Einschüchterung, contro-terrorismo!
Überhaupt jetzt, nach dem Attentat aufn Franz Josef !
Der Anarchist Libenyi, in Wien isser mitn Messer auf die Majestät...
zwar abgrutscht, aber trotzdem!  Hierzuland wars für
die Risorgiinento-Blödidln ein Aufputscheffekt,
die gottverlassenen Pater, Frater und Frattini schleifn jetzt
carbonarihafter denn je eahnere Dolchideen.
Bibeltexte habns als Chiffrierhilfe mißbraucht.
Is aber alls aufgflogn, weil meine hervorragenden Juristen...

gestikuliert

Hiebe ... außerm gewöhnlichen bastonare praktiziern die seit
neuestem auch hochmoderne wissenschaftliche Methoden!

ASSISTENTIN:

erklärend

Erfinderische Untersuchungsrichter!  Nach neueren italienischen
Forschungen läßt Radetzky harte Leugner nicht nur mit dem Stock,
sondern auch medizinisch behandeln.
Stichwort farmachi dementatori, sinnverwirrende Drogen.
Nur ein geständiger Hochverräter darf nämlich hingerichtet werden.
Also bemüht sich die Besatzerjustiz korrekt um unterschriebene
Geständnisse.  Und der unglückliche Frattini hat unterschrieben.
Wie seine Genossen, die auch unterschrieben haben und schon
gehenkt worden sind.  Er soll das vorläufig letzte Opfer sein.

RADETZKY:

zu Giuditta

Wir derwischen alle!  Und bevor ihr mich maxlts...
Na na furcht di net, nikesi paura!  Bussi!
Gschiecht scho nix dein'm Halserl, so lang i leb.
Und schau, i leb ja no... Ah, fallt m'r gleich mein eigner Tod ein!
Heut sollt ja der Pargfrieder kommen.
Vielleicht wartet er schon in mein'm Büro.

ASSISTENTIN:

zum Sekretär, der aber nicht antwortet

Pargfrieder?  Ist mir nicht geläufig.

GIUDITTA:
Ahimè !  Proprio quello millionario Pargfrieder, der wollen
kaufen mio caro Beppo, wenn tot sein!
Du mussen Pargfrieder sagen no!

RADETZKY:
Konträr! weil merk dir: zu einem Narrio, wann er ein
Millionarrio is, mußt immer Ja sagn.  Der Trottel bietet mir
doch für mein' Kadaver einen Liebhaberpreis!
Aufgehts, andiamo hh ich schreite mit Vergnügen zum
Verkauf meines Leichnams!

GIUDITTA:
E Pietro Frattini?  Bitte!  Bitte!

RADETZKY:
Z'erscht der Pargfrieder!

Geht, mit Giuditta im Schlepptau, ab.
Da betritt unversehens Hofrat Regele, ein neuzeitlich
gekleideter älterer Herr, die Szene, grüßt respektvoll
den abgehenden Radetzky, mißt Giuditta verächtlich
und eilt dann auf Sekretär und Assistentin zu.
 

14.  Szene


Hofrat Regele, Sekretär, Assistentin, Hofstaat

REGELE:

stellt sich Assistentin, Sekretär und auch dem Publikum vor

Küss die Hand, gehorsamster Diener!
Hofrat Regele, Wiener Kriegsarchiv, Autor der umfangreichsten
und seriösesten aller Radetzkybiographien, erschienen 1957 !
Ich wame, protestiere, weise zurück!
Ihre Ketzereien magerln mich.

SEKRETÄR:
Wieso, stimmt was nicht?

REGELE:
Stimmen... ? Sie, ich moniere das Unschickliche!
Diese Greuelszenen, diese verantwortungslose Schilderung g
rad der Bauchseite einer Kultfigur!
Damit ergeben Sie sich doch nur einem Wahrheitsfanatismus...
jenem übertriebenen Wahrheitsfanatismus, den ich mir in
meinem Standardwerke verbitte, und zwar explizit!
Lesen S nach, wie ich mich dort einleitend festlege:
'Für den Biographen gilt das Berufsethos, das niemals um
den Preis eines übertriebenen Wahrheitsfanatismus verleugnet
werden darf.'
Verstehn S mich aber bitte nicht miß.  Tolerierbar bleibn
klarerweise kleinere kritische Wahrheiten, kleinere!
Schattierungen eines strahlenden Heldenbildes durch
rührende Unzulänglichkeiten, um es dadurch plastischer
zu machen!  So etwa, fast schon unstatthaft, hat ja seinerzeit
das sonst durchaus staatsbejahende Feuilleton der Neuen
Freien Presse unseren Marschall als 'gemütlichen Zyniker'
klassifiziert und nicht einmal die Erwähnung dieser
unsäglichen Nebenfrau Giuditta unterlassen, welch deren
Existenz ich in meinem Buche natürlich pflichtgemäß sekretiere.
Aber Sie?  Wahre Infamien!  Poetisch sein sollende Verzerrungen!
Mein Radetzky als Leichenfresser!  Und jetzt... Folterung von
Politkriminellen in einer Dekoration, die Ihr Bühnenbildner
offenbar dem Piranesi abgeschaut hat!
Sie, Radetzkys schöne Residenzen warn niemals direkt mit
solchen Folterlöchem unterkellert, denn... ist mir jetzt das Wort
'Folterlöcher' herausgrutscht? nein nein, das wär übertriebener
Wahrheitsfanatismus... denn Habsburgs zugegeben etwas
unkomfortable, lichtlose Tiefsicherheitstrakte befanden sich
natürlich außerhalb, weil sie doch anders die Ruhe des greisen
Gouvemeurs beeinträchtigt hätten.
Und glauben Sie im Ernst, daß Justizherr Radetzky, wann
immer er zur Hintanhaltung des Risorgimento schweren Herzens
auf Massenauspeitschungen oder Hinrichtungen erkennen mußte...
glauben Sie wirklich, daß er sich da auch noch das Vergnügen
persönlicher Anwesenheit vergönnt hat?
Ihre Radetzkyshow hat Schlagseite.  Sind Sie Italiener?

SEKRETÄR:
Keinen Groll bitte!  Unser Heldenstück bestreitet Ihrer Wissenschaft
keineswegs das patriotische Verdienst.

ASSISTENTIN:

auch sie diplomatisch

Und wir haben doch keine Chance gegen Sie!
Jeder Gutösterreicher wird unserer Version mißtrauen und
sich gemütvoll aufladen bei Ihrer Schilderung von Radetzkys
typischem Nationalcharakter:
'Freiheit des Geistes', 'gläubige Moral'!
Und Sie mutmaßen ja sogar, Adalbert Stifter hätte ihm
'menschliche Größe' zugebilligt.

Beiseite

Wehrloser Stifter!

REGELE:
Jaja,zitierts mich nur schön,weimberlts euch nur ein!
Und sonst?  Radetzky hat die Dame die Assistentin
kürzlich gefragt,wo sie ihn weltgeschichtlich einzuordnen
gedenken.
Na? Wo?  Denken S nach!
Machen S Ihren Vorgesetzten einen vemünftigen Vorschlag!
Sie, das ganze Kriegsarchiv steht hinter mir, und wir
erwarten nicht uninteressiert die Schlußpointe Ihrer
dramatischen Anstrengungen.

Sich verabschiedend

Ich habe die Ehre! die Radetzky auch fernerhin
abzuschneiden ich Ihnen dringend abrate.

Ab.

SEKRETÄR:

amüsiert

Das ganze Wiener Kriegsarchiv steht hinter seinem Berufsethos.
Trotzdem, wir sollten die vielleicht nicht noch mehr reizen.

ASSISTENTIN:
Aber der Fall Frattini!  Nach der Aktenlage... !

SEKRETÄR:
Diplomatie!  Zeigen wir, daß wir auf den Vorgang keinen
Einfluß nehmen, treten wir ab! Kommen Sie!

Von draußen ist jemand (Pargfrieder) gekommen,
der sich suchend umschaut.
 

15.  Szene


Pargfrieder, Sekretär, Assistentin, Hofstaat
 

SEKRETÄR:
Aber den da gönnen wir uns noch!  Der Pargfrieder!
auf den Radetzky gerade in seinem Büro wartet und der Ihnen,
Frau Kollegin, trotz Ihrer italienischen Spezialstudien nicht geläufig
ist.  Kommt ja auch aus Wien.  Ursprünglich bettelarmer Hilfslehrer,
jetzt Armeelieferant und sagenhaft reich, nicht zuletzt durch
Radetzkys Schlachten.  Doch der pralle Geldsack grämt sich:
die tonangebende Aristokratie nimmt ihn, den Niedriggeborenen
nicht für voll.  So hat er sich seinem Nährvater Radetzky
unentbehrlich gemacht, ihn, den ständig Verschuldeten, jahrelang
wiedergenährt mit saftigen Krediten, die er freilich nie ernsthaft
zurückzufordem wagte.  Heute aber... großer Tag!
Pargfrieder versucht aus dem ihm so teuren Schuldenbeutel Nutzen
herauszuholen.  Vor allem geht es ilun dabei um die Veredelung
seines eigenen Prestiges.

Tritt auf  Pargfrieder zu

Guten Tag, Herr Pargfrieder!

PARGFRIEDER:

vornehm

Herr?  Demnächst Ritter!  Josef Ritter von Pargfrieder!

SEKRETÄR:
Wegen Ihrer Verdienste  um Radetzky.

PARGFRIEDER:

verbessernd

Exzellenz Feldmarschall Graf Radetzky!

SEKRETÄR:
Es heißt, Sie muteten dem lebenden Radetzky zu,
Ihnen seinen Leichnam zu überlassen?

PARGFRIEDER:
Funeralischer Kontoausgleich unter Edelleuten!
Mein Freund liefert sich mir frei Gruft... Marmorgruft in meinem
niederösterreichischen Schlosse Wetzdorf'...
und ich annulliere seinen Debetsaldo, wodurch nach unser beider
Hingang dem Genusse unseres Vertragswerkes nichts mehr im
Wege stehen wird:
Im Zentrum der Anlage meine eigene, in Ritterrüstung beigesetzte
Person, unweit davon der Sarkophag mit des entschuldeten Grafen
hohen Überresten, damit er mir dergestalt vor aller Welt seine
Wertschätzung bekunde.  Ah, die Sonne geht auf..

Denn Radetzky, von Giuditta gefolgt,
ist auf die Szene zurückgekehrt.

SEKRETÄR:

Zur Assistentin

Und bevor sie untergeht, diktiere ich Ihnen für die Zentrale
den Schlußbericht.

Ab samt Assistentin.
 

16.  Szene


Radetzky, Giuditta, Pargfrieder, Hofstaat

GIUDITTA:

zu Radetzky

E Pietro Frattini?

RADETZKY:
Du, was du mi buserierst halt i net aus!

GIUDITTA:
Man sagen kommmen proclamazione!

RADETZKY:
Wasn für a proclamazione?

GIUDITTA: Amnistia!

RADETZKY: Amnestie?  Wo hastn dees her?

GIUDITTA:
Man sagen kommen amnistia von Vienna!

RADETZKY:
A, plausch net!  Nikesi Amnestie, die Leut redn viel,
wann der Strick lang is!

Sieht Pargfrieder

Ich hab Ihnen verpaßt.  Alstern, Ihre Offerte?

PARGFRIEDER:
Ich verehre Exzellenz und will nur ihr Bestes.

RADETZKY:

charmant

So ein Schlaucherl von einem Wohltäter!
Mein Bestes will er!  M i c h will er!
Sie, mich wolln alle.  Net nur daß mich sämtliche k.k.
Heldenfriedhöfe anvisiern...

Hinweis aufs Kaiserporträt

Majestät hat mir sogar die einmalige Ehre der Kapuzinergruft
angeboten!  Na, hols der Teufel, nach meinem Soll und Ihnern
Habn bin i ja sowieso schon ganz der Ihre, und wann S mi
jetzt aa no amortisiern, kann i wenigstens wieder frei daherleben.

PARGFRIEDER:
Hab ich Glückspilz also den Zuschlag für Wetzdorf

RADETZKY:
Moment!  Und was sonst?
Finanziell nur Fensterbrettl zwischen uns, sonst nix?

PARGFRIEDER:
Ach ja, Hochdero künftige Vermögensvorteile!

Schlau, unredlich

Einfachst!  Eurer Exzellenz Armee, meine nächste Lieferung!
Hunderttausend Schuhe!  Da könnten wir doch leicht...
Entre nous!  Gentlemen's agreement!

RADETZKY: Sind S gscheit?  Vor die Leut?

PARGFRIEDER:
Verzeihung für meines Herzens lauten Überschwang!
Freund und Gruftkamerad rücken mir jetzt schon in t
raulichste Flüsternähe...
Erlaubet mir, Graf, die Urkunde vorzubereiten zur Unterschrift!

Ab.
 

17. Szene

Vorige ohne Pargfrieder

RADETZKY:

halb für sich, halb zu Giuditta

Traulichste Flüsternähe!  Hoffentlich speibt si mei' Leich net an!
Hh recht gschiecht mir!  Mit so einem zsammg'spannt
bis zum Jüngsten Gericht!  Schlechte Rass, der Pargfrieder!
A ledigs Kind.  Net direkt a Humbankert, dees grad net,
weil sein Vater, wird behauptet, soll der Kaiser Josef gwesn sein.
Aber sei' Mutter war jednfalls nur a scheene Jidin...
Hast eh nix capito, gelt?

GIUDITTA:
E Pietro Frattini?

RADETZKY:
Die kräult m'r net obe!  Na vomiraus, guat, bono !
dem Frattini io lucki lucki: i wer' schaun, was si' machn laßt!

Und nachdem ihm Giuditta für das halbe Versprechen
dankbar die Hand geküßt hat:

Jetzt verrollst di aber

Giuditta ab. Einige Personen treten auf Radetzky zu.
Er wehrt sie ab und winkt den in Szene 12 und Szene
13 in Erscheinung getretenen Offizier zu sich.
 

18. Szene


Radetzky, Offizier und Hofstaat

RADETZKY:
Herr Adjutant!  Sie wolln doch allerweil eine Hetz habn, ha?
Also stehn S kommod und beantworten S mir eine schwierige
Frage: Wenn wir heut den 18.  März habn, was hamma dann
morgen?

OFFIZIER:
Hh ich weiß schon, worauf Herr Feldmarschall
hinauswollen.  Morgen, 19.  März: Namenstag unseres erhabenen
Souveräns!  Und das komische Gerücht geht um, daß nach der
Hinrichtungsserie der letzten Wochen, wo uns grad nur noch der
Frattini und ein paar Minderbelastete überbliebn sind...
daß zur Feier des Tages eine Generalamnestie verkündet
werden könnte.

RADETZKY:
Soso.  Ein Gerücht.  Und ich sag Ihnen, es ist leider wahr.
Bscht, bleibt geheim!
Auf mein' Tisch liegt seit ein paar Minuten die Depesche.
Reitender Staatsbote aus Wien.  Hh Sie lachn gar net!

OFFIZIER:
Bitt um Pardon!  Issja nicht lustig, wann uns der fußmarode
Staatsfeind aus der Schlingen rutscht!...
Aber falls ich mir erlauben dürft, Herrn Feldmarschall mit
einer Anregung aufzuheitem:
könnt' m'r nicht eventuell den Frattini, in der G'hoam,
klammheimlich... zack!
Guatigkeit: Er hat sich selbst gerichtet.

RADETZKY:
A geh!  Terroristen derwürgn und hintnach Selbstmord
vortäuschn?  Von wo habn S denn sowas?
Nein!  Machn S Ihnen Notizen!  Sie studiern erst eirimal
drinnen das Begnadigungspapierl, dann marschieren S
in die Druckerei...

OFFIZIER:
Tipografia Caranenti!

RADETZKY:
Klar zum Caranenti, das Personal dort ist zuverlässig.
Blitzauftrag für zwei Plakate, jedes auf deutsch und italiano.
Plakat numero eins: über die ganze Breite: Amnestie -
Amnistia!
Drunter: Majestät hat zum eigenen Namensfeste
alle politischen Gefangenen begnadigt...
Großmut des Kaisers, seine unerschöpfliche Güte, wie er
alle seine Völker ständig liebevoll ans Herz druckt, ihnen verzeiht
blablabla... und ganz unt mei' Unterschrift!  Habn S?

OFFIZIER:

der sich Notizen gemacht hat

Jawohl, Herr Feldmarschall!  Na ja, kann man halt nix machn.
Und unser zweites Plakat?

RADETZKY:
Das Todesurteil gegen den Frattini:
daß es vollstreckt worden ist.

OFFIZIER:
Wieso?  Halten zu Gnaden, dees versteh i net!

RADETZKY:
Können S Ihnen nicht vorstelln, daß der Amnestie-Kurier
sich doch leider leider hätt verspätn können?

OFFIZIER:
Hh hh hh a dees is der Witz!  Und erlauben Herr Feldmarschall,
daß ich die Fortsetzung in die Hand nehm!
Tempo eins: Frattini ex und in ganz Lombardo-Venetien
Anschlagen der Hinrichtungsplakate.
Gleich hintnach Tempo zwei: zur Beruhigung der Bevölkerung
Anschlagen der Amnestieplakate und Aviso an alle Zeitungen,
daß der reitende Kurier durch eine schicksalshafte Mischkulanz
z'spät'kommen ist... So ein Pferderl braucht ja nur stolpern,
netwahr, und schon hat si der Frattini s Gnack brochn.
Na, dees is a Hetz!

Ab.
Während Radetzky inmitten seines Hofstaates umherspaziert,
kommen von draußen Assistentin und Sekretär.
Sie wirkt energisch, er zögerlich.
 

19.  Szene


Sekretär, Assistentin, Radetzky und sein Hofstaat

SEKRETÄR:
Also ich weiß nicht!

ASSISTENTIN:
Wenn wir seine Selbstentlarvung jetzt stoppen,
tun wir ihm nur Gutes.

Hebt die Hand

Verwandlung!

SEKRETÄR:
Nicht doch, Frau Kollegin!  Der Dienstweg!
Die Hohe Kommission!

ASSISTENTIN:
Sie, bis die Ihren Schlußbericht zur Kenntnis nimm!
Verwandlung!

Sie trachtet mit großer Geste diese Verwandlung herbeizuführen,
hat aber keinen Erfolg:
Die Wände des Gouverneurspalastes schwanken bloss,
es quietscht und knirscht metallisch.  Zwei-, dreimal gibt es einen
Licht-Dunkel- Wechsel.
Radetzkys Entourage ist beunruhigt und verläßt nach und nach
die Szene.
Ah, ich schaffe das!

RADETZKY:

zum Sekretär, der auf ihn zugetreten ist

Sabotierts mich?  Wollts mich wieder ins Gewölb schubiern?

SEKRETÄR:
Bitte abtreten!  Sie haben bei uns genügend Publizität gehabt.
Auch Ihr Kaiser Franz Josef hat Sie einmal in Pension
schicken müssen.

RADETZKY:
Müssen?  Hätt net sein müssn, i war doch erst 90, und Majestät
hätt mich aus eigenem ja niemals verabschiedet, aber so ein paar
Gfraster... !
De facto ham mich nämlich meine eigenen Generalstäbler in Wien
hinausintrigiert!  Wars net so?

Ruft die junge Gräfin, die geradefort  will, als Zeugin an

Der Gyulai vor allm hat meine Ablösung forciert.
Oder?  Klärns S auf den Herrn!

JUNGE GRÄFIN:

bestätigend

Jaja.  Feldmarschallleutnant Graf Gyulai!

RADETZKY:
In Ihre kommenden Memoiren, Gräfin Thun, werdn S den
Sauhund ja annagln.  Sagn S jetzt schon, was S über den
Gyulai schreibn werdn!

JUNGE GRÄFIN:
Seine Intrigen und persönlichen Ambitionen betörten unseren
edlen Kaiser!  Ich war Zeuge von des Feldmarschalls
schmerzlicher Aufregung, als er mit Tränen in den Augen klagte:
'Man wirft mich weg wie eine ausgepreßte Zitrone!'

RADETZKY:
Der Gyulai!  Die Schlacht gegnmich hat er zwar gwonnen,
sonst aber nix, denn kaum isser mir in mein'm Kommando
nachg'ruckt, hat er im nächstn Krieg die ganze Lombardei
verschoart!  Hh und nebn dem Gyulai die andere ungarische
Giftschlange an meinem Busen: der Benedek!

Zur jungen Gräfin

Sagn S nur weiter Ihner künftiges Memoirensprücherl  auf

JUNGE GRÄFIN:
Unser Verkehr mit Feldmarschalleutnant Benedek war recht
interessant und angenehm, obwohl mir oft sein kriechendes und
Feldmarschall Radetzky in das Licht eines ganz kindischen und
unfähigen Greises stellendes Wesen mißfiel.
Wie sollte er später manche unserer Ahnungen rechtfertigen!

RADETZKY:
Und Majestät selber

zeigt auf das Kaiserporträt

ist auch zu spät draufkommen!  Aber immerhin, des Kaisers
tiefgründiges Urteil über den Benedek, nachdem der in
Königgrätz unser Infanterie in die preußischen Zündnadelgewehre
hat einirennen lassn, kennt die Kriegsgeschichte:
'Der Benedek, der Trottel!' hh hh!
War mir nachträglich eine kleine Genugtuung!

Die Assistentin hat sich inzwischen fortgesetzt um
Verwandlung bemüht.  Es  funktioniert nicht.  Jetzt
fällt eine Wand um, dahinter sieht man lauter
Galgen und Gehenkte.
Aus dem Off ein Straußwalzer, dazwischen das
Krachen von Gewehrsalven.

ASSISTENTIN:
Nein!  Greuel hatten wir schon genug!  Verwandlung!

Die Bühnenmaschinerie produziert allerlei optische und akustische
Clownerien, aber die Verwandlung funktioniert nach wie vor nicht.
Dann Zusammenbruch: völlige Dunkelheit,
und aus ihr die Stimme der Assistentin.

Verdammt, wie stopft man einen bösen Geist
wieder in seine Flasche zurück?