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Über die Bibel


© Ferdinand Schmatz

Sie war Das Buch, Die Schrift. Aber wir unterschieden in ihr nicht: Sprechen oder Schreiben. Es war das Ganze, das sie darstellte und ständig neu zu entwickeln vermochte. Ein textlicher Prozeß, der die Bibel oder Das Buch hieß. Aber die Einheit von Zunge, Auge und Ohr geriet ins Wanken. Es waren nicht zuletzt die Dichter, die versuchten, wenigstens die Welt, die langsam aber sicher Die Schrift abgelöst und säkularisiert hatte, wieder in ein „Buch münden zu lassen“. Als sie spürten, daß die alte Ordnung, die einst die Wörter betraf, abgelöst wurde von jener der Dinge, und heute diese durch beliebig mit Sinn auffüllbare Zeichen.

Wie vor ihm einige Barockdichter hat sich Brecht an ihr versucht in einem Frühwerk (1914), das er „Die B.“ nannte. Auch Thomas Mann in seinen Josephsromanen (der „verschämten Menschheitsdichtung“), strebte auf mythisch-typisierende Weise eine Umdeutung des Bürgerlich-Individuellen an. Die romanhafte Fiktion löst dabei die biblische Legende ab, erstreckt sie mit soziologischen, religionshistorischen Einschüben, die kommentierenden Analysen gleichen. Diese auch ironisch Unterlaufenen werden dazu benützt, um mehr als nur einen Zugang zu jenen Stoffen zu finden, die nur darauf zu warten scheinen, zur Fund-Quelle zu werden: Ständig und das heißt in einer bestimmten Autorengegenwart umgeschrieben zu werden, den Schreib- Intentionen des jeweiligen Bearbeiters entsprechend.

Die Frage nach dem Autor ist virulent, aber es braucht nicht die Bibel, um die Urheberschaft eines Textes in Frage zu stellen, was seinen einzigen und alleinigen Schöpfer anbelangt.

Da es aber (abgesehen vom „Schöpfer“ selbst) für die Bibel zumindest keinen eindeutigen Autor gibt, unterliegt sie der Deutung und diese unterliegt dem Geist der Zeit, der Deutung verschreibt.
Wenn es stimmt, daß der Leser die Botschaft festlegt und nicht jener, der die Nachricht oder Information formuliert, dann ist der Leser, dann sind wir Gott. Dann wären wir die Bibel, die Ausleger die Auslegung.
Diese radikal-konstruktivistische Ansicht mag radikal klingen. Aber sie ist vielleicht mit ein Grund für die gegenwärtige mediale Flut an Bibelbearbeitungen, der erklären würde, warum eine Paraphrasierung wie Wangerins „Buch von Gott“, das sich als „biblischer Roman“ verkauft, die Bestsellerlisten mitbestimmt.

Durch den Drall hin zu religions-stiftenden Sinninhalten, die oberflächlichen Formalismen gleichkommen, irgendwelche leerlaufende Räder des Sozialen, der Kommunikation über eine neue Geborgenheits- und Wärmesuche mit Inhalten pseudo-transzendenter Art zu füllen, versucht unsere Gesellschaft ihr Defizit der krassen Ungleichheit, die im jeweiligen sozialen Habitus zutage tritt, auszugleichen.
Der Trend, Logik und Analyse der Moderne durch die Massen-hysterie einer Messe mit vorbetendem Leiter oder Führer in Form von parasitärer Glossolalie oder sonstigen mystischen Formeln und Wendungen zu ersetzen, greift dabei „sinnstiftend“ von einem Teilsystem ins andere über.
Hier funktioniert dann „Kommunikation“ - zwischen Religion, Politik und Literatur. Gleichmacherei, auch das ist ein Geheimnis des Erfolges vom „Buch von Gott“.

War „Jesus und sein Hawara“ noch ein Ritt auf der Dialektwelle des AustroPop, so sind es heute andere Strategien, die Ausdrücke, Bedeutungen und Beschreibungen zu einem Text realisieren sollen, der über das symbolische Kapital hinaus, ökonomisches verspricht.

Denn darum geht es längst: der Text allein genügt nicht, er muß um-geschrieben sein, damit die Herrschaft des Begriffs verschleiert bleibt. Starre Bewegung zwar, irgendwo auch rasender Stillstand, aber dennoch: zur Hysterie im Massentreffen mit Massenhochzeit genauso wie zum Massenschlager in der Literatur - dazu reicht es allemal.
Wangerins Technik ist einfach. Lapidar gleicht er die Textvorlage, dort wo sie zur poetischen Metapher greift oder in einer Pars pro toto-Technik zu jenen Sequenzen und Sprüchen führt, die ihr Paradoxes wie ihren oft grausamen, unerbittlichen Gehalt, sprachlich drastisch vorzuführen verstehen, einem storyhaften Erzählduktus an.
Es handelt sich um keine Seifenoper, denn er „glaubt“. Diesen typischen gegenwärtigen Glauben, der nichts mehr mit dem mythisch-archaiischen von Thomas Mann gemein hat, liest man mit. Aber er stoßt ab in seiner idyllisch-einfachen Korrektheit, die eine Stimmung erzeugt wie beim Besuch der Musterstädte im Fertigteil-Baustil, wie sie diverse Großkonzerne aus dem Boden stampfen. Wo „geglaubte“ Brüderlichkeit und Nächstenhilfe jenen nachbarlichen Charme zu entwickeln vermögen, der nur dort entstehen kann, wo alles befriedet, da unauffällig eingezäunt ist, um ja keine Störung von draußen in die heilige Eintracht von Abschottung und Besitzgier eindringen zu lassen. Denn das Gesindel von draußen könnte stören und zeigen, daß die Welt anders ist - und Die Schrift anders als Wangerins „Buch von Gott“. Auch als Literatur .

Das literarische Interesse an biblischen Formen, Figuren, Stoffen und Motiven kommt seit jeher einer Umarbeitungswut gleich, die dazu führte, daß durchaus von einem autonom gewordenen Bibel-Sprachgut zu sprechen ist.
Was der Literatur zum Vorteil gereichen kann, der Bibel nicht immer.

Vorrangig im Expressionismus griffen die Dichter der Ekstase und des radikalen Pathos (wie E. Stadler oder Lasker-Schüler) auf die biblische Vorlage zu und verwendeten etwa deren Psalmen für ihre wortverdichteten Sinn-Suche, die mehr war, als eine rein existentielle.
In dem „Sinn“ nämlich, daß sie das Vermögen und Unvermögen der Sprache, Sinn zu stiften, gleichsam programmatisch ausschöpften.

Nicht nur die Psalmen bildeten die grundlegenden Voraussetzungen für eine dynamischen Tradition, durch die Arbeit an der Bibel, ein kontinuierliches und diskontinuierliches Fortschreiben zu entwickeln, das auch heute noch legitim erscheint.
Was versuchte nicht nur Brecht mit seiner Bibeldichtung, sondern der Text schlechthin - den kommunikativen Anschluß an jene Kommunikatoren, die bereit sind, Kontinuität und Diskontinuität in ihr Auffassungsreservoir einzuspeisen. Bei Brecht konnte die Verstehenskapazität durch Beibehaltung der Sprechlage und der Tonhöhe des vertrauten Stoffes angeregt werden, um jene Fragen oder Aussagen zu formulieren, die zwischen bekanntem Pathos und Jargon wandelten, die dem Ernst des Anliegens entsprechen sollten.
Aber genau die Brechung dieser Entsprechung war und ist es, die das Moment der Diskontinuität einleitete und die Arbeit an der Bibel auch aus heutiger Sicht immer wieder als notwendige Wollust am Text erscheinen läßt. Eine Wollust des Bruches, die dem Wangerin Projekt völlig fehlt, auch wenn aus dem Hohelied Salomos zitiert wird.
Brecht stellte diesen Bruch gleichsam inhaltlich her, indem er die überkommenen Sprachformen als solche beließ, aber ihre Aussagen aus reinem Schöpfer- und Weltvertrauen umkehrte in eine Kritik genau dieser.
Die Form des Psalms wurde von ihm beibehalten, aber vor dem Hintergrund des einsetzenden zweiten Weltkrieges in die für Brecht später typische Bahnen der Ideologiekritik gelenkt, satirisch, manchmal sogar parodistisch.
Davon ist bei Wangerin nichts enthalten. Die nötige Distanz zum Stoff fehlt. Es gibt sie zwar, sie ist aber nichts als korrekt. Auch der Erzählerwechsel ändert nichts daran, daß es sich letztlich nur um eine geklitterte Paraphrasierung handelt, die das Exotische des Phantasmas und die schwülstigste Rhetorik der Niedertracht herunterholt auf den Boden der allgemeinen Kommunizierbarkeit.
Diese aber führt konsequent an der eigentlichen Auseinandersetzung mit der Bibel und jeder Vorlage vorbei, die da lauten müßte:
sich auch der Herausforderung der Form zu stellen, diese auf neue Schreibweisen hin abzuklopfen, sie dazu zu benützen, einen Übertragungsmodus zu finden, der mehr ist, als Einebnung auf radiphon-elegante Stimmlichkeit, die sich als Nacherzählung ausgibt oder gar als Bibel-Roman wie im Fall des „Buches von Gott“.
Dieses hält weder dem Vergleich mit einem realistischen Romantheorien nahekommenden Widerspiegelungs-Text stand, noch viel weniger mit dessen Antipoden:
dem großen Sprechgesang - der inneren Monolog, Zitat, Kauderwelsch, Gerücht, mündlich überlieferte Mythen, bewußte Ver-Hörungen und Ver-Sprecher in seine Textarbeit miteinbezieht.
Wie etwa James Joyce Opus magnum „Finnegans Wake“, das durchaus auch in die Reihe der dichterischen Auseinandersetzungen mit der Bibel zu stellen ist. Neben diesem Joycen Weg des Experiments, gibt es aber auch jenen anderen, der bei Martin Buber „Verdeutschung“ heißt, in der das Wort Pflicht zum tragen kommt, das einer solchen Übertragung zugrunde liegen sollte.
Buber ortete in den fünfziger Jahren eine Verwischung von „Sinn und Wort von einstmals“ durch geläufige Begrifflichkeit. Daß diese für die gegenwärtigen Umarbeitungstendenzen geradezu kennzeichnend sind und entsprechenderweise jeden sofort greifbaren Erfolg garantieren, sei noch einmal erwähnt. Diese Erfolgstexte sind geradezu „biblisch“ weit entfernt von einer fundierten Auseinandersetzung mit der Vorlage hinsichtlich einer Ent-Sprechung, die es ermöglichen würde, im aufgeschlagenen „Buch“ den Sinn des Gelesenen zu erlauschen und einen Auge-Ohr-Gehirn-Dialog zu eröffnen, der am Detail verweilt, aber immer wieder weiter drängt um-zu-verstehen: Wo wir wieder zum lauschenden Schauenden werden, der das Sprechen der Schrift wieder wahrzunehmen lernt, spielerische Lust am Text.

Buber ist vom Joycschen Universum des raunenden Textes gar nicht so weit entfernt, wenn er die philologisch-poetisch ermittelte Ursprünglichkeit des Wortes einfordert. Dennoch weicht er von ihm und gegenwärtigen Versuchen ab, wenn er sich gegen einen aus ästhetischen oder literarischen Reflexionen entwachsenden Weg des Archaiismus und Neologismus wendet. Wenn er unnachgiebig so etwas wie Quellentreue einfordert, deren „gebieterisches Sosein“. Gerade die „eigentümlichen Mächtigkeiten und Intimitäten“ der Vorlage verlangen nach einer neuen Rhythmisierung „eines Gleichbleibenden mit einer Mannigfaltigkeit“. Verlangen nach dichterischer Methodik, die konsequent über den vorgegebenen Wortbestand hinaus, nach diesem Ungebräuchlichen greift.
So wird das angeblich Bekannte nicht nur bestätigt, sondern als das „in Wahrheit eben nur Geläufige“ tatsächlich umgearbeitet: Wenn wir wirklich nur Wind hören, wie es Ferdinand Ebner auf der Suche nach dem Urwort formulierte, dieses auf die ursprüngliche Bedeutung von ahnend und atmen bezog, dann ist es geradezu unerläßlich sich klar zu machen, wie dieser Wind und Schall gefüllt werden könnte - Bedeutungsarbeit am einzelnen Wort wie jene im Feld, in dem diese Wort semantisch wie sozial steht.
Die „anschauungslose Familiärität“ jedenfalls, die Martin Buber 1954(!) konstatiert, ist damit nicht gemeint. Sie wird erst mit den gegenwärtigen Verflachungen, die von der griechischen Mythologie genausowenig zurückschrecken wie eben vor dem „Buch von Gott“, umgesetzt.
Das soll nicht als Aufforderung des Erstarrens vor dem hohen Stoff der Altzeit verstanden werden - im Gegenteil, alles ist erlaubt, was Wortwahl, Satzbau und rhythmische Gliederung anbelangt (auch ihre Wiederbelebung kann ein Ziel sein, Bubers „Bücher der Schrift“ oder Klaus Reicherts „Hohes Lied Salomos“ belegen dies).
Aber genau diese Haltung fordert höchste Konzentration, radikale Verstrickung und selbstauflösende Lust am Text, ein Sprechen, das sich gegen jede Trivialisierung stemmt (oder zumindest das Problem der Trivialisierung zum Programm macht).

Ein Sprechen, das aus der Schrift der Vorlage hochstößt und jede sprachliche Einbettung vom Trieb bis zum Sinn, jede damit verbundene Geläufigkeit von Empfindung, Wahrnehmung und Kommunikation in edle Ungeläufigkeit verwandelt. Denn das Unangeglichene, das Unangemessene - auch das ist Babel, die Sprache, Die Schrift, Das Buch. Sein Unvollendetes, Unvollständiges der Konstruktion gilt es genauso zu über-setzen, wie das Ganze, um das es immer geht.


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