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sprachlichkeit - ein essay



e s läßt sich so eindeutiges über die literatursprache nicht sagen, so eindeutiges läßt sich vor allem über die sprache nicht sagen, ist doch die sprache ein vieldeutiges, vielfältig verwendbares, anwendbares, nutzbares. ist doch die sprache etwas, das jede und jeder nutzt und in ganz "persönlichem" gebrauch hält. sie, die sprache, läßt sich nicht festlegen, es gibt keine regel, die uns den wert des gesprochenen, des niedergeschriebenen, des gesagten, des versprochenen mit ausreichender sicherheit bestimmen ließe. es gibt regeln, die über die ordnung von sprache etwas aussagen. der sprache selbst sind die inhalte völlig gleichgültig, die mit ihrer hilfe vermittelt werden. in ihr wurden die tiefsten einsichten, die größten triumphe, die allergrößten irrtümer und dummheiten der menschheit formuliert.

die sprache determiniert den inhalt nicht, so wie es dem computer völlig egal ist, ob er nun töne, zahlen, zeichen, bilder, mathematische formeln, algorythmen usf. speichern, verarbeiten oder im netz transportieren soll. allerdings, die programmsprachen sind noch allgemeiner gehalten, als die unterschiedlichen sprachen. sie abstrahieren jeglichen inhalt auf die binäre struktur, und so lassen sich beliebige inhalte abarbeiten. die arbeit in elektronischen netzen macht die unschärfe der sprache deutlich. erfahrene netzwerkschreiber sprechen in diesem zusammenhang vom "sprachrauschen".

die sprache unterteilen wir in bestimmte felder, unter anderem in die muttersprache, die fremdsprache, die hochsprache, den slang, den dialekt, die kunstsprache usf. die vielfältigkeit der sprache zwingt zur einteilung. die zuletzt vorgeführte aufzählung schafft beispielhafte zuordnungen in herkommen, anderssein, gebildet sein, in städtisches und ländliches milieu, in tiefe und höhe. sie schafft bedeutung. sprache eint und unterscheidet die gesellschaft der sprecher und sprecherinnen. die sprachgemeinschaft meint kulturgemeinschaften und sprachkultur spricht von beherrschung der sprache, der eigenen sprache, der landessprache und der fremden sprachen. sprache grenzt aus und grenzt ein, sprache öffnet und vermittelt. sprache läßt gegensätze erkennen, sie läßt widersprüche zu. so läßt sich unterschiedliches abhandeln.

einmal erscheint in ihr weltweiter kulturanspruch und andersmal beklagt ein sprecher einer sprachlichen kleingruppe das verschwinden seiner kulturellen identität und meint damit das schwinden des gebrauchs seiner muttersprache. und meint damit, daß seine freiheit, einen gegenstand mit seinen mitteln zu bezeichnen, eine erfahrung mit seinen ureigenen mitteln auszudrücken, eingeschränkt wäre. was denkt sich wohl ein berner autor, dessen in bernerdeutsch gehaltenen aussagen in einem via 3-sat ausgestrahlten fernsehportrait mit hochdeutschen untertiteln verdeutlicht werden? sein buch ist wahrscheinlich hochdeutsch geschrieben, beschaeftigt er sich doch mit den historischen groessen sade und goethe. was denkt sich der kulturredakteur, der uns diese differenzierte fleissaufgabe vor augen und zu gehör geführt hat. der text des autors ist wahrscheinlich in einer der lesart der zeit entsprechende und marktgerechte schreibe gestylt , während der autor als sprecher sich in seinem lokalen kolorit bewegt. ich hätt ihn auch ohne untertitel verstanden.

der schärfste widerspruch, der in sprache sich zeigt, ist wohl der, der aus nationalem, also ausgrenzenden anspruch entsteht. der territorale konflikt ist grüßer als der inhaltliche. sprache ist ein medium, ein fluidum , daß wir in der uns gewohnten und bekannten form noetig haben. ist sie so nicht vorhanden, verspüren wir binnen kürzester zeit vereinsamung, wir sind nicht mehr imstande unsere identität zu vermitteln, außer eben mit der konsequenz, jene sprache zu erlernen, in deren territorium wir uns bewegen. sprache ist nicht nur historisch gebunden, unsere individualität ist mit ihr verknüpft. das ist die eine, die persönliche seite, die mit herkunft und geläufigkeit zu tun hat. das ist auch die sprachgewohnheit. andererseits wird über sprache zugehörigkeit hergestellt, etwa die nationale identität , also alle die deutsch spechen, also alle die französisch sprechen, also alle die italienisch sprechen, also alle die russisch sprechen, also alle die türkisch sprechen, also alle die hebräisch sprechen, also alle die arabisch sprechen, also alle, die eine sprache sprechen. die in diese sprachformierung eingebundenen konflikte sind noch lange nicht aus der welt.

dem streben nach einer über das nationale zielende europäischen gemeinschaft steht vermehrtes bestemm auf regionale ausdrucksweise gegenüber. identität richte sich nach dem gewachsenen schnabel. die nationalen töne und der damit verbundene anspruch auf nationale kultur sind unüberhörbar geworden. sprache ist zwar etwas, das sich nicht so genau festlegen läßt. mit ihr jedoch werden bestimmungen, festschreibungen, markierungen und abgrenzungen geschaffen. schirinowskis meist verwendetes wort für zu treffende lösungen ist schlicht und einfach "russisch", so wie hier österreich das wort "deutsch" für eine bestimmte haltung steht und gleichzeitig auch deutlich zu werden verspricht. von deutlich werden zu handgreiflich sein ist die schwelle nicht mehr allzu hoch, wie wir aus geschichte und gegenwart wisssen. die rückbeziehung auf die ethnisch und nicht ethisch bedingte sprache in der politik verheißt nichts gutes. ausgrenzung, eingrenzung, beherrschung, nationaler wettstreit, überheblichkeit, vorurteil, beschränktheit. andererseits, das polyglotte, kosmopolitische, das weltläufige ist nach wie vor nur einer kleineren schicht vertraut.

all die versuche, universalsprachen zu erfinden, künstliche sprachen also, die imstande sein sollten die grenzen der "natürlichen" zu überwinden, wurden immer aus missionarischem und diplomatischen antrieben heraus entwickelt. sie sind bislang kläglich gescheitert, bildeten sie doch nur ein sprachgerüst. andererseits ist die nutzung einer die grenzen überschreitenden lingua franca für die bildung grüsserer zusammenhänge unerlässlich. für die supranationale, multilinguale christliche gemeinschaft war es über lange zeit hinweg das lateinische, das auch wissenschaftssprache war. philosophen, theologen und naturwissenschafter schrieben so ihre erkenntnisse auf, und konnten damit sicher sein, über die natürlichen sprachgrenzen hinweg, verstanden zu werden. umberto eco hat vor kurzem dringlich dazu aufgefordert, eine europäische verkehrssprache zu wählen. die argumente des für und wider werden sicher mehr aufregung mit sich bringen, als etwa die maastrichter verträge.

für die weltgemeinde des ausgehenden 20.Jahrhunderts ist es die englische sprache, die den internationalen austausch in wissenschaft, politik und wirtschaft trägt. benutzer des inhaltlich freizügigen internets, der grossen interaktiven weltweiten kommunikationsgemeinde, werden sich dieser neuen sprachlichen situation sehr rasch bewußt. hier heben sich die nationalen identitäten auf, und mit ihnen verschwinden auch die regionalen eigenheiten. an ihre stelle treten die metaphern der kommunikation und information. dies führt auch auf die grundlegende funktion der sprache im zeitalter der technischen vermittlung. kultursprachlichkeit, literatursprachlichkeit und individualsprachlichkeit werden zugunsten globaler, also sprachgrenzen überschreitender kommunikation aufgehoben. anstelle des lesens, anstelle der lektüre tritt das sich informieren, die information und die dokumentation. vielleicht ist damit jener entfaltete zustand der statistischen wahrnehmung und vermittlung erreicht , von dem gustave cournot , ein französischer kultursoziologe des 19.jahrhunderts sprach. dieser entwicklung ging die die erosion des individuell leidenschaftlichen, die auflösung der personenbezogenen und auf die welterfahrung gerichtete sprachlichkeit voraus. bereits die nationale und ideologische orientierung der sprache negierte diese sprachtradition.

zeitgenössische akteure verweigern die wiedergabe bzw. die auseinandersetzung mit der persönlichen befindlichkeit. sie agieren im kontext. dem auf gleichzeitigkeit angelegten elektronischen weltumfassenden raum fehlt die entwicklungszeitliche dimension, die der herausbildung des nationalen epos oder des individuellen bildungsromans förderlich war. es gibt ihn nicht mehr, den nationalen helden, es gibt ihn nicht mehr, den ideologisch geprägten rebellen,und es gibt auch den künstler nicht mehr, der die persönliche empfindung und persönliche betroffenheit zum thema seines sprachlichen ausdrucks macht. alle in diese richtung gehenden unternehmungen scheitern am neu eingetretenen zustand. ebenso fraglich werden in diesem kontext jene literaturen, die die regionalen eigenheiten berücksichtigen und ebenso zum problem wird die frage nach der sprache, die die eigenheiten einer region, eines staatsgebildes bislang u.a. ausgemacht hat. der elektronische raum ist informations und kommunikationsraum, virtueller ausstellungsraum und permanent zugänglicher speicher.

ich habe vorhin die formulierung marktgerechte schreibe verwendet, also angenommen, daß es so etwas wie eine marketinggerechte literatur gäbe. marshall mc luhan hat uns gelehrt, daß wir nichts wichtiges über ein medium lernen können, wenn wir nur dessen inhalt betrachten. diese grundeinsicht wurde leider meistens dahingehend interpretiert, dass als botschaft bloss das medium selbst verbliebe, und es wurde viel zuwenig augenmerk darauf verwendet, wie die inhalte und ihre wahrnehmung sich veränderten, und zwar im verhätnis zu den realen gegebenheiten und zur geschichte, die einen teil des sprachinhaltes und der botschaft ausmacht. dies ging wohl auch schwer, zog die literarische gemeinde doch bei allem avantgardistischen getöne ihre rechtfertigung aus der schriftlichkeit vergangener zeiten, in der das buch noch eine bedeutende zentrale rolle in der vermittlung spielte. es ist deutlich geworden, daß im gegenwärtigen literarischen leben der autor seine individuelle verantwortlichkeit und freiheit eingebüsst hat. er ist teil der unterhaltungsindustrie geworden, sowohl der print- wie auch der audiovisuellen medien.da wird nicht mehr danach gefragt, ob das interessant ist, was der autor mitzuteilen hat oder beabsichtigt, gefragt wird danach ob das buch ankommt und nicht mehr, wie es ankommt. ebenso wie es nötig und sinnvoll ist, den medialen zusammenhang zu hinterfragen so ist es auch durchaus berechtigt, den einfluss der marktmechanismen auf die literatur und deren sprachlichkeit zu untersuchen, die, um am puls der zeit zu bleiben, die reizthemen der zeit aufnimmt, sie in immer kürzer werdenden zyklen verbraucht, und damit auch die autoren, und zu nächstem thema und autor(in) übergeht. die sprachlichkeit der literatur ist vermehrt den sogenannten bedürfnissen des marktes angepasst worden. inhaltliche positionen von autoren werden nur mehr selten gegenstand des öffentlichen diskurses. verwertung-, mehrfachverwertung, bewertung als oeffentlichkeitsarbeit für das verlagswesen sind kern der um- und vertrieblichen tätigkeit und bedeutung hat nur jenes buch, das in die charts kommt. literatur wird zunehmend von der öffentlichen meinung bestimmt und nicht umgekehrt. bestimmend ist die nachfrage und entscheidend die beherrschung des marktmechanismuses.

der buchmarkt hat sich den gesetzmässigkeiten des musikmarktes angepasst. es ist längst nicht mehr das buch allein, mit dem gehandelt wird, es sind mediale kombinationen, die ausgespielt werden, in denen der autor, das schillernde sprachchamaelion, das mit einem ohr angestrengt nach dem applaus hört, seine rolle zu spielen hat. die öffentlichen medien haben sie gleich gemacht, die autoren, die schauspieler und die politiker. "wenn man die öffentliche meinung auf seiner seite hat, kann nichts schief gehen" verkündete abraham lincoln. dieses statement wird gerne von werbeleuten und pr-strategen zitiert. nicht mehr das produkt ist wichtig, entscheidend ist die erfüllung der erwartungshaltung, die auf maximierung der öffentlichen aufmerksamkeit und damit auf maximierung des umsatzes beziehungsweise des stimmengewinns abzielt.

die sprache des marktes hat die der literaturkritik überlagert, der widerstand gegen die kommerzielle orientierung des verlagswesens ist verschwunden. erfolgreich wird ein autor nicht mehr als rebell, als eigenwilliger, originärer künstler, der sich etwa dem individuellen anarchismus verschrieben hat, und dafür meist mit seiner existenz bezahlt, sondern nur mehr als partner eines potenten verlagssystems, das dazu noch über gute kontakte zu den audiovisuellen medien verfügt.

sprache ist nicht mehr bildungsgut, sondern handelsware. die sprache der politik, die sprache der werbung, ebenso wie die sprache der literatur. also auch hier entpersönlichung. vüllig undenkbar etwa ist heute eine literarische selbstbezogene szene, die dazu noch allgemeines gesellschaftliches interesse erweckt hat, wie sie etwa die städte wien und graz für kurze zeit ende der sechziger bis in die ersten siebziger jahre hervorgebracht haben. eine kurze zeit, in der sprechen, schreiben und leben ident und nicht entfremdet waren.

die auf private und individuelle initiative hin eingerichteten elektronischen netzwerke machen allerdings eine möglichkeit sichtbar, die dem schreibenden wieder zu einer gewissen autonomie und selbstbestimmtheit verhelfen, zu einer bestimmten freizügigkeit im schriftlichen ausdruck verhelfen könnte, so die technische hemm- und nutzschwelle überschritten wird. im direkten elektronischen verkehr fällt der mächtige distributionsapparat, der letzendlich den erfolg und nichterfolg bestimmt, weg. der autor gewinnt an eigenverantwortlichkeit, von der sie(er) ja immer geträumt hat, auch für den bereich der vermittlung. wenn da nicht die pekunären notwendigkeiten wären. völlig ungeklärt ist es, ob der freiheitsgrad des gegenwärtigen netzes auch tatsächlich beibehalten wird. hier zeichnet sich tatsächlich erstmals eine art globalkultur ab, in der direkt aufeinander zugegangen werden kann. und sie gründet auf schriftlichkeit und sie bringt den autor der direkten sprache (schreibe) wieder näher. schreiben könnte hier wieder zum aktiven und nicht zum simulierten dialog oder multilog finden. also ein schreiben, daß dem sprechen ähnelt.

sprechen und schreiben ist zu etwas geworden, daß man nicht nur können, sondern sich auch leisten können muss. so die sprache ihr gebrauch ist, um eine formulierung des herausgebers aufzunehmen, und es von uns abhängig ist , wie wir sie gebrauchen, beziehungsweise zu deren gebrauch angehalten werden, so wesentlich ist es auch, in welchem kontext wir sie gebrauchen.


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