Zeichen und Schöpfungen. Zu Kunst und Sprachkunst von Günter Brus.


© Franz Josef Czernin

Das Geheimnis ist eine öffentliche Angelegenheit (Günter Brus)

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Wie vielleicht jede radikale Kunst hat auch diejenige von Günter Brus Teil am widersprüchlichen Verhältnis der Darstellung zu ihrem Gegenstand: Zum einen sollen sich dargestellte Gegenstände im Erleben des Kunstwerks als gegenwärtig zeigen. Als ob erst darin ein ernst und wörtlich genommenes Schöpferisches bestünde. Als sei erst das gezeichnete Haus das wirkliche Haus, ist etwa in eine von Brus´ Bild-Dichtungen - die ein, wenn auch ungewöhnliches, Haus zeigt - eingeschrieben: Zum anderen - und im Widerspruch dazu - lässt eine solche Kunst die Abwesenheit der dargestellten Gegenstände und dabei auch die Sinnferne aller nicht-zeichenhaften Dinge, etwa des eigenen Körpers, intensiv erfahren.

Es ist, wenn das Wort hier erlaubt ist, diese existentielle Zerreissprobe zwischen An- und Abwesenheit des Dargestellten, der man sich bei der Rezeption des Brus´schen Werks - seiner Literatur wie seiner Zeichnungen - auszusetzen hat. Brus selbst schreibt: "Ich arbeite häufig mit multiplizierten Widersprüchen. Sie können das ruhig als Stil bezeichnen. Ich nenne es tief erfasste Wirklichkeit." Und wenn Brus notiert: "Beim Schreiben glaube ich oft an Gott, indem ich mich vergesse, und ich glaube an den Menschen, indem ich ihn vergesse. Ich lasse Furien aufstehn und führe Gericht über mich und die Gerechten, ich fühle, dass die Sprache, die Schrift, ein Ersatz für die Allmächtigkeit und den Untergang zugleich ist." , dann wird jene Widersprüchlichkeit nicht ohne Selbstironie (wenngleich der Rhetorik des Visionären) in mythischen Schöpferglauben und Unglauben transponiert.

Auch in Brus´ Roman "Die Geheimnisträger", einem orgiastischen Text, voller Phantasmen und wilder Metaphorik, kann man sich jener Widersprüchlichkeit ausgeliefert finden: Denn geradezu ostentativ Fiktives steht dabei zum einen als Metapher für das Hervorbringen von Wirklichem, und somit für das Schöpferische, jedoch auch - und eben um seiner ostentativen Fiktivität willen - für das ohnmächtig Irreale, während gerade durch jene wenigen Aussagen im Roman, die aufgrund ihrer Einfachheit und Alltäglichkeit als nicht fiktional erscheinen, wirkliche und wirksame Gegenwärtigkeit ihrer Gegenstände hervorgerufen scheint. Eine so einfache Aussage wie "Das ist ein Apfel, das ist eine Birne, das sind zwei Äpfel, das sind zwei Birnen" kann dann gleichsam in Apfel- und Birnengegenwart erscheinen und somit als hier und jetzt neu Hervorgebrachtes.

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Ich will nun einen bestimmten Aspekt, nein, nicht des irrationalen - sondern eher des transrationalen Skandalons radikaler Kunst rational rekonstruieren. Dabei soll das sozusagen Verrückte, ja, Wahnwitzige radikaler Kunst durch die Konfrontation mit seinen rational fassbaren Konsequenzen deutlich werden. Und dies dadurch, dass diese Konfrontation anhand des denkbar einfachsten Beispiels aus dem Roman "Die Geheimnisträger gezeigt" wird.
Deshalb vereinfache ich jene einfache Aussage aus Brus´ Roman über Äpfel und Birnen noch , indem ich mich - als pars pro toto des zitierten Satzes wie des Romanganzen - auf ihren ersten Teil beschränke: "Das ist ein Apfel". Ich interpretiere dabei, dass - wie im Roman insgesamt - auch durch diese einfache Aussage der skizzierte Widerspruch schöpferischen Zeichengebrauchs wirksam ist und auch mittels des Texts zu verstehen gegeben ist.
Demnach sind durch die Aussage "Das ist ein Apfel" die folgenden zueinander in logischem Widerspruch stehenden Gedanken zu verstehen gegeben:

- dass dieses Wort Apfel ein Apfel ist
- dass dieses Wort Apfel kein Apfel ist.

Was verstehe ich hier unter "Wort"? Nicht den Ausdruck "Apfel", sondern die Bedeutung dieses Wortes. Die Bedeutung von "Apfel" ist nun, wie wir zumeist annehmen, gerade nicht der Apfel selbst. Sowenig wie der Gedanke, dass diese Wortbedeutung ein Apfel ist, der Sachverhalt ist, auf den man den Gedanken beziehen kann. Die Bedeutung eines Wortes wird - so nehme ich zudem an - in einem Vorstellungserlebnis realisiert: Die Bedeutung des Wortes "Apfel " also im Erleben einer Apfelvorstellung.
Wenn ich deshalb im Folgenden von der Bedeutung des Wortes "Apfel" spreche, dann ist damit das mit dem Vorkommen des Wortes "Apfel" verbundene Erleben einer Apfelvorstellung gemeint. Die in meiner Interpretation durch die Aussage: "Das ist ein Apfel" zu verstehen gegebenen zueinander widersprüchlichen Gedanken sind demnach genaugenommen:

- dass diese Apfelbedeutung ein Apfel ist
- dass diese Apfelbedeutung kein Apfel ist.

Nun nehme ich auch an: Wenn wir ein Wort verwenden, dann haben wir schon einiges darüber gelernt, worauf es zutrifft und worauf es nicht zutrifft. So haben wir beispielsweise gelernt, dass das Wort "Apfel" auf Äpfel zutrifft und nicht auf anderes, etwa auf Birnen. Und wenn wir dann einen Text, beispielsweise den Roman "Die Geheimnisträger", lesen, dann verbinden wir mit dem Vorkommen des Wortes "Apfel" bestimmte Annahmen hinsichtlich der Merkmale und Beziehungen dessen, worauf wir mit jenem Wort Bezug nehmen: So nehmen wir beispielsweise an, dass Äpfel auf Apfelbäumen wachsen, dass einige von ihnen rot, andere grün sind, dass sie süss oder sauer sind, mehr oder weniger saftig, mehr oder weniger rund, dass man sie essen kann usw. Kurzum, unser vertrautes Weltwissen hinsichtlich der Verwendung des Wortes "Apfel" ist beim Lesen im Spiel, ob uns das nun bewusst ist oder auch nicht.

Beim Umgang mit literarischen Texten - sei es beim Lesen selbst oder bei einer Reflexion des Gelesenen (und jedenfalls wenn man, so wie ich hier, darüber nachzudenken versucht, wie es sich mit der Beziehung von Darstellung zu ihren Gegenständen in Kunstwerken verhalten kann) -, beim Umgang mit literarischen Texten also können auch Annahmen zur Bedeutung des Kunstwerks zählen, die im Alltag wohl zumeist keine Rolle spielen: Annahmen, die unsere grundlegenden Klassifikationen von Gegenständen und damit unsere Ontologie betreffen, und also das, was für uns Wirklichkeit ist. So sind, wie ich interpretiere, in der Aussage "Das ist ein Apfel" mit dem Wort "Apfel" (neben den erwähnten) die grundlegenden -"kategorialen" - Annahmen zu verstehen gegeben:

- dass alle Äpfel sinnlich wahrnehmbar sind
- dass alle Äpfel materielle Gegenstände sind.

Dass alle Äpfel sinnlich wahrnehmbar sind und dass alle Äpfel materielle Gegenstände sind, diese Annahmen seien nun - zusammen mit all den erwähnten anderen - Elemente dessen, was ich den ersten Apfelhintergrund nenne.

Doch eben dieser erste Apfelhintergrund, der uns auf unseren vertrauten Sprachgebrauch und damit auch auf unsere vertraute Wirklichkeit festlegt - auf diejenige nämlich, die durch unseren Körper, unsere Sinne bedingt ist -, dieser erste Apfelhintergrund ist (wenigstens beim Erleben von Kunstwerken) fragwürdig: Brus selbst stellt fest "dass Wirklichkeit immer ein Wort mit unendlich vielen Fragezeichen ist." Und: "Man will eigentlich nicht mehr das, was Wirklichkeit heisst und ist. Man will fremd in der Welt sein."

So viel zu den - in der Kunst - fragwürdigen Annahmen hinsichtlich dessen, was wirkliche Äpfel sind.
Wie steht es nun aber mit den Annahmen bzw. mit einem Hintergrund für den ersten Teil der zueinander widersprüchlichen Gedanken, die - meiner Deutung zufolge - durch die Aussage "Das ist ein Apfel" zu verstehen gegeben sind? Mit dem Teil Diese Apfelbedeutung also in:

- dass diese Apfelbedeutung ein Apfel ist
- dass diese Apfelbedeutung kein Apfel ist?

Ebenso selbstverständlich, wie wir annehmen, dass Äpfel süss oder sauer sind, auf Bäumen wachsen und essbar sind usw. nehmen wir an, dass man eine Apfelbedeutung (die wir in einer Apfelvorstellung realisieren), nicht essen kann, dass sie nicht schmeckt, also weder süss noch sauer ist, noch dass sie rot oder grün ist, obwohl wir uns all dies vorstellen können.
Und beim Lesen - oder jedenfalls bei der Reflexion der Beziehung von Darstellung zu ihrem Gegenstand in Kunstwerken - sind auch wiederum die allgemeinsten "kategorialen" Annahmen im Spiel, die uns auf eine bestimmte Ontologie festlegen, etwa die folgenden Annahmen:

- dass diese Apfelbedeutung nicht sinnlich wahrnehmbar ist
- dass diese Apfelbedeutung nicht materiell ist.

Auch diese Annahmen bilden zusammen mit anderen - etwa, dass Bedeutungen in psychischen Akten realisiert werden, dass Bedeutungen etwas Sprachliches oder etwas durch Sprache Ausdrückbares sind, dass Wortbedeutungen Komponenten von Gedanken sein können - einen Hintergrund. Ich nenne ihn (analog zum ersten Apfelhintergrund) ersten Hintergrund der Apfelbedeutung. Natürlich sind uns Annahmen über Bedeutungen zumeist nicht so vertraut wie Annahmen über Äpfel. Wenn wir aber Kunstwerke rezipieren, dann können sie dennoch eine Rolle spielen: Sie können zur Bedeutung des Kunstwerks zählen - und sind eben deshalb nicht weniger fragwürdig als die Annahmen des ersten Apfelhintergrunds.

Jedenfalls stehen die erwähnten Annahmen über Bedeutungen im Widerspruch zu jenen über Äpfel: Wenn man Bedeutungen realisiert und also erlebt, dann erlebt man so etwas wie ein Anderes des Körpers, der Sinne. Und hier - im Reich der Bedeutungen - sind wir auch eine Art Schöpfer: Wir können ein Zeichen dieses oder auch etwas anderes bedeuten lassen, wir können sie - beispielsweise mit Hilfe von Sätzen - so kombinieren, dass wir neue Bedeutungserlebnisse haben können: Wir sind hier, vielleicht, an einem Anfang, der das Wort ist (Johannes-Evangelium) und können - gewissermaßen - einen neuen Himmel und eine neue Erde machen. Günter Brus (wohl nicht ganz ohne Ironie): "Dichtkunst zeigt immerfort nur auf, wie weit sich das Denken vom Leben entfernt. Der Mensch wird durch das Dichten immer göttlicher. Er löst sich auf."

*

Ich rekapituliere: Der
erste Apfelhintergrund
enthält die "kategoriale" Annahme: dass alle Äpfel sinnlich wahrnehmbar sind, und die Annahme, dass alle Äpfel materielle Gegenstände sind.
Und der
erste Hintergrund der Apfelbedeutung
enthält die Annahme:
dass diese Apfelbedeutung nicht sinnlich wahrnehmbar ist, und die Annahme, dass diese Apfelbedeutung nicht-materiell ist.
Was für logische Konsequenzen haben diese Annahmen bzw. die entsprechenden Hintergründe für die beiden durch die Aussage Das ist ein Apfel zu verstehen gegebenen zueinander widersprüchlichen Gedanken, dass diese Apfelbedeutung ein Apfel ist, und, dass diese Apfelbedeutung kein Apfel ist? Sind mit den Ausdrücken "Diese Apfelbedeutung" und "Apfel" jene ersten Hintergründe verbunden, dann ist logisch ausgeschlossen, dass es wahr sein kann, dass diese Apfelbedeutung selbst ein Apfel ist. Dann ist es - um in die biblische Bildwelt und damit auch zu Brus zurückzukehren - ausgeschlossen, dass das Wort Fruchtfleisch wird, und wohl auch - wenn der Umkehrschluss hier erlaubt ist -, dass das Fruchtfleisch Wort wird. Dann erleben wir ein Kunstwerk, etwa auch Brus´ Roman, so, dass - wenn nicht der Abgrund - so doch der kategoriale Unterschied zwischen Zeichenbedeutung und Gegenstand erlebt wird und womöglich mit seinen sonst nicht verspürbaren existentiellen Wirkungen. Würden wir es dabei belassen, dann hätte uns das Kunstwerk, im Beispielfall der Roman "Die Geheimnisträger" allein jenen Unterschied, ja den Abgrund zwischen Darstellung und Gegenstand erleben lassen.

Und tatsächlich tut der Roman in vielen Passagen - in seiner ostentativen Fiktivität, seiner Phantastik - einiges dazu; etwa, indem er Widersprüche so vorführt, dass sehr fraglich ist, ob das Gemeinte sich überhaupt vorstellen lässt. Ich zitiere eine Passage für viele: "´Erst in einer Zeit, die es nicht gibt, ist Schöpfung möglich`, sagte Mira, doch sie hörte das Gesagte nicht mehr.
´Die Fliehkraft ist am Fluchtpunkt eingetroffen, hört das Aveläuten, sagte Roce, doch er hörte das Gesagte nicht mehr."

Können wir uns vorstellen, wie eine Zeit ist, die es nicht gibt? Können wir uns vorstellen, wie es ist, wenn die Fliehkraft am Fluchtpunkt eintrifft? Nicht zufällig wird hier die Fiktion als Fiktion sozusagen ausgestellt. Gerade diese Kombinatorik des Unwahrscheinlichen und die wortspielende Metaphorik scheinen jenen Abgrund zwischen Bedeutung und Gegenstand vertiefen zu wollen.
Doch Brus schreibt auch: "Meine Dichtung heisst ´Wagnis`. (...) Ich denke, dass Dichtung Rohstoffvernichtung einerseits - und Aufrichtung der rohen Stoffe andererseits sein soll, darf, muss, möchte."

Worin bestünde nun das schöpferische Wagnis hinsichtlich des Beispielsatzes, und worin könne eine solche Rohstoffaufrichtung bestehen? In meiner rationalen Rekonstruktion zunächst (als Bedingung für die Möglichkeit dieses Wagnisses) darin, dass auch mindestens ein zweiter, ein anderer Hintergrund zu verstehen gegeben ist, dem zufolge es logisch möglich ist, dass der Gedanke, dass diese Apfelbedeutung ein Apfel ist, wahr sein kann.
In diesem Fall gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder ein mit dem Wort "Apfel" verbundener zweiter Apfelhintergrund enthält nicht die Annahme, dass alle Äpfel sinnlich wahrnehmbar sind, und auch nicht die Annahme, dass alle Äpfel materielle Gegenstände sind. Oder ein mit dem Ausdruck "diese Apfelbedeutung" verbundener zweiter Hintergrund der Apfelbedeutung enthält nicht die Annahme, dass diese Apfelbedeutung nicht sinnlich wahrnehmbar ist, und auch nicht die Annahme, dass diese Apfelbedeutung nicht-materiell ist.

3

Will man nicht schon logisch ausschliessen, dass die Aussage "Das ist ein Apfel" wahr sein kann, dann muss man also andere Annahmen bzw. andere Hintergründe in Anspruch nehmen als jene hier sogenannten ersten Hintergründe, die auf unserem geläufigen Weltwissen und unserem geläufigen Sprachgebrauch beruhen. Dafür gibt es nun - logisch gesehen - mehrere Möglichkeiten. Ich will hier nur eine, die radikalste, analysieren. Sie besteht darin, dass die "kategorialen" Annahmen - dass alle Äpfel sinnlich wahrnehmbar sind, und, dass alle Äpfel materielle Gegenstände sind - ersetzt werden durch die Annahme, dass es Äpfel gibt, die sinnlich wahrnehmbar sind, und Äpfel gibt, die nicht sinnlich wahrnehmbar sind, und durch die Annahme, dass es Äpfel gibt, die materiell sind, und Äpfel, die nicht materiell sind. In diesem Fall ist ein zweiter Apfelhintergrund gegeben, der im Widerspruch zum ersten Apfelhintergrund steht.

Würden wir den Gedanken für wahr halten, dass diese Apfelbedeutung selbst ein Apfel ist, dann würden wir Äpfel rekategorisieren bzw. reklassifizieren. Und dies wohl deshalb, weil wir bei der Rezeption des Kunstwerks erlebt und entdeckt hätten, dass es Äpfel gibt, die nicht sinnlich wahrnehmbar und nicht materiell sind. Aber warum, wird man vielleicht fragen, warum um Himmelswillen soll man überhaupt in Erwägung ziehen, dass wir hinsichtlich so fundamentaler und sozusagen tief in unserer Lebensform verankerter Annahmen wie der, dass alle Äpfel sinnlich wahrnehmbare und materielle Gegenstände sind, in Zweifel geraten? Was für einen Lichtaugenkuss müssen wir da erfahren, oder welches grosse Septembertor soll sich da öffnen? Oder gar welche Opferwandlung vollziehen? Und warum sollten wir - und sei es für einen einzigen Leseaugenblick - sogar für wahr halten, dass eine Apfelbedeutung (das Erleben einer Apfelvorstellung) selbst ein Apfel ist? - Vorsicht Visionsgefahr! wie Brus ironisch in eine Bild-Dichtung einschreibt.

Warum also? - Ich glaube, es ist die Form oder besser: die Gestalt des Kunstwerks, die diesen augenblicklichen Überschwang und dieses, sagen wir, revolutionierende Erleben und die mit ihr einhergehende revolutionäre Wahrheitswertzuschreibung hervorrufen kann: Die Form kann das mächtige Mittel sein, wodurch in uns ein anderer Zustand (Robert Musil) ausgelöst wird - so dass uns Dinge oder Sachverhalte, auf die wir beim Lesen Bezug nehmen, in, sagen wir, anderem, ungewohnten Licht erscheinen können. Kunst, auch Wortkunst, erzählt Von der Liebe des Inhalts zur Gestalt - so wiederum Brus selbst, in eine seiner Bild-Dichtungen. Wir könnten vielleicht gerade durch die Form in einen Verzauberungszustand, ja auch in eine Art Rausch, in einen, sagen wir, visionsartigen Erregungszustand geraten, der es uns als evident erscheinen lässt, dass diese Apfelbedeutung (dieses durch den Text ausgelöste Apfelerlebnis) tatsächlich ein Apfel ist; ein Apfel jedoch, der eben nicht sinnlich wahrnehmbar ist und nicht materiell ist. Brus: "Lyrik entsteht nur noch dann, wenn man selbstwörtlich zum Schwan wird und Federn lässt."

Beim Heraufbeschwören dieser Apfelgegenwart in der Apfelbedeutung, sind aber zwei Dinge nicht zu vergessen. Zum einen, dass das jeweilige Erleben und mit ihm die jeweiligen Hintergrundannahmen und die entsprechende Wahrheitszuschreibung in hohem Maße zustands-, kontext- und leseerfahrungsabhängig ist - und deshalb so flüchtig wie fragwürdig. Und zum anderen (und im Zusammenhang damit), dass uns gerade Kunstwerke, die ihren Namen verdienen, das Gegenteil ebenso sehr und womöglich ebenso intensiv und rauschhaft erleben lassen (und den diesem Erleben entsprechenden Hintergrund und die entsprechende Wahrheitswertzuschreibung), also, dass die Darstellung gerade nicht ihr Gegenstand, dass also etwa die Apfelbedeutung nicht der Apfel ist. Schöpferisches Erleben besteht auch darin, die Zerreissprobe jenes Widerspruchs - wenn dieses Wort hier zum Abschluss ein zweites Mal erlaubt ist - auszuhalten.

In einem Gedicht von Günter Brus zu Wilhelm Hauffs Märchen Das kalte Herz wird wohl auch dies auf schmerzhaft schöne Weise thematisch:

Hauff: Das kalte Herz

Der Tod tritt ein in die
Schilderung.
Ein Mord schneidet sich
frei aus der
Bebilderung.
Blut spritzt in ein Herz
aus Glas und Eis.
Der Dichter trennt sich
seinen Schreibfinger ab.
Das Märchen ist ein
Liebesverweis.

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·^·