Ich akzeptiere die unreife Forderung populär
und wahrhaftig zu sein. Ein Absolutes um
Wahrhaftigkeit zu bemühen, um in absoluter
Wahrhaftigkeit Grenzen sprengen zu können.
Die Forderung steht da, wie die Literatur und
die Parteien, als ein Geschwätz in einer
bösartigen Ordnung der Oberflächigkeit.
Aus der falschen Vorstellung Populäres für möglich zu halten, desavouire ich mich, seit ich irgendeiner Art von Sprache mächtig bin. Ich nehme mir das Recht heraus zu beichten: was aber und wem?
Diese Fixierung ist bereits Literatur, auch dann, wenn keine Katze es versteht. Oder wird es Literatur, indem man sich entschliesst, zu verweigern? Also ich verweigere mich der Anmassung. Ich schrieb nie das GUTE und DAS GÜLTIGE. Ich provoziere stets, und zwar mich selbst.
Aus dieser Beschäftigung, eine skandalöse Autarkie, fällt Literatur aus.
Mit dem Hinnehmen des Widerspruchs, will ich ohne Ende reden, ums Leben reden und schreiben und schreiben und leben und schreiben. Die Literatur ist tot, es lebe die Literatur. Es stimmt nichts, alles stimmt.
Ich zerstöre den Begriff. Ich zerstöre die Begriffe alle und mir wankt die Welt nicht. Sie stellt sich in Frage, und das in jedem Augenblick. In jedem Wort, in jedem Schweigen ist alles und Kitsch. Man müsste es ertragen lernen, zu urteilen ohne Urteil. So wie man unterschreiben als eine dem Schreiben inferiore Tätigkeit verstehen kann, ist der Unterschied die Unterbietung der Geschiedenheit. Mit Unterschied und Urteil beginnt die Geschichte, und die davon abgezogene Zeit, der Tod.
Das wäre dann der grosse Unterschied im Gegensatz zum kleinen Unterschied.
Mir blieben im ganzen langen Leben nichts als
der Stachel - es stimmt nichts. Nichts in der
Kirche, nichts in der Liebe und Ehe, nichts auf
der Universität - es stimmte alles, und nichts
stimmte. Armut und Not waren nicht das
Problem. Mir ist die Umverteilung kein Problem,
Krieg und Gefahr waren nicht das Problem. Das
lässt sich alles sagen. Aber wie? Ging der
Lebensweg dahin, zu begreifen, dass Sprache
das Problem ist? Ich stehe jetzt erst, am Ende,
vor der Frage allen Anfangs. Wie teile ich mich
mit? Als nächstes erst kann gefragt werden,
was teile ich mit? Und das wird wohl dann sein:
warum eigentlich überhaupt? Aber noch bin ich
im Spiel, und die Antwort, die ich gebe: noch
immer lässt Literatur alles offen. Noch immer
ist sie nicht dazu da, zu klären. Ich schütte
das Kind mit dem Bade aus, und begreife, auf
dem Müllhaufen stehend, allmählich den Hitler
in uns. Den bösen Wunsch nach dem Absoluten.
Mir liegt satanisches Gelächter, aber selbst
das ist schlechte Literatur.
Krieg und Kontraverse!
Immer ist Anfang. Wie stelle ich die Frage ? Es sind immer wieder dieselben Fragen nach dem Können, nach dem Wollen, nach dem Tun. Gegen Literatur zu sein, klingt wie ein Gag, und ich weiss erst seit gestern und seit heute, dass die Wirklichkeit esoterisch ist, und der Weg des Lernens ohne Ende, wenn nichts stimmt, und das die Stimmigkeit ausmacht. Der Weg der Weisheit geht über den Begriff der Literatur, er wird aber auch für Analphabeten einsichtig. Ich habe ein Leben dafür gebraucht, und sehe immer noch ein. Ich versuchte die Literatur zu hassen, weil es unmöglich war, zum Begriff zu kommen. Meine Grossmutter konnte nicht lesen und nicht schreiben.
Sie war Analphabet und gleichzeitig die Klügste
der Familie, die in Krisenzeiten das Geld für
alle verdiente. Ihr verdanke ich, was ich gelernt
habe, und sogar ein Heiratsgut, damals war es
ein Entree zum besseren Leben.
Porzellan und Kristall, Moebel als Standardaus-
stattung. Als Kurzschluss zuendete bei mir, dass
der Mensch umso besser ist, je weniger er weiss,
und dass einer besser ist, weil er nichts weiss.
Die Slogans vom Schlichten, vom unvermittelten
Dasein.
Nun aber als ich immer schon als Kind hungrig
und gerne. Ich habe die Bücher, alles Gedruckte
wahllos verschlungen, und nach der Art schlichter
Gemüter dachte ich, das kann ich auch: Bücher
schreiben. Und ich konnte es: Deutschaufsätze
schreiben, Festreden halten, Rehe auf Zehe reimen.
Ich war ein begabtes Kind, das soll heissen:
ich imitierte: Ich frass Inhalte und gab damit an.
Ich war aber auch ergriffen. Von Deutungen und
vom Pathos, von Religionen aller Art. Ich liebte
Tempel und Kirchen, Bilder und Reisen, und
erlebte die Peterskirche als Enttäuschung,
die östlichen Kirchen aus Holz als Lyrik:
echt
unmittelbar wirkten mir nur das Pantheon und
der Tempel in Agrigent. ich musste verstehen,
dass ich nicht zuständig war, für das, was
mir gefiel, dass ich von anderen abschrieb,
was die Dinge bedeuten. Ich musste verstehen,
dass ich nichts lernen konnte. Mich flog vieles
an, aber alles unterlag Ordnungen, die gelernt
werden sollten. Oswald Spenglers Kulturkreise,
und des Amateurs Friedell Geschichtsbild.
Friedell war der geniale Dilletant, alle
grossen Namen und Klassiker blieben auf der
Strecke seines Weges in der Folge seiner
Gedanken.
Jedes Werk ist ein Verzicht auf das andere :
Entscheidungen. Man sagte mir, zuerst muss
der letzte arme Teufel Brot und Gesundheit
haben. ich müsste helfen, es zu garantieren.
Mutters Sozialismus leuchtete mir ein. Die
Reihenfolge für alle:
Wohnen, Waschen,
Anziehen, Essen, Lernen.
Ich konnte sie nicht
einhalten, diese Reihenfolge, nie brachte ich
es soweit. Ich kann auch heute nur Nachts
oder im Morgengrauen die Albträume verarbeiten,
ungewaschen im chaotischen
Schlafraum, indem ich Sätze empfange,
weiss Gott aus welchen Impulsen, die zu
überlegen ich überhaupt nicht im Stande
bin. Es ist Sprache, die mir kommt, wenn
ich erzähle, wie es war.
Aber Literatur ist doch etwas bewusstes,
etwas überlegtes? Bestenfalls gebe ich zu,
dass es etwas gewachsenes ist:
wo? Im Hirn, oder im Bauch?
Ein unbegriffenes Schicksal, ein unbegreifliches
Schicksal. Wenn ich genau
bedenke, so mache ich Worte, ich arbeite
mit einem Material: stricke ich? oder ver-
strickt es mich?
Nie wird mir daraus das
Selbstbewusstsein Thomas Manns, nicht das
gewichtige Leid des Torquato Tasso,
nicht der kokette Überdruss des Handke
erwachsen. Ich mag alle diese Bedeutsamkeiten nicht,
denn wo Bedeutsamkeit
vermutet oder gewollt wird, ist sie nicht.
Ich komme mir verloren vor, wenn ich Hans
Mayer lese, der die Ränge verteilt.
Im Grunde möchte ich dazu gehören. wozu?
Mir bleibt nach meinem langen Leben nichts
als der Stachel, der Lust und nicht der Verzweiflung:
Es stimmt nichts.
So lockt weiter die Frage.
So schrieb ich, immer suchend, um wahrhaftig zu sein, Biographien, fremde und eigene, eigene und am Rande erlebte: gewusste. Die Wissenschaft vom Denken beweist uns heute, dass man wahrhaftig nicht wahrhaftig sein kann. So denke ich über das Denken nach, und erzähle was so passiert, weil das die anderen Menschen lesen wollen. Dabei wird mir ganz allmählich klar, dass ich nicht beteiligt bin, und nicht beteiligt war. Ich weiss nicht, was Sprache ist, und Joyce und Pinchon und alle die Absurden wissen es auch nicht. Sie lockern etwas, dem entlang sprechen sie oder assoziieren einem Ufer zu, dass sie nie erreichen.
Ich habe Lieblingsautoren:
vor allem die Kunst-
losen, oder die, die mir kunstlos vorkommen.
Die Russen und die Harlekine. Dostojewskij
und Truman Capote. Die Direkten.
Die Biographie als Material ist kein Thema, das variiert werden kann, wenn man redlich sein will - redlich unter Anführungszeichen, denn alle diese Begriffe sind unscharf und treffen nicht, vielleicht, weil nichts zu treffen ist. Die Biographie ist eine Wechselwirkung zwischen Ergebnis und Wollen, und macht eine Formvorausbestimmung, ein Konzept ehrlicherweise unmöglich. Sie entwickelt sich gegen Bewusstsein und Verstand, erhät ihre Allgemeingütigkeit aus historischer Zeit und Umwelt.
Die Philosophie, die nicht der Literatur als Form unterworfen sein will, ist ihr dennoch unterworfen. Die Daten und Anekdoten eines Lebens ergeben die Ordnung der Dinge. Das primitive Ehrlichkeitsgefühl ruiniert diese dann. Und das ist die Wand an der ich stehe.
Das primitive Ehrlichkeitsgefühl ruiniert
die Ordnung der Dinge. Was primitiv als
ehrlich empfunden wird, lässt sich für
die Philosophen in keine Ordnung bringen.
Und was die Philosophen systematisieren,
wird nicht empfunden oder kann nicht
empfunden werden. Das ist die Wand, vor der
ich stehe. Musil hat recht, wenn er bei dem
Wort Ordnung an Mord denkt.Aber mit dem
Blut beim Morden fliesst auch der Gedanke
aus, der eigentlich die Ordnungsmacht ist,
aber viel zu kompliziert um von den Mördern
praktiziert zu werden. Die Mörder sind
eminent praktisch, weil sie effektiv sind.
Oberflächlich effektiv, weil die Gesamt-
rechnung Gedanke ist. Der Weg vom Gedanken
zum Handeln bringt die anderen um, weil das
solange dauert. Der falsch gesetzte
Beistrich im Satz:
Wartet nicht, hängen! in
dem sich der Courier verhaspelt ist effektiver
als jede Divergation ueber die Beistriche.
Auf jeden Ausdruckswillen verzichten, und ich bin lyrisch! Und das soll dann Literatur sein. Kann nicht anders. Ich hasse die Literatur als Verzicht: weiss ich, ob sie mich nicht heimsucht, in einem Augenblick da ich schlafe. Nicht Verzicht auf Erkenntnis, sondern Verzicht auf Nahrung, verlorenes Mal, aufgegebene Teilhabe im Fleischschaufenster, ins Leere Gesprochenes für romantische Ohren, die nie da sind. Die hören anderen zu, wenn ich spreche.
Ich befinde mich in der Galerie La Fayette, in anderen Ramschläden; unter diesem Haufen Sachen im Massenerlebnis. Dagegen hat der Designer sich fuer ein Selbstgefühl entschieden, indem er selber formt.
Das vergrösserte Detail ist nicht vergröbert,
sondern der Formbegriff wird zerstört, macht
ihn noch sensibler, "lässt kaum einen hauch".
Es zerdrückt nicht, sondern minimiert. Es ist
natürlich so absurd, wie alles, gegen die
Literatur zu sein. Es gilt Zeit, Raum und
Bewusstsein zu entdecken:
einfachste Willkürakte
darin tun dem Formprinzip genüge, mehr
und öfters, als komplizierte Formgebilde, die
das Detail unterschlagen, um ihren Anspruch
auf Form zu weisen. Über ein Leben, mein
Leben, eine Orientierung zu befinden. Eventuell
entlang eines Ereignisses, was dann Erzählung,
Bericht, Belletristik oder Tonspur wird. Wenn
ich damit etwas sagen will, was gelten soll,
ist es Literatur. Für mich ist es nur ein Ausdruck
des Zweifels an jedem Wort und jedem
Buchstaben. Was sich dann rundet, was sich
dann ergibt, nach überlagerten formalen
Bearbeitungsschritten verbluefft mich, und es
verkauft sich, es verblüfft mich schliesslich
selbst. Der jeweilige mehrdimensionale Raster:
Soll sein Literatur.
Biographie hin oder her: aber darum geht es
wohl nicht. Mir geht es um die Anwendung
und Anmaßung von Qualität. Und da geht es
zum Beispiel um Goethe, der, sagt man, der ,
dem Umfang nach, alle Dimensionen im Sinne
hatte:
im Endlichen.
Ein Schulzitat. Anders als zum Beispiel die
Colette: keine andere Dimension als die des
Triebes, als absolut wahrhaftig thematisiert.
Alles was unser Denken nicht vermag.
Lange Zeit und im Grunde eben heute noch,
nehme ich Literatur nicht ernst:
Zum Erzählen,
zur Meinungsäusserung zurechtgedachtes Zeug.
Ich verdiente Geld damit,
hatte aber keine Achtung vor dem,was sich
da in mir dachte. Ich sehnte mich nach
System und las Philosophen - ein Leben lang
lese ich Philosophen und studierte sie,
wie alles, was ich tat:
ohne System.
Nur aber in einer Art von Ordnungssinn, der mir
als Leitspruch eingab:
was du nicht willst,
das man dir tut, das füg auch keinem anderen
zu.
Das genügt als Sitte und Moral. Ich schlage
nicht um mich, ich provoziere keine Misstöne,
aber darüber hinaus gibt es kein Bekenntnis.
Was blieb und bleibt ist ein ästhetischer
Anspruch, ein ästhetisches Urteil. Woher
mir das kommt, möchte ich selbst gerne
wissen. Ich bin das Objekt, das mich am
meisten interessiert, und die Werte, die mich
erschüttern, sind für alle Gegenwart:
Picasso und Bacon, Greco und Pollack
sind nahe Verwandte. Ich will mir das
erklären, ich kann mir das nicht erklären.
Kann höchstens eben im Erzählen der
Biographie einen Platz für das grösste
Rätsel suchen:
den Geschmack, Urteil, Wahl.
Die Literatur weiss zuviele Antworten.
Die Antipathien und Idiosynkrasien geben
wissenschaftliche Antworten, die dauernd
weiterraunen und mir mehr bringen, als
alles was Kunst ist. Wenn man sich der
Interpretation enthält, so ist man Buddha,
der den Nabel betrachtet,
und das ist mir zu langweilig.