Sprache und Wirklichkeit


© Helmut Eisendle


Was mich an der Sprache interessiert, ist das Nichtvorhandene, eigentlich müsste ich sagen, das Vorgetäuschte oder das, was ich nicht weiss. Wirklichkeit ist dabei nur ein Begriff. Wäre alles tatsächlich, was ich sehe und denke, wäre ich ein Lügner und das Leben eine Lüge. Es ist eine Sammlung von Zeichen für Raum, Zeit und Bedeutungen, die mich der Sprache ausliefert. Welche Zeichen, welche Worte, Sätze, Gedanken ist unklar. sign vehicles. Auch wenn manchmal alte Gewohnheiten auftreten, darf ich nicht glauben, dass etwas Besonderes geschehen ist. Vielleicht fällt die Sprache nicht über mich her. Ich weiss nicht, ob das, was mich mit der Sprache verbindet, sich nicht abnützt, schnell abnützt. Ich habe etwas von einem Insekt, einem kleinen Käfer, der sich eine, seine Welt baut. Aus einem Zufall. Da meine Geschichte kurz ist, ist es eine Tatsache einerseits, dass ich alles von mir weiss, anderer-seits suche ich keine Erinnerung. Ich vereinfache oder kompli-ziere meine Wahrnehmung. Es gibt fast nichts, was aus dem Gedächtnis auftaucht. Die Wirklichkeit hat nichts damit zu tun.
Sie kommt aus der Gegenwart.
Was mich an der Sprache interessiert, ist weder liebevoll noch das Gegenteil: lieblos. Ich nehme etwas vorweg, ein Stück Zukunft aus der Gegenwart einer nichtvorhandenen Welt.
Was mich an die Sprache bindet, ist eine zärtliche Gleichgültigkeit. Meine. Ich weiss, es ist nicht unbedingt wirklich, aber irgendwas, was mit mir und der Welt zu tun hat.
Sympathie dazu habe ich. Sicher. Ich weiss, dass der Akt des Sprechens mich weder liebt, noch hasst. Vielleicht schätzt er mich genau so wie er mich geringschätzt ? Wir sind beide keiner außerordentlichen Zuneigung fähig. Es ist keine Kälte, eher eine gleichgültige Ironie dem Erleben gegenüber. Es interessiert mich etwas an der Sprache, obwohl ich auf die grossen Erkenntnisse über die Wirklichkeit verzichten muss.
Was mich an der Sprache interessiert, ist eine Anzahl von bedeutungslosen Versuchungen und Versuchen. Wenn ich mein Sprachverhalten überprüfe, wobei ich nur das Resultat kenne, ist es nur ein Spiel mit Dingen, eben das Erfahren, ein endloses Kalkulieren an allem vorbei. Ich gebe mir mit der Sprache Gelegenheiten, etwas wahrzunehmen oder etwas loszuwerden, was ich sonst in der Einsamkeit eines kahlen Raumes verrotten lassen müsste. Keiner versteht mich so recht. Alle haben zurecht etwas anderes im Kopf und im Gefühl. Sie nehmen anderes wahr als ich.
Was mich an der Sprache interessiert, ist - wie es scheint - dass sie täglich an einen Punkt ankommt, dass sie mich aufweckt aus meiner beiläufigen Weltbetrachtung. Ich verdanke ihr mehr oder weniger, dass ich jetzt über meine Erfahrungen Bescheid weiss, über dieses nackte Sichersein in meinem Körper in einer älter werdenden Welt. Sich Verirren im Ich und Verlieren in der Sprache hat mir das Leben gegeben. Ich bin aber kein verlorener Gegenstand, den man in der Welt übersehen hat, meine ich kokett. Liegengelassen. Übersehen. Das schon. Wenn meine Sprache bemerkt wird, gut funktionierend aus einer überheblichen Routine, lebe ich davon. Wenn ich etwas mit ihr herstelle oder hinstelle, liess oder lässt man mich gewähren, wie man mir Gedanken auch nicht verbietet oder verboten hat, sondern sie zulässt oder zuliess, so zuliess oder zulässt, als wollte man damit beweisen, dass sie niemanden kümmern und keinen interessieren. Was mich an der Sprache interessiert, vermittelt das hergestellte Produkt, nicht. Eine eigenartige Freiheit, ein Drang lässt mich die Sprache benützen. Es ist ein fremdes Gefühl, das mir gut tut. Fremdkörper tun mir gut. Vielleicht auch nur mein Geist, dem man einige Überraschungen zumuten kann. Was mich an die Sprache bindet, ist die Möglichkeit, die Welt mit ihr zu fangen. Und doch kann ich mit ihr nur eine neue erfinden und zusehen wie mein Leben allmählich vergeht. Dieses ahnungslose Ziel, von dem ich nichts weiss, treibt mich in die Sprache.
Ich glaube, ich lebe auf einer Insel - auf der alles merkwürdig homogen ist, auf der es keine Uferstellen gibt, an denen man landen könnte. Wenn man auf der Insel ist, kann man sie nicht mehr verlassen. Man kann nur denen etwas zurufen, Zeichen geben, die in der Ferne sind.
Etwas sagen, schreiben.
Natürlich gehört dieses Verlorenwerden zu meinem Selbstverständ-nis. Zumindest zu meiner egozentrischen Koketterie. Ich weiss, ohne es schon zu sein, ich weiss, nun ist die Sprache vergessen worden, verloren gegangen. Wie ich mir vorstelle, dass irgendwer verliert, so liebe ich es, mich in der Sprache zu verlieren.
Was soll´s, wenn die Sprache auch nicht in den Vitrinen oder Regalen oder Bibliotheken der Welt herumsteht, begafft oder begriffen wird wie man ausgestopfte Pygmäen begafft und begreift, obwohl man eben die Sprache als Phänomen nie begreifen kann. Vielleicht ist es nicht ungerecht, wenn ich sage, dass ich, das grosse Ich, das nur in mir gross ist, zu allen Verstrickungen bereit ist, wenn nur ein gesprochener Gedanke in einem anderen oder bei mir dabei zu Buche steht? Und wenn ich dann irgendwann wieder an einem meiner Orte gelandet bin, in einer meiner Höhlen, habe ich wieder wie ein Hamster das sprachliche Reservoir von dem sich meine Gedanken nähren können. Einen Winter lang, einen Sommer lang, ein Leben lang. Was mich an dieser Sprache interessiert, ist - kurz gesagt - dass sie nicht nur als Werkzeug vorhanden ist. Natürlich kommt sie mir in den Sinn aber was ist das für ein Sinn und was bedeutet er für mich? Das, was sie mir ermöglicht, sind beiläufige Geschehnis, Gefühle, Einsichten die etwas hinterlassen, die möglicherweise Handlungen erzeugen und weitere Gedanken hinterlassen. Diese Bindung spielt eine, Rolle für mein Umgehen mit anderen Menschen. In diesem wunderbaren Irrtum gehört sie, die Sprache, mir.
Was mich an der Sprache interessiert, ist die tröstende Sache, dass es kein anderes Mittel gibt, die Wirklichkeit zu begreifen. Zumindest wenn der organisierte Zufall als Urheber sich so benimmt, sich so gebärdet und lebt und lebt wie die Sprache eben in mir lebt. Sie lügt und lügt und erfindet und träumt und phan-tasiert. Was denn? Eine Wahrheit, eine Phantasie und es ist eine meiner Phantasien und meine Wahrheit. Die Sprache an sich gibt es eigentlich nicht. Meine Sprache veranlasst mich zu sprechen und mich zu äussern.
Ich lebe gleichsam in einer Höhle und diese vermittelt das erregende Gefühl einer Höhle, nichts aber von mir oder von meiner Sprache selbst. Was mich an der Sprache interessiert, ist die Tatsache, dass keiner etwas von mir, von meinem Sprachwirklichkeit weiss oder der bisherigen, der gegenwärtigen, der zukünftigen wissen will. Bekannt werden nur Reste, davon. Surrogate. Ein Surplus meines Daseins. Ich beweise etwas mit ihm, der Sprache, und erzeuge damit eine Bindung zur Wirklichkeit, auch wenn die Gefahr besteht diese zu übersehen. Übrig bleibt eine unbekannte Geschichte eines Lebens, das mir zugefallen ist.
Was mich an der Sprache tatsächlich interessiert, ist etwas, das man nur vorsichtig, lückenhaft, behutsam beschreiben oder gar erklären kann. Was mich an durch sie erfundene Wirklichkeit bindet, ist die irrationale Überzeugung meiner Existenz und Gegenwart.
Was mich an der Sprache interessiert, ist ihr doppelter Boden. Einerseits trägt sie mein Ich, zugleich stelle ich aber mit dem Sprechen ein Bild von mir her, das in keiner oder nur irgendeiner Beziehung zur Wirklichkeit der anderen steht.
Was mich ans Sprechen bindet, ist, dass die anderen weder meine Sprache noch mein Vorhandensein erkannt haben, zumindest nicht mein Vorhandensein in einer Welt der Tatsachen mit der ich, nichts, absolut nichts zu tun habe. Dazwischen ist die Sprache tatsächlich so etwas wie Wirklichkeit. Was mich an der Sprache interessiert, ist mein Bewusstsein. Oder so etwas. Bis zur Bewusstlosigkeit. Gesprochen ist etwas, wenn ein Gegenstand, herausgehoben aus der Welt, in eine semantische Interaktion mit dem Modell einer Welt tritt.
Literatur entsteht, wenn meine Erfahrung einer Welt einen symbolischen Wert erhält und mit den Dingen, die ich aus der Welt nehme, in Konflikt gerät.Die Sprache ist künstlich.
Die Kunst zu sprechen. Damit ist gesagt, dass etwas, das gewöhnlich ausgeführt wird, ohne dass dabei auf die Art der Ausführung geachtet würde, nur so ausgeführt werden kann, als sei man im Besitze einer privilegierten Sichtweise, als sei jeder Akt un-mittelbar reflektiert und stünde in Verbindung mit einer Wirklichkeit, also mit einem Hauptziel, das erkannt werden kann.

Nun, Sprache, im Gespräch, in der Rede, aber weil schwarz auf weiss vor allem im Geschriebenen, stellt etwas zur Schau, ist jene Art von Schaustellung, die hinter der Verwendung von Worten und Sätzen so manch einen, der etwas zu sagen wünscht, es aber nicht wagt, zu einem Vorauswissenden, einem Helden macht, hinter dem sich die Zweifel und Ängste eines Bewusstseins, eines Ichs verbergen. So gesehen ist jeder ein Dichter, ein guter, aber im besonderen, ein eigener Deuter und jedes Geschriebene, Gesagte wird zu einer mehr oder weniger getarnten Autobiographie, ein Notizbuch des Bewusstseins, eine Geschichte mit wirklichkeits-entfremdeten Akteuren. Ich gebe zu, dass mich immer weniger interessiert, was einer sagt, als das, was einer sagen will, wollte oder träumt. Mein Interesse liegt nicht im Wirklichen, sondern in den Phantasien und Träumen anderer und meinen. Der Narzismus, der hier anklingt, ist von dem, was Cioran den Pathos des Intellekts genannt hat, nicht zu trennen. Die Natur des Ichs ist sein Pathos. So oder so.
Das Sprechen ist eine Art von connecting link zwischen dem Bewußtsein und der vermuteten Wirklichkeit, in die ein Mensch sein Ich stellt. Die Gedanken des Ichs über sich und die Welt um sich machen aus Leben Schicksale, aus Erinnerungen nützliche Akte der Reflexion und geben der Zeit eine gelenkte Bedeutung. Aber diese Wandlungen können sich nur im anderen vollziehen. Ich zwinge dem anderen ein Gespräch auf und fordere vom Zuhörer individuelle Deutungen, ein Mass an Identifikation, Gedankenflüsse mit Stehbildern, Gefühlen und mehr. Genau gesagt, heisst das: ich billige dem anderen etwas zu, von dem ich nichts oder irgendwann - wenn überhaupt etwas - erfahre. Durch das Ich in dieser Wunderwelt habe ich in aller Radikalität einen Pakt mit der Sprache geschlossen, den ich einzuhalten habe. Als Mensch fordere ich damit jene Empfindsamkeit im Alltag und in der Sprache, die vielen immer mehr abzugehen scheint.

Der Zirkelschluss des Ichs ist unentrinnbar. Die Natur des Ichs ist sein Pathos. Und die Wirklichkeit ist das Verdrängte.
Sprechakte, könnte ich behaupten, sind die Verdrängung der Wirklichkeit über die Sprache, eine Fiktion. Wie das Ding an sich. Die Wirklichkeit an sich. Worte an sich.
Der bevorzugte Ort des Vorgehens ist mit dem Alphabet als Werkzeug die grosse, unendliche Bibliothek, in der alle Zeichen, in all den unzähligen bewusstseienden Bewusstseinsstrukturen mit allen Löchern, Lücken und Fugen und Ritzen und Zu - und Abflüssen, Eingängen und Ausgängen und Übergängen aufbewahrt sind. Ein Arbeitsfeld, das nicht zwischen Sein und Schein unterscheiden lässt. Jeder Buchstabe, jedes Wort ist eine Metapher für etwas. In die Zukunft verlege ich meine Hoffnungen. Mit diesem Ritual revan-chiere ich mich in Gedanken für die Unfreundlichkeiten der Welt in der Gegenwart. Gleichsam stelle ich ein zukünftiges Wohlergehen der gegenwärtigen Armseligkeit gegenüber. Die Zukunft ist sozusagen das Traumland, ein Lunapark wie die Freiheit.
Mehr oder weniger wird dieser Trick von mir mit Erfolg betrieben; denn wenn die Zukunft erfunden ist und sie nicht so ausschaut wie ich will, ist sie nichts anderes als eine Lüge. Und wenn es mir tatsächlich gelingt, etwas zu erfinden, blicke ich auf die Vergangenheit, also die derzeitige Gegenwart und denke: Ich habe meine Wirklichkeit und mein Ich in die Welt gesetzt. Jeder hat doch das Menschenrecht, zu träumen.
Es gibt zwar Spezialisten, Mechaniker, Entstörer für das Ich. Psychologen. Aber auch diese architects of ego changing verhalten sich hilflos den Ichs gegenüber, vielleicht wie die Kinder im Wald. Die unschuldigen Wesen sehen nicht den Wald, sondern nur die Bäume. Die schuldigen Psychologen sehen nicht das Ganze, den Menschen, sondern nur, ja was ? Symbole und Symptome als Nährboden unglaublicher Deutungen. Im Grunde sind Psychologen tatsächlich wie Chauffeure von Omnibussen, die einem Luftschiff nachfahren. Es schwebt in der Ferne, der Busfahrer versucht es einzuholen, aber das Schiff mit den Ichs verschwindet, hinter einer Wolke viel-leicht. Der Fahrer versucht es überall aufzustöbern und fragt und redet und redet und deutet, als hätte er es wirklich gesehen. Er stellt Mutmassungen an, weil er nicht aufgeben darf.

Die Sprache ist subjektiv determiniert.
Sprechen macht also keine wahren Sätze, sondern solche, deren Gehalt durch sie verändert wird. Gleichsam eine Poetisierung der Wirklichkeit. Der Gang in die Innenwelt und daraus die Erschaffung von Wirklichkeit. Sprechen ist also eine Art von Verkettung, die das gedankliche Feld, den gedanklichen Raum mit ihrer subjektiven Bestimmung bis zum Widerspruch treibt und dadurch Aussagen unbe-stimmbar macht. Mehr oder weniger ein unvollständiger Vorgang Die Qualifikation von Sprachgebrauch ist also die Doppeldeutigkeit, Unbestimmbarkeit, Unvollständigkeit, die Beziehung zum Erkannten, mehr oder weniger das, was Carl Einstein sagte, wenn er von der assoziativen Kraft des Wortes spricht. Der Zugang zur Welt ist indirekt.
Ein Selbst, ein Ich, ist nur in dem Mass eine selbstbestimmte Grösse, wie es seine eigene, fremdbestimmte Konstitution über-codiert. Die Sprache beweist also nichts anderes als dass sie besteht und aus der Form Inhalte erzeugt. Sowie Maturana sagt, sind selbstmodifizierte Systeme auf ihre eigene Struktur der Sprache verpflichtet, nicht aber auf sie reduziert. Sprache ist wie die Psyche strukturdeterminiert. Sie muss sich stets selbst verwandeln, um zu überleben. Diese Verwandlung ist nicht methoden- sondern subjektbestimmt. Durch diesen Trick, mehr ist es nicht, findet meine Innenwelt, mit der ich alle Wahrnehmungen überschreibe und abwandle, den Zugang zur Aussenwelt.
Die Modifikationen der Welt, die das Ich, das Subjekt als flexibel konstituieren, sind nichts anderes als ein Prozess, der sich in Gang hält, indem er sich zu grossen Teilen entzieht und verändert.
Der Wert der reinen Zeichen, der Sprache, entzieht sich unserem Zugriff. Es sind ausnahmslos nach Morris sign vehicles einer sprachlichen Welt. Dabei verändert sich die Objektivität der Erkenntnisse durch das Subjekt. Gesprochene oder geschriebene Worte definieren sich in den ständigen Variationen und Flexionen des Subjektes und dem Gebrauch der Sprache. Lieber eine Aporie und Antinomie als die direkte Erkenntnis.
Freud sagt: Was man nicht erfliegen kann, muss man erhinken. Das rechtfertigt einerseits die Variations- und Abweichungslust des Sprechens und Schreibens genauso wie die Neurotisierung des Menschen. Die Sprache ist wie die Seele überdeterminiert.
Was man nicht beschreiben kann, muss man erlügen, heisst es in der Literatur.
Der Gebrauch der Sprache und die Neukonstruktion von Regeln sind die formalen Grundlagen des Inhalts, der als Sprechakt erscheint. Mehr oder weniger Konventionen.
Wahrnehmungen werden nicht empfangen, sondern aktiv erzeugt. Die Sprechakte könnten als Driften von Zeichensequenzen gesehen werden, das kraft einer Übercodierung möglich wird. Die Drift der Zeichen und Bedeutungen, die das, was sich in ihnen ausdrückt, unmerklich verschiebt, bis, vom Prinzip der Stillen Post geleitet, Widersprüche verbunden und Abkömmlinge gebildet sind, die ihren eigen Ausgangspunkt modifizieren und dabei den Sprecher unberührt lassen, obwohl er der Grundfaktor ist. Eine Sprache ist wie das Unbewusste ausgebildet und bildet über vermutete Strukturen ihren eigenen fiktionalen Sachverhalt ab.
Die Fabrikation der Fiktionen.
Der Sinn als Schatten der Wirklichkeit.
Was ist der Sinn eines Satzes? Eine solche Frage verführt in mancher Richtung. Uns ist, als ob der Sinn ein Schatten sei, der hinter den Zeichen steht, ein Schattenbild der Wirklichkeit, die der Satz darstellt. Diese Auffassung mag davon hergenommen sein, dass uns manchmal beim Aussprechen oder Hören des Satzes wirklich ein Vorstellungsbild dieser Wirklichkeit vorschwebt. Ist nun dieses Vorstellungsbild der Sinn? Aber wie kann uns dieses Bild prinzipiell weiterführen? Wie kann es zwischen Zeichen und Wirklichkeit vermitteln? Dann brauchte es ja einen Schatten jenes Schattens usw.
Edward Sapir sagt:
Menschliche Wesen leben weder nur in der objektiven Welt noch allein in der, die man gewöhnlich die Gesellschaft nennt. Sie leben auch sehr weitgehend in der Welt der besonderen Sprache, die für ihre Gesellschaft zum Medium des Ausdrucks geworden ist. Es ist durchaus eine Illusion zu meinen, man passe sich der Wirk-lichkeit im wesentlichen ohne Hilfe der Sprache an und die Sprache sei lediglich ein zufälliges Mittel für die Lösung der spezifischen Probleme der Mitteilung und Reflexion. Tatsächlich wird die Reale Welt sehr weitgehend unbewusst auf den Sprachgewohnheiten der Gruppe erbaut... Wir sehen und hören und machen überhaupt unsere Erfahrungen in Abhängigkeit von den Sprachgewohnheiten unserer Gemeinschaft, die uns gewisse Interpretationen vorweg nahelegen.
Wenn ein Satz als das Instrument der Wahrheit angesehen wird wie Wittgenstein es wollte, dann muss er, der Satz, Wahrheit realisieren. Aber durch die Behauptung allein wird Wahrheit nicht realisiert. Wenn also ein Satz von sich selbst sagt, er sei wahr, sagt er nichts aus, sondern ist ein Tautologie. Die Wahrheit bleibt also immer eine Leerstelle. Wie die Wirklichkeit.
Die Menschen treiben ein Spiel mit der Sprache.
Sie ist die Musik, mit der wir Schlangen beschwören, die einen fremden Schatz hüten, sagt Ambrose Bierce.
Ein gewagtes Spiel. Die Sprache bringt etwas ins Spiel; die Sprache hat die Finger im Spiel.
Es sind Spiele ohne Plan, da ihr Zweck in ihnen selbst liegt und sie keinen Beitrag zur Veränderung der äusseren Wirklichkeit leisten. Sie lassen sich als Verstandesspiele bezeichnen, welche nicht streng determiniert sind. Innerhalb der Sprache wird eine künstliche Umgebung hergestellt und die Auseinandersetzung findet mit der geschaffenen Umgebung statt. Die Sprech- und Denkakte stellen nun eine Form des Spiels insofern dar, dass sie eine eigene Realität konsti­tuieren. Diese Spielwirklichkeit ist eine sprachliche, wobei sich das Sprech- und Denkspiel in der Terminologie der Spieltheorie als Spiel mit Zeichen benennen lässt. Die durch die Sprech- und Denkakte produzierte Realität ist ein seman-tischer Raum. Voraussetzung für das Stattfinden der Sprech- und Denkspiele, ist der Rückzug aus dem Raum der Alltäglichkeit.
Das Material dieser Spiele ist die Sprache. Sie wird thematisiert. Das Verhältnis der Sprache zur Wirklichkeit lässt sich als ambivalentes bestimmen. Man spricht der Sprache die Fähigkeit ab, Wirklichkeit adäquat zu erfassen. Diese, die Wirklichkeit wird durch die Sprache zu einem semantischen Raum. Das primär Irreführende bei der Sprache ist, dass sie uns mittels ihrer grammatikalischen Regeln zum Glauben verleitet, es existierten ausserhalb der Sprache entsprechende Kategorien. Auf diese Art entstehen illusionäre Vorstellungen über Begriffe wie: Ich, Wille, Bewusstsein, Sein.


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