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Sprachgebrauch und Welteinsicht


Korrespondenz zwischen österreichischer und deutscher Literatur

© by Helmut Eisendle

Wie es den Gepflogenheiten des Literaturmarktes entspricht, sind österreichische Autoren genötigt, ihre Arbeiten in Buchform, für das Theater oder für Rundfunk und Fernsehen in der Bundesrepublik Deutschland zu veröffentlichen. Dieser Umstand ist nicht erfreulich, sondern drückt nur die Dürftigkeit des heimischen Verlagswesens aus. Wäre unsere Sprache nicht dem westlichen Nachbarn verständlich, wären wir in der Situation der Finnen, Sorben und Kurden. Es ist keine Frage, ob das der österreichischen Literatur schaden würde. Den heimischen Autoren steht trotz alledem ein weites Feld zur Verfügung.
Die Sprache ist die Allerweltshure, die ich zur Jungfrau mache, sagt Karl Kraus und meint damit vielleicht auch unsere Muttersprache Deutsch, die nun einmal das Medium der österreichischen Literatur ist und bleibt. Diejenigen Autoren, die dem Volk aufs Maul schauen und geschaut haben z.B. H.C. Artmann mit ana schwoazzen tintn, Stelzhammer, Nestroy und Anzengruber oder Weinheber haben eine Erweiterung der deutschen Sprache, bezogen auf unser Land vollbracht, doch aber für die Bundesrepublik mehr oder weniger Exotisches geboten. Keine nationale Gebärde wie die Schweizer es mit Stolz und Überzeugung machen, überkam die Österreicher. Durch den Umstand, dass in Österreich deutsch geschrieben wird, entstand schnell und auch mit leicht imperialistischen Ambitionen der Endruck, wir wären zwar nicht unbedingt Deutsche, doch aber Zuträger für die deutsche Literatur.
Wie unterscheidet sich aber die deutsche von der österreichischen Literatur ?
Ein Deutscher ist ein Mensch, der keine Lüge aussprechen kann, ohne sie selbst zu glauben, meint Adorno.
Ein Österreicher hingegen, glaube ich, ist ein Mensch, der die eine oder andere Lüge ausspricht, aber nie glaubt, dass sie eine ist.
Das heutige Österreich ist jene deutschsprachige Minderheit, die es geschafft hat, einen Staat aus sich zu machen. Der Rest einer vielsprachigen Monarchie von Gottes Gnaden, umgeben von slawischen Völkern, von Ungarn im Osten, Italienern im Südwesten, Schweizern und Bayern im Westen. Letztere sprechen angeblich deutsch.
Der mehrsprachige, fliessende Übergang des Kronlandes zu seinen Nachbarn in allen Himmelsrichtungen, von Cilli bis Varazdin, von Laibach bis Agram, von Pressburg bis Prag, ist aus politischen Gründen abgeschafft worden, um sich mit einer nationalen Gebärde vom ehemaligen Herrscherstaat abzusetzen.
Bedingt durch die Geschichte ist es gleichsam ein sprach-verunsicherter Raum, in dem wir uns seit achtzig Jahren befinden. Die Österreicher habe keine Wortgewalt wie die Schwyzer Deutschen zustande gebracht, sondern - wenn überhaupt - lokale Unterschiede in der Umgangssprache toleriert. Der Staat lässt sein Volk in der Schule Hochdeutsch lernen und schreiben, gedacht wird aber österreichisch.
Und das trotz oder wegen der böhmischen Grossmutter und den Onkeln und Tanten aus Slowenien und Kroatien. Die Sprache der Nachbarn blieb und bleibt uns mehr oder weniger verschlossen.
Mit keiner Sprache kann man sich so schwer ausdrücken wie in der Sprache, sagt Karl Kraus.
Nach meinen langjährigen Aufenthalten in Spanien, Italien, Holland und der Bundesrepublik Deutschland bin ich zur Ansicht gekommen, dass wir zwar notgedrungenerweise deutsch schreiben und mit einem Akzent sprechen, das aber verbrämt mit der Eigenart unserer Mentalität, durch die wir mehr mit Gefühl als mit Vernunft reagieren. Es ist als Relikt die Mentalität eines Vielvölkerstaates von Königsberg bis Ragusa, das dem Österreicher ein Potpourri von Eigenschaften verpasst hat.
Einerseits ist es also die Verunsicherung, welche die Sprache im Reststaat einer Monarchie auslöst, andererseits die Vielschichtigkeit der Mentalität.
Auf die Literatur bezogen, verfolgen wir Traditionen des K&K - Staates, von denen die österreichische Gegenwartsliteratur entweder aus Sentimentalität oder aus Trotz gegen oder für den grossen Nachbarn Deutschland lebt. Joseph Roth aus Brody, Rainer Maria Rilke, Johannes Urzidil, Franz Kafka, Max Brod, aus Prag, Andreas Okopenko aus Kaschau, Elias Canetti aus Rustschuk, Hermann Ungar aus Boskovice, Ernst Weiss aus Brünn, alles Österreicher wie man sagt.
Gegenwart und Vergangenheit. Es bedarf nur eines leichten Aufflaumens der Gegenwart - als kraulte man den Bauchflaum einer Gans - und die Vergangenheit wird sichtbar, die unberührte, wie das reine Weiss dicht am warmen Bauche des Vogels.
Zugehörigkeit. Eine der niedrigsten Tendenzen des Menschen ist: irgendwo dazugehören zu wollen. (Heimito von Doderer)
Natürlich kann man das umkehren. Das gegenwärtige Österreich benimmt sich so, als gehöre alles zu ihm dazu.
Neben der Bedeutung der altösterreichischen Literaturgeschichte sind es vor allem Fritz Mauthner und Ludwig Wittgenstein, die durch ihre sprach - kritischen und philosophischen Arbeiten Einfluss auf die neuere österreichische Literatur ausgeübt haben.
Will ich emporklimmen in der Sprachkritik, die das wichtigste Geschäft der denkenden Menschen ist, so muss ich die Sprache hinter mir und vor mir und in mir vernichten von Schritt zu Schritt, so muss ich jede Sprosse der Leiter zertrümmern, indem ich sie betrete. Wer folgen will, der zimmere die Sprossen wieder, um sie abermals zu zertrümmern.
Meine Sätze erläutern dadurch, dass sie der, welcher mich versteht, am Ende als unsinnig erkennt, wenn er durch sie - auf ihnen - über sie hinausgestiegen ist (Er muss sozusagen die Leiter wegwerfen, nachdem er auf sie hinaufgestiegen ist.)
Beide drücken damit aus, dass die Sprache, auch die deutsche, nicht imstande ist, die Wirklichkeit zu erfassen.
Meinten sie damit die österreichische Sprache oder die deutsche der Dichter und Denker ?
Sie meinten die Sprache als solche.
Das bedeutet auf die Literatur bezogen, dass neue Wirklichkeiten und Welten zwar mit ihr geschaffen werden können, die Beschreibung der äusseren Welt aber versagen muss.
Das heisst, unter welchem Einfluss immer neigt die österreichische Literatur wie jede dazu nicht die Wirklichkeit abzubilden, sondern mit der Sprache als Mittel ein Spiel mit der Realität zu treiben. Im Unterschied zu Österreich lautet der Befehl der deutschen Welteinsicht und Geisteshaltung, dass das Wort ein Mittel zur Erkenntnis der äusseren und inneren Wirklichkeiten sei, andererseits hat das literarische Werk Denkmäler der Kultur zu setzen und mit einer Kunstsprache zu begreifen, was der Umgangssprache unmöglich scheint.
Die österreichische Geisteshaltung dagegen vertraut gewollt oder ungewollt auf die Traditionen des Riesenreiches einerseits und geniesst andererseits gleichsam die Sprachunsicherheit des status quo, indem sie sadomasochistisch die Sprache zum Thema erhebt.
Natürlich hat das Sprachverhalten der Österreicher wie auch der Deutschen oder Schweizer eine zwingende Beziehung zur jeweiligen Mentalität des Landes, die hinter dem dudenhaften Deutsch verschwindet.
Wenn ich an einige Autoren denke, kann ich vermuten, dass Literatur stets aus sprachverunsicherten Zonen kommt: Horvath, Brod, Saiko, Weiner, Perutz und Soyfer sind nur einige Beispiele.
Was den Österreicher von den Deutschen unterscheidet, ist die gemeinsame Sprache, sagt Kraus.
Und ironisch meint Hugo von Hofmannsthal: Der Deutsche hat eine ungeheure Sachlichkeit und ein sehr geringes Verhältnis zu den Dingen. Wir alle haben keine neuere Literatur, sondern nur Goethe und Ansätze.
Und Grillparzer, Nestroy, Musil, Kafka, Doderer und Schnitzler ?
Nichts gegen Goethe.
Zwei deutsche Autoren, deren radikale Ansätze in der Bundes-republik Deutschland konsequent ignoriert worden sind, scheinen für meine Gedankengänge erwähnenswert: Rohland Opfermann und Carl Einstein.
Teutsch oder die Hässlichkeit der Sprache. Ich bin ein Schnell-feuergewehrtonband Gottes. Die falschgeschriebenen Worte sollen beim Leser neue Klanggärten machen. Heute mache ich mittels Zunge mich wieder vor anderen unmöglich. Weisst nicht ob dies Schreiben - es ist gewissermassen nur eine Entkrampfungsübung - vor dem Schlafengehen überhaupt einen Sinn hat.
Europa ist eine abgenützte Scholle, die allenthalben zerbröckelt. In Deutschland vor allem leidet der Geist an allgemeiner Müdigkeit. Ein verlorener Krieg und dann, noch schlimmer, eine abgetriebene Revolution haben Skeptiker geschaffen. Die wahren Ursachen solcher Erfolge schnarchen unter den Bettüchern der politischen Lage. Geist nennen wir eine Puddingmischung, wabbelig, unkontrollierbarer Gemeinplatz. Aber unseren Autoren selbst mangelt es an einer Richtung; schon vor dem Krieg schrieben sie Bücher von bequemer Menschenfreundlichkeit; man schwitzte Güte und Formauflösung.
Die politischen Ereignisse brachen los, aber die Schriftsteller zeigten sich ihrer Aufgabe nicht gewachsen. Und dennoch gab es in Deutschland etwas, was Literatur heissen kann; irgendetwas schlecht Bezahltes, frierend und mit den Zähnen klappernd, das unbemerkt vorübergeht und ohne Wirkung bleibt.
Dass diese undeutschen Deutschen keinen Erfolg gehabt haben, ist nicht verwunderlich, haben doch Martin Walser und Bodo Kirchhoff einen überirdischen, weil das, was sie verfassen, der deutschen Mentalität entspricht.
Unsereiner - ein österreichischer Autor - hat in Deutschland nur Erfolg, wenn er sich zum deutschen Äffchen verzaubert und seine Sprünge macht wie Felix Mitterer mit der Pifke - Saga, einen einfachen Realismus vertritt wie Peter Turrini oder missionarisch wird wie Peter Handke, alle ein wenig hinter Botho Strauss her, der nicht wie die meisten Deutschen links denkt und rechts handelt, sondern tatsächlich rechts denkt und, Recht bekommt und rechts reagiert
Obwohl derartige Erfolge voraussagbar scheinen, lässt das Feuilleton wie das literarische Quartett viele wegen Ungehorsamkeit im Sande stehen.
Sprachfixierte Literatur wie von Arno Schmidt oder Joyce, Musil oder Priessnitz, Czernin oder Schmatz oder die ichbezogene Prosa von Innerhofer werden von der Kanzel und den an das Quartett fixierten Journalisten abqualifiziert oder als Reflexliteratur verspottet; nicht Joyce und Musil. Nein, die nicht oder doch, vielleicht doch ?
Die obligate, obsolete und praktizierte, vorbestimmte Vorgangsweise des Literatur - Herstellens, das oft ein Literatur - Hinstellen ist, diese Vorgangsweise wirkt wie ein Repräsentationsspektakel, das unter den heimlichen Kriterien: name-dropping oder bestsellering läuft. Von der Saga bis zur hundertsten Folge im Vorabendprogramm des Fernsehens.
Ein Text ist in seiner Art vollkommen, wenn er eine Begierde des Lesers und des Autors zugleich befriedigt. Jeder, der eine Idee von Interesse empfindet, muss das Spiel mit den normativen Prädikaten verweigern. Eines einzelnen Menschen Einstellung zur Literatur hat mit Lust und Begierde - ein Synonym für Interesse und Freude am Lesen - zu tun wie eines einzelnen Menschen Einstellung zur Sprache selbst. Dass diese Begierde einen trügerischen Charakter im Autor und im Leser besitzt, ist offenbar. Hier das Geschäft, der Erfolg, die öffentliche Wirkung, dort das Imponiergehabe, der kleine Vorteil im sozialen Gefüge. Die meisten Menschen leiden an der Schwäche, zu glauben, weil ein Text, ein Stück Literatur vorhanden sei, müsse es für etwas vorhanden sein; das Geschriebene ist vorerst nicht für etwas, sondern für irgendwen vorhanden. Den Autor und den Leser. Wenn nun der Leser nicht fähig ist mit ähnlichen Intentionen wie der Autor zu reagieren, wird er das Stück Literatur zwar für gut oder unnütz, schlecht oder nützlich halten, nicht aber erkennen, was der Urheber eigentlich wollte.
Wir knien vor einem Bild, einem Gedicht, einer Musik nur nieder, wenn sie wenigstens mit einem Wort, einem Detail, einem Ton dasselbe zustandebringen wie jene Weltausstellung von Träumen und Erinnerungen, hat ein grosser Dichter gesagt.
Die österreichische Literatur beweist vor allem, dass sie besteht. Mehr nicht. Ob sie gut ist oder schlecht. Der Unterschied zur deutschen ist nicht so wichtig, da die Treue der Literatur zur gesinnungsfreundlichen Berichterstattung genauso eine Eigenart darstellt wie die Fixierung auf die Sprache, der Einbezug der Traditionen einer Monarchie mit viel Hinterland und der daraus entstandenen Mischung vieler Mentalitäten, die nun einmal die österreichische ist.
Die Auffassung von Wirklichkeit ist hierzulande jedenfalls eine andere, ob bei Jandl, Joseph Roth, bei der Bachmann, Gruber oder Okopenko. Vielleicht ist sie so ähnlich wie die von Franz Mon, Johannes Schenk, Günther Bruno Fuchs oder Paul Wühr. Eben unwirklich oder anders. Unter Umständen eine literarische Wirklichkeit. Grass wird das schon wissen, was wirklich ist, genauso wie Süsskind oder Kempovsky. Oder John Updike. Das sieht man am Erfolg. Wenn dieser das Kriterium ist. Die andere Wirklichkeit ist eben anders.
Reinhard Priessnitz:
der blaue wunsch/ dass das zu schreibende ein anderes wäre, so wie das andere das zu schreibende ist,/ wie es auch beginne, dem gleichenden zu lauten; laufen, dass das zu schreibende/ dieses sei, anders als dieses, das dieses/ so anders beginne, stets gleich, lautend:/ dieses zu schreibende wäre, anders begonnen,/ eines anderen lauf, dass das laufende stete/ andere, das dieses sei, gleichlautend wäre,/ dem anderen als zu schreibendes zulaufend,/ als beginnendes, anders zu sein, gleich laut/ stets, des andern stille, dass das begonnene/ das anders zu schreiben sei, das von beginn/ anders wäre, wie es auch laute, ein schreiben,/ das laufe: gleich diesem beginn, als des anderen/ laut, dieses: dass das andere ein zu schreibendes/ wäre, so wie das zu schreibende der beginn/ eines anderen ist, das diesem gleich sei,/ anders: schreiben laufe als anderes, anderem zu,/ das, wäre es dieses, das so laufende schreibe.



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