© Franz Krahberger
Der Eintritt des neutralen Österreichs in die Europäische Union 1995 kam
überhaupt erst durch die Veränderung der weltpolitischen Lage, durch den Zerfall und
Zusammenbruch des sowjetischen Systems zustande. Die Sowjets wachten eifersüchtig
über die Einhaltung der immerwährenden Neutralität und die Bündnisfreiheit des Landes.
Intellektuelle und AutorInnen wehrten sich bis zuletzt gegen den längst überfälligen Beitritt
Österreichs zur Europäischen Union. In den 80 er Jahren wurde anlässlich einer
Generalversammlung der Interessengemeinschaft österreichischer AutorInnen
über das für und wider einer Annäherung an die europäische Union abgestimmt. Von
etwa sechzig Anwesenden stimmten ich und ein zweiter Kollege dafür.
Polemisch wurde der Beitritt zur Europäischen Union mit dem Anschluss gleich gesetzt,
obwohl dies völlig unsinnig ist. Ein Beitritt zur europäischen Union ist eben kein
Anschluss an Deutschland. Es gab damals eine Diskussion um die Beteiligung der
WAZ an der Kronenzeitung. Diese Fusion wurde dazu benutzt, auch den europäischen
Gedanken zu diskreditieren.
Es gab also einen linken anti-europäischen Standpunkt ebenso, wie es den extrem
nationalistischen Standpunkt der Neuen Rechten gibt, der sich nach wie vor zu
Wort meldet, und vom Europa der Vaterländer spricht, betont anti-französisch
ist, obwohl das Europa der Vaterländer eine Erfindung De Gaulles gewesen ist.
Tatsächlich kam noch eine andere spezifische Eigenheit der österreichischen
Autoren hinzu. Anfang der siebziger Jahre, im Wechsel von den Konservativen zu
den Sozialdemokraten, wurde die Grazer Autorenversammlung aus Protest gegen den
österreichischen PEN Club gegründet. Tatsächlich war dieser PEN Club ein Hort
der Konservativen wie Kalten Krieger. Zur Durchsetzung eines der wesentlichen
Ziele der Grazer Versammlung, die Gründung eines zweiten autonomen österreichischen
PEN Zentrums ist es jedoch nie gekommen.
Ab da an schienen die PEN Mitglieder die Weltbürger und die Grazer die
Vertreter des Regionalen zu sein.
So ist die Grazer Autorenversammlung in regionalen Perspektiven wie Sehweisen
stecken geblieben. Abgesehen von den ausgezeichneten Verbindungen einiger prominenten AutorInnen
der Versammlung zum deutschen Verlagswesen, wurden keinen besonderen Bemühungen
unternommen, eigene internationale Beziehungen zu entwickeln.
Trotzdem überrundete man in der öffentlichen Präsenz den österreichischen PEN Club,
was nun sagen will, dass der international ausserhalb des institutionellen Zusammenhangs auch nichts zu bestellen hat.
Tatsächlich kann man in vielen Fällen von einer regional geprägten, spezifisch
österreichischen Literatur der zweiten Republik im Rahmen einer sozialdemokratischen
Kulturpolitik sprechen, die sich sozialer Fragen, der Probleme sprachlicher Minoritäten
und diverser österreichischer Befindlichkeiten angenommen hat.
Den Avantgardisten in und im Umfeld der Wiener Gruppe war der europäische
Gedanke völlig egal. Sie verbanden damit meist das Hochkulturelle,
das sie ohnehin zum Feindbild erklärt hatten und überliessen dieses Feld den
Mitgliedern des PEN Clubs.
Aus dem PEN erwuchs sowohl aus politischen wie persönlichen Interesse und aus
einem Rest von Traditionspflege heraus eine Art mitteleuropäischer Perspektive
österreichischer Literatur.
Immerhin zählten die Länder der Tschechoslowakei, Ungarns und Jugoslawiens
zu jenem grösseren Österreich der Donaumonarchie, dessen Geschichte noch
immer als die schwere Bürde verlorener Grösse auf dem österreichischen, insbesondere
dem Wiener Bewusstsein lastet. Dieser verlorenen Grösse hatte Joseph Roth in sentimentaler Erinnerung ein
abschliessendes literarisches Denkmal gewidmet, das sich eigentlich nicht mehr prolongieren oder strecken lässt.
Konkrete Gestalt nahm dieser mitteleuropäisch orientierte Gedanke jedoch erst in Form
der konservativ und bayrisch inspirierten Alpe Adria Gemeinschaft, die
versuchte regionale Bindungen in Ungarn, Slowenien und in Tschechien
herzustellen
Die europäische Einbindung der neuen Länder aus dem Osten wird diese Form
der Politik erheblich relativieren.
Ich habe 1984 ein Symposion und Event mit Ausstellung, Performances, Vorträgen
und Lesungen, Neue Kunst aus Österreich und Ungarn veranstaltet. Ich musste jedoch infolge und
insbesondere nach der Ostöffnung erkennen, dass es die ungarischen Kollegen alsbald
an jene Plätze zog, an denen sie mehr Geld erwarten konnten, wie etwa nach dem
neuen Berlin.
Die mitteleuropäischen Vorstellungen von Erhard Busek, einem eher liberalkonservativen
christlich-sozialen Politiker und Intellektuellen, der sowohl Amt des
Vizekanzlers und das Amt des Wissenschaftsminister ausgeübt hat, sind ebenso nicht
aufgegangen.
Traditionelle österreichische Unternehmen und Banken, die bereits in der Donaumonarchie
eine Rolle spielten, haben zwar wieder ihren Weg zu den Nachbarn gefunden.
Doch von einer zentralen Rolle Wiens kann nicht die Rede sein.
Während des Kalten Krieges wurde Österreich, insbesondere Wien und Salzburg
gerne für hochrangige Treffen zwischen Ost- und West, und zu Zeiten des
Kongresses für Freiheit zu Treffen von europäischen Intellektuellen mit
amerikanischem Hintergrund genutzt.
In Wien traf Kennedy Chruschtschew vor der kubanischen Krise.Offensichtlich gewann da Chruschtschew den
irrtümlichen Eindruck, den jungen amerikanischen Presidenten über den Tisch ziehen zu können.
Carter und Breshnew unterzeichneten in Wien 1979 den SALT-II-Vertrag zur
Beschränkung der atomaren Rüstung.
Für die Austragung der wirklich entscheidenden Abrüstungsgespräche zwischen dem
jüngst verstorbenen US-Presidenten Ronald Reagan und Michael Gorbatschow
wurde Wien nicht mehr in Betracht gezogen.
Jetzt läuft das kleine Österreich in Gefahr von einem internationalen
Gasthaus, zu dem es von den zwei Supermächten bestimmt worden ist, zu einem transeuropäischen Durchhaus zu verkommen.
In Nordsüd - Richtung im westlichen Tirol ohnehin schon lange in dieser
Funktion, wird der Transit sich in den nächsten Jahren in der Ost West
Richtung ausweiten.
Selbst wenn sich der eine oder andere Nachkomme des Wiener Grossbürgertums
wieder wirtschaftlich in den ehemaligen Kronländern einbringt, die eine oder
andere k&K Fürstlichkeit Schlösser und Latifundien zurück erhält, werden sich
diese Länder nicht an Österreich orientieren.
Nachdem sie die Tatzen des russischen Bären und das starre System
des Kommunismus abgeschüttelt haben, werden sie sicherlich nicht unter die
Klauen des habsburgischen Adlers zurückkehren, dem sie bereits 1918
entflohen sind., den zu zerstören sie mitgeholfen haben.
Es ist jedoch nicht zu übersehen, dass die in Österreich in der Öffentlichkeit über lange Zeit sichtbaren Verfechter der europäischen Idee aus konservativ und monarchistischen Kreisen kommen. Die seitens Otto Habsburg von Coudenhove Calergi übernommene Paneuropa Bewegung hat sich vor allem in den christlichsozialen Parteien Österreichs und Deutschland eingenistet, und dürfte auch ausgezeichnete Verbindungen zur Dachorganisation der europäischen Volksparteien haben.
In Österreich ist die Rückkehrs des Adels in politische Positionen unübersehbar.
Die Paneuropa Bewegung geniert sich längst nicht mehr, auch mit der Neuen Rechten
etwa über die Fleissnerische Witiko Gesellschaft in Verbindung zu stehen.
Weder Warschau noch Prag orientieren sich an Wien. Da blickt man schon
viel lieber in Richtung Washington und Brüssel wird als europäische Pflicht
in Kauf genommen. Bezeichnend, dass diese Länder, bevor sie der EU
beigetreten sind, zu Mitgliedern der NATO wurden und sich so dem
amerikanischen Oberbefehl unterstellt haben.
Das Treffen im Juni 2000 zum 50igsten Jahrestag des Kongresses für
Freiheit in Berlin hat durch die Anwesenheit prominenter Dissidenten Osteuropas deutlich gemacht,
dass es zu einer Neuauflage des Kongresses nach dessen Tätigkeiten in Deutschland, Österreich, Frankreich und England in den fünfziger und sechziger Jahren aktuell in Osteuropa kommen wird. Die Reeducation Osteuropas wird mit amerikanischer Hilfe vor sich gehen, und das alte Europa wird sehen müssen, wo es bleibt.
Die Sozialdemokraten haben kaum eine Perspektive für Osteuropa entwickelt.
Einerseits vermieden sie freundliche Kontakte zu den kommunistischen
Parteien, um nicht als verkappte Bolschewiken zu gelten, und andererseits
hielten sie sich genau an die Moskauer Vorstellungen zur Nachkriegsordnung,
die in Jalta festgelegt worden sind.
Es liesse sich nun eine ganze Menge schreiben über die Traditionen dieses
Europas, mit seinen Anfängen in der athenischen Demokratie, über das kontinental
überspannende römische Reich, von dem wir im wesentlich die Rechtsgrundsätze
des individuellen Rechts und des privaten Eigentums geerbt haben, von der
mächtigen sozial- und kulturbildenden Kraft des europäischen Christentums,
das eigentlich das Bild des heutigen Europas geformt und geprägt hat, bis hin
zur Aufklärung, die zu ungeheuren Umwälzungen in der Neuen Welt, auf dem
eurasischen Kontinent und in Europa geführt hat.
Noch immer sind sich viele Menschen nicht bewusst, dass sie nach Verfassungen
leben, die ihren Ursprung in der Aufklärung, ihre Wurzeln in der grossen
französischen Revolution, die das alte feudale, absolute und katholische
Europa erschüttert und nachhaltig veränderten, haben.. Eine Geschichte die uns noch
bewegt und in der es noch immer Kräfte gibt, die das Rad der Zeit zurück drehen
möchten.
Dieses makaber wirkende Schauspiel eines von der katholischen Kirche über jahrtausende
hinweg gepflogenen Reliquienkults und offensichtlich von königstreuen Legitimisten
aktuell öffentlich wirksam neu in Szene gesetzt, und von einflussreichen europäischen TV-Stationen übermittelt, zeigt, dass der feudale Traum noch nicht völlig ausgeträumt ist.
Wenn nun von bestimmten kirchlichen Kreisen darauf insistiert wird, die
gestaltende Kraft des Christentums in der europäischen Verfassung ausdrücklich
zu erwähnen, sollten wir nicht vergessen, dass es politische Übung gewesen ist, bis
hin zum der Gegenreformation folgenden Absolutismus, einen von der
Kirche nach göttlichem Willen gesegneten Herrscher ins Zentrum der politischen
Macht zu stellen, dem sich die Stände unterzuordnen hatten.
Was in der Kirche heute intern als päpstlicher Zentralismus funktioniert, dem
alle anderen kirchlichen Institutionen nachgeordnet sind, könnte sich so auch
wieder in das öffentlich demokratische Leben einbringen.
Bei Betonung der christlich europäischen Tradition drängen sich die Erinnerungen an die
dunklen Seiten der Geschichte der Kirche auf. Es ist müssig, an die Inqusition der spanischen Kirche zu erinnern, an die Unerbittlichkeit christlicher Herrscher wie etwa des europäischen Einigers Karl des Grossen, des ungarischen Stefan des Heiligen und des Gegenreformators Karl des Fünften. Obwohl die drei genannten Herren keineswegs mit missionarischen Anstand ihre Vorstellungen vom christlichen Abendland durchsetzten, im Gegenteil mit der Macht des Schwertes und der Folter den Glauben
erzwangen, gelten sie als Gründerväter Europas. Das mögen sie auch sein, ob sie
in ihren Methoden heute noch wirklich brauchbare Vorbilder sind, sei zweifelnd hinterfragt.
So wird der von der Stadt Aachen gestiftete Karlspreis für völkerverbindende Leistungen
vergeben. Im Jahre 1990 wurde er in einen internationalen Preis umgewandelt,
der vor allem das Ende des Kalten Krieges insofern berücksichtigt wird, indem man
von einer Erweiterung Europas wie auch des Ausbaus des Zusammenschlusses
zu sprechen beginnt.
1923 erschien erstmals sein Buch Pan Europa, in dem Coudenhove einen
europäischen Staatenbund forderte, als den einzigen Ausweg aus der
drohenden wechselseitigen Vernichtung der europäischen Staaten.
Liest man dieses Buch heute, nach dem vollzogenen Beitritt der osteuropäischen
Staaten, erweist sich sein Inhalt wie die Forderungen Coudenhove
gerade zu visionär. Tatsächlich sind fast alle jene Staaten, die damals Kalergi
als potentielle Mitglieder eines vereinigten Europas angesehen hat, in der Europäischen
Union zusammengefasst, im europäischen Parlament vereint.
Coudenhove Kalergi hatte einen klaren Blick für die globalen, wie kontinentalen
Machtverhältnisse und der Verschiebungen, die sich durch Revolutionen
und den Zerfall der alten, monarchischen Ordnungen abzeichnet.
Er selbst stellte sich ein Europa auf demokratischer Grundlage vor, ohne die Begierde´n
hegemonialer und autokratischer Zielsetzungen Die amerikanische Monroe Doctrin formulierte er für Europa um. Europa den Europäern.
Im Jahr 1946 forderte Winston Churchill in seiner berühmten Züricher Rede die Gründung einer Art vereinigte Staaten von Europa, in dem er der Aussöhnung zwischen
Frankreich und Deutschland die zentrale Aufgabe zugewiesen hat. In diesem
Punkt stimmte er mit Coudenhove Kalergi völlig überein. Der hat das Manuskript zu Churchills Rede verfasst.
Für die Bereitschaft Frankreichs zur Aussöhnung stellte Coudenhove den
höchsten Ruhmestitel, den eine Nation geniessen kann: Verkünder und Vorkämpfer
der Menschenrechte in Aussicht.
Coudenhove Kalergi folgt damit durchaus den Idealen der Aufklärung. Er bezeichnet
zwar die europäische Kultur als christlich und nennt als die beiden Pole der
europäischen Kultur den hellenischen Individualismus und den christlichen
Sozialismus. Nirgendwo im Text erwähnt er jedoch eine christliche Sendung
seiner europäischen Vorstellungen.
Doch die aktuelle Paneuropa Bewegung unter der Leitung Karl Habsburgs
tritt ein für ein vereintes Europa nach christlich abendländischen Wertvorstellungen.
Ottos Sohn wird politsch konkret. Österreich hat die einmalige Chance, als Vorhut Mittel- und Osteuropas in der Europäischen Union aufzutreten. Es könnte damit seine alte geschichtliche Sendung im Donauraum und darüber hinaus erneut aufnehmen.
Hat Österreich tatsächlich in einem neuen Europa eine Sendung, oder ist es
bloss der sentimentale Wunsch nach der Wiederkehr von Habsburgs Glorie.
Zeigen sich hier die legitimistischen Züge des künftigen Vorstandes des Hauses
Habsburg ?
In den 80 er Jahren begann in Österreich in den Medien eine Art habsburgische
Renaissance. Die Geschichte der Donaumonarchie wurde allgemein diskutiert,
das ehemalige Herrscherhaus und der Franz Joseph und Sissy Kult rückte
wiederum in den Vordergrund.
Erhard Busek sprach ebenso von der mittel - und osteuropäischen Sendung
Österreichs. Jetzt muss er den Scherbenhaufen im Kosovo verwalten, den
der jugoslawische Bruderkrieg hinterlassen hat.
Man hat alsbald die konkrete Erfahrung machen müssen, dass diese an Wien
orientierte Sichtweise keineswegs den politischen Realitäten entsprochen
hat. Die Budapester Intelligenz war zwar an einem Gedanken und Ideenaustausch interessiert,
doch der wirklich fokusierte Blick richtete sich nach Berlin, nach Paris
und vor allem nach Washington. Das galt ebenso für Prag und Warschau.
So sieht dies auch Coudenhove Kalergi. Er hat 1923 nach dem Zusammenbruch
der Donaumonarchie von einer Befreiung Osteuropas gesprochen. Er sah in
dieser nationalen Revolution sogar eine entscheidende Etappe auf dem Weg
nach Pan-Europa. Der Weltkrieg habe die Entscheidung gebracht.
Nicht das autoritäre Prinzip Metternichs der Heiligen Allianz siegte.
Es gewann das liberale Prinzip über das konservative, der demokratische
Gedanke über den autokratischen. Coudenhove sagt es eindeutig.
Sind Otto Habsburg und sein Sohn Karl dabei, aus einem X ein U
zu schmieden und Coudenhoves Konzeption für ihren Hausgebrauch zurecht zu
biegen ?
Betrachten wir den Ablauf der Geschichte. Nach dem die Katastrophe
eingetreten war, und Europa in jenen weiteren schrecklichen Krieg
verfallen ist, vor dem Kalergi gewarnte hatte und den er mit einem
europäischen Zusammenschluss zu verhindern suchte, konnte die Sowjetunion
ihren Einflussbereich nach dem Westen ausdehnen.
Die Wahl des Polen Karol Woytila zum Papst Johannes Paul II, in
dessen Kür der osteuropaerfahrene Wiener Kardinal Franz König eine
nicht unbedeutenden Rolle gespielt haben soll, erwies sich als ein
effizentester Schachzug der jüngeren Zeitgeschichte. Er öffnete den
Blick der Polen in den Westen und zeigte ihnen eine Alternative auf.
Andere haben da mehr geleistet. Unübersehbar das Engagement Kardinal Königs, der
Dauer seiner Amtszeit den osteuropäischen Diskurs lebendig gehalten
hat.
Anders steht es mit der Interessenslage von Karl Schwarzenberg, der wesentlich den Werdegang
von Vaclav Havel gefördert hat, ihm in Zeiten der Not geholfen hat,
letztendlich Havels erfolgreichen ersten Wahlkampf finanzierte und ind diesem Wege einen Teil der
schwarzenbergischen Familienbesitzungen zurück erhalten hat.
Jetzt rückt Adam Liechtenstein in Wien an, um sich künftige Positionen
im Osteuropageschäft zu sichern. Zeitgerecht liess er die berühmte
Liechtensteinische Bildersammlung nach Wien zurück bringen.
Auf einigen Taxis steht der Slogan: Kutscher, schnell, ins Liechtenstein.
Ob er auch neue Kunst ausstellen wolle. Nein, keineswegs. Kein
modernes Bild soll mehr im Palais gezeigt werden, in das die österreichische
Republik eine Menge Geld investiert hat. Jahrzehntelang diente es
als Museum der Modernen Kunst. Jetzt dient es den neuen Zeiten, die eigentlich
die alten sind.
Ein kleines, aber interessantes Detail offenbarte Liechtenstein in einem
Interview zur Eröffnung der Sammlung. Die Liechtensteinische Sammlung
ist nach der Besetzung Österreichs 1938 durch die Nazis beschlagnahmt worden.
Als sich abzeichnete, dass die Deutschen den Krieg nicht mehr gewinnen
konnten, begannen hochrangige Nazis, etwa Hjalmar Schacht, an die Zukunft
zu denken und man begann von verschiedenen Seiten Kontakte zu
den USA für die Zeit danach zu suchen. Als einer der Vermittler bot sich
der damalige Fürst Liechtenstein an. Im Gegenzug errang er Stück für
Stück eine Transfererlaubnis seiner Sammlung nach Vaduz.
Die europäischen Adelshäuser werden im neuen Europa unübersehbar ins
Licht der Öffentlichkeit gerückt. Live Übertragungen von Hochzeiten,
Begräbnissen und Militärparaden aus Madrid, London, Kopenhagen,
Oslo, Amsterdam, Brüssel, Stockholm verwandeln die europäische TV-Landschaft in eine
Art neuer Yellowpress. Es gibt kaum mehr einen Sender, der sich nicht
einen Hofberichterstatter leistet. In Österreichs besorgt es der Karl Hohenlohe,
nachdem man Karl Habsburg das TV-Geschäft nicht mehr zumuten kann.
In der Diskussion der neuen europäischen Verfassung, wünscht sich
die katholische Kirche ausdrücklich eine Bezugnahme in der Präambel
auf die christlichen Grundwerte in der europäischen Tradition. Der
Konvent und das europäische Parlament ist dem Ansinnen bislang nicht
nachgekommen.
Tatsächlich fragt es sich, ob es nötig ist, abgesehen von der Garantie einer
allgemeinen Freiheit der Religionsausübung, das Christentum in der Verfassung
ausdrücklich zu erwähnen.
Ich bin der Überzeugung, dass ein erlösendes Christentum nicht nach weltlicher
Macht streben sollte. Die Gefahr, erneut einer totalitären weltlichen
Versuchung zu unterliegen, ist zu gross und die Zeit, in der die spanische Falange mit
Hilfe der Kirche und der Nazis die Demokratie niedermachten, so wie ein katholisch determinierter österreichischer Ständestaat die Demokratie ausschaltete, ist noch in schlechter wie dramatischer Erinnerung.
Vor allem befürchte ich den missionarischen Eifer der osteuropäischen Kirchen,
die nach der Befreiung vom Kommunismus sich nun möglicherweise eine erneute
Evangelisierung des europäischen Westens in ihrem Sinne zur Aufgabe stellen.
Ich bin mir dessen bewusst, dass dieses Europa auch ein Erbe der grossen
Anstrengungen der katholischen Orden und ihrer wirtschaftlichen
Leistungen ist. Doch ich halte nichts davon, die europäische Demokratie
nach dem Modell eines Klosters oder nach den Vorstellungen des römisch
deutschen Kaisertums neu zu ordnen. Die innere Ordnung der Kirche ist fundamentalistisch.
In Europa und in den USA ist ein neuer christlicher Fundamentalimus im
entstehen bzw. in Bewegung geraten. Die Argumentationen des Neoliberalismus und
der Neokonservativen, die sich durch George Bush im Weissen Haus vertreten
sehen, decken sich überraschend mit den Argumenten des europäischen
Rechtskatholizismus, mit Aussagen christlichsozialer und christdemokratischer Politiker
in Mitteleuropa. Den extremen Antikommunimus teilt man mit den Neuen Rechten.
Manchmal decken sich die Leseempfehlungen auf townhall mit denen der Berliner On-Line
Zeitung Junge Freiheit, dem Sprachrohr der Neuen Rechten in Deutschland.
Auch diese Zeitung hat einen österreichischen Ableger. Zur Zeit, redigiert
von Haiders ideologischen Berater Mölzer, der gerade für die Europawahlen
kandidiert hat.
Die Sudetendeutschen Landsmannschafen bilden ein nicht geringes Konfliktpotential.
So verführen sie auch die bayrische CSU dazu, zeitweilig betont rechtskonservative Töne anzuschlagen. In den Häusern der Heimat, die von den Vertriebenen in Deutschland und in Österreich errichtet worden sind, werden revanchistische Parolen vermittelt.
Otto von Habsburg, internationaler Präsident der Paneuropa-Union bezeichnete
die Vertiebenen als Vorhut der Zukunft. Eine Formel, die in anderer Weise
auch sein Sohn verwendet.
Die Paneuropa Bewegung ist keine Partei, sie ist eine Sammelbewegung, die
Unterstützung in allen möglichen politischen Gruppierungen und Interessenvertretungen
sucht. Sie hat sich noch nie demokratischen Wahlen gestellt. Otto von Habsburg
besetzte ein Mandat der CSU im Europaparlament und sein Sohn ist mit einem
Mandat der Volkspartei nach Strassburg gegangen.
1989 wurde die letzte österreichische Kaiserin, Zita, die Grossmutter Karls, in der
Wiener Kapuzinergruft beigesetzt. Der ORF geriet in helle Aufregung und
Horst Friedrich Mayer, Nachrichtenchef des ORF und praktizierender Monarchist
prophezeite den Ansturm von einer halben Million Trauergästen aus den umliegenden
östlichen Ländern, vor allem aus Ungarn. Zita war ja auch ungarische Königin
gewesen.
Und die Kapuziner lassen in ihrer knappen Form auf ihrer Homepage wissen,
dies wäre das letzte Begräbnis in der Wiener Kaisergruft gewesen.
Man wollte keineswegs Moskau vergrämen. Auch die konservativen
Regierungen der 2.Republik folgten dieser Regel.
Erst kürzlich ist das über Jahrhunderte in Alkohol bewahrte Herz des
unglücklich ums Leben gekommenen Knaben Ludwig, der eigentlich Ludwig dem 16.
folgen sollte, in einer kirchlichen Feier für immer bestattet worden. Das Herz
ist ihm nicht von blutrünstigen Revolutionären herausgeschnitten worden, die es
als blutige Trophäe bewahrt haben, sondern von einem königstreuen Arzt.
Der erste Karlspreis 1950 wurde an Richard Graf Coudenhove-Kalergi verliehen.
Die von ihm gegründete Paneuropa Bewegung wurde von Otto Habsburg weitergeführt, der diese Geschäft in die Hände seines Sohn Karl gelegt hat.
Zweifellos wurde der Karlspreis an gestandene Demokraten verliehen, und ich möchte auch Coudenhove-Kalergis Bekenntnis zur europäischen Demokratie nicht in Frage stellen.
Den Nationalsozialismus, der ihn in das amerikanische Ziel gezwungen hat,
sah er in gewisser Weise voraus. Er warnte vor einem weiteren Krieg,
angefacht durch die anarchistischen nationalstaatlichen Begierden, der
dann tatsächlich eingetreten ist, und sich zu einem Weltbrand ausweitete.
Nach Beendigung dieses Krieges war Europa geteilt, und jener Teil,
den Coudenhove die kleine Entente genannt hatte, wurde von der
Sowjetmacht unter ihre Kontrolle gebracht. Europa schien auf Dauer geteilt,
alle europäischen Staatskanzleien fanden sich mit dieser Teilung ab.
Erst der Zusammenbruch der Sowjetunion im Kalten Krieg der Hochrüstung
führte nach 1989 zu neuen Perspektiven. Und das unvorstellbare geschah.
Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, die baltischen
Staaten konnten sich aus russischen Sphäre und aus dem sowjetischen
Militärbündnis lösen. Der Weg zu einer gesamteuropäischen Einigung,
wie es Coudenhove visionär gefordert hatte, war frei und ist auch
begangen worden.
Albert Einstein, Thomas Mann, Konrad Adenauer, Stresemann und Aristide Briand
waren Mitglieder der Paneuropa Bewegung.
Die französische deutsche Aussöhnung, vorgetragen von Charles De Gaulle und
Konrad Adenauer, erwies sich tatsächlich als die zentrale Kraft der europäischen
Vereinigung. Umso bedenklicher ist es, wenn dieses Bündnis von deutschnationalen
Revanchisten in jüngerer Zeit und jüngst in Donalds Rumsfeld Unterscheidung
in eine altes und ein neues Europa in Frage gestellt wird.
Genauso bedeutend wie aktuell in seinem Konzept ist der Vorrang des Wirtschaftlichen vor
dem Politischen, der uns heute allerdinsg Beschwerden bereitet.
Im Gegenteil: Jeder Kulturmensch muss daran arbeiten, dass, wie heute die
Religion, morgen die Nation zur Privatsache erklärt wird. Die künftige Trennung
von Nation und Staat wird einen ebenso grosse Kulturtat sein wie die Trennung
von Kirche und Staat.
So findet sich es auf der offiziellen Website der Paneuropa Bewegung.
Allein Belgrad gíng einen eigensinnigen nationalen wie tragischen Weg.
Und so wird es auch künftig sein. All diese Ländern werden die Vermittlerrolle
Österreichs in Brüssel nicht in Anspruch nehmen. Sie werden ihre eigenen
Wege gehen. Österreich ist für sie überholte Geschichte.
Durch den Zusammenbruch der drei letzten europäischen Kaiserhäuser
wurden die unterdrückten Ostvölker frei.
Ostmitteleuropa geriet unter kommunistische Herrschaft. Als einzig
effektive Bewegung des Widerstandes erwies sich in Polen die katholische
Kirche und ihr weltlicher Arm, die Solidarnoc Lech Walensas.
Vor allem Polen wird sich künftig im europäischen Dialog zugute halten,
wesentlich zum Sturz des kommunistischen Sowjetregimes beigetragen
zu haben. Die Ungarn werden an ihren Aufstand 1956 und die Tschechen
an 1968 erinnern, während die westlichen Staatskanzleien inklusive
Wiens sich strikt an die Festlegungen von Jalta und an die jeweiligen
Staatsverträge gehalten, die Teilung in Ost- und West hingenommen
haben.
Gemeinsam mit Ronald Reagan, der auf wirtschaftliche Hochrüstung
setzte und diese auch bei hoher Staatsverschuldung durchgezogen hat,
bezwang er den Sowjetkommunismus.
Gorbatschows Perestroika, Glasnost und Demokratisierungsmodell kam
zu spät, er selbst ist in dieser Geschichte zu spät dran gewesen.
Er wird als der Unterzeichner der Abrüstungsverträge in die Geschichte
eingehen, aber nicht als Erneuerer Russlands.
Die katholische Kirche hatte damit real eine historische Mission erfüllt.
Der polnische Katholizismus erwies sich als Sargnagel des mächtigen
Sowjetsystem.
Obwohl die Paneuropabewegung da herzlich wenig beigetragen hat,
fühlt sie sich offensichtlich als Erbe dieser Mission.
Unbestritten sei, dass in all diesen Bemühungen im Hintergrund amerikanische
Hilfe geleistet worden ist.
Tatsächlich ist diese Geschichte, bis zur europäischen Wiedervereinigung,
die abschliessende Phase des jahrzehntelang anhaltenden Kalten Krieges.
Die amerikanischen Kontakte haben sich für die Liechtensteins ohnehin
bezahlt gemacht. Sie verdienen ihr Geld mit globalen Finanzdienstleistungen
und mit Lebensmittelproduktionen in den USA.
Jetzt erweckt offensichtlich der neue osteuropäische Markt das Interesse.Und
dieser Markt lässt sich von Wien aus besser bearbeiten als von Vaduz aus.
Dieser TV Feudalismus, gespeist von den konstitutionellen Königshäusers und der Neugierde
des Fernsehvolkes , macht offensichtlich einen Teil der neuen europäischen Identität aus.
Hocharistokratie und Kirche setzen ihr jahrtausende altes, gemeinsam
öffentliches Schauspiel im Zeitalter der Neuen Medien fort.
Die verfassungsmässig verankerten Menschenrechte sind ohnehin nicht
allein Erbe der Aufklärung , sondern eben auch Erbe der christlichen Ethik und des
christlichen Glaubens. Es ist die christliche und humanistische Ethik, die uns zusammenhält,
und nicht der eifernde Glaube.
Der dogmatische Fundamentalist ist sich ohenhin dessen bewusst, dass die Kirchenordnung
nicht demokratisch ist.
Eine Reihe von Argumenten erinnern an den Jargon der Kalten Krieger
in den 50 er Jahren, an die McCarthy Zeit. So ist die rechtskonservative
On-Line Publikation townhall.at ein Ableger von townhall.com, die wiederum
von der Heritage Foundation getragen wird, einem Think Tank, der
George Bushs Mannschaft in Washington in Theorie und Praxis unterstützt.
Selbstverständlich führt von der Website der Paneuropabewegung
ein Link zu townhall.at, das sich selbst als konservatives Netz vorstellt.
Diese Überlappungen von neokonservativen und neuen wie alten Rechten ist
aus der jüngeren österreichischen Innenpolitik ohnehin bekannt.
Dies trifft aber auch für den gesamteuropäischen Raum zu. Einen der
sich überkreuzenden Wege nimmt die Paneuropabewegung.
Der ORF rückte mit allen möglichen transportablen Aufnahmeeinrichtungen aus,
baute Kameras auf Kränen auf, liess Hubschrauber fliegen.
Doch was nützt alle versammelte Technik und alles Wunschdenken. Den
letzten monarchischen Trauerkondukt säumten gerade zwanzigtausend Leute.