Der Fressay


© Malte Olschewski

Sehr geehrte Küchenchefs, Kultköche und Haubenträger! Es ist ein äusserst komplexer Vorgang, der am Ende Eurer Künste steht. Nach einer ersten Geschmackempfindung schiebt die Zunge Euer Werk zischen Zähne und Kauflächen. Der Gaumen verwandelt sich dabei in eine Sicherheitsschleuse, worauf das zerkleinerte Menü nicht in die benachbarte Luftröhre, sondern in den Speisekanal gelangt. Hierbei wird der Gaumen gegen das obere Ende des Rachens gedrückt, womit das Zäpfchen den Nasenraum absperrt. Gleichzeitig wird der Kehlkopf nach oben gedrückt, der dann beim Schlucken die Luftröhre abdichtet und die Speisen in kleinen Portionen nach unten in den Magensack drückt. Dann beginnen Magen und Darm mit ihrer Arbeit.

Ein exquisites Amuseguele gefällig? Es wird Ihnen eine Milchkalbsleber serviert, die Sie als ein begnadeter Topgourmet sofort von einer ordinären Kalbsleber unterscheiden können. Das arme Kalb ist bis zur Schlachtung nur mit Milch gefüttert worden. Das liebe Tier darf um Himmelswillen kein Gras fressen. Schon saust der Todeshammer auf das Köpfchen, das nicht einmal mehr =Muh= sagen kann. Dieses Elitefleisch schmeckt doppelt so gut, wenn es in Muttermilch weichgekocht worden ist. Wo fanden wir das Rezept? In einem der unzähligen Kochbücher, die unsere Buchhandlungen überschwemmen? Vielleicht auch in einer der vielen Küchenshows, mit denen uns das Fernsehen jeden Nachmittag so üppig beglückt? Sei es in der =Küchenschlacht= oder beim =Einsatz am Herd=. Sei es in =Leas Kochlust= oder beim =Silent Cooking.= Beim Product Placement dieser Sendungen stehen in ihrer Marke gut sichtbare Küchengeräte herum. Werbung schleicht sich an den TV-Herd.

Was ist wohl die Ursache dafür, dass der Kochlöffel in einem Umkehrschub immer mehr in den TV-Programmen umrührt? Während die Masse immer mehr fetten Schund reinstopft, zelebrieren Köche und Medien das Gegenteil. Und ein Hochamt des Frasses. Auch ein Balut kann als Vorspeise herrlich munden, wenn in dem fast ausgebrüteten Entenei ein schlüpfbe- reiten Küken drin' ist. Hakari ist als fermentierter Grönlandhai auch eine Gaumenfreude. Der begnadete Friessling weiss auch, wie Lufefisk, Sur-ströming und Froschshake schmecken. Geniessen kann ja so leicht sein.

Zur Hauptspeise! Das antike Schnitzel will den Gaumen nicht mehr erfreuen. Es muss zumindest mit Arganöl scharf angebraten werden. Das ist jenes Öl, das die Marokkaner aus dem Ziegenkot herausholen. Also! die Ziegen fressen die Früchte der Arganbäume. Die Samenkerne werden aber nicht verdaut und später wieder ausgebröselt. Die Passage durch das Meckerlein macht das aus den Samen gewonnene Öl so unsagbar schmackhaft.

Beissen, Kauen, Würgen, Schlingen! Diese Apotheose von Fressen und Saufen! Scheussliche Stopfung! Diese Vergöttlichung der Speisen! Diese Verherrlichung vom Mampf und Pampf! Diese Erregung über dampfenden Töpfen! Durch ständige Füllung des Kanals kann nicht so schnell abgedonnert werden, denn bei grossen Essern hat sich der Darm in Divertikeln ausgebeult. Polypen blühen auf, die bei weiterem Nachschub ein fettes Kar- zinom gedeihen lassen. Bescheidene Esser leben länger. Man sollte prinzipiell nur knapp über der Hungergrenze Grünzeug futtern, oh Brüder des Lukullus, ihr Päpste des Cholesterins! Der Frass und der Tod sind Zwillinge. Mit dem feinen Unterschied, dass die Verweigerung von Futter auch zum Tod führt. In jedem Übermass lauern Gefahren. Das muss Euch doch aufgefallen sei, da ihr doch sonst so feine Sinne habt. Es zelebrieren die Pagen des Zeitgeistes das Mampfen und Pampfen als eine esoterischen Wissenschaft des höchsten Genusses. Oh, edle Küchenschaben! Euer Hochamt am Herd mag eine Reaktion darauf sein, wie dumpf sich heute die breite Masse ernährt. Feinster Frass auf überladenen Tischen war immer schon eine De- monstration der höheren Klassen. Man spricht dabei auch von einem Wohl- standsbauch. Gemeinsam zelebriertes Essen am Familientisch gibt es nicht mehr. In früheren Zeiten galt es als unfein, sich bei Banketten im Augenblick der Schlingung abbilden zu lassen. Heute aber filmen Societyformate sogenannten =Promis= bis hinter die reissenden Zähne hinein. Bei einem =Seitenblick= ins Fernsehen öffnen sich unersättliche Mäuler. Hier wimmeln die Kultköche herum wie Küchenschaben. Und die unsäglichste Sendung ist prompt nach einem Gewürz benannt.

Seid ihr nicht entsetzt, wie die Mehrheit heute, wo sie steht und geht, aus knisterndem Fettpapier frittiges Fastfood stopft: Östrogengeflügel mit Bakteriensauce! Pizza als ehemalige italienische Armenspeise! Hamburger als das Essen armer US-Einwanderer aus Norddeutschland. In aller Öffentlichkeit und ohne Rücksicht auf andere wird heute geräuschvoll und schnell gefressen. Massen von Macs werden zusammen mit Gammeldöner eilig ins Maul gedrückt. Fettglänzende Finger schieben knisternde Kalorienbomben den Schlund hinab. Neben den Schulen stehen oft die bunten Fressbuden der Fastfooder. Kinder werden schon im frühen Alter durch eigene Restaurant-Spielplätze auf schnelle Schlingung konditioniert. Die allgemeine Frit- tose schwemmt den Körper auf und lässt frühen Speck gedeihen. Hundert Kilo schwere Zehnjährige stapfen dann keuchend zur Schule. Bei den Spartanern sind fettleibige Jünglinge ausgepeitscht worden. Gnadenlos und überall beisst der Fastfresser in die Hülle mit ihrem fleischigen Kern. Meterweit spritzt es dann aus der grausigen Semmel. Ein widerlich süsser Geruch breitet sich aus. Von der Takeaway- Pizza splittern die Belege. Es bröselt die Frittologie. Aus den Mundwinkeln trieft stinkendes Fett. Sie mampfen und pampfen. Tonnen Cholesterin werden in die Adern gestopft. Vor allen die Amerikaner sind ein Volk mit schnell expandierenden Bäuchen. Die Hälfte aller Werbespots im Fernsehen will uns zu Kaloriebomben verführen. Werte Ess- und Fresspäpste! Ich verrate Euch das geheime Rezept der herrlichsten Speise! Esst drei Tage nichts und nehmt dann ein Butterbrot an die Brust, denn Hunger ist der beste Koch!

Oh, ihr Herrscher über das Schlaraffenland! Ihr =Topfgeldjäger= in der =Küchenschlacht.= Es herrscht Fülle im Gastroevent! Schmatzpapis präsentieren ihre neuesten Kreationen, während sich immer mehr Arme im Ausverkauf abgelaufener Waren bedienen müssen. Schlemmer schnalzen mit der Zunge, die sich wollüstig in Saucen wälzt. Doch das wachsende Präkariat holt sich verstohlen Nahrung aus den Abfalltonnen: Hohepriester schwingen unter weissen Hauben in Spitzenlokalen leise klingend ihr Geschirr. Von den Gipfeln der Feinschmeckerei hat sich eine Lawine von Koch- büchern gelöst. Ein jedes Buchgeschäft hat eine eigene Abteilung für =Fress und Schluck!= Eine Abteilung für Philosophie, Geschichte und Politik hat sie meistens nicht. Und erst die Journale und Zeitschriften des feinen Frasses. Tausende Testesser sind zum Ranking ausgeschwärmt. Verhaltener Jubel, da der Kultkoch eine =neue Interpretation des Wiener Weihnachtskarpfens= gedichtet hat. Auch über den Tellern regiert der Zwang des Systems, wieder einmal die =Besten= zu ermitteln. Sozialdarwinismus regiert auch hier mit der feierlichen Verleihung von =Hauben.= Powerluncher treten auf, um in ihrer Frasslyrik höchste Töne anzustimmen. Nun ja! Die =Hirtenspiess-Ära= sei nun vorbei. Man suche nach =göttlichen Speisen=, verkünden die Fressianer, dieweil ein Karzinom den Darm bedroht.

Was soll es denn zu trinken sein? Was soll man sich denn heute kredenzen lassen? Was Passendes, was Adäquates, eine flüssige Eskorte! Es empfiehlt sich ein Champagner samt =unglaublichen Geschmackstiefe=. Die Marke =Krug= ist =fruchtig, fein, trocken blumig mit lebhaften Perlen samt Mandelton=. =Belebend und dezent= rinnt sie in einem =langen Abgang= die Kehle hinab. Oder darf es vielleicht der =erste, wirkliche Kult- Veltliner eines Designer- Winzers= sein, dessen Weine ja alle =etwas Spielerisch- Leichtfüssiges, etwas Trotzig-Unbeugsames= haben? Was wäre mit einem =strah- lend geschliffener, blitzsauberer Riesling=, ein =Kopf durch die Wand-Wein mit unwiderstehlichen Vanilletönen=? Die Trinkspitze ringen hier um Poesie, da ihnen kein Lobeswort mehr einfällt. =Leichtblumig, frisch, doch trotzdem ausgereift, langlebig, angenehm füllig, feiner Hefeton, gefällig, üppiges Mousseux, doch ausgewogen, angenehme Säure, komplexes Bukett, leich- ter Honigton, körperreich fein strukturiert, komplex in der Nase, doch elegant cremig im Gaumen....=

Der Körper gibt Antwort auf besinnungsloses Einverleiben. Früher wusste man, wie heilsam das Fasten sein kann. Wie sehr der Körpen aufatmet, wenn man den Verdauungsschlauch durchgeputzt hat. In den mageren Nachkriegsjahren waren Magen- und Darmkrebs sehr selten. Heute geschieht es immer öfter, dass der Dickdarm grosser Feinspitze auf die unab- lässige Passage des Futters mit einer Blockade reagiert. Er weiss schon, wann es genug ist. Frisst man lang genug zuviel Fett, so hängt der Körper in seiner Verzweiflung dicke Polypen in die Röhre. Da wird Ihnen das Pupsrohr zugemauert, auch wenn Sie als Beilagen Weingartenknoblauch, Cocktailtomaten in St. Laurent-Essig und Taschenpaprika nachschieben. Dann können Sie bei der Koloskopie Ihre gestielten und sessilen Polypen bewun- dern. Im schlimmsten Fall wird der Darm gekürzt. Und Sie bekommen irgendwo am Bauch einen nagelneuen Auspuff, einen Anus praeter, geschnitzt. Daran wird ein Stomatäschchen als starkes Symbol unserer Epoche geheftet. Dorthin kann dann der Verdauungsbrei abfliessen.

Is was? =Iss was!= =Kochen mit Oliver= hilft Dir nicht weiter. Dumpf grollt der überladene Magen =Leas Kochlust= gegen =Frisch gekocht=. Böse knurrt der Dickdarm. Der =Restauranttester= ist unterwegs. =Alfredissimo= steht am Herd. In der =Kocharena= kämpfen die Gladiatoren des Kochlöffels. In des =Teufels Küche= wird scharf angebraten. =Kulinarische Abenteuer= sind zu bestehen.=Unter Volldampf= schwenkt man die Pfannen.

Was bestellt sich wohl der Powerluncher als Nachspeise in einem kultigen Fresstempel? Auf Zwischengerichte darf nicht verzichtet werden. Kreb- sensulz oder Kaviarei ? Sie mögen an einem Lachscarppacio knuspern und dann einen Krevettencocktail in Ihr Klaffmaul schieben. Ihre Geschmacksknospen im Rachen werden brav Meldung machen, doch weiter unten gibt es keine Empfindungen mehr. Nur ein paar Zentimeter mauleinwärts kann man schmecken, doch dann wandern all die feinen Speisen, und seien sie eine Trüffeltagliatelle oder ein Wachtelbrötchen, ohne Emotionen in Richtung Auspuff. Schmatz und Schlürf! Mampf und Pampf! Schluck und Druck! Leck und Schleck! Sind ja alles nur minimale Reize, wenn da exquisites Food durch die Kehle rutscht. Nein, es sind keine Geschmacksexplosionen, die da über die Zunge schleichen und sich in den Gaumen wälzen. Die Lobeshymnen der Schmatzologen werden ja nur in Abwesenheit echten Genusses gedichtet. Leider, ja leider ist unserer Physis so lustlos gemacht worden. Da kann man sich im Fingerfood verirren. Wie wär's mit einem Venusbecher, der sich als ein Schlemmerjoghurt der erotischen Luxusklasse samt Granatapfel und Ginsengwurzeln anbietet? Schmatz und Schleck! Ist aber auch nichts Besonderes. Wir sind der schlimmen Tatsache ausgesetzt, dass echte Körperlust nur über die Chemie möglich wird. Dieser Ausweg aber ist durch das Gesetz verboten.

=Verdammt lecker= mögen dem =Foodhunter= auch Signalkrebse, Zucht- branzinos und Jakobsmuscheln als Zwischengericht munden. Gern löscht man das Licht, damit Du dich beim =Dark Dinner= nur auf den Geschmack konzentrieren kannst. Und was man sich noch alles einfallen lässt, um fades Futter zu behübschen. Da schlagen Flammen aus der Pfanne, denn der Kultkoch ist an unseren Tisch getreten. Er wirft eine Tomate hoch und spiesst die dann mit seinem Messer auf. So schnell wie er schneidet keiner die Zwiebeln. Warum sollte denn der Küchenkaiser keine Show abziehen? Gegen Ende unseres Festbanketts: Käse? Ja bitte, aber nur den sardinischen Casu Marzu. Unvergleichbar, wie der den Gaumen reizt. Das ist ein Käse aus Schafsmilch, in den Fliegen ihre Eier abgelegt haben. Man wartet auf das Blühen der Maden, um den Käse exakt jetzt zu vertilgen. Kaffee zuguterletzt? Ja, aber nur den Kopi Luwak aus Indonesien. Dort schleichen Wildkatzen durch den Dschungel, die sich vornehmlich von Kaffeebohnen ernähren. Da die Bohnen unversehrt durch Magen und Darm der Katze rasseln, nehmen sie einen unvergleichlichen Geschmack an. Sammler fahnden im Dschungel nach dem Katzendreck, aus dem dann die Bohnen herausgeholt werden. Mmm! Das ergibt den teuersten Kaffee der Welt.

Ihr Saucenschädel unter weissen Hauben! Ich will Euch die Papillen im Maul bügeln. Lasst Euch eines gesagt sein: Die Apotheose des Fressens und Saufens geschieht immer zu finalen Zeiten einer Zivilisation. In jeder Dekadenz wird unmässig gesoffen und gefressen. Vor jedem Kollaps würgt man rein, was nur geht. Man frisst so viel, weil das Ende naht. Berühmt ist die Feder, mit der man im alten Rom den vollen Bauch erbrochen hat, um weiter schlingen zu können. Viel Fressen zeigt Finalität an. Als man den schnell faulenden Leib eines französischen Königs aufschnitt, hat er einen fünf Meter längeren Darm gehabt als der Mann auf der Strasse.

Werte Kult- und Haubenköche, deren Schweiss auf der Herdplatte verdampft. Lasst das Süppchen vor sich hinköcheln und hört mir zu: =Ein voller Bauch studiert nicht gern,= sagt ein Sprichwort. =Der Mensch ist, was er isst,= erklärte der Philosoph Ludwig Feuerbach. Und ein weiteres Sprichwort warnt : =Wer isst ohne Hunger, der stirbt desto junger,=

Medienbaustein


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