Gounods Faust im Stadttheater Baden

Angesehen und interpretiert von © Franz Krahberger



Kuerzlich sah ich Gounods Faust Version in Baden. Nicht in der Premiere, sondern die Auffuehrung in sogenannter 2. Besetzung, mit der eindrucksvoll singenden Hanna Kim als Margarete und dem mit Verve und Ironie agierenden Andreas Jankowitsch als Mephisto. Gounods Faust, dargestellt von Matjaz Stopinsk, hat bei weitem weniger zu reden als Goethes Faust, der letztendlich mit dem Teufel gewinntraechtig pokert, waehrend Gounods Faust doch nur eine Spielkarte des Mephisto ist, die dieser behende Satan gegen Gott auszuspielen versucht.



Waehrend Goethes Faust, der wider den mit dem Teufel geschlossenen Pakt auch bei Gretchen nicht verweilen darf, und sich damit einem gnadenlosen Doublebind aussetzt, zeichnet Gounod mehr die Not der verfuehrten und sitzengelassenen Frau, die am Schandgeschwaetz der Weiber und an dem verbohrten Ehrbegriff Ihres Bruders, eines trinkfesten Soldaten, der den unbruederlichen Fluch ueber sie ausspricht, nachdem er das Amulett mit Fuessen tritt, das ihm seine in Schande gefallene Schwester ins Feld mitgegeben hat, um ihn vor Vorletzung und Tod zu schuetzen, zugrunde geht.



Er faellt in der Heimat vor den Augen seiner verehrten Schwester. Faust ersticht ihn mit Hilfe Mephistos, um schlussendlich vom Satan mit Haut und Haar hinter der Buehne gefressen werden. Goethes Faust wird zu Ende von Gott gerettet.

Eine fatale Konstruktion fuer die sogenannte deutsche Walhallengemeinde. Faust mag sich an allen moeglichen Verbrechen und suendigen Orgien beteiligen. Zuletzt rettet ihn der Himmel, weil er des Teufels Pakt nicht erfuellt und niemals verweilt, niemals zugibt, dass es all zu schoen ist. Allein schon fuer diesen bauernschlauen Trick haette er nach fundamentalen religioesen Vorstellungen in der Hoelle braten muessen. Doch Gott entscheidet anders. So wurde fuer viele Menschen bis 1945, bis zum Ende dieses 2.butalen Krieges und danach, der Tod ein Schnitter aus Deutschland, der unbarmherzig und uneinsichtig alles opfert, ist er sich doch trotz der unbarmherzigen Sauereien, die er begeht, der Himmelfahrt gewiss.

Dieser paradoxe und ambivalente Faust hat mich seit meinen fruehen Schultagen beschaeftigt, bis hin zu meiner Arbeit grossen Hypertext Arbeit Admontinisches Universum ueber das Buendnis von Wissenschaft und Religion. In Goethes Faust hingegen schliesst der Wissenschafter mit dem Teufel den Pakt . In Gounods Faust kommt Faust als Wissenschafter gar nicht vor. Er wird eher als Genussmensch und vom Mephistofeles verblendeter Trinker gezeigt, der mit einer Flasche Veuve Clicquot in der Hand ein in Softsex gehaltenes Blocksberg Spektakel mit Ballet Einlage Revue passieren laesst. Das erinnert einen mit Gewissheit daran, dass man im Badener Stadttheater sitzt. Der Regisseur Robert Herzl will der Badener Theatergemeinde, die die Operette und das Musical liebt, nicht allzuviel zumuten.

Gounod ist Moralist, der unter anderem mit Vorliebe Kirchenmusik komponiert hat. So wird schlussendlich Margareten, nachdem sie verstorben ist, von der goettlichen Macht errettet. Sie ist das eigentliche Opfer Mephistos. Faust ist bloss das wenig sagende Werkzeug, dessen sich der teuflische Geist, der immer verneint, fuer seine manipulative Schaendung bedient.

Mephisto am Schauplatz Gefaengnis: Sie ist gerichtet. Die Stimme des Himmels Aus dem Off: Sie ist gerettet. Mephisto geht mit einer ironisierend wegwerfend gleichgueltigen Geste, bevor der Himmlische Chor zu singen beginnt, gelangweilt von der Buehne ab.

Mephisto ist sich dessen gewiss, dass er auch nur Gottes Werkzeug ist, der ihn als Pruefstein benutzt und ihn nur gewinnen laesst, wenn er es so vorsieht. Das zeigt sich allein schon im Prolog im Himmel in Goethes Faust. Zwischen Licht und Dunkel wird der Mensch zermalmt, so er nicht aus freiem Entschluss anderes entscheidet, um sich dem Satan aus eigenem Entschluss zu entziehen. Gottes Gnade ist schwer zu erringen, er ist ein unerbittlicher Pruefer, der einem nicht allein Steine in den Weg stellt.

Hanna Kim ist Koreanerin, die den V-Effekt ganz natuerlich einbringt, weil man sich Gretchen nicht in Form einer Asiatin erwartet hat. Im Verlauf der Auffuehrung gelingt es ihr, sich steigernde, nicht perfektioniert wirkende, ueberzeugende Dramatik hervor zu bringen. Wahrscheinlich war es ganz gut so, dass ich den ueberschaeumenden Buehnenkonfekt der 1.Besetzung am Premierentag nicht gesehen habe. So habe ich schlicht einfach mehr aufs Thema konzenrtriert und kann trotzdem die Darsteller besten Gewissens wuerdigen.

Wenig bis gar nichts hoert man ueber Fausts Verstaendnis der Wissenschaften der an sich vermeintlich erschoepfenden Forschungsgegenstaenden zu leiden begonnen und sich vom Teufel zu Lust und Verbrechen verfuehren hat lassen.

Das Vorbild des Goethianischen Charakters war Johannes Faust, ein Teufelsbuendler des 16.Jahrhundert, der in Krakau einen Lehrstuhl fuer Schwarze Magie innegehabt haben soll. Tatsaechlich wurde diese Disziplin damals an der Universitaet Krakau gelehrt, war sie doch in ihrer Erscheinungsform der Alchemie die Vorform der spaeteren Chemie. So erklaert sich die Abscheu der katholischen Kirche vor den Naturwissenschaften als teuflische Wissenschaft, die bis in unsere Zeiten herein gewirkt hat. So manchem niederoesterreichischen Landpfarrer ist es heute noch lieb, wenn die Leute im Glauben verharren und bloed sterben. Mehr als 270 Jahre hat der Vatikan Zeit gebraucht, um Galileo Galilei zu rehabilitieren. Den astrophysikalischen Visionaer Giordano Bruno lassen sie noch immer im Hoellenfeuer in virtueller Verlaengerung des Scheiterhaufens, auf dem sie ihn verbrannt haben, schmoren. Der Vatikan darf sich nicht wundern, wenn er von modern denkenden Menschen nicht ernst genommen wird. Das hat jedoch auch viele andere zureichende Gruende.

Die wahre Naturwissenschaft bedarf des Sakrilegs, um zu ernst zu nehmenden Ergebnissen zu kommen. So artikuliert es der grosse Kybernetiker Norbert Wiener in seinem grundsaetzlichen Text Gott & Golem Incorporation aus dem Jahr 1964, verfasst am MIT. Das soll Nobert Wiener in keiner Weise verteufeln. Er weiss, der Mensch muss Risiko eingehen, um zu erfahren, wo Bartl den Most her hat. Norbert Wiener hat seine Cybernetics hergeleitet aus den Erfahrungen, die er in der Konzeption & Konstruktion von Feuerleiteinrichtungen fuer die Fliegerabwehr in World War II gewonnen hat. Er war eng befreundet mit Arturo Rosenblueth, Harvard Medical School und Vannevar Bush, die mit anderen monatlich in der Vanderbilt Hall zu einem Arbeitsessen am Runden Tisch zusammengetroffen sind. Sei haben die Wissenschaft nicht in Auersbachs Keller verkommen lassen.






Solches Schicksal musste bereits Promotheus, der dem Menschen wider Willen des Blitzeschleuderers Zeuis das Feuer gebracht hat, erfahren. Zeus liess ihn fuer das Sakrileg, den Menschen Feuer und damit Waerme, Licht und ein warmes Essen gegeben zu haben, im Kaukasus an einen Felsen schmieden. Taeglich erschien der Adler Ethon und frass ein Stueckchen von der Leber des Promotheus. Erst Herakles befreite ihn aus der misslichen wie laestigen Lage, die ihm der eigensuechtige Zeus zu Strafe auferlegt hat.

Dieses Bild aus der griechischen Mythologie breitet sich an der Innenkuppel des Beethoventempels aus, der ueber dem Stadttheater Baden am Kurparkhuegel erbaut worden ist. Dass die Badener den Freude spruehenden Beethoven mit einer vergroesserten Ausgabe von dessen Totenmaske geehrt haben, hat mich einmal sehr veraergert und mich danach sehr nachdenklich gestimmt. Beethoven passt eben wie Prometheus nicht ins Operettentheater, da tanzt die lustige Witwe liebend und jauchzend ueber die Leichen, die auf den Schlachfeldern des 1.Weltkrieges liegen geblieben sind, hinweg.

Josef Weizenbaum, einer der fuehrenden Informatiker und Erfinder des pseudopsychologischen Analyses Computerprogramms ELIZA, einer gekonnt verborgenen Simulation scheinbarer Kuenstlicher Intelligenz KI, hat vor etwa zwei Jahrzehnten anlaesslich der Computerkulturtage der Ars Electronica in Linz angesichts der etwas hilflosen Debatte der antretenden Multi Media Computer Nerds aus Medienkunst, Forschung und IT Wirtschaft gemeint, die Oper an sich waere schon lange eine multimediales Kunstwerk. Er hatte nicht unrecht und ich zeigte mich von diesem Statement sehr beeindruckt.

Heute weiss ich es besser. Er hatte schlicht und einfach, so wie in anderer Weise Vilem Flusser auch, die wahre Dimension des Cyberspaces nicht erkannt. Man sollte Faust als Forscher und nicht als Kittelhaenger agieren lassen. Man soll ihn forschen lassen, ihm aber dabei auf die Finger schauen. Denn der Mann ist ein noch schlimmerer Blender als der Teufel, einer der am Ende weniger weiss, als er zuvor gewusst hat. In Wahrheit taugt er nicht einmal als Dandy, auch dabei muss ihm der Teufel behilflich sein. Goethe, der auch als Wissenschaftler Geltung begehrt hat, hat mit dem Faust die Rolle seines Lebens und der Deutschen verfasst. Faktum ist, der geheime Rat, der in Weimar so eine Art Justizminister des fuerstlichen Hofes gewesen ist, hat das Todesurteil wider Gretchen (die Magd Johanna Catharina Hoehn, die bei lebendigen Leib 1783 begraben und gepfaehlt worden ist) unterzeichnet. Germanisten waelzen bloss den Nachlass der Poeten, und saugen sich im Miss-Verhaeltnis von Dichtung und Wahrheit ihre Schreibe aus den Fingern. Ein ordentlicher Literaturwissenschafter wie Daniel Wilson es ist (Das Goethe Tabu) schaut auch im Staatsarchiv nach.




Max Reinhard laechelt im Foyer


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