Zwischen Freiheit der Kunst und Urheberrechtsverletzung -
Wenn der Intertextualitätsbegriff zum Plagiieren missbraucht wird


© Marietta Boening

Vortrag im Rahmen des Symposions „Copy, Shake, Paste – Plagiate & unethische Autorenschaften in Wissenschaft und Literatur.“ der Österreichischen Gesellschaft fuer Soziologie, Sektion für Kulturtheorie und Kulturforschung 2005.
Eine Printversion des Essays wird in Bälde in der Zeitschrift ÖGL - Österreich in Geschichte und Literatur erscheinen.

Das künstlerische Plagiat kann sich vom wissenschaftlichen in einer wesentlichen Hinsicht unterscheiden: Es muss sich nicht um die Kopie eines Gedankens oder einer Idee handeln, die verallgemeinerbar oder "objektivierbar" ist, sondern auch dann, wenn ( wie bei vielen Gedichten, auch meinen eigenen ( wahrnehmungsbezogene Aspekte des Kunstwerks im Vordergrund stehen, wird durch das Plagiat das Werk nichtsdestotrotz in einen falschen Kontext gestellt. Das Plagiierte stellt dann eine nicht notwendig semantisch relevante Aussage dar und ist primär als Materialanordnung der Buchstaben zu verstehen, deren semantischer Gehalt je nach Erzeuger und/oder Theorie unterschiedlich dicht und relevant sein kann. In jedem Fall kann einer, der sich textuellen literarischen Fremdmaterials bedient, ohne das Ziel zu haben, sich den anderen Standpunkt anzueignen, eine Berufung auf Intertextualität und den "Verlust des Autors" versuchen. (Die Aussagefunktionen eines Textes werden vom Anspruch auf Autorschaft mitbestimmt.)

In der Rechtsprechung ist Autorschaft allerdings anders definiert als in den Intertextualitätstheorien. Rechtlich bedeutet es keinen Unterschied, ob ein Autor sich als Aussagesubjekt versteht oder nicht, und das ist gut so. In der zeitgenössischen Literaturtheorie hat sich aber in weiten Kreisen die auf den Strukturalismus zurückgehende "Textmetapher" durchgesetzt. Sprache wird als offenes System verstanden, das weder Zentrum noch Ursprung noch fixe Bezüge zwischen Signifikanten und Signifikaten birgt. Eingeführt wurde der Begriff von Julia Kristeva. Texte beziehen sich hier auf Texte, mögliche Dialoge zwischen Sprechern gibt es nicht mehr, die Autorschaft ist abgeschafft, und mit ihr auch das Subjekt und Intentionalität in weiten Teilen. Kristevas Textkonglomerat unterliegt einer Semiotik eher unbewusster Ausschreibungen. Sie bezieht sich auf Michail Bachtin, der die "Dialogizität des Wortes" im "vielstimmigen Text" erstmals hoffähig gemacht hatte. Laut Bachtins Theorie verleiht ein Text nicht einer einzigen Autorstimme Raum, um sich zu exponieren, vielmehr einem polyphonen Schreiben, wobei Dialoge noch von Subjekten geführt werden. Die explizite Absage an die Autorschaft im strukturalistischen Zusammenhang geht auf Roland Barthes und Michel Foucault zurück.

Die Freiheit der Kunst (hier als Advokatin der Intertextualität) und das Urheberrecht sind gesetzlich verankert. Für den Fall, dass ein Künstler vor dem Hintergrund einer Intertextualitätstheorie Textabschnitte eines anderen Autors benutzt, kann sich eine gesetzliche Lücke zwischen privatrechtlichen und künstlerischen resp. kunsttheoretischen Belangen auftun, die zu schließen nicht ohne weiteres Aufgabe nur einer rechtlichen Institution sein kann. Die Justiz als Schiedsrichterin müsste im Zweifelsfalle kunsttheoretische Fachleute zu Rate ziehen. Einen neuen, hilfreichen Ansatz, der für die Umgehung der skizzierten Aporie Anwendung finden könnte, liefert die Institutionalisierung einer Kulturbetriebslehre. Mit Rücksicht auf die unterschiedlichen Entstehungsbedingungen der Werke wird deren künstlerischer Wert bestimmt. Das Institut für Kulturmanagement und Kulturwissenschaft der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (IKM) hat eine solche Lehre entwickelt. Entscheidend ist der Kontext des Werkes mit Verweis auf den Gebrauch des Begriffs in den Cultural Studies, allerdings starker Marginalisierung der Textmetapher (die in den Cultural Studies weitestgehend rehabilitiert wird) in ihrer Relevanz. Wichtiger als kunsttheoretische Aspekte, um ein Kunstwerk in seinem immanenten Wert bestimmen zu können, ist demnach ein ganzes Bündel an Einflussfaktoren: neben künstlerischen Handlungsmotivationen die Zielgruppen u.a. ökonomische Aspekte, methodologische und historische Verortung, Produktionsbedingungen, politische und andere Institutionen usw..

An einem anschaulichen Beispiel, dem Urheberrechtsverfahren gegen Franz Stefan Griebl (Künstlername: Franzobel), der in seinem Buch "Shootingstar" (Ritter Verlag 2001), Gedichte und Gedichtzeilen aus meinem Lyrik-Band "raumweise", (Edition das fröhliche Wohnzimmer 1998) abschrieb und unter seinem Namen Stefan Griebl veröffentlichte, stelle ich das Aufeinanderprallen zweier Werke vor, deren Textgenesen so unterschiedlich sind, dass sich fragt, ob Intertextualität halten kann, was sie verspricht, oder ob der Begriff einfach nur leicht missbrauchbar ist. Ich unterstelle Franzobel in einem Gedankenexperiment dabei die Verfechtung der Intertextualität. Denn er hatte "leider" nur ansatzweise versucht, sein Werk mit kunsttheoretischen Argumenten zu verteidigen, ich spiele also auch die Rolle der Advokatin.

Ausgang des Urheberrechtsstreits

Franzobel versuchte, sich Textzeilen (Syntagmen) einiger meiner Gedichte anzueignen, indem er sie in den Prosatext seines Buches verwob, außerdem stellte er in den Schlussteil des Buches ganze Gedichte, vier davon von mir, wobei er meistens eine Zeile verfremdete. Wenn man nicht weiß, dass Franzobel in den Akademikerkreisen bekannt ist als jemand, der permanent "abkupfert", könnte man versucht sein, zwar nicht meine Lyrik semantisch mit der Geschichte, um die es in der Erzählung "Shootingstar" geht, zu verknüpfen, aber mich persönlich. Denn die verfremdeten Gedichte werden fiktional der weiblichen Protagonistin des Werks zugeschrieben, die jedoch mit mir nichts zu tun hat 1), es wird also der Eindruck erzeugt, ich sei diese Figur. Der Intertextualitätsbegriff, mit dem Franzobel hier eine Argumentation hätte versuchen können, wäre der Bachtinsche, weil personale Subjekte fingiert werden. Die Verwendung der poetischen Textzeilen geschah allerdings ohne Änderung der Erzählung aus einer maskulinen Ich-Perspektive; hier hätte Franzobel versuchen können, unter Berufung auf Kristeva seinen Text zu verteidigen. Der Verfahrensausgang verlief eindeutig zu meinen Gunsten. Für keinen der einbezogenen Juristen (zwei Rechtsanwälte Franzobels, mein Rechtsanwalt, der Richter) stand das je zur Debatte.
Franzobel hatte dreimal zur Verteidigung angehoben, ihm war aber jeweils schon vor einem echten Versuch, literaturtheoretisch zu argumentieren, die Puste ausgegangen:

Das Recht der subjektiven Meinungsfreiheit überlagere das Urheberrecht ( das ist die implizite Berufung auf die Freiheit der Kunst. Meine Gegenreaktion lautete, dass dieses Grundrecht das UrhR nicht über die gesetzlich festgelegten freien Werknutzungen hinausgehend überlagert. Darauf gab es keine weitere Reaktion.

Es handele sich um kein Plagiat, was der Autor versuchte mit selbstschädigenden Scheinargumenten zu unterfüttern, die auf seinen Bekanntheitsgrad im Vergleich zu meinem, wie etwa die Geltendmachung der Anzahl von Google-Einträgen als Informationen über die Autoren, u.a. hinweisen, worauf ich nicht reagierte.

Es würde den Stillstand der Literatur bedeuten, wenn man beim geistigen Eigentum von Metaphern anfinge. Ich antwortete, dass auch Sprachbilder urheberrechtlichen Schutz genießen (davon abgesehen handelt es sich nicht um Metaphern, sondern um metonymische Verknüpfungen von Metaphern).

Das Urteil im Februar 2003 lautete auf eindeutige Urheberrechtsverletzung laut Bundesgesetz über das Urheberrecht an Werken der Literatur und der Kunst und über verwandte Schutzrechte, da es sich um eine eigentümliche geistige Schöpfung handelt, und wurde mit einem Vergleich zu meinen Gunsten beschlossen. Das Buch musste vom Markt genommen werden, Franzobel unterzeichnete eine Unterlassung (ohne Zustimmung der Klägerin dürfen weder Werk noch Werkteile wo, durch wen und auf welche Art auch immer publiziert, verlegt, verlegt gelassen oder sonst der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden), und ich erhielt ein Entschädigungsgeld.

Juristische Grundlagen: Urheberrecht und Freiheit der Kunst

Für das Urheberrecht in Österreich gilt die Legaldefinition §10, Abs. 1: "Urheber eines Werkes ist, wer das Werk geschaffen hat", wobei es sich um eine eigentümliche geistige Schöpfung handeln muss. Dazu zählen auch Verwertungsrechte (wirtschaftliche Nutzung, Bearbeitungs-, Übersetzungs-, Vervielfältigungs-, Verbreitungs-, Sender- und Vortragsrecht) und der Schutz geistiger Interessen (Veröffentlichungsrecht, Schutz der Urheberschaft, Urheberbezeichnung, Werkschutz).

Die Freiheit der Kunst ist ein verfassungsmäßig festgeschriebenes Freiheitsrecht, unterliegt aber auch rechtsimmanenten Begrenzungen. Freiheitsrechte dienen der Sicherung gemeinschaftlicher (republikanischer) Interessen vor denen Einzelner. Die Kunstfreiheit (Art. 17a StGG Staatgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger) stellt ein bisschen eine Ausnahme dar, da sie als "subjektives Recht" ausgestaltet ist, zur Einschränkung der Übermacht staatlicher Verwaltungsorgane. Ziel kann sein, die Definition dessen, was Kunst sei, zu unterbinden, aber auch ( z. B. im Missbrauchsfall ( die durch Kunst geäußerte Meinungsfreiheit einzuschränken (Zensurmaßnahme). Es stellt sich generell die Frage, ob der Staat schützen kann, was bestenfalls Kunstexperten zu definieren haben. Bei der Entscheidungsfindung gilt die Verhältnismäßigkeit. 2)

Das Problem liegt im vorliegenden Fall also im Spannungsfeld zwischen künstlerischem Modus und juristischen Rahmenbedingungen; die zwei Institutionen lassen dem Plagiator evtl. eine Lücke. Doch diese Lücke ist demokratisch notwendig. Sie zu schließen würde entweder die Freiheit der Kunst einschränken oder inflationären Aneignungsprozessen Tür und Tor öffnen.

Ein Gedankenexperiment

Angenommen, Franzobel hätte mit Intertextualität argumentiert. Für die Punkte 2 und 3 hätte er versuchen können, geltend zu machen: "Es handelt sich um kein Plagiat, weil Metaphern kein Eigentum sind. Ich habe diese Gedichte gelesen, und offenbar waren mir unbewusst einige Metaphernfolgen im Gedächtnis haften geblieben. Zum Zeitpunkt der Verschriftlichung meines Textes war ich mir nicht einmal mehr dessen bewusst, dass es sich um Syntagmen von Marietta Böning handelt. Weil Metaphern weiter verfremdet werden, wie auch im Werk geschehen, kann von Eigentum keine Rede sein, eher von einer "Triebsemiotik" im Sinne Kristevas. Außerdem habe ich streng im Sinne einer Bachtinschen "Dialogizität des Wortes" gearbeitet, wo ich die Gedichte verwendete. Der Anspruch auf Urheberschaft ist ohnehin auszuschließen. Vielmehr handelt es sich um einen Text auf der Höhe seiner Zeit. Die Ansprüche von Frau Böning müssen vor dem Hintergrund eines anachronistischen Kunstverständnisses gesehen werden. Es handelt sich allein deswegen nicht um Plagiate, weil ich mit dieser Theorie ja auch nicht behaupte, ich sei der Urheber der Gedichte oder hätte ganz allein ein Werk geschaffen. Ich habe wohl einen neuen Text geschaffen, aber die Fundstücke anderer sind durchaus und ausschließlich als solche zu verstehen. Ich spreche den anderen die Herstellung meiner Bausteine damit nicht ab und habe auch niemals behauptet, dass sie die Fundstücke nicht geschrieben haben. Explizit beziehe ich mich auf die Literaturtheorie: `Wörter können durch einen Akt der Aneignung zu eigenen gemacht werden. Man nimmt die Wörter einander aus dem Mund. Der Künstler verwebt Reaktionen auf vorgefundene Wörter in seinen Diskurs.´3)."

Wie hätte ich darauf reagiert? Zuerst hätte ich mit dieser Erklärung versucht, über Punkt 1 die Punkte 2 und 3 zu entkräften, d.h. den Gegner eines Widerspruchs zu überführen: Jemand, der mit Meinungsfreiheit argumentiert, vertritt seinen Anspruch auf Autorschaft und kann sich nicht ohne weiteres gleichzeitig auf Intertextualität in Zusammenhang mit Triebsemiotik berufen. Und da die semantischen Bezüge verdreht sind, kann von Dialogizität auch keine Rede sein. Hätte Franzobel meine Meinung vertreten, dann hätte die Protagonistin als Kritikerin mit feministischen Zügen skizzieren werden müssen, die sich in unterschiedlichen journalistischen und reflexiv-literarischen Texten parodistisch zum Thema Patriarchalismus am Beispiel Franzobel geäußert hatte.

Nur: In der Intertextualitätsdebatte findet meines Wissens keine Differenzierung solcher Fälle statt, d.h. die Intertextualität schließt den Gebrauch fremder Texte in der Weise Franzobels nicht explizit aus. Es gibt "lediglich" Hinweise auf den moralischen Impetus der Idee der Intertextualität: Die Intention des Autors soll gebrochen werden, nicht mit verfremdetem Fremdmaterial künstlich unterfüttert und affirmiert werden, so mag man Bachtin interpretieren. Letzteres hätte ich (und habe ich) Franzobel unterstellt. Ich hätte also vom Missbrauch der Intertextualität gesprochen. Die Entscheidung jedoch hätten andere Instanzen bzw. die eine juristische getroffen. Bei fehlendem expliziten Bezug von meiner Seite hätte die Angelegenheit für mich dann nicht positiv ausgehen müssen.

Mit Dirk Baecker könnte man auch fragen, "ob wir überhaupt noch kommunizieren oder uns nicht bereits auf das zirkuläre Verhältnis von Modell und Kopie festgelegt haben. Der Verdacht der alles ergreifenden Redundanz von Kopie ist uralt, aber das Verständnis von Kommunikation, das die Postmoderne herausarbeitet, um ihre eigenen Bewegungsspielräume ausmessen zu können, ist neu." 4) Dieser Hinweis birgt den Verweis auf dialektisches Denken und ist m.E. auch als der Sinn von Intertextualität zu begreifen :"Wenn man Sinn [...] als Einheit der Differenz von Aktualität und Potentialität, also als Einheit der Differenz je in gegenwärtig wahrgenommener Möglichkeiten und jeweils ausgeschlossener Möglichkeiten definiert, dann interessiert sich die Kultur für die jeweils ausgeschlossenen Möglichkeiten."5) Für die interessiert sich Franzobel ja nun einmal überhaupt nicht.

Schließlich hätte ich mich auf die unterschiedlichen Kontexte berufen: Geistige Interessen können durch Bezugnahme auf den kunsttheoretischen Status allein nicht erfasst werden. Die ökonomischen Interessen sind andere. Mein kleiner, erster Experimentier-Gedichtband "raumweise" ist nicht einmal für ein Publikum geschrieben worden, tatsächlich ist die Zielgruppe eine sehr kleine, die sich für neuere Dichtung interessiert. Franzobel stattdessen gibt in seinem Werk selbst kund, einen "Knüller" schreiben zu wollen. Vermutlich hat er die Produktion im Rahmen eines Stipendiums bewerkstelligt, d.h. mit Steuergeldern von vornherein für eine größere Öffentlichkeit geschrieben. Das ist relevant, weil deutlich wird: Der Status seiner Gedichte ist ein ganz anderer als meiner, und das ist gut und richtig. Im gegebenen literarischen Feld (das einhergehend mit dem ökonomischen Status einen symbolischen und prestigeträchtigen determiniert) stehen die Autoren an unterschiedlichen Stellen und nehmen schon allein deshalb unterschiedliche Standpunkte ein. Ich hätte mit anderen Theoretikern argumentiert, etwa im Sinne einer Postmoderne geltend gemacht, eine Intertextualität als metatheoretischer Überbau sei nicht stichhaltig, im Falle, dass ich ihr abschwöre.

Allem voran hätte ich Franzobel (im Sinne Bourdieus) als einen strategischen Machtspieler bezeichnet. Die gesamte Vereinnahmung anderer Autoren dient, wo sie kein verdecktes Plagiat sein soll, einem simplen Hegemonisierungsbestreben, der Sicherung der eigenen Macht durch wiederholte Übernahme fremden Materials. "Dem Funktionieren aller sozialen Felder, dem der Literatur wie der Macht, liegt die Illusion zugrunde, die Investition ins Spiel und die affektive Besetzung des Spiels." 6) Das ist ein kindisches, realitätsfernes Spiel, das Franzobel da treibt. Realitätsferne liegt bereits dort auf der Hand, wo versucht wird, demokratische Regeln ungesund durch die impliziten Hegemonisierungsversuche zu unterwandern. Wird die Geschichte mit Witz und Sprachspiel aufgeplustert, mag der naive Leser den Realitätsverlust überlesen. Für die Austragung der Angelegenheit vor einem Gericht, das aufgrund demokratischer Normen agiert, reicht das natürlich nicht. So naiv das zu glauben, sind so weit weg Gerückte wie der Dichter, der meint, Literaten mit weniger Google-Einträgen seien des Urheberrechtsschutzes weniger würdig als solche mit mehr Google-Einträgen.

Institutionelle Lösung im Rahmen einer Kontextanalyse

"Die Teilnahme oder Nichtteilnahme in einem institutionell strukturierten Gesamtfeld generiert den sozialen kulturellen, legistischen und ökonomischen Status jedes Individuums."7) Zembylas weist darauf hin, dass dieses Feld von den zuständigen Institutionen organisiert und geregelt wird. Dazu gehört auch die Setzung von Maßnahmen bei abweichendem Verhalten. Vor dem Hintergrund erscheint die Berufung auf Intertextualität allein äußerst schwach. Vielmehr bedarf es der kasuistischen Bestimmung eines Werks im Rahmen einer Kontextanalyse. Gefordert ist ein Konzept der Kulturbetriebslehre, das diesen Aporien Rechnung trägt. Das erfordert dann außerdem eine definitorische Beeinflussung des Kunst- und Kulturbegriffs.8) Aspekte wie eben rechtliche oder ökonomische fließen ein, konstituieren die Werke mit, im gesamten Prozess der Wertschöpfungskette. Die Kulturbetriebslehre untersucht zu diesem Zweck die institutionellen Rahmen kultureller Praktiken, um Kulturgüter von vornherein, nicht erst nach der Textauslegung als "Outcome" institutionell hervorgebrachter Produkte zu betrachten. (Dass das in jedem Fall sinnvoll ist, will ich damit nicht behaupten, vielmehr offen lassen.)

Die Vorrangstellung der Intertextualität bedeutet im vorliegenden Fall auch die Abschwächung der Relevanz normativer Aspekte (etwa meiner gesellschaftskritischen Absichten beim Dichten, die Franzobel nicht teilt). Damit schließlich hätten wir es auch mit einer Marginalisierung demokratischer Grundvoraussetzungen zu tun. "In dubio pro arte" kann nur dann zutreffen, wenn demokratische Grundfeste nicht erschüttert werden. Im vorliegenden Fall sorgt die Unmöglichkeit dafür, das Urheberrecht mit Meinungsfreiheit über die gesetzlich festgelegten freien Werknutzungen hinausgehend zu überlagern, Franzobel hat also im eigenen Interesse gut daran getan, hier nicht einzuhaken.

Literatur

Baecker, Dirk: Wozu Kultur? Berlin: Kulturverlag Kadmos 2000
Bachtin, Michail: Die Ästhetik des Wortes. Frankfurt: Suhrkamp 2001
Bourdieu, Pierre: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. Frankfurt: Suhrkamp 1999
Fausner, Markus: Einführung in die Kulturwissenschaft. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2003
Hasitschka, Werner / Tschmuck, Peter / Zembylas, Tasos: Culture Institutions Studies:
Investigating the Transformation of Cultural Goods, Wien: Institut für Kulturmanagement und Kulturwissenschaft, Universität für Musik und darstellende Kunst Kristeva, Julia: Bachtin, das Wort, der Dialog und der Roman. In: Literaturwissenschaft und Linguistik, Band 3, Frankfurt 1972, S. 345-375
Kristeva, Julia: Die Revolution der poetischen Sprache, Frankfurt: Suhrkamp 1978
Zembylas, Tasos: Kunst und Konflikt. Eine Einführung, Wien: Institut für Kulturmanagement und Kulturwissenschaft, Universität Musik und darstellende Kunst Wien
Zembylas, Tasos: Kulturbetriebslehre, Grundlagen einer Inter-Disziplin. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaft 2004

1) Die fingierte Geschichte enthält einige wenige realistische Elemente: Es handelt sich um eine als autobiografisch gesetzte Erzählung, die mit Begegnungen einer femininen Person spielen. Ich selbst habe auf der mentalen und charakterlichen Ebene nichts mit der Figur zu tun, biografisch nur in wenigen und marginalen Szenen. Wobei selbst diese Szenen verfremdet wurden, was die Einstellungen und Handlungen der Protagonistin dem Protagonisten gegenüber betrifft, ja oftmals handelt es sich um das Gegenteil dessen, was sich während einer kurzen beruflichen Bekanntheit zutrug. Semantische Bezüge sind entweder ganz neu erfunden oder fingiert im Sinne von umgedreht.

2) Vgl. Zembylas, Tasos: Kunst und Konflikt. Eine Einführung, Wien: Institut für Kulturmanagement und Kulturwissenschaft der Universität für Musik und darstellende Kunst

3) Vgl. Fausner, S. 142. Das ist nicht die Ansicht Fausners, sondern nur ein negativer Aspekt einer längeren Beschreibung des Begriffs "Intertextualität".

4) Baecker, S. 74.
5) A.a.O., S. 82.
6) Bourdieu 1999, S. 68.
7) Zembylas 2004 S. 99.
8) Zembylas 2004 hat diesen Begriff spezifiziert.


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