Das Andere der Vernunft


Bemerkungen zur Faszination des Schrecklichen bei Kafka 1)

© Alfred Schmidt

(I) Die Gefahren des Erwachens

Die Existenz von Kafka ... hat für mich immer diese Unauflöslichkeit von Freude und Schrecken bedeutet, ein brennendes Seil über der mit den Jahren nachdunkelnden Welt. ... Gesprächen über ihn versuchte ich auszuweichen, ebenso den Texten die von ihm handelten. Ich las DIE SIEBEN RABEN oder sie wurden mir vorgelesen, ich las die Schulfibel, die Atlanten, MOBY DICK und die chinesischen Geister- und Liebesgeschichten, ich erfuhr von Franz Kafka, las Joseph Conrad, Stifter, Joyce, ich las lange nichts und ich las nicht Kafka. Es kam mir vor, als hätte ich in der Wüste noch Wasser bei mir, aber die letzte Handvoll, die man nach dem Tode trinkt.... Eines Tages, ich weiß nicht mehr wann und weshalb, ließ ich es darauf ankommen. Ich stand in der Früh auf, ging zum Bücherregal, nahm den Band mit den gesammelten Briefen heraus, schlug ihn auf und begann an irgendeiner Stelle zu lesen. Ich las: 'Als ich an einem anderen Tag nach einem kurzen Nachmittagsschlaf die Augen öffnete, meines Lebens noch nicht ganz sicher, hörte ich meine Mutter in natürlichem Ton vom Balkon hinunterfragen ‚Was machen Sie da?' Eine Frau antwortete aus dem Garten:'Ich jausne im Grünen.' Da staunte ich über die Festigkeit, mit der die Menschen das Leben zu tragen wissen.'
Ich wußte nicht an wen und von wann dieser Brief war, ich schaute nicht zurück, ich schlug die Seite nicht um, um weiterzulesen, ich schlug das Buch zu und ein starkes finsteres Glück erfüllte mich. Es verwandelte sich in den Tagen, die dem folgten, in Unruhe, in Aversion, in Zorn, ich war ein gefangener dieses Satzes geworden und zugleich einer, der frei war von allem, was ihn bisher gehalten hatte, verzweifelt in einer unerhörten Freiheit, die nicht erlaubt sein konnte, die ich nicht gerufen hatte, die mir niemand schenken durfte. Ich rüttelte an der Luft, die mich umgab, aber sie ließ nicht locker.
Wie hatte es geschehen können? Wie hatte eine Briefstelle von einigen wenigen Sätzen mir meinen ersten Schrei zurückholen, mich in solche Schrecken versetzen, ja mich aussetzen, verjagen können aus meinem bisherigen Gelände in eine noch viel unerhörtere Freude?"2)

Diese eindrücklichen poetischen Worte stammen von Ilse Aichinger anläßlich der Verleihung des Franz Kafka-Preises 1983. Ich meine sie sind in mehrfacher Hinsicht interessant. Sie zeigen einen unmittelbaren emotionalen Zugang zu Kafka, eine existentielle Betroffenheit von einigen wenigen Sätzen, der keine noch so tiefsinnige und originelle Interpretation etwas an Intensität hinzufügen, geschweige denn sie erklären könnte. Für mich waren diese Sätze Aichingers - seit ich sie das erste Mal gelesen habe - ein beständiger Appell: so sollte Kafka gelesen werden!

Die von Ilse Aichinger mit absichtsloser Treffsicherheit aufgeschlagene Stelle aus den gesammelten Briefen Kafkas stammt aus einem Brief an Max Brod vom 28.August 1904. Geschildert wird eine Szene, wie sie belangloser und zufälliger scheinbar kaum sein könnte. Kafka erwacht aus seinem Mittagsschlaf und hört einen ganz alltäglichen Dialog zwischen seiner Mutter und einer Frau im Garten. Und dann folgt dieser rätselhafte Satz vom Staunen über die ‚Festigkeit, mit der die Menschen das Leben zu tragen wissen'.

Daß Kafka selbst dieser von Ilse Aichinger zitierten Briefstelle einige Bedeutung zumaß, dafür spricht die Tatsache, daß er sie fast wörtlich in den etwa zur gleichen Zeit entstehenden Text ‚Beschreibung eines Kampfes' aufnahm 3). Es ist dort die Figur des Beters, der diese scheinbar so bedeutungslose Szene der Ichfigur erzählt; - allerdings fehlt hier gerade der so eigentümliche letzte Satz über das Staunen. Im Gegenteil versichert der Icherzähler einige Absätze später, es wäre eine überhaupt nicht merkwürdige Geschichte, sondern ‚ein ganz gewöhnlicher Vorfall.' Er betont dies so eindringlich , daß man sich an dieser Stelle geradezu wundert. Das ursprüngliche im Brief an Max Brod notierte Staunen des Erwachenden wurde inzwischen verdrängt und überkompensiert – könnte man sagen - und verbirgt sich nur noch hinter der wiederholte Versicherung, es handle sich um das Allergewöhnlichste, Alltäglichste.

Ist es aber wirklich eine so belanglose Szene? Dieseso zufällig und belanglos scheinende Stelle beschreibt – das ist meine These - etwas wie eine Urszene in Kafkas Werk. Das Staunen über die vordergründige Festigkeit unsrer alltäglichen Lebenswelt ist ein erstes Anzeichen, ein Symptom. Diese Festigkeit des Alltags erweist sich nämlich in der Folge bei Kafka immer wieder als trügerisch und labil; jederzeit können wir aus unsrer gewohnten Lebensbahn geworfen werden, durch Umstände, die uns unvorhersehbar und unvorbereitet treffen.
Auch Gregor Samsa 4) öffnet noch benommen vom Schlaf seine Augen, um sich mit einem Schlag aus der vertrauten Welt seiner Mitmenschen ausgestoßen zu finden. Josef K. - ebenfalls gerade erst erwacht - wird unter undurchsichtigen und in der Folge nie ganz aufklärbaren Umständen verhaftet und kann die Gesichertheit seiner früheren Existenz nie wieder zurückerlangen 5)

Roman Karst 6) hat darauf hingewiesen, daß gerade dem Moment des Erwachens bei Kafka eine besondere Bedeutung zukommt. An einer später gestrichenen Stelle zum 1. Kapitel des Proceß-Romanes heißt es :
Man ist doch im Schlaf und im Traum wenigstens scheinbar in einem vom Wachen wesentlich verschiedenen Zustand gewesen und es gehört, wie jener Mann richtig sagte, eine unendliche Geistesgegenwart oder besser Schlagfertigkeit dazu, um mit dem Augenöffnen alles, was da ist, gewissermaßen an der gleichen Stelle zu fassen, an der man es am Abend losgelassen hat. Darum sei auch der Augenblick des Erwachens der riskanteste im Tag, sei er einmal überstanden, ohne daß man irgendwohin fortgezogen wurde, so können man den ganzen Tag über getrost sein. 7)

Tatsächlich ist der Vorgang des Erwachens im Grunde ein philosophisches Rätsel. Unsere im Wachen vorgegebene, alltägliche Umwelt ist ja im Schlaf vollkommen verschwunden, auch wir selbst als Personen sind aus der Kontinuität unseres Lebens gerissen. Wie kommt es, daß wir die selbe Welt aber beim Erwachen wieder ganz selbstverständlich und unverändert vorfinden? Und ist dies wirklich so selbstverständlich?

Von Gottfried Wilhelm Leibniz stammt der Gedanke, daß es nur deshalb überhaupt möglich sei aus dem Tiefschlaf wieder in den Zustand des wachen Bewußtseins zurückzufinden, weil der Strom unserer Perzeptionen auch während der Zeit des Schlafes niemals ganz erlöscht, sondern - wenn auch in einer ganz dumpfen undeutlichen Form - immer vorhanden bleibt. Denn eine Perzeption kann immer nur aus einer anderen Perzeption entstehen, der Strom des Bewußtseins also niemals ganz abreißen 8). Daß wir im Erwachen aber alles und auch uns selbst wieder so vorfinden, wie vor dem Schlaf, dafür gibt es keine Garantie. Im Augenblick des Erwachens – im Übergang also von den ganz dumpfen Schlaf-Perzeptionen ohne Ichbewußtsein zur wachen Selbst-Apperzeption - sind wir im besonderen Maße gefährdet, verletzbar, weil wir den festen Boden , die Festigkeit unsrer alltäglichen Welt noch nicht wieder gefunden haben und auch unserer selbst als Person noch nicht sicher sind. Doch für gewöhnlich schaffen wir diesen sensiblem Übergang. Kafkas Figuren aber schaffen ihn nicht immer.

Die solide, scheinbar unverrückbare Gesichertheit unsrer Alltagswelt, ist für Kafka von Anfang an ein Grund des Staunens.
Das Staunen über das scheinbar Selbstverständliche gilt seit Platon 9) und Artistoteles10) als Ursprung des philosophischen Denkens überhaupt. Indem wir nicht mehr einfach als selbstverständlich hinnehmen, was da ist, beginnt die philosophische Frage nach der Wirklichkeit. Kafkas Staunen über die ‚Festigkeit, mit der die Menschen das Leben zu tragen wissen' könnte zunächst genau als dieses philosophische Hinterfragen des Alltäglichen gelesen werden. Aber gleichzeitig wird auch ein wesentlicher Unterschied deutlich : Das philosophische Fragen vollzieht sich als theoretisches Hinterfragen des allgemein Akzptierten, Selbstverständlichen. Kafkas Staunen aber ist das des existenziell Verunsicherten, der nicht bloß theoretisch hinterfragen will, sondern bewundernd den festen Boden, die alltägliche Sicherheit der Anderen bestaunt, weil sie ihm selbst fehlen.

In einem eindrucksvollen Brief Milena Jesenskas an Max Brod aus 1920 - nach dem Ende ihrer Beziehung zu Kafka - beschreibt sie diese Grundbefindlichkeit von Kafkas Persönlichkeit mit folgenden Worten:
"Ach nein, diese ganze Welt ist und bleibt ihm rätselhaft. Ein mystisches Geheimnis. Etwas das er nicht zu leisten vermag und was er mit rührender reiner Naivität hochschätzt... Gewiß ist die Sache so, daß wir alle dem Augenschein nach fähig sind zu leben, weil wir irgendwann einmal zur Lüge geflohen sind, zur Blindheit, zur Begeisterung, zu einer Überzeugung, zum Pessimismus oder zu sonst etwas. Aber er ist nie in ein schützendes Asyl geflohen, in keines... er ist ohne die geringste Zuflucht, ohne Obdach..."11)

(II) Das schreckliche Schöne bei Kafka

Kehren wir zurück zu Ilse Aichingers Leseerlebnis, das ich eingangs zitierte. Sie sprach von der 'Unauflöslichkeit von Freude und Schrecken' in der Begegnung mit Kafka. Wie läßt sich dieses Schreckliche in Kafkas poetischer Welt näher bestimmen? Man mag hier einwenden: Gibt es denn heute überhaupt noch ein Erschrecken über Kafkas Texte? In einer Zeit in der wir täglich mit Horrorfilmen überschwemmt werden, die mittels Spezialeffekten an vordergründigem Grauen alles weit in den Schatten stellen, was wir bei Kafka an Schrecklichem finden. Läßt sich der Schrecken, den Kafkas Texte zu seiner Zeit auslösten, heute überhaupt noch nachvollziehen?

Der Schweizer Schriftsteller Max Pulver berichtet von einer Lesung Kafkas am 10. November 1917 in der Galerie Goltz in München. Kafka las seine Erzählung "In der Strafkolonie": Mit den ersten Worten schien ein fader Blutgeruch sich auszubreiten, ein seltsam fader und blasser Geschmack legte sich mir auf die Lippen. Seine Stimme mochte entschuldigend klingen, aber messerscharf drangen seine Bilder in mich ein. Auch der Hörer wurde in die Höllenqualen hineingerissen, auch er lag als Opfer auf dem wippenden Marterbett... Ein dumpfer Fall, Verwirrung im Saal, man trug eine ohnmächtige Dame hinaus. Die Schilderung ging inzwischen fort. Zweimal noch streckten seine Worte Ohnmächtige nieder. ... Manche flohen im letzten Augenblick, bevor die Vision des Dichters sie überwältigte. Niemals habe ich eine ähnliche Wirkung von gesprochenen Worten beobachtet." 12)

Ein anderes exemplarisches Beispiel für den Schrecken in Kafkas Texten ist die Erzählung ‚Ein altes Blatt'. Man denke etwa an die Stelle, wo die in die Hauptstadt eingedrungenen Nomaden einen lebendigen Ochsen mit ihren Zähnen zerfleischen. Hier liegt die Schrecklichkeit gleichsam ganz an der Oberfläche des Textes.
Ich meine aber es läßt sich neben oder unter diesem vordergründig Schrecklichen, das alleine in der Drastik und Brutalität der dargestellten Details liegt, ein anderer, hintergründiger Schrecken erkennen, der sich in sehr vielen Texten Kafkas verbirgt, : ein Erschrecken über die Ungesichertheit unsrer Existenz.

Es liegt nahe, bei dieser von Ilse Aichinger anfangs festgestelten Verklammerung von Schrecken und Faszination in Kafkas Texten, an Günther Anders Kafka-Deutung zu erinnern. In seinem 1951 veröffentlichten Band ‚Kafka‚ pro und contra'- auf den Max Brod bekanntlich mit wütender Anlehnung reagierte- findet sich ganz ausdrücklich die These, daß die Faszination Kafkas auf der ganz eigentümlichen Verschmelzung von Schönheit und Schrecken beruht; daß ohne diese Affinität zu begreifen, Kafka insgesamt unverständlich bleiben müsse.13) Anders spricht von der gorgonischen Schönheit Kafkas, der Schönheit der Medusa, deren Blick uns erstarren läßt.

Er verweist in diesem Zusammenhang auf die griechische Antike, der der Gedanke der Geburt des Schönen aus dem Geist des Entsetzens durchaus vertraut war. Auch der Verweis auf die Kantische Ästhetik liegt nahe. Kant trifft in seiner Kritik der Urteilskraft eine scharfe begriffliche Trennung zwischen dem Schönen und dem Erhabenen . Im Begriff des Erhabenen 14) versucht er genau jenes Naheverhältnis, von Schönheit und Schrecken, jene Faszination des Schrecklichen, Furchtbaren begrifflich zu fassen. Das ‚Erhabene' bezeichnet nach Kant das schlechthin Große, Übermächtige der Natur, das uns als winzige und hilflose Subjekte erschrecken läßt. Aber - und das ist die wesentliche Bedingung - das Bedrohliche , Übermächtige muß aus sicherer Distanz erlebt werden, sonst erzeugt es bloß Furcht, läßt uns fliehen, aber keine Zeit zu ästhetischem Genuß. Also etwa ein Vulkanausbruch, eine Lawine aus sicherer Distanz beobachtet, erzeugt in uns dieses Gefühl des Erhabenen. Im Unterschied zum Schönen, dem wir in ruhiger Kontemplation gegenübertreten, ist das Erhabene zwar ebenfalls Gegenstand unseres interesselosen Wohlgefallens, aber es bewegt uns, bringt unser Gemüt in Erregung, läßt uns erschauern. Die beiden Empfindungen haben quasi eine entgegengesetzte Genese – so Kant: während das Gefühl des Schönen durch eine besondere formale Angemessenheit des Genstandes zu unserem Erkenntnisvermögen erzeugt wird, entstehe die Empfindung des ‚Erhabenen' durch eine Unangemessenheit unserer Einbildungskraft zu jenem allzu Großen, Furchtbaren, dem wir in sicherer Distanz gegenüberstehen.

In diesem Sinn folgt Rilkes bekannte Bestimmung des ‚Schönen' in der 1. Duineser Elegie ganz dem Kantischen Begriff des Erhabenen : "Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang, den wir gerade noch ertragen, und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht, uns zu zerstören" 15). G. Anders sieht bei Rilke nun aber eine wesentliche Akzentverschiebung gegenüber Kants Bestimmung des Schönen: das Schöne im Kantischen Sinn setzt einen Verzicht des Subjekts voraus, eine Verzicht auf das unmittelbare sinnliche Begehren des ästhetischen Gegenstandes; - erst aus interesseloser Distanz kann der Gegenstand als schön erlebt werden. In der Rilkeschen Fomulierung aber - betont Anders - liegt der Verzicht nicht im Subjekt sondern im Objekt selbst, dieses verzichtet das Subjekt zu zerstören 16). Genau in dieser Rilkeschen Formulierung vom ‚gelassenen Verzicht uns zu zerstören' meint Anders den Schlüssel zum Verständnis der Kafkaschen Welt - etwa im Schloß - gefunden zu haben: das Verhältnis des Landvermessers zum Schloß ließe sich gerade so beschreiben: es ist die Faszination des Abhängigen, Unfreien, Ausgelieferten gegenüber der Übermacht, die sich in unnahbarer Distanz hält, auf die Ausübung ihrer Macht und die Vernichtung des winzigen Subjektes aber verzichtet. G. Anders Kritik ist in diesem Punkt eindeutig: dieser Schönheitsbegriff ist abzulehnen, dahinter verbirgt sich die schreckliche Faszination des Faschismus.17)

Doch G. Anders These kann nicht ganz überzeugen. Die Erklärung, die schreckliche Faszination Kafkas liege im gnadenhaften Verzicht der Übermacht, den Einzelnen, Ohnmächtigen zu vernichten, läßt sich auf viele Kafkasche Texte nicht anwenden. Im ‚Proceß' verzichtet das Gericht keineswegs darauf Josef K. zu vernichten, - bekanntlich ist auch im ‚Urteil', in der ‚Strafkolonie' , in der ‚Verwandlung' das Ende für die Helden tödlich. Und auch im ‚Schloß' ist es weniger ein gelassener Verzicht des Schlosses den Landvermesser zu zerstören, als die Weigerung, ihn überhaupt wahrzunehmen, ihn in seiner Daseinsberechtigung anzuerkennen, die das Verhältnis von Einzelnem und ferner Macht charakterisiert.

(III) Das Schreckliche als das Andere der Vernunft

‚Das Andere der Vernunft' so nannten die Brüder Hartmut und Gernot Böhme ihre 1983 erschienene Untersuchung zum Vernunftbegriff Immanuel Kants. Ihre Analyse von Kants Philosophie vor dem Hintergrund seiner Biographie unterscheidet sich aber nicht unwesentlich von den unzähligen andern Kant-Interpretationen. Die Autoren versuchen, Kants Rationalitätsmodell nicht immanent vom Standpunkt der Vernunft her zu analysieren, sondern von ihrer Schattenseite, von jener anderen, der Vernunft unzugänglichen bzw. von ihr verdrängten, dunklen Seite des menschlichen Daseins, die sie als ‚das Andere der Vernunft' bestimmen:
Das Andere der Vernunft: von der Vernunft her gesehen ist es das Irrationale, ontologisch das Irreale, moralisch das Unschickliche, logisch das Alogische. Das Andere der Vernunft das ist inhaltlich die Natur, der menschliche Leib, die Phantasie, das Begehren, die Gefühle –oder besser all dies, insoweit es sich die Vernunft nicht hat aneignen können 18).

Das Andere der Vernunft im Sinne der Brüder Böhme läßt sich gerade nicht als ihre bloße abstrakte Negation bestimmen, sondern drückt ein ganz spezifischen Verhältnis der Vernunft zu diesem Anderen aus: nämlich das einer fortschreitenden Disziplinierung, Unterwerfung bzw. – wo diese mißlingt – das der Ausgrenzung, Verdrängung jenes für die Vernunft Unzugänglichen.

Die Kantische Bestimmung des Menschen aus dem Prinzip autonomer, also sich selbst das Gesetz gebender Vernunft, gilt den Autoren als der Höhepunkt eines aufgeklärten Rationalismus, der jede nicht aus der Vernunft selbst entspringende Verbindlichkeit negiert. Diese Versabsolutierung der Vernunft im Subjektes der Aufklärung gilt es aber nicht einfach ein Faktum zu konstatieren, sondern als ein menschheitsgeschichtliches Projekt zu verstehen. Es ist das Resultat einer schmerzlichen Geschichte der Selstdisziplinierung des Menschen im Namen der Vernunft, betonen die Autoren mit deutlichem Bezug auf die Psychoanalyse. Dieser leidvolle Prozeß entspricht historisch betrachtet der Geschichte der Zivilisation als fortschreitender Entfremdung des Menschen von seinem Naturzustand; individuell betrachtet wiederholt sich dieser Prozeß als die schmerzliche Erfahrung der gewaltsamen Eingliederung des Kindes in die Gesellschaft der Erwachsenen unter dem Namen der Erziehung.19)
Nach Freud sollte man wissen, daß vernünftig sein ein Projekt der Disziplin darstellt. Vernunft ermöglicht nicht nur Beherrschung und Kontrolle, sondern ist selbst schon Beherrschung und Kontrolle: eine ständige Zensur muß dafür sorgen, daß das Andere die schöne Ordnung der Realität, des Diskurses, der Rationalität nicht durcheinanderbringt. 20)

Kant ist auch deshalb ein Paradebeipiel für die Brüder Böhme, weil sein gewaltiges Unternehmen einer radikalen Vernunftkritik sich genau in diesem Sinn als eine Strategie der Abgrenzung eines verbindlichen Reiches der Vernunft von einem dunklen Jenseits versteht. Nur innerhalb dieser Grenze haben wir – nach Kant - festen Boden unter den Füßen, nur hier gibt es vernünftiges Reden, Erkennen, Urteile und Handeln. Alles was jenseits dieser Grenze liegt, verliert automatisch jeden Anspruch auf Verbindlichkeit und wird in den Bereich subjektiver Phantasterei und Beliebigkeit verbannt. Kant hatte dabei durchaus reale Beispiele im Auge – wie etwa Emanuel Swedenborgs Werk 21), auf das er sich in seiner Schrift ‚Die Träume eines Geistersehers' ausdrücklich bezieht. Diese Abgrenzung hat aber auch ihre negative Seite:
Wo Vernunft das, was sie nicht ist, sich nicht aneignen kann – wie z.B. Sexualität - , schlägt direkte Beherrschung in Ausgrenzung und Verdrängung um. Der Preis für den historischen Aufbau eines gepanzerten Selbst ist folglich die Erzeugung weiter Räume des Unbewußten, eines' inneren Auslands' (Freud), das ununterbrochen mit hohem Energieaufwand bewacht werden muß. 22)

Was hat das alles aber mit Kafka zu tun? Kafkas Figuren – so meine ich – bevölkern dieses innere Ausland, diese weiten Räume des Unbewußten, in denen der sichere Boden der Vernunft verlassen ist. Schon von Goyas berühmter Radierung wissen wir, daß der ‚Schlaf der Vernunft Ungeheuer gebiert'. Kafkas Geschöpfe entstammen zu einem wesentlichen Teil diesem Schlaf der Vernunft.

Kafkas Texte werden vor dem Hintergrund der Theorie der Brüder Böhme verstehbar, als Versuche, das dunkle, jenseitige Reich des Anderen der Vernunft ohne Zensur und Kontrolle der Vernunft zu Wort kommen zu lassen. In dieser Hinsicht sind sie – was oft bemerkt wurde – eng mit den Träumen verwandt. Kafka läßt in seine Texten den Einbruch jenes ‚Anderen der Vernunft' ganz bewußt zu, ja er provoziert in geradezu, denn hier sieht er die Quellen seiner literarischen Inspiration. Es ist ein archaische Schreiben, das er anstrebt , vor oder gegen alle Zensur der Vernunft, und das er nur durch ein ‚Hinabgehen zu den dunklen Mächten' erreichen kann, von dem er an einer bekannten Stelle in einem Brief an Max Brod spricht.23). Durch dieses sich Ausliefern an die dunklen Mächte der Inspiration unterwandert Kafka gleichsam die lange Geschichte menschlicher Selbstdisziplnierung im Namen der Vernunft und gelangt zu einem Schreiben, daß der Kontrolle der Vernunft nicht mehr unterliegt.

Jener zuvor erwähnte hintergründige Schrecken in Kafkas Werk wird verstehbar – das ist meine These – als der plötzliche, unvermutetet Einbruch des ‚Anderen der Vernunft' - im Sinne der Brüder Böhme - in unsere heile, vernünftig geordnete und abgesicherte Alltagswelt. Diese beständige Grenzüberschreitung ist es , was Kafkas Werk so unverwechselbar und typisch macht.24)
Die Konfrontation mit der ausgegrenzten, verdrängten Wirklichkeit jenseits des Vernünftigen wirkt immer beunruhigend. Mit einem Schlage kann sie uns der Festigkeit, unsere Existenz berauben. Sie wirkt unheimlich, weil sie eine Wirklichkeit beschreibt, die nicht mehr den Gesetzen der Kontrolle der Vernunft unterliegt, nicht mehr den Gesetzen des Wahrscheinlichen und Vertrauten und folgt.

Wenn es bei den Brüdern Böhme heißt: "Vernünftig sein bedeutet eine ständige Anstrengung. Jederzeit ist dieser Status bedroht durch das Andere, durch dessen Beherrschung er sich konstituiert." 25) so ist Kafkas Werk geradezu als der dauernde Versuch zu sehen, jene gut und angestrengt bewachte Grenze des Vernünftigen aufzubrechen , und diesen Einbruch des Anderen zu provozieren.
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Die Erschütterung und Bedrohung der vertrauten, vernünftig geordneten Welt durchzieht Kafkas Werk wie ein roter Faden. Z.B. schon an einer Stellen im frühen Fragment ‚Beschreibung eine Kampfes' wird dies deutlich:
Was sind das für Tage die ich verbringe? Warum ist alles so schlecht gebaut, daß bisweilen hohe Häuser einstürzen, ohne daß man einen äußeren Grund finden könnte. Ich klettere dann über Schutthaufen und frage jeden, dem ich begegne: ‚Wie konnte das nur geschehen! In unsrer Stadt.- Ein neues Haus – Das ist heute schon das fünfte.- Bedenken Sie doch! ... Oft fallen Menschen auf der Gasse und bleiben tot liegen. Da öffnen Geschäftsleute ihre mit Waren verhangenen Thüren, kommen gelenkig herbei, schaffen den Toten in ein Haus, kommen dann Lächeln in Mund und Augen heraus und reden: ‚Guten Tag – Der Himmel ist blaß – Ich verkaufe viele Kopftücher – Ja, der Krieg-... 26)
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Hier wird eine andere, an der Oberfläche unsichtbare Wirklichkiet beschreiben, die überaus bedrohlich wirkt. Das alltägliche Gerede versucht diese Bedrohung zu ignorieren, oder bewußt zu verleugnen - ganz im Sinn der eingangs zitierten Briefstelle von Milena Jesenska. Entsprechend einem fundamentalen Bedürfnis nach Sicherheit und Zuflucht wird diese bedrohliche innere Wirklichkeit verdrängt.
"Nein wir haben keinen Toten. Es ist ein anständiges Haus" versichert der Hausmeister in der oben zitierten Stelle, auf die drängenden Fragen nach dem Verbleib der Toten. Aber die Evidenz des selbst Erlebten kann so nicht zum Schweigen gebracht werden.

Immer ereignet sich dieser Einbruch des Anderen in unsere gesicherte Welt des Alltags überraschend, verunsichernd, er muß aber nicht notwendig den Charakter des Schrecklichen Bedrohlichen haben. Oft dominiert bei Kafka eher der Aspekt des Komischen, Absurden. Dazu ein exemplarisches Beispiel von vielen:
Es war einmal ein Geduldspiel, ein billiges einfaches Spiel, nicht viel größer als eine Taschenuhr und ohne irgendwelche überraschende Einrichtungen. In der rotbraun angestrichenen Holzfläche waren einige blaue Irrwege eingeschnitten, die in eine kleine Grube mündeten. Die gleichfalls blaue Kugel war durch Neigen und Schütteln zunächst in einen der Wege zu bringen und dann in die Grube. War die Kugel in der Grube, dann war das Spiel zu Ende, wollte man es von neuem beginnen, mußte man die Kugel wieder aus der Grube schütteln... War die Kugel unbeschäftigt, so ging sie meistens, die Hände auf dem Rücken, auf der Hochebene hin und her, die Wege vermied sie. Sie war der Ansicht, daß sie während des Spieles genug mit den Wegen gequält werde .... 27)

Ein simples Kinderspiel, das jedem von uns vertraut ist, erwacht plötzlich zu einem Eigenleben. Durch diese überraschende Wendung im Text versteht es Kafka, eine Situation von verwirrender Komik zu erzeugen.
Ein anderes Beispiel ist der Junggeselle Blumenfeld 28), in dessen Wohnung plötzlich zwei Gummibälle ein ähnliches Eigenleben entfalten. Die beiden wild umherhüpfenden, blauengestreiften Zelluloidbälle, die er eines abends in seiner Wohnung vorfindet, zeigen sich als direkte abstrakte Boten aus dem dunklen Reich jenseits des Herrschaftsbereiches der Vernunft. In ihrer abstrakten Form stellen sie nichts anderes dar, als den Widerstand gegen eine vollkommen der Vernunft unterworfenen wohlgeordneten, zugleich aber verödeten und vereinsamten Welt. Sei widersetzten sie sich hartnäckig einer Disziplinierung, werden als Störung des gewohnten Alltag erlebt. Wäre er ein Kind – d.h. der Disziplinierung durch die Vernunft noch nicht in dem Maße unterworfen – so könnten die Bälle feilich eine ‚freudige Überraschung' sein, heißt es an einer Stelle 29), so aber bleiben sie ein bloßes Ärgernis. Ein weiteres Beispiel ist jene Szene im Theater, wo die Brüstung der Zuschauerloge sich plötzlich zum Schrecken der dort sitzenden Dame, als der Rücken eines lange hingestreckten Mannes erweist 30).

Mitunter steht dieser Einbruch des Anderen auch im Zeichen einer elementaren, geradezu animalischen Sinnlichkeit. In einem Fragment aus 1920 31), das mit der Frage beginnt ‚Worauf beruht deine Macht?' taucht ein seltsames, verwahrlostes Frauenpaar Resi und Alba auf. Ihr Hausherr kann sie kaum voneinander unterscheiden – ein bekanntes Motiv bei Kafka, so wie auch der Landvermessers im Schloß-Roman seine Gehilfen nicht unterscheiden konnte. Da die beiden massigen Frauen bei der Hausarbeit regelmäßig zu streiten beginnen, hat man sich darauf geeinigt, möglichst wenig zu arbeiten, was auch ihrer Natur entspräche, versichert der Icherzähler. So verbringen sie ihre Tage hauptsächlich damit, faul herumzuliegen, kaum bekleidet und schmutzig auf die abendliche Heimkehr ihres Herrn zu warten. Wenn er schließlich nach Hause kommt, spielt sich folgende Szene ab:
Ich läute also abends an der dunklen Wohnung. Ich höre wie die zwei Frauen mit Schnaufen zur Tür kommen. Resi oder Alba sagt: 'Das ist er', und beide fangen noch stärker zu schnaufen an. Wäre statt meiner ein Fremder dort, er könnte Angst davor bekommen. Dann öffnen sie, und ich mache gewöhnlich den Spaß, daß ich kaum daß eine Spalte geöffnet ist, mich hineinzwänge und beide gleichzeitig um den Hals fasse. ‚Du' sagt eine, das bedeutet: ‚so unglaublich bist Du.' Und beide lachen mit tiefen Gurgellauten. Nun sind sie nur noch mit mir beschäftigt und würde ich nicht eine Hand ihnen entwinden und die Tür schließen, bliebe sie die ganze Nacht offen.

Das ‚Andere der Vernunft' hat viele Gesichter. Resi und Alba, halbnackt in der Wohnung auf ihren Herrn wartend sind in ihrem ungebrochen, triebhaften Naturzustand radikale Beispiele einer jenseits der Vernunft und Zivilisation gelegen dunklen emotionaler Wirklichkeit. Der Icherzähler diese Fragments unternimmt aber keineswegs den Versuch, diese beiden Wesen zu disziplinieren, vielmehr findet er sich mit ihrer Natur ab. Er akzeptiert auch den Schmutz in seiner Wohnung , obwohl ihm beim Eintreten jedesmal der Ekel hochsteigt, versucht er sich daran zu gewöhnen. Er akzeptiert ihren animalischen Naturzustand nicht nur, sondern er stellt am beginn diese Fragmentes auf die Frage seines Gesprächpartners die seltsame Behauptung auf, dass seine Macht auf diesen beiden Frauen beruhe. Es bleibt an dieser Stelle vollkommen dunkel, wie dies zu deuten sei.
Die Macht – so könnte man jetzt vor dem Hintergrund der Böhmeschen Theorie sagen – besteht darin, daß die beiden verwahrlosten Frauen des Icherzählers ihn mit seinem eigenen von der Vernunft ausgegrenzten und verdrängten dunklen Regionen seiner Psyche wieder in Kontakt bringen und sogar zu versöhnen vermögen.

Es liegt an diesem Punkt nahe, auf die anfangs zitierte Ambivalenz von Faszination und Angst, auf die von Ilse Aichinger feststellte‚Unauflöslichkeit von Freude und Schrecken', zurückzukommen. Der Einbruch des ‚Anderen der Vernunft' hat nicht nur den Aspekt des Beunruhigenden, Erschreckend ,sondern er fasziniert gleichzeitig. Er spricht eine elementare Schichte in uns an - eine ‚ursprüngliche Wildheit', im Sinne der Brüder Böhme - , die der immer schon vollzogene Prozeß der schmerzlichen Kultivierung als vernünftigen Selbstreglementierung bereits verdeckt hat. Kafkas Texte revidieren ein Stück jener erzwungenen Selbstdisziplinierung im Namen der Vernunft, die immer auch eine Leidensgeschichte des ihr unterworfenen Subjektes ist. Darum wirkt die Lektüre Kafkas erschreckend und faszinierend zugleich. Sie bewirkt eine Konfrontation und im Idealfall eine Integration von abgespaltener, verdrängter Wirklichkeitsaspekten jenseits unseres vernünftigen Selbstbewußtseins, - wie dies in ähnlicher Weise auch der Traum versucht.

Nur ein anderer Aspekt dieser Behauptung ist die oft festgestellte Tatsache, daß sich Kafkas Texte hartnäckig einer vollständigen Deutung im Sinne einer rationalen Entschlüsselung entziehen,- genau wie die Gummibälle dem Zugriff des Junggesellen Blumenfeld. Kafkas Texte leisten einen sublimen aber hartnäckigen Widerstand gegen diese Art der Unterwerfung unter die Herrschaft der Ratio, sind sie doch selbst gerade Zeugnisse jenes ‚Anderen der Vernunft' als des von ihr noch nicht Beherrschten. Gerade durch diese Verweigerung gegenüber einer rationalen Disziplinierung behalten sie ihre unerschöpfliche Faszination.

Ilse Aichingers ‚starkes finsteres Glück' bei der Lektüre Kafkas ist - so denke ich - vielen Kafka-Lesern - vertraut. Dieser Text ist der Versuch, dem Verständnis dieses seltsamen Glücksgefühls ein wenig näher zu kommen.

(Abgedruckt in: Mirabilia artium librorum recreant te tuosque ebriant. Festschrift für Hans Marte. Hrsg von Helmut W. Lang und Hermann Harrauer. Wien 2001. (Biblos-Schriften 177); S.315-326)

Fussnoten:

1) Text eines Vortrages am Internationalen Franz Kafka-Symposion in Klosterneuburg vom 3.-4.5.1999

2) Schriftenreihe der Franz Kafka-Gesllschaft, Bd 2, Wien 1987, S.31 ff

3) Franz Kafka: Beschreibung eines Kampfes und andere Schriften aus dem Nachlaß in der Fassung der Handschrift. Frankfurt 1994, (Franz Kafka Gesammelte Werke in zwölf Bänden, hrsg von Hans-Gerd Koch; Bd. 5), S75f.(Fassung A) und S. 127 (Fassung B)

4) In Kafkas Erzählung ‚Die Verwandlung'

5) Erstes Kapitel in Kafkas ‚Proceß'

6) Roman KARST: Sterben und Tod in Kafkas Werk. In: Was bleibt von Franz Kafka, Wien 1985, S.133

7) Franz Kafka: Der Proceß. Hrsg von Malcolm Pasley. Frankfurt 1990; Apparateband S. 168 8) Vgl. Gottfried Wilhelm Leibniz: Monadologie. Stuttgart 1970; Nr 23

9) Platon: Teaithetos, 155c,d: "Theaitetos: Wahrlich bei den Göttern, Sokrates, ich erstaune ungemein, wie doch dieses wohl sein mag; ja bisweilen,..., schwindelt mir ordentlich. Sokrates: Theodoros, du Lieber, urteilt eben ganz richtig von deiner Natur. Denn dies ist der Zustand eines gar sehr die Weisheit liebenden Mannes, das Erstaunen; ja es gibt keinen anderen Anfang der Philosophie als diesen..."

10) Aristoteles Metaphysik, 1. Buch, Abschnitt 982b12-13

11) Max Brod: Über Franz Kafka. Frankfurt 1974; S.200

12) Max Pulver Spaziergang mit Franz Kafka; in Als Kafka mir entgegenkam. Erinnerungen an Franz Kafka. Hrsg von Hans-Gerd Koch. Berlin 1995, S. 132

13) Günther Anders: Kafka pro und contra. München 1972 (1951), S.57

14) Vgl. Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft: §23 ff

15) R.M. Rilke : Duineser Elegien und Sonette an Orpheus; ...

16) Es vollzieht sich bei Rilke quasi die Verschmelzung der Kantischen Begriffe des ‚Schönen' und des Erhabenen, argumentiert G. Anders (a.a.O. S.58) und gerade damit kommt der dem Charakter der Kantischen exte sehr nahe.

17) G. Anders, a.a.O., S.59.

18) Hartmut Böhme und Gernot Böhme: Das Andere der Vernunft. Zur Entwicklung von Rationalitätsstrukturen am Beispiel Kants. Frankfurt 1983, S. 13

19) Nur nebenbei sei angemerkt, daß Kafka den negativen Aspekt der Erziehung an einigen Stellen genau in diesem Sinn darstellt, wobei persönliche Erfahrungen eine wesentliche Rolle gespielt haben mögen. Kafka verteidigt die ursprüngliche Eigenart des Kindes gegen den schmerzlichen Prozeß einer diese Individualität vernichtenden Erziehung.
Vg dazu u.a.: Tagebucheintragung vom 19.6.1910 "Wenn ich es bedenke, so muß ich sagen, daß mir meine Erziehung in mancher Richtung sehr geschaet hat. Dieser Vorwurf trifft eine Menge Leute, nämlich meine Eltern, einige Verwandte, einzelne Besucher unseres Hauses, eine ganz bestimmte Köchin, ...., eine Haufen Lehrer, kurz dieser Vorwurf windt sich wie ein Dolch durch die Gesellschaft." F.Kafka:Tagebücher in der Fassung der Handschrift. Hrsg von Hans-Gerd Koch, Michael Müller und Malcolm Pasley; Frankfurt 1990, S. 18
Oktavheft F: Jeder Mensch ist eigentümlich und kraft seiner Eigentümlichkeit berufen zu wirken...Soweit ich es erfahren habe, arbeitet man sowohl in der Schule als auch zu Hause darauf hin die Eigentümlichkeit zu verwischen." F.K: Beim Bau der chinesischen Mauer und andere Schriften aus dem Nachlaß in der Fassung der Handschrift. Frankfurt 1994 (Franz Kafka Gesammelte Werke in zwölf Bänden, hrsg von Hans-Gerd Koch; Bd. 6),; S.143. sowie die Briefe an seine Schwester Elli Hermann aus dem Herbst 1921 (Franz Kafka Briefe 1902-1924. Frankfurt 1975, S342 ff)

20) Böhme, a.a.O., S. 12

21) Emanuel Swedenborg: Arcana coelestia , 1749-56

22) Böhme, a.a.O., S. 17

23) "Dieses Hinabgehen zu den dunklen Mächten, diese Entfesselung von Natur aus gebundener Geister, fragwürdige Umarmungen und was alles noch unten vor sich gehen mag, von dem man oben nichts weiß, wenn man im Sonnenlicht Geschichten schreibt. Vielleicht gibt es auch ein anderes Schreiben, ich kenne nur dieses; in der Nacht, wenn mich die Angst nicht schlafen läßt, kenne ich nur dieses." Brief an MA Brod vom 5.7.1922, Franz Kafka: Briefe 1902-1924; S.384

24) Vgl. dazu die sehr aufschlußreiche Bemerkung von Milan Kundera: "Ich erinnere mich an eine Gespräch, das ich schon vor zwanzig Jahren mit Gabriel Garcia Marquez geführt habe, der sagte: ‚Kafka hat mir beigebracht, daß man anders schreiben kann.' Anders: das hieß indem man die Grenzen des Wahrscheinlichen überschreitet. Nicht (in der Art der Romantiker) um der wirklichen Welt zu entfliehen, sondern um sie besser zu verstehen. ... Er hat eine Bresche in dieMauer des Wahrscheinlichen geschlage; die Bresche , durch die ihm viel andere gefolgt sind." Milan Kundera, Verratenen Vermächtnisse. S. 55

25) Böhme a.a.O., S, 273

26) Franz Kafka: Beschreibung eines Kampfes und ander Schriften aus dem Nachlaß, a.a.O., S. 77, und 128

27) Franz Kafka: Das Ehepaar und andere Schriften aus dem Nachlaß.in der Fassung der Handschrift. Frankfurt 1994 (Franz Kafka Gesammelte Werke in zwölf Bänden, hrsg von Hans-Gerd Koch; Bd. 8), S.41

28) Franz Kafka:Beschreibung eines Kampfes, a.a.O. s.180 ff

29) Franz Kafka:Beschreibung eines Kampfes, a.a.O. s.183

30) Franz Kafka: Zur Frage der Gesetze und andere Schriften aus dem Nachlaß in der Fassung der Hanschrift. Frankfurt 1994 (Franz Kafka Gesammelte Werke in zwölf Bänden, hrsg von Hans-Gerd Koch; Bd. 7), S.137 f
Nur nebenbei sei darauf verwiesen, daß diese Beispiele – wie viele andere in Kafkas Texten – exakt der Freudschen Bestimmung der ‚Unheimlichnen' entsprechen: einer der Urspünge des Gefühls des Unheimlichen ist nach Freud das plötzliche Lebendig-Werden von scheinbar Unbelebten.

31) Franz Kafka: Zur Frage der Gesetze und andere Schriften aus dem Nachlaß in der Fassung der Hanschrift. Frankfurt 1994 (Franz Kafka Gesammelte Werke in zwölf Bänden, hrsg von Hans-Gerd Koch; Bd. 7), S.124 f


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