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Stanley Kramers Urteil von Nürnberg

© Franz Krahberger

Stanley Kramers Urteil von Nürnberg

Der Film wurde 1961 gedreht und beschreibt den letzten Nürnberger Militärgerichtsprozess im Jahre 1948 gegen hohe Nazirichter und den Justizminister Janning, die mit ihren Urteilen die verbrecherische Gesetzgebung der Nazis bestätigten, ausarbeiteten und umsetzten.  Kramer zeigt die Einflussnahme auf Ankläger und auf den Richter des Richter des Tribunals,  die Urteile milde ausfallen zu lassen. Man brauche nun die Hilfe der Deutschen, um der sowjetischen Bedrohung , etwa in der Berlin Blockade und angesichts der Entwicklungen in der Tschechoslowakei stand zu halten. In einer entsprechende Dialog Sequenz  zwischen Ankläger und einem kommandierenden General der US-Armee wird dies sehr deutlich ausgedrückt.
Eine ganz klare Bestätigung dafür, dass die Nazis mit Hilfe der USA reintegriert und für deren politischen Zwecke instrumentalisiert werden sollten. Dem Richter, der sich von dieser Einflussnahme nicht beeindrucken liess, und lebenslängliche Haftstrafen aussprach, hielt der deutsche Verteidiger in einem abschliessenden Vieraugen Gespräch entgegen, die würden Urteile bloss für fünf sechs Jahre halten und hob den parallel laufenden IG Farben Prozess hervor, in dem bereits Freisprüche ergangen wären.

Der Film wurde mit vielen Preisen überhäuft. Einen Oscar erhielt Maximillian Schell, der die Rolle des deutschen Verteidigers spielte, einen weiterer erging an Abby Mann für das beste Drehbuch. Auf den internationalen Filmfestspielen wurde der Film mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet und  in der Bundesrepublik Deutschland erhielt er das Prädikat Besonders wertvoll zugesprochen.

Der Drehbuchautor Abby Mann, ebenso mit einem Oscar ausgezeichnet, musste jedoch Widerstand in den USA hinnehmen:

Als ich im Winter 1957 begann, Das Urteil von Nürnberg zu schreiben, betrachtete man es in der gebildeten Gesellschaft als einen Verstoß gegen die guten Sitten, über das Thema der deutschen Schuld oder über die Opfer des Dritten Reiches zu sprechen. Der Grund hierfür lag in der Politik: Das junge Bundesdeutschland war ein wichtiges Glied im westlichen Bollwerk gegen den bitterbösen Kommunismus, daher stellte man die Abrechnung mit einem unmenschlichen System, das völlig neue Maßstäbe der Barbarei gesetzt hatte, in die zweite Reihe, setzte falsche, ja heuchlerische Prioritäten. Das Urteil von Nürnberg wurde in dieser Hinsicht fast zu einem Mahnmal.

Umso bestürzender, dass man 50 Jahre nach dem Geschehen, 40 Jahre nach diesem Film, nach der Beendigung des Kalten Krieges und des Sowjetkommunismus noch immer auf Schwierigkeiten in der Vermittlung und Diskussion der Tatsachen stösst. Die Erkenntnisse österreichischer Historiker zur Rolle der USA, die im letzten Dezenium erarbeitet wurden, haben nur eine kleine Öffentlichkeit erreicht. Das gibt doch zu denken und zeigt, dass es ebenso wichtig ist, sich mit den Vorgängen der Verdrängung und nicht nur deren Hintergründen und Ursachen auseinander zu setzen.
Diese Vorgänge waren für die Entwicklung Österreichs und die seiner politischen Konstitution ebenso bestimmend, wie für die Bundesrepublik Deutschland. Politische Integration ehemaliger Nazis wurde hier zu Beginn der 50er Jahre, also noch zur Zeit der militärischen Besatzung seitens der Alliierten nach demselben Plan wie in der BRD vollzogen. Auch dies ist Teil einer gemeinsamen Geschichte, die über 1945 weit hinaus reicht.

Ich bin sicher, die Fakten, die da noch immer bestritten werden oder umstritten sind, schon lange bekannt  und wurden auch in der Öffentlichkeit kommuniziert. Heute sind sie um viele Details ergänzt. Sie müssen zwangsläufig bekannt gewesen sein, weil mit dieser Taktik Realpolitik gemacht wurde, die auch von den Massen verstanden werden sollte und auch verstanden wurde.

Es wäre zweifellos interessant, einen Überblick über all diese Dokumentationen, ihre Erscheinungsdaten, ihre Rezeptions-und Wirkungsgeschichte zu schaffen, um endlich aus dieser merkwürdigen historischen Nebelzone, in der vieles auf unsichtbare Dienste verschoben wird, herauszukommen. So war die US-Regierung immer bemüht, eine Mitverantwortlichkeit weitgehend zu verdecken. Von diesem Nichterkennen der Verantwortlichkeit kann man nach diesem 1961 entstandenen Film von Stanley Kramer nicht sprechen. Öffentlicher konnte man das nicht plakatieren. Der Film war jedoch weder in den USA noch in Deutschland erfolgreich gewesen.
Die grosse Mehrheit hat sowohl in Deutschland wie in Österreich das Angebot des Vergessens gerne ergriffen und alsbald vergessen, dass dieses Angebot überhaupt einmal gemacht wurde.
Das wurde zum Problem der Historiker. Eine historische Vereinbarung, die sich auf  lange Zeit für viele als nützlich herausgestellt hat, ist offensichtlich bedeutender als die historische Wahrheit. Deswegen wird sie verteidigt und lässt sich nicht so leicht kippen.

Wenn da nicht eines wäre. Der deutsche Verteidiger in Kramers Film spricht es aus, bevor er zu einer Anklage der Mitschuld der Welt ansetzt. Einerseits verwehrt er sich gegen die Verwendung von Originaldokumenten aus den Vernichtungslagern als Beweismaterial seitens der Anklage und andererseits gesteht er zu, dass der Holocaust auch in 160 Jahren noch nicht vergessen sein wird. Dieses Verbrechen gegen die Menschen kann nicht vergessen werden. So urteilt übrigens auch der amerikanische Richter. In einem privaten, abschliessenden Gespräch stellt er gegenüber Jannings fest, das erste Todesurteil, das Jannings gegen einen Unschuldigen verhängt hat, war die Voraussetzung für das Sterben der folgenden Millionen. Der US-Richter (ein ziviler Richter) verurteilt Janning, weil dieser die Grundlage der Justiz, die Gerechtigkeit von Anbeginn ausser Kraft gesetzt hat.
Aus juristischen wie ethischen Gründen kann nicht pardoniert werden, was aus realpolitischen Gründen dann doch pardoniert wurde.
Damit wird aber auch die Lüge, die Vergiftung der Gesellschaft, wie Jannings es in seinen selbstbezichtigenden Ausführungen im Zeugenstand des Prozesses nennt, in den politischen Alltag von Nachkriegs Deutschland und Österreich übertragen.

Das ist der wesentliche Punkt. Auf der einen Seite will man etwas vergessen machen, aus machtpolitischen Gründen, aus der Verteidigung der Freiheit gegenüber dem Kommunismus, gegen die Gefahr aus dem Osten etc. andererseits ist man damit gezwungen, die Schuld zu verdecken. Doch 50 Jahre danach merkt man einmal mehr, dass dieses Verstecken, Vergessen nicht gelingt, nicht gelingen kann. Das Verbrechen an den Juden übersteigt den historischen Verdrängungshorizont und so wird die Ambivalenz des aus einer unsäglichen Geschichte aussteigen Wollens und des nicht Könnens, weil eben das Geschehen so ungeheuerlich ist, weiterhin  vorhalten.

Jeder sensible denkende Mensch begreift, dass die Verbrechen der Nazis sich nicht nur allein gegen die Juden, die politisch anders denkenden und handelnden gerichtet haben. Sie waren generell gegen die Menschlichkeit gerichtet. Und so wird jeder Versuch der Rehabilitation zu einer weiteren moralischen Last, die auch durch das Schreckgespenst des Kommunismus nicht aufgehoben werden kann.
Diese Rehabilitation hat eben aus pragmatischen Gründen stattgefunden und lässt sich auch nach Erreichung des Zieles des Kalten Krieges nicht als gerechtfertigt hinstellen. Das ist das Dilemma, in dem wir stecken. Das ist die wesentliche Aussage des Films von Stanley Kramer.

Möglicherweise ist  meine Sehweise nicht historisch wissenschaftlich genug, mag sein, dass  Historiker ihre Aufgabe anders lösen. Es sind jedoch entscheidende Fragen der Moral, der Ethik, grundlegende Fragen des menschlichen Zusammenlebens. Menschliche Grundhaltungen wurden auf Dauer deformiert. In der Geschichtsschreibung kommt es wahrscheinlich darauf an, Recht zu haben, die richtige Perspektive durchzusetzen. Im realen Leben kommt es eher darauf an, Massnahmen gegen die Ungerechtigkeit zu setzen.
Die Wiedergutmachung an den überlebenden Juden und an den Zwangsarbeitern wurde weitgehend über Jahrzehnte hinaus gezögert. Auch dies hat mit den Entscheidungen, die in den 50 er Jahren gefallen sind, zu tun.
Hätte man dies bereits nach dem Kriege getan, oder zumindest in den 50 er Jahren, so hätte man sich der Mithilfe der Nazis nicht so versichern können. Denn Wiedergutmachung ist ein klarer Ausdruck des Eingeständnisses von Schuld. So geriet auch alles in dieser Richtung halbherzig.

Die Existenz der Gesellschaft dieses Nachkriegseuropas, insbesondere Deutschlands und Österreichs und der Nordatlantische Pakt ruht auf einer Vereinbarung, die sich als schwerlastende Hypothek heraus stellt, die aber allgemein anerkannt und abgesegnet worden war.
Ein befreundeter  Staatsbeamter, der das KZ Mauthausen nur mit viel Glück überlebte, hat mir im Verlauf unserer Gespräche deutlich wissen lassen,  die Gefahr des Kommunismus habe die Pardonierung der Nazis gerechtfertigt. Er hat diese Rehabilitation seiner Widersacher für politisch richtig empfunden.
Man habe eben versucht, sie wieder zu Christen zu machen. Dass dies nicht völlig gelungen ist, zeigt der zynische Umgang mit den Geschehnissen der Nazizeit, die Politiker einer bestimmten Richtung heute an den Tag legen. Ebenso beruft sich die neue Rechte darauf, die Nazis hätten am Erhalt der freien Welt aktiv mitgewirkt.

Der Film enthält einige weitere wesentliche Punkte. Der Ankläger hält bestürzt fest, man wäre nach Nürnberg gekommen und habe geglaubt, man müsse bloss eine gewissenslose Verbrecherbande vor dem Gericht aburteilen und den entsprechenden Strafen zuführen.
Man habe es aber mit Beamten, mit Akademikern, die über eine ausgezeichnete Ausbildung verfügen, zu tun. Die trotz ihres Wissens und Kenntnis der Sachlage wider die ethischen Grundlagen der Justiz dem verbrecherischen Unrecht Tür und Tor öffneten. Sie hätten das System durch den Einsatz ihrer beruflichen Würde und Fachkompetenz erst legitimiert.
Man muss intensiv darüber nachdenken, welche Auswirkungen die Nürnberger Rassengesetze mit sich brachten. Die allgemeine Akzeptanz der Rassengesetze in der Bevölkerung war wesentliche Voraussetzung für die folgende Vernichtung und die fortdauernde Xenophobie des Fremdenhassen, die immer wieder hervorbricht.

Der deutsche Verteidiger streicht die Rolle des Vatikans, der unter anderem mittels des Konkordats Hitler zu Prestige verholfen habe, heraus. Ebenso die Mithilfe von amerikanischen Industriellen in der Wiederaufrüstung nach 1933. Der Film zeigt ein detailreiches Bild.  Ich bin mir  sicher, die den Film damals gesehen haben, verstanden richtig. Allerdings ist diesem Film kein kommerzieller Erfolg beschieden gewesen. Es haben ihn offensichtlich zuwenige Menschen gesehen und verstehen wollen.

Nachdem dieses politische Geschäft, das dieser Film zeigt, als gültige Konstruktion von Wirklichkeit angesehen wurde und wird, erscheint der Versuch der Aufklärung darüber, also die Darstellung der historischen Wahrheit, ebenso als politische Absicht.
Die Wahrheit soll nicht erkannt werden, da sie den politischen Konsens stören würde. Die Schuldfrage erneut zu stellen, heisst auch immer wieder den Konsens in Frage zu stellen. So gesehen hat die Perspektive von Geschichte politische Wirkung.
Und das ist offensichtlich störend für jene, die den Pragmatismus sowohl über Wahrheit wie auch Gewissen stellen. Dies ist nicht allein das Dilemma des Historikers. All jene, die an dieser Konstruktion festgehalten haben, steckten ebenso darin fest und wurden selbst dadurch beschädigt. Eine Spätfolge dieser ausblendenden historischen Vereinbarung ist unter anderem die von der extremen Rechten bewusst forcierte Auschwitzlüge. Die sogenannten Revisionisten konnten eine Zeitlang in dieser perversen Zuspitzung die vereinbarte Konstruktion schamlos und zynisch ausreizen. Allerdings nur begrenzt, wie einerseits die klar ergangenen Strafandrohungen und das jüngst  in London ergangene Urteil wider David Irving gezeigt hat.

Hätte man bereits früher der Verdrängungskampagne der 50 Jahre widersprochen, wäre es gar nicht soweit gekommen. Die Debatte wider die Revisionisten hat deswegen zu kurz gegriffen, weil eben genau diese allgemein akzeptierte Taktik von damals nicht zur Genüge beachtet wurde. So konnte auch der Historiker Nolte von einem europäischen Bürgerkrieg sprechen, den er in einem Zeitraum von 1917 und 1945 abhandelte. Alles wäre nur geschehen, weil die Bolschewiki die  Oktoberrevolution in Gang gesetzt hätten. So haben auch die Nazis argumentiert.

Dass sowohl die Deutschen wie auch die Österreicher aus Vergangenem nicht wirklich entlassen wurden, zeigen die erst in der jüngsten Zeit abgeschlossenen Verhandlungen über die Wiedergutmachung. Beschämend für alle, dass dies nicht aus moralischen sondern aus wirtschaftlichen Gründen geschehen ist. Man fürchtete eben den angedrohten Zugriff auf Vermögen jener involvierten Firmen, die Zwangsarbeiter in Anspruch genommen und Niederlassungen in den USA haben. Die Wiedergutmachung jüdischer Ansprüche ist noch nicht völlig abgeschlossen, und wird nun auf staatlicher Ebene geregelt werden. Bemerkenswerte Randnote, ebenso erwähnt im Stanley Kramer Film. Die leitenden Angestellten der IG Farben wurden in einem ähnlichen Prozess von einem amerikanischen Kriegsgericht freigesprochen. Auch sie nutzten in ihrem Unternehmen die Arbeitsleistungen von Zwangsarbeitern aus.
Vom Verwaltungsgebäude der IG Farben  in Frankfurt aus haben die USA die Geschicke der Bundesrepublik Deutschland fast ein halbes Jahrhundert lang mitbestimmt.
 


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