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ad Lagebericht 1:


© Ferdinand Schmatz

Ich würde vorschlagen, ersetzen wir "Elite" durch "Rand", durch "am Rand stehend", noch besser :
durch "am Rand bewegend", so schwächen wir den verdächtigen Begriff der Elite ab, und sind sicher, daß sich dieser Status, oder dieser Ort der Kunst, vielleicht äußerlich, aber nicht in seiner sozialen und ästhetischen Schärfe verändert hat. Wie auch immer: Auf die Elite-Rolle, im Sinn der Weiterverpflanzung von Bildungsgut, kann von Haus aus verzichtet werden. Dazu kommt, daß die Gesellschaft, der die Elite voranarbeiten sollte, deren Wühlarbeit nicht mehr zu benötigen scheint, da sie diese nicht einmal mehr zu verhindern bereit ist. Es liegt also an der Gesellschaft und nicht an der Randgruppe - wenn sich diese verweigert, für die Idioten der Indifferenz neue Wege zu erforschen. Aber arbeitet sie überhaupt im Neuland - wäre dieses das Reich der präzisen Formulierung? Fand sich die Kunst und Dichtung je dort ein? Was wiegt schwerer: Joyce's Roman oder Wieners Feuilleton? Ist die Innovation der Form zu Ende, wenn im Essay und in der Ballade, das was ich weiß, wenn ich es weiß, genauer gesagt werden kann, als im (alten, modernen) Text? Dessen Avantgarde adé - vielleicht. Aber: Oswald Wieners Bestandsaufnahme - und das muß den Fragestellern des "Lageberichts" gesagt sein, und den bereits einsetzenden Diskutanten und Privathermeneuten, die Wieners Mäntelchen den Frierenden nach ihm umwerfen möchten - orientiert sich an einer naturwissenschaftlichen Auffassung von Verstehen. Und im Dienste dieser hat die Dichtung und Kunst tatsächlich nie gestanden, wenn ihr auch, mehr oder minder unbeabsichtigt (C. Einstein, Duchamp) zugearbeitet: Dies allerdings auf dem Weg der Abweichung von der vorgesetzten Methode, dem Fehler Platz einräumend, und eine Auflösungswut in den Totalitätsanspruch miteinschließend. Im derart ausschöpfenden Forschen hat sie dabei ihre eigenen Arbeitsweisen stets angezweifelt. Es kann also eine Fortsetzung von Wieners streng wissenschaftlicher Linie aus heutiger Sicht in der Literatur kaum geben. Also nicht allzu nervös werden, Freunde. Ja, Oswald Wiener selbst gibt doch ein Beispiel, das ihn ein wenig in die Arme der Kunst zurückfallen läßt: Er verbindet heute Introspektion mit wissenschaftlicher Ausrichtung - ein in der Wissenschaft bis dato undenkbarer Schritt, wenn auch von vielen Wissenschaftern (A. Einstein, Poincaré) während ihres Forschens getätigt, aber nie als Theorie niedergelegt. Und überhaupt: Kunst und Literatur, deren Ästhetik und Poetik, können sich auf gewisse wissenschaftliche Theorien stützen, aber nicht blind und stur auf diese setzen. Sie schreiben und er-arbeiten ihre eigenen, und entwickeln vielleicht auf Umwegen, aber um die geht's, die wissenschaftlichen mit. Sie erstarren nicht in den "Gletschern der Ästhetik", aber versanden auch nicht im Konsens-Tunnel der Wissenschaftsgläubigkeit. Erforschen heißt Ausprobieren, Abtasten, Herausfinden von Möglichkeiten - als ständige Realisation von Freiheit (selbst wenn sich diese nur als Veränderung erweist, die nicht Entwicklung auf Präzision hin bedeuten muß). Immer noch gräbt die Dichtung eigene Durchschlupfwege, diese in Form einer selbstbewußt erstellten eigenen Logik. Regeln folgend, während diese überprüft, verändert, gebrochen oder weitergetrieben werden, beschwört sie keinen Separatismus, aber im guten alten Sinn (des Jakobsonschen Strukturalismus), die Autonomie der ästhetischen Funktion - stets bereit, auch diese über Bord des Zeitgeistes zu werfen, wenn es noch einen gäbe, der sie berührt, zum Widerstand provoziert oder zur Anteilnahme evoziert. Also umsomehr gilt es weiterzumachen!



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