Inhaltsangabe:
1. Auf welche Form der Kunst ist eine staatliche Förderung überhaupt anwendbar? -
2. Kunst hängt vom Kunstmarkt ab -
3. Was für eine interne psychologische Kunsttheorie steckt hinter dem internen offenen Kunstmarkt?
4. Die evolutionäre Eigendynamik des Kunstmarkts
5. Die negative Realität des geschlossenen Kunstmarktes
6. Unvorhergesehenen Abweichungen vom Kompromissen oder Gleichgewichtslagen?
7. Kompetitiver Schützen-Grabenkampf am Büchermarkt
8. Die Chancen einer neuen globalen Stadtkultur und ihre Auswirkung auf die gesellschaftliche
Kunst - Literatur - Status quo - Massnahmen - Effekte
Im jüngst erschienenen “Weissbuch” zur Reform der Kulturpolitik
in Österreich werden, unter der Annahme, dass die gegenwärtige
Kunst selbst eine “gesellschaftliche Kunst” sei, weitgehende künftige
Reformen der Kultur und Kunstpolitik, vorgeschlagen. Diese “gesellschaftliche
Kunst” wird gleich am Anfang wie folgt beschrieben: “Gleichzeitig lässt
sich der Kunstbegriff längst nicht mehr auf einen tradierten, oftmals
noch von den Werten des 19. Jahrhunderts bestimmten Begriff reduzieren,
sondern umfassst mittlerweile häufig auch den sozialen, den technologischen,
den gesellschaftlichen und ökonomischen Bereich” (Weissbuch 1998:
3). Für die Autoren und die Mehrheit der Bevölkerung klingt dies
durchaus plausibel: dass eine gesellschaftlich orientierte Kunst von der
Gesellschaft, dem Staat gefördert werden sollte - aber vielleicht
haben die Autoren die Rechnung ohne den Wirt, die Künstler und den
Status quo der modernen Kunst, gemacht. Dieser Artikel wirft so etwas wie
eine Grundlagenfrage der gegenwärtigen Kunst auf: Was sind die Voraussetzungen,
die Bedingungen und Konsequenzen, wenn wir Kunst in unseren Demokratien
als gesellschaftliche Kunst bezeichnen? Existiert solch eine gesellschaftliche
Kunst in unserer gegenwärtigen Gesellschaft überhaupt, und welche
gesellschaftliche Funktionen hat sie? Dieser Artikel geht also einen dem
“Weissbuch” genau entgegengesetzten Weg. Vor jeder Förderung der Kultur-
und Kunstpolitik müsste gefragt werden, ob die heutige Kunst tatsächlich
solch eine gesellschaftliche Kunst ist. Ist sie das nicht, dann müsste
gefragt werden, was Künstler tun sollten, um eine solche hervorzubringen,
und nicht immer, was der momentan in einer finanziellen Krise befindliche
Staat für sie tun könnte. Leider scheint es auf den ersten Blick
eher der Fall zu ein, dass die heutige Kunst an einer Lösung dieser
Grundlagenkrise, in der sich auch Wissenschaft, Technik, die Religionen,
die Kultur im allgemeinen und die Politik selbst befinden oder befunden
haben, nicht besonders interessiert ist.
In dieser Situation könnte man sich fragen, ob die Künstler
nicht von den Wissenschaftlern und Technikern lernen könnten. Schon
lange vor den Künstlern haben diese, unter öffentlichem, demokratischen
Druck, unter verschlechterten Umweltsbewegungen etc. zusammen mit den Gesellschaftswissenschaftlern,
Sozialphilosophen (von denen einer, A. Sen, heuer den Nobelpreis für
eine Analyse solcher Probleme bekam), begonnen, die gesellschaftlichen,
wirtschaftlichen, technologischen und sozialen Aufgaben ihrer Disziplinen
zu diskutieren. Es wäre an der Zeit, dass auch die Künstler,
ihre Akademien und Kunstschulen beginnen würden, die gesellschaftlichen
Aufgaben der gegenwärtigen Kunst zu diskutieren und festzulegen. Z.B.:
Kann Kunst einfach eine private Kunst für die Privaten bleiben?
Welche gesellschaftlichen Aufgaben kann die heutige Kunst tatsächlich
in Demokratien erfüllen? Kann nur eine “gesellschaftliche” Kunst staatlich
gefördert werden? Denn warum sollte der Steuerzahler eine private
Kunst fördern? Das heisst also nochmals: Welche Art der Kunst förderbar
sein soll, hängt von vornherein nicht nur von noch so guten Förderungsprogrammen
und der Kulturpolitik ab, sondern auch von der gesellschaftlichen, sozialen,
technischen und wirtschaftlichen Relevanz der Kunst und der Künstler.
Diese “Art der Kunst” hat nichts mit den verschiedenen originären
Kunstrichtungen zu tun, sondern nur mit der Grundalternative zwischen einer
gesellschaftlichen und einer nicht gesellschaftlichen Kunst. Soll die zwar
ehrwürdige, aber noch immer vorherrschende private Kunstauffassung
des “l’art pour l‘art”, der “Kunst um der Kunst willen,” oder der “Kunst
nur für die Künstler”, in der der Künstler die völlige
individuelle Freiheit, ohne jeden Bezug auf seine Gesellschaft beansprucht,
heute noch möglich und förderbar sein? Wenn also vor allem oder
alleine die gesellschaftliche Kunst staatlich gefördert werden sollte,
was offenbar die - richtige - Meinung der “Weissbuch”-Autoren ist, dann
sollte man nachweisen können, dass die Künstler ihre soziale
Aufgabe in unseren Demokratien wirklich ausüben, oder wenigstens beginnen,
sie ernstzunehmen.
Die nächste Frage ergibt sich sofort: So wie sich die gesellschaftliche
Aufgabe der Wissenschaft, Technik, Wirtschaft usw. aud dem Markt abspielt,
so spielt sich auch die gesellschaftliche Aufgabe der Kunst auf einem Markt,
dem Kunstmarkt, ab. Bei fairer, d.h. den demokratischen Gesetzen ensprechender,
Konkurrenz auf einem Markt stellt sich zwischen dem Künstler als Anbieter
und den Käufern, Kunstliebhabern als Nachfragern eine Gleichgewichtslage,
ein gesellschaftlicher Kompromiss über den ästhetischen und finanziellen
Preis des Artifakts unter offenen, demokratischen und Umweltsbedingungen
ein. Beide zusammen bestimmen also den fairen Preis, nicht der Künstler
allein. Wenn die Künstler und Künstlerinnen ihre Artifakta nicht
am Kunstmarkt anbieten, und wenn die Kunstkonsumenten nicht am offenen
Kunstmarkt nachfragen, bleibt die Kunst l’art pour l’art, privat; sie erstarrt.
In jeder demokratisch offenen Gesellschaft streben die möglichst freien,
dynamischen Interaktionen zwischen Angebot und Nachfrage am offenen Kunstmarkt
ein relativ stabiles Gleichgewicht an. Dieses Gleichgewicht bestimmt den
ästhetischen Wert und den monetären Preis des Kunstwerkes, so
nach Krelle (Krelle 1992: 238f; Vahlen 1987: II, 735ff). Gesellschaftliche
Kunst ist ohne den empirischen Markt undenkbar. So entsteht, je nach der
Art der angebotenen Artifakta, die ja Schöpfungen durch Arbeit sind,
dadurch, dass sie angeboten, verlangt, ausgetauscht, verkauft, erworben
werden, ihr gesellschaftlich-ästhetischer Wert, und gleichzeitig ihr
externer wirtschaftlicher Geldwert. Im Grunde sind Gleichgewichte in Demokratien
hauptsächlich optimale Konfliktlösungen zwischen den Einzelinteressen,
z.B. zwischen den - oft egoistischen - Präferenzen der Künstler
und den Interessen aller Kunstkonsumenten unter den Restriktionen unserer
demokratischen Gesetze. “Hauptsächlich”, denn nur in Demokratien gilt
ein verfassungmässig festgelegtes, sozialgerechtes, faires Prinzip,
das Pareto-Prinzip (Sen 1994: 34, 35). Es soll verhindern, dass am Markt
einige, ein Teil der Gesellschaft, den anderen Teil diskriminieren und
ausbeuten kann. Das Pareto-Prinzip gibt, à la longue, der demokratischen
Gesellschaft Stabilität (Sen 1994: 34; Rawls 1971: 496-504; Leinfellner
1983: 243; Götschl 1995). Entgegen oberflächlichen Ansichten
ist der offene Markt in Demokratien daher nicht kapitalistisch. Gerade
die künstlerischen Interaktionen am offenen Kunstmarkt machen die
Kunst gesellschaftlicher, wirtschaftlicher, sozialer und technischer -
wie dies von den Autoren des “Weissbuchs” gefordert worden ist - vorausgesetzt,
dass sie sich der ausgleichenden Eigendyamik offener Märkte möglichst
anpassen. Die schon gestellte Frage kann nun präziser gefasst werden:
Ist dies heute der Fall? Die Mehrzahl der Wissenschaftler und Techniker
hat sich dem demokratischen, offenen Markt schon längst angepasst.
Wissenschaftliche Forschung, d.h. wissenschaftliche Arbeit und ihre Produkte
(Ideen, Theorien, Erklärungen, Mentifakta), die technischen Produkte
(Technifakta) und Forschungsergebnisse sind frei am Markt verfügbar.
Aber Wissenschaftler und Techniker sind schon längst übereingekommen,
dass ihre Arbeit und die Produkte ihrer Arbeit (Mentifakta und Technifakta)
der demokratischen Gesellschaft zumindestens nicht schaden sollen. Das
hat bisher mehr Arbeitsplätze geschaffen als alle anderen gesellschaftlichen
Institutionen zuwege gebracht haben. Auch die Mehrzahl der Politiker hat
akzeptiert, dass Politik die Wohlfahrt der Menschen fördern, den Menschen
in demokratischen Gesellschaften nicht schaden, seine Umwelt nicht ruinieren,
kurz nicht gegen die demokratisch akzeptierten Gesetze verstossen soll.
Kann dann so etwas auch von der gegenwärtigen Kunst und den Künstlern
verlangt werden?
Warum sollten die Künstler nicht beginnen, genau so wie
die Wissenschaftler und die Techniker ihre gesellschaftlichen Grundsätze,
ihre wirtschaftlichen Ziele in offenen demokratischen Gewerkschaften oder
Vereinigungen festzulegen, Kritik und Selbstkritik, wie bei den Wissenschaftlern
und Technikern üblich, zu pflegen, und sich verpflichten die demokratischen
Rahmengesetze zu beachten, anstatt sie in Frage zu stellen? - besonders
heute, wo Sparpakete die öffentlichen Förderung von Kunst, Wissenschaft
und Technik (hoffentlich nur vorübergehend) kürzen müssen.
Vom gegenwärtigen Stand der Kunst aus gesehen, ist bis jetzt
solch eine Eigeninitiative leider erst in den Kinderschuhen; viele staatliche
Kunstförderungen sind bisher daran gescheitert. Die Grabenkämpfe
der Kunstrichtungen und des Kunstbetriebes und das Vorherrschen der egoistischen
“l’art pour l’art”- Kunstauffassung, die gegenwärtig noch immer “en
vogue” zu sein scheint, hindern offensichtlich die volle Entwicklung einer
gesellschaftlichen Kunst. Es ist kein Wunder, dass Feyerabends Diktum “Anything
goes”, “Alles ist gleich(wertig)”, heute in der Kunstförderung gilt:
Man nennt es das “Giesskannenprinzip”: Alles und jedes wird gefördert,
was nur den Namen “Kunst” trägt.
Kurz, die gesellschaftlichen Reformen der Künstler selbst,
die die Kunst in Demokratien zu einer “gesellschaftlicheren Kunst” machen
sollten, verlaufen äusserst stockend; dies erschwert auch äusserst
ihre staatliche Förderung. Es handelt sich zum Beispiel darum, den
existierenden Kunstmarkt offen und demokratisch zu halten, den Kunstkonsumenten
und Käufern durch passende Angebote entgegen zu kommen, und sie nicht
dem Diktat einer Kunstrichtung auszusetzen.
Wenn man die Eigendynamik der Märkte und besonders der Kunstmärkte
utersucht, z.B. in der Wissenschaft spieltheoretisch, so stellt sich bald
heraus, dass sie automatisch die langfristige Tendenz besitzen, zu einer
gesellschaflichen Form der Kunst zu führen. Dazu zählt die Erkenntnis
des gesellschaftlichen Wertes des von Intellektuellen allseits verachteten
Kunstmarkts.
Seine genaue Analyse zeigt, dass dieser Markt eine zweifache
Funktion besitzt: einerseits eine interne psychologisch-ästhetische,
andererseits eine externe, monetäre, wirtschaftlich-dynamische Funktion.
Die innere gesellschaftliche Dynamik einer dieser Funktionen ähnelt
der anderen und sie hängen auch zusammen. Die äussere wirtschaftliche
Funktion fusst auf der internen, ästhetisch-psychologischen; beide
fussen auf der gesellschaftlich relevanten Funktion der Kunst, wie noch
erörtert werden wird. In der extrem individualistisch-egoistischen
“l‘art pour l‘art”-Kunstauffassung, wo Kunstwerke keinen Markt benötigen,
haben deswegen Artifakta keinen gesellschaftlichen Wert, bloss einen traditionell-subjektiven
ästhetischen Wert für den Künstler und seine Anhängerschar.
Subjektive Kunstbewertung hängt also nur davon ab, wie gut es dem
Künstler, seiner Meinung nach, gelingt, Emotionen, Stimmungen, Gefühle,
das Schöne, das Hässliche, Übliche, die Alltäglichkeit
bei Beuys symbolisch in einem Kunstwerk darzustellen.
Hier muss man sich wieder fragen: Für wen erschafft der
Künstler überhaupt seine Kunstwerke? Wozu bemüht er sich,
etwas symbolisch in Artifakta darzustellen? Für sich allein oder die
“anderen”, die Gesellschaft? Es ist also eine empirische Tatsache, dass
mit dem Kunstmarkt die Abhängigkeit der Kunst von der Gesellschaft
beginnt. Wegen der Geringschätzung der dynamischen, ausgleichenden
und stabilisierenden Funktion des offenen Marktes in Demokratien und der
Rolle des Konsums (Kunstgenusses) wird die gesellschaftliche Funktion heute
vielfach unter den Teppich gekehrt. Hier aber beginnt die dynamische Interaktion
der Künstler mit den anderen, der Gesellschaft, den “Konsumenten”,
ein Wort das zugleich für den Käufer, den Geniesser, den Betrachter,
den Sammler steht, und ohne den die Kunst keinen gesellschaftlichen Wert
besitzt. Mit der Rolle des offenen Kunstmarktes sollte die neue Grundlagendiskussion
der gesellschaftlichen Kunst in Demokratien beginnen. Die Beantwortung
dieser Frage wird erweisen, welche Klippen eine gesellschaftliche Kunst
auch in Demokratien noch erwarten.
Was hier wichtig ist: Mit dem Markt in seiner zweifachen Funktion,
der intern-psychologischen und der externen wirtschaftlichen, beginnt die
gesellschaftliche Bewertung der Artifakta durch die “anderen”, wozu auch
die Kunstkriker, die Galerien u.ä. zählen, seine Abhänigkeit
vom Markt, und zwar weit mehr, als man heute annimmt. Daran ist nicht mehr
zu rütteln. Noch mehr, die Kunst sollte daher für die anderen,
die Betrachter, die Käufer, die Kritiker, Galerien, die Förderer,
kurz: für die demokratische Gesellschaft da sein, die über den
ästhetischen und den monetären Wert der Artifakta genau so mitbestimmt,
wie der Künstler. Wissenschaftler, Techniker, ja sogar Politiker haben
sich schon längst an die gesellschaftliche Einschätzungen ihrer
Produkte, an Kritik und an Selbstkritik gewöhnt. Erkennt man dies,
dann beginnt sich auch der Zweck der gegenwärtigen Kunst eindeutig
zu Gunsten einer gesellschaftlich orientierte Kunst zu ändern. Brutal
gesagt: Ohne Konsumenten gibt es überhaupt keine Kunst. Kunst würde,
wie es Hausenstein sagt, ohne die Gesellschaft, ohne eine ständig
sich ändernde Umgebung, ohne die “Zuschauer” ein “Ruderaparat im Zimmer”
für den Künstler sein. Die interne und die externe wirtschaftliche
Funktion der Kunst sind untrennbar verbunden. Durch beide erwacht die Kunst
zu ihrem Eigenleben und ihrer Eigendynamik. Z.B. hat es wenig Sinn, wenn
Museen Kunstwerke erwerben, um sie dann in ihren Kellern zu lagern, oder
wenn Millionäre Kunstwerke wie Geldanlagen in ihren Privaträumen
oder Tresoren horten und verstecken und so der Öffentlichkeit vorenthalten.
Am Markt erfährt das Kunstwerk seinen gesellschaftlichen Wert und
seinen Marktpreis, der allerdings im geschlossenen Kunstmarkt oft nur sein
Geldwert ist. Auf jeden Fall kann man diesen Wert mit anderen empirisch
vergleichen und auch ungefähr empirisch bestimmen. Nun kommt aber
eine weitere, meist vernachlässigte gesellschaftliche Klippe und Schwierigkeit
hinzu, die charakteristisch für die Komplexität der Kunst und
Kultur ist. Die zwei Funktionen des Kunstmarktes existieren einerseits
als offene, faire und demokratisch geregelte, und/oder als geschlossene
Marktformen, die sich analog zu Poppers offener und geschlossener Gesellschaftsform
verhalten. Nach Popper ist der geschlossenen Markt mehr oder minder von
Einzelnen, Gruppen und Eliten manipuliert, um ihren Interessen, ihrem egoistischen
Profit und ihrer Macht zu dienen, ohne Rücksicht, wer dabei zu kurz
kommt, diskriminiert wird, kurz: Schaden erleidet.
Beide Funktionen des Kunstmarktes, die des offenen und des geschlossenen,
sind aktuelle Formen des Kunstmarktes, sodass wir auch vereinfacht von
zwei verschiedenen Kunstmärkten sprechen können. Beide beruhen
zwar in Demokratien auf der künstlerischen Arbeit und Produktivität
und, ganz oder teilweise, auf der Eigendynamik jedes Marktes. Der Motor
oder Attraktor jedes Marktes ist seine evolutionäre Angebot-und-Nachfrage-Elastiziät,
hier eine ausgleichende Eigendynamik des künstlerischen Wertes oder
des Geldpreises von Artifakten. Im freien Markt ändern sich zwar beide
ständig: Z.B. passen sie sich an die Änderungen in der Gesellschaft,
ihren Kunstpräferenzen und an Änderungen ihrer Umgebung, an technische
Verwirklichungen, wie TV und weltweite Kommunikation, aber auch an Auswirkungen
kleiner Zufälle an. Sie tendieren aber im Laufe der Zeit oder der
Generationen immer wieder dazu, bei nicht zu katastrophalen Störungen
neue, relativ stabile Gleichgewichtslagen, Wiederbewertungen und Preise
der Artifakte aufzubauen. Diese bleiben nur solange relativ stabil, als
keine neuen Störungen auftreten, um sich dann auf dem offenen Markt
in Demokratien wieder auf neue “Gleichgewichtsbewertungen” der ästhetischen
Werte und auch der Preise zwischen Angebot und Nachfrage am jeweiligen
Kunstmarkt einzupendeln. Empirisch zeigt sich dies im Auf und Ab der Angebote
der Künstler und in der Nachfrage der Konsumenten, die von den jeweiligen
Kunstpräferenzen der Konsumenten, von Käufern, Geniessern etc.
der Artifakta abhängen. Daraus resultiert die altbekannte Tatsache,
dass Kunstrichtungen, die einst hoch im Kurs standen, heute weniger Wert
besitzen, vice versa. Da der psychologisch-ästhetische Wert am internen
und der monetäre Preis der Artifakta am externen wirtschaftlichen
Markt im Laufe der Zeit sich ebenfalls ändern, auf und ab gehen, ist
diese Eigendynamik chakteristisch für die gesellschaftliche Kunst,
aber verschieden auf dem offenen und dem geschlossen Kunstmarkt. Hier umfasst,
wie zwei Mitautoren des Weissbuches, Wiesand und Hummel, es sich vorstellen,
die heutige Kunst tatsächlich den ökonomischen, sozialen und
technischen Bereich. Im Gegensatz zum Wirtschaftsmarkt, auf dem der Wettbewerb
für billigere Technifakta, Produkte und Waren aller Art vorherrscht,
hat am Kunstmarkt aber die gesellschaftliche Kooperation, der kooperative
Kompromiss weit mehr Einfluss als der typisch Darwin’sche Wettbewerb. Z.B.
soll das kooperative Verhandeln (Konsens) am offenen Kunstmarkt das Einpendeln
von Gleichgewichten zwischen Angebot und Nachfrage leichter zustande bringen,
seine Eigendynamik erleichtern, oder zumindesten den Kunstmarkt dabei nicht
stören.
Die vielleicht grösste Schwierigkeit und Klippe für
die gesellschaftliche Kunst beginnt, wenn der offene Kunstmarkt, der ohnehin
sehr empfindlich reagiert, willkürlich manipuliert wird und sich dadurch
in einen geschlossenen Kunstmarkt umwandelt. Wie am Wirtschaftsmarkt kommt
es leider zu oft vor, dass egoistische, absichtliche Manipulationen, Monopolisierungen
durch Eingriffe von Interessengruppen, Eliten, von parteipolitischen Ideologien
und von Regierungen, oft unter Verletzung demokratischer Rechte, den offenen
Kunstmarkt in einen geschlossenen Markt umwandeln, einzig allein um ihre
Interessen und Profite zu maximieren.
3. Was für eine interne psychologische Kunsttheorie steckt
hinter dem internen offenen Kunstmarkt? Psychologisch gesehen ist der ästhetische
Wert der Artifakta keineswegs notwendigerweise völlig vom externen
monetären Weltpreis am wirtschaftlichen Kunstmarkt abhängig.
Dem Verkauf eines Kunstwerks liegt ja, erstens, psychologisch zugrunde,
dass der Konsument (der Käufer) den symbolischen Gehalt (ein Gefühl,
eine Stimmung etc. in der bildenden Kunst; eine Episode, Mentifakt in der
Literatur; “Mentifakt” steht hier allgemein als Sammelbegriff (Cluster)
von Gefühlen, Stimmungen, Emotionen, Vorstellungen, Ideen), die der
Künstler in das Kunstwerk “gesteckt” hat, selbst psychologisch, mental
so gut wie möglich wiedererlebt, geniesst, ablehnt und interpretiert.
Zweitens: Informationstheoretisch gesehen ist das materielle Kunstwerk
der Träger der ästhetischen Information, die am Kunstmarkt vom
Künstler dem Empfänger, dem Käufer übermittelt “gesendet”
wird (Leinfellner 1966: 163-174) und die am internen und externen Kunstmarkt
“gehandelt” wird. In der Literatur ist bekanntlich die Sprache der Informationsträger.
Die sprachlich eingekleideten ästhetischen Informationen sind in der
Literatur zeitlich ablaufende Episoden, Erlebnisse, gesellschaftliche Konflikte,
aber auch a-temporale Beschreibungen, die dem Leser übermittelt werden.
(Freud, Bense, Aby Warburg, E. Kris, K. Herding und Leinfellner vertreten
solch eine dynamische, prozesshafte und psychologisch fundierte Ästhetik
des internen Kunstmarkts.) Artifakta, besonders der darstellenden Künste,
wie der Malerei, der Graphik, und der Musik enthalten symbolisch verschlüsselt
in Farbe, Raum, Licht, in der Musik in zeitlich aufeinander folgenden Tönen
und Melodien emotional-gefühlsmässige Erlebnisse der Künstler,
um deren Besitz und Genuss es dem Konsumenten geht. Gerade die hier gebotene
dynamischen Prozessästhetik erklärt, warum das Kunstwerk solange
kein Kunstwerk sein kann, als es dem Künstler nicht gelingt, am Markt
den anderen, den Zuschauern, Kunstkonsumenten, Käufern, Kritikern
den symbolischen “Inhalt”, die künstlerische Information nach Bense
und Leinfellner, optimal zu übermitteln, gerade so wie eine Radiosendung
ohne Sender, Tonträger, Hörer nicht existiert (Bense 1954: I-IV).
Das umreisst kurz die interne Funktion und Grundlagen einer gesellschaftlich
relevanten Kunst.
4. Die evolutionäre Eigendynamik des Kunstmarkts.
Der interne, psychologische Aspekt des Kunstmarkts erklärt das,
was sich zwischen Künstlern und Kunstkonsumenten sozusagen psychologisch-ästhetisch
abspielt und ist den meisten Künstlern, Kunstkonsumenten und allen
Beteiligten intuitiv klar. Die Darstellung hier soll aber einen Nachweis
erbringen, wie und warum die gegenwärtige Kunst einerseits immer mehr
die Rolle einer gesellschaftlich relevanten Kunst in unseren Demokratien
annimmt. Andererseits ähnelt ihre innere Dynamik, die Kreation und
die Änderungen von Kunststilen, ihre museale Tradierung von Generation
zu Generation mehr und mehr einem evolutionären Prozess, natürlich
nicht im Sinne eines Sozialdarwinismus. Wenn z.B. in der bildenden Kunst
in das Rohmaterial als Träger neue ästhetische Erlebnisse, Emotionen,
Phantasien, Bedeutungen und Symbole vom Künstler inkorporiert, dort
symbolisch verschlüsselt oder hineinverpackt werden, agiert der Künstler
als Sender dieser verpackten “ästhetischen Informationen”, um sie
am Markt den “Empfängern”, den Konsumenten in verschlüsselter
Form, wie es die Informationsästhetik beschreibt, zu übermitteln
oder zu senden. Wie Picasso sagte: Es kommt nicht darauf an, die Sonne
als gelben Fleck zu malen, sondern den gelben Fleck als Sonne. Wenn dies
von immer mehr und mehr Empfängern in der Bevölkerung akzeptiert
wird, aggregiert wird, festigen sich Wert und Preis, das stiegende Angebot
der Künstler und die Nachfrage von immer mehr Kunstliebhabern; dies
führt zu einer relativ stabilen Bewertung der Kunstwerke für
eine bestimmte Zeit. Störungen, Veränderungen können jederzeit
einsetzen und zur Akzeptanz von neuen Kreationen, von neuen Artifakta führen.
Kurz, in Demokratien kann das Angebot der Künstler und die Nachfrage
der Konsumenten, Käufer den ästhetischen und den monetären
Preis für eine Zeitperiode bestimmen.
Durch zahllose Transaktionen, Verkäufe am offenen Markt
etc. pendeln sich so die psychologischen, ästhetischen Bewertungen,
ebenso wie die monetären Preise von Artifakten im Laufe der Zeit optimal
auf relative (statistische) Gleichgewichtswerte ein, also auf Kompromisse
zwischen Kunstangebot und Kunstbedarf. Das erklärt, warum auf eine
kürzere oder längere Zeit Artifakta einer bestimmten Kunstart,
eines Kunststils einer Künstlergruppe oder eines Stars die relativ
höchsten ästhetischen und monetären Preise zugleich erzielen
können. Relativ” bedeutet hier einfach, dass kein Kunstwerk ewigen
Wert in allen Gesellschaften besitzt, da diese sich ja auch ändern
und von Zufällen heimgesucht werden können. Jeder Künstler,
Künstlerin, wenn er oder sie Erfolg haben und er/sie sich gegen alle
anderen kompetitiv durchsetzt, kann eine gewisse Zeit führender Star,
ein “Genie”, wie Picasso u.a. werden. Dann herrscht ein gewisses Gleichgewicht
zwischen dem, was die Künstler mit ihrer Kunst beabsichtigen, produzieren
und dem, was die Kunstkonsumenten verlangen, wünschen. Wie lange das
andauert, hängt von neuen Kunstrichtungen, die sich gegen alte kompetitiv
durchsetzen, von Veränderungen des Geschmacks und der Präferenzen
in der Gesellschaft, und schliesslich von nicht voraussehbaren Zufällen
ab. Das illustriert kurz die evolutionäre Eigendynamik des fairen
Kunstmarkts innerhalb von Demokratien, wie sie von Leinfellner in einem
mathematische Modell dargestellt worden ist (Leinfellner 1998: 205-209).
Nach Reich-Ranicki werden Autoren, die sich zur Aufgabe setzen,
die jeweiligen Probleme und Konflikte unserer Zeit und unserer Gesellschaft
aufzuzeigen, und optimale Lösungen anbieten, die die Gesellschaft
heute dringend sucht, Bestseller werden (vgl. auch “Supermacht der Storyteller”,
in: Format Nr. 1, 5. Oktober 1998: 231-234). Dies ist ein weiterers Argument
für die gesellschaftliche Rolle der gegenwärtigen Kunst: Es ist
ihre soziale,aufklärerische Funktion, die sich in steigender Nachfrage,
die wiederum das Angebot am Literaturmarkt heben kann, äussert. Dies
ist so wichtig, weil die Kunst eine weit grössere Verbreitung in der
Bevölkerung besitzt als die wissenschaftliche Aufklärung. Es
ist kein Wunder, dass die Nachfrage nach Lösungen der uns plagenden
gesellschaftlichen Konflikte in der Literatur heute so rapide ansteigt,
weil sie den Kunstgeniessern, Kunstkonsumenten, Betrachtern, Lesern die
im literarischen Kunstwerk enthaltenen emotionalen, rationalen, sozialutopischen
(science fiction) etc. gesellschaftlichen Lösungen von gesellschaftlichen
Konflikten anbietet, die die Leser mit den eigenen Lösungen vergleichen
können. Das wird durch die Tatsache verstärkt, dass gesellschaftliche
Konflikte zwischen individuellen, egoistischen Eigeninteressen und kollektiven,
kooperativen Gemeinschaftsinteressen heute als sozialethische Konflikte
angesehen werden (Leinfellner, Axelrod, Rawls, Götschl).
Die Grundlagenfrage der gegenwärtigen Kunst kann nun beantwortet
werden. Kunst ist in offenen, demokratisch regulierten Kunstmärkten
immer eine gesellschaftliche Kunst.
Warum sollte dann solch eine gesellschaftliche Kunst nicht gefördert
werden, wenn es nötig sein sollte? Auch wenn es wie für den berühmten
Schauspieler Casara die einzige Aufgabe des Filmmacher ist, im Kinobesucher
einfach die Gefühle der Freude, Wut, von Grausamkeiten samt ihren
Folgen für die Gesellschaft darzustellen, kurz: ihn mit Emotionen
und ihren gesellschaftlichen Konsequenzen bekannt zu machen, die er samt
ihren Folgen in seiner allzu rationalisierten Gesellschaft vielleicht gar
nicht mehr kennt. Das ist eine gesellschaftliche Aufgabe der Filmkunst,
aber nicht, wenn Verbrechen, Grausamkeiten, Perversitäten ohne gesellschaftliche
Konsequenzen nur dazu geschildert werden, um im Namen des “Anything goes”,
der “l’art pour l’art”-Kunst auf Kosten eines Teils der Kinobesucher Profit
zu machen. Die Frage ist offen, ob z.B. die Minimalkunst von D. Judd, die
in den Betrachtern das Gefühl der Leere und der Verlorenheit hervorzaubert,
gefördert werden sollte, auch dann, wenn sie nur für einige da
ist. Das hängt offensichtlich davon ab, ob die Nachfrage nach ihr
heute wirklich noch so gross ist, wie sie einmal war. Ebenso offen ist,
ob die Kunst Beuys, die einigen wenigen die monotone Alltäglichkeit
vermittelt, die diese Erfahrung brauchen, heute für uns denselben
Wert hat, wie einst. Dass sich am Kunstmarkt immer Gruppen und Parteien
für und gegen verschiedene Interpretationen und Bewertungen desselben
Kunstwerks bilden, gehört zur Aufklärung und zur demokratischen
Streit- und Verhandlungskultur. Der Vorteil einer gesellschaftlich orientierten
Kunst ist es, eine demokratische Streitkultur hervorzurufen, bestimmte
gesellschaftliche Probleme und Konflikte aufzuzeigen, und optimale Lössungen
anzubieten. Es ist ihr aber unmöglich, einem Kunstwerk einen für
alle Zeiten objektiven ästhetischen Wert zuzuweisen, da sich die bewertende
Gesellschaft selbst, ihre Konflikte, ihre Umgebungen jederzeit ändern.
So sind die heutigen Marktwerte (Geldwerte) der Artifakta oft noch weit
grösseren Schwankungen unterworfen als die der Aktien auf der Börse.
Der offene Kunstmarkt hat den Vorteil demokratischer Umfragen
und Majoritätsentscheidungen darüber, welche Kunst und Kunstrichtung
für eine bestimmte Zeit und unsere jeweilige Gesellschaft vorgezogen
werden, momentan “en vogue” sind oder nicht. Für den geschlossenen
Markt in Demokratien gilt Arrows Paradox, dass auch in demokratischen Gesellschaften
kurzzeitige diktatorische Manipulationen des Geschmackes, der Mode, der
öffentlichen Meinung auftreten können, soferne sie nicht mit
dem demokratisch akzeptierten Grundgesetz in Konflikt kommen. Aber für
gute Demokratien gilt, dass wohl einige für kurze Zeit alle beeinflussen
und dominieren können, aber nicht einige alle für immer.
Für die Kunstförderung gilt nun, dass sich der Staat,
wenn es nicht absolut nötig sein sollte, so wenig wie möglich
weder in den fairen Wettbewerb der Künstler, noch in den offenen Kunstmarkt
einmischen sollte. Vor allem sollte niemals eine Staatskunst favorisiert
und subventioniert werden. Doch hat der Staat, die Regierung dafür
zu sorgen, dass der Kunstmarkt demokratisch frei, fair und offen bleibt.
Sollte er ganz in die Hände von monopolartigen Kartellen von Künstlern,
Galeristen, Millionären oder von politischen, weltanschaulichen oder
religiösen Gruppen fallen, dann sollten demokratische Antikartell-Gesetze
angewendet werden, wenn es die Öffentlichkeit fordert (siehe das Kapitel
über den Büchermarkt). Denn jede staatliche Förderung von
monopolistischer Marktbeherrschung, des geschlossenen Kunstmarktes fördert
nur die privaten Interessen auf Kosten des Steuerzahles und unterbindet
den fairen, auslesenden Wettbewerb. Ausschreibungen öffentlicher Aufträge
und Beurteilungen sollen von fairen Expertenkommitees gemacht werden, und
die Förderung der Kunst auf eine gesellschaftlich relevante Kunst
beschränkt werden, wie dies im Weissbuch im Detail vorgeschlagen wurde.
Die sozialgerechte Verteilung von Aufträgen ohne Rücksicht auf
das Parteibuch an alle Künstler, die öffentliche Ausschreibungen
gewonnen haben, sollte eine Selbstverständlichkeit werden. Auch private
Aufträge sollen zumindestens öffentlich ausgeschrieben werden.
5. Die negative Realität des geschlossenen Kunstmarktes.
Die wissenschaftliche, ökonomische, spieltheoretische Literatur
über Märkte kann hier nicht nach Titeln angeführt werden.
Danach haben Märkte eine komplexe gesellschaftliche Struktur und Dynamik,
die auch in mathematischen Modellen dargestellt werden kann. Einerseits
besitzt jeder Markt eine bekannte gesellschaftliche Eigendynamik. Das bekannte
Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage am offenen Kunstmarkt würde
den ästhetischen Wert und den Preis automatisch für alle Marktteilnehmer
optimal einpendeln. Andererseits ist jeder Markt und insbesonders der Kunstmarkt
leicht, wie schon erwähnt, manipulierbar. Der egoistische Trieb des
Menschen, von Gruppen, ihre egoistische Maximierung des Nutzens kann nie
ganz unterdrückt werden und ufert ständig aus.
Das Absinken des offenen in den geschlosenen Kunstmarkt zeigt,
wie komplex unsere Kultur sein kann. So spielen bei der Manipulation des
Kunstmarkts nicht nur die Künstler und Konsumenten, sondern auch die
Kritiker, die Intellektuellen, die Galeristen und Kunstbesitzer - oft nolens
volens - eine wichtige Rolle am Kunstmarkt und in der Öffentlichkeit.
Diese Gruppierungen kommen in zwei “Arten” vor, die eine mit fairer, die
andere mit parteiischer, meist egoistischen Interessen von Gruppen etc.
dienender Kritik. Die Vertreter der ersten Art (z.B. Löbl) interpretieren
den Wert eines Kunstwerkes so fair wie möglich, unter Angabe ihrer
Gründe. Wie Wissenschaftler bemühen sie sich, den Markt offen
und demokratisch zu halten und sind jederzeit zur Kritik und Selbstkritik
nach Bak bereit (Bak 1996: 1f). Kritiker der zweiten Art suchen den offenen
Kunstmarkt unter ihren Einfluss zu bringen und in einen geschlossenen zu
verwandeln, um ihn für ihre Zwecke oder für ihre Interessengruppen
profitabler zu machen. Sie beeinflussen damit bewusst den Wert der Kunstwerke,
manipulieren ihn hinauf und hinunter, meist ohne Rücksicht auf ihren
gesellschaftlichen Wert und, wie gesagt, zu ihrem persönlichen oder
dem Vorteil von Eliten, Gruppen, Ideologen, Parteien. Ist der Markt einmal
geschlossen, dann hört jede faire Kritik auf: Er wird fundamentalistisch.
Partikuläre, finanzielle und nicht gerade soziale Interessen bestimmter
Gruppen, Eliten, Galerien und Wirtschaftskartelle dominieren ihn. Sie haben
es in der Hand, durch manipulierte Interpretation und “Kritiken” den Marktwert
des Kunstwerkes hinauf oder hinunter zu lizitieren, um ihre Interessen
zu maximieren. Analog den Casino-Kapitalisten benützen sie die manipulierten
monetären Werte der Artifakta wie Shares oder Aktien, bei denen die
Insider ihren Wert bestimmen können.
Dies erklärt kurz die beiden Arten des Kunstmarktes: den
externen und den internen und ihre offene und geschlossene Ausprägung.
Wir haben hier eine Parallele zu Poppers offener, demokratischer und geschlossener,
autoritärer Gesellschaft. Aber: Innerhalb der Demokratien sind der
offene und der geschlossene Markt Extremfälle, die durch die gesellschaftlichen
Regeln demokratischer Gesellschaften noch überwachbar und kontrollierbar
sind, z.B. durch die Verhinderung von Kartellbildungen und der festen Preisbindung
gesellschaftlicher Kunst. Fallen die demokratischen Regeln weg, wie in
der deutschen Kunst des Nazismus oder wie im sowjetrussischem Realismus,
dann hört sowieso jede freie Kunst, Kulturdynamik und Demokratie auf.
Schliesslich und endlich ist die evolutionäre Dynamik sowohl
des offenen als auch des geschlossene Kunstmarkts, wie alle evolutionären,
gesellschaftlichen Prozese, weit mehr durch grössere, plötzliche,
zufällige Veränderungen in den Präferenzen der Individuen
und in der Gesellschaft, die ohne Vorwarnung plötzlich aus dem Nirgendwo
auftauchen und für die niemand verantwortlich genacht werden kann,
beeinflussbar. Dies muss sorgfältig bei staatlichen Förderungen
untersucht werden, denn Zufälle können sich günstig oder
katastrophal für die gesellschaftlich Kunst auswirkten. Hier müsste
die staatliche Kunstförderung als ein Art Katastrophenhilfe durch
Subventionen, wie bei Naturkatastorphen, helfen.
Die Eigendynamik aller fairen und demokratischen, offenen Märkte
besteht darin, dass sie sich bei kleineren gesellschaftlichen Veränderungen
oder Zufällen automatisch in ein relatives Gleichgewicht zwischen
den individuellen Interessen und den gemeinsamen der Gesellschaft einpendeln
können. Gegen katastrophale Zufälle hilft nur das Versicherungsprinzip
der Demokratien, nämlich soweit es möglich ist, sich gegen sie
zu versichern.
Aus dem heutigen gnadenlosen Wettbewerb zwischen den internationalen
Verleger-Grosskonzernen und dem traditionellen Buchhandel kann man am besten
die fatalen Auswirkungen geschlossener Märkte genau erkennen. Beide
suchen gegenwärtig ja den Buchmarkt zu einem geschlossenen zu machen,
zu monopolisieren, um ihre Profite zu maximieren, ohne auf die Konsumenten
Rücksicht zu nehmen. Trotz der EU-Kartellwächter in Brüssel
versuchen auf der einen Seite der traditionelle Buchhandel und die Verleger
den freien Markt für Literatur (den Buchmarkt) durch staatliche Förderungen,
durch Preisabsprachen, durch feste Bücherpreise, Festlegung eines
höheren Wechselkurses, als es der internationale niedere Wechselkurs
bestimmt (Buchmark und Buchdollar), für ihre Profite auszunützen.
Auch die grosszügige staatliche Förderung durch Druckkostenzuschüsse
auf Kosten des Steuerzahlers hat die Risiken bei der Herausgabe von Büchern
fast auf Null gesenkt. Auf der anderen Seite beginnen die Manager des Grossbuchhandels
sich zu immer grösseren Firmen zusammenzuschliesen und immer billigere
Bücher auf dem Markt zu werfen. Das ruinierte zuerst ihre Gegner,
den traditionellen Buchhandel, oder wird in ruinieren, verführte aber
die Manager der Buchkonzerne dazu, immer mehr und mehr Bücher zu produzieren
und anzubieten, verlockt von höheren Profitaussichten, ohne den Buchbedarf
der Leser in Betracht zu ziehen. In diesem Schützengraben-Konflikt
am Buchmarkt fielen plötzlich die Profite. Trotz immer mehr neuer
Bücher, Autoren, Titel, Neuerscheinungen auf dem Markt blieben die
Käufer, die Leser aus, die seit mehreren Jahren, so die “Zeit”, immer
weniger Bücher kaufen. Hier wurde zu ausschliesslich auf die Angebot-Nachfrage
Strategie am wirtschaftlichen Markt spekuliert und dabei die psychlogischen,
ästhetischen Präferenzen, der interne Bedarf der Leser einfach
ignoriert. Dies hätte aber durch Marktanalysen des zukünftigen
Bedarfs leicht vermieden werden können. Die Millionen, die Firmen
und staatliche Stellen in sogennannte Managerausbildungen investierten,
blieben offensichtlich ohne Erfolg. Aus Unkenntnis der ausgleichenden Eigendynamik
des Kunstmarktes und wegen fehlender Marktanalysen über den künftigen
Bedarf der Leser blieben dem Grosshandel zehntausende ungelesener Bücher
über (Zeit 1998, Nr. 43: 55-56). Die Unkennntnis der Manager, die
vom internen pschologischen Kunst- und Buchmarkt und den individuellen
Präferenzen und Bedürfnisse der Leser nichts wissen und die Überbewertung
des Wettbewerbkults zwischen dem traditionelen Buchhandel und den Grossproduzenten
führten dazu, dass heute mehr als 86.000 deutsche Neuerscheinungen
vergebens ihre Käufer suchen. Trotzdem investieren heute Grossverlage
Millionen für in ihren Augen vielversprechende Bestseller, die in
Wahrheit den Leser gar nicht interessiern, sie unter das Diktat des Grosshandels
stellen und ihre kulturellen Präferenzen unberücksichtigt lassen.
Mehr Kenntnis des internen, psychologischen Mechanismus’ des Kunstwerkes
und der Eigendynamik des Marktes hätte diese Unterschätzung des
Lesers und Käufers verhindert. Kunstmanager hätten eben in ihren
Kursen lernen sollen, die gesellschaftliche Rolle der Kunst, die kulturellen
Interessen der Leser, der Kunstkonsumenten und die Bedeutung des immer
grösser werdenden elektronischen Medienmarkts nach Weibel (Weibel
1997: 11-21) richtig einzuschätzen. Die Gefahr besteht, dass ein ähnliches
Unglück bald auch den Markt für die bildende Kunst treffen könnte,
wenn einmal ein lang erwartete Sturz der astronomisch gewordnen Kunstpreise
für Stars einsetzen sollte.
Was sollte hier der Staat tun? Sollte er nicht eingreifen, oder
wenigstens die “Kartelle” jeder Art verbieten? Wen sollte er fördern:
den Buchhandel, die Grossverleger, die kleineren Verleger, den Leser? Wie
soll man den Bedarf und das Interesse der Leser erhöhen? Niemand scheint
daran interessiert zu sein, die sich selbst regulierende Eigendynamik des
Marktes allererst einmal zu studieren und dann zu unterstützen oder
sogar in Gang zu setzen. Wenn der Leser, der Konsument heute nicht mitspielt,
lieber billigere Zeitungen und Journale kauft, TV, die Medien, das Internet
zur Kommunikationsbefriedigung bevorzugt, die Themen und Probleme, die
er sucht, in den Büchern nicht vorfindet, dann bricht auch das alte
Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage am traditionellen Bücher-
und auch Kunstmarkt zusammen. Hier helfen weder die Frankfurter Buchmesse
als Bücherbörse, noch die immer billiger werdenden Buchpreise
für Massenware, die niemand lesen will. Der Leser hat die egoistischen
Profitmanipulationen des Buchhandels und der Grosskonzerne satt und durchschaut
sie und die Manager der grossen Verlagshäuser, die offensichtlich
ihre Lektion nicht gelernt haben, die nie etwas von der optimalen Gleichgewichtsdynamik
des Marktes gehört zu haben scheinen, als sie mit der uferlosen Überproduktion
von Büchern begannen, die sie nun einstampfen müssen. Sie haben
dabei die Rolle des Kunstbedarfs, die Präferenzen der Käufer,
kurz den Leser falsch eingeschätzt.
Hier hätten der demokratische Staat oder die Kartellwächter
in Brüssel schon längst regelnd eingreifen müssen, um jedwedes
Abgleiten des freien Kunstmarktes in die Hände von Buchhändlern
und Riesenkonzernen rechtzeitig zu bremsen. Denn im geschlossenen Markt
gilt kein faires oder sozialgerechtes Gleichgewicht zwischen Angebot und
Nachfrage, sondern nur unzoziale Ausbeutung einiger auf Kosten anderer
Bürger.
Der Autor diesen Artikels selbst hat mit einem der grössten
internationalen Verlagshäuser bis jetzt über 200 sozialwissenschaftliche
englische Bücher und 44 Bände einer internationalen Zeitschrift
ohne jede staatliche Förderung herausgegeben. Dies geriet zum vollen
Erfolg der Firmen, der Leser und der Bezahlung der Autoren, allerdings
unter fairer wissenschaftlicher Beurteilung (“reviewing”) der Manuskripte
und mittels genauer Marktanalysen des momentanen und des zukünftigen
Bedarfs am Markt. Die heute übliche staatliche Giesskannenförderung
durch Druckkostenzuschüssen an alle Buchproduzenten könnte ruhig
den privaten Förderungen und privaten Initiativen überlassen
werden. So hat sich in den USA privat die soziale Praxis eingebürgert,
ein neues Lehrbuch, das in den USA prinzipiell nicht staatlich gefördert
wird, zunächst teuer zu verkaufen, wenn es neu ist. Da dieses Lehrbuch
nach Gebrauch vom Studenten um ein Drittel des Preises vom Buchhandel zurückgekauft
wird, kann es dem Zweitbenützer um ca. den halben Preis weiterverkauft
werden.
8. Die Chancen einer neuen globalen Stadtkultur und ihre Auswirkung
auf die gesellschaftliche Kunst.
In den letzten Jahrzehnten hat das Wachstum der Millionenstädte
einen unerwarteten positiven Einfluss auf die Entwicklung der Kunst zu
einer gesellschaftlichen Kunst gehabt (Hummel 1997: 3, 6). Dadurch wurde
eine immer grösser werdende gesellschaftliche Rolle der Kunst und
Kultur ausgelöst, die noch immer unterschätzt wird. Ausnahmen
sind hier die Publikationen von Hummel 1998 und Wiesand 1998. Generell
werde die Millionenstädte immer noch von unbeschreiblicher Armut heimgesucht;
sie sind durch den Verfall demokratischer offener Märkte, durch Massenarmut,
Slums, Rauschgiftkonsum, durch Verbrechen, die Dominierung durch Mafia-Cliquen
und durch den Verfall der öffentlichen Sicherheit am Rand ihrer Existenz
angelangt. Vor ca. 15 Jahren entstand in manchen Städten, und in manchen
früher, in manchen später, und zum Teil unter günstigeren
Umständen als gerade beschrieben, eine Umkehr und gesellschaftliche
Reformierung der Städte. Sie wurde den Stadtplanern und den Stadtverwaltungen
buchstäblich in letzter Minute aufgezwungen und zeigt schon jetzt
z.B. in New York, in London, aber auch in Wien schon seit längerer
Zeit erstaunliche Erfolge. Dieser Trend ist global, und zwar deswegen,
weil in allen demokratisch gelenkten, internationalen Grossstädten
eine ähnliche Kunst-, Kultur- und globale Lebensform entstanden ist,
hauptsächlich, weil viele Grosstädte eine für alle Bewohner
übersehbare und funktionierende Gemeinschaft geworden sind, die die
einzelnen, ob sie es wollen oder nicht, zu kooperativer Zusammenarbeit
zwingt. Auch die Zunahme des Städtetourismus ist ein Symptom wachsender
globaler Zustimmung zur neuen Stadtkultur, deren Mittelpunkt nun eine gesellschaftlich
gewordene Kunst ist. Kooperation, der stärkste kulturelle Attraktor,
hat die grösste Chance, die offene Eigendynamik des städtischen
Kunstmarkts immer mehr zu beleben, einfach deswegen, weil eben diese Städte
nicht so anonym und leer sind, wie die nationale Massenstaaten.
Es scheint, dass in den Millionestädten mit ihrer demokratischen
Kultur ein neuer Typ von Arbeit als “Service” an kleinen und grösseren
Gemeinschaften, wie der Famile, den Firmen und der Stadt selbst geboren
wurde, der die erste wirkliche Arbeitsbeschaffung vor allem auch für
Künstler zu werden verspricht. So haben Stadtbewohner gelernt, dass
die physische Existenz der Stadt und jedes Einwohners mehr und mehr von
der kooperativen Arbeit aller abhängt. Die Aufrechterhaltung grosser
Städte allein benötigt ununterbrochen 30% aller Arbeit, als öffentliche
Dienstleistung, Tag und Nacht, bei der der offene, freie Kunst- und Kulturmarkt
eine immer grössere gesellschaftliche Rolle spielt.
Die künstlerischen, kulturellen Dienste, die technischen,
wie der öffentliche Transport, der medizinische, der sanitäre
Dienst, die polizeiliche Sicherheitsvorsorge, die karitative Nothilfe und
die öffentliche Administration, die private und die staatliche Lebensmittel-
und medizinische Versorgung verschmelzen hier zu einem gesellschaftlichen
Dienst zum Wohl der städtischen Gesellschaft.
Dass Arbeit als individuelle Dienstleistung, Service nach Naisbitt,
jeden Dienst in und an der Gesellschaft als spezialisierten und gleich
wichtigen umfasst, z.B. die spezialisierte Arbeit der Forschung, der technischen
Dienste, der künstlerischen, kulturellen Unterhaltung, der Wissensvermittlung
durch populäre Literatur, der Zeitungen und Medien bis zu den alltäglichen
spezialisierten Dienstleistungen, kann jeder in der Grossstadt hautnah
erfahren. Die Frage ist nun: Warum ist gerade dieser Arbeitsbegriff der
künstlerischen Arbeit und ihrer gesellschaftlichen Vermittlung abhanden
gekommen? Etwas, das in der Bauhüttenarbeit grosser Dome schon einmal
da war? Ist private Arbeit in einer privaten Kunst nicht Wiederaufleben
des “l‘art pour l’art”, während die gesellschaftliche Arbeit zu einem
spezialisiertes Service an der Gesellschaft, der Stadt wurde, ein Service,
das die besten Chancen hat, die Arbeitslosigkeit zu besiegen? Arbeit als
gesellschaftliches Service wird längere Konzentration und Ausbildung
und, gerade wegen der technischen Automation und nach der Senkung der Lohnnebenkosten,
weit mehr Arbeitskräfte erfordern als jetzt, wie man das an den USA
sehen kann. Gerade die künstlerische Arbeit Selbstständiger war
immer Teilzeitarbeit, besonders um den notwendig gewordenen kontinuierlichen
Arbeitsbetrieb in Grosstädten aufrecht zu erhalten. Erst diese Entwicklung
hat in den Grosstädten die gesteigerte Nachfrage nach spezialisierter
künstlerischer Arbeit und Arbeitern zur Folge, nach Unterhaltungs-
und Freizeitkunst, nach kulturellen Wochen und Kultursommern.
Dass in Grossstädten unter demokratischem Druck die geschlossenen
Märkte langsam den offenen weichen, zeigt z.B. der Wiener Bauskandal.
Der offen gewordene Kunstmarkt in demokratisch regierten Grosstädten
verlangt von der Kunst, gesellschaftliche Kunst zu werden, neue gesellschaftliche
Produkte anzubieten, z.B. das, was oft etwas abfällig “Stadtbehübschung”
genannt wird, allgemein die Aesthetisierung der Städte, die Massenunterhaltung
durch die mediale Kunst, künstlerisch-kulturelles Service sowohl bei
Tag als auch bei Nacht, in Zeitungen, Medien, Radio und TV, Sommer- und
Winter-Kulturwochen, Klangwochen, Kulturtage usw. Der Unterschied zwischen
“E”-Kunst und “U”-Kunst, d.h. “hoher” und trivialer Kunst schwindet zusehends
(Zembylas 1995: 255). All das geht nur mittels technischer Massen- und
Kommunikationsmedien, künstlerischer Massendarbietungen, Kulturwochen
unter Benützung von Computern, Internetzen, und immer mehr Kunst-Spezialisten.
Dies alles steht mehr und mehr unter der Devise der gesellschaftlichen
Kunst, das Leben in den Grossstädten jedem angenehmer, sinnvoller
zu machen. Massenkunst ist nicht mehr nur für eine intellektuelle
Elite oder für Wohlhabende da; es ist dadurch zusehends Massenware
und Massenangebot geworden. Künstler müssen allerdings erst erlernen,
ihre Produkte auf den Markt zu werfen (vgl. Zeit 1998, Nr. 45: 84). So
beginnt mit der populären Darstellung wissenschaftlich-technischer
und medizinischer Ergebnisse eine gänzlich neue Aufklärungsindustrie
für die gesellschaftliche Kunst (vgl. Zeit 1998, Nr. 45: 83). Ihr
Ziel ist, allen ein neues humanistisches Plus angenehmeren Lebens am Kunstmarkt
anzubieten, das verständlich und finanziell für jeden möglich
ist. Man kann heute davon ausgehen, und die Untersuchungen Wiesands und
Hummel bestätigen dies, dass wir bald über eine einzige, die
Erde weltweit umspannende, lebendige globale Kultur verfügen werden,
die der Gross- und Millionenstädte. Ihre gesellschaftliche Kunst und
Kultur überwindet bereits heute alle nationalchauvinistischen Kulturen,
vereinigt Bürger aller Nationen, indem sie ihnen eine neue Identität
gibt. Wie Wiener Plakate sagen: Man kann wohl einen Bürger aus der
Stadt herausnehmen, aber nicht die Stadt aus ihm.
Es ist heute nicht die globale Wirtschaft, die eben wirtschaftlich
“globalisiert”, sondern die für alle plötzlich akzeptierbare,
überblickbare und ästhetisch geniessbare neue Stadtkultur der
modernen Architekten, A. Hellers, Attersees usw., die “Verästhetisierung”
der Städte, die uns wieder die Notwendigkeit menschlicher Kooperation
und Zusammenarbeit ins Bewusstsein gebracht hat. Die neue Arbeitsauffassung
des Dienstes, oder besser: des “Service”, wird von den meisten Europäern
zwar abgelehnt; aber paradoxerweise erfreuen sie sich als Städtetouristen
daran, im Urlaub bedient und umhegt zu werden. Den anderen und der Gemeinschaft
kooperativ zu helfen, wird immer mehr von allen geschätzt.
Speziell die Kunst und die Produktion von Artifakta, die Verschönerung
auch der Technifakta umschliesst heute fast alles, was das städtische
Leben angenehmer und wohnlicher macht. Verästhetisierung, “Behübschung”
durch die Architektur der Wohnbauten, die Belebung nicht nur der Architektur,
der Stadtanlagen und der Zweckbauten durch die Kunst, sondern auch der
Technifakta wird realistisch den Massenkonsum und dieser wiederum das Massenangebot
an Kunstwerken (Artifakten) am Kunstmarkt heben.
Dieses “Arbeitsbeschaffungsprogramm” scheint zunächst für
Künstler neu und fremdartig. Das wird sich geben, wenn die neueren,
effektiveren Kunst- und Kulturinstitutionen, die Medien, Radio und TV,
die Universitäten, Kunst- und Kulturzentren, Museen, Bibliotheken,
Unterhaltunszentren jeder Art mit ihren globalen wissenschaftlichen, Kunst-
und Unterhaltungsbasaren in Aktion treten werden, die die Fortschritte
der Wissenschaft, Technik, und Kultur propagieren und ausnützen, um
den Stadtbürgern ihr Leben durch wissenschaftliche Aufklärung
in künstlerischem Gewand so angenehm wie möglich zu machen. Man
kann nur hoffen, dass die traditionelle Büreaukratie es privaten Sponsoren
wie Stronach nicht zu schwer macht, hier ihr Geld zu investieren.
Die Ausnützung technischer und medialer Übermittlung
der Kunst und Artifakta für die Menschen, die das Leben angenehmer
machende Kunst- und Kulturpropagierung durch Medien und ihre weltweit mögliche
Verbreitung durch Fernsehen und Internetze bauen Schritt für Schritt
eine neue, nicht mehr nationale, globale, technologische, demokratische,
bis heute nur in den Städten beginnende Kultur und Zivilisation auf,
die bald die einzige noch aktive dynamische Kultur auf unserem Erdball
werden wird. Sie hat die statische, traditionelle Nationalkultur der Provinzen
hinter sich gelassen und verspricht, eine neue demokratische Heimstätte
für die in den Grosstädten lebenden Millionen zu werden, ihnen
eine neue kulturelle Identität mit ihrer Kultur zu geben. New York,
London, Wien, Paris, um nur einige zu nennen, sind jüngste Beispiele
dafür, und der ansteigende Städtetourismus bestätigt dies
empirisch. Die Klage über den Verlust alter Identitäten als ein
“Zurück zur verlorenen nationalchauvinistischen Identität der
Provinz” überlebt sich heute ebenso, wie einst das romantische Rousseau’sche
“Zurück zur Natur”. Die rapide wachsenden Stadtkulturen sind ein Lernprozess
für Kooperation, für den Mutualismus; sie fördern in bisher
nie gekannten Ausmass die Entstehung neuer Identitäten, neuer Subkulturen
und neuer globaler Kulturen, wie wir es heute in Europa erleben. Während
uns die nationalen Provinzkulturen nichts Neues bieten, da sie durch die
monotone Langweile eines “Immer dasselbe” die Bürger frustrieren,
wachsen in aller Welt dagegen protestierende Stadtkulturen.
Die Tendenz, dass das kooperative Zusammenleben in der Stadt
zur Verbesserung oder zumindestens zu keiner Verschlechterung des städtischen
Lebens führt, wurzelt einerseits tief in der demokratische Wohlfahrtsidee,
andererseits in der Suche nach einem weltlichen Plus durch angenehmeres
Leben, weltweite Kommunikation und Unterhaltung, der Suche der Menschen
nach einem Sinn in ihrem eigenen, jetzigen Leben (Leinfellner 1985).
Vor allem werden bei der menschlichen und psychologischen Hebung
des Lebenstandards in Grosstädten Künstler als hoch spezialisierte
Arbeiter immer mehr gebraucht werden, vorausgesetzt, sie akzeptieren die
in diesem Artikel skizierte Grundlage und die daraus erwachsende gesellschaftliche
Aufgabe der gegenwärtigen Kunst. Das würde enorme wirtschaftliche
Auswirkungen für sie selbst haben. Z.B. ist in England allein die
gesellschaftliche Kunst ein 17-Milliarden Dollar-Unternehmen geworden;
Clevelands Playhouse Square Center mit seinen drei neuen Theatern erwirtschaftete
53 Millionen Dollar Mehreinnahmen für die Stadt, die diese wiederum
in die Kunst investierte. Auch Wiens städtiche Sommerfestivitäten
gehören zu Vorbildern für die internationale Stadtkultur. In
amerikanischen Bibliotheken kann man sich Schallplatten, CD-Roms, Filme
und naturgetreue Kopien von Malereien direkt ausleihen. In allen grossen
Städten der Welt werden neue, didaktisch immer bessere Museen eröffnet.
Die Tutenkhamon-Ausstellung in Paris wurde 1977 von einer Million Menschen
besucht. Die pschologisch so wichtige Unterhaltungsindustrie, die jedem
das bietet, was er sich gerade wünscht, steht dabei im Vordergrund:
das soziale und kulturelle Leben der einzelnen und aller soll angenehmer
gemacht werden. Spezialisierten Kunstmanager und Künstler in fast
allen Grosstädten sind hier beteiligt.
Kurz: Diese gesellschaftliche Kunst trägt zweifellos immer
mehr und mehr zur Grossstadtkultur bei und hat die besten Chancen, sich
zu einem Riesengeschäft und zugleich zur Arbeitsbeschaffung für
Künstler durch Künstler zu entwickeln. Es wird von den Künstlern
abhängig werden, ihre Kultur und ihren Lebenstil zu einer globalen
Weltkultur zu machen.
Es ist allerdings fast unmöglich, heute ohne private Hilfe
und private Investitionen solch ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für
Künster aufzustellen. Die Grossstädte haben die grösste
Chance, sich dadurch wie Münchhausen selbst aus den Sumpf zu ziehen.
Hier locken noch immer gewinnbringende Investitionen.
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STATUS QUO
Das Weissbuch zur Reform der Kulturpolitik in Österreich schlägt richtig vor, dass gesellschaftliche Kunst staatlich gefördert werden sollte. Im Gegensatz zur traditionellen Kunst besitzt die gesellschaftliche Kunst eine soziale, technologische und ökonomische Aufgabe (Weissbuch: 3). Was sie sei, was ihre gesellschaftlichen Grundlagen und Aufgaben sein sollen, wird aber im Weissbuch offen gelassen.
MASSNAHMEN
Der vorliegende Artikel gibt eine Antwort auf diese offene Frage. Er
beschreibt die theoretischen, ästhetischen Grundlagen und die praktischen
Aufgaben einer künftigen gesellschaftlichen Kunst in Demokratien am
Paradigma eines offenen und geschlossenen Kunstmarkts. Die gesellschaftliche
Kunst beendet den Status quo der “l’art pour l‘art”-Ansicht, nach der die
Kunst nur für die Künstler da ist, da der ästhetische Wert
eines Kunstwerkes am Kunstmarkt nicht mehr vom Künstler allein, sondern
von einem gesellschaftlichen Gleichgewicht zwischen dem Angebot der Künstler
und der Nachfrage der Kunstkonsumenten, der Käufer, Kunstliebhaber,
kurz der Gesellschaft abhängt. Kunst in Demokratien wird daher erst
am offenen Kunstmarkt eine gesellschaftliche Kunst, ohne Konsumenten, Käufer,
Kritiker, Galerien etc., gibt es überhaupt keine gesellschaftliche
Kunst. Kunstmärkte haben, wie alle Märkte, eine interne ästhetisch-psychologisch
motivierte und eine externe, wirtschaftlich monetäre Funktion. Erstere
wird durch die hier vertretene psychologische Informationsästhetik
und die andere durch die Theorie der wirtschaftlichen Eigendynamik der
Märkte beschrieben. In beiden passt sich die Produktion, die Erzeugung
von Artifakten durch den Künstler den gesellschaftlichen Präferenzen
der Betrachter, Käufer, Konsumenten an.
Dem Verkauf eines Kunstwerks liegt daher erstens psychologisch
zugrunde, dass der Künstler einen symbolischen Gehalt, eine Emotion,
Gefühl in der bildenden Kunst, eine Episode im Roman, etc. in das
Artifakt steckt. Zweitens: Der Konsument soll psychologisch-mental so gut
wie möglich diese ästhetische Information wiedererleben, geniessen
und interpretieren können. Informationstheoretisch gesehen ist das
materielle Artifakt der Träger der ästhetischen Information,
die am Kunstmarkt vom Künstler dem Empfänger, dem Käufer
übermittelt, “gesendet wird“. (Leinfellner 1966). Am Büchermarkt
ist die Sprache der Informationsträger. Der offene Kunstmarkt in Demokratien
benötigt zwar minimale Steuerung, aber staatliche finanzielle Unterstützung,
um nicht in einen geschlossenen, von Eigeninteressen manipulierten Markt
zu kippen, wie es das negative Beispiel des monopolisierten geschlossenen
Buchmarkts zeigt. Andererseits, wie das positive Beispiel des wachsenden
offenen Kunst- und Kulturmarkts grosser Städte beweist, kann sich
eine gesellschaftliche Kunst zur grössten künftigen Aufgabe und
Arbeitsbeschaffung für Künstler entwickeln.
EFFEKTE
Aus allen diesen Gründen können geschlossene Kunst- und Kulturmärkte
in Demokratien vom Staat nicht gefördert werden; sie müssen sich
selbst erhalten. Gesellschaftliche Kunst, wie auch die wissenschaftliche
Forschung, bedürfen wegen ihrer ausserordentlichen Leistungen für
die Gesellschaft staatlicher Subventionen, wenn es nötig sein sollte.