Fussballfans und ihre Graffiti

© Thomas Northoff

 

A. Einführung:

Das Fußballspiel und die Fußballfans mußten seit Jahrzehnten zahllose Untersuchungen über sich ergehen lassen (1). Meiner Erfahrung nach subsummiert sich für die meisten Menschen unter dem Begriff Fußball eine Vielzahl an Phänomenen, die man rund um den Sport in auffallender Gleichmäßigkeit in Europa beobachten kann.

Es soll im Folgenden in der Grobheit der gebotenen Kürze um diese Phänomene wie Hooliganismus oder sonstig extreme und „normale“ Fans gehen, jedoch wird dazu, und auch hier im gebotenen Grobriß, die bisher unbeachtet gebliebene Komponente der schriftlichen Äußerungen von Fußballfans an Wänden, Plakaten, Spielgeräten etc hauptsächlich berücksichtigt. Diese wiederum kann nicht ohne Seitenblicke auf Fan-Gesänge betrachtet werden.

Es stellt sich auch die Frage, ob es sich bei „den“ Fußballfans oder einigen von ihnen um Rebellen handelt und ob man die schriftlichen Hinterlassungen dieser Personen an den Wänden als rebellische Äußerungen betrachten kann
 
 

B. Fußballsport und das wachsende Augenmerk auf seine Anhänger:

Fußball ist ein Spiel mit festgelegten Regeln, deren Einhaltung von den Spielern ein bestimmtes Maß an Selbstkontrolle verlangt. Fußballkampf gibt es schon Jahrhunderte.
Sport und Gewalt sind von Anfang an schwer zu entflechten. „Fußball ähnelt dem alten Ballspiel der Azteken, wo Stämme gegeneinander antraten, bei dem die verlierende Partei damit rechnen  mußte, von den Siegern und ihren Anhängern rituell verprügelt und machmal sogar getötet zu werden.“ (2) Ballspiele ohne Handberührung sind auch von nordamerikanischen Indianerkulturen bekannt,bei welchen ebenfalls zwei gegnerische Mannschaften antraten. Die Spiele sollen mit äußerster Härte geübt worden sein. „Spiel und Krieg waren hier also eng miteinander verbunden“.(3)
Norbert Elias definiert Fußball so: „Fußballspiele sind also kontrollierte Kampfspiele, die ganz allgemein durch eine bestimmte ´Spannungsbalance` charakterisiert sind. ... “ (4). In der Entwicklung des Fußballsports sieht er „eine Tendenz zu zivilisierteren Verhaltensformen“ (5).

In Europa begann im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eine stetige Verbreitung des Fußballsports, sowohl hinsichtlich Ausübung als auch Zuschauerinteresse. Zentrum und Ausgangspunkt war England. Etliche Vereine befinden sich Ende des Jarhunderts in England als GmbHs organisiert zum Großteil im Besitze der Arbeiter, die Spieler stammen größernteils aus der Arbeiterschaft bzw Facharbeiterschaft.(6) „Public Disorders bei Fußballspielen gibt es in England seit der Legalisierung des Profifußballs  im Jahr 1885.“(7) Es gibt aus dieser Zeit bereits Berichte über Attacken von Zuschauern gegen Schiedsrichter oder Spieler der Gegenmannschaft.(8)

Es ist diese Reaktionsweise von Zuschauern bei Mannschaftskämpfen kein erst zu dieser Zeit erwachsendes Phänomen. Eines der KratzGraffiti aus dem alten Pompeji erinnert uns diesbezüglich an brutale Kämpfe zwischen Anhängern  gegnerischer Mannschaften aus Pompejanern und Nucerinern. Es gab Tote und das Amphitheater wurde zunächst für 10 Jahre gesperrt. Die Nuceriner waren unterlegen(9). Folgendes Graffito tauchte auf: „Kampaner, zusammen mit den Nucerinern seid auch ihr besiegt worden!“(10) Eine tiefgründige Mahnung?

Unter den Sozialdemokraten der „Rotes-Wien“-Zeit in den 20er Jahren wurde Arbeitersport als Sport ohne Leistungsdenken, nur zur Gesundheit, ohne Wettbewerb propagiert. Über Vorbilder sollte man quantitativ in die Sozialdemokratie hineinwachsen. Doch der Zusammenbruch des kapitalistischen Wirtschaftssystems seit 1929 machte allein in Wien 700 000 Menschen arbeitslos. Interne sozialdemokratische Schätzungen besagten, daß 50% der Mitglieder verloren wurden.(11)
Zwischen den Kriegen, während des 2. Weltkriegs und nachher gab es gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen den Fans nur dort, „wo Armut, Arbeitslosigkeit und desolate Wohnverhältnisse das Leben der Arbeiter besonders brutalisierten und hoffnungslos machten“(12), was in England besonders die Matches zwischen Celtic und den Rangers betraf.
Canetti, der als Kind und Jugendlicher 10 Minuten entfernt vom Rapidplatz (damals: Pfarrwiese) aufwuchs, vermerkt in seinen Arbeiten mehrmals den Eindruck, den die Aufschreie der Zuschauermassen, die vom Fußballplatz zur elterlichen Wohnung drangen, ihm bereiteten. Es war dies ein Schlüsselerlebnis für seine lebenslange Beschäftigung mit Masse (und Macht). Er hält einen Teil der Fußball-Anhänger in ihrer Motivation für Menschen, denen man Schulbildung vorenthalten hat, die schwer körperlich arbeiteten od arbeitslos waren. Sie brauchen dies zur Identität.(13)

Freilich war und ist Fußball ein Sport, der durch alle Schichten Anhänger findet. Er ging zunächst auch von den Oberschulen Englands aus. Einige Spitzenspieler im Laufe der letzten Jahrzehnte waren Akademiker, Ingenieure o.ä.

In Horaks Untersuchung heißt es weiter: „Als die Facharbeiterschaft in der Nachkriegszeit zunehmend die Standards der dominierenden Gesellschaftsgruppen übernahm – das Phänomen der Wohlstandsarbeiter -, ging auch die Gewalttätigkeit zurück“.(14)
Doch änderte sich dies bald, auch hier wieder von England ausgehend, das wirtschaftlich seit anfangs der 70er immer mehr in Probleme geraten war: Mit dem (zweiten) Auftauchen der Skinheads. Sie „kamen aus den Arbeiterwohnvierteln, deren Wertmaßstäbe, zu denen die Angst vor Überfremdung durch Ausländer und somit auch um den Arbeitsplatz hinzukam, sie übernahmen. Sie verkörperten außerdem ein puritanisches Arbeitsethos.“(15) Betont männlichdominierend treten sie auf, Mädchen haben zu gehorchen, sind  Anhängsel. Die Mittelklassegesellschaft wird aber als Bezugsgruppe zurückgewiesen. Der gute Junge wird zum Gegenstand der Verachtung, der Lächerlichkeit und der Aggression.“(16)
„Der Fußballsport symbolisiert für sie alle offensichtlich den Wunsch nach sozialem Aufstieg, aber auch den Wunsch nach einem eigenen Territorium.“(17)
Ganze Fußballplätze wurden schon verwüstet, Abzäunungen umgetreten und Spieler und Schiedsrichter mit gefährlichen Gegenständen beworfen. Seit die Polizei und Sicherheitsmaßnamen stark präsent sind, verlagert sich die Aggression auf die Straßen der jeweiligen Stadt, in der ein Match zwischen Mannschaften mit militanten Fans stattfindet.(18)
Da sind Graffiti, die von zahlreichen Menschen als Vandalismus bezeichnet werden, die günstigere Variante des Spannungsabbaus.

Laut dem Jugendexperten Heinzelmeier stellen unter den Jugendlichen die Fußballfans nach wie vor die quantitativ größte Szene. Die einen Teil von ihnen bildenden expressiven Szenen, wie Hooligans und Skinheads sind viel kleiner. Die Zahlen gleichen einander in Österreich und Deutschland.(19)
 
 

C.  Die FußballfanGraffiti

Das Untersuchungsmaterial und seine Aneignung
 

FußballfanGraffiti sind in ganz Österreich in der Größe von Millimetern bis Meter-Höhe zu finden, am Land und in den Städten. FußballfanGraffiti sind im Volk und im Alltag bemerkenswert integriert, was sie wesentlich von Wandbotschaften aus anderen Themenbereichen unterscheidet, für welche sich  kaum Akzeptanz findet.

In den 18 Jahren, in denen ich mich bereits mit den verbalen Graffiti, also mit der Sprache an den Wänden beschäftige, galt mein Interesse nie speziell den Niederbringungen der Fußballfans. In der Gesamtschau der Schriftbilder an den Wänden aber hat sich an der unverhältnismäßig starken Dominanz dieser Art von Graffiti seit Beginn meiner Beobachtungen 1982/83 nichts geändert.
Mir ist kein Versuch bekannt, die FußballfanGraffiti genauer zu untersuchen. Ich begebe mich auch in Bezug auf das Material auf das Terrain eines Archivs (16 000 Dias), das eine große, aber keineswegs systematisch hinsichtlich Fußballfans zusammengetragene Sammlung zu diesem Thema aufweist. Der Teil der FußballfanGs, den ich fotografisch aufgenommen habe, wurde von mir aber im Versuch nach repräsentativer Beispielhaftigkeit gewählt.
Ich habe mir daraus 400 Belege dieses Sprachguts vorgenommen, die hauptsächlich in Wien, zum kleineren Teil aber in allen Landeshauptstädten aufgefunden wurden. Vereinzelt sind auch Graffiti aus Deutschland und Italien dabei.
Da ich alle Aufnahmen selbst machte, habe ich natürlich auch das Vorkommen der nicht fotografierten Graffiti gesehen, zumal ich die Gassen, Straßen etc  der Landeshauptstädte 2x systematisch durchgegangen bin. Betonen muß ich, daß diese Arbeit nur in langen Zeitzusammenhängen getan werden kann und für mich selbst noch nicht abgeschlossen ist.

 Das Naheliegendste: Fußballplätze zu umrunden kann für den Graffiti-Forscher eine ergiebige Sache sein. Die kleineren Plätze sind oft von Reklamewänden abgegrenzt, die leicht zu Zielen von Verfremdung und anderer Auftragungen werden.
Bei meiner Beobachtung des Praterstadions=Hannapi-Stadions seit 1994/95 ist mir aufgefallen, daß von Zeit zu Zeit die Träger auf der Außenseite an Stellen, an denen Graffiti standen, übertüncht werden. Dennoch ist zu betonen, daß die gleichzeitige Anzahl der FußballfanGraffiti im nahen Umkreis seit dem Beobachtungszeitraum von 5 Jahren immer nur zwischen 10 und 20 schwankte. Zu den Zeitpunkten der Matches schränkt hinsichtlich Graffiti-Anbringung die Bewachung durch Polizei und Aufsichtsorgane zusätzlich ein.
Ich habe auch bei meinen Stichproben am Tag nach bedeutenderen Matches immer nur wenig Neues an Schriftmaterial gefunden, und das bei den Straßenbahnhaltestellen nächst dem Stadion (Linien 21 und N). Die Plakate auf dem Weg dorthin werden vor allem im Sommer, wenn viele dort zum Stadionbad vorbeigehen, gerne für handschriftliche Verfremdungen, Scherze, Beschimpfungen und weniger für Fußballerisches herangezogen.
Also abseits des Naheliegenden:  – auch mit Blick auf die Landeshauptstädte – die Masse der FußballfanGs befindet sich nicht an Stadien.
 
 

FußballfanGraffiti und vorausgehende Motivationen

„Die den Fans gemeinsamen Symbole sind das Team und seine Farben.“(20)
Die Graffiti belegen das: Hier nimmt sich einer die Zeit und breitet akribisch zeichnend die ganze Vereins-Flagge aus und schnitzt das Wappen unauslöschlich ein. Oft wird das Symbol mit Strahlen bekränzt oder die Strahlen gehen von ihm aus. Andere Varianten sind Siegeskranz, doppelter Kreis, Totenkopf etc. Beliebige Mannschaftsnamen sind einsetzbar. Vereinswäsche und die Maskottchen tragen die gleichen Symbole und Embleme. Der „Fanshop Rapid“ am Rapid-Stadion hat seinen Namen in einer eher schlichten Art der American-Graffiti, also der künstlerischen, an der Wand darstellen lassen.

Der Inbegriff der Beleidigung eines Symboles, das der andere wertschätzt kommt in einem Graffito auf, wie es von Fans unterschiedlicher Mannschaften gebraucht wird: „Mußt du mal scheißen/und weißt nicht wohin/dann scheiß auf die Flagge/ von Austria Wien“. Auch hier wieder jeder Vereinsname einsetzbar.
„Kampf und Degradierung des Gegners verschaffen intensive Gemeinschaftserlebnisse.“(21) – und natürlich Kampf und Degradierung von dessen Symbolen.

Der Fan identifiziert sich mit zwei Gruppen, der Mannschaft und deren Anhängern. In den FußballfanGraffiti werden Spuren hinterlassen, die auch sagen: Ich war hier, als Vorkämpfer und Vertreter einer starken Partei. Die „Ich-war-hier-Graffiti“ oder Erinnerungsgraffiti gehören anteilsmäßig zu den größten Graffiti-Gruppen.
Die Fußballfans unterschiedlicher Vereine signalisieren m.E. in ihrer Rivalität, das eigene Symbol möglichst oft aufscheinen zu lassen, ein gewünschtes oder tatsächliches Raumgreifen, deutlich zb in der seit gut 15 Jahren zahlreichen Aufschrift: „Hier regiert der SCR!“ Besonders aggressiv-expressiv sprang das an wenigen Stellen  jahrelang erhalten gebliebene „Ost Sektor Terror FAK“ins Auge.

Das Sich-stark-Gebärden gehört zu Graffiti männlicher Jugendlicher und ist m.E. sogar die hauptsächliche Motivation dafür. Das trifft auch auf männliche Graffiti insgesamt zu, wenngleich die FußballfanGraffiti durchschnittlich die aggressivsten sind. Eine besondere Rolle dabei spielen die Rapidfans.
 
 

Spezialfall RapidfanGraffiti

Ihre Graffiti halten mengenmäßig in ganz Österreich die Spitze. Gerade die Rapidfan-Äußerungen an den Wänden zeigen einen hohen Prozentsatz an Hinzufügungen zum Namen ihres Vereins. Es sind dies hauptsächlich 1. Preisungen des Vereins oder einzelner Spieler und deren Fans und 2. Anfeindungen eines gegnerischen Vereins oder einzelner dessen Spieler oder deren Fans. Die Inhalte von 2. sind von großteils  herabwürdigender Ausdrucksweise.
Auch die Gegner Rapids drücken sich gewaltsam in ihren Graffiti aus, jedoch seltener.

Auffällig ist, daß vor allem bei den Rapid-Hinzufügungen die Herabwürdigung oft mit Verwendung ausländerfeindlicher und antisemitischer Ausdrücke geübt wird oder einfach nur mit der Zuweisung des Gegners zu den Ausländern: „Austria Judenverein! Rapid Wien“, oder daß zum Vereinsnamen ein oder mehrere Hakenkreuze hinzugefügt sind.
Einer gewissen Beliebtheit erfreut sich unter den Inschriftensetzern die Parole „Adolf Hitler war Rapidler“, was allerdings historisch nicht der Wahrheit entsprechen soll. In wenigen Fällen stellen Rapidfans durch entsprechende optische Anordnung Cetnics, Skins, Rapid und Hakenkreuz gleich, was bei der starken Fremdenfeindlichkeit der Graffiti verwundert.
 Auch die Rapid-Gegner bedienen sich optisch wirksamer Mittel, zb in Form eines Augensymbols geschrieben: „Einmal Arschloch-Rapid-Immer Arschloch“.
Neben ausgesprochenen Haß-Parolen wie im Extremfall „Tod und Haß dem SCR“ erscheinen auch Bekenntnisse wie „Rapid ist eine Religion“, „Rapid, immer Rapid, weil es im Leben nichts besseres gibt“.
 
 

Andere Beispiele und Aspekte von FußballfanGraffiti

4.1. Mannschaftsnennungen:
In unterschiedlichem Maße vielfach scheinen folgende österreichische Vereinsnamen als Wandschriften auf: Rapid, Sturm Graz, Wüstenrot-Salzburg, Wacker Innsbruck, Sportclub, Voest Linz, FC Tirol, aber auch SCR Nordrand, FC Hard, FC Lokomotive Altsimmering u.a. werden lokal oder ganzösterreichisch mehrmals genannt. Einmalnennungen bei Fußballvereinen scheinen scherzhaft gemeint zu sein: zb „FC Cannabis“.
Mit Ausnahme von den Wr. Gemeindebezirken 10 und 15 sind die Nennungen ausländischer Vereine im Vergleich zu den Inländischen in deutlich geringerem Maße zu finden. Vielfachnennungen in ganz Österreich haben folgende nichtösterreichische Vereine (auch hier in unterschiedlichem Maß): Inter Mailand, Galataseray, Fenerbace, Bologna F.C., Borussia Dortmund, Real Madrid, F.C. Köln, Manchester United, Celtic, Bayern München.
In Wels/OÖ, 1996, spricht sich eine Wortspende für „We want Osnabrück-Soccer“ aus. „Fenerbace 4ever“ zeigt exemplarisch für mehrere, daß die Graffiti-Sprache der künstlerischen Graffiti-Szene ansatzweise auch auf die geschriebenen FußballfanGraffiti übergeht. 4 steht hier für „für“. 4 wird bei Graffiti sehr variabel verwendet, zb „reno4en“ an einem zum Abbruch vorgesehenen Haus.

4.2. Sprachangleichung bei Graffiti:
Meiner Erfahrung mit der Ortswahl nach hat das erwähnte „Fenerbace“ ein türkischstämmiger Jugendlicher geschrieben, egal welcher Generation. Es zeigt sich hier eine seit etwa 2 Jahren vermehrt zu beobachtende Angleichung der Sprache von Migrantenjugendlichen und jener der einheimischen Jugendlichen. Auch bei den mit Fußball nie in Zusammenhang stehenden verbalen Graffiti der Migranten-Mädchen sowie bei den fast nie FußballfanGraffiti schreibenden einheimischen weiblichen Jugendlichen verhält es sich desgleichen. Die immer stärker fortschreitende Amerikanisierung macht zwar vor einer ganzen internationalen Generation nicht halt, gibt aber auch Zeichen möglichen humanen Nutzens frei.

4.3. Mädchen und FußballfanGraffiti:
Weibliche Jugendliche, die Graffiti mit Fußballbezug schreiben, stellen maximal 1% von den FußballGraffitiSchreiberInnen. Sie sind friedlich und freundlich: „Michi Wagner we love You! am 25.4.98 um 19h nach dem Sieg 2:0. Deine Grazerinnen“.

4.4. Zusammenhänge mit Schlachten-Chören, Sprechchören, Pop-Hymnen und das Verhältnis zu subkultureller Musik:
Schlachtenchöre mit Droh- und Spottcharakter werden immer wieder verfaßt, die meisten aber, und das international, richten sich nach den einprägsamen und im Chor leicht und besonders gut massenhaft und laut zu singenden und damit Gemeinschaftsgefühl vermittelnden Pop-Hymnen.
„We are the Champions“ von der Gruppe Queen gehört hier dazu und ist Graffiti. Es ist aber mitunter nicht klar, ob das inschriftliche Zitat von einem Fan der Gruppe Queen oder von einem Fußballfan stammt. Beides kann natürlich vereint sein.
Bemerkenswert scheint mir, daß in Gebieten, wo die Dichte von FußballfanGraffiti groß ist, auch mehrheitlich Pop-Gruppen-Namen hingeschrieben oder gesprayt sind, die dem inhaltlich rechtsstehenden Pop-Genre zuordenbar sind, wie zb Störkraft und Böhse Onkels.

Sehr oft zitiert in Graffiti und am Platz selbst als Gesang wird das seit den 60ern
berühmte Lied „You never walk alone“ von Gerry and the Pacemakers. Überhaupt greifen Fußballfans hauptsächlich auf Traditionals und Popmusik zurück. Weitere Beispiele, die in Fußballfangraffiti als Motiv aufscheinen, sind neben „We are the Champions“ , welches orthographisch immer richtig geschrieben wird, zb fragmentarisch der Treueschwur „Marmorstein und Eisen bricht / Aber unsere Treue nicht / Alles alles geht vorbei/ Doch wir bleiben treu.“
Das vielfach verändert gesungene „When the Saints go marching in“, habe ich als Graffito noch nicht vorgefunden.

4.5. Wer schreibt:
Es lassen sich  zwei Hauptgruppen von Schreibenden erkennen:
Die eine Gruppe der Fans ist den Schriftzügen und teilweisen Beobachtungen nach bis 13 Jahre alt und schreibt in rührender Liebe und Einfalt woimmer möglich den Namen „ihres“ Vereins.
Die zweite Gruppe scheint aus tendenziell aggressiveren Menschen zu bestehen als die erste. Ihre Schriftzüge sind erwachsener. Sie fällt durch komplexere Botschaften, aber viele Rechtschreib- und Syntaxfehler auf.
Wie subtil Fans in ihren unerfragt ausgesendeten Botschaften vorgehen können, mögen zwei Beispiele zeigen:
„Beim Spiel Chelsea gegen Sheffield am 2.Juni 1985, welches während des Bergarbeiterstreiks ausgetragen wurde, sangen die Fans von Chelsea höhnend: „Youll never find a job!“(22) und verspotteten die gegnerischen Fans als Slum-Bewohner.
Ein Fan schrieb in Wien: „Hooligans FAK“. Flugs reagierte ein anderer, indem er Wahlmöglichkeiten anbietet, woher FAK-Hooligans stammen: „Woher? Aus der Hackn, Berufsschule, Besserungsanstalt, Baumschule ... Bitte ergänzen“. Jemand hat dann „Aus dem Gefängnis“ hingeschrieben.

4.6. Gemeinschaftsgefühl 1:
Eines der Phänomene an Fußballfangraffiti ist die Tatsache, daß Fans der unterschiedlichsten Vereine, zumindest über den Ausdruck der Graffiti, einen Feind haben, in dem sie sich einig sehen: Die Polizei.
„A-SOZIALE/OLE OLE OLE/OLE OLE OLE/DAS IST DIE WIENER/HÄÄH“. Das ist als Chor von Fangruppen am Platz zu hören und auch als Graffito manifest. Die Polizeifeindlichkeit bestätigt auch der Roman „Auswärtsspiele“(23) von Kevin Sampson, den englische Hooligans als authentisch anerkennen. Dort bereiten sich der Mannschaft nachreisende Fans, am liebsten alkoholisiert, psychisch auf zum Kampf mit der Polizei.

4.7. Gemeinschaftsgefühl 2:
Eine Einheit anderer Art unter Fußballfans vieler Vereine liegt in dem Gebrauch des Wortes „Hooligans“ oder „Hools“, meist mit in die O geschriebenen Fadenkreuzen. Es gibt die Atzgersdorfer-Hools genauso wie die Hooligans Austria Wien, Voest-Hools u.a. SCR-Hools bezeichnen sich manchmals als „Terrorszene“. „Wir sind alle rechtsradikale Hools SCR“ steht zu lesen.
Aber alle sehen sie sich als Hools. Sie können durch das Konkurrenzverhältnis über die Vereine m.E. keine homogene Masse bilden.

4.8. Härte in Linz:
In der Stahlstadt Linz spielen FußballfanGraffiti gern mit der Symbolkraft von Stahl: „FC Stahl Linz“ prangt weithin, drohend schwarz, auf einer schanzenartig zum Stadion blickenden Betonmauer. Die S werden manchmal als Runen-S geschrieben wie bei „SK VoeSt“, aber bei anderen österreichischen Vereinen auch. An einem Eingangstor zum Linzer Stadion stand noch 1998 großflächig: „FC Stahl Linz“ auf dem einen Metallflügel und auf dem anderen ein Hinweis auf die Problematik der zwei Vereine in Linz: „Alle ins Stadion sonst Fusion!!!“
Nennungssieger ist in Linz der LASK.

4.9. Homosexualität:
Eine in der inschriftlichen Auseinandersetzung der Fußballfans bedeutungsgeladene Rolle spielen die vielen Anspielungen auf Homosexualität. Ein „Warmer“, wie es im Dialekt diskriminierend heißt, ist für Fußballfans das Letzte, ist kein Mann. Er wird hier mit verweichlicht, feig, verächtlich und anzugreifen assoziert.
Zum Beispiel betonen Vienna-Skins, keine „Orschwarmen“ zu sein wie die „Veilchen“, oder es dichten Rapid-Gegner, zunächst scheinbar als Rapidfans: „Warum seid ihr denn so klein und [Unleserlich, Th.N.]/Wir sind Ultras Rapid Wien/Wer macht die Taktik vor dem Spiel?/Unser Hurnkind Dokupil/Wie vermehrt ihr euch so schnell?/Wir sind homosexuell“.
International tauglich für Fangesänge ist auch die Melodie von „Yellow Submarine von den Beatles“. Auf Deutsch kann man hier leicht kurzgefaßte Zuschreibungen und den gemeinten Namen einsetzen und es heißt zb im Graffito: Der Sowieso „ist homosexuell“ x3.

5. Arbeiterschaft/Studenten:
Fußball ist das Gesprächsthema Nr.2 der Männer(24) und somit auch eines der Hauptthemen  der männlichen Arbeiterschaft. Mir ist nur eine Untersuchung von ArbeiterGraffiti bekannt.(25) Aus dieser wollte ich die FußballfanGraffiti der Arbeiter suchen, doch es gab bemerkenswerterweise kein einziges. Axel Thiel, der die ArbeiterGraffiti Gleichzeitigen von einer Universität der selben Stadt gegenüberstellte, sagt, die Graffiti seien ein Zeichen, womit die Leute sich beschäftigen.
Für mich gibt diese Sammlung ein Fenster frei in nicht nur zufällige Gedanken vor 20 Jahren. In den inschriftlichen Äußerungen und so gesehen freien Äußerungen der Arbeiter der untersuchten Werkhallen-Toiletten von VW wurde zwar kein FußballfanGraffito gefunden, aber zahlreiche Botschaften, die die Arbeit und den Arbeitsplatz ansprechen, auch  schon Fremdenfeindlichkeit.

Aus der Studentensammlung gab es wohl Botschaften in Zusammenhang mit Fußball herauszufiltern. Zum Teil haben diese sogar Österreichbezug, allgemein aber politische Inhalte, wie es um 1980 üblich war:
„Wenn F J S Bundeskanzler wird, heißt der deutsche Fußballmeister 1981 RAPID WIEN!“
„Vorwärts mit der revolutionären Eintracht FrAnkfurt“ (Kreis ums A)
Nochmals: „Wenn Strauß Bundeskanzler wird, heißt der Fußballmeister der Bundesliga 1981 RAPID WIEN!“
Hier nun findet Kommunikation statt:
< „Geht nicht, denn Österreich ist seit 25 Jahren neutral“
< „Dann die längste Zeit gewesen“
< „Wohl keine Ahnung von Verträgen, wa?(26)
 

Gewalt und Rechtstum:

Scheinen in Graffiti seit vielen Jahren auf, in FußballfanGraffiti desgleichen. Geradezu eine Akkumulation solcher Wandschriften findet sich durch die Rapid-Fans. Sie streichen gerne die Namen anderer Vereine durch und markierten auch öfter ihre Herrschaftsansprüche an stark von MigrantInnen-Jugendlichen frequentierten Stellen, indem sie „Rapid“ hinschreiben und zb „Ausländer raus“, „ Raus Kanaken“ hinzufügen. Öfter steht auch noch ein Hakenkreuz dabei.
Auch körperliche Drohungen bzw solche, bei denen man die Lust zur Umsetzung erkennt, wenn man sie liest, sind in komplexeren FußballfanGraffiti üblich. Diese scheinen mit deutlich weniger als der Hälfte auf, sind aber überwiegend extrem expressiv. Tatsächlich werden im Umfeld von Fußballspielen Ausländer und Typen, die als zu wenig männlich angesehen werden, attackiert. Wie in England das „Baki-Bashing“(27) gibt es bei uns das „Ausländer fetzen“ und es wird inschriftlich direkt oder indirekt dazu aufgefordert.
 
 

Rebellen?

Clarke und Jefferson deuteten die Subkulturen der Rocker, Skinheads etc „als stark ritualisierte und stilisierte Versuche, problematische Erfahrungen zu lösen“(28). Heranwachsende wehren sich üblicherweise gegen fixe Normen. Lärm und Raufhandel bleiben oft nicht aus.
„Der Rebell greift, wie festgehalten, auf altes Recht zurück, hier also auf das der Freiheit, für die eigene Partei sich heldenhaft einzusetzen“(29) und Mannesmut zu demonstrieren.
M.E. sind die Verfasser der extremen Inhalte unbewußte Rebellen, die ihre angestauten Aggressionen und Projektionen eben über den Umweg des extremen Fans loszukriegen versuchen. Die angeführten Graffiti sprechen bezüglich Projektionen sehr deutlich.
Zusätzlich sind die FußballfanGraffiti mit all den vorkommenden Projektionen auf zb „Untermenschen“ Teil des Geamtphänomens Graffiti. Und dieses Phänomen gab es seit den Zeiten der Höhlenmalereien. Es wurden nämlich bereits von Steinzeitmenschen unterschiedlichste Arten von Zeichen geritzt. Es wurden die frühesten schriftlichen Graffiti aus ca 1200 v.C. in die Kollossalstatue des Ramses in Abu Simbel graviert.
Und, dies betrifft v.a. Jugendliche, wie sie ja graffitierende Fußballfans sind, es muß einen menschlichen Drang dazu geben -. Einfachster Beweis: Wie ungern schreiben SchülerInnen. Ihre Wandbotschaften schreiben sie aber aus sich selbst heraus - durch alle Generationen.

8. Aber:
So wie die Fans keine einheitliche Gruppe sind, sind auch ihre Graffiti thematisch nicht homogen.
 
 

D.  Begegnungen mit Fußballfans.

Ein interessantes Detail zum Fan-Tum vermittelt die Aussage eines professionellen Interviewers: „Berühmtheiten zu interviewen ist eine andere Sache, und es ist besonders kompliziert, wenn man Fan ist. Man sitzt gar nicht der betreffenden Person gegenüber, sondern seinen eigenen Fantasien und all den übermenschlichen Qualitäten, die man ihm, den Star, angedichtet hat.“(30)

Ich habe als Interviewpartner mit Horst Oschmalz, 58, bewußt einen Fan gewählt, der bereits auf eine lange Geschichte seines Fan-Tums und des Fan-Tums während seiner Zeit zurückblicken kann und dieses auch zu reflektieren versucht. Herr Oschmalz ist ein begeisterter und oft außer sich gehender Fan, jedoch keinesfalls Raufer oder Vandale. Er steht also mitten zwischen den Polen des Coolen Fans und des aggressiven Fanatikers. Herr Oschmalz ist sich aber durchaus einer Verwandlung bewußt, die mit ihm und anderen Männern geschieht, sobald ein Match angepfiffen wurde.
Oschmalz erzählte auch zb von einem hohen Beamten, dem Fan einer bekannten Mannschaft. Der Mann spricht in seinem Beruf mit getragener Stimme und gewählten Worten in bestem Hochdeutsch. Am Fußballplatz jedoch soll er zum schreienden Vulgaritäten-Ausstoßer mutieren, dem es vor Wut die Augen aus den Höhlen treibe, wenn ein Spieler aus „seiner“ Mannschaft ungerecht behandelt wird.
Offensichtlich eine Parallele zu den Graffiti. Mittels eines Ventils eine völlig andere Rolle einnehmen zu können, kennt man von jenen Kloschreibern, die an den WC-Wänden Inschriften hinterlassen, welche dem Bilde ihrer Repräsentanz nach außen nicht entsprechen würden.
Die Ventilfunktion, die Graffitieren haben kann, spielt wohl auch bei den FußballfanGraffiti eine Rolle, wenn ein Fan inschriftlich auf den Schiedsrichter flucht, oder wenn nach einem hohen Verlust beim Ländermatch in ganzen Straßenzügen das rot gesprühte etwa 40cm hohe Graffito „0:9“ zigmale auftaucht.

Ein anderer Mann erzählte mir, daß er sogar zwei Frauen kenne, die sonntags auf einen kleinen Fußballplatz gingen und dort dem Alkohol zusprechen und „arge Sprüche führen“. So sollen sie regelmäßig rufen, man möge dem Schiedsrichter „den Beidl ausreißen“. Der dokumentarische Besuch der dortigen Zuschauertoiletten ist bei Weiterführung der Arbeit vorgesehen.

Ich selbst habe am alten Helfort-Platz beobachtet, wie etwa 20jährige Männer betrunken gegen Absperrungen traten und hatte den Eindruck, dies wäre vom Spielgeschehen völlig abgekoppelt.

Vor zwei Jahren fand in Wien ein Europacupmatch zweier wegen ihrer Fans gefürchteter Vereine (einer war aus Holland) statt. Ich wurde Zeuge, wie mehrere Stunden vor dem Match in der Schönlaterngasse ein Radfahrer aus dem Nichts heraus von zwei Fans des holländischen Vereins im Alter von etwa 20 Jahren umgeworfen wurde und sich beim Sturz eine blutende Wunde am Kopf zuzog. Ich verstellte in meinem Zorn in der engen Gasse den beiden den Weg und erweckte anscheinend den Eindruck als hätte ich Kräfte. Die Burschen erklärten mir ganz ruhig und selbstverständlich, sie würden ja „nur Aggressionen abbauen“.
 
 

E Interview mit einem durchschnittlichen Fußballfan und Bemerkungen dazu

Vergleich mit anderer Fan-Art (Pop-Fan)

Ich möchte die Phasen, die mir im Gespräch mit Fußballfan Horst Oschmalz auffielen, zu beschreiben versuchen und auch mit einem anderen Fan-Tum vergleichen. Ich kenne ähnliche Gefühle aus meiner Jugendzeit, als ich ein fanatischer „Beat-Gruppen-Fan“ war, da ich damals, aufgrund meiner eigenen Geschichte, des Glaubens war, daß diejenigen, die diese Musik spielen, nicht nur mit dem Feeling, das sie mir signalisierten, mir den Rücken gegen die Erwachsenen und deren schlechte Welt stärkten, sondern auch selbst Vertreter und Kämpfer für eine gute, ehrliche, gewaltlose, niemanden übervorteilen wollende u dgl m Welt kämpfen und selbst gegen die Polizei sind, die da bei ihren Konzerten aufzog, um, wie ich glaubte, die rebellischen Fans zu schlagen und zu kriminalisieren. Im Gegenteil zu Horst Oschmalz bin ich längst kein Fan mehr und in weiterem Gegensatz zu Oschmalz fühlte ich mich damals insgesamt als Rebell.
Oschmalz spricht von der Spannung, die sich in einem schon auf dem Weg zum Ereignis breitmacht. Ich erinnere mich, wie etwas in mir in dem Moment zu arbeiten begann, als bekannt wurde, daß eine von mir hochgeachtete und ihrer Musik geliebte Pop-Gruppe nach Wien kommen wird. Allein die Bewahrheitung, daß das Ereignis stattfinden werde, indem der Name der Gruppe überall an Plakaten zu sehen war, ließ tatsächlich mein Herz schneller schlagen. Herrn Oschmalzs Leben verändert sich in der Zeit ab Auslosung und Feststellung des Match-Termins in ebensolcher Weise. Sein Leben bekommt neben den Alltäglichkeiten des Lebens einen anderen Sinn, es bewegt sich auf ein bestimmtes Moment zu, das sich wie von selbst mehr und mehr mit Bedeutung auflädt. Mit Gleichgesinnten darüber zu reden, ist für den Pop-Fan wie für den Fußballfan ein Genuß des Nennens der Namen der in Betracht kommenden Stars. Diese Namen standen oft Legitimation dafür, welcher Art von Denken übers Leben man angehört.
Wenn der Pop-Fan die Aussprüche, die Bewegungen auf der Bühne seiner Stars genau beschreiben konnte, konnte der Fußbalfan bis zur Bewegung der kleinen Zehe immer wieder die Bewegungsabläufe „seines“ Goalgetters beschreiben – und natürlich nicht oft genug wiederholen.
Endlich ist der Tag des Termins da. Man geht schon völlig befangen schlafen, und kann kaum einschlafen.

Interview mit Horst Oschmalz, 58.
Geführt am 20.12.1999

„Das erste Match habe ich am Land gesehen, in Kärnten, wo ich aufwuchs. Ich habe selbst mitgeholfen die Steine wegzuräumen, um einen Acker in eine Wiese als Fußballplatz umzugestalten. Im Volksschulalter wollte ich Fußballer werden. Das blieb bis zur Pubertät. Fußball war meine Hauptbeschäftigung. Nach der Schule ging ich nicht heim, sondern mit einer ganzen Bubenclique, lauter Mitschüler, auf den Fußballplatz, wo wir spielten. Das war kurz nach dem Krieg.
Wenn er daheim war, haben wir den Fußball vom Vereinsfunktionär daheim geholt. Wir hatten keinen. Das schwerste war, das Geld für ein Paßfoto für den Vereinsausweis aufzustellen.
Mit 14,15 kam ich in die Pubertät. Da war mir das Cafehaus-Gehen wichtiger, und Fußball hat mich bis zum 19. Lebensjahr nicht mehr interessiert. Man sagte damals nicht Fan, sondern Anhänger. Ich war also als Bub Anhänger des FC Brückl, meines Heimatvereins, und ab 19 war ich – damals noch von Kärnten aus – Anhänger der Austria Wien. Es hat damals schon diese Polarisierung Rapid – Austria Wien gegeben. In Kärnten hatten wir die Austria Klagenfurt. Ich habe aber mit 19 nicht mehr gespielt.
Die Rundfunk-Übertragungen von Ländermatches in den frühen 50ern waren große Erlebnisse, vor allem Matches gegen die Ungarn. In besonderer Erinnerung blieben mir auch die Übertragungen von der Fußball-WM 1954 in der Schweiz.
Mit 22 war ich in Wien und war verheiratet. In Wien war das erste Match, das ich besuchte, Admira gegen Sportklub. Damals, 1962, wurde noch am Platz in Floridsdorf gespielt. Ich durfte ja anfangs nur heimlich auf den Fußballplatz, bis ich mich aber allmählich durchgesetzt hatte gegen meine Frau. Aber ich besuchte Matches nur wochentags, der Sonntag gehörte der Familie.
Zwischen den Zuschauern in Kärnten und denen in Wien gab es schon Unterschiede. In Kärnten waren wir eine Clique, waren viel jünger, aber die Stimmung war nicht so mitreißend, weil viel weniger Zuschauer auf dem Platz waren. Die Stimmung in Wien hingegen war gewaltiger, die Leute standen viel gedrängter, waren viel lauter, es war eine viel dichtere Atmosphäre. Trotzdem möchte ich behaupten, daß sowohl am Land als auch in der Stadt aggressive Stimmung in der Luft lag.
Wenn ich bis 1970 nur sporadisch die Austria-Matches besuchte, so war ich ab 1970 bei jedem Match der Austria und auch bei jedem Ländermatch dabei. Von ca 1980 bis 1987 bin ich mit der Austria zu allen Auswärtsmatches mitgefahren. Das war dann 1987 auch ein Scheidungsgrund, den meine Frau angab. Sie hatte mir aber vorher nie die Entscheidungsfrage Sie-oder-die-Austria gestellt.
Die Auswärtssache habe ich nun erweitert. Ich bin zb zu den Europa-Cup-Matches mitgeflogen. Erst 1992 habe ich damit wieder aufgehört, weil ich mir das nicht mehr leisten konnte. Und witziger- oder besser traurigerweise: seit damals spielt die Austria nicht mehr im Europa-Cup.
Heute besitze ich ein Abo, das für die Saison etwa 3600.- ÖS kostet. Die Saison beinhaltet die Frühjahrs- und die Herbstmeisterschaften. Ich bin zu jedem Heimspiel gestellt. Eisern plane ich meine Termine nach diesen Matches.
Natürlich schaue ich mir auch Matches von Bundesligaspielen anderer Mannschaften an und detto Ländermatches. Da suche ich Gaststätten auf, wo viele Fußballfans die Fernsehübertragung verfolgen.
Ich freue mich die ganze Woche auf die Fußballtermine hin, mit Abstand am meisten natürlich auf die Termine der Austria. Auf der Hinfahrt in den öffentlichen Verkehrsmitteln bin ich schon aufgeregt, obwohl mir die Fans zum Teil zuwider sind, wenn sie sinnlos gröhlen, die Gegner-Fans beschimpfen oder Parolen singen. Die Fans sind ja total durchmischt, von Grenzdebilen bis zu Intellektuellen. Aber die Mehrheit ist schon eher stumpf.
Ich lebe am Platz Emotionen aus. Ich freue mich mit, wenn meine Mannschaft gut ist. Ich bin betrübt – wie alle – wenn meine Mannschaft verliert. Zwar bekomme ich dann keine Wut auf die eigene Mannschaft, aber doch auf einzelne Spieler, wenn sie die Leistung nicht erbracht haben.
Die vorhin genannten Fans verursachen drinnen im Stadion kaum Wickel. Die Aggressivität wird meines Erachtens von den Medien überbetont. Ich stand bei allen Auslandsmatches der Austria im harten Kern und fühlte mich nie, aber nie, bedroht. Und war es auch nicht. Ich habe nie Schlägereien gesehen – verbale Anrempelungen ja.
Ich sah einen Übergriff von der Polizei am Rapidplatz, nach einem Tor. Da sprang einer auf und schüttete sein Getränk in die Luft, worauf er von drei Polizisten ergriffen und abgeführt wurde.
Fan-Aggressionen belaufen sich immer nur auf Schreien, Schimpfen, Fluchen. Außerdem sind die Fans ja getrennt. Nein, ich selbst war nie bei einem Fan-Club.
Singen tun die jungen Fans gerne. Der harte Kern aber singt nicht. Es sind einfache Chöre bzw Lieder, die durch alle Stadien gehen und bei jeder Mannschaft einen abgewandelten Text haben. Manchmal erfindet auch einer spontan einen Vers, aber selten. Beliebte Beispiele sind zb „Austria Wien iss wieda da, Austria Wien iss wieda daa“ nach der Melodie von „When the Saints go marching in“, oder „Marmorstein und Eisen bricht, doch wir bleiben treu“, wenn die Mannschaft verloren, aber tapfer verloren hat. Wenn sie schmählich verliert, singen die Fans „Wir wollen die Austria sehen!“ oder, wenn die andere Mannschaft verliert: „Ihr könnt nach Hause fahr´n!“, was dann immer wieder wiederholt wird. Ein anderes, das die Fans gern tun, ist das Klatschen. Da sind so Sprechgesänge: „Steh auf, wenn du Austrianer bist!“, dabei stehen alle auf und klatschen. Ich steh´natürlich auch auf, man sieht ja sonst nichts.
Warum mir das alles so viel gibt? Tja, das frag´ ich mich oft selbst. Ich wäre jedenfalls sehr traurig, würde ich diese Emotionen verlieren. Dann wäre ein Stück Lebensqualität für mich verschwunden.
Das Animalische, das während des Spiels läuft, das erschreckt mich oft selber. Das wichtigste für mich ist, es öffnet sich mir der siebente Himmel, wenn meine Mannschaft ein Tor schießt. Es ist ein Phänomen für mich, denn normalerweise erlebe ich nichts, woran ich passiv beteiligt bin, wie Theater oder Diskussionen, mit solchen Emotionen wie ein Fußballmatch ... im Fernsehen vielleicht nicht so stark, außer bei der Austria. Nein, eigentlich auch im Fernsehen. Ich gehe nur in ein Wirtshaus oder ein Wettbüro, wo auch andere mitfiebern.
Dabei kann ich mir vor dem Match nie vorstellen, wie ich während des Matches reagiere, und nach dem Match verstehe ich nicht mehr, warum ich mich so aufgeregt habe. Das Ergebnis des Matches ist eigentlich für mich sekundär. Wenn die Fußballer meiner Mannschaft schön gespielt haben, bin ich ganz euphorisch. Dann nehme ich sogar an Internet-Diskussionen über das Match teil.
[...]
Von den ehemals Jungen sind nicht mehr viele vorhanden. Wer jetzt noch hingeht, stirbt am Fußballplatz. Ich fühle mich als Verstärkung meiner Mannschaft, und ich fühle mich umgekehrt von der Austria gestärkt. Die Spieler und die Vereinsführung wechseln, aber wir, die Fans, bleiben und sind daher der Verein.“
 
 

Anmerkungen:

(1) Z.B. Cohen, 1969; Dunning, 1975 und 79; Elias, 1978 und 83; Girtler, 1991; Horak, 1984 u.a.; Jusserand, 1901; Lindner,
1980; Lynd, 1930; u.v.a.m.

(2) Girtler, Roland: Randkulturen. Theorie der Unanständigkeit. Wien u.a. 1995, S.106; vgl. Girtler, Roland: Die Kämpfe der
Fussballfans. In: Beiträge zur Historischen Sozialkunde 3/93, Wien 1993, S.91ff

(3) Girtler, Roland, 1995, S.106

(4) Elias, Norbert, 1983, S.12. In Horak, Roman u.a.: Soccer Hooliganism. Theoretische Überlegungen und erste
empirisch-systematische Überprüfung der Fußballgewalt in Österreich. Wien 1985, S.2

(5) Horak, Roman u.a.: Soccer Hooliganism. Theoretische Überlegungen und erste empirisch-systematische Überprüfung der
Fußballgewalt in Österreich. Wien 1985, S.3

(6) Vgl. Horak, Roman u.a. 1985, S.10

(7) Horak, Roman u.a. 1985, S.10

(8)Vgl. Horak, Roman u.a. 1985, S.11

(9) Weeber, Karl-Wilhelm: Decius war hier ... Das beste aus der römischen Graffiti-Szene. Zürich und Düsseldorf 1996,
S.128. Vgl. auch Conte Corti, Egon Cäsar: Untergang und Auferstehung von Pompeji und Herkulaneum. München (9.Aufl.)
1979, S.58f

(10) Weeber, Karl-Wilhelm, 1996, S.128

(11) Pfoser/Maderthaner: Das Rote Wien: Vortrag am 11.5.1999 i.d. Aula des Campus im Rahmen der Wiener Vorlesungen
zur Literatur SS99

(12) Horak, Roman u.a. 1985, S.11

(13) Vgl. Canetti: Die Fackel im Ohr. Lebensgeschichte 1921-1931. Frkft.a.Main 1982

(14) Dunning, Eric et al. 1982, S.153: In: Horak u.a., 1985, S.12

(15) Girtler, Roland, 1995, S.120

(16) Girtler, Roland, 1995, S.120

(17) Girtler, Roland, 1995, S.109

(18) Vgl. Sampson, Kevin: Auswärtsspiele. Roman. München 1999. (In einem Spiegel-Interview am 23.2.1999 haben sogar
englische Hooligans erklärt, daß dass Buch ihre Welt ziemlich gut beschreibt.)

(19) Heinzelmaier bei der Präsentation der Untersuchung Heinzelmaier/Fuchs/Wilfing/Rottenberg über aktuelle Jugendszenen.
1999

(20) Girtler, Roland, 1995, S.110

(21) Girtler, Roland, 1995, S.110

(22) Girtler, Roland, 1995, S.114

(23) Vgl. Sampson, Kevin: Auswärtsspiele. Roman. München 1999

(24) Gehert, Alfred (Studienautor): Männer unter sich – Worüber sie reden. In: "Die Presse", 26.5.99. Erstveröffentlichung der
Studie in "Ärztewoche". Reihenfolge der 5 wichtigsten Gesprächsthemen der Männer: 1.) Beruf, 2.) Fußball, 3.) Saufen und
damit verbundene Angebereien, 4.) Urlaub, 5.) Politik

(25) Diejenige von Axel Thiel u.a.: Sprüche und Kommunikation aus Damen- und Herrentoiletten aus einer Hochschule der
BRD und aus einem großen Industriebetrieb. Kassel 1982

(26)Alle: UNI Kassel, Männerklo, 1980

(27) Horak, Roman u.a., 1985, S.14

(28) Clarke John und Tony Jefferson, 1979, S.84. In Horak u.a., 1985, S.33

(29) Girtler, Roland, 1995, S.110

(30) Matussek, Matthias: Auf der Suche nach einer Ersatzreligion. In: Der Standard, 1.9.1999