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Plädoyer für die freien und schönen Künste

© Franz Krahberger

Thomas vom Wasser bin ich erstmals vor mehr als zwanzig Jahren begegnet. Und es war tatsächlich eine Begegnung, war es doch die geistige Berührung eines Textes, der mich nicht mehr losgelassen hat. Vorgefunden habe ich diesen Text in "A Portrait of the Artist as a Young Man" des James Joyce.
Zu Joyce bin ich auf seltsame Art und Weise gekommen. Eines Tages stand ich vor einer Buchhandlung am Wiener Schottenring und bemerkte ein Buch mit einem Cover, der mir mich augenblicklich anzog. Es war der Einband des "Ullyses" in der Goyert Übersetzung. Die Fotomontage zeigte das Bildnis des James Joyce, rauchend, so wie ein österreichscher Arbeiter damals seine Austria 3 rauchte. Montiert mit einer Straßenszene aus Dublin, Frau und Geschäftsschild, costumers for hire, sind in direkt abrufbarer Erinnerung. Allerdings hat die Frau im Bild etwas anderes vor.
Dieses Buch, das mich durch die Macht des Bildes anzog, spiegelte es doch die Wirklichkeit des großstädtischen Lebens, mußte ich unbedingt haben.
Die Reise in die Wirklichkeit des 20. Jahrhunderts nahm ihren Anfang, ebenso wie die Lektüre von weiteren Joyce Texten.
Allerdings, nicht nur die Reise in die Wirklichkeit des 20. Jahrhunderts begann, vielmehr führte die Reise auch in die andere Richtung, in die tiefen Schichten der europäischen Geschichte. Dafür bürgt und steht Joyce ebenso.
So ist es auch in Wahrheit nicht überraschend, mit ihm, der in seiner zweiten Lebenshälfte täglich eine Seite des Thomas von Aquin im Original las, auf ebendiesen zu stoßen.

So las ich das erstemal von integras, consonantia und claritas.

Ich verspürte instinktiv die Verwandschaft dieser fürs erste für mich formalen Ästhetik mit dem Begriff der kybernetischen Kultur, die mir in der Reflexion des täglichen Unterrichtetwerdens mit der Zeit geläufig wurde.

Integras und consonantia schienen sich im Begriff rasch zu erledigen, deuteten sie doch das Teil und das Ganze. Das Erfassen der Harmonie bot keine weiteren Schwierigkeiten.
Allerdings permanent durchbrochen durch das selbstauferlegte Programm der Dissonanz, Diskontinuität und der Irritation. Bergriffe, die für die Evokation der Avantgarde des 20. Jahrhunderts charakteristisch sind.
Mit dem Wesen der claritas kam ich jedoch nicht so einfach klar.
Jahre später wandte ich die Ästhetik des Aquino in der Betrachtung und Vermittlung eines konstruktivischen Bild- Objektes erstmals an.

Und zu meiner Überraschung gelang die Interpretation von drei zugeordneten verschiedengefärbten bzw. im Originalton gehaltenen Holzplatten höchst zufriedenstellend. Das Schattenwerk der drei- dimensionalen Körper eröffnete mir nun endlich den klaren Zugang zum Begriff der Claritas.

Für Thomas ist die Gottheit Einfachheit und so offenbart sich deren Weisheit offensichtlicht am besten in den einfachen, in diesem Fall dreifachen Dingen.

Claritas meint nicht nur die Klarheit des Ausdrucks, sondern deutet vielmehr das Durchscheinen der Idee, des Wesens, der Essenz eines Kunstwerks. Seine Aura, die eigentlich Übermittlung, Transfer ist.

Es erscheint fürs erste absurd, geradezu kontrovers, derartige Differentiationen auf die Bilder eines Malers, der lange von sich behauptet hat, aus dem Bauch zu malen, eines expressiven Abstrakten, anzuwenden.

Nun ist die Wahrnehmung eines Bildes nicht nur ein instinktives Erfassen. Sie ist bei eingehender Lesart ein Akt der analytischen und reflektierenden Erfahrung. Sozusagen ist die Schule des Sehens ein Vorgang; work in progress.
Nach Aquin ist die Schönheit unmittelbar mit den erkennenden Fähigkeiten des Menschen, also , mit seinem Intellekt verwandt und steht mit ihm im Verhältnis.

Wolfgang Böhms Bilder sind im ersten Eindruck verwirrend. Die Verworrenheit hat jedoch Methode, sonst würde er sie nicht solange durchgehalten haben.
Sein Denken selbst, und das weiß ich aus vielfältigen Gesprächen, die wir meistens in Wirtshäusern geführt haben, ist eher einfach, allerdings immer beschleunigt durch Agglomeration von Wirklichkeit und asiatisch, orientalischen Philosophien. Seine Malerei ist folgerichtig in gewisser Hinsicht asianisch, im Gegensatz zum attischen, wie es Gustav René Hocke, der große Exeget des Manierismus und Surrealismus, verstanden hat.

Mit Böhm konnte ich mich letztendlich über den mich faszinierenden Zen auf originelle Weise einigen. Er gab seine über fünf Ecken gedachten Gedrechseltheiten zu Besten und ich plauderte ungeniert tiefsinnigen Unsinn. So kam ich zu meinem Koan.
Wir lachten viel über die siamesischen Zwillinge des Zens, über jenen mit dem Besen und den mit dem Kochlöffel.
Sozusagen: Wo es etwas zurichtet, herrichtet und anrichtet , muß immer wieder ab- und aufgeräumt werden.

Die Zwillinge des Zens, die am Fuße des Han Shan leben, sind auch die, die den Übergang zu den wilden Tieren, zur Natur, markieren. Hin und wieder taucht der Tiger in der Küche auf.

Wir hatten mehr Affen zen drauf, und weniger sat zen, obwohl wir im Dialog meistens saßen.
Diese Unterscheidung wurde in der jüngeren amerikanischen Kunstgeschichte zwischen jenen aus San Francisco und denen aus New York getroffen. Die einen hattens mehr mit dem Affen und die anderen mehr mit der Geometrie. Beides macht Sinn.

Allerdings, mit zunehmenden Alter und vor allem mit wachsender Erfahrung muß der Ochse oder der störrische Esel gezähmt werden und die Kunst des Bogenschützens wird wichtiger und letztendlich wesentlich.

Zum höchsten Schritt des Zens, zur Ausblendung von Wirklichkeit, von Wahrnehmung, zur stillen Meditation vor der schlichten Mauer, zur völligen Verleugnung des Selbst war wohl keiner von uns bereit. Es ist nicht alles meier und das Tao kann warten.

Da kommt dann doch der Abendländer, der Europäer zum Zuge. Muß dieser doch schaffen, wirken, bilden, ausdrücken. Er kann sich dem agens und will es letztendlich auch nicht, der community nicht entziehen. Er muß ein Werk vorstellen, hinterlassen, was auch immer, wie auch immer.

Dieses Qualität ist mir erstmals auf einem venezianischen Platz aufgefallen. Italiener betreten den öffentlichen Raum, um zu sehen und gesehen zu werden.

So kommt es, daß, wenn einer ein Bild malt, es auch betrachtet haben will, einer oder mehrere darüber einen Text schreiben und einige dann über alles zusammen reden.

Wir können uns der Polis in allen ihren Bedeutungen nicht entziehen. Also gehts darum, wie schlau wir unsere Einsamkeit des Nachsinnens und nicht die der Eitelkeit erobern zu vermögen.

Ebensowenig wie der handfesten Polis können wir uns der geistigen Polis, den immateriellen Welten Europas entziehen. Aller Fluchtversuch wird zur schlichten Strampelei. Die Revolution hat nicht den Misthaufen der Geschichte definiert, sie hat schlicht und einfach einen Misthaufen hinterlassen.

Mich hat bei allen Irritationen und Irrfahrten des Geistes der Begriff des Palimpsests, wie in Thomas de Quincey verwendete und Sigmund Freud nutzte, nie im Stich gelassen. Nichts ist verloren, nichts vergangen, alles ist da. Wer sehen will, der kann sehen. Allerdings, manchmal darf man auch sehen. Dies geht jedoch über den Bereich der Kunst weit hinaus, obwohl die Kunst imstande ist, uns als Wegweiser in die unterbewußte und außerbewußte Sphäre zu dienen.

Thomas von Aquin hat in seinen letzten Lebensjahren gesagt, das alles was er bis zu dieser Feststellung gesehen, gedacht und geschrieben habe, bloßes Spreu wäre gegenüber dem, das er jetzt erschaue. Wir wissen allerdings nicht, was er da geschaut hat. Wir dürfen ahnen.

Böhm hat in unseren Gesprächen über seine Malerei immer davon geredet, daß er Transzendenz, Spiritualität, Geistigkeit vermitteln möchte.In Wahrheit ist er natürlich ein religiöser Mensch. In diesem Zusammenhang bezieht er sich nicht nur auf die fern- und nahöstlichen Philosophien und Religionen, sondern er bringt auch gerne den Maler El Greco ins Spiel. Und einiges seiner Bildstrukturen erinnert bei genauerer Betrachtung an eben diesen.

Lassen wir nun die Bilder des Wolfgang Böhm mit Thomas von Aquin in Dialog treten, das heißt, mit dessen ästhetischen Vorstellungen.

Vergleichen Sie den folgenden Text mit "Aigners Raum" .

Integras ist fürs erste, allerdings nur fürs erste, schnell erledigt, könnte es doch das Bild als Gesamtheit meinen, abgegrenzt vom Ausstellungsraum bzw. von der Katalogfläche.

Da sehen wir unverwechselbare Böhmmalerei. Mit Pinsel, Fingerschlieren, manchmal Wischer mit gröberen Instrumenten. Ab- und zurinnende Farbe. Ein auf sich zugeschnittener Kanon des Actionpaintings. Ein Dschungel von Farbe, Linie, Fläche und Figurationen. "Bubbles of Love" ist hier mit geometrischen Formationen zweifellos eine Ausnahme.

Als unauswechselbarer Böhm stellt sich die Integrität des Kunstwerks dem Betrachter dar.Man hat sich an ihn gewöhnt. Er hat sein Image erarbeitet und erworben.

Um zur Konsonanz zu kommen, müssen wir das Bild in seine Formelemente zerlegen. Erst dann wird es möglich sein, über consonantia , das Zusammenspiel, etwas zu sagen.

Also einmal heftige Striche, graphisch, farblich. Querfeldein, keinem Ordnungsprinzip folgend. Kritzeleien und Krakeleien. Nervosität. Farb Schraffuren, allerdings bereits mehr im Hintergrund, schafft so etwas wie eine mittlere Bildebene in die Tiefe gesehen. Etwa die leicht verschobene Perspektive der Gewichtung des Instrumentariums bei Jackson Pollock.
Farbflächen tauchen auf. Sie bewirken den Hintergund, beruhigen die vordergründige Hektik. Räumliche Figuren entstehen in den Zwischenebenen, Bewegungen, Dynamik, rechts unten weist ein streitbarer "Ritter" im roten Feld ins leicht untermittige farbendichte Bildzentrum. Raumperspektive ist hergestellt. Der Himmel; eine umgestülpte Wiese. Ein auf den Kopf gestelltes A in der linken Bildhälfte löst Asoziationen aus, letztendlich dem Betrachter überlassen. Darüber lächelt ein siamischer Katzenkopf im Farbenklee. CONSONANTIA.
Das Chaos wird lesbar, als eigene oder andere Erlebenswelt. Die consonantia, das Zusammenspiel der Elemente zeigt Wirkung. Consonanz ist allerdings, und das ist ihr Wesen, erst durch Wahrnehmen der Zusammenhänge der Teile, also durch Lesart erfahrbar.

Wie kommen wir nun mit dem terminus claritas in einem an sich chaotisch wirkenden Bildnis klar. Für Thomas war die Ordnung, ORDO, wesentliche Voraussetzung für die Schönheit. Was mag er da kurz vor dem weltlichen Ende geschaut haben, wenn da alles vorher feinsäuberlich notierte blosses Spreu gewesen ist?

Machen wir eine kleine Zäsur und zitieren Thomas:
" Es gibt zweifellos schöne Dinge, da man die Schönheit von Dingen unmittelbar erlebt. Weiterhin ist es auch wahr, daß man jene Dinge schön heißt, die, wenn sie von uns gesehen werden oder erkannt werden, uns gefallen, das ist, in uns Genuß erwecken."

Mir gefällt Böhms Malerei, ich halte sie für schön. In der Welt der Puristen mag das als subversive Haltung gelten. Liebe ich deswegen das Chaos? Natürlich, ich liebe auch die Klarheit ! Und es ist dann auch so, daß sich im Begriff der CLARITAS das apollinische und das dyonisische verbindet.
Pico de Mirandola hat behauptet, daß das die aristotelische und die platonische Philosophie bloß Gewandfaltungen derselben Tunika sind. Ich meine, er hat recht.
Tunika, Tonika, Aura. Consonatia.Harmonium. Licht, Strahlung. (A-) Symmetria.

Die Klarheitslehre des Thomas von Aquin fußt auf der Lehre vom Licht. Körper strahlen Licht ab. Sie reflektieren durch ihre Substanz eine bestimmte Erscheinungsform des sichtbaren Lichtes und werden nach Thomas von der Luft partizipiert. Lux, Lumen, Splendor in der Luft. Wir nehmen Energie, reflektierte Strahlen wahr.
Thomas unterscheidet zwischen sichtbaren Licht und geistigem Lichte, zwischen geistiger und körperlicher claritas.

Ein wesentliches Element des Lichts ist ihm die Farbe, die ihm als Klarheitselement der körperlichen Schönheit par excellence gilt.

Malerei täuscht Körper, Fläche, Raum usw. vor. Die Illusion dient der Illumination des Auges.
Das Strahlen, das subtstantielle Wirken der schönheitsformenden Claritas ist vergleichbar mit dem Beriff der Aura eines Kunstwerkes.

Gehen wir zurück zum Begriff der consonantia und entsinnen uns, das diese erst durch das Verständnis der Teile, also in diesem Falle des malerischen, graphischen und gestischen Instrumentariums erfahrbar wird.

Das Miteinander und Gegeneinander der Teile ist wesentlich gebunden an den Begriff des ordo, der Ordnung in sui generis. Sie stellt Form und Struktur, selbst wenn sie ungeordnet erscheint.

Vorher habe ich gesagt, das wir Licht reflektiert wahrnehmen. Licht ist als diffuse Erfahrung denkbar, die zur konturierten Wahrnehmung durch die Form, die Struktur gebrochen werden muß.
Denken wir uns ein Bild als strukturiertes Licht. Der Urquell ist nur über Umwegen sichtbar, er wird dem Menschen deutlich durch Brechungen, Reflexionen.

Ordnung muß allerdings nicht unbedingt mit geraden Linien, vollendeten Körpern, also endlich gemachten Körpern zu tun haben. Für Thomas ist zwar die gerade Linie die schönste, die beliebig gekrümmte und verwickelte hat jedoch ihre Reize.

Böhms Bilder irritieren nur scheinbar, ihren inneren Glanz eröffnen sie erst dem in sich ruhenden Betrachter.

Nochmals Joyce: " Wenn ein Mann in einem Anfall von Wut auf einen Holzblock loshackt, und dabei das Bild einer Kuh schafft, ist dieses Bild dann ein Kunstwerk?"

Böhm geht vielleicht wie dieser Holzhacker in seiner Arbeit los, versucht in jedem Fall dem gegenständlichen Ochsen zu entgehen und schafft mit all der Unwägbarkeit und der verhinderten Kalkulation des Instrumentariums und der Mittel Bilder, die einen schwer definierbaren ästhetischen, lebendigen Wert in sich tragen.

Sie erschließen sich kontemplativ und verschließen sich wieder in der zufällig initierten Asoziation des Betrachters.

Aber was schimmert da durch? Welche Intelligibilität hat die claritas in den Bildern des Wolfgang Böhms. Es ist sicherlich nicht die Klarheit des Lichtes, die etwa der Abt von Saint Denis, Suger, in den Edelsteinen vorfindet. Es ist auch nicht die Klarheit der einfachen geraden Linie, die Aquino schätzt. Und ist es nicht überhaupt absurd, die Ästhetik eines Mannes, der in den Anfängen dieses Jahrtausends gelebt hat, auf das Werk eines Malers anzuwenden, der in der Tradition des abstrakten Expressionismus des 20. Jahrhunderts steht ?

Aber war da nicht die gotische Kirchenarchitektur, die von innen gesehen wie zusammenwachsende Bäume aussieht, die Klarheit des Außen- körpers mit Zierat und Skulpturen, Tieren , Fabelwesen, menschlichen und himmlischen Figuren überzieht, die das Licht durch das gläserne Ornament im Raum sich brechen läßt und damit eine Kosmogonie der Schöpfung dem Menschen anschaulich vorstellt ?

Put all space in a not shell, sagt Joyce, schafft einen taoistischen Ansatz und entfaltet in Ullyses und Finn's Wake die abendländische Kosmogonie, insbesondere die keltisch-christliche.

Birg alle Natur in einem Bild. So könnte die Obsessesion des Wolfgang Böhm gedeutet werden.Und es ist nicht die geordnete Natur und deren Licht, die er uns vorstellt. Sie hat eher mit jener Auffassung eines anderen Wiener Malers, des Arik Brauer, zu tun, der da einmal behauptet hat, daß Gott nicht nach dem Winkelmaß gearbeitet hätte.

Für mich ist Böhm der Maler der Natur schlechthin. Er malt nicht nach der Natur. Er läßt sich von ihr inspirieren. In Sri Lanka, im tiefen Waldviertel. Sternsteinwald. Er bringt uns die Essenz der Natur wieder ein. Und das ist gut und schön in einer Welt, die am Artefakt des Menschen zugrunde zu gehen droht. >


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