Lange Jahre wußte ich nicht warum es so war - und hatte mir auch nie
Gedanken darüber gemacht –, dass ich beim Hören des Namens Peter
Rosegger nur ein ausschnaufend verächtliches Lächeln im Gesicht
verspürte und darüber hinaus die Empfindung des Bildes von einem alten
Mann in mir aufkam, der, wie ich es als Vorpubertätling einmal bei einer
Adventlesung von Heinrich Waggerl beobachtet hatte, davon lebte, leicht
kopfwackelnd und mit zittrigergriffener Stimme das Entzünden von Kerzen
auf einem Adventkranz zum eineinhalbstündigen Unterdrücken kindlichen
Niesreizes bei besonders schönelegischem Armutsgeschwafel auszubauen.
Für mich waren diese Dichter alle gleich. Ich kannte sie ja nur von
Leuten, die ihrerseits nur Weihnachten mit denen assoziierten. Außer
zwei drei Kindergeschichten hatten sie nichts von denen gelesen, von
einem Schreibakt dieser Dichter außerhalb jenes Genres keinen blassen
Dunst.
Ich hätte einen Schas auf die Silberpapierln gelassen, da wären sie erst
durch die Luft geflogen. Diese Idee trug mir umgehend eine Ohrfeige
meiner Mutter ein, die sich das Eintrittsgeld für die Lesung vom Munde
abgespart hatte, um ihren Kindern wenigstens zu den heiligen Tagen ein
Stück wertvoller Kultur zu zeigen. Sodann habe ich den Waggerl, dem sein
Liebsein-Getue ich ihm intuitiv nicht abgenommen hatte, als Pars pro
Toto in langweilendem Andenken behalten. Und die Totos mußten eben Leute
sein, für die man ins unbequemste Gewand gesteckt wird unter anhaltender
Rüge, man beschmutze es, weil man überall anstreife, und für die man am
Hinweg zur Lesung fünfmal geschneuzt, gekampelt und mit dem angespuckten
Taschentuch saubergerieben wird, damit man sich dann frömmlerisches
Geseiere anhöre über die Armut, die so beglückend gewesen sei.
Dabei lebten Mutter, Schwester und ich selber delogiert im Kellerloch,
mit Petroleumlampe als Lichtspender, Feuchtigkeit, Ratten, Kälte und
Brustkrankheiten als Feinde. Und die Christtagsfreude schummelte Mutter
am taschenkontrollierenden Portier der Sargfabrik vorbei, in der sie
arbeitete, nämlich goldene und silberne Staniolreste von Pappe-Engelchen,
die als Sargverzierung geprägt und mit dem Glanzzeug beschichtet wurden.
Irgendwas konnte an dieser Kultur nicht stimmen. Sie war mir verdächtig.
Ich mochte in Hinkunft Kultur nicht und nicht mehr jene, die sie
erzeugten. Das waren sicher Menschen, welche sich alsogleich zwanghaft
in die Hose machen müssen, wenn du ihnen sagtest, du wünschest dir
nichts sehnlicher als dein erstes eigenes Mickymausheft.
Doch auch unter den mir viel später bekannten Kulturmenschen hatte ich
nie jemanden kennengelernt, der oder die nicht ausschnaufend lächelnder
Mimik unterworfen gewesen wäre, fiel der Name Peter Rosegger. Die Worte
Nazi, Antisemit, Fortschrittsfeind, Kerzelschlucker, reaktionärer
Bauernjankerpoet wurden geäußert. Über einen aus dem Eck wollte ich gar
nichts weiter wissen.
Erst vierzig Jahre nach der merkunwürdigen Adventlesung Waggerls erfuhr
ich zufällig, dass Rosegger bereits seit 1918 tot sei.
Er konnte also im angedeuteten Sinn kein Nazi gewesen sein. War er
jedoch ein Vorgänger gewesen, ein Wegbereiter gar? Ich wußte nunmehr,
dass er auch Romanautor gewesen war. Alle kannten und nannten aber
einzig: Als ich Christtagsfreude holen ging.
Ich muss wohl zu Zeiten in der Schule gefehlt haben und holte nun die
Geschichte nach. Begeistert hat sie mich keineswegs. Zu brav, zu fromm.
Ich blätterte ein wenig in dem Band und las die Geschichte Der Gang zum
Eisenhammer. Keine Zeile war fad oder schlecht geschrieben. Die
Beschreibung der Geräte und Gegenstände, die genau beobachteten
Arbeitsvorgänge mit ihren sicht- und hörbaren Begleiterscheinungen, der
gerechte Respekt den der Autor allen vor Ort Arbeitenden vom Essemeister
bis zu den Kramrichtern zuteil werden ließ, erweckte den Eindruck einer
authentischen Schilderung. Ich hatte das Gefühl, etwas miterlebt zu
haben. Der in diesem Band Guckinsleben anschließende Text Ein
Neujahrsmahl beim Hammerherrn hinwieder lebte von den Gesprächen der
Schmiedearbeiter. Die Hierarchie, der ökonomische Hintergrund der
Lebenswelt Hammerwerk werden hier vom Schriftsteller genauso gekonnt
präsentiert wie die Derbheit der handelnden Personen, deren
Ausgelassenheit ebenso wie deren Abhängigkeiten. Rosegger vermag hier
die Mentalität einer Berufsgruppe gleichermaßen verständlich zu machen
wie er auch das Interieur oder die aufgetragenen Speisen geradewegs zum
Zugreifen zeichnet.
Ich las die Texte der Waldheimat und erkannte: Mein Bild von einer
bestimmten Zeit und von dem, was in ihr so viele Menschen betraf, von
dem Wie und Warum es die Menschen betraf und wie die Betroffenen damit
umgingen, hatte sich mächtig erweitert. Immer wieder war ich auf Stellen
gestoßen, die durch Roseggers Sprachverwendung über das Erzählen von
Erlebtem oder Beobachteten hinausführten. Und weiters: Ich war auf keine
Stelle gestoßen, welche den Schriftsteller als Joppendichter,
Antisemiten, Nazi-Ahnen oder die-Armut-Schönschreiber ausgewiesen hätte.
Auch erschien mir der Autor nicht peinlich, da unbewußt parteiisch.
Rosegger wollte aufzeigen. Er achtete Bauerntum und Christentum als
erste Werte. Jeder Schreiber hat ja sein Credo.Woher also Roseggers Ruf?
Von der Rezeption der Sprache in seinen Texten mit vorgesetzter heutiger
Brille? Beispielsweise der Diminuitiv: Die Wässerchen, Brücklein,
Gärtlein, Mägdlein, Fünklein, Eisenspänglein und Rehlein können einen
schon nerven. Doch finden wir sie bei seinen Zeitgenossen auch. So zu
schreiben war damals gleich üblich und unauffällig, wie es heute der
Gebrauch von englischen Wörtern ist. Außerdem - bei den „Ewigen“ seiner
Zeitgenossen, wie Stifter oder Nestroy findet niemand was Schlechtes
dran. Was man ihm und jedem einzelnen seiner Zunft, auch im Rückblick
auf die andere Zeit, vorwerfen könnte, da sie doch Vorausdenker sein
sollten, ist die nirgends durchscheinende Kritik daran, dass zumeist die
Töchter und Dinge im weiblichen Zusammenhang in der Verkleinerungsform
angesprochen wurden. Da geht’s um Erfühlen ungerechter Prägungen. Doch
Rosegger, als geborener und lebenslang als solcher geprägter Bauer, trug
das Patriarchat als unhinterfragbaren Teil seiner Seele in der Brust. Er
gab dies zu und focht es nicht an. Es war auch Teil seines
Schreibkapitals. Wie viele unserer Zunft verlören Schreibimpetus und
ihren Stoff, würden sie ihre Fehler austherapieren. Immerhin aber hatte
Rosegger als einer der wenigen unter den patriarchalischen Größen seiner
Zeit die Besserstellung lediger Mütter gefordert. Genauso plädierte er
für die gemischte Schule. Als ausgesprochenen Freund des
Frauenwahlrechts kann man ihn aber nicht bezeichnen.
Mir selbst suspekt ob meiner Angetanheit über die Schriften des
Waldbauernbuben nahm ich mir ein breiter angelegtes Werk vor. Ich wollte
Erdsegen darauf abklopfen, ob Rosegger sich in seinen Romanen für die
heutige Leserschaft desavouiert. Nach allem, was in der ersten Hälfte
des 20. Jahrhunderts um den Boden ideologisiert worden war, hat der
Titel allein doch für uns Heutige irgendwie den Beigeschmack des
Blut-und-Boden-Begriffs. Auch der Untertitel „Ein Kulturroman“ erregt
schon leicht Verdacht.
Der Handlungsfaden des 1899 erschienen und 1898 spielenden Buches ist
rasch wiedergegeben. Der Inhalt hingegen und mit ihm ein
Hauptproblemfaden der ganzen menschlichen Welt erschließt sich nur den
Lesenden.
Hans, ein studierter Journalist der Ökonomie bei einem städtischen
Blatt, beklagt in Anwesenheit des Zeitungsherausgebers die Heuchelei
seines Berufsstandes. Spekulative Welten würden um die Geldlappen herum
erschrieben, ohne Rücksicht auf jene Massen von Menschen, die diesen
Welten ausgeliefert seien. Jeder Bauernknecht sei ehrlicher und verdiene
sein Geld redlicher als sie, die Journalisten. Leicht angeheitert nimmt
er den Mund voll und geht in der Folge des Gesprächs die Wette ein, sich
ein ganzes Jahr lang als Knecht bei Bauern zu verdingen .
Schon auf der Suche nach einer Anstellung als Knecht versagt Hans in der
ihm völlig unbekannten Bauernwelt kläglich, sowohl durch das
vorurteilsbehaftete Misstrauen der Bauern, besonders aber durch seine
Unkenntnisse im Verrichten schlichtester Arbeitsvorgänge, die den Ablauf
des bäuerlichen Arbeitsalltags überhaupt erst ermöglichen.
Schließlich findet er Anstellung in einem hochgelegenen Gehöft, dessen
alter Bauer bresthaft ist, der zudem wegen der erbärmlichen
wirtschaftlichen Bedingungen die Knechte an die Fabriken der Stadt
verloren hat und dessen älterer Sohn zum Militärdienst einberufen und
dessen jüngerer Sohn vom Jagdaufseher so angeschossen worden war, dass
er keine nützliche Arbeitskraft mehr darstellt. Die Tochter des Bauern,
brav und ausnehmend schön versteht sich, und die Bauersfrau leisten
schon mehr als eigentlich menschenmöglich.
Hans hat Gespartes. Er kann der Wette wegen trotz der an Gotteslohn
grenzenden Entlohnung den Handschlag vollziehen und nimmt Quartier in
einem Verschlag im Stall.
In der psychischen und körperlichen Not der ersten Wochen schreibt er
von dort aus Briefe an einen Freund, in denen er zuerst seine
Arbeitsbedingungen und Arbeiten sowie seine geistige Einsamkeit und
Verzweiflung schildert. Nach und nach gewinnt Hans an Kräften und
Einblick und beschreibt dem Freund laufende Begebenheiten aus dem Leben
der bäuerlich Arbeitenden im Jahreskreis, die kein Detail aus der Kopf-,
Seelen-, Körper-, Ding- und Lebenswelt dieser Menschen aussparen.
Gegen Ende des Romans ist Hansens Wandlung zum Bauern vollzogen,
wenngleich jene zum Bauern einer neuen, gebildeteren Generation, zum
Landwirten gewissermaßen. Hans ehelicht die schöne Bauerntochter, deren
Vater neben vielen anderen inzwischen verstorben war. Er wird die durch
Unwetter vernichtete Landwirtschaft mit zeitgemäßen Methoden wieder
aufbauen.
Klingt schnulzig, ich weiß, und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie
heute noch. Doch der obige Handlungsfaden betrifft tatsächlich nur die
ersten fünfzehn und die letzten fünfzehn Seiten dieses Rosegger-Werks.
Was dazwischen liegt, ist die Kunst des Autors, die ihn meines Erachtens
sogar von Stifter abhebt, nicht nur von naturnahem und ebenso
–abhängigen Leben zu bezeugen, sondern vielmehr in einer schmerzhaften
und zu gegebener Zeit jauchzenmachenden Intensität bezeugbares Leben
schriftstellerisch zu erzeugen. Und nie, im ganzen Roman wirklich nie,
findet sich eine einzige Stelle, die den Autor selbst als Prae-Nazi,
Bauernjoppendichter oder reaktionären Hund beflecken würde – ja, nicht
einmal als Anti-Sozialdemokraten und schon gar nicht als dichterischen
Schönfärber von selbst- oder fremdverschuldetem Lumpenelend und
geistiger oder spiritueller Not.
Für mich stand fest: Das ist ein ehrlicher Autor. Der schreibt in dem
Buch sich zwar andauernd selbst, schreibt in der Mehrheit seiner Figuren
seine eigenen Seelenfarben, der webt in der Gesamtheit des Buches einen
Fleckerlteppich seines Inneren, der schreit seinen innigen Wunsch nach
einer humanen Welt mit den Ausdrücken genau der Welt hinaus, die er am
besten versteht, weil sie ihm weh getan hat und ausstieß, obwohl er so
gern drin sein hatte wollen, weil er diese Welt für wichtiger hält als
selbst den geliebten Dichterberuf, welcher ihm allerdings erst die
Außensicht auf diese seine, für das Ganze am gewichtigsten stehende Welt
ermöglichte. Für mich stand weiters fest, und dabei halfen mir die
zahllosen Verschwammungen, Verwischungen und erzwungenen
Umorientierungen, die wir in der Jetztzeit ertragen müssen, dass
Begriffe wie „reaktionär“ oder „Bauernjankerliteratur“ zu leichtfertig
dumm verwendet werden, wie hier bei diesem Schriftsteller, dessen Selbst
man liest, wenn man seine Prosa liest, in der man eine Welt liest, die
bis heute in den Menschenmassen aller Kontinente des Erdballs wie
unbewußt lebendig ist. Rosegger schrieb über die Dinge des Lebens – über
unser aller Dinge. Eins allerdings bleibt merklich: Ein Geistlicher ist
an Rosegger schon verloren gegangen, nicht zuletzt deswegen, weil die
Pfaffen für das, was man 1899 ohne soziale Sanktionen frei äußern
durfte, eine gehörige Portion Fett vom sogenannten Waldbauernbuben
angefilzt bekamen. Der heilige Beuys, vermute ich, hätte sowas nicht
fertiggebracht.
Woran liegt es, fragte ich mich, angezündet vom Erdsegen, erneut, woran
liegt es, dass den Rosegger niemand mehr liest mit Ausnahme von den
Falschen? Nicht einmal die Grünen, obwohl sie ohnehin nur Autofahren,
weil die Sachzwänge der Zeitsparnis es so wollen, schauen in den seine
Bücher. Der angebliche Fortschrittsfeind Rosegger genierte sich als
Alter nicht, zuzugeben, dass er Mitfahren im Automobil genieße. Dabei
hatte er lebenslang eine Freikarte für die österreichische Bahn
zuerkannt bekommen, weil er über sie gut schrieb und über den
Fremdenverkehr, gegen den er an anderer Stelle wieder wetterte. Er
würde, sagte er, der zeitlebens Heimwehmensch, auf diese autofahrende
Weise rascher wieder daheim sein. Das mit der Kumulierung der Abgase hat
er leider nicht kapiert, obwohl er naturwissenschaftlich interessiert
war wie wenige aus seiner zeitgenössischen Dichtergeneration. Ich kreide
ihm an, dass er als Fast-Nobelpreisträger, die Aussagen des 1903
genobelpreisten Chemikers Svante Arrhenius nicht kannte oder vielleicht
gar absichtlich überging, der als erster eine "anthropogene", also vom
Menschen verursachte Klimaänderung kommen sah, angestoßen durch die
gesteigerte Nutzung fossiler Brennstoffe. Als Dichter, der über einen
Dichter sprechen soll, behaupte ich goschert: So was muss man von einem
unentwegten Naturthematiker schon verlangen können. Mildernd aber
gefragt: Sind wir alle ohne Auto hierher ins Kremsmünster Stift
gekommen?
Deswegen Rosegger nicht lesen? Ach, das ist es in Wahrheit auch nicht,
denn alle, die ausschnaufend lächeln beim Namen Rosegger fahren
zumindest öfter mit dem Taxi und von des Dichters Motorfreuden wissen
sie nichts. Wären ihnen auch genauso wurscht wie des Dichters Werk.
Rosegger lesen bringt auch in Kreisen von AlternativdenkerInnen einfach
keinen Status.
Doch was sollen die Heutigen. Gegen alle, die nach dessen Tod Roseggers
Werk übergingen oder in der Manier der Tierliebe von Hundestreichlern
hätschelten oder es sonstwie verzerrten, konnte der Dichter sich nicht
mehr wehren.
Ein Blick auf seine Zeitgenossen wäre angebracht.
Die sogenannten einfachen Menschen, sofern sie lasen, haben ihn gern
gelesen. Sogar die Statistiken der Arbeiterbibliotheken um 1915 belegen,
dass er nach Jules Verne der meistentlehnte Autor war. Es lasen ihn
selbstredend die Menschen der bessergestellten Schichten. Nur die Bauern
rezipierten ihn kaum. Roseggers Werke wurden in vielen Ländern
verbreitet und in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt. Die Auflagen
waren hoch, die Neuauflagen detto. Von vielen Kollegen wurde er als
Schriftsteller angefeindet. Das Wort Bauernjoppendichter stammt von
ihnen. Von den Wissenschaftlern wurde er kaum beachtet. Bei einigen
hinwieder fielen seine Schriften und Warnungen, die in literarischer und
in essayistischer Form allesamt im von Rosegger gegründeten und bis ins
zwanzigste Jahrhundert hinein von ihm so gut wie allein verantworteten
„Heimgarten“ erstveröffentlicht wurden, spät aber doch auf fruchtbaren
Boden, brachten auf Ideen, bestärkten und bestätigten schon vorhandene
Ideen und Untersuchungen. Der Ökonom und spätere erste Bundespräsident
der Republik, Michael Hainisch, war einer von ihnen. Weit öfter aber
erregten die Schriften Widerstand und vielfach verbriet man sie in
falschen Händen.
Ein namhafter österreichischer Zeitgenosse und großer Verehrer Roseggers
war der nachmalige Vorstand und Gründer des Volkskundeinstituts der
Universität Graz, Viktor von Geramb. Er hielt 1914, als 30jähriger, die
Festrede anlässlich des Meisters 70. Geburtstag. Auf dass wir huldigend
gedenken des großen steirischen Waldbauernkindes verlautete er als
Grund der festlichen Zusammenkunft. Geramb hatte sicher Recht mit seiner
Feststellung der volkskundlichen Relevanz von Roseggers Schrifttum. Er
sei bedankt, dass er als erster dies ausführlich darlegte. Nach ihm sei
Rosegger gekommen, um ein Licht leuchten zu lassen über die Armen und
Verfolgten, die unter den morschenden Schindel- und moosigen
Strohdächern als arme steirische Hirten und Waldbauern wohnen und von
denen die Welt bishin so wenig Gutes und soviel Übles zu sagen gewußt
hatte. Schon dieser Sprachstil wirft ein bezeichnendes Licht auf
Geramb. Er wird Rosegger nicht gerecht, und Rosegger hätte selbst so
nicht geschrieben.
Geramb wusste weiters zu sagen, dass Rosegger Marterlaufschriften,
Sagen, Toten- und andere Volkslieder gesammelt, studienreif über die
Bauernstube und ihre Einrichtungsstücke gearbeitet und von wenig
bekannten Bauernfeiertagen wie den „Grüß dich Gott – Sonntag“ oder den
„Bußtag der Hagestolzen“ berichtet hatte: Da erfahren wir von Sitten
unseres eigenen Volkes, von denen wir keine Ahnung hatten.. Geramb
spricht auch von den deutschen Stämmen und man merkt die Absicht, das
Steirervölkel zum urtümlichsten deutschen Stamm hinzubeweisen. Er
bedauert, dass alles in allem der Dichter Rosegger so sehr den
Volkskenner überwog, daß der letztere auf Kosten des ersteren
verschwand. Geramb reduziert nicht nur Rosegger zum Dichter eines eng
begrenzten Hoamatls, er reduziert die Volkskunde überhaupt auf dort
überkommenes Brauchtum. Über die sozialen Auseinandersetzungen Roseggers
und über jene mit der Kirche, die zu dieser Zeit das Volk, ohne sie
selbst verbalisieren zu können, bereits seit Jahrzehnten in jeder Stunde
seines Alltags zu erdulden und durchleben hatte, verlor Geramb kein
Wort. Das hätte nicht in die Tendenz gepasst, für die er Roseggers
Arbeiten und vor der autoritätshörigen Öffentlichkeit damit auch den
Dichter missbrauchte. An einer Stelle seines Festvortrages zitiert
Geramb Roseggers Schilderung des „Steirischen“, also eigentlich eines
Walzers. Nicht zufällig auch hier die Wahl des Beispiels. Denn Gerambs
Conclusio nach Verlesung des in dieser Hinsicht völlig unverfänglichen
Rosegger-Zitats lautet: So hat Rosegger den Steirer-Tanz angeschaut;
wir wünschten nur, daß ihn recht viele so anschauen möchten. Denn eines
würde dann völlig klar: Wenn uns nervenstarken Großstadtmenschen schon
wirklich der alte Walzer auf einmal zu wenig Kraft und zuwenig Liebe
enthält, wir Steirer sind deswegen doch keinesfalls genötigt, uns neue
Tänze von den Negern zu entlehnen!. Dies ist der einzige Satz in
Gerambs Rede, der mit Rufzeichen endet.
Ob Rosegger bei dieser Festlichkeit zugegen war, konnte ich nicht
eruieren. Ich verweigere zu denken, er hätte auf solche Rede nicht
alsogleich repliziert. Das ist nicht Sprache im Sinne dieses Dichters
und nicht dieses Dichters Denkweise. Verbrieft aber ist, dass Rosegger,
soeben wieder einmal von Krankheit halbwegs genesen, ein groß angelegtes
Ehrenfest der Stadt Graz zu seinem 50. Geburtstag geradezu verboten
hatte. Verbrieft aber ist auch sein Ausspruch zu all den
Ehrenveranstaltungen und Laudationen, die dann zu seinem 70er abgehalten
worden waren: Der möchte er gern einmal sein, als der er in den vielen
Reden gelobt worden sei. Hoffentlich war er im Falle seiner Anwesenheit
bei Geramb übernächtig von den Feiern und hatte sich die Freiheit des
Alten im Ehrenstuhl genommen auf ein Nickerchen.
Erfahrungsgemäß sind die meisten Rassisten auch Antisemiten. Rosegger
haftet bekanntlich der Ruch des Antisemitismus an. In einigen wenigen
Waldbauernbubengeschichten beispielsweise kommen Juden vor. Die
Erwähnungen tauchen fast immer aus den Mündern der bäuerlichen Menschen
im Zusammenhang mit dem Glauben auf. Man weiß ja das Argument sattsam:
Sie hätten den lieben Herrn Jesus ans Kreuz gebracht.
In einer dieser Geschichten, die einer gutteils zu Fuß zurückgelegten
Reise des Studenten Rosegger nachempfunden ist, macht sich der
Bauernjunge auf, um in die Hauptstadt zu hatschen und dort den Kaiser zu
sprechen. Er hatte ein Buch über den Kaiser gelesen und hielt diesen für
einen guten Vater mit offenem Ohr für seine Untertanen. Als der Bub,
nachdem er in Wiener Neustadt schon vermutet hatte dort angelangt zu
sein, endlich Wien erreichte und durchschritt kam er an vielen in
seiner Phantasie nie ausgemalten Dingen des Glitzers und der Fremdheit
vorbei. Unter anderem auch dort:
Als ich den Kaiser Josef suchte, (aus Roseggers gesammelte
Werke, nymphenburger, 4.Aufl. 1993) S.497f: Da kam ich an einem Bau
vorbei ..... auf mich acht gegeben hatte.
Rosegger spricht hier Kindesempfindungen aus, die sich aus dem Bild
ergeben, welches er und alle anderen aus der Erzkatholenwelt der
Waldheimat bezogen hatten. Doch weder spottet er, noch führt er
unterschwellig Hetze im Schilde.
Den Lachzwang bei ritualisierten Frömmigkeits- und Andachtshandlungen
beschreibt er auch im Erdsegen in der Figur des Knecht-Journalisten
Hans. Der aber spricht als Erwachsener, der noch dazu gebildet ist. Am
Bauernhof ist nämlich allabendliches Beten von vierzig Minuten, an
Sonn-, Fest- und Feiertagen länger. In der Stadt war seit Hans´ Kindheit
keine Nachfrage mehr danach. Doch während des Psalters klieben die
Mitglieder der Bauernfamilie Späne, kochen, spinnen und säubern Bohnen.
Dabei muß Hans regelmäßig Lachreiz überwinden. Als Stadtbengel wirft
er sich jedoch Intoleranz gegenüber diesen bekümmerten Menschen vor, die
die Lebensdevise Bete und arbeite befolgen.
Die Kindergeschichte mit dem Kaiser geht übrigens so aus, dass der
Waldbauernbub bis zu einem höheren Beamten in der Hofburg vordringen
kann, der ihn dann gutmütig aufklärt, er suche den falschen Kaiser, denn
das alte Buch, in dem das Kind gelesen hatte, handelt von einem
Vorgänger des herrschenden Monarchen.
Zurück noch einmal zum Erdsegen. Über den Dorfschullehrer, mit dem er
sich angefreundet hatte, bezieht Hans eine Zeitung. Er wird beim
heimlichen Lesen vom Bauern erwischt.
Nun glaube er freilich, so der Bauer betroffen, daß in Hans´ Kopf kein
ordentlicher Verstand hineingeht, wenn er ihn mit solchem Zeug anfülle.
So einen könne er nicht brauchen.
Auf die Frage, was er gegen Zeitungen habe, wird der Bauer vor Zorn
leise: Hast du denn nie was davon g´hört, daß die Zeitungsschreiber Heiden
sind? Oder gar Juden! und erzählt sodann von einem Bauern aus
Hoisendorf, der Zeitung las und mehr wußte als die anderen Bauern,
jedoch bald nicht mehr wußte, wie ein Hof zu führen sei. Jetzt stehe
nämlich sein Gut unterm Hammer.
Hans versprach dem Bauern, daß dieser keine Zeitung mehr bei ihm finden
würde. Ein Versprechen reichte bei den Bauern. Als er die alten
Zeitungen in den Ofen werfen will, verbietet dies die Hausmutter, weil
es stinken würde wie der Teufel. Angst und Misstrauen vor den gedruckten
Buchstaben und ihren Urhebern schienen unüberwindlich im Bauernstand.
Hans hatte klugerweise sein Vorleben verheimlicht.
Am Ende des Romans, als die Bäurin in dem ausweglos scheinenden Unglück,
das die Familie und die Wirtschaft getroffen hatte, dem Hans schließlich
ihre Tochter zu heiraten erlaubt, unterbreitet ihr der zukünftige
Schwiegersohn, wie er den Hof und damit die Existenz der ganzen Familie
wieder auf die Beine zu bringen gedenke. Und in seiner Freude gibt er
ihr zum Troste zu bedenken, dass er, falls alles schief ginge, immer
noch mit der Feder dazuverdienen könne. Die Bäurin glaubt erst
überrascht, er sei Uhrmacher. Als sie hört, er sei Zeitungsschreiber,
lehnt sie entsetzt Hansens Verheiratung mit ihrer Tochter ab. Obwohl sie
zugeben muß, daß er das ganze Jahr brav und rechtschaffen war, herrscht
sie ihn an: Pack dich z´samm und geh! Nach Anwendung einiger
Psychotricks wurde dann doch die Hochzeit festgelegt. Betreffs der Ehe
entsprießender Kinder, beruhigt sie Hans so: Das erste Dutzend wird
Bauern.
Wäre der Vorwurf, das Prosawerk Roseggers trüge Rassismus oder
Antisemitismus in sich, eine m.E. klagwürdige Unterstellung, so muss
hinsichtlich dieser Problematik der Person Rosegger zumindest der
Vorwurf unklugen Vorgehens und dem Herausgeber des Heimgartens
vorgeworfen werden, Meinungen anderer publiziert zu haben, in denen
Antisemitismus und und eine Vorform von Herrenmenschentum impliziert
waren durch die maßlose Überschätzung von allem, was als „deutsch“
angesehen wurde. Ihm selbst, als Hauptschreiber der Hefte, meine ich
nach Studium von sechs Jahrgängen des Heimgartens – sie bewegen sich je
in der Dicke von etwa 900 Seiten –, ihm selbst kann man mit ein wenig
Naserümpfen nichts anhaben. Ich las unter anderem die Rezension eines
anscheinend antisemitisch tendierten Buches, das Rosegger als insgesamt
spannend beschrieb, aber insbesonders die Tendenz hervorhob und als
völlig unzeitgemäß anprangerte. Bei den militanten Nationalen, die er in
vielen ihrer Bestrebungen ebenso wiederholt deutlich im Heimgarten
verachtete, so wie diese ihn als Weichei, und bei der Kirche, die ihn
immer wieder als Volksverderber und Antichrist attackierte und harmlose
Schriften von ihm auf den Index setzte, wird er – und dies im vollen
Wissen darob – seine Feinde vermehrt haben. Auch bin ich sicher, dass
ein sensibler, durch- und vorausblickender Mensch wie Berta von Suttner
weder mit Rosegger korrespondiert hätte, noch Rosegger selbst deren Die
Waffen nieder im Heimgarten derart als epochale Bibel propagiert hätte,
wäre er der üble Bursche, als den ihn manche so schmissig hinstellen
wollten und wollen.
Nicht zuletzt deshalb will ich an unkluges Handeln Roseggers glauben,
was die sogenannte „Heine-Affäre“ betrifft . In einer der zu jener Zeit
so modernen Umfragen, trat man 1893 u.a. an ihn heran um seine Meinung
zur Aufstellung eines Heine-Denkmals in Mainz. Er kenne Mainz und Heine
nicht genügend, um dazu was sagen zu können, hätte Rosegger geantwortet.
Eine Flut von Anwürfen, er sei ein Verhinderer aus antisemitischer
Anschauung, war die Folge. Daraufhin sagte er: Nun kenne ich Heine gut
genug. Damit war er abgestempelt. Andererseits: So war Roseggers Art.
Zwei Jahre später beispielsweise sollte er in eine von Paris ausgehende
Umfrage über Wert und Einfluss der Sprachen eingebunden werden. Er könne
Stoansteirisch genau, Hochdeutsch beinahe, andere Sprachen gar nicht,
hätte er geantwortet. Deshalb mische er sich da nicht ein .
Gleichnishaft würde ich dem Rosegger gern etwas erzählen. Vorausgesetzt,
es ist sein Menschsein richtig zu mir herübergekommen, würde gerade er
mich, nehme ich an, verstehen: Geh ich, wie schon öfter, zu einer
Demonstration gegen Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit, weil der
Vergifter wieder einmal schweinische Sprüche von sich geblasen hat.
Einen Grundstücksmakler hat er angegriffen und eine Anlageberaterin. Und
zwar deswegen, weil der eine Jude und sie eine Yugoslawin ist. Nach der
Demo äußere ich vor Bekannten, die fragten, warum ich so durchfroren
sei, meine Meinung, daß es immer perverser werde wegen diesem scheiß
Rechtspopulisten. Jetzt muß ein Habenichts wie ich wegen dem schon den
Schulterschluss mit Grundstückmaklern und sonstigen Geldleuten machen, die mir keine zehn Groschen
schenken täten, wenn ich auf der Straße lieg. Mehr habe ich nicht gebraucht.
Die Bekannten, die nie auf die Idee kämen, öffentlich Gegengewicht zu demonstrieren,
schimpften wegen dieser Ansicht plötzlich mich Antisemit und Fremdenfeind und
sagten, wenn sie mich nicht so gut kennen würden, möcherten sie mit mir nix mehr zu tun
haben.
Neugierig nun, wie der verlorengegangene Pfarrer darauf reagieren würde,
klinkt sich bei mir leider gleich wieder das Bild ein vom präsumptiven
Indiehosenmacher, wenn neben ihm nur schon ein Wort wie „scheiß“ ertönt.
- Naja, wenn man stellenweise so schön schreibt wie er -.
Ich lese gleich einmal eine Stelle vor, die mir als Naturfreak besonders
gefällt. Noch nie begegnete ich einem Intro in eine Naturlandschaft, das
so bildlich und spannend war, wie dieses auf den ersten beiden Seiten
des Romans Die Schriften des Waldschulmeisters, in welchem ein Mensch
an den Rand der Gegend kommt, wo er die im Titel gemeinten Schriften
entdeckt:
(aus Roseggers gesammelte Werke, Bd.1, nymphenburger, 4.Aufl.
1993) S. S. 37f: Weg nach Winkelsteg ...
Die Schriften des Waldschulmeisters, 1875 erschienen, ist gerade noch
dem frühen Werk Roseggers zuzurechnen. Man kann es sich leicht machen
und sagen, es hätte darin sein nach eigener Aussage unerreichbares
Vorbild Adalbert Stifter Pate gestanden. Wer je genötigt oder getrieben
war in seinem/ihrem Text eine Landschaftsbeschreibung zu verfassen,
weiß, wie zweifelhaft dieser Maßstab ist. Man kann doch nicht ernsthaft
verlangen, es dürfe nach Stifter keine/keiner mehr sich über
Landschaften hermachen, außer er/sie würde sie sprachlich modernistisch
zerfetzen, was m.E. nur von einer umso größeren literarischen
Betroffenheit von Stifter zeugte.
Wie eingangs angedeutet: Rosegger beschreibt fast nur Land und
ländliches Leben. Doch sind seine Figuren des ländlichen Lebens weniger
in einen hehren Sprachdunst eingenebelt wie bei Stifter. Es haben bei
ihm die Sprachlosen mehr zu sagen. Bei allem Realismus seiner
Idealtypenundtypinnen, die bei Rosegger weniger erdichtete als
verdichtete reale Figuren sind, sagen sie das Ihre freilich in der
adäquaten Schlichtheit . Nicht zufällig haben Zeitgenossen Roseggers
ihrer Empörung Lauf gelassen, dass da einer Leuten gleichberechtigt an
Platz und Lautgewicht das Wort verleihe, welches ansonsten frühestens
von den gutbürgerlichen Schichten aufwärts überhaupt erst als Wort zu
gelten habe.
Mittels der fiktiven Schriften des Waldschulmeisters bewegt uns Rosegger
in ein Milieu von Menschen, das die einen, ohne persönlich etwas für sie
zu tun, als Opfer, und die anderen, außer disziplinierend genausowenig
selbst eingreifen wollend, in der Realität als Bodensatz der
Gesellschaft bezeichnen und begreifen.
Erdmann, der Protagonist des in großen Zügen tagebuchartig verfassten
und von den napoleonischen Kriegen bis 1864 handelnden Romans, ist mit
seinen einundzwanzig Lebensjahren ein vom Schicksal zerbeutelter Mensch.
Wegen seines Auftretens gegen Verheimlichung und Lüge flog er von der
höheren Schule, liebte außerdem die Tochter seines Gönners, die ihm
allein aus Standesgründen schon verwehrt bleiben musste, kurz: Er war
von der für einen sogen. geordneten Lebenslauf maßgeblichen Gesellschaft
plötzlich abgekanzelt. Er schloß sich den Mannschaften Andreas Hofers an
und fiel dabei in die Hände der Franzosen. Am Ende seiner Kerkerhaft
kann er weder nach Österreich noch nach Bayern, da die dortigen
Herrscher es ahndeten, dass ein Bauer wie Hofer sich erhob. Als
heimatloser Empörer zieht Erdmann mit den französischen Truppen bis
Russland, getragen von der Überzeugung: Ein Gott im Himmel, ein Herr
auf Erden
(aus Roseggers gesammelte Werke, Bd.1, nymphenburger, 4.Aufl.
1993) S.68f: Von einem großen Feldzug ........... einer Tanne bin ich
liegengeblieben.
Ohnmächtig daliegend wird er von einem alten Russen und dessen Tochter
in deren armseliger Hütte fürsorglich ins Leben zurückgerufen. Die
Franzosen befreien ihn vermeintlich aus russischen Banden und
misshandeln den alten Mann und seine Tochter. In einem späteren Kampf
der Franzosen gegen einen der hundert deutschen Staaten erschießt
Erdmann einen Gegner und erkennt in diesem Moment seinen besten Freund
aus der Schulzeit als Opfer. In tiefster Verzweiflung zerschmettert er
die Waffe. Du bringst der Welt und den Menschen nichts Gutes, sagt er
zu sich selbst, Du musst in die tiefste Wildnis gehen und dort
Einsiedler sein!
Zerlumpt und sich von Abfällen auf der Straße nährend trifft er auf
seinen früheren Gönner. Ein weltsatter Mensch wie Erdmann, könne sowohl
einsiedlerisch leben als auch Gutes für die Menschheit tun, richtet ihn
der Gönner auf. Als Besitzer eines Urwaldgebietes in den Alpen schlägt
er Erdmann vor, dort als Lehrer an der Errichtung einer Gesellschaft
nach seinen ehrenhaften Ansprüchen zu wirken. Erdmann nimmt freudig an.
Was ihn erwartet beschreibt ihm der Förtster am Ra nde der bezeichneten
Gegend u.a. so:
(aus Roseggers gesammelte Werke, Bd.1, nymphenburger, 4.Aufl.
1993) S. 80: Gleich eine Schule aufrichten ............ bei den Leuten
für Fplgen hat.
Neugierig durchstreift Erdmann seinen neuen Lebensraum. Er stellt einige
der in die Handlung verwobenen Personen vor und auch ihre Berufe.
(aus Roseggers gesammelte Werke, Bd.1, nymphenburger, 4.Aufl.
1993) S.100-104: Auch mit den Pechern ................. Branntweiner
nun seine zweite Ernte hält
Rosegger war ein Mensch von außerordentlicher Toleranz. Er besuchte
viele unterschiedliche Veranstaltungen der Sozialdemokraten, der
Nationalen und anderer Gruppierungen und ließ sich dort auf Gespräche
ein. Er kritisierte, scheute sich jedoch nicht, über Anschauungsgrenzen
hinweg Positives aufzunehmen, wo er solches zu finden glaubte. Zwei
Dinge allerdings waren für ihn ein rotes Tuch: Die herrschaftliche Jagd
und, noch viel mehr, starker Alkoholverzehr. Er selbst konnte mit
Alkohol umgehen und wußte nach dem Essen ein Gläschen zu genießen.
Einmal, im Roman Heidepeters Gabriel, der viel Autobiographisches
enthält, gibt er uns durch einen Ausspruch der sogen. Einschicht-Res`
dieses zu bedenken: Der Herrgott und der Teufel sind zusammen durch die
Welt gegangen; wo der Herrgott gerastet, da steht eine Kirchen, wo der
Teufel gerastet, da steht ein Wirtshaus . Ob aus dem Volksmund
aufgenommen oder selbst erfunden, es wird dieser Vergleich nicht viel
weniger fruchten als die meisten Entziehungskuren, aber in seiner Poesie
ist er würdig eines guten Dichters. Eines Menschen der das Volk liebt,
dessen Sichten jeglicher Art jederzeit in sich aufrufen und uns
vermitteln kann. Eines, der mit zwanzig, neben halben Kindern sitzend,
erst eine richtige Schule besuchte. Eines, der ungeheure Mengen an
Literatur las und sich dazu nüchterne Bildung aneignete aus
Herzensbedürfnis, während Gleichaltrige ihren Bildungsweg bereits
abschlossen und in ein gesichertes Leben traten, in ein Leben, in dem
Gebildetsein nichts anderes bedeutete, als an der richtigen Stelle zur
rechten Zeit geschliffen herauszuspucken, was gerade en vogue war zu
sagen, und in welchem Bauern wenn, dann nur als dreckige, stinkende
Notwendigkeit der Nahrungserzeugung vorkamen.
Rosegger jedoch war literarischer und de facto Feldforscher und die
Geist und Charakter bestimmendsten Jahre seines Lebens sogar
teilnehmender Beobachter gewesen. Seine Literatur ist eine
ethnologische. Sein Schreiben ist nicht einfach ein Beschreiben und
Abbilder werfen, sein Schreiben ist eine ununterbrochene Untersuchung
mentaler Prozesse der Mehrheit der Menschen in den Dezennien sich
verselbständigender Beschleunigung des sozialen Wandels in einer rasend
werdenden Industriewelt, die alles, was nicht mithält, niedermäht.
Erdmann findet bei den Waldmenschen Gewogenheit, da diese ihn für einen
Flüchtling halten. Ein Mensch, den diese Wäldler gern haben mögen,
schreibt er in sein Tagebuch, muß von der Welt verachtet und verbannt
sein, muss schier so wild und glück- und sorglos sein, wie sie selbst.
Er plant zuallererst den Bau einer Kirche. Hierbei erweist er
Einfühlungsvermögen, wie es wohl jenes von Rosegger selbst
repräsentiert:
(aus Roseggers gesammelte Werke, Bd.1, nymphenburger, 4.Aufl.
1993) S.151f: Das Kirchlein sei .......... Vorhof der Ewigkeit sein.
Rosegger hatte einen lebenslangen Kampf geführt gegen Überladenheit und
unverständliche Rituale der katholischen Kirche. Es ist dies m.E. neben
seiner praktizierten religiösen Toleranz und seinem Glauben an die
Bedeutung der Ökumene ein Mitgrund, dass er als Katholik den Bau einer
protestantischen Kirche in Mürzzuschlag finanziell und durch
Spendenaufrufe ermöglicht hat.
(aus Roseggers gesammelte Werke, Bd.1, nymphenburger, 4.Aufl.
1993) S. 152f: Vergoldete Bilder ........ in den Himmel hinüber. +
<í>Mein Plan ...... Steinbruch angelegt worden.
Und was zwangsläufig folgen muss, ist der Sündenfall der Organisation
einer Menschengruppe zu einer verwaltbaren Einheit. Klar, Rosegger und
sein Proponent sehen das keineswegs so. Sie träumen ja von einer idealen
Gesellschaft in einer der tiefen Wildnisse des frühen 19. Jahrhunderts.
Und so sucht Erdmann, ausgerüstet mit Papierbögen die Hütten des Waldes
auf:
(aus Roseggers gesammelte Werke, Bd.1, nymphenburger, 4.Aufl.
1993) S.155: Da habe ich die Hausväter ....... ragende Marksteine.
Zu den Vornamen findet er Hauptnamen nach Eigenschaften, Tätigkeiten und
Wohnumfeld der Menschen.
(aus Roseggers gesammelte Werke, Bd.1, nymphenburger, 4.Aufl.
1993) S.157: Die neuen Namen .......... und ihm Ehre zu geben.
Erdmann ist manchen Leuten etwas unheimlich und wegen seines
Bücherstudiums glauben sogar einige, er könne zaubern, doch wächst er in
ihren Augen mehr und mehr zur Vertrauensperson und Autorität heran,
sodass er auf innigen Wunsch schließlich priesterliche Aufgaben wie
Trauungen erfüllen muss und sie, von der naiven Reinheit der Wünschenden
überwältigt, auch vollzieht.
Mit der Zeit nimmt der von mir gegenüber dem Dichter und sogen.
Fortschrittsfeind Rosegger als Sündenfall stigmatisierte Fortschritt
sichtbare Formen an.
(aus Roseggers gesammelte Werke, Bd.1, nymphenburger, 4.Aufl.
1993) S.183: Wenn ich in den Wäldern herumgehe ....... große Freude in
diesen Wäldern.
Es bleibt nicht aus: Schon erobert sich die gute Sache Eigendynamik. Und
der gute Mensch denkt, dass e r lenkt. Unter der Gnade des großen Gottes
selbstverständlich. Einige würden heute zeigefingern: Expansion. Aber
die ist ja nach wie vor was Ehrenhaftes, und wo nicht, sodann
unumgängliche Notwendigkeit für irgendetwas per Expertisen Gesichertes.
(aus Roseggers gesammelte Werke, Bd.1, nymphenburger, 4.Aufl.
1993) S.184ff: Den Altartisch ....... neun Buben und für weiteres. +
Ich habe mehrere Pläne ...... Wohnungen bauen könne.
Der Augenblick der größten Freude bleibt nicht aus. Doch ists wie
verhext. Just hat man das eine, geht einem schon das nächste ab.
Rastlosigkeit überfällt Die sonnigen Gemüts genauso wie den Grübler:
VORLESEN: (aus Roseggers gesammelte Werke, Bd.1, nymphenburger, 4.Aufl.
1993) S.192fff: Sonntag ist! ......... Die Kirche ist fertig. + Der
Pfarrer von Holdenschlag ..... immer ein Wirtshaus daraus. + Das ist
der Schatten ........... Schnapsschenke errichten dürfe. + He, lachte
der ............ noch gar keinen Namen!
Das Wirtshaus entwickelt sich zum Umschlagplatz von Winkelsteg. Die
ärmsten der Armen, Hinterwäldler selbst für die Winkelsteger, flechten
Matten, die der Wirt zu verscherbeln weiß. Alles in allem jedoch ist die
Kirche der zentrale Punkt des neuen Dorfes. Die Sorge ist groß, ob sich
für die Gemeinde ein Pfarrer finden will.
Ja, die Texte sind aus heutiger Sicht voll mit blindgläubigen Deppen.
Nur, da ist der dessentwegen abfällig belächelte Dichter des 19.
Jahrhunderts. Hie aber ist die Gesellschaft derer des 20. und 21.
Jahrhunderts, die Gott suchen in Dingen oder esotherischen Praktiken,
die mittlerweile genausoviele Dinge erfordern. Da sind die Menschen, die
das Leben als Durchgangsstadium innert einer Ewigkeit und auf diese hin
bewältigen. Hie aber sind die Massen, die die Tausender nur so
hinschmeißen und mit den Geldfetzen – und wie, frage ich mich als selbst
ziemlich mittelloser Dichter, wie verdienen sie die, mit welcher ihrer
Suche entgegengesetzten Arbeit? – und mit den Geldfetzen glauben, nach
Dreitagesseminaren SchamanistInnen, IndianerInnen, Weise sowieso und
zuletzt noch Gurus, auf die die anderen hören sollten, zu sein.
Nein, da entflammt in mir gleich wieder die Liebe und Verehrung zu dem
kindlich in die Jungfrau Maria verknallten Rosegger. Während die Sorgen
der heuthiesigen nur die Aggressionen bedienen, die aufkommen, weil der
Dreitageskurs nach ein paar Wochen an Wirkung verliert und zur Stillung
der inneren Unruhe Kohle beschafft werden muss, um sie für einen neuen
Kurs hinzulegen, geht’s bei ihm wirklichkeitsnäher ab. Erst verbreitet
sich das Gerücht, der Sohn und Erbe des Gegendbesitzers hätte Winkelsteg
beim Spiel verloren. Kaum aber löst sich dieses Gerücht in Luft auf,
droht größeres Unheil.
(aus Roseggers gesammelte Werke, Bd.1, nymphenburger, 4.Aufl.
1993) S. 226f: Hier im Walde ist Tag ............ wenn kein Hirte ist.
+ Die Gebote ....... nicht mehr vom Himmel.
Hier schreibt Rosegger m.E. nach Wuchteln, die Dichter zu allen Zeiten
nicht glauben sollten. Hier hätte eine Klärung statthaben müssen, ein
Lichtlein seiner persönlichen Sicht auf die Gedanken seines
Tagebuchschreibers in punkto soldateskem Heimattums.
Erdmann ließ auch einen Richter wählen. Da nun alles rechtens zugehen
musste, wurde er, der langjährige Waldschulmeister, erstmals als
offizieller Lehrer bestätigt. Ohne Dokument existierst du nicht. Aus
Volksrecht wurde gesetztes Recht. Oh, Rosegger, Anwalt des Volkes.
Später rafft eine Seuche viele WinkelstegerInnen hinweg. Man erinnere
die Choleraepidemien in den großen Städten bis zum Ende des 19.
Jahrhunderts. Die kirchlichen Behörden bezogen ihre Drohfreuden aus
dieser Strafe Gottes für den unchristlichen Lebenswandel der Städter.
Nicht so am Lande eines Roseggers, der stets gegen ein Cristentum mit
einem bedrohlichen Gott räsonierte. Man schreibt 1832. Ansteckende
Krankheiten waren vom Menschen selber kaum zurückzudrängen. Es verbleibt
einzig die dreingebende Einsicht: So unbegrenzt der menschliche Geist
auch fliegen mag in den Weiten, sein letztes Ziel wird umschlossen von
den Brettern des Sarges, - Glücklicher Schläfer, dir ist ein unendlicher
Raum jetzt die Truhe. Noch nicht lang`, und dir war zu eng die
unendliche Welt.- Ein Memento Mori, das nicht nur den modernen
Totentänzern um goldene Kälber an der Wand erscheinen sollte. Wir
Heutigen haben verfeinerte Methoden, verfeinerte Dinge, andere Seuchen.
Kultur nennen wir das. Aber es geht im Großen zu wie damals im Kleinen:
VORLESEN: (aus Roseggers gesammelte Werke, Bd.1, nymphenburger, 4.Aufl.
1993) S.260f: Zur Faschingszeit ......... Schädel auseinand!
Der Schrecken der Seuche ging vorüber. Als wieder gewohnter Alltag die
Leben regelte, bleibt dem Waldschulmeister Zeit, in seinem Tagebuch über
den Niederschlag seiner Ideale zu sinnen. Und dieser spiegelt dem
frommen Mann kein erfreuliches Bild. Wir aber begegnen einem Symbol, das
wir aus anderer Sicht bereits kennen.
(aus Roseggers gesammelte Werke, Bd.1, nymphenburger, 4.Aufl.
1993) S.276f + 278f: Die Schule ist ........ es ist Untreue! + Da
draußen im .......... ABC-Jäger plane.
In seinen letzten Jahren zieht sich der alt und halbblind Gewordene
zurück in die Einsamkeit der Natur, die selbst in entlegenere Gebiete
geschoben worden war. Die Zivilisation deren Aufbau er initiiert hatte
ist nicht mehr des Greisen Welt.
(aus Roseggers gesammelte Werke, Bd.1, nymphenburger, 4.Aufl.
1993) S. 290f + 297f: Als ich in den Wald ......... wie es die Alten
haben getan.“ + 1855 ...... vom Teufel gesprochen worden als jetzt.
Rosegger, der alle zehn Jahre Rückblick auf sein Schaffen hielt,
behauptete in seinen letzten Jahren einmal, er hätte sich in seinem
Wesen und seiner Arbeit bis ins Alter hinein kaum verändert. Was sein
literarisches Sujet betrifft, mag das stimmen. Was die sture
Anhänglichkeit vieler seiner Figuren bezüglich der Kontinuität von
Ahnenerbe und Heimatliebe anlangt, bleiben seine wichtigsten Werke
ebenfalls gleich. Hinsichtlich Roseggers literarischer Ausdrucksweise
ist m.E. jedoch eine moderate aber stete Modernisierung festzustellen.
In Jakob der Letzte kommt er der uns gewohnten Klarheit und
Nüchternheit der heutigen deutschen Sprache näher als im
Waldschulmeister und mehr noch im zur Jahrhundertwende erschienen
Erdsegen. Gebrochen wird diese hinwieder in den vielen Dia- und
Polylogen seiner bäuerlichen ProtagonistInnen, die im altgewohnten
Geolekt ihrer engen Gegend sprechen. Und für Rosegger-ExpertInnen lassen
sich die Landschaften des Dichters zumeist an Vorbildern in der
Waldheimat identifizieren. Von Jakob der Letzte sagt der Dichter
selbst, der Roman sei in der Alpl-Gegend angesiedelt. Es geht darin um
das große Bauernlegen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als
das Großbürgertum die Höfe der zwar freien, aber zahlreich durch
Entgeltzahlungen an die vormaligen Grundherren, durch Grundsteuern,
Zinsen und die Militärpflicht der Bauernsöhne immer tiefer in die
Verschuldung geratenen Wirtschaften der kleinen und mittleren Bauern
aufkauft. Einmal in einer Gegend festgesetzt, weiß es die Geschicke
dieser Gegend so zu lenken, dass die verbliebenen Bauern aufgeben oder
draufgehen müssen. Mit dem Ausbau der Bahnlinien konnte konkurrenzlos
billiges Getreide aus Ungarn und Kroatien eingeführt werden. Rosegger
sieht den Sinn des bäuerlichen Daseins jedoch nicht in der Konkurrenz,
sondern vielmehr in einer freien menschlichen Existenz auf dem Boden, wo
einen der Herrgott hingestellt hat. Eigentlich hegt er eine Art
Makrobiotik der menschlichen Natur. Ich betrachte seinen Jakob als
historischen Roman, in dem nicht Kaiser und Schlachten den
Handlungsverlauf dominieren, sondern die sogen. kleinen Leute des
typisch österreichischen Alpengebiets, denen emporgekommene
Geschäftemacher in einer Zeit ohne Versicherung und mangelnder
Altersversorgung Existenz und Heimat schlachten. Rosegger hatte selbst
ansehen müssen, wie sein geliebtes Geburtshaus unter den Hammer kam.
Nach Schätzungen sollen allein in der Steiermark zwischen 1860 und 1890
50 000 Höfe abgewirtschaftet haben. Die allermeisten sind an
nichtbäuerliche Personen gefallen und dem bäuerlichen Betrieb entzogen
worden. Die Folgen eines derartigen Gemeinschafts- und Köpfeschwundes
lässt uns Rosegger beim Lesen des Jakob anhand einer betroffenen
Gemeinschaft geradezu körperlich spüren. Es sind anscheinend simple
Dinge, die zunächst nicht mehr bewerkstelligt werden können, wie die
Instandhaltung der dem Wetter ausgesetzten Wege, zu welcher jedes
Mitglied der Gemeinschaft aufgerufen ist. Die Jungen wandern ab, gelten
in anderen Landesteilen als verachtete Fremde und in den Städten
überhaupt nichts. Gar im Ausland erleiden viele Schiffbruch und finden
kein Zurück. Die Alten aber verkommen physisch und psychisch in einer
ihnen mehr und mehr entfremdeten Heimatlandschaft. In den
Reaktionsweisen der Rosegger-Figuren zeigt sich seine über den
schlichten Heimatschriftsteller hinausragende Bedeutung. Wer den Jakob
liest, wird besser verstehen, wie manches in der sogen. Grüne Revolution
des Schah von Persien abgelaufen sein muss, wie es den Bergstämmen auf
den Philippinen ergeht, wie den Bergvölkern am Rande der Himalayas, wie
den Bauern in weiten Teilen Südamerikas oder Afrikas.
Freilich, Lösung, einfach so herauszusagen, hatte Rosegger keine
anzubieten. Er wird wohl selbst keine gewußt haben, oder besser, es
rangen mehrere Seelen in seiner Brust. Drum sei hier, nun schon zum
Abschluß, noch eine Stelle im „Erdsegen“ erinnert, die uns Heutigen,
welche wir nach dem erwiesenen Versagen aller großen Ideologien unser
geistiges Leben fristen, wohl am treffendsten die menschliche Tiefe
Roseggers charakterisiert:
Einmal reden der Knecht-Journalist Hans und der Lehrer über Franzel, den
jüngsten Sohn des Bauern, bei dem Hans arbeitet. Der Lehrer meint, man
müsse den Buben in die Stadt bringen, weil er recht klug sei. Hans aber
bezieht die gegenteilige Position. Die klugen Köpfe brauche man doch am
Land, es sei sonst kein Wunder, daß hier geschieht, was eben geschieht.
Dies müsse ohnehin geschehen, vertritt der Lehrer, darum müsse man die
intelligenten Köpfe auf einen besseren Boden retten, ehe sie in den
Einöden verkommen und zugrunde gehen.
Der Lehrer behauptet auch, daß der Kulturmensch Nomade und nicht
Schollenhocker sei. Wenn der Kulturmensch einzig auf seiner Heimaterde
bleiben möchte, dann müßte der Bauer der größte Kulturmensch sein. Hans
jedoch stellt das Landleben höher als zB. das Fabriksleben mit seiner
sozialen Not und Unzufriedenheit, höher als das Kaufmannsleben, welches
Güter zur Übersättigung der Reichen hin und her schiebt, bei deren
Herstellung die Mehrzahl der Menschen Mangel leiden und verkommen muß!
[...] Der Bauer nur kann sich selber erhalten, ist also stärker,
tüchtiger und freier als andere. Und er fordert den Dorfschullehrer
auf, seinen Kindern täglich den Erdsegen vorzubeten.
Erst gegen Ende des Romans, weicht sich seine strikte Einstellung auf.
Ihn überfällt das schlechte Gewissen, so gegen die moderne Kultur
aufgetreten zu sein. Er will in Hinkunft schweigen, wenn wieder einmal
die Frage ist, was vorzuziehen wäre, die altbäuerliche
Bedürfnislosigkeit oder die moderne Kultur. Die Naturprodukte werden
erst durch die Kultur, durch die Industrie geheiligt. Am Bauernhof wie
in der Stadt wird produziert und konsumiert, und hier wie dort steigert
der Verkehr die Werte. Der Bauernkarren fährt vom Feld zur Tenne, von
dieser zur Mühle, dann zum Backofen, und an jeder Station gewinnt das
Feldprodukt an Wert. Hans wird bewußt, daß es nur darauf ankommt, das
Bauerntum der Entwicklung vernünftig anzugliedern. Und wenn es gelingt,
altväterische Tüchtigkeit und Treue mit jungweltlicher Genußfähigkeit
und Vorurteilslosigkeit zu vereinigen, dann beginnt ein erträgliches
Zeitalter.