Das globale Theater der Gewalt


© Franz Krahberger

Ein halbes Jahrhundert nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus und zwanzig Jahre nach dem Ende des sowjetischen Kommunismus lässt sich nochmals in umfassenden Dokumentationen in Schrift , Film und TV nachlesen und nachsehen, welch unselige Verbrechen von diesen Regimen begangen worden sind.

Es scheint jedoch so zu sein, dass die Scham der Linken über die Verbrechen der Stalinisten, der Maoisten, der roten Khmer größer ist als die der Rechten über deren eigene Geschichte.
Die westliche Linke ist ohnehin nie in die Machtposition gelangt, die ihr umfassende revolutionäre Gewaltausübung erlaubt hätte. Die Geschichte der staatlichen Gewalt im Westen ist zweifellos weitgehend eine Geschichte gemäßigter Demokraten, aber auch die der Rechten.
Die Linke ist leise geworden, sie ist verstummt. Ihre Schwarzbücher werden vor allem von neuen Rechten gelesen und in diskursive politische Munition verwandelt, so wie die Linke über Jahrzehnte hinweg die Gräueltaten der Faschisten angeklagt und angeprangert hat.
Solschenizyns Aufzeichnungen aus dem und über den Gulag ließen sich eben nicht mehr als Propaganda abtun, ebenso wenig die faktisch gut recherchierten Arbeiten etwa von Francois Furet oder Stephane Courtois und anderen.

Die an den USA orientierten Intellektuellen hatten nie Probleme, an der Unmenschlichkeit des Sowjetkommunismus zu zweifeln. Meist konnten sie sich auf überzeugende Quellen und auf Personen stützen, die selbst dem Kommunismus nahe gestanden haben und damit in der Phase des Stalinismus endgültig gebrochen hatten, um später mit der Unterstützung der USA zu einflussreichen kalten Kriegern zu werden. So Hannah Arendt Arthur Koestler, Manes Sperber und Wilhelm Schlamm, Melvin Lasky, Daniel Bell u.a.

Der Diskurs über und um die Gewalt wurde im Europa der Jalta Ordnung kontrovers anhand zweier Systeme geführt. Einmal gegen den Kommunismus gerichtet und andererseits in Erinnerung an die Untaten des Faschismus und des Nationalsozialismus. Eine weitere Variante galt dem Alltagsfaschismus, verbunden mit dem von den USA dominierten westlichen Kapitalismus.
Der Gewaltdiskurs war weitgehend an politische Systeme und Modellvorstellungen gebunden. Die Formen öffentlicher Gewalt der 68- er bis hin zum linksradikalen Terror waren ebenso politisch motiviert und wurden im eigenen Verständnis als eine Bewegung der Befreiung empfunden.

Das Verstummen der Linken nach dem Zusammenbruch des Sowjetsystems und des Comecom lässt schließen, dass die Bedeutung der Existenz des realen Sozialismus für die westeuropäische Linke doch größer gewesen ist, als sie es sich selbst eingestehen will. Heute wirkt die Linke weitgehend konzeptlos. Zwischen den neoliberalen Konservativen wie rechten und den sozialliberalen Demokraten, die sich gemeinsam die Regierung der Europäischen Union bilden, scheint in Hinsicht auf das allgemeine wirtschaftliche System Einigkeit zu bestehen. Unterschiede sind bloß in der graduellen Ausführung zu bemerken. Was die einen ungehemmt vorantreiben wollen, den freien Markt, wollen die anderen sozial verträglich abgefedert wissen, so weit es eben geht.
Die, die weder mit der einen noch der anderen Variante zufrieden sind, sammeln sich weitgehend in einer Art außerparlamentarischen Opposition, umfasst mit dem Begriff Globalisierungsgegner.
Wobei unter Globalisierung eben die unumschränkte globale Durchsetzung des freien Marktwirtschaftens unter dem militärischen Schirm der USA verstanden wird.
Der japanische Philosoph Umehara sieht im totalen Scheitern des Marxismus, und es ist ein totales Scheitern, sowie im dramatischen Zerfall der Sowjetunion nur ein Vorspiel des Zusammenbruchs des westlichen Liberalismus und der Moderne insgesamt. Der Liberalismus und seine neoliberale Variante wäre keine Alternative und keinesweg geeignet als ausbaufähige Ideologie. Tatsächlich ist die Gegenwart bestimmt von Kulturpessimismus und apokalyptischen Zukunftsängsten, die aus ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Katastrophenszenarien genährt werden. Tatsächlich beschäftigen uns seit den 90 er Jahren die Kriege im Irak, auf dem Balkan, in Tschetschenien und die Schrecken des radikalen, global sich ausweitenden Terrors. Es lässt sich kein Ende absehen. Die Postmoderne war bloss ein kurzes Innehalten in einem ungeheuren Prozess der Erosion und erneuten Umwälzung. Nach dem 9.September 2001 drängt sich die Gewalt zentral in den öffentlichen und kulturellen Diskurs. Darunter ist auch die zunehmende Einschränkung der bürgerliche Freiheiten im Zuge des Sicherheitskonzeptes wider den Terror zu verstehen, die den Westen stetig und unumkehrbar in ein totalitäres Gebilde verwandeln werden. Die Notierung des Zeitpunktes der Zerstörung der Doppeltürme des Welthandelszentrums in New York durch radikalislamische Terroristen in den meisten Fällen nur mehr mit dem Kürzel 9/11 ohne Ortsangabe und weitere Beschreibung des Ereignisses, ohne weitere Hinzufügungen, zeigt, dass damit eine radikale Zäsur eingetreten ist.

Der Diskurs gesellschaftlicher Utopien und Gegenentwürfe, die Parteinahme für alternative Modelle, der die 60 und 70 er Jahre noch wesentlich bestimmt und diesen auch belebende dialektische Wirkung verliehen hat, ist völlig abgekommen und verstummt. Das scheint wesentlich das existentielle Problem sowohl der östlichen wie westlichen Dissidenten jener Jahre auszumachen.
Es wirkt so, als ob man tatsächlich am von Fukujama, einem der US-neokonservativen Denker, postulierten Ende der Geschichte angelangt sei.
Die gesellschaftliche Entwicklung habe alles erreicht, was im Sinne der Aufklärung zu erreichen gewesen sei, und es gäbe nur mehr punktuelle Rückschritte, aber keine großen Fortschritte mehr.
Der sowjetische Koloss verwandelte sich in die russische Föderation, in einen staatlich kontrollierten Wirtschaftsliberalismus. Das erzrote China orientierte sich auffällig an den westlichen Wirtschaftsnormen. Das Ende des kalten Krieges beraubte die Linke wesentlicher Argumente.

Die neue Rechte sprach im Siegestaumel plötzlich wieder im antibolschewistischen Jargon des kalten Krieges der 50 er Jahre, in dem unter anderem auch Argumente der Nazis übernommen worden sind. Sehr zum Ärger der Sozialdemokraten, die mit dem Kommunismus nun wirklich wenig zu tun hatten.
Ein neues Maß an Freiheit und wirtschaftlichen Ausgleichs schien erreicht, bis erste düstere Wolken am Horizont der nach wie vor voran schreitenden Geschichte aufzogen, die sich durch die Theorie Fukuyamas nicht beenden lässt.

Schärfste intellektuelle Waffe im kalten Krieg waren die Anmahnung der Menschenrechte und die Totalitarismuskritik, angeführt von Hannah Arendt und vom im Mai dieses Jahres in Berlin verstorbenen Melvin Lasky, der nicht bloß Theoretiker des kalten Krieges der Intellektuellen, sondern einer seiner effizientesten Öffentlichkeitsarbeiter gewesen ist.
Der reale Sozialismus und Kommunismus scheiterte nicht allein an seiner mangelnden wirtschaftlichen Entwicklungsfähigkeit sondern eben auch an der Unfähigkeit, den kritischen Fragen des Westens nach der Realkonstitution im Verhältnis zur Zielsetzung, zur sozialen Utopie stand zu halten.

Kaum war der Blick in die Geschichte des Gulag für den Westen weit geöffnet, und nicht bloß der Kenntnis von Insidern und eiskalten Propagandisten überlassen, kaum war der Gulag als Teil eines brutalen Ausbeutungssystem sichtbar, das einen Teil Arbeiter nicht über die Abhängigkeit von Lohn, sondern über den strafrechtlich geahndeten Verstoß gegen das kommunistische Regulativ in Erfüllung eines brutalen wie willkürlichen Rechts durch Zwang rekrutierte, ließ sich der reale Sozialismus nicht mehr argumentieren.
Die Dokumentationen Solschenyzins, Furets und Courtois konnten allein durch die Utopie, Ideologie, Propaganda und Wunschvorstellung nicht mehr widerlegt werden.
Der reale Kommunismus war wirtschaftlich, politisch und moralisch an sein Ende gekommen.

Die Methode der Gulagisierung ist entfernt vergleichbar mit den Methoden der Christianisierung im ersten Drittel des zweiten Jahrtausends im Osten Europas. Die Gesetzgebung des Stefan des Heiligen von Ungarn legte fest, dass Personen, die sich nicht dem Kreuz beugten, sich nicht katholisieren ließen, die sich dem neuen Gesetz nicht unterstellten oder es brachen, ihre Rechte verloren und zu Sklavenarbeit herangezogen wurden.
Praktische Arbeitskraftbeschaffung, in die Ketzer und Heiden eingespannt wurden.
Stalin vertiefte diese Despotie, in dem er Gesetzesbrecher in Quote durch seine politische Polizei herbeischaffen ließ. Der Stalinterror ist so gesehen eine Art billige Arbeitskraftbeschaffung gewesen.

Entfernt vergleichbare Anklänge gibt es im neoliberalen Konzept der Gegenwart. Wer nicht völlig aus der Gesellschaft herausfallen will, muss jede Arbeit annehmen, beziehungsweise die Arbeit wird dem Sozialhilfeempfänger zugewiesen, ohne dass er noch irgendeinen Einfluss auf die Höhe der Entlöhnung oder die Art der Arbeit hat. Nicht besonders überraschend in Deutschland oder Österreich, in denen der Nationalsozialismus Systemgegner und BürgerInnen besetzter Länder in von Industrie und SS eingerichtete Arbeitslager presste. Ein zeitweilig sehr erfolgreicher österreichischer Politiker der Neuen Rechten verstieg sich noch in den 90 er Jahren dazu, solches als ordentliche Beschäftigungspolitik zu bezeichnen.

Dass gerade die reliquiar geborgenen Gebeine des ungarischen Gründervaters Stefan, insbesondere seine im übertragenen Sinne rechte eiserne Hand, nach dem Ende des Kommunismus wieder kreuz und quer durch Ungarn getragen wurde, ist eine der bitteren, unerkannten Ironien der Geschichte.
Stefans des Heiligen Gesetzgebung ist von Interesse, weil sich nach ihr die staatliche Gewalt im Glauben gründet, vergleichbar dem Kommunismus, der sich auf die Ideologie als höchste Instanz beruft. Ebenso vergleichbar mit dem aktuellem Islam und den neu geformten Gottesstaaten.
Kardinal Mindzsenty, der beides gut gekannt hat, verglich den Kommunismus mit dem Katholizismus. Kommunismus wäre Religion ohne Gott, schrieb er in seiner Biografie.
Die Gesetzgebung des Stefan des Heiligen war jedoch nicht originär von ihm entworfen worden, er nahm sich sein Vorbild an den Gesetzen Karls des Grossen, der einerseits die Einigung Europas und anderseits die Christianisierung noch nicht erfasster widerspenstiger europäischer Stämme vorangetrieben hatte.
Ein weiteres Vorbild europaeischer Einigung, der habsburgische Karl der Fünfte hat in der Gegenreformation die gefürchtete peinliche Gerichtsordnung erlassen.

Das, was an Stalin und König Stefan so despotisch brutal wirkt, hatte also ohnehin sein Vorbild im christlichen Europa, und nicht allein in der Diktatur des Proletariats des Karl Marx.

Die Entflechtung von Religion und Staat war ein Ergebnis der Neuzeit, der Glaubenskriege und der Aufklärung. Der Kommunismus hatte die Totalität auf seine Weise wieder hergestellt, ebenso wie der fundamentalistische Islam.

Die Totalitarismuskritik der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts richtete sich vor allem gegen den Kommunismus und den realen Sozialismus. Man könnte annehmen, dass nach dem verschwinden dieser Systeme diese Form der Kritik ebenso hinfällig geworden wäre.
Doch es geschieht erstaunliches. Die Totalitarismuskritik beginnt sich nun gegen den Westen und den Globalismus selbst zu richten und es scheint so zu sein, dass sich mit ihr respektable Erkenntnisse erzielen lassen.
Nicht deswegen, weil die Kritik bislang auf diesem Auge blind gewesen wäre, oder etwas übersehen hätte, sondern eben weil sich der Westen selbst einer neuen Totalität annähert und nach erfolgreicher Beendigung des kalten Krieges angesichts neuer Bedrohungen zunehmend Freiheiten einzuschränken beginnt, die er in der Konkurrenz der antagonistischen Gesellschaftssysteme seinen Bürgern scheinbar freizügig geboten hat, so wie auch die Errungenschaften des sozialen Wohlfahrtsstaates ersatzlos gestrichen werden.
Diese Form der Kritik ist nicht neu. Tatsächlich drehten bereits die kritischen Geister der 68 er Rebellen in den USA und in Westeuropa den Spiess um und warfen dem Westen das vor, was dieser bislang dem Osten vorgeworfen hatte.
Die Bedrohung durch den radikalislamischen Terror ist zumindest in der Einschränkung der Freiheitsrechte ein willkommener Anlass. Die Kontrollbedürfnisse der neoliberalen Gesellschaft haben sich jedoch bereits vor 9.11. entwickelt und sind bereits vorher massiv vorgetragen worden.

Der neue Totalitarismus des Westens hat weniger mit einer Staatsidee zu tun, als mit dem neoliberalen Geschäftsverständnis und wir müssen uns fragen, ob es Zusammenhänge zwischen Globalisierung und der Politik der multinationalen Konzerne mit einem neuen Totalitarismus gibt, vor allem im Zusammenhang mit den militärischen Operationen der USA und den von Zbigniew Brzezinski offen in einem Buch eingestandenen hegemonialen Bestrebungen der Vereinigten Staaten von Amerika. Brzezinski ist einer der Vorgänger von Miss Condolezza Rice im Amt des nationalen Sicherheitsberaters der USA.

Wir müssen uns fragen, ob die Maßnahmen, die infolge von 9/11 getroffen wurden und getroffen werden, temporär sind oder ob unsere Gesellschaft, gemeinsam mit den USA eine dauerhaft totalitäre Struktur entwickelt, die sich an der Existenz des internationalen Terrors legitimiert und so Voraussetzung für die Sicherheit der Bürgerinnen der westlichen Welt sein will.
Die Totalität der Sicherheit setzt die völlige Erfassung und potentielle Überwachung aller gesellschaftlichen Aktivitäten voraus.

Allgemein wird als totalitär verstanden, wenn der Mensch dem Zweck des Systems dient und nicht das System ihm. Die europäischen Demokratien verstehen sich zwar nach wie vor als Dienstleister an ihren Bürgern. Sie stellen dies zumindest in ihren jeweiligen Programmen und vor allem in den Wahlwerbungen so dar.

Wendet man dieses vereinfachte Verständnis des Totalitarismus auf das Verhalten der Wirtschaft an, lässt sich der humane Zweck vorrangig in den Werbebotschaften erkennen, also vordergründig und oberflächlich. Im Selbstverständnis des Unternehmens hat jedoch der wirtschaftliche Erfolg, die Profitmaximierung, der Wettbewerb auf den Märkten und die Ausweitung der Markanteile, bis hin zur Globalisierung des Warenangebotes den absoluten Vorrang.
Unternehmen, die ihren Mitarbeitern eine strikte corporate identity verordnen, die ihren potentiellen Kundenkreis mit allen möglichen Marketinginstrumenten auskundschaften, werden jedoch jeglichen Vorwurf, ein totalitäres Ziel zu verfolgen, weit von sich weisen. Sie verstehen sich als Exponenten der freien Marktwirtschaft, als die Protagonisten der westlich geprägten freien Welt und wollen ihr System und ihr Warenangebot in letzter Zielsetzung global verbreiten und vermarkten.

Wie sehr jedoch sich bestimmte Unternehmensphilosophien auf die Gestaltung von Politik und Gesellschaft auswirken, zeigt die jüngste Geschichte Italiens. Der Medienunternehmer und Politiker Berlusconi verwandelt mit Hilfe seiner Medienunternehmen, mit Hilfe seiner von ihm gegründeten Regierungspartei Forza Italia und mit Hilfe der Parteien der extrem prononcierten Rechten Italien in einen totalitären Staat, in einem noch demokratischen Europa, in der Überzeugung und unter der Vorgabe, der beste aller Demokraten zu sein. Berlusconi kontrolliert in der Zwischenzeit zusätzlich zu seinem privaten landesweiten TV Imperium den staatlichen Rundfunk RAI, wie auch einen grossen Teil des Verlags- und Pressewesens. Im Moment arbeitet er daran, sich des Flaggschiffs der liberaldemokratishen Presse Italiens Corriere della Sera zu bemächtigen. Eines der wenigen Gegengewichte bildet die Unita, das aus dem Parteibesitz herausgelöste ehemalige Zentralorgan der PCI. Silvio Berlusconi ist selbstverständlich gern gesehener Gast im White House in Washington und zählt zum politischen Freundeskreis von George Bush jun.

Tatsächlich ist der zeitgenössische Mensch viel weniger dem Diktat des Politischen, als dem Diktat des Wirtschaftlichen unterworfen. Politische Entscheidungen werden zunehmend von wirtschaftlichen Zielen bestimmt, während sich die reale Politik als zu schwach erweist, sozialpolitische Probleme in den Griff zu bekommen.
Alles das, was sich als unwirtschaftlich erweist, wird an einen zunehmend ökonomisch schwächer werdenden Staat delegiert, der sich letztendlich außerstande sieht, die Problem einer nachhaltigen Lösung zuzuführen.
Die Maßstäbe werden im 21.Jahrhundert von der (globalen) Wirtschaft und den Medien gesetzt. Kultur, wie wir sie bisher verstanden haben, fällt weitgehend unter den Begriff historischer Provinzialität.

Nicht, dass es die bildende Kunst, die Literatur, die Musik, den Film etc. nicht mehr gäbe. Doch gemeinsam bilden sie nur mehr ein kleines Segment des gesellschaftlich öffentlichen Spektrums und sie sind vor allem nicht mehr Ausdruck einer gesellschaftlichen Elite; ebenso wenig konnte sie sich in den Massen verankern.
Engagierte Literatur oder engagiert sich gebende Literatur hat ihren Einfluss weitgehend verloren.
In der Zeit des ideologischen Krieges ist ihr noch Bedeutung zugewiesen worden. Nachdem der Kampf gegen den Kommunismus zugunsten des westlich liberalen Systems entschieden worden ist, hat sie zu keinen neuen Themen gefunden. Weder seitens der Befürworter, noch seitens der Gegner.

Können wir von einer Gesellschaft behaupten, sie sei totalitär, nur weil ihr das traditionelle Kulturbild abhanden gekommen ist, weil sie den kritischen Intellektuellen kein Gehör mehr schenkt. Es mag ebenso sein, dass letzteren es nicht mehr gelingt, die richtige Tonlage zu finden.
So hat sich aktuelle Kunst und Literatur insbesondere provokatorische Elemente zu eigen gemacht, im Versuch die Gesellschaft aus ihrem vermeintlichen Schlaf zu wecken und ihre zunehmende Einflusslosigkeit aufzuhalten.

Im jüngsten Elfriede Jelinek Werk, das werk schlechthin, in dem es um den österreichischen Aufbaumythos rund um den Kraftwerksbau Kaprun geht, bringt einer, der in alpiner Tracht auftritt, etwa so wie Sepp Forcher gekleidet ist, so ungefähr alle fünf Minuten naturalistisch nachgebildete menschliche Körperteile auf die Bühne. Ein Stück humanen Rückens, ein Bein, abgeschlagene Arme und so fort wirft er auf den Bühnenboden. Er wirft den Schauspielern, die den Vorgang ebenso ignorieren wie das Publikum, menschliche Leichenteile nicht nur buchstäblich vor die Füße. Während dessen trällert und tritzt der schlimme jelineksche Mädchenchor und wirft der Menschheit all ihre Schlechtigkeiten vor.
Die Jelinek, infolge des von Anbeginn an provokatorisch angelegten Aktionismus, überschlägt sich in allen denkbaren Versuchen, um dem Menschen die Maske herunterzureißen, ihn einer Katharsis zu unterziehen. Doch diese Katharsis will sich nicht einstellen.
Die Jelinek spricht hin und wieder von ihrem marod gewordenen Humanismmus, dem es nur mehr bedingt gelingt, dem stumpfen Massenkonsumismus und dem Neokonformismus der Moden etwas, wenn auch nur etwas, entgegen zu setzen. Vielleicht liegt dies aber auch daran, dass es gerade die conditio humana ist, die sowohl die guten humanen Seiten des Menschen hervorbringt, doch ebenso seine offensichtlich unersättliche Gier nach den dunklen Seiten nährt. Tatsächlich erscheint es angesichts des Ergebnisses angebracht, Aufklärung und deren Wirkungen in Wissenschaft und Gesellschaft zu überdenken, ohne jedoch in einen Zustand davor verfallen zu wollen. Im Menschenbild spiegelt sich auch der negative Teil und zeigt eben Wirkung.

Die Kunst der Gegenwart hat im Namen der Kritik einen kaum mehr erträglichen Zug der Brutalisierung erfahren, den sie durch die Geschehnisse der Gegenwart und Vergangenheit zu legitimieren versucht. Wenn es tatsächlich so ist, dass die aktuelle Einbildungskraft des oder der KünstlerIn die soziale Realität von morgen vorwegnimmt, gehen wir dreckigen Zeiten entgegen.
Ich habe vor Jahren den einflussreichen Kulturmanager Wieland Schmied gefragt, wie Thomas Bernhard dazu gekommen wäre, eine Mischung aus Brecht und Artaud als Vorbild zu nennen. Schmied meinte, es wäre nicht so ernst zu nehmen, er selbst habe Bernhard in der Vorstellung und Vermarktung des Erstlings Frost dazu geraten, um Auffallen zu erregen.. Und doch scheint diese Vermengung von Brecht, der sein Verhältnis zum Stalinismus nie wirklich geklärt hat, den Stalinpreis nicht zurückgewiesen hat, und Antonin Artaud, der so wie Ezra Pound kurzfristig Hitler verehrt hat, und dessen Theater der Grausamkeit durchaus als aktionistische Metapher gelten könnte, und bernhardinische Folklore zu den Wesenszügen neuerer österreichischer Literatur zu zählen.
Es ist ein zynischer österreichischer Mix, der sich da zeigt. Das negative Abbild der Wirklichkeit. Ein Nihilismus, der durchaus im Sinne Friedrich Nietzsches die Rationalität in Frage stellt und zu entwerten versucht. Der Verdacht, dass es nicht um Katharis geht, sondern um Sensationslust, scheint berechtigt.
Warum sich gerade die 68 er Generation an diese Ausdrucksformen gebunden fühlt, beschreibt Daniel Bell in seinem Text Die Zukunft der westlichen Welt, 1976 erschienen.:
Die Revolutionsrhetorik - gleichviel ob in der neuen Sensibilität oder der neuen Politik - erlaubt die Aufhebung der Trennung zwischen Schauspiel und Wirklichkeit, so dass Leben (und solch "revolutionäre" Aktionen wie Demonstrationen) als Theater vorgeführt wird, wobei Gier nach Gewalt, zunächst im Theater, dann auf der Strasse, zur notwendigen psychologischen Droge, zu einer Art Sucht wird.
Bell erwähnt in diesem Kontext den Film weekend von Jean-Luc Godard, der heute noch in bestürzender Weise als hellsichtige Vision gegenwärtiger wie künftiger Welt wirkt.
Tatsächlich wollten die Aktionen und Happenings der 60 er Jahre keinesweg khatartisch wirken. Der Schock, die Qual, die Irritation und damit verbundene Übelkeit waren beabsichtigt. Das Publikum wurde verachtet, beschimpft und psychologisch ausgeklügelt im übertragenen Sinne gefoltert, in die Mangel genommen. Aus dem Sprechtheater war die Sprachfolter geworden, die mit ihren exaltierten Torturen bis in die Gegenwart fortwirkt. Heute gehört diese zum selbstverständlichen Repertoir der Bühne. Tatsächlich hat sich die Brutalität und dargestellte Gewalt empfindlich gesteigert, ohne jedoch noch den gesellschaftsverändernden Anspruch zu stellen. Heute diont dies der Unterhaltung. Und jenes, dass in den 60 er Jahren gegen die Unterhaltungsindustrie gerichtet war, ist heute vermarktbarer Gegenstand der Unterhaltung geworden.

Gewalt als Sujet künstlerischer Darstellung und Gewalt als Gegenstand der Unterhaltung und der Religion ist keineswegs neu in der Kulturgeschichte der Menschheit. Ob es nun die blutigen Arenen des römischen Reiches gewesen sind, die Opferaltäre der Azteken, die öffentlich gewalttätige Gerichtsbarkeit des katholischen Mittelalters bis tief hinein in die Neuzeit, die ihre Missetäter öffentlich demütigte und ihr Leiden und ihren Todeskampf zur Schau stellte. Die katholische Kirche erhob den geschundenen Körper Christi und die in seiner Nachfolge gewaltsam umgekommenen Märtyrer zur Ehre der Altäre.
Eigentlich unfassbar, dass in der liturgischen Symbolik des Katholizismus der malträtierte und zerstörte Leib Christi in den Mittelpunkt gerückt wird.
Wie sehr diese Symbolik Angst, Schrecken und Widerwillen erzeugen kann, zeigten die ablehnend bis empörten Reaktionen auf Mel Gibsons skandalisierende und auf Schock hin getrimmtePassion, die scheinbar passend zu Ostern ins globale Kino gekommen ist. Es ist tatsächlich nicht einzusehen, diese Orgie der Gewalt, in der aus dem Leib des Religionsgründers der letzte Blutstropfen herausgeprügelt und am Kreuz der letzte Atemzug aus dem geschundenen Körper herausgepresst wird, als die zentrale Botschaft des Christentums anzusehen. Gibsons Film ist offensichtlich ein weiterer zynischer Höhepunkt des ohnehin gewaltversessenen amerikanischen Films. Die damit verbundenen ökonomischen Vorstellungen sind aufgegangen. Forbes erstellt alljährlich ein Star-Ranking gemessen an Medienpräsenz und Einkommen. Den heurigen ersten Platz nimmt Mel Gibson ein, der mit seiner Tortur bislang an den Kinokassen 600 Millionen Dollar eingespielt hat. Es bleibt zu hoffen, dass das Publikum dem Gibsonschen Fundamentalismus ideologisch nicht folgt.
Merkwürdig bleibt, warum eine von den Persern als besonders grausame und ihre Gegner demütigende eingesetzte Hinrichtungsform, die Kreuzigung, zum zentralen religiösen Symbol des Christentums geworden ist. Eine Symbolik, die so zweischneidig ist, wie das Schwert, mit dem die Altarfigur des heiligen Stefans im Zentrum des Hochaltars des Budapester Doms gegürtet ist.
Völlig anders die griechische Orthodoxie, die den erlösten, den Eleison, und nicht den gequälten Christus ins Zentrum der Anbetung stellt. Das Bildnis des Gekreuzigten taucht erst im dritten und vierten Jahrhundert auf, nachdem das Christentum den bei den römischen Soldaten weit verbreiteten Mithras- oder Stierkult endgültig überwunden hatte.
Nicht zu übersehen, dass Gibson seine unsäglich brutale Auffassung von christlicher Passion im Rahmen des Krieges gegen den radikalen Islam und internationalen Terrorismus in die Kinos gebracht hat. Der Vorwurf des Antisemitismus stimmt wahrscheinlich nur zum Teil.
Es ist die von ihren Feinden gequälte christliche Natur, die aufwühlen, die Verteidigungsbereitschaft erhöhen soll. Ich halte diesen Film als einen Teil der Kriegsproganda der USA. Gibson spielte die Hauptrolle in The Patriot, ein Film der besonders den Fahnenpatriotismus hervorhob, in dem es auch um die Brutalisierung der Kriegsführung ging. Stallone und Schwarzenegger erfüllten auf andere Weise ebenso ihre patriotische Pflichtkür und setzen massive Gewalt als dramaturgisches Mittel ein. Immer unter dem Vorwand, das ultimative Böse final zu vernichten.

Kürzlich wurde in Mariazell die Wahlfahrt der Völker begangen, die dem Frieden und den Verbindungen des neuen Europas, insbesondere dem vom Kommunismus befreiten Osteuropa gewidmet gewesen ist. Zehn Kardinäle und mehr als eine Hundertschaft von Bischöfen trugen gelbe Kaseln, das Obergewand des priesterlichen Ornats, auf denen blutrote Keile und bis zum Fuss reichende Stränge auf der Seite, wie auch blutrote Flecken auf der Rückseite in Spritztechnik bzw. in der Manier der Aktionsmalerei, eingearbeitet bzw. aufgespritzt wurden. Das liess sich an den Grossaufnahmen des Fernsehens und in den in von den Veranstaltern im Internet verbreiteten Bildern leicht erkennen. Ob nun diese offensichtliche Symbolik vergossenen Blutes die Nachfolge Christi der hohen Würderträger, oder die Verfolgung des Christentums im überwundenen Kommunismus Osteuropas deuten soll, oder eine künftige Leidensgeschichte ankündigt, überlasse ich der Deutung des Betrachters. Die Prediger selbst haben über diesen augenfälligen Kontext kein Wort verloren.
Bemerkenswert ist jedenfalls, dass die formale Ästhetik des Aktionisten Hermann Nitsch nun auch die Kunst der Liturgie erreicht hat, bzw. im Gegensatz gedacht offenbart, dass sie aus ihr stammt. Der Vergleich drängt sich auf, vor allem dann wenn einem die blutbespritzen barocken Ornate in Erinnerung kommen, die zum Standard von Nitsch Präsentationen in den Museen der Moderne zählen.
Bislang ist aufgefallen, dass hohe sozialdemokratische Funktionäre, die sich für progressiv halten, eine rot gefleckte Leinwand von Nitsch hinter ihrem Schreibtisch hängen haben. Nitsch ist neben Mühl u.a. in den letzten zwanzig Jahren häufig Gegenstand der Auseinandersetzung im politischen Kulturkampf gewesen, eindeutig zu Ungunsten der Sozialdemokrokraten, die den Aktinionimus kurzzeitig zur Staatskunst erhoben haben.
Das Nitsch in einem allgemeineren Trend liegt, zeigt für mich die Kleidungsschau der Kurie in einer zumindest im miitteleuropäischen Masstab international angelegen Veranstaltung in Mariazell.
Die Aktionisten haben in der kulturpolitischen Auseinandersetzung des Landes eine unglückliche Rolle gespielt., die weder fortschrittlich noch aufklärend gewesen ist. Der österreichische Aktionismus ist ein Rückfall in archaische Verhaltensweisen, die für manche unterhaltend sein mögen, jedoch die öffentliche Meinung extrem polarisieren, ohne dass eine neue Qualität zustande kommt. Der Aktionismus ist eine Geste der Provokation, mehr nicht. Er bewirkt weder gesellschaftliche noch persönliche Befreiung. Das von sich zu behaupten, ist eine seiner Anmassungen.

Wie weit der nihilistische Wahn der Kunst gehen kann, zeigt die spontane Reaktion von Karlheinz Stockhausen auf die Ereignisse des 9.September 2001:
Was da geschehen ist, ist - jetzt müssen Sie alle Ihr Gehirn umstellen - das größte Kunstwerk, das es je gegeben hat. Dass Geister in einem Akt etwas vollbringen, was wir in der Musik nicht träumen könnten, dass Leute zehn Jahre üben wie verrückt, total fanatisch für ein Konzert und dann sterben. Das ist das größte Kunstwerk, das es überhaupt gibt für den ganzen Kosmos. Stellen Sie sich das doch vor, was da passiert ist. Da sind also Leute, die sind so konzentriert auf eine Aufführung, und dann werden 5000 Leute in die Auferstehung gejagt, in einem Moment. Das könnte ich nicht. Dagegen sind wir gar nichts, als Komponisten. Stellen Sie sich vor, ich könnte jetzt ein Kunstwerk schaffen und Sie wären alle nicht nur erstaunt, sondern Sie würden auf der Stelle umfallen, Sie wären tot und würden wiedergeboren, weil es einfach zu wahnsinnig ist. Manche Künstler versuchen doch auch über die Grenze des überhaupt Denkbaren und Möglichen zu gehen, damit wir wach werden, damit wir uns für eine andere Welt öffnen.
Das ist Stockhausen gleich an einem der nächsten Tage nach dem New Yorker Anschlag eingefallen. Die Zahl der Opfer ist noch nicht bekannt gewesen. Diesmal wurde er von den Medien öffentlich gerügt und zur Rede gestellt. Diesmal haben die Medien in diesem Vexierspiel von Kunst und Wirklichkeit und dem zynischen Umgang nicht mitgespielt. Zuviel ist auf dem Spiel gestanden und Stockhausen schweigt seit diesem unseligen Tag seiner Wortmeldung,

Noch immer überholt die Realität die Obsessionen der Kunst schlagartig. Die Vorkommnisse im Bagdader Abu Ghraib Gefängnis, die Folterung irakischer Gefangener, selbst wenn einige von ihnen in eben diesem Gefängnis vorher ihre eigenen Landsleute gefoltert haben sollten, also auch die Folterung der Folterer, machen die Welt atemlos.
Alles das, was da seit de Sade an angewandter Gewalttätigkeit beschrieben und ersonnen worden ist, scheint in dieser Sondernummer amerikanischer Kriegsführung vereint zu sein, besonders zugeschnitten auf die Tabus der islamischen Welt. Die gefolterten Iraker, die der islamischen Religion angehören, müssen die sexuellen Szenarien, die mit ihnen durchgespielt wurden, als extrem demütigend empfunden haben. Sie waren auch so angelegt, obwohl eine vorgefasste Planung, nach dem der Skandal öffentlich geworden ist, bislang strikt abgestritten worden ist. Sie wären auch von Angehörigen des westlichen Kulturkreises als demütigend empfunden worden.
Übergriffe der US-Marines in ihren eigenen Reihen wurden 1992 im Film Eine Frage der Ehre mit Jack Nicholson und Tom Cruise in den Hauptrollen thematisiert. Ein junger Marine wurde dem sogenannten code red unterzogen und starb daran. Dieser code red findet sich in keinem Manual der Armee, wird aber in speziellen Fällen angewandt.
Der kommandierende Offizier rechtfertigte dies damit, seine Männer müssten auch unter extremen Umständen, also im Ernstfall zurecht kommen.
Ähnliches geschah auch in Abu Ghraib. Die Folterungen waren keineswegs durch die militärischen und nicht durch militärisch geheimdienstliche Regeln gedeckt. Sie waren von Anbeginn an illegal und gesetzesbrecherisch. Doch der Ernstfall rechtfertigt scheinbar solches Vorgehen. Der Krieg, und jeder Krieg, setzt alle Rechtmässigkeit und jedes Menschenrecht ausser Kraft. Das liess sich auch am jugoslawischen Bürgerkrieg erkennen. Die Greueltaten sowohl der Serben wie auch der Kroaten werden das Gericht in Den Haag noch lange beschäftigen.

Laut Spiegel hält der Vatikan die Folteraffäre für schlimmer als den Anschlag vom 11. September 2001. Der Skandal heize den Hass der Araber gegen den Westen und vor allem gegen die Christenheit an, teilte der Außenminister des Vatikans, Erzbischof Giovanni Lajolo der Tageszeitung La Repubblica mit. Die Misshandlungen wären ein größerer Schlag für die USA als der 11.September. Der Punkt ist, dass dieser nicht von Terroristen herbeigeführt wurde, sondern von Amerikanern gegen sich selbst, meinte der Erzbischof.

Damit könnte der von Samuel P.Huntington 1996 veröffentlichte Kampf der Kulturen zu einer dauerhaften globalen Kriegs-Realität sich ausformen, die über den Terrorismus weit hinausgehen wird. Huntington hat damals seine kontroverse Anthropologie in der deutschen Ausgabe im Untertitel die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert genannt, in der er den Bruchlinen der bisherigen Ordnungen nachgeht. Jetzt hat er neues Buch vorgelegt, in dem er die USA vor der Überfremdung durch lateinamerikanische und asiatische Zuwanderer warnt und die protestantische angelsächsische Leitkultur der whasps (white - anglosaxon - protestant), deren typische wie radikale Exponenten George Bush junior wie senior sind, bedroht sieht. Bush und seine Anhänger wollen die USA, die in den letzten Jahrzehnten vor allem die Multikulturalität ihrer McDonalds Gesellschaft hervorgehoben hat, ohnehin wieder nach den Vorstellungen des weissen Mittelstandes ordnen. Huntington ist ihr treuer wissenschaftlicher Wegbegleiter, ein amerikanischer Oswald Spengler des 21. Jahrhunderts. Huntingtons Buch und seine jüngste Publikation zeigen, wie parallel und wie deckungsgleich die Konzepte der amerikanischen Neokonservativen und der Neuen europäischen Rechten sind.

Seymour Hersh hat in einem jüngst im New Yorker erschienenen Artikel die Hintergründe der Abu Ghraib Folterinszenierung genannt.
1973 veröffentlichte der Kulturanthropologe Raphäl Patai The arab mind, eine Studie arabischer Kultur und Psychologie, die fünfundzwanzig Seiten über das Verhältnis der Araber zur Sexualität beinhaltet. Das Zerbrechen dieser mit Scham und Repression verknüpften Tabus wird von den Opfern als demütigende, traumatisierende, enwürdigende und entehrende Gewalt empfunden.
Diese Arbeit von Patai über arabisches Sozialverhalten wurde zur Bibel der Neocons von Miss Rice bis Mr.Rumsfeld.
Die Berater des Pentagons und Spezialisten der Army leiteten offensichtlich aus Patais wissenschaftlicher Untersuchung Handlungsszenarien ab, mit denen sie die Moslems psychologisch besonders hart treffen wollten und konnten.
So schlug kurz nach den Ereignissen von 9/11 ein amerikanischer Konservativer vor, die Überreste von islamischen Selbstmordattentätern mit den Innereien von Schweinen und mit Schweinekot zu begraben.
Da in allen Begräbniskulten Pietät eine große Rolle spielt, glaubte der Politiker allen ernstes, man könne so Selbstmordattentäter von ihrer Tat abhalten. Ich hielt diese Wortmeldung damals für einen dummen Ausrutscher. Nach den Ereignissen in Abu Ghraib wird deutlich, wie sehr solche Gedankengänge Methode haben und offensichtlich auch praktisch mit dem Ziel der Demütigung eingesetzt werden.
Lyndie England und ihre Kameraden scheinen ebenso Opfer dieser eiskalt kalkulierenden Schreibtischtäter aus dem Pentagon und aus dem amerikanischen Krisenstab zu sein. Sie dürften dazu angehalten worden sein, dieses entwürdigende Folterschauspiele aktiv auszuüben. Szenarisches Foltern als psychologisches Druckmittel, um Informationen zu gewinnen.
In der Zwischenzeit ist publik geworden, dass der oberste Befehlshaber der US-Truppen im Irak persönlich bei peinlichen Befragungen von Häftlingen im Gefängnis Abu Ghraib anwesend gewesen sein soll. Noch vor Tagen hat der Mann vor dem Senatsausschuss jede Kenntnis seitens der Führung in Abrede gestellt. und wie zu erwarten ist die Meldung in der Zwischenzeit dementiert worden. Aber das gehört bei solch verdeckten wie illegalen staatlichen oder militärischen Maßnahmen dazu. Sollte zuviel davon in Kenntnis der Öffentlichkeit gelangen, liegt meist bereits ein Szenario vor, wie man sich da wieder herauswinden kann. Doch nun wird der Rücktritt des Mannes in Aussicht gestellt. Er scheint untragbar geworden zu sein.

Die Amerikaner haben in solchen Angelegenheiten ohnehin einen großen Erfahrungsschatz. Doch ihre Konstruktionen machen ihnen zu schaffen. So konnte der von Außenminister Colin Powell vor den Vereinten Nationen in einer powerpoint show vorgetragene Kriegsgrund, der angebliche Besitz des Irak von Massenvernichtungswaffen, bis heute nicht bestätigt werden. Möglich, dass gefoltert worden ist, um zu brauchbaren Informationen zu kommen. Doch ist anzunehmen, dass es ebenso ein klar kalkulierter Akt der Demütigung ist, der noch bittere Folgen haben wird.

Einige der Bilder aus Abu Ghraib haben mich an aktionistische Szenarien erinnert. Tatsächlich ist der Aktionismus in seiner Kunstform in vergleichbarer Methode vorgegangen. Die Aktionisten haben sich Verletzlichkeiten und Tabus des Menschen und der Gesellschaft herausgesucht und diese bewusst mit einem provozierenden Gestus, mit einer provozierenden Idee in einem besonders verletzenden und damit wirksamen Szenario verbunden und dem betroffenen Publikum vorgesetzt. Man konnte damit rechnen, dass die jeweilige Aktion in nacherzählter und skandalisiert aufgebauschter Form einer breiten Öffentlichkeit bekannt werden würde.
Der Aktionismus agierte von Anbeginn gekonnt mit sadomasochistischen Spielformen .
Insgesamt hat sich der Sadomasochismus in diversen Spielformen in Gesellschaft, Film und TV ausgebreitet. Die europäische Kulturhauptstadt Graz hat ihrem Sohn Sacher Masoch 2003 eine Ausstellung und mehrere Projekte nicht nur allein aus historischen Gründen gewidmet.

Die Aktionisten werden umgehend wieder behaupten, allein der Versuch einer Befreiung und die Kritik an den bestehenden Verhältnissen triebe sie zu ihren Ausdrucksformen. wer sie nicht verstünde, wäre ohnehin ein Reaktionär oder Sympathisant der neuen Rechten. Sie benutzen also auch das Mittel der Denunziation und Verleumdung gegenüber jenen Kritikern, die keineswegs mit der Rechten in Verbindung stehen. Mit dieser Methoden gelang es ihnen den Kulturkampf um den Aktionismus als eine Auseinandersetzung zwischen Links und Rechts, zwichen Fortschritt und Reaktion zu positionieren. Das ist eine völlige Beugung der Verhältnisse, die vor allem der Rechten nützlich gewesen ist.

Ich persönlich bin der Meinung, dass die Aktionisten immer bloß präpotent und überheblich sind und aus einem scheinbarem Überlegenheitsgefühl heraus die Meinung im Kulturleben wie im öffentlichen Leben zu ihren Gunsten manipuliert haben. Sie rechnen geradezu mit der Feigheit und der Unkenntnis des Publikums, so wie die US-Armee mit der Willfährigkeit der Lyndie England und ihrer Helfer rechnen konnte.
Auch die Ausstellung m.ars in der neuen Galerie im Rahmen des Europäischen Kulturhauptstadt Projektes Graz, über die Kriegskunst bzw. kritische Antikriegskunst wäre danach zu hinterfragen, ob sie nun Anklage oder bloß kalkuliertes Spiel mit der Gewalt ist.

Der Totalitarismus beinhaltet eine starke sadomasochistische Komponente, die Dialektik der Herrschaft des einen und die Versklavung bzw. Verächtlichmachung des anderen. Wilhelm Reich entwickelte das Bild der repressiven Sexualmoral des Faschismus. Sexualität kann jedoch auch in einem scheinbar progressiven Modell repressiv eingesetzt werden.
Insgesamt entwürdigt der Totalitarismus das Menschenbild, in dem er sein eigenes extrem erhöht, indem er anderes extrem herabsetzt. Die Insassen des kommunistischen Gulag sind ebenso Opfer solcher Methoden geworden, wie die Häftlinge in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten.
Der Totalitarismus entwertet das Menschenbild, indem er es durch ein vorgeblich höheres Ideal zu ersetzen sucht.
So war das Rassenreinhaltungsprogramm der Nazis, bis alles Unerwünschte ausgemerzt worden wäre, auf einen Zeitraum von fünfhundert Jahren angelegt. So schrieb Hitler diesen pseudowissenschaftlich argumentierten Wahn in seinem Kampf fest. Nicht auszudenken, welche wissenschaftliche wie menschliche Verirrungen uns in der Anwendung der Gentechnologie noch bevorstehen.

Die Avantgarde ist ebenso unerbittlich gegenüber der Tradition. Sie will zerstören, was ihr im Wege steht. Das verleiht ihr manchmal unerbittliche Züge wie totalitäre Nähe. Sie legitimiert sich aber deswegen um keinen Deut mehr.
Die Kunst scheint ohnehin nicht besonders geeignet, gesellschaftliche Verhältnisse effektiv zu kritisieren.

Während dem sich Teile der Kunst der Gegenwart in sadomasochistischen Rollen übt und dies als Kunst gegen die Gewalt versteht, erleben wir eine wirtschaftliche wie politische Entwicklung, die ihre Verlierer zunehmend demütigt, aller Chancen beraubt und an den Rand drängt. Allein keine Arbeit zu haben, freigesetzt zu sein, wie dies konservative Politiker noch vor Jahren nannten, führt zu einem demütigenden Prozess. Mensch ist nur der, der Anteil hat am ganzen.
Ein sozialdemokratischer Politiker, jetzt wieder Vorstand des nationalen Ölkonzerns, sagte es deutlich in der Wahl zur österreichischen Wende. Er vertrete nur die, die in Arbeit stünden. Er sagte das natürlich in der Wir-form.
Wer nicht mehr aktiv an der Totalität des Geld- und Produktionskreislaufes beteiligt ist, gerät alsbald in menschenunwürdige Verhältnisse. Man muss Angst haben, pflegebedürftig zu werden, man muss vor dem Alter Angst haben, weil man fürchten muss, zunehmend in menschenunwürdige Abhängigkeit zu geraten, und man muss befürchten, nicht mehr gehört zu werden. Das freie marktwirtschaftliche System schließt immer mehr Menschen vom allgemeinen Wohlstand und aus dem öffentlichen Blickwinkel aus.

Das sind nicht etwa charakteristische Erscheinungsformen des Ostens oder des Islams, es sind nicht zu übersehende Mängel des wohlhabenden Westens.

Der konservative amerikanische Kultursoziologe Daniel Bell, hat bereits Mitte der 70 er Jahre vor vor ungezügeltem Hedonismus gewarnt und meinte damit vor allem die die Aktivitäten der rebellischen Linken und der Aussteiger. Tatsächlich hat die Verbindung von Hedonismus und finanziellen Interessen, also die Vermarktung der Lust und ihrer vielfältigen Varianten in der Sexartikel, Porno-, Film- und Unterhaltungsindustrie in Folge ungeheure Profite erwirtschaftet. Das entspricht der Doppelbödigkeit insbesondere der amerikanischen Gesellschatt, die in Kunst und Kultur Subversion wittert und im Massengeschäft zufrieden die Gewinne einstreift. Frei nach Abraham Lincoln, was der Mehrheit gefällt, also dem Massengschmack folgt, kann nicht schlecht sein.
Ein englischer Pornofilmhersteller und Peep Show Betreiber galt eine Zeitlang als der reichste Mann Grossbritanniens. Doch wie in allen Süchten wird nach stärkeren Dosen verlangt. Das verbrecherische und verächtliche Geschäft mit Kinderpornografie ist durch die Möglichkleiten des Internets extrem ausgeweitet worden.
Hat Bell noch vor einem Niedergang des Kulturellen gewarnt, drohen wir heute im TV und Medien junk und trash unterzugehen. Die Formulierung trashculture bildet einen Widerspruch in sich. Die Vermuehlung des Alltags in geistiger wie in materieller Hinsicht hat mit Kultur nur mehr wenig zu tun.

Im Gegensatz zu den rüpelhaften amerikanischen Neokonservativen rund um George Bush, im Gegensatz zu verbalen Giftschleudern wie Anne Coulter konnte Bell noch einen umfassenden kulturellen Verstand vorweisen, der auch die Moderne, wenn auch kritisch, mit einschloss, während heute Washington von eifernden Christkoenigskriegern besetzt scheint, die selbst die Aufklärung als Gefahr ansehen. So stehen sie einem ebenso eifernden radikalen Islam gegenüber, der in der westlichen Welt ein Werk Satans sieht, so wie Reagan in der Sowjetunion das Reich des Bösen gesehen hat.

Eine solche Welt ist nicht mehr diskursfähig. Sie strebt Gewalt an und setzt Gewalt ein. Um diese zu motivieren und zu legitimieren, muss sie Schritt für Schritt den humanen und ethischen Level herunterfahren.

Die Rolle der USA in diesem Spiel ist weder glücklich noch glaubwürdig. Erinnrenswert ist der 1988 gedrehte dritte Film der Rambo-Serie mit Sylvester Stallone. Da kämpfte der amerikanische Filmheroe Seite an Seite mit einem afghanischen islamischen Fundamentalisten gegen die Sowjetsoldaten aus dem Reich des Bösen. Aus dieser Partnerschaft ist nun eine tiefe Feindschaft und ein zunehmend sich globalisierender Krieg erwachsen. Aus den afghanischen Kriegern rekrutierten sich später die Talibans und letztendlich Bin Ladens Al Kaida.
Nähere Details über diese Entwicklung und über Aktivitäten amerikanischer Ölhändler wie auch über die Verbindungen der Bush-Familie zu den Saudis lassen sich in Michael Moores jetzt in Cannes mit der goldenen Palme ausgezeichneten FilmFahrenheit 9/11 erwarten.
Michael Moore stellt übrigens unter Beweis, dass man den Sachverhalt der Gegenwart in unterhaltendem und spannendem Dokumentarstil zeigen kann, ohne von einem provokatorischen Krampf in den anderen zu fallen. Die Ereignisse sprechen für sich, wenn man sie im richtigen Blickwinkel vor die Kamera holt und sie in ihrem tatsächlichen Kontext montiert. Entgegen der von Heiner Mueller mit seinem auf die DDR beschränkten Blick geäußerten Meinung, die mit den modernen Kapitalflüssen verbundene soziale Tragödie ließe sich mit den Mitteln der Kunst leider nicht darstellen, gelingt es Moore mit seinem Film the big one ein kritisches wie spannendes Bild der Globalisierung zu zeichnen, das tatsächlich der Realität gerecht wird, von den Arbeitslosen in Huntsville bis hin zum Eigner von Nike, der im globalen Stil in Billiglohnländern herstellen lässt und global mit riesigem Gewinn verkauft.
Moore ist es zweifellos gelungen, damit einen erkennbaren Ausschnitt aktuell wirtschaftlicher Totalität glaubwürdig darzustellen. Moore hat die goldene Palme für sein aktuelles Filmwerk zurecht erhalten, und beweist mit seiner Methode, dass es sich noch in sinnvoller Weise über unsere im Argen liegende Welt reden lässt.

Eine anderes spannendes Phänomen ist gegenwärtig zu beobachten. Die amerikanische Wirklichkeit nähert sich in rasantem Tempo den Inhalten des Hollywoodsfilms der letzten zwanzig Jahre an.
Sadomasochismus, Gewaltbereitschaft, brutaler Aktionismus und Kampf gegen den Terror haben die Sujets des Hollywoodfilms deutlich geprägt.
Lange bevor George Bush jun. zu Felde zog, hat Arnold Schwarzenegger in seinem true lies 1994 einen arabischen Terroristen final mit einer Sidewinder Rakete aufgespießt.
Kaum wurde das sowjetische Feindbild nach dem Zusammenbruch hinfällig , wurde eine neues Reich der Finsternis entdeckt. Ab da an ging es ideologisch wider den radikalen Islam.

Ich will die Gefahr nicht verniedlichen. Die Bedrohung durch den radikalen Islam ist real und unbestritten und ich habe weder Sympathie noch Verständnis dafür. Aber es muss doch die Frage gestellt werden, ob nun dieser Gefahr auch effektiv gegenüber getreten wird. Un wir müssen zumindest den Versuch unternehmen, die islamische Welt zu verstehen.
So wie es jetzt aussieht, begeben sich die USA auf ein Niveau der Auseinandersetzung, das den Konflikt verschärft und nicht löst oder gar befriedet. Ein kürzlich vom absolut seriösen Institut für strategische Studien in London hergestellte Studie zeigt, dass Al Kaida weiter über ungebrochene Schlagkraft verfügt, und trotz der umfangreichen militärischen Gegenmassnahmen bis hin zur Besetzung des Iraks an nichts eingebüsst an.

Arnold Schwarzenegger ist wahrscheinlich zum Govenor of California gewählt worden, weil er einem Urbild der amerikanischen Seele entspricht, dem des gerechten Gewalttäters, der sein Vorbild im einsamen Citymarshall des wilden Westens hat, beziehungsweise in Batman aus dem industrialisierten Norden.
Der öffentlichkeitsscheue Enterpreneur Bruce Wayne und der handfeste Revolverheld auf der Seite des Gesetzes, John Wayne bilden die mythische Hindergrundfolie schwarzeneggerscher Terminationsfilmkunst. Schwarzenegger ist eigentlich das Symbol individueller Gewalt, die immer auf der rechten Seite der Barrikade für das Gute und Schoene kämpft.
Auch sein im Bodybuilding erworbenerTitel Mister Universe passt gut zum hegemonialen wie totalitären Anspruch der USA über den Rest der Welt, sowohl wirtschaftlich, politisch, kulturell und miltärisch und in letzter Perspektive totalitär. Sein wirtschaftlicher Erfolg hat seine Wahl zusätzlich befoerdert.

Schwarzeneggers ebenso in den USA lebender Freund und bekennende Scientologe Gottfried Helnwein ist über Jahrzehnte hinweg durch sadistische Bildsujets mit der Darstellung von Gewalt gegen Kinder aufgefallen. Helnwein ist ein Spezialist für düstere Szenen.
Im November vorigen Jahres hat Helnwein eine große Ausstellung im Museum of Tolerance des Simon-Wiesenthal-Centers in Los Angeles gezeigt. Helnwein nannte die Ausstellung in Erinnerung an die Reichskristallnacht ninth november night und bezeichnete sie als art of humanity. Natürlich zeigen die Bilder von Helnwein das genaue Gegenteil, die Deformation des Humanen, die absolute Inhumanität.
Wenn Helnwein es die Kunst des Humanen nennt, entspringt dies einer geplanten Begriffsverkehrung, die dem allgemeinen österreichischen Sprachgebrauch entspringt.
In bestimmter Betonung wird ein Begriff in sein Gegenteil verkehrt. Die neue Supposition meint dessen Negation. Dieses Spiel und die damit verbundene zwei- bis Mehrdeutigkeit haben die Wiener Poeten und Aktionisten immer in Vieldeutigkeit zu nutzen gewusst, ebenso wie die Umgangssprache. Sie konnten die Dinge immer so verkehren, wie sie es gerade brauchten und entgingen damit meist dem Vorwurf, selbst einen fatalen Hang zu Gewalt und zum Sadismus zu haben.
Gerade im Kontext zur bitteren wie unerträglichen Tatsache des Holocaust, dem nicht nur die Juden zum Opfer gefallen sind, sondern eben auch die allgemeine Humanität, frage ich mich, ob der helnweinische Stil, der aktionistische Stil überhaupt geeignet ist, diese Dimension des Grauens und des inhumanen zu verarbeiten.
Der Betrachter füllt sich malträtiert, sich dem scheinbaren Vorrecht auf Schock, das sich die Aktionisten und ihnen nahe stehende Künstler offensichtlich herausnehmen, obwohl sie zur Bewältigung des Sachverhaltes wenig bis gar nichts beitragen, ausgeliefert.
Sie zeigen uns die dunkle Seite der Gewalt, eigentlich nur ihre persönliche Vorstellung davon, vermitteln uns aber keinerlei Botschaft, die den Abgrund überwinden könnte. Der Mensch ist schlecht, und das Bild von ihm muss dementsprechend schlecht ausfallen. In den Busspredigten der inquisitorischen Zeit der Gegenreformation, in der Zeit des künstlerisch blühenden Barock, wird das negative Bild vom Menschen von den Kanzeln herab gepredigt. Martin von Cochem und Abraham a Santa Clara bilden in der Tradition der jesuitischen Traktatliteratur mit ihren derben Bildern die Volkssprache. Religiöse Fundamentalisten und revolutionäre Puritaner ähneln sich unübersehbar. Die Gegenreformation, der Barock und die von den Jesuiten geprägte Predigt- und Öffentlichkeitsarbeit ist der letzte gelungene Versuch der Kirche und des Adels, Europa in jeder Hinsicht totalitär zu erfassen.
Die Gegenreformation unter Anleitung durch die Jesuiten ist die erste umfassende corporate identity Kampagne der Neuzeit gewesen.

Heute wird der Kampf der Ideologien und Meinungen in den elektronischen Medien, die die Welt global erfassen, entschieden.
Die Authentizität der Vorgänge und ihre weitgehende Kenntnis lässt sich durch das globale Netz rascher vermitteln. Ohne digitale Fotografie und die global vernetzten Medien hätte sich der aktuelle Folterskandal bei weitem nicht so rasch ausgebreitet. Die verantwortlichen Politiker und die zuständigen Militärs wären nicht so rasch in Zugzwang gesetzt worden. Die bestens recherchierten von Saymour Hersh im New Yorker veröffentlichten Artikel sind global on line zugänglich.
Die Folterbilder aus dem Abu Ghraib haben schnell ihren Weg auf das Cover etwa der Wiener Wochenzeitung profil gefunden.
Nachdenklich macht mich die Rezeption des Videos, das die Enthauptung Nicholas Bergs durch ein Al Kaida-Kommando zeigt, die unmissverständliche und brutale Antwort der radikalen Islamisten auf die Folterungen in Abu Ghraib.
Die Anzahl der Zugriffe auf die diversen Server, Teile dieses Videos gespeichert hatten, soll enorm gewesen sein. So teilte ein US Internetunternehmen mit, dass die Nachfrage nach der Aufzeichnung von Bergs Ermordung, der in diesem letzten Videobild seines Lebens mit seinem Bart entfernt an Abraham Lincoln erinnerte, in Suchmaschinen kurzfristig die Kategorie Popstars und Pornografie an den Spitzenplätzen ablöste.
Den User hat offensichtlich nicht allein der Wunsch nach Information angetrieben. Die Al Kaida führte eine reale Enthauptung vor. Das ist kein Hollywood-fake gewesen.

Sowohl die Televison wie auch das Internet fokussieren das Weltgeschehen auf der elektronischen Bühne. Der Monitor ist der Guckkasten auf das globale Geschehen. Nicht allein die Produzenten sind für das betrübliche Angebot verantwortlich. Der User bestätigt sie durch seine Nachfrage.

Mathäus Merian nannte seine im 17. Jahrhundert gegründete und bis ins 18.Jahrhundert über den Zeitraum von hundert Jahren herausgegebene Geschichte der Zeit theatrum europäum. Über die Zeitschrift erfuhr der Mensch von den Ereignissen in der Welt. Die Welt wird als Bühne verstanden. In besonderen Fällen werden die Texte mit einer Zeichnung versehen. So etwa eine schlichte Abbildung des brennenden Londons. Bildliche Darstellungen sind jedoch absolut rar. Der Mensch erfährt Katastrophen durch Erzählungen, durch Hörensagen oder eben in eigener Anschauung, wenn er beteiligt oder in unmittelbarer Nähe ist.

In der Gegenwart werden uns die Bilder und Berichte der jeweiligen war theatres, Kriegsschauplätze, unmittelbar in unsere Wohn- oder Arbeitsplätze vermittelt. Der Monitor des TV-Gerätes und des am Internet hängenden Computers bindet alle in den permanenten Nachrichtenfluss ein. Das Medium ist totalitär. Die Berichterstattung ist global.
So formt sich ein Bild permanenter Gewalt aus Kriegen, Terroranschlägen, Katastrophen und Gewaltverbrechen, das uns durch den Alltag begleitet. Selbst wenn wir in Zonen des Friedens leben, lässt uns diese Wahrnehmung nicht mehr los. Die Bedrohung wirkt mehr virtuell als real. Doch die Kriegsführung des global vernetzten Terrors verwandelt den ganzen Planeten in ein potentielles Ziel. New York, Moskau, Madrid, arabische und israelische Städte, asiatische Schauplätze waren und sind direkt davon betroffen.
Kein Ort auf der Welt ist sicher. Das schafft eine Aura des Unbehagens und der Bedrohung, die durch die notwendigen staatlichen Sicherheitsmassnahmen noch verstärkt wird. Die Menschheit gerät in eine Phase des permanenten virtuellen Krieges, der sich jeweils schlagartig, abgesehen von den aktuellen Zonen der direkten militärischen Auseinandersetzung, an kaum vorhersehbaren Punkten realisiert. Der asymetrische Krieg des internationalen Terrors zieht die Menschheit in seinen Bann.

Schauen ist immer auch mit Schaulust und Neugier verbunden. via die globalen Medien erfährt sich die Welt in ihrer neuen Totalität. Sie verwandelt sich jedoch nicht allein in die ersehnte Informations- oder Wissensgesellschaft.
Die digitale und mediale Vernetzung schafft ein im übertragenen Sinne virtuelles Colosseum, in dem die Tragödie der Menschheit in real Zeit abläuft und umfassend sichtbar wird, und realpolitisch von den Kontrahenten genutzt wird, aber ebenso der Unterhaltung des Schreckens dient.
Die digitale und mediale Vernetzung schafft einen umfassenden virtuellen Kontrollraum, der bislang keinem System, keinem Staat und keinem Diktator zur Verfügung gestanden hat.
Die Welt befindet sich zwar noch nicht in einem Zustand, wie sie sich etwa im ersten oder zweiten Weltkrieg befunden hat. Doch die Rahmenbedingungen, die dazu führen können, sind sichtbar geworden. Ökonomische, soziale und ökologische Probleme bestimmen den Konfliktrahmen. Der Terror verschärft die Widersprüche und ist dabei, dem Westen in seiner Verteidigung eine totalitäre Struktur auf zu zwingen.
Die unglaubliche Brutalität des radikalen islamischen Terrors findet ihre Entsprechung im gewachsenen virtuellen Gewaltpotential des Westens, in dessen Kultur das humane Menschenbild in fortgeschrittener weise willentlich zerstört wird.
Wir sind bereits auf dem weg in den Vorhof der Hölle und es ist völlig ungewiss ob sich das langsam aufbauende Inferno noch abwenden lässt.


·^·