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ZEITOEKONOMIE UND INDIVIDUALISMUS -
GIORDANO BRUNO UND DIE FOLGEN

Copyright Dr.Burghart Schmidt

Niederschrift eines Vortrages im Rahmen des Symposions EUROPAEISCHE VEKTOREN - INTERAKTIVE ZEITRAEUME in der Orangerie des Schlosses Schoenbrunn

Herr Ehalt hat mir das Stichwort gegeben, mit seinen einleitenden Worten, die heutige Rede von der sich aufloesenden Raumdimension und der sich aufloesenden Zeitdimension, die man ueberall wieder zu hoeren bekommt, mit welchen Begruendungen auch immer vertreten. Das andere Stichwort kam aus der Thematik dieses Symposions zwischen Kuenstlern, Theoretikern und solchen die zwischen Kunst und Theorie hin und her verkehren. Die Rede vom Individualismus, der heute neuerlich noetig geworden waere und der uns zu dem grossen Bogen zurueckfuehrt in die Zeit, wo es mit dem neuzeitlichen Individualismus begann, der Zeit der Renaissance. Das ist natuerlich jetzt in diesem Bogen vom Individualismusproblem heute zur Renaissance ganz in einem eurozentrischen Sinn gesprochen. Man muss einfach irgendwo eintreten in die UEberlegungen, man kann in Ueberlegungsgaengen nicht alles fassen. Eurozentrische Ansaetze haben den Vorteil, ueber das eurozentrische in unserer Welt einmal in der Tat klar zu werden.

Und dazu gehoert ja auch das heutige Ergebnis, dass mit der Kritik des Eurozentrismus zusammenhaengt: aufheben von Raum und Zeitdimensionen. Die Welt wird ein Dorf, was haette da noch Eurozentrismus zu suchen. Aber es ist wohl so, dass dieser Zusammensturz der Dimensionen wieder einmal so absolut gesehen wird in den Debatten. Und dabei vernachlaessigt wird die Frage, wie stuerzt hier etwas zusammen, falls etwas zusammenstuerzt. Das wird dann so leicht vergessen. Und dadurch kam ich auf diesen vielleicht etwas befremdent wirkenden Titel meines Vortrags: Zeitoekonomie und Individualismus, weil darin ja schon etwas hin und her zu toben scheint. Zeitoekonomie verstehen wir heute als ein ausgesprochen wuestes Wort, dass sofort uebersetzt wird in Wirtschaften mit der Zeit. Wir landen bei dem Spruch, Zeit sei Geld usw. und usf. Erst einmal am Rande bemerkt stimmt das fuer unsere Gegenwart so ganz nicht mehr, mit der Zeit, die Geld sei, weil wenns ums Geld geht, heute der Einfall, der heute merkwuerdigerweise nicht stundenweise produktiv arbeitet, vielleicht viel mehr Geld einbringt. Aber das nur am Rande bemerkt. Das Wirtschaften mit der Zeit unter dem auch von Herrn Ehalt schon angespielten Zeitdruck und der Zeitbeschleunigung scheint natuerlich das Gegenteil zu sein von dem, was wir uns unter Individualismus vorstellen. Sobald das Wort faellt, faellt ja schon auch das andere >sich selbst verwirklichen<. Man selbst sein, sich selbst ausgestalten usw. und diese Art Selbigkeit kann ja nicht unter dem Druck einer aeusseren Geissel von Zeit passieren und ablaufen. Insofern scheint also Zeitoekonomie genau der Feind des Individualismus zu sein und der Individualismus muesste, sofern er noch Wert hat, sich gegen Zeitoekonomie ueberhaupt wenden. Ich glaube, dass das nicht ganz so ist und in dieser Hinsicht hat mich George Bataille immer sehr interessiert, indem er den Sinn des oekonomischen umdrehte oder in eine Kehre trieb. Er sprach von einer klassischen Oekonomie, die ihr Ziel sieht im Einsparen von Aufwaenden, sei es an Arbeitszeit, Arbeitsmuehe, Materialien usw. usf. Dagegen versuchte er auszuspielen eine Oekonomie des Verschwendens. Das hat natuerlich furchtbar ueble Beiklaenge. Und George Bataille entgeht diesen Beiklaengen nicht immer ganz, naemlich fast wagnerisch angeregten Beiklaengen eines grossartig veranstalteten Apokalyptischen einer sich verschwendenden Menschheit. Das einmal ausser Blick gelassen, diese moeglichen Beiklaenge zeigen aber die Idee von der Oekonomie der Verschwendung gegen eine Oekonomie des Einsparens schon einmal an, dass das oekonomische nicht etwas sein muss, dass mit geregelter Zeit arbeitet und organisiert, sondern dass ueberhaupt erst einmal die Frage nach Regelung von Zeiten und Regelung von Vorgaengen in diesen Zeiten zu stellen vermag. Damit sind wir bei einem Setzen von Regeln, in einem antizipatorischen, utopischen Sinn auch, und das hat mit Motivationshorizonten zu tun, aus der Oekonomie heraus. Wir sind zu sehr darin verfangen, Oekonomie als Exekution des wahrscheinlich gut gehenden, auf optimalen Einsparungswegen zu sehen, statt unter der Perspektive von Motivationshorizonten. Aber diese Oekonomie der Verschwendung von Georges Bataille, spielt die Motivationshorizonte gegen eine Nachfrageexekution aus, koennte man fast sagen. Ausfuehren der Nachfragebelieferungen. Und so sehen Sie schon, wie das im Begriff der Oekonomie zu schwanken beginnt, den wir ueblicherweise haben in der heutigen Lage. Also stehen wir bei dem Thema der Zeitoekonomie, bei der Frage nach welcher Zeit und damit nach der Frage der Moeglichkeiten Zeitformen zu oeffnen. Und das ist wieder neuzeitlicher Einsatz in der Renaissance, naemlich der Einsatz, den Sie auch als Touristen in den Ursprungslaendern der Renaissance noch studieren koennen, die Uhrentuerme, als die Symbole fuer das Einfuehren einer gesetzten Zeit, statt einer verhaengten Zeit. Eine Randbemerkung, das stimmt natuerlich wiederum nicht so ganz, weil die uebliche Uhrzeit natuerlich kosmische Hintergruende hat. Aber immerhin setzt hier eine Optimierung dieser Naturvorgabe ein in Apparaten, die der Mensch selber herstellt zur Zeitmessung. Also ein Setzen der Zeit und ich glaube dass dieses vom Menschen setzen einer Zeitform zu tun hat mit dem Ursprung dessen, was wir uns unter Individuum und Individualismus vorstellen. Denn Setzbarkeit der Zeit heisst ja auch aufheben einer ueberlieferten Zeitform, was wir gewoehnlich auch Zeitzerstoerung nennen koennten oder Zeitformzerstoerung, koennte aber auch jederzeit eine Zeitrehabilitation sein. Am Motiv des ueber Europa stehenden Symbols Uhrenturm hat das einmal Walter Benjamin sehr schoen ausgefuehrt in seinen beruehmt gewordenen Thesen zur Geschichtsphilosophie. Er geht ein auf etwas, was er in Pariser Archiven gefunden hatte, naemlich auf das Zerschiessen von Uhren in Tuermen waehrend der franzoesischen Revolution. Und da sagte er, hier ist eben etwas passiert, worin wir sehen, es ging nicht unbedingt um die Kaempfe ueber die Verfassung in der Nationalversammmlung, sondern es ging in diesem Vorgang der Geschichte um ein sich auflehnen gegen die verordnete Zeit. Jetzt sind wir ja viele Jahrhunderte spaeter. Der Uhrturm war einmal Symbol der Setzbarkeit von Zeit, aber die Renaissance hatte es schon praktiziert, diesen Schritt zu Aufhebung und Setzbarkeit zu ueberrunden in ein neues Einfangen und da traten solche Ereignisse auf, wie das Zerstoeren der Uhrtuerme in der franzoesischen Revolution, die dieses zu Ende bringen einer Setzbarkeit von Zeitform, einer Organisation von Zeitform zu unterlaufen versuchen. Und da kommt bei Benjamin diese eine Loesung, mit der wir in unserer Postmoderne ja auch sehr zu tun haben, naemlich die Frage danach, ob man ueber ein solches Aufheben der ueblichen Uhrzeit vielleicht doch sinnvollerweise zurueckkehren koennte zu einer zyklischen Zeit des Eingedenkens, die nicht mehr in einer Dimension des Fortlaufs linear in die Zukunft hinein verkehrt, sondern die sich in sich selbst zurueckdreht oder auch Spiralen kennt. Sie sind alle soweit mit Mythen vertraut, der sieben fetten Jahre, der sieben mageren Jahre. Das ist ja dann sogar mehr als die Wiederkehr von Weihnachten und Ostern in einem Jahresablauf. Nein, hier werden ganze Jahresphasen zusammengefasst, in denen wesentliche Aenderungen passieren, eventuell auch mit der Zeitform. Also diese Art Rueckkehr in zyklische Zeiten oder spiralige, die hatte Benjamin dort ins Auge gefasst. Das waere aber blosse Wiederaufnahme einer vergangenen Zeitform und wir stehen in einer Zeit die ja gerade solchen Trends nachgeht, natuerlich nicht, ohne in ihren Debatten darauf zu verweisen, dass Wiederaufnahme immer noch etwas anderes ist, als ueberliefert, ueberlieferndes Fortfuehren. Ein Bruch ist geschehen. Das hat uns schon die Romantik gelehrt. Etwas bewusst wieder aufnehmen, ist etwas anderes, als in einer Ueberlieferung fortzufahren, was der urspruengliche Sinn von Tradition war. Also in solchem Wiederkehren gerade meldet sich trotzdem jener Traditionsbruch, mit dem die Neuzeit in der Renaissance begann. Das gehoert also in die Bemuehungen um eine neue Zeitform, die sofort weiter zwingt zu den Fragen, darf die wiederum allgemein verbindlich werden, sich allem widerstellen, als das Objektive von aussen. Und da erging in Phasen, die wir noch grob als Renaissance zusammenfassen, ein ganz grosser Widerspruch, der mit dem Namen Giordano Bruno verbunden ist. Giordano Bruno ist, die Philosophie muss da nicht besonders stolz sein, sie blamiert sich gegenueber Religionen, doch einmal ein Blutzeuge seiner philosophischen Ueberzeugtheit, sonst hat die Philosophie eigentlich nur noch Sokrates. Dafuer ist er ja bekannt 1600 verbrannt, weil er anders als Galilei, nicht bereit war, seine Ansichten aus der Oeffentlichkeit zurueckzuziehen. Aber gut, dass nur als Hinblick auf dieses philosophische Datum, dass mit Giordano Bruno gegeben ist. Die Thematik, die mit ihm aufkam, war die Thematik der Unendlichkeit in der Welt. Das ist das entscheidende in der Welt. Er setzte nicht mit der Zeitfrage zunaechst ein, sondern mit der Raumfrage und da hat er das auch zunaechst einmal in seinen Schriften so gemacht, als haette er den kleinen Moritz als Schueler vor sich und er hat gesagt, man stelle sich dieses ptolmaeisch, aristotelische Weltbild vor, dass uns die Kirche im 1600 Jahrhundert immer noch verordnet. Irgendwo gaebe es den Abschlusskreis und dahinter sei aristotelisch der unbewegte Beweger, den die Kirche dann Gott nennt usw. Ja, man stelle sich vor, man koennte in diesem Weltall an das Ende reisen und das mit einer Lanze, die man dafuer bereit haelt. Nun stuende man am Ende. Es wird uns ja gesagt, da da nichts mehr sei, also auch keine Mauer. Sonst waere alles klar, nichts. Jetzt wuerde der Lanzenwerfer in dieses Nichts die Lanze werfen und haette das endliche Weltall um ein bisschen erweitert, und das Nichts um ein bisschen verringert. Darin verwickelt er die Ueberlegungen um die Absurditaet der Vorstellungen eines endlichen Weltraums . Auch nur die kleinste Erweiterung waere nicht moeglich. Es muesste die Grenze als eine Mauer gedacht werden, die das Jenseits der Mauer gegen die Welt mauert. Damit waere es aber in der Welt, Sie verstehen, ja, diese Art von Uebergang aus einer transzendenten Frage in eine immanente Frage, die aber die Unendlichkeitsidee nicht preisgab, sondern davon sprach, dass das Unendliche etwas sei, was keinen Sein haette, sonst wuerde man sich in all diese Ueberlegungen verwickeln muessen, bei denen man schliesslich den absurden Schwindel erfaehrt. Das nichtseiende Unendliche war sein Thema, die negative Unendlichkeit. In dieser negativen Unendlichkeit fasste er das, was er damit meinte, eben etwas , was mit keinem Ding und Koerper, oder Grenze, oder Linie, oder Punkt zu verwechseln sei, naemlich das Werden. Dieses Werden machte ihm moeglich zu sagen, alle Dinge einer unendlichen Welt sind endlich und ihre Verhaeltnisse zueinander sind endlich. Nur das Werden in diesem Endlichen ist das einzig Unendliche, dass fassbar waere. Und damit ist klar, was er aussagen wollte. Das Ineinander von Raum und Zeit in der Bewegung, die Vier-Dimensionalitaet. Und wenn ich diesen UEberlegungen nachgehe, braucht man Giordano Bruno nicht noch einmal so zu verteidigen, wie das in den Fuenfziger Jahre Ernesto Grassi tat, gegenueber der neuzeitlichen Philosophie. Er sagte, wenn immer man in Philosophie Lehrbuecher schaut: Beginn der Neuzeitlichen Philosophie - Descartesinanismus. Und da erinnert er an die Renaissance, und die wuerde immer so abgetan, als waere sie blosse Ideenvorstufe. Wartesaal der Experimente, bis endlich der grosse Konzentrator Descartes aufgetreten waere und die Summe gezogen haette. Nein, betonte Grassi, es gibt zwei Urspruenge der neuzeitlichen Denkseite der Kulturgeschichte, sicher Descartes die eine Seite, Giordano Bruno die andere Seite. Und er meinte damit den, der das systematische Denken einfuehrte und den, der die theoretische Seite praktischen menschlichen Lebens ins Blickfeld fuehrte. Diese Parallele braucht man noch nicht einmal unbedingt zu ziehen. Also Giordano Bruno neben Descartes setzen. Man kann im gewissen Sinne sagen, Bruno war der riesige Vorgriff, der von Descartes erstmal voller Schreck zurueckgenommen wurde. Wie liesse sich das auf irgendeinem einfachen Weg aus der Renaissance her erlaeutern. Die Renaissance hatte mit dem Setzen einer Zeit zugleich auch den Raum gesetzt, in dem, was Raum sieht. Die Renaissance war in der Kunst wesentlich das Erfinden der Zentralperspektive und die haengt an zwei Polen. Das ist einmal der blinde Fleck im Sehenden, das Konzentrat alles gesehenen und auf der anderen objektiven Seite der Fluchtpunkt. Diese Grundstruktur hatte schon Alberti fuer die Bilderwelt vertreten und traf damit das, worum Ueberlegungen von Giordano Bruno kreisten und spaeter auch von Descartes nun in der Kunst, als dem Grundsaetzlichen des raeumlichen Aufbaus von Bildwelten. Aber die Renaissancezentralperspektive schuf trotz der Setzung die drin steckt und der Umformung von Zeiten einen Kofferraum, wenn auch in zwei, aufeinander gesetzten Sehkegeln, ja, zum Sehzentrum hin und zum Fluchtpunkt hin. Es ist trotzdem ein Raum, in dem Bewegung geschieht.

Eine Guckkastenbuehne, sozusagen, mit allen ihren Kulissen und da war es wieder Giordano Bruno, der das durchbrach, indem er eben von diesem Werden ausging, dass seine Perspektivenpunkte wechselt und darin auch Perspektiven sich in sich brechen laesst. Den er war der Lehrer von etwas, und so modern ist er fuer unsere heutige Weltsituation, wenn es so waere, dass das Wesen der Welt das Werden waere und das das einzig unendliche, das man ueberhaupt fassen koennte, so gaebe es keine Ort/Zeit-Zuordnungen von Urspruenglichkeiten und daraus folgerte er eben alles sei Mitte und alles sei Peripherie. Thema, aufgeklungen in den Wiener Festwochen, dieses Jahr, ja, Zentrum und Peripherie. Bei Bruno die Antwort , alles sei Mitte, alles sei Peripherie. Daraus konnte man natuerlich wieder sofort verabsolutierend sich erinnert fuehlen an die Koinzitenzia oppositorum des spaetmittelalterlichen Denkers Nicolaus von Cusa, oder Nikolaus von Cues genannt, der damit sagen wollte , es gaebe nur die Einheit der Gegensaetze und wenn man es nur oberflaechlich absolut sieht, Mischmasch von allem und jedem. Und da hatte gerade Bruno geklaert, in seinen Auseinandersetzungen ueber die Unendlichkeit des Alls und die Vielheit der Welten, dass das keineswegs so waere, und ich habe es eigentlich schon erlaeutert. Fuer die Mittelpunkte gibt es das, dass sie sich Mittelpunkt sind und das andere Peripherie in den verschiedensten Einstellungen, so dass doch immer wieder bestimmte Mittelpunkte auf bestimmte Peripherien bezogen sind und das koennen wir den Relativismus nennen oder auch die Relativitaetstheorie...................alles Peripherie, aber fuer jede Mitte sei das andere Peripherie und dieses Andere habe ueberall eine Mitte fuer das es Pheripherie waere. Daraus folgerte natuerlich auch, dass es nichts Unbewegtes gaebe gegen dass man Bewegungen messen koennte, sondern alles sei bewegt und nur die Bewegungsdifferenzen seien bestimmbar, aber die Bewegungsdifferenzen, nicht eine Bewegung ueberhaupt und damit sind wir wieder im Zeit-Raum Kontinuum der Vierdimensionalitaet. Wir sind in den Zeitraeumen von Einstein und Schroedinger usw., in dieser im 19.Jahrhundert anbrechenden Hypermoderne durch Giordano Bruno. Wesentlich daran aber ist eben fuer unsere heutigen Debatten ganz stark, dass er die Relativitaetstheorie nicht aufgefasst hat, je und je als dieses, alles sei relativ. Ach streiten wir uns nicht, das eine kann richtig sein, das andere kann richtig sein, usw. sondern eines ist nicht relativ in der Welt, das sind die Relationen zwischem Bezogenem und damit erinnerte er an eine Uraltloesung aus dem Mittelalter bei dem Franzosen Abélard, der zu tun hatte, mit dem, inwiefern Begriffe Realitaetsgehalt haben koennten. Und da hatte er schon im 14.Jahrhundert vor Thomas von Aquin gesagt, das Begriffe wie Pferde oder Esel usw. selber natuerlich nicht wirklich seien, sondern die einzelnen Pferde, die einzelnen Esel, die einzelnen Baeume, aber die Begriffe fuer deren Bezuege, die seien wirklich. Da war schon diese Loesung der Relativitaetstheorie mit angedeutet, die Giordano Bruno aufnahm und ein Kontra gab, geben alle, die die Einheit der Gegensaetze las die Unbestimmbarkeit aller Relativitaeten dieser Welt nahmen. Und das ist fuer mich fuer heutige Diskussionen in dieser Frage eben das Entscheidende, das von Giordano Bruno herkommt, dieses in allem Relativismus Relationen feststellen koennen, eroertern koennen, diskutieren koennen usw. usf. denn das widerspricht jenen Postmodernen, die die Zeitformen und die Raumformen aufgeloest wissen wollen. Es geht darum, dass ich bestimmte Zeitformen, bestimmte Raumformen fassen kann, auch untereinander aufeinander beziehen kann und wo ich eine Zeitform, oder eine Raumform oder eine Zusammen von Zeit und Raumform verlasse, da gehe ich in eine andere ueber. Was anderes ist mir gar nicht moeglich. Ich kann nicht in die Struktur- und Formlosigkeit eines Zeitraumgemenges eintreten. Das ist eben seit Bruno ganz ausgeschlossen. Also nur transformieren kann ich die Struktureinheit von Zeit und Raum zu neuen Bestimmbarkeiten. Nur unsere Geschichte ist eben voll davon, dass nach diesem grossen Befreiungsklang bei Giordano Bruno immer wieder versucht wurde, historisch, soziologisch oder aus Gemeinschaften bestimmter Ueberzeugtheiten oder aus Sekten heraus diese Befreiung der Zeitformen und Raumformen zu ihrer Transformation neuerlich einzufangen in Geltungen fuer Gemeinschaften, fuer Zeitphasen, fuer Regionen. Das war also die Folge dann, nach Giordano Bruno dieses wieder Einfangen jener Schmetterlinge und Voegel, die er freigelassen hatte in seinem Angebot. Worin er uebrings so wichtig, fuer mich wenigstens, im Sinne meines Engagements dafuer, fuer unsere Gegenwart sei der Manierismus so wichtig, sich bewaehrt hat nicht als ein Denker der Renaissance, als der er gewoehnlich durch die Buecher geistert, sondern als ein Diskussionspartner der Renaissance im manieristischen Sinn. Der Manierismus als Kunstbewegung und kunsttheoretische Bewegung war naemlich derjenige, der die Renaissancezentralperspektive angriff. Er griff sie zunaechst einfach an, in dem er darauf bestand, dass nur fuer ganz bestimmte Teile des Sehfelds diese Zentralperspektive gilt. Fuer grosse Raender schon gar nicht mehr, da treten sphaerische Kruemmungen ein. Nun begegnete der Manierismus auch breit der technischen Entwicklung von Sehkruecken. Von den Fernglaesern bis zu den Prismen, den Hohlspiegeln, den Konvexspiegeln usw. usf. Sehexperimente ueber Sehexperimente und ueberall ging die Zentralperspektive baden. Es schwankten die Sehzentren und die Fluchtpunkte, ja es brachen die Zentralperspektiven ineinander. Und das ist genau Giordano Bruno, wenn man ihn nach seiner Zeit-Raum Theorie befragt. Im Perspektivenwechsel, den Perspektivenbruch, die Perspektiventransformation staendig provozierend. Und insofern stimmt das ganz mit seiner Hauptarbeits- und Hauptwirkungszeit, dass war die zweite Haelfte des 16. Jahrhunderts, also die Zeit des Manierismus, ueberein. Giordano Bruno ist der Philosoph des Manierismus und das erlaeutert uns heute wohl auch den Umstand, warum er so in die Vergessenheit gedraengt wurde, in dem Sinn, dass er dann nur zu diesen Vorstufen von Experimentalideen gehoerte, aus denen erstmal der solide Descartes was Ganzes machen musste, und seine Nachfolger. Das ist immer gewesen diese mit den Siegen der klassizistischen Stroemungen einhergehenden Triumphen ueber den Manierismus, der ja dermassen verachtet wurde. Und somit auch in Konsequenz die Philosophie dessen, die mit diesem arbeitete.

Aber ich sehe, leider,die Zeit ist stark vorgeschritten. Sie sehen wie ich aus der Wissenstheorie in der Geschichte immer wieder hinueberging zu der Kunsttheorie, aber auch der Kunstwirklichkeit, weil das seit der Renaissance eng zusammenhaengt. Ich muss mich heute hier und jetzt, ein wenig beschraenken darauf, nur Stichwoerter einzuwerfen, die Ihnen auch die Aktualitaet signalisieren. Die Aktualitaet einer Debatte von Bruno in Zusammenhang mit dem Manierismus ist mir gegeben gegenueber dem postmodernen Relativismus und Pluralismus, der aus allem Wischi Waschi machen moechte. Und Beliebigkeit, und Ungenauigkeit. Nein, hier geht es um etwas ganz Genaues, das rechtfertigt auch die Reden um den Dekonstruktivismus. Wenn man den manierierten und manieristischen Jacques Derrida gelesen hat, so will er nicht ueberleiten aus Ordnung in Unordnung, sondern er will eroertern, wie Ordnungen die lange gegolten haben, sich ganz genau aufloesen, und das haben jene, noch immer neben der Kirche hausenden Vaeter, wars jetzt von Cambridge oder Oxford, nicht begriffen, als sie Derrida schlichtwegs als Nihilisten bezeichneten und ihm die Ehrendoktorwuerde neulich zu verweigern sich bemuehten. Hier kehrt das eben wieder, dass die Aufloesung von Ordnung eine ganz genaue und bestimmte Angelegenheit ist. Das ist die Aktualitaet in unserer Kulturdiskussion, soweit es da kreist um Postmoderne und Dekonstruktivismus. Und das geht nun auch weiter, in Themen, wie etwa die von Franz Krahberger organisierte Ausstellung sie aufgreift. Wenn man da irgendeinen gemeinsamen Punkt fassen will, es gibt mehrere, so springt einem ins Auge, die Frage nach der Zitation heute. Wir leben ja wieder darin, dass man auch unsere Kultur wieder als aussergewoehnlich zitatorisch darstellt und hinlegt. Ich glaube aber, die Zitation praegt die Neuzeit ueberhaupt. Das Mittelalter war die Kultur der Nachahmenden oder der mimetischen, total mimetischen Abschrift. Die Neuzeit fing an mit der Zitation. Den was ist das Abschreiben einer Zitatstelle, das Auffassen eines Textstueckes unter einer von einem selbst gewaehlten oder vermittelten Perspektive. Die Zitation schreibt nicht brav und treu, anpassend ab, sie greift zu. Darin entwickelt sie allerdings eine breite Typologie. Das kann heute Abend nicht das Thema sein. Die Zitation in der Neuzeit will einmal Originale gegen ihre Fehlinterpretationen sichern. Sie will zum anderen, das nicht mehr beredbare diskutierbarmachen, das ist die ironische Zitation. Die Zitation will festnageln auf Verantwortlichkeiten usw. usf. Die Zitation will auch surreale Effekte des nicht zu einander passenden. Oder die Zitation will wie beim Wiener Karl Kraus klarlegen, das etwas gar nicht mehr diskutiert werden muss, weil es seine nicht vorhandene Zugkraft selber darlegt, wenn man nur dem Wortlaut folgt. Er war ja der Meinung, dass man etwa den eiligen Journalisten nicht ohrfeigen sollte, wegen seiner Eiligkeit. In seinem Beruf ist das notwendig, und wers eilig hat, wickelt die Geschaefte in der Eile so ab, wie ers halt gelernt hat. Das heisst die Journalisten arbeiten immer nur mit Sprachhuelsen, die ihnen angestrandet oder angelandet wurden. Die hauen sie rein, in ihre Eile. Jetzt brauche ich sie nicht zu ohrfeigen. Ich zitiere bloss ihre Sprachhuelsenfruechte und in der Zitation wird klar, was an Huelsigkeit, sich auf da einen stuelpen will. Wer muss man nicht zutun. Daraus wollte Walter Benjamin, ein ganz gruendlicher Student von Kraus, sogar die zukuenftige Geschichtstheorie der Kultur entfalten. Ich durchstosse die Kultur und die Kunstgeschichte nur noch damit, dass ich Zitationen montiere. Sie erlaeutern sich durch sich selber. Wir gelangen hier natuerlich in die Gegenden des gesamten Schriftcharakters, die durch die juedischen und christlichen Traditionen bis auf uns gehen. Wir leben in einer und sind gepraegt von einer Schriftkultur, die von sich aus das Zitatorische hervorkehrt.

Gut, es sollte aber nur noch in einigen Worten darum gehen, meine Zeit ist fuer den naechstfolgenden Vortrag abgelaufen, es sollte nur noch darum gehen, Ihnen klarzumachen, dass diese philosophisch und kulturtheoretisch grundlegenden Ueberlegungen auch so gleich gegenwaertige Kulturfragen , die sie Tag fuer Tag in den Tageszeitungen lesen, betreffen. Ich danke Ihnen fuers Zuhoeren.

Dieser Vortrag wurde anlässlich des Symposiums EUROPÄISCHE VEKTOREN- INTERAKTIVE ZEITRÄUME gehalten. ZEITÖKONOMIE DES INDIVIDUALISMUS.
GIORDANO BRUNO UND DIE FOLGEN
Mit einem Anhang zur Jetztzeit in der Kunst
stark überarbeitete und erweiterte Fassung
EDITION SPLITTER 1995, Wien


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