Sprache und Werkzeug


© Hermann Hendrich

Viele Argumente betreffen den Werkzeuggebrauch oder sogar die Werkzeugherstellung bei Menschenaffen und Vögeln, dass diese Werkzeuge einsetzen, ohne über eine Sprache zu verfügen. Bei genauerer Betrachtung stellt sich heraus, dass diese Tiere in engen kulturellen Entwicklungen leben, in denen lokale Traditionen durch Nachahmung weitergegeben werden. Freilich bedurfte es irgendwann eines Individuums dieser Art, der über mehr an Spiel-, an "Experimentier"- Verhalten verfügte, um die Lösung der Frage des Nüsse-Aufknackens oder der leckeren Termitenbeute zu finden, und sich dann dabei zuschauen ließ. Wieso die Evolution in manchen Gehirnen der betreffenden Arten diese Möglichkeiten der Nachahmung vorbereitet hatte, wie wir heute wissen, sind dazu die sogenannten Spiegelneuronen entscheidend, können wir nicht beantworten, wie so viele andere Fragen der Evolution.

Die immer früheren Datierungen von Steinwerkzeugen im Gebrauch von Vorläufern des Homo Sapiens lassen mich nicht nur auf das selbstverständliche Vorhandensein der Nachahmung schließen, sondern auch auf die Entwicklung von Sprache. Trotz der wunderbaren Fotos von Hugo Bernatzik aus Polynesien, in denen Vater und Sohn bei der Herstellung von Waffen und Seilen gezeigt werden, bin ich überzeugt, dass auch in der ursprünglichsten Form der Herstellung von Werkzeugen aus Stein - und da ist nicht einfach ein Stein geeignet zum Nussknacken gemeint - die Weitergabe der Technologie einer erklärenden und beschreibenden Sprache bedarf, die versichert, dass die nächste Generation diese Grundlagen der Existenzsicherung beherrscht. Wir haben nun erfahren , dass auch in den Gruppen der Schimpansen oder der Raben in Neukaledonien lokale Gebrauchs-Kulturen entstehen bzw. entstanden sind, die sich zum Teil über lange Zeiträume erhalten. Ich bin aber überzeugt, dass ohne die Anweisung durch väterliche oder meisterliche Beratung die Weitergabe einer doch subtilen Technologie der Herstellung eines speziellen Werkzeuges aus Stein nicht möglich gewesen wäre. Die Auswahl der Größe eines Steinklumpens, geeignet zur Zertrümmerung einer Nuss, oder der Stärke und Länge eines Ästchens zum Stochern in einem Termitenbau mag durchaus der Nachahmung durch nahe Beobachtung des Nachwuchses weitergegeben werden, bzw. mit eigenen versuchen in Form von Trial and Error.

Ich erinnere mich noch sehr genau an meine Zeit in verschiedenen Lehrlingswerkstätten von Nürnberg bis Steyr, in denen ich von einfachen Anwendungen von Metallwerkzeugen bis zur komplexeren Bedienung von Drehbänken und Fräsmaschinen immer durch Nachahmung und Sprache, d. h. durch die entsprechenden Erklärungen, geführt wurde. So bin ich überzeugt, dass die Anfertigung entsprechender Werkzeuge aus Stein - seien es messerartige Klingen aus Obsidian oder Feuerstein, Pfeil- oder Lanzenspitzen - ohne die unterweisenden Worte in diesen Kulturen nicht möglich gewesen wären, bzw. sich auch nicht über größere Gebiete verbreitetet haben könnten. Es werden auch Kulturen, verbreitet über sehr große Landstriche, ja ganze Kontinente Nach den spezifischen Formen ihrer Werkzeuge benannt, z.B. die Clovis-Kultur, die ganz Nordamerika und auch nördliche Teile Südamerika umfasst haben muss! Freilich sind wir uns sicher, dass diese Homo Sapiens Einwanderer vor 16.000 Jahren über Sprache auf unserem heutigen Niveau verfügten.

Sprache und Kommunikation


Auch wenn wir die Bedeutung der Rufe von Affen und Vögeln, Walen und Wölfen in den letzten Jahrzehnten immer besser verstehen lernten - und wir wohl in der Jagd schon seit zehntausenden Jahren die Rufe der von uns ersehnten Jagdbeute nachahmen lernten - wird doch die gelegentlich komplizierte Abfolge von akustischen oder gestischen Äußerungen nicht als Sprache bezeichnet, die eben nur dem Homo Sapiens durch die Evolution geschenkt worden ist. Dass die Jagd für die männlichen Gruppen erfolgreicher wurde, je mehr Fähigkeiten zur Kommunikation schrittweise über viele Generationen entwickelt wurden, bedeutete eben auch die evolutionäre Entwicklung des Gehirns vom Homo Erectus zu seinen Nachfolgern in all den hunderttausenden von Jahren.

Die langsame Entwicklung des Sprachvermögens - die Vergrößerung von Sprach- und Sprechzentrum im Gehirn - ermöglichte andere soziale Kommunikation und Bindung in der Horde. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang immer gerne an Swift's "A Journey to the Hoyhnhmns", in der die Pferde das Menschlein als eine gewisse verbesserte Ausgabe der Affen, die ihre Sklaven waren, ansehen und über seine Fähigkeit, zu sprechen, äußerst erstaunt waren.

So verstärkten sich Kommunikation im Beute-Beschaffungswesen und in der gesellschaftlichen Wirklichkeit - eben auch in der Kooperation mit anderen Gruppen, die weitgehend eine Art Normierung des Ausdruckverhaltens herbeiführen musste - begleitet von dem sehr langsam größer werdenden Organ, dem Gehirn. Freilich kommunizieren wir auch über Gebärden und Zeichen aller Art, aber auch die aufmerksamste Art der Bowerbirds, ihren Balzplatz mit farbigen Blüten, Bierkapseln oder glänzenden Steinen auszulegen bedarf keiner Sprache, über die bereits die Neandertaler in ausreichendem Maße verfügten.

Die immer komplexer werdenden Strukturen der Gesellschaft, der Entwicklung des Ackerbaus, der Sesshaftigkeit sind sicher von einer stetigen Entwicklung der Kommunikationsfähigkeit durch Sprache begleitet worden, in der nicht nur neue Bezeichnungen laufend erfunden werden mussten, sondern die Grammatik selbst, die Normierung für das Verstehen von Ursache und Wirkung, die unsere heutigen Sprachen bestimmten.

Sprache und Bewusstsein


Nun lehrt uns eben Wissenschaft, dass die Entwicklung der Gesellschaften des Homo Sapiens nur dadurch möglich war, dass eine Entwicklung der - locker gesagten - Sprachbereiche emtwickelt wurde. Wir sprechen da von Millionen von Jahren. Ich möche da gar nicht auf die Vorteile einer so rudimentären wie immer Sprachfähigkeit auf die Durchsetzung einer Gruppe in einer wilden Umwelt eingehen, mir ist wichtiger, festzuhalten, wie durch die sehr langsame Entwicklung von akustischen Zeichenfolgen und deren Bedeutungs-Festlegungen in einer grösseren Umgebung schliesslich etwas entstand, was den Ansatz zu unserem heutigen Bewusstsein, das allein von der Sprache geprägt ist, bildete.

Mein großes Problem ist, dass ich diesen Begriff ‚Bewusstsein' noch nicht darstellen, geschweige denn definieren kann, trotz meiner mehr als 20jährigen Beschäftigung mit den damit zusammenhängenden Fragen und dem Lesen von unzähligen Artikeln und vielen klugen Büchern. Mit Allem was ich daraus gelernt habe, kann ich nur sagen, dass dieser unvorstellbare riesige Schritt von der Bewusstheit unserer engsten Verwandten, den Hominiden, zu uns selbst bedingt war, um abstrakte Wahrnehmungen, komplexe Zusammenhänge und auch die Entwicklung unseres Kommunikationsmediums, der Sprache, zu ermöglichen. Freilich bedingen sich in dieser Entwicklung die einzelnen Gebiete in unserem Gehirn ebenso gegenseitig wie das Wachsen der von ihnen abhängigen Fähigkeiten.

Ich trenne Denken und Bewusstsein, Denken findet im Raum Bewusstsein statt, aber dieses Denken ist mit unserer Sprache innigst verknüpft. Wir denken, man könnte es wohl auch Dechriffieren und Codieren nennen, in der uns gegebenen Sprache. Gerade unsere Träume sagen uns das: nach längerem Aufenthalt in einem englischsprachigen Land war die Sprache, die in meinen Träumen vorkam, eben auch englisch. Unser Bewusstsein hat wohl nicht nur Platz für Sprache und dem damit verbundenem Denken, sondern auch für das, was wir Vorstellungen nennen.

Es bleibt einfach ein derzeit noch nicht gelöstes Problem, wie weit Sprache die Vorstellungen erzeugt, oder ob unsere Vorstellungen, unser Erfassen der uns umgebenden Realität uns anders beigebracht werden. Meine Überzeugung ist es, dass unsere Vorstellungen, unser Denken durch unsere Sprache bedingt sind. Ich muss nun auf den zehnjährigen Dialog mit Annegrete Hohmann-Vogrin zwischen 1998 und 2008 zurückkommen, da Hohmann-Vogrin, entsprechend unterstützt von einigen philosophischen Positionen, niemals den Vorrang der ‚Konfiguration', des unmittelbar Anschaulichen, des Bildes in unserem Bewusstsein aufgeben wollte, so sehr auch meine Überzeugung, dass unsere Sprache eben diese Konfiguration bestimmen und erzeugen würde, von mir geäußert worden war. Darüber existieren Korrespondenz und Gesprächsaufzeichnungen.
Unsere zum Teil stundenlangen Diskussionen verhalfen mir zu einer immer klareren und schärfer abgestimmten Position, welche Rolle Sprache in unserem Denken, in der eventuellen Gestaltung unserer Vorstellungen inne hat.

In dem von mir 2007 herausgegebenen Band "raum, anschaulich" habe ich dann die Rolle der Sprache bei der Raumerfassung mit dem wissenschaftlichen Stand von 2005 ausführlich dargestellt und belegt. Freilich ist das nur ein kleiner Teil dessen, was der Ausdruck Konfiguration umfassen kann.

Sprache und Realität


Wir sind die einzige Art auf dieser Welt, die nicht über eine genetisches Programm zur Erkenntnis, zur Wahrnehmung der jeweils gegebenden Umwelt verfügt, uns muss die Wahnehmung dieser Welt über die Sprache vermittelt werden.
Im Sinne der obigen Überlegungen ist festzuhalten, dass die Gesamtheit der Vorstellungen in unserem Bewusstsein uns ein Leben in der Realität, in der von uns wahrnehmbaren Welt ermöglicht. Die Form unserer ursprünglichen Wahrnehmungen wurde von der Evolution bestimmt, aber ihre Vernetzung zur Erfassung der Realität wird von unserer Kultur und damit von unserer Sprache bestimmt. In den letzten zwei Jahrzehnten sind eine große Anzahl von Beiträgen und Monographien erschienen, die uns auf die großen Unterschiede in der Erfassung der Realität bei indigenen Gruppen aufmerksam machten. In meinem Essay "Der Raum(vorstellungs)erwerb" (in raum, anschaulich) habe ich schon auf einige Publikationen hingewiesen. Freilich können wir diese uns in gewisser weise fremden Vorstellungen erst nach Erlernen deren Sprache begreifen.

Daraus nehme ich die Überzeugung, dass unsere Einbindung in die uns umgebende soziale und materielle Realität nur durch den Erwerb der Sprache ermöglicht und verstärkt wird. Wie weit Unterschiede beim Spracherwerb selbst für die Entwicklung unterschiedlicher Realitätsvorstellungen in Großgruppen bedeutend sein können, kann ich auf Grund meiner geringen Kenntnisse nicht entscheiden.

Eine kurze Zusammenfassung mit einer Fülle von Hinweisen hat Lera Boroditsky in Scientific American, February 2011 in ihrem Essay How Language Shapes Thought veröffentlicht, darin finde ich: Studies have shown that changing how people talk changes how they think. Teaching people new color words, for instance, changes their ability to discriminate colors. And teaching people a new way of talking about time gives them as new way of thinking about ist.

Hierher passt nun auch die Geschichte von einer Verordnung aus Australien, ich denke es war die Stadt Adelaide, mit der das Halten von Goldfischen in runden Aquarien verboten wurde, weil die Goldfische ihre außerhalb der Aquarien befindlichen Umwelt auf Grund der Verzerrung durch die gebogenen Glaswände nicht korrekt erfassen könnten. Abgesehen von der mehr als skurrilen Vorstellung, dass auch Goldfische einen Anspruch auf eine optisch ähnliche Wahrnehmung der Umwelt wie wir besitzen sollten, leitet uns das auf den nächsten Abschnitt über.

Sprache und Wirklichkeit


Das Begreifen der hilflos genannten Wirklichkeit geschieht uns in Vorgängen, die wir nicht reflektieren. Einesteils fehlt uns die Möglichkeit dazu, weil wir uns da in einer Alterklasse befinden, die dazu keinerlei Ausstattung besitzt, andererseits wird eben dadurch für uns dieser Zustand erreicht, in dem wir die Umgebung, uns selbst, als real zu erkennen gezwungen sind. Es ist in der Evolution nicht vorgesehen, dass Individuen einer bestimmten Art sich über die "Art"-Gesellschaft erheben können.

Boroditsky findet dazu den für mein Verständnis von Sprache, Realität und Wirklichkeit bewundernswerten Abschluss ihres Essay:
A hallmark feature of human intelligence is its adaptility, the ability to invent and rearrange conceptions of the world to suit changing goals and environments. One consequence of this flexibilityis the great diversity of languages that have emerged around the clobe. Each provides ist own toolkit and encapsulates the knowledge and wordlviews developed over thosuands of years within a culture. Each ´contains a way of perceiving, categorizing and making meaning in the world, an invaluable guidebook developed and honed by our ancestors. Rsearch into how the languages we speak shape the way we think is helping scientists to unravel how we create knowledge and construct reality and how we got to be as smart and sophisticaed as we are. And in this insight, inturn, helps us understand the very essence of what makes us human.

Im Anschluss an die Goldfisch-Verordnung möchte ich schon aus der Einleitung zu The Theory of Everything von Stephen Hawking und Leonard Mlodinow, erschienen in Scientific American October 2010, eine Art Vorwort zu ihrem Buch The Grand Design Bantam Books 2010. zitieren, weil ich mit Sicherheit das nicht besser formulieren kann:
The goldfisch is seeing a version of reality, that is different from ours, but can we be sure it is any less real? For all we know, we too, may spend our entire lives staring out at the world through a distorted lens
In physics, the question is not academic..........It now appears, that this quest may yield not a single theory but a family of interconnected theories, each describing ist own version of reality, as if it viewed the universe through ist own fishbowl.
This notion may be difficult for many people , including some working scientists, to accept. Most people believe that there is an objective realitiy out there and that our senses and our science convey information about the material world

Was anderes als die Sprache hilft uns, das zu verstehen? Sprache formt unsere Anschauungen über die sogenannte reale Welt, und ermöglicht uns aber, mit ihrer Hilfe unsere Gedanken und Vorstellungen über die Wirklichkeit anderen in unserer Kultur mitzuteilen. Der Konstruktivismus hat uns hier die eherne Schranke errichtet, über die hinaus wir spekulieren dürfen, seien es die Stringtheorie, die Vorstellung von Parallel-Welten und dergleichen mehr, aber wo die wissenschaftliche Erkenntnis versagen muss und das Reich der Mythologie beginnt: das Erzählen von Märchen.

Literatur


Chomsky, Noam:. Aspekte der Syntax-Theorie. Suhrkamp Taschenbuch Frankfurt am Main 1969

Dasen, Pierre R. and Mishra, Ramesh C.: Development of Geocentric Spatial Language and Cognjtion. An Eco-Cultural Perspective. Cambridge University Press 2010

Grimm, Jacob: Über den Ursprung der Sprache. Ferd. Dümmler's Verlagsbuchhandlung, Berlin 1858

Groddeck, Georg: Der Mensch als Symbol. Unmaßgebliche Meinungen über Sprache und Kunst. Limes Wiesbaden 1973

Hofstadter, Douglas: I am a Strange Loop. Basic Books N.Y. 2007

Levinson, Stephen C. (ed.): Space in Language and Cognition. Cambridge University Press 2003

Liebrucks, Bruno: Sprache und Bewusstsein, Bd 1. Akademische Verlagsgesellschaft, Frankfurt am Main 1964

Mauthner, Fritz: Sprache und Leben. Residenz Verlag 1986

Pinker, Steven: The Language Instinct. How the Mind Creates Language. William Morrow and Company, Inc. N.Y 1994

Pinker, Steven: Words and Rules. Basic Books 1999

Pinter, Steven: The Stuff of Thought. Language as a Window into Human Nature. Pinguin Group 2007

Vygotsky L.S.: Thought and Language. MIT Press 1962

Whorf, Benjamin Lee: Language, Thought and Reality. Selected Writings by Benjamin Lee Whorf. MIT 1956

Wiener, Oswald: Schriften zur Erkenntnistheorie. SpringerWienNewYork 1996

Sammelwerke


Computer models of Thought and Language. Eds. By Schank, Roger C. and Colby, Kenneth Mark. W.H. Freeman and Company, San Francisco 1973

Klassiker der Sprachphilosophie. Von Platon bis Noam Chomsky. Hrsg. Borsche, Tilman, C.H. Beck München 1996

Language and Space. Eds. Bloom, Paul; Peterson, Mary A.; Nadel, Lynn and Garrett, Merrill F. MIT Press 1999

Psycholinguistics. A Survey of Theory and Research Problems. Eds. Osgood, Charles E. & Sebeok, Thomas A. with A Survey of Psycholinguistic Research 1954-1964 by Diebold, A. Richard jr. Indiana University Press 1969

Der Turmbau zu Babel. Ursprung und Vielfalt von Sprache und Schrift. Hrsg. Wilfried Seipel. KHM, Wien und Skira editore, Milano, 2003

Medienbaustein


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