Blitzmädels vom Fernseh-Fließband


Produktion und Sprache deutscher Telenovelas am Beispiel Julia und Tessa

© Malte Olschewski

Wir müssen reden! Tatsächlich, wir müssen reden darüber, warum am Fernsehschirm so oft die Rede davon ist, daß man reden müsse.

Laß uns darüber reden...Ich muß mit Dir reden....Komm, wir reden mal...
Vor allem die endlosen Formatschlangen von Julia: Wege zum Glück und Tessa: Leben für die Liebe in ZDF und ARD werden alle paar Minuten vom Drang zu einer Aussprache heimgesucht. Worüber man reden kann, das braucht man nicht darzustellen. Das kommt billiger. Man redet soviel miteinander, um Produktionskosten zu sparen. Tessa und Julia sind Blitzmädels vom Fernseh-Fließband: Hübsch, groß, blaue Augen und billig zu produzieren. Julia war etwa im ORF Anfang Juni 2006 in der Nähe der 150. Folge. Sie soll noch hundert Episoden lang dauern, bis drohend das Happyend mit Daniel heraufzieht. Die Vorgängerin Julias war Bianca, die es auf 224 Folgen brachte. Tessa war auf 230 Episoden geplant, soll aber wegen sinkender Quoten stark gekürzt worden. Die Konsumenten beginnen, über die Quote die Länge, das Personal und auch die Produktionsform dieser Serien zu bestimmen. Die Couch-Potatoes haben immer schon durchgesetzt, was sie sehen wollten. Bei fehlendem Widerstand der Politik und der Gestalter ist das ganze Elend des Fernsehens von den Zuschauern durch Hiebe mit der Quotekeule verursacht worden.

Tessa oder Julia sind in der Herstellung sehr billig, wobei man mit rund 100 000 Euro pro Folge auskommen dürfte. Ein intelligenter Beobachter kann, falls er einige Folgen aushält, die billigen Produktionskosten leicht feststellen. Julia und Tessa sind beide gegen Special Effects gewappnet. Im weitem Bogen weichen sie jeder Menschenmenge aus, denn die Massen sind teuer. Mehr als fünf Personen in einem Bild wird man hier wegen der hohen Kosten nicht sehen.

Wir müssen reden! Diese in der Handlung oft geäußerte Parole führt zu prolongiertem Geschwätz. Es wird mehr dialogisiert, als es die Dramaturgie erfordern würde. Gesprächspositionen werden mehrfach wiederholt und ausgewalzt. Man kommt auch mit ein paar Schauplätzen aus. Jeweils ein Dutzend Interieurs können schon genügen. Julia wandert sehr oft aus verschiedenen Anlässen durch das gleiche Waldstück. Sogar bei den Zwischenschnitten wird gespart. So kann man bei Tessa immer wieder die gleichen Pferde in der gleichen Koppel beim gleichen Be-schnuppern sehen. Zur Trennung von Dialogen dient auch eine sich ständig wiederholende Außenaufnahme der Markland-Klinik. Mit einer Blende über Topfpflanzen wird weiterer Übergang be-sorgt. Bei Julia ist oft eine Außenansicht der Villa Gravenberg der wiederkehrende Zwischenschnitt.
Wenig Geld kosten auch die inneren Monologe, zu denen sich Julia und Tessa immer wieder verpflichtet fühlen. Sie sitzen oder stehen irgendwo, um bei geschlossenem Mund jede Menge von Gemeinplätzen abzusondern: Durch deine Liebe habe ich die Krankheit besiegt. Das Kind ist die Frucht deiner Liebe.

Als Kinder der billigen Produktionskosten sind auch die vielen Rückblenden zu betrachten. Als optisch umgesetzte Erinnerung sieht man Szenen vergangener Episoden, die mit einem Filter leicht verändert worden sind. Auch die Cliffhanger sind ohne Aufwand und Raffinesse gestaltet. Das heißt: Das Ende einer Episode muß von besonderer Dramatik sein. Es soll ein Aufschwung der Handlung sein, der auf die nächste Episode verweist bzw. neugierig macht: So etwa, wenn ein Mensch oder ein Auto an einer Klippe hängt. Daher kommt auch der Fachausdruck. Solche Cliffhanger werden bei Julia und Tessa sehr oft durch lieblose Großaufnahmen eines Gesichtes gefertigt, auf das dann ein paar Szenen aus der nächsten Episode geklatscht werden.

Alle deutschen Telenovelas spielen in einem bestimmten Milieu. Tessa ist Masseurin in einer Privatklinik. Bei Verliebt in Berlin als dem Konkurrenzprodukt von SAT 1 ist die Heldin in der Modebranche tätig. PRO 7 hat Lotta in Love in der Musikproduktion angesiedelt. Julia ist eine Designerin in der Porzellan-Manufaktur Gravenberg. Daß sie ungeheuer begabt ist, wird dialogisch mehrmals erwähnt, indes bekommt man nie ihre Entwürfe in Großaufnahme zu sehen.

Diese Serien sind verfilmte Groschenromane. Sie sind Kitsch in Reinform. Sie haben nichts mit der Realität zu tun, obwohl immer wieder gefordert wird: Du mußt das auf die Reihe bringen bzw. kriegen! Am besten kriegt man dies oder das auf die Reihe, indem man sich einkriegt und zwar in dem Sinn, daß man sich wieder beruhigt oder normal verhält. Am besten kriegt man sich ein, wenn man mit den herrschenden Verhältnissen zufrieden ist. Es ist tatsächlich schwer, das alles auf die Reihe zu bringen, denn das ist eine Reihe, die aus Trashtalk, Reality-TV, Big Brother, Superstar, Gericht-Shows und aus hausgemachten Telenovelas besteht. Die Verantwortlichen im Fernsehen sind nach Aufgabe des intellektuellen Anspruchs für immer damit bestraft, in einer leergefegten Landschaft neue Formate zu entdecken und aus der Tristesse Zucker zu saugen. Eifersüchtig beobachten sie den Rivalen. Sie imitieren seine Erfolge. Sie reagieren auf ein Sinken der Quote. Sie suchen im Ausland nach neuen Formaten.

Bei einem Sparprogramm für mehr als 200 Episoden kann man keine schauspielerischen Leistungen erwarten. Es gelingt keinem einzigen Darsteller, typische Gesten zu setzen oder mit unverkennbarer Mimik zu agieren. Sie alle sprechen das Einheits-Deutsch ihrer Schauspielschulen: Nicht wahr! Du liebst mich? In manchen Sequenzen wirkt ihr Unvermögen nahezu peinlich. Julia, Patricia, Tessa und Nadine bis hin zu Tim, Kolja und die restlichen Völkerschaften, sie spielen ihre Rollen a la carte herunter, ohne den Hauch einer Individualität einzubringen. Dabei heißt es oft genug im Text: Du mußt Dich mehr einbringen! Oft will sich diese Person nicht einbringen. Dann heißt es: Ich muß los! Handlungsknoten werden sehr einfach aufgelöst, indem die jeweilige Person irgendwohin los muß.

Es sind eigene Scriptschulen am Werk, um das einmal definierte Seting in Prinzip bis ins Unendliche zu dehnen und zu verlängern. Mehrere Drehteams stehen auf Abruf bereit. Es soll bei den Proben nicht gerade übertrieben werden, heißt es. Es werden auch ständig die Regisseure gewechselt, die wie Ärzte den unvermeidlichen Tod des Patienten ein wenig aufschieben sollen. Anfangs treffen sich Bubi und Mädi, um sich heftig zu verlieben. Dann kommt es wie schon oft zuvor und in Millionen von Romanen und Groschenheften zu diesen oder jenen Schwierig-keiten: Böse Menschen schleichen sich ein... Verwechslungen kommen vor... Falsch verstandene Worte... Irrungen, Wirrungen, Krankheiten..... Neue Partner... Doch am Ende fallen sich die anfänglich Liebenden wieder in die Arme. Das kann wie bei Bianca durchaus seine 224 Folgen zu 47 Minuten haben oder rund 10 530 Stunden dauern.

Jedes Drama braucht Bösewichter. Der Einzelne als genialer Schuft hat Auftrittsverbot, denn doppelt hält besser. Bei Julia und Tessa sind zur Sicherheit immer zwei Bösewichter am Werk. Tamara und Marcel haben sich gegen Tessa verschworen. Annabel und Jörg intrigieren gegen Julia. Mehrfach aufgefächerte Nebenhandlungen werden eingeflochten, um das Ende der Haupthandlung hinauszuschieben. Auf den Unterschauplätzen tummelt sich das Jungvolk mit seinen Problemen, der Liebe und dem ersten GV. Das ganze geht extrem sauber vor sich. Mia oder Lilli oder Jenny sind nur ein oder zweimal im BH zu sehen. Obwohl sie so sehr und innig lieben, dürfen sich auch Tessa und Julia nur ganz ein kleines bißchen entkleiden. Nacktheit samt Sex hätte wohl das treue Publikum ab 60 Jahren verstört. Auf das ältere Publikum zielt auch die Abwesenheit von Ausländern oder Nichteuropäern. Während sich in den Pilcheriaden und Ottfriediaden der Abendprogramme oft positiv zu sehende Schwarzafrikaner, Türken und Asiaten tummeln, haben sie bei Julia und Tessa keine Chance. Mit einiger Mühe kann gerade noch ein Homosexueller als Kumpeltyp der Silke gegen den bösen Jörg zur Seite stehen.

Julia und Tessa sind Steigbügelhalterinnen der gesellschaftlichen Ordnung. Wenn Du mich brauchst, bin ich immer für Dich da! In keiner Minute der ungezählten Stunden will die Realität Deutschlands sichtbar werden. Alles wird bejaht und abgenickt. Ich kann die Hoffnung auf unsere Liebe nicht auf den Tod aines Kindes gründen. Die Probleme ergeben sich oft aus eigener Schuld oder aus der gesellschaftlicher Rang-ordnung. In der Porzellanmanufaktur regiert der Kapitalismus ebenso unangefochten wie in der Markland-Klinik. Die Manufaktur möchte mit neuen Mustern auf Porzellan den interna-tionalen Durchbruch schaffen. Marcel und Tamara arbeiten in der Klinik ohne Skrupel an gefährlichen Anti-Aging-Medikamenten. Ein Todesopfer genügt ihnen nicht. Sie suchen nach neuen Versuchskaninchen. Patriarch Werner Gravenberg hat im Rahmen seiner Darstellungskunst nahezu manisch die Werte der Familie beschworen. Er muß sterben. Die Familie zerfällt. Julia will einen Vaterschaftstest machen lassen, um Mitglied einer anderen Familie zu werden. Daniels Beilager mit der Millionärserbin Marie war umsonst. Die Gründung einer eigenen Familie will ihm nicht gelingen. Der böse Jörg macht Silke ein Kind und will nun auch Chef einer Familie sein. Die auffällige Betonung der Familie kann durchaus als ein Reflex darauf angesehen werden, daß es Deutschland immer weniger funktionierende Familien gibt. Ich wüll es am liebsten hinausrufen und hinausschreien! Jetzt kommt das Glück! Ich hab eine Familie!

In einer völlig neuen Entwicklung bestimmen nun die Quote und die begleitende Publicity via Fanzine und Internet den Fortgang der Handlung. Tessa war ursprünglich auf 230 Kapitel konzipiert, hat aber die Quote nicht erfüllt. Daher wird Tessa ihrem Felix gute hundert Episoden früher endgültig in die Arme fallen. Diese Dramaturgie nach Quote ist auch in anderen Serien zu beobachten. Verliebt in Berlin wird ohne die Hauptdarstellerin Lisa Plenske fortgesetzt. Lotta in Love schleppte sich schwach über den Bildschirm, daß man den Schweizer Popsänger Patrick Nuo als neue Figur insertieren mußte. Es wird also unter Beobachtung der Quote produziert und dirigiert. Ist die Quote schwach, so wird sie durch den Eintritt neuer und möglichst markanter Schauspieler reanimiert. Julia hat im Gegensatz zu Tessa aus völlig ungeklärten Gründen die Quote gehalten, leidet aber an dramaturgischer Anämie. Bei deutlichen Erschöpfungserscheinungen will man nun aus der beendeten Serie Bianca die böse Kathi zu Julia herüberholen, um die Handlung neu zu beleben. Womöglich will dann Kathi nach Läuterung auch 'ne Familiegründen.


  • Der neue österreichische Bellaria TV Orfismus

  • ·^·