Die redselige Frau, der schweigsame Mann und andere sprachliche Stereotypen


© Elisabeth Leinfellner, Universität Wien

Mit freundlicher Genehmigung des Leykam Verlages.
Aus dem Sammelband zum Thema „Sexualität“. herausgegeben von Wilhelm Baier und Franz M.Wuketits. Erscheint 2002.

Vorbemerkung. Betrachtet man den unmenschlichen Status der Frauen in vielen Ländern dieser Erde, dann mag es geradezu als frivol erscheinen, sich mit dem Thema von Frau, Mann und Sprache zu befassen, besonders was das Problem “sprachliche Gleichbehandlung der Frau" betrifft. Man muss sich klar machen, dass z.B. gerade dieses Problem anderen Frauen in anderen Ländern lächerlich und wehleidig erscheinen wird. Diese Bemerkung soll uns nicht von entsprechenden Analysen abhalten; sie soll die Analysen aber doch relativieren.

Weiters: Wieweit und ob die sprachlichen Unterschiede zwischen Frau und Mann sozial und/oder biologisch bedingt sind, ist eine noch immer nicht geklärte Frage. Amüsiert berichtet die Linguistin Deborah Tannen, dass mehr Männer den biologischen Standpunkt vertreten, und mehr Frauen den sozialen. Warum wohl? Biologisch jedenfalls ähnelt der Mann mehr der Frau, als die Frau dem Mann, oder sie ähneln sich einfach. Letzteres gilt auch für angeblich so typisch männliche Verhaltensweisen wie z.B. die Agression. Biologisch gesehen sind Frauen ebenso agressiv wie Männer; aber sie gehen mit der Agression sozial anders um.

(i) Zwei Utopien.

Stellen Sie sich eine Welt vor, wo der Satz, "Am nächsten Tag trug er zur Arbeit Kleidung", sinnvoll ist; wo es Gemeinschaftswohnungen für sämtliche Formen der sexuellen Orientierung gibt; wo der "natürliche", der gewöhnliche Zustand der der sexuellen Sterilität ist, die im Falle eines Wunsches nach Kindern erst mit Medikamenten rückgängig gemacht werden muss; eine Welt, wo es nicht nur zwei Geschlechter gibt, sondern zwischen 40 und 50; wo man auf einer Klinik, die die Routine-Operation der Geschlechtsumwandlung, auch der chromosomalen, ausführt, mit der Frage empfangen wird, welches Geschlecht man momentan habe; und wo - wie zu erwarten - der Unterschied zwischen weiblichen und männlichen Vornamen verschwunden ist. Stellen Sie sich eine Welt vor, wo Männer mit Hilfe der Medizin alle Kinder aus einer Kommune stillen - und sich dann beklagen, dass es der Figur schadet; und wo der Satz "Ich glaube nicht, dass Männer inferior sind; ich will bloß eine Frau sein", gesprochen von einem Mann, keineswegs gegen die soziale Norm verstößt. (Eine andere Form der Umwandlung findet sich in einer alten Bade-Ordnung, nach welcher der Bademeister als Frau zu gelten habe.)

Eine solche Welt, eine egalitäre, aber nicht androgyne, Welt gibt es nur in der Phantasie; ich spreche hier von S. R. Delanys science fiction Roman “Triton”.

In so einer Welt wäre die Frage, ob es eine weibliche Sprache oder Sprachverwendung im Gegensatz zur männlichen gibt, bedeutungslos, ungefähr ebenso bedeutungslos wie heute - vielleicht - schon die Frage, ob der männliche Ehepartner unbedingt größer sein müsse als der weibliche.
(ii) 1996 erschien in den USA ein Buch “The Futures of Women: Scenarios for the 21st Century”. In diesem Buch werden Vermutungen über die Zukunft der Frauen auf der ganzen Welt angestellt; die Sprache aber kommt nur ganz am Rande vor.

Soziale und Geschlechterrollen.

Kehren wir in unsere Welt zurück. Beginnen wir die Diskussion dennoch mit "Triton". Da erzählt die Frau mit dem Namen “Bron”, die einmal der Mann Bron war, dass sie als Kind ein altes Buch mit der Abbildung von Paaren gefunden habe, auf dem die Frauen immer kleiner als die Männer, "Zwerginnen" waren; sie frägt sich, ob das eine biologische Tatsache gewesen sei.

In dieser Beschreibung ist ein wichtiges Problem verborgen: Soziale Kategorien beeinflussen unsere Perzeption biologischer Kategorien und verzerren sie. Natürlich beeinflussen soziale Kategorien auch die Wahl unserer Sexualpartner und damit, welche Eigenschaften vererbt werden. Es gibt Untersuchungen, die die sozialen Faktoren der Männlich-Weiblich-Unterscheidung statistisch darstellen. Man weiß dann, was als stereotyp weiblich, was als stereotyp männlich, und was als neutral gilt. Die hier gewonnenen Skalen müssen im Lauf der Zeit an die sozialen Entwicklungen angepasst werden. Z.B. stellt die Bem Sex-Role Inventory (BSRI) Skala dar, dass "übernimmt die Führung", "ehrgeizig", "verteidigt die eigenen Ansichten" als männliche Charakteristika angesehen werden; "gefühlvoll", "gebraucht keine grobe Sprache", "sanft" als weiblich. Als neutral werden gesehen etwa: "großzügig", "impulsiv", "faul", "eifersüchtig". Eines Tages wird z.B. "ehrgeizig" wahrscheinlich in die neutrale Kategorie übertreten. Je größer die neutrale Kategorie, desto egalitärer ist die Gesellschaft.

Frau und Mann 'in' der Sprache.

Wichtige Unterscheidungen sind hier: (i) Wie werden Frau und Mann 'in' der Sprache dargestellt. “'in' der Sprache” kann zweierlei bedeuten, (i.i) in der Sprache, wie sie empirisch in Texten vorkommt, der parole, oder (i.ii) im Sprachsystem, der langue. Die Regeln der Grammatik z.B. gehören zur langue.

(ii) Frau und Mann 'und' die Sprache.

Fragen sind hier: Gibt es es überhaupt so etwas wie eine - sozial oder biologisch bedingte - Sprache oder Sprachverwendung der Frau im Vergleich zur Sprache oder Sprachverwendung des Mannes? Ist die Sprache der Frau anders als die des Mannes, dann ist sie - so will es das Stereotyp - minderwertiger als die des Mannes, denn anders = minderwertig. Hier handelt es sich also um Frau, Mann 'und' die Sprache.

Beispiele für: 'in' der Sprache als parole (zu i.i) ;
Beispiele (1)-(15).

Die zwei Sätze “Für eine Frau ist sie sehr intelligent” und “Für einen Mann ist er sehr intelligent” führen uns das Ungleichgewicht in der parole deutlich vor Augen. Nicht allen der folgenden Beispiele kann man sexistische Absichten unterlegen; in vielen Fällen mag es bloße Gedankenlosigkeit und in einem Fall literarische Absicht sein.

Die unsichtbare Frau, der sichtbare Mann
Beispiele (1)-(2).

(1) Eine Erfahrung, die viele Frauen mit Titeln wie "Dr.", "Univ.Doz." "Univ.Prof." etc. als Teil einer Absender-Adresse machen, ist folgende, vorausgesetzt vom Vornamen wird nur der Anfangsbuchstabe angegeben: Zurück kommt in vielen Fällen eine Antwort an den "Herr Dr./Herr Univ.Doz./Herr Univ.Prof." Dies verewigt 'in' der Sprache als parole die Vorstellung, dass solche Titel nur Männern zukommen.

(2) Tenöre, weltvergessen (Z, Sonderbeilage Literatur, 15/11/01: 70) lautet eine Überschrift. Die Sängerinnen, die auf der beprochenen CD auch vorgestellt werden, kommen nicht vor.

Die verniedlichte Frau, der starke Mann;
Beispiele (3)-(6).

(3) Brigitte Ederer wurde als EU “Maskottchen” bezeichnet, Alois Mock als “der Held von Brüssel”, obwohl beide vergleichbare Arbeit geleistet hatten.

Überschrift aus einem Bericht über den Wechsel der Betriebsratschefin der Bank Austria zur CA:
(4)Hedi und ihr Puppenheim (St, Sektion "Karrieren", 02/05/97: 13)
Die Rede ist von Hedi Fuhrmann, die als Hobby Puppen sammelt. Jetzt machen wir die Probe aufs Exempel und konstruieren ein paralleles "männliches" Beispiel":

(5)Neuer Bundeskanzler ernannt - Wolferl sammelt Mascherln

Lesen wir in einer Zeitungsüberschrift
(6) Wolferl nationale (SN, 30/11/01: 12)
dann sagt uns ein "Gefühl", dass hier nicht Kanzler Schüssel gemeint sein wird - es ist der Pop-Sänger Ambros.

Die dem Mann untergeordnete oder von ihm abhängige Frau;
Beispiele (7)-(10).

(7) Die Analyse einer Broschüre der Bundesregierung, die für die EU werben soll, ergab, dass die Frauen, dargestellt als weibliche Kinder, erstens unterrepräsentiert waren (5:13), und zweitens, dass die wichtigsten Rollen durch männliche Kinder verkörpert wurden. (8) In einer Computer-Animation mit demselben Zweck treten zu acht Themen Frauen und Männer auf - das Nörgeln wird gewöhnlich den Frauen überlassen.

Ein Artikel über die Bankerin Elisabeth Bleyleben-Koren trägt eine durchaus akzeptable Hauptüberschrift. Dann aber sehen wir als Insert einen Kasten mit der Überschrift
(9) Mit Chef zum Traualter (S, Sektion "Karrieren", 24-25/05/97: 17)
Diese zweite Überschrift suggeriert in unserer Gesellschaft immer noch, dass Frau Bleyleben ihre Karriere über ihren Mann gemacht hat. Im Text erfahren wir dann freilich, dass sie gerade wegen ihrer Heirat zu einer anderen Bank gewechselt hat.

(10)Prominente Krankenschwester (P, 24/11/01: 11)
ist die Überschrift zu einer kurzen Notiz. Und weshalb ist sie prominent? Sie ist mit dem Landeshauptmann von NÖ, Pröll, veheiratet.

Die auf ihr Aussehen reduzierte Frau - und das passiert auch Männern;
Beispiele (11)-(12).

(11) In einem ansonsten seriösen Artikel in der “Presse” (2001) wurde Condoleeza Rice, die Sicherheitsberaterin des US-Präsidenten Bush, als jemand beschrieben, der so aussähe, wie die bösen Frauen in mexikanischen Filmen. Dass auch Männer von dieser Reduktion nicht verschont bleiben, zeigt die Beschreibung eines Diskussionsteilnehmers in einer ORF-Sendung, eines Scheidungsanwaltes: Er sehe aus
(12) wie ein Rotlicht-Gangster aus einem B-Movie (P, 27/11/01: 27)
Der Unterschied liegt hier, wie auch in den anderen Fällen, bloß in der Häufigkeit: Frauen werden sehr viel öfter auf ihr Aussehen reduziert als Männer.

Die auf ihre "weiblichen" Funktionen reduzierte Frau;
Beispiele (13)-(14).

Ein Beispiel, aus der "Welt am Sonntag" (2001):
(13) Eine weiße Spitzenschürze serviert Capuccino und Perrier. [...] Die Schürze betritt wieder den Raum. Lunch ist serviert. (Zitiert nach St, 12-13/05/01: 47)

In einem keineswegs sexistischen Artikel über die deutsche "oliv"-Grüne Abgeordnete Beer, die Wehrsprecherin der Grünen, mit guten Beziehungen zum Militär, findet sich ein Foto mit der Unterschrift:
(14) Verteidigungsminister Rühe, Abgeordnete Beer (1997): Sie schenkt ihm Marmelade. (Sp, 12/11/01: 186)

Eine literarische Formulierung;
Beispiel (15).

Interessant ist folgendes Beispiel aus Marcel Aymés Roman "Der Weg ins Blaue":
(15) (a)An einem Dezembertag 1943 begegnete die junge Frau in einem Geschäft der Champs-Elysées einem einflussreichen Beamten der französischen Gestapo, (b) der ihr vorschlug, mit ihr zu schlafen. (c) Als er einen Korb bekam, (d) ließ er sie verhaften und in einen Raum bringen, (e) wo er sie vergewaltigte und ihres Schmucks beraubte.

Von einem Standpunkt aus gesehen, wird hier das Verbrechen, das an der Frau verübt wird, als nebensächlich gegenüber den Handlungen des Mannes dargestellt, da es in einem Nebensatz, (e), beschrieben wird. Aber genau so gut ist es möglich, dass der Autor den Mann als Verbrecher in den Mittelpunkt rücken wollte und ihn daher im Haupsatz (d) als Thema repräsentiert. In (a) ist übrigens die Frau das Thema.

Beispiele für: 'in' der Sprache als langue (zu i.ii).

Für die langue müssen Beispiele gebracht werden, die zeigen, dass auch das Sprachsystem hier Unterschiede macht - oder nicht. Z.B. gibt es im Englischen das Wort "cuckold" für einen betrogenen Ehemann; aber es gibt kein lexikalisiertes Gegenstück (d.h. ein eigenes "Wort", i.e. Lexem) für eine betrogene Ehefrau; hier ist eine Lücke im semantischen System haben. Dies könnte widerspiegeln, dass der weibliche Ehebruch strenger beurteilt wurde der männliche.

Es wird vielleicht aufgefallen sein, dass die Formulierung "Frau und Mann" im vorhergehenden Text doch noch recht ungewöhnlich klingt. Unsere lexikalischen Strukturen in der langue verewigen nämlich die soziale Stellung des Mannes vor der der Frau als "Mann und Frau"; ebenso sagen wir nicht "mit Maus und Mann", "mit Kegel ["uneheliches Kind"] und Kind", "Reiter und Ross" (früher war das Pferd wichtiger als der Reiter), "Hölle und Himmel" etc.

Im Deutschen haben wir die Endung “ in”, die anzeigt, dass es sich um eine weibliche Person handelt, wie “Lehrerin”, “Ärztin”, “Direktorin”. Das Englische als langue kennt ähnliche morphologische Mittel, die aber heute kaum mehr verwendet werden, z.B. die Endsilben “ ess”, wie in “poet” versus “poetess” oder “ rix” wie in “aviator” versus “aviatrix”. Die Verwendung dieser Nachsilben wird als verniedlichend und daher sexistisch angesehen. Im Deutschen ist eine andere Entwicklung eingetreten. Leitlinien für nicht-sexistische Sprache, eine Sprache, die die sprachliche Gleichsetzung von Frau und Mann verwirklicht, schlagen hier Veränderungen auch in der langue, in diesem Fall im lexikalischen System, vor, z.B. das Binnen-"I" wie in "BürgerInnen", das das generische Maskulinum ("alle Bürger" = "alle Bürger und Bürgerinnen") überflüssig machen soll.

"Ein Weib, das spricht, ist in der Regel dumm; beim Mann ist der Fall oft umgekehrt." heißt es in K. J. Webers "Demokritos". Dies Sätze fassen ein Vorurteil aufs schönste zusammen: Wenn Frauen reden - und nach einem Stereotyp reden sie mehr als die Männer -, dann schwatzen sie bloß; reden - oder schweigen - Männer, dann ist es tiefsinnig. Ungezählte Sprichworte in allen Sprachen und Gesellschaften schlagen in dieselbe Kerbe.

Wir können nun mit den Methoden der Linguistik an das Problem herangehen und nachsehen, wie es wirklich ist. Sind Frauen wirklich redselig und Männer stark und schweigsam? Reden, nach einem entgegengesetzten Stereotyp, Männer ununterbrochen und schweigen die Frauen oder werden zum Schweigen gebracht? Drücken Männer sich wirklich vor allem logisch-rational aus, während Frauen beim Sprechen Rücksicht auf das soziale Umfeld der Gesprächspartner und partnerinnen nehmen und pragmatisch-wahrscheinliches Argumentieren bevorzugen? Ist es wirklich so, dass Männer und Frauen einander ununterbrochen missverstehen? Nicht alle dieser Fragen können hier beantwortet werden.

Wir kommen also zum zweiten Haupt-Punkt aus der oben getroffenen Unterscheidung: Gibt es einen Unterschied zwischen der Sprache als parole, der parole der Männer und der parole der Frauen? Was heißt hier überhaupt “Unterschied”? Wenn es Unterschiede gibt, dann wird es sich hauptsächlich um Unterschiede in der Verwendung der Mittel, die der Sprache als System, als langue zur Verfügung stehen, handeln, d.h. um Eigenschaften wie: Satzlänge; Wahl des Vokabulars; wer sagt wann was zu wem; wer spricht mehr; wer spricht weniger; gibt es Unterschiede im Satzbau, werden "dieselben" Worte mit unterschiedlicher Bedeutung gebraucht, usw. Was die Bedeutungen betrifft, so haben wir diesen Unterschied nicht nur zwischen Frau und Mann, sondern generell: Bedeutungen werden psychologisch oder kognitiv gesehen immer individuelle Unterschiede aufweisen. Aber es gibt feministische lexikalische und literarische Unternehmen, die versuchen, bestimmte Unterschiede zu vergrößern. Um ein paar beliebige Beispiele zu geben: In "A Feminist Dictionary" (1985) wird "human rights" eingeführt als "in realiy, men's rights". In einem science fiction Roman "Native Tongue" (1985) von Suzette Haden Elgin wird ein völlig neues "weibliches" Vokabular erfunden; z.B. "radíidin" wird erklärt als ein Feiertag, der den Frauen Arbeit, aber kein Vergnügen macht (wie z.B. Thanksgiving). In Gert Brantenbergs Utopie "Die Töchter Egalias" (dt. zuerst 1980) hat die feministische Revision der Sprache bereits stattgefunden: aus "sich ermannen" wurde "sich erweiben"; aus "der Mensch" "die Wibsche"; aus "herrschen" "frauschen"; und aus "patriotisch" "matriotisch".

Man hat also die weibliche Sprache als "unterentwickelt" gekennzeichnet. Früher hieß es, die Sprachen vornehmlich nicht-indoeuropäischer Herkunft seien primitiv; diese Idee wurde aus empirischen Gründen aufgegeben. Dann hieß es, Unterschichtkinder sprächen eine eingeschränkte Sprache. Auch das behauptet die Linguistik heute nicht mehr mit demselben Nachdruck. Aber man hat die These vom sprachlichen Defizit bequem auf die weibliche Sprache umgelegt. Ein Symptom dafür: Es wird - in feministischen Analysen! - immer wieder darauf hingewiesen, dass diese oder jene linguistische Untersuchung der Frauensprache zeigen werde, wie reich strukturiert diese sei. Das ist ungefähr so, als wolle man beweisen, dass Frauen Arme und Beine haben. In Österreich sind in der Kommunikationsbranche (public relations) zu 2/3 Frauen tätig, und sie stellen 46% der Führungskräfte - bestimmt nicht deshalb, weil ihre Sprache unterentwickelt ist.

Sprachwissenschaftliche Analyse der Unterschiede zwischen weiblichem und männlichem Sprachgebrauch

Es ist sehr instruktiv, sich den sprachlich-sozialen Unterschied zwischen Männern und Frauen an einigen Beispielen zu verdeutlichen. Man kann mancher dieser Muster, die hier aufgezeigt werden, leicht selbst beobachten, z.B. in Fernseh-Diskussionen. Es gibt Politikerinnen, die offensichtlich gelernt haben, sich aus den mehr weiblichen Mustern zu lösen - was von Feministinnen nicht immer positiv bewertet wird -, und die daher in der Diskussion sehr erfolgreich sind.

Es ist nicht zu leugnen, dass auch in unseren Gesellschaften die Frauen immer noch die schlechtere Position haben, und es ist ebenso klar, dass in der sprachlichen Interaktion oft Männer Frauen dominieren, während das Umgekehrte weniger oft vorkommt. Es ist aber nicht immer so, dass, auch wenn tatsächlich dominiert wird, diese Dominierung beabsichtigt ist; sondern sie kann ein unbeabsichtigtes Ergebnis von unterschiedlichem Sprachverhalten, unterschiedlichen Sprachstilen sein.

Auf der rein sprachlichen Ebene sind sprachliche Verhaltensmuster ambivalent, und sie sind ambivalent, weil sie vom pragmatischen Kontext abhängen: Es ist der pragmatische, d.h. soziale oder auch sozio-politische Kontext, der bestimmt, ob solch ein Muster z.B. Machtausübung oder versuchte Machtausübung darstellt, oder Solidarität, d.h. soziale Identifikation. Ein Beispiel, das ich Tannen 1994 entnehme - aber ähnliche Beispiele haben wir wahrscheinlich alle schon erlebt: Zwei Frauen treffen einen Mann auf dem Weg zur selben Konferenz. Eine der Frauen grüßt den Mann und frägt: “Wo ist Ihr Mantel?” Der Mann antwortet: “Danke, Mammi”. Der Mann interpretiert die Frage als einen Zug im Kampf um die Macht; die Frau könnte ihre Bemerkung so gemeint haben; aber sie könnte auch eine einfache solidarische Frage gewesen sein.

Im folgenden diskutiere ich fünf solcher Verhaltensmuster vom Standpunkt des weiblichen und männlichen Sprechens: (i) indirektes versus direktes Sprechen; (ii) Unterbrechungen; (iii) Schweigen und Gesprächigkeit; (iv) Thema anschlagen; (v) Gegensätzlichkeit.

(I) Indirektes versus direktes Sprechen

Ein Mann und eine Frau sitzen bei offenem Fenster im Zimmer und lesen. Plötzlich sagt der Mann: "Es ist kalt draußen". Die Frau blickt auf und sagt: "Ja". Nach einer Weile sagt der Mann wieder: "Es ist kalt draußen". Und die Frau sagt wieder: "Ja". Der Mann wiederholt den Satz ein drittes Mal. Da steht die Frau auf, macht die Fenster zu und sagt: "Ist es nun warm draußen?"

Das erste dieser mehrdeutigen sprachlichen Muster ist das von direkter und indirekter Kommunikation. Damit meine ich nicht die bekannten grammatischen Erscheinungen von direkter und indirekter Rede, sondern Beispiele wie die folgenden:

(16) Hier fehlt Salz. (Indirekt)
(17) Bitte gib mir das Salz. (Direkt)

Die indirekte Art sich auszudrücken hat zwei Vorteile: (i) man kann das, was man indirekt fordert, wieder rückgängig machen, z.B. wenn man das Salz doch nicht kriegt - denn man hat es ja nicht direkt verlangt. (ii) Ein zweiter Vorteil ist sozialer Natur: Man hat etwas erhalten, aber nicht, weil man offen Macht ausgeübt hat, d.h. nicht, weil man einen direkten Befehl oder Wunsch ausgesprochen hat, sondern weil die andere Person sozusagen das Gleiche "wollte" - sie hat ja aus der indirekten Aussage erraten, was man will.

Die Sprache der Frauen sei die Sprache der Ohnmächtigen, so hat man es gesagt, und dies drücke sich darin aus, dass Frauen die indirekte Sprachverwendung wie in (16) der direkten wie in (17) vorziehen. Dies entspricht dem ersten der beiden erwähnten Vorteile, dass man so einen indirekten Ausdruck wieder rückgängig machen kann.

Aber der zweite Vorteil, dass man nicht offen Macht ausgeübt hat, zeigt die Mehrdeutigkeit oder Ambivalenz solcher Strukturen. Es ist oft das Kennzeichen von Tyrannen, dass man ihnen alles an den Augen ablesen muss, wie es so heißt, und das heißt auch, dass für den Tyrannen die indirekte Sprache Ausdruck einer noch größeren Macht ist, als die direkte - siehe das scherzhafte Motto zu diesem Abschnitt.

In der Tat gibt es Gesellschaften, wo das Stereotyp der indirekten weiblichen und der direkten männlichen Sprache umgekehrt werden muss: In einer Sprache auf Madagaskar (Malagasy) sprechen die Frauen direkt, die Männer indirekt. Aber Frauen werden sozial von den Männern dominiert, und ihre direkte Sprechweise wird als eine Verunreinigung, eine Verschlechterung der indirekten männlichen Sprechweise angesehen.

(II) Unterbrechungen

Eine Frau will sich von ihrem Mann scheiden lassen. Als der Richter sie frägt, warum sie eine Scheidung will, antwortet sie: "Mein Mann hat in zwei Jahren kein einziges Mal zu mir gesprochen". Dann frägt der Richter den Ehemann: "Warum haben Sie so lange nicht mit Ihrer Frau geredet?” Antwortet der Mann: "Ich wollte sie nicht unterbrechen".

Dass diejenigen, die die Machtposition einnehmen, mehr unterbrechen als andere unten auf der Stufenleiter der Hierarchie, wird allgemein angenommen, trotz des oben verewigten Stereotyps von der redseligen Frau; weiters, dass die Mächtigen länger reden als die Ohnmächtigen.

Ganz so eindeutig ist es aber nicht. Analysiert man Gespräche, wird man sehen, dass gewisse Unterbrechungen, die man besser eigentlich “Überschneidungen” nennen sollte, oft von den männlichen oder auch weiblichen “Unterbrechern” gar nicht produziert werden, um Macht auszuüben, sondern um die, die gerade sprechen, zu unterstützen. Wer mit solch einer Taktik nicht einverstanden ist, der wird sich unterdrückt vorkommen, besonders, wenn diejenigen, die unterbrochen worden sind, bei einer Unterbrechung oder Überschneidung zu reden aufhören.

Natürlich kann das Unterbrechen ein Instrument der Macht sein. So werden in Fernseh-Diskussionen die Frauen tatsächlich öfter von den Männern unterbrochen, als umgekehrt. Manche Frauen haben sich daher die Taktik zugelegt, ungehindert weiterzureden, so als ob sie nicht unterbrochen worden wären. Madeleine Petrovic, Monika Langthaler, Heide Schmidt und Helene Partik-Pablé scheinen diese Taktik zu verwenden.

Tatsache ist, dass in reinen Frauengruppen mehr von solchen unterstützenden Überschneidungen vorkommen als in reinen Männergruppen. Dies ist vielleicht der Ursprung des Stereotyps von der geschwätzigen Frauengruppe, welche so gerne einer Gruppe durcheinander schnatternder Gänse verglichen wird.

(III) Schweigen und Gesprächigkeit.

"Mulier taceat in ecclesia" - "Die Frau schweige in der Kirche" sagt Paulus. Hier ist das Schweigen-Müssen ein Ausdruck der Unterwürfigkeit, des Beherrscht-Werdens. Die feministische Linguistik geht oft von der Voraussetzung aus, dass die Männer die Frauen zum Schweigen verdammt haben - davon käme der Rückzug in die private Sphäre des Gesprächs, der Briefe, der Autobiographie. Anderereits haben wir das Stereotyp der geschwätzigen Frau.

Auch hier herrscht Ambivalenz. Schweigen kann man, weil man unterlegen ist. Der Mann, der schweigt, aber manchmal ebenso die Frau, die schweigt, erscheint andererseits auch als die Person, die die Oberhand hat. Schweigen als Ausdruck männlicher Überlegenheit wird z.B. in Erica Jongs Roman "Fear of Flying" beschrieben.

Hier spielt die subjektive Einstellung eine große und interessante Rolle: Wenn Frauen gleich lang sprechen wie Männer, wird es trotzdem so empfunden, als sprächen die Frauen länger.

Man hat in den USA um 1978 sieben Fakultätssitzungen auf Band aufgenommen. Mit einer einzigen Ausnahme sprachen die Männer öfter, und alle sprachen länger als die Frauen. Die Männer sprachen zwischen 10.66 und 17.07 Sekunden, die Frauen zwischen 3 und 7 Sekunden.

(IV) Thema anschlagen

Hier ist die Annahme, dass diejenigen, die die meisten Themen anschlagen, den Diskurs dominieren. Sowohl das Anschlagen des Themas, wie auch das Unterbrechen oder Sich-Überschneiden können ganz harmlose Ursachen haben, z.B. die, dass man glaubt, man müsse eine entstehende Pause füllen - und nicht alle Menschen haben dieselbe Vorstellung davon, ab wann eine Gespächspause als unangenehm empfunden wird.

Was Frauen betrifft, so gibt es zunächst eine Beobachtung, die man leicht selber machen kann: Eine Frau bringt in eine Diskussion ein neues Thema ein; dieses Thema wird aber nicht aufgegriffen. Ein paar Minuten später bringt ein Mann dasselbe Thema ein, und - welches Wunder! - plötzlich wird es der Diskussion für würdig befunden.

Man hat einmal 12 Stunden transkribierter Gespräche untersucht. Es wurden 76 Themen angeschlagen, 47 davon von Frauen. Von den 47 Themen, die die Frauen anschlugen, waren bloß 17 erfolgreich, d.h. wurden weiter fortgeführt. Von den 29 Themen der Männer waren 28 erfolgreich. Die Frauen schlugen also 62% der Themen an; aber insgesamt machte dies nur 38% der erfolgreichen Themen aus. Der Grund liegt darin, dass die Männer mit den Gesprächsthemen der Frauen nicht kooperierten, während die Frauen kooperierten, obwohl die Themenkategorien bei Frauen und Männern dieselben waren.

(V) Gegensätzlichkeit.

Das letzte Charakteristikum, das wir erwähnen wollen, betrifft die Gegensätzlichkeit im Diskurs. Es ist aus empirischen Untersuchungen bekannt, dass Männer im Gespräch eher gegensätzliche Meinungen verfechten als Frauen, dass Frauen versöhnlicher und weniger auf Konfrontation aus sind. Man sieht das empirisch oft in den Diskussionen, die auf Vorträge folgen: Frauen beteiligen sich weniger und sind im allgemeinen in akademischen u.ä. Situationen sprachlich weniger agressiv. Eine Untersuchung des Diskussionsverhaltens auf wissenschaftlichen Kongressen hat dies klar bestätigt. Auf den untersuchten Konferenzen wurden 40.7% der Vorträge von Frauen gehalten, und sie machten 43% des Publikums aus. Aber bei den Diskussionsbeiträgen waren sie nur zu 27.4% vertreten, und sprachen obendrein halb so lang wie die Männer: 23.1sec gegen 52.7sec. Dies daher, weil Männer vor ihren Fragen oft kleine Vorträge, Ko-Referate sozusagen, halten, mehr als eine Frage stellen, und dann auch noch auf die Antwort der Vortragenden eingehen.

Auch diese Verhaltensweisen sind sozial abhängig. Es gibt Gesellschaften, wo sowohl Männer untereinander wie Frauen untereinander agressive Gespräche führen, die aber gleichzeitig solidarisches Verhalten sind - dies ist, gewissermaßen, das Streiten zum Vergnügen.

Schlussbemerkung: Was tun?

Zum Schluss müssen wir uns fragen, was wir aus einer solchen Diskussion wie der unseren lernen können. Ganz im Strom des im Feminismus meist vertretenen Gedankens, dass der Unterschied zwischen den Geschlechtern primär ein sozialer, nicht ein biologischer ist, hat man sich mit Feuereifer der sogenannten Whorfschen These bemächtigt. In ihrer extremen Form besagt die Whorfsche These, dass es die Sprache ist, die unsere Auffassung der Wirklichkeit bestimmt. Eine Änderung in den Sprachgewohnheiten würde also “kausal” eine Änderung unserer Auffassung der Wirklichkeit bewirken - das ist oft einer der Grundpfeiler der “political correctness”.

Nun haben wir aber gesehen, dass dieselben sprachlichen Muster sowohl Ausdruck von Machtausübung, als auch Ausdruck von Solidarität sein können. Das Schweigen der Frau kann tatsächlich Ausdruck ihrer schlechten Stellung sein; aber ebenso kann es Ausdruck ihrer Macht sein. Wenn dies so ist, dann können wir den sprachlichen Formen nicht direkt ihre Funktion ablesen, sondern nur auf Umwegen über den pragmatischen, sozialen Kontext. Der heutige Feminismus hat seine Wurzeln noch im 19. Jahrhundert; aber erst seit ca. 25 Jahren beschäftigt man sich intensiv und vor allem reformatorisch mit der Frau 'in' der Sprache und der Frau 'und' der Sprache. Das hat zwar auch wissenschaftsgeschichtliche Gründe, ist aber dennoch symptomatisch.

Unsere Überlegungen legen uns die Vermutung nahe, dass es, entgegen den Hoffnungen der feministischen Linguistik, der pragmatische Kontext, das soziale und darüber hinaus das politische Umfeld ist, die wir primär ändern müssen, nicht die Sprache; die feministisch “regulierte” Sprache allein, sei es nun die langue oder die parole, löst im allgemeinen nicht die gewünschten sozialen Veränderungen aus, sondern hinkt ihnen nach. Haben sich Sprachreformen durchgesetzt, dann sind sie keineswegs ein gewisser Schutz gegen Rückschläge, wie man nach dem Whorfschen Modell ebenfalls annehmen müsste. Z.B. gibt es in Österreich seit einigen Jahren rechtliche Grundlagen für die sprachliche Gleichbehandlung; aber die “Schere” zwischen dem Einkommen von Männern und dem von Frauen wird immer größer; 2001 sind wir das Schlusslicht in der EU.

Das heißt keineswegs, dass alle reformatorischen Bemühungen umsonst gewesen sind. Sie haben nämlich noch ganz andere Funktionen, z.B.: Frauen sichtbar zu machen (Beispiele (1)-(2)), Frauen nicht immer als abhängig von Männern darzustellen (Beispiele (7)-(10)), Frauen nicht auf ihre "weiblichen" Funktionen oder ihr Aussehen zu reduzieren (Beispiele (11), (13)-(14)), die Frauen abwertende Sprache abzuschaffen (Beispiele (3)-(4)) u.ä. Es versteht sich von selbst, dass diese Forderungen gegebenenfalls auch auf die sprachliche Repräsentation von Männern anzuwenden sind (vgl. Beispiel (12)).

Literatur

Abkürzungen: P = Die Presse; SN = Salzburger Nachrichten; Sp = Der Spiegel; St = Der Standard; Z = Die Zeit; zitiert als "Tag/Monat/Jahr: Seite".

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Remlinger, Kathryn. 1999. Widening the Lens of Language and Gender Research: Integrating Critical Discourse Analysis and Cultural Practice Theory. In: Linguistik online 2 (1999); http://viadrina.euv frankfurt o.de/ wjournal/heft 1 99/remlinger.htm.

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Aus: Baier, Wilhelm/Wuketits Franz (Hg.). 2002: Mann und Frau: Der Mensch als geschlechtliches Wesen. Graz: Leykam. 160 Seiten. ISBN 3-7011-7450-4. EUR 14,40.
Inhalt: Der Ursprung der Geschlechtlichkeit - Das Wesen der Sexualität - In der Gewalt der Hormone - Sexuelle Signale - Die Physik der Liebe (Wege aus den Beziehungskrisen) - Der “nackte Affe” in neuem Licht - Geschlecht und Gewalt - Die redselige Frau, der schweigsame Mann und andere sprachliche Stereotypen - Gene, Sex und Moral

Wir danken dem Leykam-Verlag, Graz, für die Erlaubnis, diesen Artikel hier erscheinen zu lassen.


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