Die sogenannte Amerikanisierung Deutschlands


Eine Bilanz der Erfahrungen nach 40 Jahren

© Berndt Ostendorf
Amerika Institut München

manche meinen
lechts und rinks
kann man nicht velwechsern
werch ein illtum
ernst jandl

Es ist eine eigenartige Erfahrung, Arnold Bergsträssers Vortrag über ”die sogenannte Amerikanisierung Deutschlands”, den er zwei Jahre vor seinem Tode im Juni 1962 als Hauptvortrag auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Amerikastudien in Kiel gehalten hat, heute zu lesen.1) Ich war damals noch zu jung, um an der Konferenz teilnehmen zu dürfen und auch zu unbedarft in Sachen Amerikanistik -- aber nicht in Sachen Amerikanisierung. Nach je einem Austauschjahr in den USA und in Schottland studierte ich im 6. Semester die Fächer Geschichte, Englisch, Politik und Philosophie in Freiburg. Dort hörte ich in der großen Aula der Universität Arnold Bersträssers Vorlesungen zum amerikanischen Liberalismus. Der zeitliche Spannungsbogen in dieser kollektiven Lehrerfahrung ist interessant, gerade mit Blick auf die Amerikanisierungsdebatte. Bergsträsser hatte seinen Doktor 1923 gemacht und dabei Erkenntnisse seiner Lehrer der Jahrhundertwende, Max und Alfred Weber und Eberhard Gothein, verinnerlicht. Ich war 1960-4 einer der jungen Studenten, die der sogenannten Amerikanisierung ausgesetzt waren, über die Bergsträsser zu urteilen vorgab. Nun stehe ich als Bergsträsserhörer noch im Jahre 2003 in der Lehre, Inhaber eines Lehrstuhls, der 1949 zum Zweck der reeducation eingerichtet wurde, und gebe Kurse über die Amerikanisierung Europas an Studenten weiter, die ich selbst für irgendwie amerikanisierter halte als mich. Das schafft eine Art historische Echokammer, einen ironisch gebrochenen Halleffekt über ein ganzes Jahrhundert, der, was die Kernfrage der Amerikanisierung angeht, eine resignative Stimmung des plus ca change, plus c’est la meme chose aufkommen lässt. Diese Leseerfahrung fällt justament in eine Recherche, die ich zum neuen Anti-Amerikanismus in den Printmedien, aber vor allem im Internet, vornehme. Der Titel dieses Projekts könnte heißen: Antiamerikanismus im Netz als Reaktion auf die globalisierende Amerikanisierung. Ich möchte nun die bei der gleichzeitigen Lektüre entstandenen kognitiven Dissonanzen, also was von 2003 aus ganz anders aussieht als 1962, vorstellen.

Bei der sogenannten Amerikanisierung handele es sich, so liesse sich Bergsträssers Meinung von 1962 zusammenfassen, im Wesentlichen um eine beschleunigte Vollendung des europäischen Projekts der Moderne. Dieses europäische Projekt des Liberalismus habe sich in der amerikanischen Freiheit zügiger entwickelt und sei dort auf den wirtschaftlichen Punkt, zur technischen Reife und vor allem zur gesellschaftlichen Krise gebracht worden, und habe dann, begünstigt von der Neuordnung der Welt nach 1945, von Amerika aus auf Europa zurückgewirkt.

Die Veranstalter der damaligen Konferenz luden wohlgemerkt zur ”sogenannten” Amerikanisierung ein. Wenn man die Frage der Amerikanisierung, so meinte Bergsträsser, logisch aufrolle, indem man Träger, Akteure und Ursachen der Amerikanisierung erkenne und der Debatte ein empirisch-soziologisches Fundament gebe und die politische, wirtschaftliche und pädagogische Literatur, die Publizistik, künstlerische Prosa, Lyrik, Musik und bildende Kunst en detail studiere, bliebe wenig von dem Pauschalvorwurf der Amerikanisierung übrig. Mikroanalytisch sei das Wort unbrauchbar! “Amerikanisierung” sei ein Pauschalvorwurf, der von stereotypen Ängsten choreographiert und zusammengehalten werde. Bergsträsser konstatiert:
So werden wir ohnedem auf Vorurteile stoßen, welche es fraglich machen, ob der Begriff überhaupt eine zureichende Wirklichkeit deckt, oder nicht vielmehr gesellschaftliche Erscheinungen unserer Zeit einer falschen Zurechnung unterwirft, sie damit verhüllt und von der Erkenntnis und adäquaten Beantwortung entfernt. (Bergsträsser 13)

Zudem unterstelle der Begriff, dass in diesem Prozess Amerika der dominante und aktive Partner, Deutschland aber nur passiver Empfänger sei und dass es sich um eine einbahnige Entwicklung von der einen Seite des Atlantik zur anderen handeln solle. Implizit fordert er also schon damals, dass man den Faktor der Reziprozität und der interaktiven agency beachten muss, dass man also gleichzeitig von der Europäisierung Amerikas auszugehen habe. Dann geht er auf vier gesellschaftliche Bereiche ein, in denen Amerikanisierungsvorwürfe gemacht werden: Zuerst auf die Politik – und hier kommt ein Satz, den ich zum Anlass meiner dissonanten Reaktion machen werde: “Die Anklage der Amerikanisierung hat ihren Schwerpunkt nicht im Bereich des im engeren Sinne Politischen” (Bergsträsser 16). Vom nationalstaatlichen Souveränitätsideal im 19. Jahrhundert sei man nach den katastrophalen Kriegen im Rahmen des kalten Kriegs abgerückt und gerne in eine Abhängigkeit von der Führungsposition und Modellfunktion der USA geschlüpft. Amerika bedeute schließlich einen Schutz vor Kommunismus. Bergsträsser musste natürlich auch ein Plädoyer für sein Fach abliefern, und seine vermeintliche Analyse enthält ein Element der apologia pro sua vita. Denn er war maßgeblich an jener politischen reeducation beteiligt, deren Wirkung er nun kleinredet. Und das hat einen tagespolitischen Grund. Er vermutete, böse Zungen, darunter ein führenden Historiker, behaupteten fälschlicherweise, die politische Wissenschaft sei von der Besatzungsmacht als Oktroy eingeführt worden. Ich vermute mal, Bergsträsser meinte mit dem führenden Historiker Gerhard Ritter, der alles darangesetzt hatte, die Berufung des ”Amerikaners Bergsträsser” nach Freiburg zu verhindern. Daher rührt dieser seltsame Satz, dass im Bereich des Politischen keine „Amerikanisierung“ stattgefunden habe.
Eher sei Amerikanisierung in der Wirtschaft vorzufinden. Die USA sei internationales Modell für die Grundsätze des Wirtschaftsliberalismus und dieser sei in allen Industriegesellschaften prägend geworden. Der Marshal Plan als ”wirtschaftliche Kolonisation” und der Dollarimperialismus seien Vorwürfe, die man im Kontext des Kalten Krieges hören könne. Es überwiege jedoch die positive Einstellung zur amerikanischen Wirtschaft – als klare Alternative zum kommunistischen Planwirtschaft. Zudem sei der amerikanische Antikolonialismus, wie er sich gegen England und Frankreich artikuliere, ernst zu nehmen. Wirtschaftsdynamik sei in Amerika von jeher ungehindert gewesen. Seit Friedrich List sei die Gewissheit aktenkundig, “dass die innere Logik der wirtschaftsrationalen Daseinsführung sich dort unmittelbarer und stärker beherrschend durchsetzen konnte” (Bergsträsser 17-18). Hierzulande gäbe es noch zu viele vormoderne meta-ökonomische Daseinsnormen und Traditionsbestände.

Ferner sei auch die Technik als Ort der Amerikanisierung zu nennen. Bergsträsser meint, dass gewisse Aspekte der technischen Amerikanisierung, etwa Automation, keine zweite industrielle Revolution darstellten, sondern diese im Projekt der Moderne inhärent sei. Es sei ein Fehler, im Nachkriegswiederaufbau “Entwicklungen als amerikanisch verursacht zu verstehen, die in Wirklichkeit zur modernen Instustriegesellschaft gehören” in der die USA nun mal führend seien – abgesehen von der Tatsache, dass auch die andere Seite – die Sowjetunion – von instrumenteller Vernunft und Technisierung bestimmt sei.
Der Typus Mensch, dessen geistig-seelische Form die amerikanische Modernität begünstigt, erscheine den deutschen, antimodernistischen Kassandras quasi als Fremder. Genau jene Momente seien aber Hauptgegenstand des gesellschaftlichen und moralischen Krisenbewusstseins der abendländischen Welt überhaupt: Strukturen der Erwerbswirtschaft, Arbeitsleid, Mechanisierung der materiellen Voraussetzungen, Entpersönlichung, einsame Masse etc. Was dem heutigen Leser sofort auffällt, er redet kaum von der Kultur und schon gar nicht von der populären Kultur. Zu dieser Abstinenz des Älteren im Jahre 1962 ließe sich aus meiner damaligen jugendlichen Optik gleich ein ganzes Referat halten.

Zusammengefasst: Amerika wirke als Beschleuniger von Traditionen, die in Europa ihren Ursprung hatten. Die Mechanisierung und Instrumentalisierung der Lebenswelt heben jene Züge in die Sichtbarkeit, die wir bei uns selbst als Teil der modernisierenden Utopie fürchten. Wir suchen in unserem modernisierenden Selbst einen Schuldigen, den wir dann Amerikanisierung nennen. Vor allem die Angst vor den “seelisch-geistigen Wirkungen der Modernität...und vor einem drohenden Persönlichkeitsverlust” als einsame Masse bewege uns. Oberndörfer, Bergsträssers Nachfolger im Arnold Bergsträsser Institut, schreibe zu Recht, dass die Modernität und Modernisierung in den USA intensiver als bei uns durchgesetzt wurde. Daher, so meint er ganz nebenbei, gebe es im Deutschen keine Entsprechung für das amerikanische Wort ”frustration”. Da hat sich was geändert. Wir Deutschen sind inzwischen Weltmeister im Dauerfrust.
“Amerikanisierung erweist sich also immer deutlicher als eine unverständliche und die Wirklichkeit verhüllende Reaktion auf generelle Tendenzen des Kulturwandels der Gegenwart” (Bergsträsser 22). Eine gewisse “vorwissenschaftliche Kulturkritik” liebe diesen pauschalisierenden Vorwurf und lege gleichzeitig ein doppelzüngiges Verhalten an den Tag: Wenn wir uns in falschem Vergangenheitsverständnis romantischer Färbung nach der Geborgenheit der Primärgesellschaft sehnen...wenn wir der Leistungsgesellschaft der Gegenwart und Zukunft die Möglichkeit der Sinnerfüllung abstreiten, weil die Masse der Menschen, die Quantität, den Umschlag in eine schlechtere Qualität des Daseins notwendig herbeiführe – dann täuschen wir uns über die Vergangenheit, über die Gegenwart und über die Zukunft. Wenn wir all dies, wie es oft geschieht, als Amerikanisierung verstehen, dann täuschen wir uns sowohl über die Möglichkeiten in Deutschland wie über die Wirklichkeiten in Amerika. (Bergsträsser 23)

Im Spiegel Amerika könnten wir gerade auch die ”Verschiedenheit der Ursprünge” und Wege, die Deutschland und Amerika ”durch den Kulturwandel in die Modernität” auferlegt sind, begreifen lernen und damit den ”Ort unserer eigenen Freiheit und Verantwortung bestimmen“.
Den Disziplinen aber, die sich gegenseitig ergänzend zu Amerikastudien zusammenfinden, ist darum die Möglichkeit gegeben, ausgehend von Wort und Selbstverständnis der Amerikaner wie von ihrem gesellschaftspolitischen Dasein, auf Wahrheiten zu stoßen, die nicht nur wissenswert, sondern lebenswichtig sind. Je mehr dies geschieht, desto eher wird der Scheinbegriff der Amerikanisierung sich auflösen, es wird die Angst vor ihr verschwinden und mit ihnen wird der pharisäische Klang verstummen, der das Wort heute begleitet. (Bergsträsser 23)

Soweit Bergsträssers Rat an die sich formierende Amerikanistik im Jahre 1962. Es wäre zu fragen, ob sich die Qualität des ”vorwissenschaftlichen Redens” über Amerikanisierung in den letzten vierzig Jahren verbessert hat oder ob auch das heutige, vor allem das populäre journalistische Reden von der Amerikanisierung mehr vertuscht als erhellt. Hier könnte man Bergsträssers caveats durchaus aufgreifen und seinem Rat folgen, dass man das europäische Projekt der Moderne, die Modernisierung, die Säkularisierung, den kulturellen ”modernism”, den technischen Fortschritt und die Westernisierung nicht durcheinanderbringen oder mit einer pauschalen Amerikanisierung verwechseln sollte.

Wo irrt sich Bergsträsser? Sein Wunsch oder seine Prognose, dass diese Debatte bald als eine pharisäische entlarvt und dann sich auflösen werde, ging nicht in Erfüllung. Eine library search ergab allein 30 Bücher, in deutscher Sprache publiziert, die sich von 1990 bis 2000 explizit mit der Amerikanisierung in Deutschland (und Österreich) befassen, darunter wissenschaftliche, halbwissenschaftliche, journalistische und populär-reaktionäre. In der ersten, wissenschaftlichen Kategorie sind vor allem die hervorragenden Arbeiten deutschsprachiger Amerikahistoriker zu nennen, (darunter Mitglieder unserer Gesellschaft), Arbeiten, die auch mehrheitlich in den letzten zehn Jahren entstanden sind: Philip Gassert, Volker Berghahn, Anselm Doering-Manteuffel, Alf Luedtke, Inge Marßolek, Adelheid von Saldern, Reinhold Wagnleitner, Axel Schildt und Jessica Gienow Hecht sind zu nennen. Die von Ursula Lehmkuhl, Stefanie Schneider und Frank Schumacher herausgegebene Broschüre Erfurter Beiträge führt allein 120 Titel zur Amerikanisierung und Westintegration (Lehmkuhl, 2000). Es gibt eine lesenswerte Sondernummer des Merkur, dann jede Menge weiterer Sondernummern internationaler Zeitschriften – etwa Le Monde Diplomatique und Diplomatic History. Das Thema der Amerikanisierung hatte war zwar von 1962 bis etwa 1989 on the backburner des öffentlichen Interesses ausgeharrt, hat dann aber seit 1990 eine erhebliche akademische Renaissance erfahren. Diese Tatsache straft Bergsträsser gleich doppelt Lügen. Denn es ist gerade die politische Frage, die einen ganz neuen Diskurs über die Amerikanisierung oft überlappend mit Globalisierung hörbar werden lässt. Und ein weiteres Element kommt hinzu: Trotz der vielfach beschworenen Fundamentalliberalisierung der deutschen und europäischen politischen Institutionen bleibt ein Schatten, ein ganz neuer und jetzt europaweiter Anti-Amerikanismus mit einer starken westlichen und östlichen Flanke, der vor allem auf der europäischen Rechten und ehemaligen alten Linken neuen Zulauf erhält. Ich möchte jetzt einen Blick auf die Rhetorik des neuen Anti-Amerikanismus in Europa lenken, diesen sozusagen als Verstärkungsbarometer einer neuen sich verändernden Stimmung, die sich aus dem Arsenal alter rechter wie linker Vorbehalte gegen Amerika bedient. Erlauben Sie mir also, jetzt den Fokus unserer Aufmerksamkeit von der Amerikanisierung auf den Antiamerikanismus zu lenken.2)

Kritische Einstellungen zu den USA sind bei der alten und neuen Linken, in der politischen Mitte wie auch in den konservativen Eliten in Deutschland und Europa weit verbreitet. Welche Amerika zugeschriebenen Eigenarten provozieren diese deutsche Kritik? Hier ist meine vorläufige, spontan zusammengestellte Liste: Die unipolare Hegemonie der USA, die Verschwendung globaler Ressourcen und die Zurückhaltung bei internationalen Abmachungen, die Vermassung der Kultur und der Mangel an ”echter” Tradition, der Primat des (privaten) Marktes vor der (öffentlichen) Politik, die Politik als Spektakel, das politische Gewicht der fundamentalistischen Religionen, das Festhalten an der Todesstrafe, der strukturelle Rassismus, die innerstädtische Violenz, die Macht der Waffenlobby und des militärisch-industriellen Komplexes, das manichäische Rechtsempfinden, Differenzen in der Wirtschaftsethik, die Selbstverständlichkeit, mit der die CIA und ihre Spionageeinrichtungen (Echelon) international operieren, das genetisch manipulierte Frankenfood und der Glaube, dass erlaubt ist, was technisch machbar ist (Gentechnik), und immer wieder die Paarung von robustem Materialismus mit moralischer Heuchelei – die Latte der Sünden ließe sich je nach Publikum und Medium spontan verlängern, wie etwa ein Blick in Le Monde Diplomatique (Mai 2000) oder die Artikelserien zu dieser Thematik in den deutschen Tageszeitungen (FAZ, SZ) beweisen. Was jedoch diese weitverbreitete und en detail durchaus berechtigte Kritik an Amerika vom rechten Antiamerikanismus unterscheiden sollte, das ist der Glaube an die Problemlösungskapazität und an die Selbstheilungskräfte der liberalen Demokratie, also der Glaube an die Fundamentalliberalisierung der Welt und an die globale Zukunft des liberalen Systems. Doch kaum hat man diesen Satz geschrieben, stellen sich Zweifel ein, ob der Glaube an die amerikanische Version der liberalen Demokratie im vereinigten Deutschland oder in der Welt, zumal der islamischen Welt, noch in dieser Eindeutigkeit existiert. Und in einer zweiten Welle von Zweifeln drängt sich die zusätzliche Frage auf, ob dieser Glaube an den Fundamentalliberalismus je tief verwurzelt war. Denn die Vorbehalte gegen den amerikanischen Liberalismus haben eine alte Tradition, die von de Maistre über Carl Schmitt bis zu den amerikanischen Kommunitaristen reicht. Die heutigen Reaktionen auf die von Amerika angeführte Globalisierung und Modernisierung sind durch den Verstärker rechter Rhetorik lediglich lauter geworden. Denn auf die Globalisierung reagiert ein neuer Lokalismus, der alte Ressentiments gegen Kosmopolitismus und Liberalismus wieder zum Vorschein bringt. Der ”lange Weg nach Westen” - so betitelt Heinrich Winkler seine deutsche Geschichte - war immer schon mit stereotypen Ressentiments gepflastert, deren narrative Stabilität bemerkenswert ist. In diesen antiamerikanischen Geschichten überlagern sich antiwestliche, antimoderne, antitechnische und antiliberale Motive.

Narrative Stereotypen und Denkfiguren: Fortschritt oder Degeneration?

Zunächst sei auf zwei Denkfiguren hingewiesen, die bis heute ebenso hartnäckig wie prägend auf die Diskurse zur Amerikanisierung einwirken. Die eine Seite der europäischen Projektionen geht davon aus, dass eine welthistorische Evolution von Osten nach Westen stattgefunden habe. ”Westward the course of empire takes its way” beginnt Bischof Berkeley (1684-1753) sein Gedicht über Amerika. Sein Bild von der nach Westen fortschreitenden translatio imperii wurde von Schelling aufgegriffen und von Simmel bestätigt. Im gleichen Zeitrahmen, also seit dem 18. Jahrhundert, wuchs eine gegenläufige, europäische Fantasie heran, welche die Neue Welt als einen furchtbaren Niedergang begreift. Beide Denkfiguren, Amerika als Modell des (eher technischen) Fortschritts und Amerika als Symptom des (eher kulturellen) Niederganges, stabilisierten sich gegenseitig in einer manichäischen ”killer opposition”, aber sie überkreuzen sich neuerlich und treten besonders grell in der Globalisierungsdebatte wieder in Erscheinung. Die These des von Amerika ausgelösten Niedergangs wurde zuerst von Comte Buffon formuliert (in Church 1936, Ceaser 1997). Die physiokratische Grundidee war einfach: die geographischen und klimatischen Bedingungen der neuen Welt seien für die Evolution aller Spezies schädlich gewesen. Zum Beweis seiner These verwies er auf den Kleinwuchs der Indianer, auf ihre Anfälligkeit für Krankheiten, gegen die die Europäer immun waren, und auf die bizarren Tierarten (Armadillo, Llama, Faultier). Zum Dogma wurde die Degenerationshypothese durch die populäre Streitschrift Recherches philosophiques sur les Américains (Berlin 1768) von Cornelius de Pauw, einem holländischen Geistlichen, der in Xanten tätig war. Friedrich der Große lud ihn nach Sanssouci ein in der Hoffnung, de Pauws Schreckensbild von der Neuen Welt würde die Bürger Preußens vom Auswandern abhalten. De Pauw setzte noch eins drauf: Pflanzen und Tiere, die man von Europa nach Amerika verpflanzen wolle, würden statt zu akkulturieren nur noch degenerieren. Kreolische Hunde seien nicht nur hässlicher als ihre europäischen Vorfahren, sondern würden auch das Bellen verlernen. Thomas Jefferson, der die physiokratische Leitidee seiner französischen Lehrer im Rahmen seiner eigenen Rassentheorie durchaus ernst nahm, ärgerte sich gleichwohl über diese Anwendung und verfasste seine Notes on the State of Virginia als eine explizite Widerlegung der Degenerationsthese. Als Beweis dafür, dass das amerikanische Klima sehr wohl große und kräftige Tiere hervorbringen könne, schickte er Buffon die Knochen eines Elchbullen. Alexander Hamilton, der sich als karibischer Kreole persönlich beleidigt fühlen musste, reagierte in den Federalist Papers auf die Unterstellungen des holländischen Priesters zunächst mit Hohn, aber dann auch mit ernsten Argumenten. Somit sind zwei zentrale politische Dokumente der amerikanischen Gründerzeit aus der Widerlegung der Degenerationsthese hervorgegangen. Man möchte meinen, dass eine derart fragwürdige These kaum eine Überlebenschance gehabt hätte. Doch sie ist bis heute nicht nur lebendig, sondern hat vielfältige Transformationen erlebt. 3)

Während sie im späten 18. Jahrhundert als physiokratisches Argument, das von einer zutiefst gestörten amerikanischen Natur ausging, begann, fand im frühen 19. Jahrhundert eine subtile Übertragung von Natur auf Bildung statt, später, zur Mitte des Jahrhunderts, auf Rasse und Geschlecht. Danach legte sich die metaphorische Unterstellung über die Kultur, in den zwanziger und dreißiger Jahren über die Sozial- und Wirtschaftsstruktur und schließlich auf das liberale politische System tout court. Die Grundthese änderte sich nicht, es fand nur eine ständige Verschiebung oder Metaphorisierung statt. Man sollte daran erinnern, dass diese Angst vor dem Niedergang nicht nur die Antiamerikaner in Europa beflügelte, sondern auch die inneramerikanischen Selbstzweifel nährte. Dies wurde besonders im Kontext der Rassenpolitik und der nativistischen Vorbehalte gegen die ”Anderen” deutlich. Warnungen vor einer Mongrelisierung oder Bastardisierung durch Rassenvermischung wurden zur Zeit des Bürgerkriegs lauter und führten zu einem Aufblühen der Eugenik im späten 19ten Jahrhundert. Residuen dieser Furcht tauchen in der Vorhersage auf, dass das demographische Profil der USA in Kürze von ”weiß nach braun kippt”. Das projizierte Datum des traumatischen ”Kippens” hängt weniger von der demographischen Evidenz als vom Grad der rassischen Paranoia ab. Im neunzehnten Jahrhundert gesellte sich eine zweite Furcht zur Degeneration dazu, die der Verweiblichung. Als Gegenmaßnahme entstanden in den USA die Mannbarkeitsriten der 1890er Jahre, aus denen der Western und der Marlboro Man hervorgegangen sind. Im gleichen Zeitraum entfaltet sich die von Ann Douglas sogenannte Feminisierung der amerikanischen Kultur. Den Ursprung dieser Angst, dass die koloniale Situation die Menschen ”kreolisieren” und ”feminisieren” würde, kann man schon früher in den Zentren der Kolonialmächte, in London, Paris und Madrid ausmachen. Der Däne Elias Chr. van Haven warnte schon 1792 vor der Wirkung neuer Kolonialwaren, die unausweichlich zur Verweichlichung führen müssten (Bodker 1998). Die Begleitmusik wurde von Mozart als Kanon publikumswirksam mitgeliefert: ”C A F F E E trink nicht zuviel Kaffee ... schwächt die Nerven, macht dich blaß und krank.” Diese Vorstellung der Verweichlichung übertrug sich auf das liberale Projekt der neuen Welt, was in zahllosen Berichten deutscher Reisender in den USA immer wieder anklingt. Heute erlebt diese Furcht eine Renaissance auf der radikalen Rechten, in Deutschland wie in Amerika. Der rechtsradikale Guru William Pierce, der unter dem Pseudonym Andrew MacDonald jene notorischen Turner Diaries verfasste, die Timothy McVeigh inspirierten, das Federal Building in Oklahoma in die Luft zu jagen, schreibt dort, dass der Liberalismus amerikanischer Machart ”weiblich und weich” sei. Pierce pflegt seine Kontakte zur NPD, wie er in einem ZDF-Bericht freimütig zugibt (Pierce 1996). Rolf Winter sekundiert mit Carl Schmitts Originalton, wenn er den amerikanischen Liberalismus ”ordnungsunfähig” nennt, wobei man ihm die Meinung unterstellen darf, dass Ordnung wohl eher männlich und hierarchisch sei. In der Weimarer Republik machten Mitglieder des preußischen Landtags, allesamt männlich, vehement Front gegen die ”amerikanische Girlkultur”, warnten aber auch vor einer ”allgemeinen Informalisierung der Geisteskultur” der Deutschen (Lüdtke u.a. 1996). Auch der neue, rechte Nationalismus inszeniert sich mit Vorliebe über Rituale der Männlichkeit.

Rückkehr des volkstümlichen Antiamerikanismus.

Die Degenerationsthese klingt besonders stark im volkstümlichen Antiamerikanismus wieder an. Cocakolonisierung und McDonaldisierung sind geflügelte Worte, EuroDisney wurde von französischen Intellektuellen als ”kulturelles Tschernobyl” bewertet. ”Wir wollen keine Ellbogengesellschaft, wir wollen keine McJobs in Europa” – sind bekannte Soundbites zur Abwehr der dem amerikanischen (Neo)Liberalismus angelasteten kulturellen und wirtschaftlichen Degeneration. Die Denkfigur des Niedergangs der Zivilgesellschaft wird aber auch in der inneramerikanischen, kommunitaristischen Kritik am Liberalismus deutlich, und Amerika wird überschwemmt von Jeremiaden mit Titeln wie The Disuniting of America, The Closing of the American Mind, The Culture of Narcissism, The Trashing of America und Bowling Alone, die allesamt auf der Bestsellerliste der New York Times landen. In den USA stellen diese Niedergangsdiskurse beileibe keine Kritik am System dar, sondern sind ein Mobilisierungsinstrument, um die Reformbereitschaft wach zu halten. Diese Art der Rhetorik ist daher fester Bestandteil des Diskursalltags. Außerhalb der USA wird sie oft missverstanden als Bestätigung des welthistorischen Irrtums bei seiner Gründung (Ostendorf 1996). Die Degenerationsthese ist allenthalben nachweisbar. Sie hat ihre Spuren im Diskurs der Arbeitswelt hinterlassen. Unzählig sind die Bücher, die vor der Dehumanisierung der Arbeit durch amerikanischen Taylorismus und Fordismus gewarnt haben. Bis in die populäre Kultur kann man diese Spur verfolgen mit Filmen wie Metropolis oder Modern Times. Die gleiche Niedergangsparabolik erscheint in der Stakeholder vs. Shareholder Debatte. Die Globalisierung führt uns in die amerikanische Falle, in einen ”false dawn” (Gray 1998) – weg von sinnvoller Qualitätsarbeit hin zu einer Welt des McWork. Wurde nicht bereits die Bundespost durch McPaper privatisiert? Nun sind diese narrativen Muster keineswegs exklusiv rechts. Auffallend jedoch ist, dass man in der deutschen Rechten die alten Degenerationsargumente von Buffon über Schmitt bis zu den neokonservativen Amerikanern in einer erstaunlichen Reinkultur vorfinden kann, etwa in Rolf Winters Buch von 1995 Little Amerika. Die Amerikanisierung der deutschen Republik, oder in Gustav Sichelschmidts Deutschland eine amerikanische Provinz. Der große Seelenmord, aus dem Jahr 1996, vor allem aber in den Auslassungen von Horst Mahler.

Die deutsche und die internationale Rechte nutzen nun die Grauzone dieses wieder anschwellenden Zweifels, vor allem in den durch die Verwerfungen der Globalisierung hervorgerufenen subkulturellen Nischen der Republik, um den Glauben an die liberalen Bausteine der Demokratie weiter zu durchlöchern. Durch Instrumentalisierung einer breitgefächerten antiamerikanischen Stimmung versucht sie, Gehör und Legitimität zu gewinnen und gleichzeitig die ad-hoc-Kritik soweit zu bündeln, bis daraus eine grundsätzliche Ablehnung einer liberalen Gesellschaftsordnung geschnürt werden kann. Das Ende des Kalten Krieges stellte hierbei eine Art Wasserscheide dar (Schmiese 2000). Danach sind die Aussagen über einen rechten Antiamerikanismus komplizierter geworden. Die Begriffe ”rechts” und ”Antiamerikanismus” und ihre Beziehung zueinander sind in Bewegung geraten, und die Ränder jener Gruppen, die so etikettiert werden, werden unschärfer. Die Internet-Revolution hat diesen Tatbestand insofern beschleunigt, als sie der Rechten neue Organisations- und Darstellungsformen ermöglicht, die ihre Erfassung und ihre Bekämpfung erschweren.

Das politische Kräftefeld, das den Begriffen und Gruppen vordem ihre scharfen Konturen gab, ist nach 1990 eingebrochen, und dies hat vier Veränderungen nach sich gezogen: Erstens sind die USA heute in der Tat der einzige globale Hegemon in einer unipolaren Welt. Nach dem Zusammenbruch der politischen Ordnung des Kalten Krieges (balance of power) äußerte sich der Führungsanspruch der USA als unilaterales Vorgehen bei internationalen Krisen wie im Kosovo und in Somalia oder im Ausscheren aus internationalen Abmachungen (Kyoto, Landminen, UNO). Ein außenpolitisch motivierter Antiamerikanismus ist seitdem in ganz Europa, aber auch in der arabischen Welt, in Rußland und China vernehmbar geworden (Schütz 1999, Rodman 2000, Isbell 1998, Gedmin 2000). Zweitens kam der europäischen Rechten und Linken nach 1990 der Kommunismus als moralische und ideologische Orientierung abhanden. Amerika wurde sowohl zum positiven als auch zum negativen Maßstab der Modernisierung und zum alleinigen Sündenbock, dem man die Schuld für welthistorische Fehlentwicklungen zuweisen konnte. Drittens bewegen sich auf einer tiefen Ebene der nationalen Identität kulturell motivierte Ressentiments linker und rechter Provenienz gegenüber dem einzigen Feindbild, dem amerikanischen Liberalismus, aufeinander zu. Gemeinsamer Nenner ist der oben erwähnte kulturnationale Vorbehalt mit einer langen Vorgeschichte, der nach dem Ende des Kalten Krieges neue Brücken zwischen der klassischen Rechten und Linken schlagen konnte. Im Maße der Dynamik, die das amerikanische neoliberale Modell in den letzten zehn Jahren entfaltet hat, melden sich alle alten, grundsätzlicheren Vorbehalte gegen das amerikanische Experiment, die von 1789 bis 1933 das Amerikabild der Europäer geprägt hatten, zurück. Dieser reaktionäre, kulturnationalistische Antiamerikanismus gibt damit auch der Kritik an politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen ”Sünden” der USA, die nicht nur in rechten Milieus abrufbar ist, einen neuen Nährboden. Viertens ist aus der Sicht vieler Nichtamerikaner die derzeitige Globalisierung eine verkappte Amerikanisierung, die nach der Meinung (nicht nur) rechter Kreise eine Kolonisierung Deutschlands oder Europas nach sich zieht. Der anschwellende Bocksgesang, der die Festung Deutschland (oder Europa) vor dem Niedergang durch Nachahmung der Grundirrtümer der amerikanischen Revolution bewahren will, hat in einer diffusen und ambivalenten politischen Mitte erhebliche Stimmen dazugewonnen.

Die breiten Wurzeln des Antiliberalismus

Der umfassendste theoretische Rahmen für eine Analyse des rechten Antiamerikanismus wäre mit einer Anatomie des Antiliberalismus (Holmes 1993) und mit einer Geschichte der Ablehnung der politischen Aufklärung (Bollenbeck 1999) zu leisten. Die neuen Rechten verbindet eine grundsätzliche Ablehnung der Werte und Prinzipien der liberalen Zivilgesellschaft, wie sie von Amerika in hochentwickelter Form repräsentiert wird. Der kulturnationalistische Unterboden dieser Ablehnung ist über 200 Jahre alt und keineswegs auf die Rechte beschränkt (Bollenbeck 1999). Daher greift die Diagnose antiliberaler Einstellungen für eine Definition des ”rechten Antiamerikanismus” zu kurz. Denn neben jenen Gruppen und den sogenannten "Einzeltätern", die ihren Antiliberalismus in rechtsextreme Praxis umsetzen und damit ins Visier der Strafverfolgung geraten, gibt es weit verbreitete antiliberale Stimmungen in Deutschland, vor allem in der Definition der Staatsangehörigkeit, die weniger leicht fassbar sind und die gerne von Politikern der vielbeschworenen Mitte mobilisiert werden – übrigens zunehmend auch in Europa. Der völkisch definierte antiliberale Nationalismus und sein wichtigstes Instrument, der Rassismus, können in vielen politischen, philosophischen und gesellschaftlichen Kontexten, die politisch ”mittig” angesiedelt sind oder sich in einer ideologisch ambivalenten Grauzone aufhalten, gefunden werden (Mehrländer 1999,43).
Dieser gebremste Rassismus wurde von der ebenso verbreiteten wie falschen Annahme, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei, genährt. Trotz der nachweislichen Integration der “ausländischen Mitbürger” blieb diese kognitive Sperre wirksam (Bade, 2000). Politische Parolen wie ”Kinder statt Inder”, die Kampagne der hessischen CDU zur Doppelstaatsbürgerschaft, der Vorschlag der CSU, Einwanderer in nützliche und schädliche einzuteilen, und das missverständliche Wort von der deutschen Leitkultur haben für die Stabilisierung einer fremdenfeindlichen Abgrenzung gesorgt, die es den Rechtsradikalen erlauben, sich als Vollstrecker eines unartikulierten Volkswillens zu verstehen. Selbst der neue Wirtschaftskosmopolitismus, der in den Reihen der großen Volksparteien einen begrüßenswerten Wandel in der Einstellung zur Einwanderung hervorgerufen hat, hat einen problematischen Unterboden. Denn es sind gerade nicht die moralischen Prinzipien einer liberalen Zivilgesellschaft, die als Argumente wirksam eingesetzt werden, sondern die Drohung mit dem wirtschaftlichen oder außenpolitischen Schaden. ”Was soll das Ausland von uns denken”, warnt Joschka Fischer, und Vertreter der Industrie weisen auf gravierende Konsequenzen für den Außenhandel hin. Angesprochen wird nicht ein ziviler, sondern in den Worten Habermas‘ ein DM-Nationalismus, der nur mit der Warnung vor wirtschaftlichen Einbußen oder Imageverlusten im Ausland beeindruckbar ist. Dass nur solche Appelle zu wirken scheinen, lässt die Vermutung zu, dass die bürgerrechtliche Moral immer noch ”außengeleitet” ist und unsere politischen Klasse erhebliche Zweifel gegenüber der zivilrechtlichen Souveränität ihres Wahlvolks hegt. Jene liberale, zivilgesellschaftliche Souveränität des citoyen, die eine ethnozentrische Grundstimmung mit ihrer Fremdenfeindlichkeit ”aus prinzipieller Überzeugung” verurteilt, bleibt offensichtlich flach verwurzelt und bedarf der Stützung von außen. Die ”kosmopolitische” Klasse in Deutschland, die die wirtschaftliche Notwendigkeit der Einwanderung eingesehen hat, wird Gottseidank größer, aber damit werden die kulturellen und xenophobischen Vorbehalte gegen den ethnischen Pluralismus nur auf eine sekundäre Ebene verdrängt, nicht restlos abgebaut. Für das randständige Potential der Rechten oder für die strukturschwachen Milieus Ostdeutschlands ist das Argument des ”Schadens für den Standort Deutschland” wenig stichhaltig, da sie bereits im Schatten des zu schützenden Wohlstands stehen. Weiter haben in der DDR jene kulturnationalistischen Wertbestände, die der SED-Herrschaft zum Systemerhalt dienten, im tiefgefrorenen Zustand überlebt (Willms 2000,13). Abweichende soziale Fermente, die eine Auflösung dieser homogeneren Milieus hätten bewerkstelligen können, entzogen sich durch Flucht in den Westen. Das konnte auch die Währungsunion nicht verhindern (Noé 2000). Damit hat in den ostdeutschen Provinzen eine Art zivilgesellschaftliche Negativauslese und eine Stabilisierung kulturnationaler Milieus stattgefunden. Für Letztere wurde nach der Wende die Vorfreude auf das ”eine Volk” von der Bedrohung des ”multiethnischen Pluralismus” getrübt. Diese post-DDR-Milieus stellen in den Worten von Hellmuth Plessner eine doppelt verspätete Nation dar.4) In dieser Situation verleitet der Tunnelblick der deutschen Innenminister auf Extremismus zu einer Verkennung der Lage. Ebensowenig trifft die Einzeltäterthese diverser ostdeutscher Ministerpräsidenten zu. Denn beide blenden eine Tatsache aus, die sogar von der PDS-Führung verstanden wird, dass nämlich, in den Worten Lothar Biskys, die fremdenfeindlichen Skins von braven Bürgern unterstützt werden (Rammelsberger 2000,12). Auch die Bekämpfungsstrategien sind nicht unproblematisch. Bereits der Radikalenerlass machte deutlich, dass die deutsche politische Klasse nervös auf die Gefährdung des liberalen Rechtsstaats reagierte, vor allem wenn die Gefahr von Links kam, und schnell bereit war, seinen Erhalt mit dem Entzug der Grundrechte, also mit antiliberalen Mitteln zu sichern. Ein Verbot der NPD wäre eine solche Maßnahme, die den Teufel mit Belzebub austreiben möchte. In diesem Zusammenhang ist es für den Vergleich der Zivilgesellschaft in den USA und Deutschland bezeichnend, dass die extreme Rechte in den USA, die mindestens ebenso viele Rechtsbrüche auf dem Kerbholz hat wie die unsrige, nicht nur die Grundrechte des First Amendment wahrnimmt und verteidigt, sondern auch noch ihren Gesinnungsgenossen aus dem Ausland eine “liberale” Zuflucht bieten kann. Die Ironie dieser Situation hat ihren Grund: In den USA können Grundrechte nur entzogen werden, wenn eine akute Gefahr (a clear and present danger) besteht. Gerade die ersten und zweiten Zusätze zur amerikanischen Verfassung werden von der dortigen Rechten als “ihre bürgerlichen Besitzstände” verteidigt. In rechten chat groups in den USA findet eine aktive Diskussion zum rights talk statt, die durchaus verfassungspatriotische Züge hat. In dieser ambivalenten Gemengelage werden die Argumentationsstrategien des rechten Antiamerikanismus dreifach stabilisiert. Einmal aus einer deutschen historisch-nostalgischen Erinnerung, die nicht nur bemerkenswerte Familienähnlichkeiten mit der Kritik der alten Linken am Liberalismus hat, sondern auch mit bürgerlich-konservativen und deutschnationalen Vorbehalten, die gerne die Argumente der konservativen Revolution der Weimarer Zeit aufleben lassen. Zweitens berufen sich Autoren der neuen Rechten ebenso auf den internationalen antiamerikanischen Konsens. Drittens wird noch lieber und mit erhöhter Aufmerksamkeit von einigen besser informierten, rechten Kreisen die Liberalismuskritik der amerikanischen jeremiadischen Tradition zur Kenntnis genommen (Winter 1995, Sichelschmidt 1996). Diese inneramerikanische Selbstkritik verschafft der rechten Ablehnung Amerikas weitere Glaubwürdigkeit. Über diese kommunitaristische und poststrukturalistische Kritik an der Aufklärung hat der rechte Antiamerikanismus wieder eine gewisse philosophische und welthistorische Metaqualität erreicht, er wird zusehends intellektueller.

Dies entspricht der Intention der rechten Theorieklasse um Ernst Nolte oder Armin Mohler, die sich vom Parteiengezänk und rechtsextremen Aktionismus distanziert hat und neue Koalitionen in der Mitte sucht. In diesem Prozess spielt die neue intellektuelle Rechte um die Staatsbriefe oder die Junge Freiheit eine wichtige Rolle, denn sie hat eine Art Scharnierfunktion, die die vielfältige Formen des Antiamerikanismus und seiner historischen Ätiologien nicht nur bündelt, sondern metapolitisch und theoretisch aufbereitet, ohne direkten Bezug auf die Alltagspolitik oder auf rechtsradikale Umtriebe nehmen zu müssen.

Außenpolitischer Antiamerikanismus

Aus der defensiven Optik einer welthistorischen Besorgnis heraus stellte kurz vor seinem Tode Senator Alain Peyrefitte, der General de Gaulle als Minister diente, im Figaro (15.4. 1999) die Forderung nach einer europäischen Monroe-Doktrin, um die ”Hypermacht” USA daran zu hindern, von Europa Besitz zu ergreifen und sich in die Angelegenheiten des Altkontinents einzumischen, eine Meinung, die der sozialistische Außenminister Vedrine anderenorts ähnlich formulierte. Klaus Harprecht und Peter Rodman führen die Wiederbelebung dieses außenpolitischen Antiamerikanismus in erster Linie auf das Gefühl der europäischen Schwäche gegenüber dem nach 1989 einzigen Hegemon der Weltpolitik zurück (Harprecht 1999, Rodman 2000; Ramonet 2000). Dass Harprechts altlinke Rechtenschelte ausgerechnet im Manager Magazin Online erschienen ist, macht die ideologische Verortung seiner Intervention nicht leichter. Die Selbstverständlichkeit, mit der die USA seit 1989 in der Wahrnehmung ihrer Interessen weltweit vorgehen können, hat in der Tat diesen globalen Antiamerikanismus beflügelt. Selbst bürgerliche Zeitungen schreiben vom ”amerikanischen Rambo” und kündigen die devote Pose der Dankbarkeit gegenüber dem Retter Amerika auf. Das Time Magazine rang sich eine Sondernummer über ”America as a global bully” ab, die aber pikanterweise nur in Europa ausgeliefert wurde. ”We’re America, get out of the way” parodiert der International Herald Tribune diese irritierende Haltung (Dowd, 2001). Die unilaterale Versuchung und die weltweite Reaktion darauf lassen sich aus dem Ende der balance-of-power Logik erklären (Heisbourg 1999-2000). Nachdem die Sowjetunion als ideologischer Gegner weggefallen war, pendelte die Gestaltung der amerikanischen Außenpolitik nicht mehr zwischen den Optionen Isolationismus oder Internationalismus, Aufrüstung oder Detente hin und her. Heute müssen sich Präsident und Kongress lediglich die Frage stellen, ob bei internationalen Krisen ein unilaterales oder multilaterales Vorgehen innenpolitisch leichter durchsetzbar ist. Denn die Gestaltung der Außenpolitik der USA wird nach Ende des Kalten Kriegs mehr denn je vom Kräftefeld ihrer Innenpolitik gesteuert. Daher schlägt sich auch der innenpolitisch dominante Exzeptionalismus außenpolitisch als missionarischer Unilateralismus nieder. Von Europa aus wird dieses Selbstverständnis der USA als globale city upon a hill und als moralische oder gar rechtliche Instanz zusehends kritischer kommentiert oder gar als Heuchelei ”entlarvt”. Die Fremdbestimmung der globalen Außenpolitik durch die innenpolitischen Prioritäten im amerikanischen Kongress, die für Europäer oft undurchschaubar bleiben, und der unilaterale Führungsanspruch der USA sind die Ursachen für eine Neuorientierung der Einstellungen zu Amerika. Doch hier liegt ein zentrales Problem: Sie erklären ebenso schlüssig die Irritationen im nichtrechten Lager, und das erschwert eine eindeutige Trennung zwischen einem rechten Antiamerikanismus und der berechtigten Kritik an Amerika.

Geopolitische Festung Europa

Eine Variante der nationalen Wagenburg stellt der neu entstehende Schulterschluss der europäischen Rechten dar. Ein europäischer ”Nationalismus” hat sich vor allem auf Amerikas Rolle als Weltpolizist eingeschossen, attackiert den Exzeptionalismus und den Anspruch, Gottes eigenes Land zu vertreten. Das einigende Element ist also nicht sosehr eine genuin europäische Plattform, sondern das Ressentiment gegen Amerika. Europa müsse aus der politischen Kolonisierung Amerikas befreit werden, argumentieren deutsche und französische Vertreter im europäischen Parlament. Die europäische Rechte kritisiert die Amerikanisierung der europäischen Innenpolitik mittels Rückgriff auf eine Interpretation von Menschenrechten, die die USA von Europäern fordere, im eigenen Lande sträflich verletze (Schiedel 1999).5)
Die europäische Rechte zitiert gerne Carl Schmitts Forderung nach einer kontinentalen Unabhängigkeit. Der Zeitpunkt ist nicht unwichtig. Carl Schmitt hatte 1939 eine ”völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte” verlangt, also eine Monroe-Doktrin zum Schutz der Interessen des deutschen Faschismus. In diesem Sinne diskutieren rechte Vertreter aus Deutschland und Österreich im europäischen Parlament eine Neuzeichnung der Grenzen Europas und votieren für einen Wandel der Orientierung von Westen nach Osten: Mitteleuropa und Zwischeneuropa, Begriffe, die nur unzureichend die Vorstellung eines Großdeutschlands bändigen, seien gegen den Liberalismus und Individualismus amerikanischer Prägung zu schützen. Typischerweise sehen die europäischen Rechten eine Erneuerung eher im nationalistischen Osten, weil sie vom amerikanisch dominierten Westen eine allzu rapide Modernisierung, den Zerfall der lokalen Traditionen und vor allem die Aufhebung der nationalen Regionen mittels Globalisierung fürchten. Zudem gibt es eine Familienähnlichkeit mit den Grundpositionen der neuen russischen Rechten, deren Antiamerikanismus sprichwörtlich geworden ist.

Sündenbock Amerika

Wichtig scheint mir ein weiterer Grund: Vor der Ära Gorbatschow waren im Koordinatensystem der deutschen Politik die USA als Gegengewicht zur Sowjetunion schlichtweg unverzichtbar gewesen. Konsequenterweise hatte das bürgerliche Lager bis 1990 seinen kulturellen Antiamerikanismus unterdrückt. Nach Wegfall der Sowjetunion als ”Reich des Bösen” wurde die im Rahmen des Kalten Krieges politisch-instrumentelle Legitimation des amerikanischen Internationalismus entbehrlich. Nun wurden die kulturellen Vorbehalte des bürgerlichen und rechten Spektrums gegenüber der amerikanischen Zivilgesellschaft wieder laut und erhielten ihre älteren politischen Begründungen zurück, die von Comte de Buffon, Joseph de Maistre, von der konservativen Revolution der Weimarer Republik vorformuliert worden waren (Herzinger/Stein 1995, Meuter 1996). Es ist ebenso erschreckend wie interessant, wie stabil die narrativen und rhetorischen Muster geblieben sind und wie stark sie das alltägliche Reden der Deutschen über Amerika bestimmen. Das Modell Amerika stellt heute den einzigen Maßstab dar, an dem sich nicht nur die proamerikanischen Modernisierer, sondern vor allem auch die Verteidiger des europäischen Abendlandes orientieren. In der Tat ist der Einfluss der USA allenthalben stärker geworden. Ob es sich um die Universitätsreform, um den Primat der MBA-beschleunigten ”New Economy”, um die Management-Revolution, um den Siegeszug einer populären Kultur oder um die Umwälzungen im Internet handelt, Amerika geht mit dem Beispiel voran, das die einen erfreulich, die anderen bedrohlich finden, ganz im Sinne der binären Sortierung Umberto Ecos, der die dramatis personae im Drama der Modernisierung in Apokalyptiker und Integrierte teilt. Im Maße der neuen Entwicklungsdynamik erhielten der Diskurs über und die Furcht vor der Amerikanisierung Deutschlands und Europas nach 1989 erheblichen Auftrieb: Amerika als Traum oder Alptraum, als leuchtendes Modell oder abschreckendes Beispiel, diese Frage beschäftigt eine Vielzahl von neuen Publikationen zur Amerikanisierung (Ostendorf 1999). Hierbei kommt es in Deutschland zu interessanten neokonservativen Differenzierungen in der Haltung zur Amerika: Je nach Interessenlage kann eine positive Bewertung der wirtschaftlichen oder der technischen mit einer leidenschaftlichen Ablehnung der gesellschaftlichen oder kulturellen Amerikanisierung einhergehen, wie es etwa das bayerische Motto ”Laptop und Lederhosen” andeutet. Zudem hat die ältere Niedergangsrhetorik wieder Auftrieb bekommen. Denn in dieser Periode des rapiden Wandels sind die Verluste erheblich leichter zu bilanzieren als potentielle und noch nicht realisierte Gewinne. Es ist vor allem die neuerliche Dynamik in der Globalisierung der Finanzen, der Märkte, der Politik, der Erziehungssysteme und der populären Kultur, die die Positionen rechter und linker Gesinnung in Aufregung versetzt. Die Tatsache, dass sich in dieser Alarmstimmung Ängste leicht abrufen lassen, spielt bei der politischen Instrumentalisierung des Antiamerikanismus durch den europaweit wachsenden Rechtspopulismus eine erhebliche Rolle.

Rinks und Lechts sind leicht zu velwechsern

Vordem linke und rechte Positionen haben sich in dem neuerlichen Aufleben alter Ressentiments gegenüber Amerika hoffnungslos vermischt (Herzinger 1999). Zwischen der leninistischen Linken und hegelianischen neuen Rechten in Deutschland zeichnen sich antiamerikanische Koalitionen ab, wie auch in Frankreich zwischen der Kommunistischen Partei, Roger Garaudy und Alain de Benoist. Der Ex-SDSler und jetzige Parteigänger der Rechten, Reinhold Oberlercher, nennt sich in einem bemerkenswerten historischen Spagat einen Nationalmarxisten. Der RAF-Anwalt Horst Mahler entpuppt sich nach Entledigung seiner ”Irrtümer” als deutschnationaler Rechtshegelianer und als Apologet der rechten, subkulturellen Szene, deren Nähe er sucht. Bernd Rabehl, vormaliger Berliner Chef des SDS, identifiziert als größten Irrtum der 68er Führungsschicht, dass sie trotz eines politischen Antiamerikanismus durch die Inszenierung ihres Protests die Westintegration und damit die Amerikanisierung Westdeutschlands vorwärts getrieben habe. ”Wir waren die nützlichen Idioten” (Müller 1998). Die Demontage der alten nationalen Eliten (”Unter den Talaren der Muff von Tausend Jahren”) und ihrer Sekundärtugenden wie Pflicht, Treue, Ehre, Gehorsam, so Rabehl, habe der reeducation der Amerikaner erlaubt, diese Leerstellen zu füllen. Die radikalen 68er seien dummerweise der amerikanischen Protestkultur und ihren Forderungen nach Solidarität, Emanzipation, Individualismus, Graswurzeldemokratie und Hedonismus auf den Leim gegangen, ohne zu merken, dass sie damit Grundpositionen des amerikanischen Liberalismus übernahmen. Heute schmieden diese Wortführer der damaligen Studentenrevolte an einer neuen ”APO von rechts”, die eine völkisch-nationale ”Reformation” in Gang setzen soll. Alle drei treten bei rechtsradikalen Veranstaltungen als Redner auf (Oberlercher 1998).

Als nach 1990 die programmatische Opposition Kommunismus-Kapitalismus aufweichte, war es die ”globale Amerikanisierung”, die eine neue Polarisierung in alte und neue Befürworter, alte und neue Gegner in Gang setzte. Im Maße der Bewusstwerdung der Globalisierung sortierte sich das Freund-Feindbild neu, und zwar quer zu den alten ideologischen Koordinaten von Links und Rechts. Neue Schlachtlinien und Gegnerschaften überlagern heute palimpsestartig die alten: Ging es damals in erster Linie um internationale Solidarität und Klassenkampf, so geht es heute um ethnische (rassische) Solidarität und Nationalismus. Die Gegnerschaft zum Liberalismus und zum Monopolkapitalismus bleibt ein verbindendes Scharnier, mit dem Unterschied, dass heute vor allem jüdische Bankhäuser in New York als seine Verursacher und Nutznießer gelten. Die neuen Polarisierungen verlaufen zwischen Universalismus und Partikularismus, monoethnischem Nationalismus und multiethnischem Globalismus, bodenständigem Lokalismus und liberalem Kosmopolitismus, zwischen Zivilgesellschaft oder Volksgemeinschaft. Kurz gesagt, die alte ideologische Markierung zwischen Links und Rechts wird zusehends von einer neuen sozialen Kluft zwischen global orientierten Kosmopoliten (und Gewinnern) und lokal orientierten Besitzstandwahrern (und Verlierern) abgelöst: Statt Linke und Rechte stehen sich cosmopolitans and locals gegenüber. Der Neologismus ”Glokalisierung” versucht, diese neue Spannung zwischen einer globalen und lokalen Orientierung auf den Punkt zu bringen. Im Maße der Polarisierung zwischen den Gewinnern und Verlierern einer Amerika angelasteten Globalisierungswelle, werden vor Ort ethnozentrische Ressentiments mobilisiert. So nimmt sich die neue Rechte der randständigen deutschen Arbeiter bei gleichzeitiger Ausgrenzung ”der Anderen” an. In Deutschland, in Österreich, in Italien, in Frankreich und in den USA haben populistische Vertreter der neuen Rechten gar noch die antikapitalistische Rhetorik übernommen, um ”den kleinen Mann” und seine lokalen Traditionsbestände vor der Globalisierung durch amerikanisches oder internationales Spekulationskapital zu schützen, hinter dem sie, ganz in der Tradition nationalsozialistischer Verschwörungstheorien, jüdisch-kosmopolitische Interessen vermuten (Ostendorf 1998). Auch die vormals links kodierte Pop Musik nimmt sich dieser rechten Stimmungen vermehrt an: die neuen Sozialrebellen der Musik nutzen zusehends das Schockpotential der rechten Macho-Symbolik. Selbst wenn sie sich zwar oft als apolitisch gebärden, ebnen sie damit der politischen Akzeptanz der Rechten bei den Heranwachsenden den Weg. In diesem neuen Mischverhältnis von Solidarität mit den ”Eigenen” und Abgrenzung gegenüber den ”Anderen” hat eine interessante Übernahme stattgefunden. Marcuses linkshegelianische Warnung vor einer eindimensionalen Entwicklung der Welt findet jetzt in einem deutschnationalen, rechtshegelianischen Antikapitalismus einen Nachhall (Siemons, 2001).

Neurechte Intellektuelle wie Mahler und Oberlercher werben ganz offen um neue Koalitionen mit der ehemaligen Linken mit dem Hinweis, dass im Kampf gegen Amerika die alten Schemata links und rechts bedeutungslos geworden seien (Oberlercher 1998). Die 1968er Linke sei seinerzeit aufgebrochen, um den Monopolkapitalismus zu zerstören, habe jedoch das Projekt der Liberalisierung vorangetrieben und jene Kultur der Sozialatome zur Vollendung gebracht, die alle Bürger der Welt dem amerikanischen Moloch oder der Krake des Kapitalismus voll aussetzte. Diese Fehleinschätzung der Mittel bedürfe jetzt der Korrektur, hierfür sei ein neuer Nationalmarxismus zu reflektieren (Müller 1998). Schon für die sechziger Generation sei jedoch das Kollektiv wichtiger als das Individuum gewesen, meint Mahler entschuldigend. Daher habe schon damals in der APO der Gedanke der Gemeinschaft stärker als der des Individualismus gewirkt. Durch Stärkung der Volksgemeinschaft müsse man heuer gegen einen individualisierten Kosmopolitismus und Globalismus angehen. Nur die Volksgemeinschaft sei ein in sich gegliedertes, “geistiges Ganzes”. Dieser völkische Gemeinschaftssinn werde nun durch Schuldgefühle (Holocaust) belastet, um der Krake des globalen Spekulationskapitalismus von der Ostküste der USA, dem es erfolgreich gelungen sei, die Medien zu kooptieren, die Sache zu erleichtern. Daher ist es ein Ziel rechter Holocaust-Relativierer, die “Schulden und Hypotheken” des Nationalsozialismus herabzureden. Die Chance der Rechten, so Mahler, läge daher im Internet. Ganz bewusst müsse die Rechte Teile der Kapitalismuskritik, vor allem am amerikanischen Liberalismus und neuerlich am Globalismus, von der alten Linken übernehmen (Mahler 1999a).

Organisatorisch zeichnet die Westrechte zwar eine gewisse Organisationsvielfalt aus, die aber durch eine andauernde Geschichts-, Theorie und Strategiedebatte, die in einer Vielzahl von Kommunikationsträgern stattfinden, zu Zersplitterung und Rivalität geführt hat (Stöss 1999). Es gibt inzwischen konkrete Anzeichen für eine erhöhte Koordination des rechten Spektrums mit Hilfe des Internet. In der Ostrechten herrschte bis vor kurzem ein unartikulierter, subkultureller Protest vor mit einem großen, latent rechtsextremen Umfeld. Die tendentiell organisationsfeindliche Mentalität in ostdeutschen Subkulturen machte es auch für die westlichen Parteien (Rep, NPD, DVU) anfangs schwieriger, dort Fuß zu fassen, es mehren sich jedoch die Anzeichen für eine organisatorische Festigung über die neue NPD. Zunächst konnte die DVU bei Wahlen einen gewissen Erfolg verbuchen, obgleich ihr Personalfundament immer wieder wegbröckelte. Die programmatische Revision der NPD seit 1996 ist bemerkenswert weil erfolgreicher, da sie bewusst eine kapitalismuskritische und sozialkritische Rhetorik wählt, die an die sozialistische DDR-Identität anknüpft, um mit diesem Köder das nationalistische Ressentiment der Ex-DDR zu mobilisieren. Insgesamt kann man von einer Gewichtsverlagerung der rechten Aktivitäten, vor allem der NPD, von West nach Ost sprechen.

Rechtsradikalismus und Antiamerikanismus

Der alltägliche Antiamerikanismus rechter Gruppierungen blieb mit einigen Ausnahmen bis vor kurzem noch unartikuliert und fiel weder durch analytische Schärfe noch durch systematisches Denken auf. Sichtbar werden die militanten Gruppen durch ihre Vorliebe für antisystemische Symbolik und rassisch motivierte Gewalt, und das verbindet sie mit ähnlichen Bewegungen weltweit. Diese Internationalisierung im Internet bleibt nicht ohne Konsequenzen. Die radikale, militante Rechte hat inzwischen die Argumente und Strategien der alten Linken wie der neuen Rechten absorbiert, und macht diese Argumentation dank des Internets, in dem Horst Mahler die Zukunft der rechten ”Reformation” sieht, verfügbar. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums im Jahre 2000 sind 400 Websites der rechten Szene bekannt (www.verfassungsschutz.de). Die Dunkelziffer dürfte erheblich größer sein und wird inzwischen auf 800 geschätzt. Durch internationale Links im Internet, die die Rechte mit großem Erfolg und wachsendem Enthusiasmus nutzt, globalisieren sich die rechten politischen Subkulturen zusehends. Die Anonymität der virtuellen Öffentlichkeit macht sie sorgloser und brutaler, sowohl in ihrer Rhetorik als auch in den Handlungsanleitungen. Viele der Websites deutscher Neonazis sind in den USA nur unter dem Schutz des Ersten Verfassungszusatzes vor dem Zugriff der deutschen Zensur sicher. Ihre politische Existenz wird also von dem System geschützt, dessen kulturelle und wirtschaftliche Konsequenzen sie für die moralischen Mängel der Welt verantwortlich machen. Das gibt der Inszenierung ihres Antiliberalismus und Antiamerikanismus, die in der Regel einen Antisemitismus beinhalten, eine postmoderne Note, die jedoch durchaus ein Echo in der deutschen Geschichte hat. Auch der Nationalsozialismus, dem sich diese neue Rechte verpflichtet fühlt, verband technische Modernisierung mit ethnokulturellem Traditionalismus. Doch es gibt weitere, bedrohlich-postmoderne Tendenzen. Dem Amerikanisten fällt auf, wie geschickt die amerikanischen Neonazis inzwischen universalistische Argumente gegen die multikulturelle Gesellschaft scheinheilig für ihre Zwecke instrumentalisieren. Aber sie setzen auch, wenn es passt, die Rhetorik des bürgerrechtlichen Multikulturalismus für ihre Ziele ein. In Anlehung an die National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) nennt der Neonazi und ehemalige Grand-Dragon des KuKluxKlan, David Duke, seine Kampforganisation die NAAWP, die National Association for the Advancement of White People. David Duke übernimmt das Pathos der Bürgerrechtler, wenn er die ”partikularen Rechte der weißen männlichen Minderheit” einklagt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich diese theoretisch angereicherten Strategien und Argumentationsweisen bis in die deutschen Webpages hinein ausdehnen und gar noch eine poststrukturalistische Amerikanisierung des Antiamerikanismus einleiten. Denn auch diese linken amerikanischen Diskurswelten, denken wir an den Kommunitarismus, Feminismus und Multikulturalismus, artikulieren kritische Positionen an der angewandten Aufklärung und am realen Liberalismus, die im gehobeneren, rechten Antiamerikanismus in Deutschland und in Europa ein spontanes Echo finden (Holmes 1993, Ostendorf 2000a). Diese transatlantische Verwirrung hat System, welches sich einerseits aus dem Zusammenbruch alter Orientierungen, andererseits aus der kognitiven Differenz in der ideologischen Verortung linker und rechter Positionen in den USA und Deutschland erklären lässt. Als ich die Positionen einer linken amerikanischen Feministin zur Politik der ethnischen Differenz, die aus Opposition und als Korrektiv zum etablierten Universalismus in den USA entstanden waren und daher im Kontext der amerikanischen politischen Kultur links verortet werden müssen, dem Münchener Stadtrat vortrug, interessierte sich ein Vertreter der Republikaner besonders intensiv für die Bestätigung seiner politischen antiuniversalistischen Philosophie. Alain de Benoist und Roger Garaudy berufen sich gerne auf den Partikularismus der amerikanischen, poststrukturalistischen Linken und ihrer Politik der Differenz (Ostendorf, 2000c, Garaudy).

Eine Warnung ist daher vonnöten. Abgesehen von der Frage des Rassismus oder des völkischen Ethnozentrismus gibt es keine eindeutig linken oder rechten, ideologischen oder programmatischen Besitzstände im Antiamerikanismus. Daher bedürfen alle antiamerikanischen Äußerungen einer historischen und kulturpolitischen Verortung. Ja, es ist gerade das Merkmal des neuen rechten Antiamerikanismus, dass er sich einer allgemeinen amerikakritischen Stimmung bedient. Wenn ich mich auf einige Wortführer wie Rolf Winter, Armin Mohler, Jörg Haider, Horst Mahler, Gustav Sichelschmidt, Karlheinz Deschner und Bernd Rabehl bezogen habe, dann aus dem Grunde, weil sie als Verstärker dieser diffusen antiamerikanischen Volksstimmung fungieren, diese eingehender begründen können und somit ihre eigenen Hintergrundannahmen deutlich machen. Die nun folgende Auflistung rechter Denkfiguren suggeriert jedoch eine höhere Kohärenz als irgendeine Äußerung eines einzelnen Rechten erkennen ließe. Nur auf einer tieferen kulturellen Ebene finden die Versatzstücke des Antiamerikanismus einen deutschnationalen, antiliberalen Zusammenhang, der an die konservative Revolution der Weimarer Zeit erinnert. Diese Kohärenz gewisser Hintergrundannahmen hat nicht nur eine lange Geschichte, sondern liegt als ordnende Kraft quasi vor den alten Unterschieden zwischen rechts und links.

Rechte Meinungen zu Amerika

In der Rechten ist die “organisch gewachsene Nation” der Ausgangs- und Endpunkt allen politischen Denkens. Der umfassende Horizont rechten Denkens in Deutschland wird vom völkischen Nationalismus definiert, eine historisch gewachsene, metaphysisch begründete, ethnische Wagenburg, die mit den Waffen des kulturellen Ethnozentrismus und biologischen Rassismus verteidigt wird. Nationalismus und Rassismus verhalten sich wie kommunizierende Röhren zueinander. Amerika spielt hierbei eine eigenartige Doppelrolle: Einerseits wird den USA die echte, kulturell begründete Volksgemeinschaft abgesprochen, andererseits wird die Macht der liberal-demokratischen Nation im Bereich der technischen Dominanz durchaus anerkannt. Die USA gelten als moralisch korrupt, technisch und strategisch jedoch führend. Generell jedoch überwiegt die Vorstellung des welthistorischen Niedergangs: ein bastardisiertes Einwanderungsland, das heute an den Widersprüchen und der Ordnungsunfähigkeit seiner liberalen Philosophie und den Auswüchsen seiner Einwanderungspolitik krankt (Winter 1995, Sichelschmidt 1996, Mahler 1999a). Mahler ist sich mit Winter und Sichelschmidt einig, dass Amerika von der Abwehr des Organischen geprägt sei und Tradition, völkischen Zusammenhang und religiöse Einheit vermissen lasse. Zudem sei eine Ideologie des atomistischen Individualismus, wie ihn gerade auch inneramerikanische Kommunitaristen anprangern, für den Niedergang der Gemeinschaft verantwortlich. Mahler führt die Reduktion der Identität auf ”Sozialatome”, die der Gier des Kapitalismus ausgesetzt seien, auf diese liberale Grundposition zurück. Beide Pole des Liberalismus, Individualismus und eine laissez faire Wirtschaft, bedingen und verstärken sich. Die Ideologie des abstrakten, vorgesellschaftlichen Individualismus in einem Nachtwächterstaat löse alle Verankerungen von Familie, Haushalt, Klan und Nation als Kohärenzgeber auf (Mahler 1999a). Die deutsche Rechte fürchtet durch Amerikanisierung und Pluralisierung der europäischen Nationalstaaten eine graduelle Auslöschung des deutschen Volkes. Daher müssen bei uns die Einwanderung gestoppt werden und auch die Gastarbeiter und ihre Kinder ins Ursprungsland heimkehren. Scheinheilig intoniert Mahler, dies sei allein aus Gründen postkolonialer Ethik geboten: die in Deutschland ausgebildeten Ausländer hätten die Pflicht, ihr in Deutschland gesammeltes Wissen zu Hause sinnvoll einzusetzen (Mahler 1999a).

Immer wieder kehrt Carl Schmitts alte Warnung vor einer Säkularisierung der geistigen Welt Deutschlands oder Europas wieder. Das macht Sinn, da die neue Rechte “das Geistige” als eigentliche Kraft einer völkisch-gemeinschaftlichen Integration begreift. Das von Günter Grass sicher ganz anders gemeinte Reden von der ”Kulturnation” Deutschland fände damit auch rechts offene Ohren. Der Glaube an den Primat des Individuums und seiner abstrakten Rechte sei daher eine amerikanische Fehlplanung, und hier läge die Wurzel für den Vorrang abstrakter prozeduraler Regeln über substantielle Werte (Mahler 1999c). ”Rule of law” statt Geist. Diese Meinung charakterisiert nicht nur die Rechte. Wie sagte Bärbel Bohlei: “Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat.” Die Vorspiegelung einer gerechten Welt mittels juristischem Prozeduralismus sei nichts als eine liberale Heuchelei eines juristisch kodierten Sozialdarwinismus, eine Einschätzung, die hauseigene amerikanische Kritiker aus dem Lager des Kommunitarismus und der Critical Legal Studies wie Stanley Fish durchaus bestätigen würden (Holmes 1993). Der geistig-moralische Verfall sei in einem liberalen System vorprogrammiert und führe zu einer Übertoleranz bis zum postmodernen anything goes. Der säkulare Humanismus amerikanischer Prägung rufe eine ausufernde Permissivität hervor und fördere einen moralischen Skeptizismus bis hin zum Nihilismus in ethischen Fragen. Dieser Skeptizismus sei direkt mit Kosmopolitanismus verbunden und beide seien typisch jüdische Strategien, die als Wegbereiter eines globalen Finanzkapitalismus fungierten (Rogler 2000). Horst Mahler ruft nach einer neuen ”Bewegung des deutschen Volkes zur Bewahrung seiner Lebensinteressen”, die der Reformation Luthers an Bedeutung gleichkommen müsse (Mahler 1999a). Wenngleich die dumpfe Rechte, vor allem im Osten, im konventionellen Sinne nicht religiös genannt werden kann, so gibt es doch bei den artikulierten Vertretern Sympathie für die Notwendigkeit der Religion. Daher werden die religiösen Erweckungsbewegungen im Islam oder im Christentum von Mahler durchaus positiv gewertet. Hatte nicht Heidegger am Ende seines Lebens gesagt, nur ein Gott kann uns retten? Ganz in diesem Sinne verbindet Horst Mahler politische Ordnung mit der Religion im Sinne Hegels, den er zitiert: ”Das Volk, das einen schlechten Begriff von Gott hat, hat auch einen schlechten Staat, schlechte Regierung, schlechte Gesetze.” Säkulare Vernunft, wie sie von den USA typischerweise vertreten werde, markiere den Verlust der Religion. Trotz Beibehaltung der Trennung von Kirche und Staat müsse der Staat seine weltanschauliche Neutralität, die in Wirklichkeit ein Eintreten für den Nihilismus sei, aufgeben. Kurzum, die Rechte bedient sich des klassischen Katalogs antiliberaler Denkfiguren (Holmes, 1993, 187).

Beliebteste Regierungsform ist eine Version des Führerprinzips. Dieses bedeutet eine Entlastung der individuellen Bürger vom Politischen, immer schon ein Erkennungszeichen korporatistischer Ideologie. Parlamentarismus wird als Geschwätz und die Parteien im Liberalismus werden als bloße Lobbies oder Interessenvertretungen abgetan (Mahler 1999a,b). Das System einer liberalen Demokratie wird rundherum abgelehnt. Da von der neuen Rechten nur selten ein klares Verfassungsmodell vorgeschlagen wird, sei das von Horst Mahler ausführlicher zitiert:
Wirkliche politische Freiheit beginnt mit gesetzgebenden Versammlungen, die – ohne Mitwirkung von Parteien – in einem von Macht und Gruppeninteressen freien Auswahlverfahren so gebildet werden, dass sich darin alle Deutschen – auch in ihrer landsmannschaftlichen Gliederung – repräsentiert fühlen können. Die Gesetzgeber sind erstmals nur ihrem Gewissen verantwortlich, auf 15 Jahre gewählt. Alle fünf Jahre scheidet ein Drittel der Gesetzgeber aus dem Dienst aus und es wird ein neues Drittel dazugewählt.... In Urwahl aus einer in einem bestimmten Verfahren ermittelten Vorschlagsliste wählt das deutsche Volk einen siebenköpfigen Reichsrat als oberstes Organ des Reiches. Dieses bestimmt aus seiner Mitte einen Monarchen auf Lebenszeit (bis zur Erreichung der Altersgrenze), der nur mit qualifizierter Mehrheit vom Gesetzgeber abberufen werden kann. Der Monarch ernennt und entläßt den Reichskanzler, der die Minister beruft und entläßt. Der Kanzler regiert durch Erlasse, die der Gegenzeichnung durch einen Ausschuß der gesetzgebenden Versammlung bedürfen. (Mahler 1999a)

In ihren Aussagen zur amerikanischen Wirtschaft wird die unkritische Dominanz des liberalen Wirtschaftsprinzips und die Akzeptanz ökonomischer Regelungsmechanismen moniert. Der amerikanische Universalismus sei nichts als eine Verschleierung eines ”Spekulationsmaterialismus” und jegliche Vorspiegelung von Gleichheit eine reine Heuchelei. Zudem wendet man sich immer wieder gegen die Ökonomisierung des geistigen Lebens und, pace Schmitt, gegen eine kontinuierliche Emanzipation des Erwerbsstrebens. Liberale Wirtschaftsprinzipien hätten zur Dominanz der Pleonexia, der Kultur der Habsucht und des individuellen Hedonismus geführt. In den Attacken gegen die Weltmacht USA kommt ein gerütteltes Maß an Anti-Semitismus eingebettet in Verschwörungstheorie zum Vorschein. So tönt etwa Umberto Bossi, dass amerikanische (will sagen jüdische) Bankiers eine Zerstörung der politischen Kultur der Welt zu verantworten hätten, die der Wurzellosigkeit ohne Kultur, ohne Religion und Gemeinschaft Vorschub leiste. Er wendet sich emphatisch gegen die multikulturelle Gesellschaft, die von (jüdischen) Freimaurern propagiert würde, um die schutzlosen atomisierten Individuen an die Wirtschaft des amerikanischen Mutterlandes auszuliefern. Und Horst Mahler moniert immer wieder, dass die USA weltweit ihren ”aggressiven Liberalismus” mittels Globalismus durchgesetzt habe. Letztendlich sei dies der Grund, so mischt Haider sich ein, für die sichtbare Verflachung der europäischen Kultur (Schiedel 1999). Die USA seien eine Hypermacht mit Ziel einer neuen Weltordnung, die von jüdischem, nomadisierendem Spekulationskapital angetrieben würde. Ganz nebenbei wird in den Postillen der italienischen Rechten die Kulturlosigkeit und das entsetzliche Essen der Amerikaner und die Minderwertigkeit der Massenkultur erwähnt.

Reizworte, die heute in dieser Grauzone des Antiamerikanismus mit einiger Regelmäßigkeit auftauchen, sind: Individualismus, Subjektivismus, Rationalismus, Humanitarismus, Wurzellosigkeit, Permissivität, Relativismus, Pluralismus, Universalismus, Materialismus, Nihilismus, Kosmopolitismus und damit einhergehend die Dominanz jüdischer Intelligenz. Es handelt sich um Schlüsselbegriffe der deutschnationalen Reaktion auf die Moderne, die in die pathologische Form der Lingua Tertii Imperii eingegangen sind (Bollenbeck 1999). Es fällt allerdings auf, dass in den programmatischen Äußerungen der Rechten die konkreten Errungenschaften des liberalen Staates selten angegriffen werden, etwa die Garantie persönlicher Sicherheit, der Schutz der freien Meinungsäußerung, die Unparteilichkeit des Gesetzes, die individuelle Freiheit und die partizipatorische Graswurzeldemokratie. In der Tat sind die Rechten durchaus gewandt in der Wahrnehmung dieser Einrichtungen des liberalen Rechtsstaates, die sie als erstes abschaffen würden.

Zusammenfassung

Eine klare Definition ”rechter Positionen” im Antiamerikanismus ist also problematisch geworden. Der Antiamerikanismus der Rechten wird von einer allgemeinen deutschnationalen Grundhaltung stabilisiert, die starke Anleihen bei de Maistre und der konservativen Revolution der Weimarer Republik macht und die das Projekt der Aufklärung unter Hinzunahme poststrukturalistischer Denkfiguren aus den USA in Frage stellt. Wie ich mit der groben Ätiologie des Degenerationsvorwurfs zu zeigen versuchte, haben sich im Terminus ”antiamerikanisch” eine ganze Reihe von naturhistorischen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Vorwürfen und Ängsten gegenüber dem Projekt Amerika abgelagert, die im Maße der Angst vor einer globalen Hegemonie der USA abrufbar sind. Der Antiamerikanismus der Rechten wird von einer älteren und umfassenderen historischen folie a deux gefüttert, deren kulturalistische Verallgemeinerungen von aktuellen Ressentiments zusammengehalten wird. Diese vermischte Debatte, in der sich linke und rechte Positionen überlappen, ist selbst ein Faktor des realhistorischen Kulturaustausches zwischen Europa und Amerika sowie Symptom eines neuen kulturellen realignments. Man kann das Fazit ziehen, dass alle alten Formen des Antiamerikanismus im Zeitalter der Globalisierung und der amerikanischen Hegemonie neu instrumentalisiert werden können. Die Rechte nutzt die Gunst der Stunde, um sich mittels allgemeiner Ressentiments gegenüber Amerika Unterstützung und Legitimation zu sichern. Ob sie den Sprung von bloßer Rhetorik in die Tagespolitik und vom virtuellen Internet in die realen Institutionen schafft, mag zur Zeit in Deutschland noch fraglich sein, in dem sich eine Fundamentalliberalisierung der Institutionen durchgesetzt hat. Wir können nur hoffen, dass der DM-Nationalismus nicht zum rechtspopulistischen Ethnozentrismus mutiert, sondern in eine Stärkung der (europäischen) Zivilgesellschaft mündet. Die Auflösung des Koordinatensystems zwischen Links und Rechts erlaubt dem neuen Antiamerikanismus, sich transideologisch, transnational und global zu verkaufen. Ohne eine kritische Position gegenüber den USA aufzugeben, sollte die politische Öffentlichkeit es nicht zulassen, dass die Rechte mit ihrem Antiamerikanismus und ihrer Fundamentalkritik an der Aufklärung in Europa satisfaktionsfähig oder normal wird.

Benutzte und weiterführende Literatur:
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Bodker, Henrik (1998): American Excess and its European Assimilation. Odense: Oasis.Bodker, Henrik (1998): American Excess and its European Assimilation. Odense: Oasis.

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Ceaser, James (1997): Reconstructing America. The Symbol of America in Modern Thought. New Haven: Yale University Press.

Church, Henry Ward (1936): Corneille de Pauw, and the controversy of his Recherches Philosophiques sur les Américains. Publications of the Modern Language Association 51/1, S.178-207.

Deschner, Karlheinz (1992): Der Moloch:“sprecht sanft und tragt immer einen Knüppel bei euch.” Zur Amerikanisierung der Welt. Stuttgart: Weitbrecht Verlag.

Diederichsen, Diedrich. Freiheit macht arm: Das Leben nach Rock n‘ Roll 1990-1993. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1993.

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Abstract.

The end of the Cold War and the rise of the internet have made it harder to define or combat right wing Anti-Americanism. Four political contexts that gave these terms their firm meaning have shifted: 1) After the artificial order of the Cold War imploded the United States, now the only global hegemonic power, has tended to act unilaterally in international crises (Somalia, Kosovo, Kyoto, Iraq, Afghanistan) and to yield to the temptation of ignoring international conventions. Criticism of the unilateralism and exceptionalism of the ”global bully” has increased worldwide. 2) When socialism as a viable alternative to the capitalist order collapsed a crucial ideological marker disappeared with it. America became the only model or scapegoat to contend with. 3) Social problems of US society now were trotted out by Arab, Southeast-Asian or Japanese critics as proof of the contradictions of Western liberal democracy. In Europe a psychologically deep and historically old cultural nationalism, a common Anti-American denominator with antiliberal roots, has reemerged. 4) The liberal market economy accelerated by a communications revolution has in the past ten years developed a dynamism that has become threatening, particularly to those critics who consider globalization a function of Americanization. Older reservations towards the American experiment that characterized European attitudes from 1789 to 1933 have returned at this dramatic moment and have revitalized worldhistorical doubts which feed a new cultural Anti-Americanism with a neo-conservative spin. This ambivalent Anti-Americanism argues for an avoidance of the excesses or mistakes of the American social and cultural order while urging to adopt their economic and technical knowhow: accept the laptop, but hold on to Lederhosen. The radical right is more outspoken in its anti-liberalism. It tries to instrumentalize and bundle all criticism of America into a neofascist rejection of the American-led, liberal and global world order.

1) Arnold Bergsträsser, ”Zum Problem der sogenannten Amerikanisierung Deutschlands,” Jahrbuch für Amerikastudien 8 (1963), Heidelberg: Carl Winter Verlag, 13-23. Dank gilt Jutta Ostendorf und meinen Mitarbeitern Stephan Fuchs, Götz Opitz und Britta Waldschmidt-Nelson, deren Kritik das Argument reinigte und stärkte.

2) Im Folgenden beziehe ich mich auf meinen Aufsatz: ”Rechter Antiamerikanismus: kulturalistische Ausdeutungen der Globalisierungsangst,” Deutsch-amerikanische Begegnungen. Konflikt und Kooperation im 19. Und 20. Jahrhundert, ed. Frank Trommler (Stuttgart, München: DVA, 2001) 320-341.

3) Die Widmung meines Lehrstuhls “Nordamerikanische Kulturgeschichte” stößt in bürgerlichen deutschen Kreisen auf spontane Verwunderung: “Die Amerikaner haben doch weder das Eine noch das Andere.” Hegel kann als Vater dieses Vorurteils identifiziert werden.

4) Interessant ist in diesem Zusammenhang der Hinweis von Joachim Gauck, dass in der DDR schon längst vor dem Fall der Mauer viele Jugendliche ihr dumpfes Ressentiment gegen den verordneten Sozialismus mit einer Verherrlichung der nationalsozialistischen Vergangenheit quittierten. Gerade die Nationale Volksarmee (NVA) sei eine Kaderschmiede für Neonazis gewesen: “Die Jugendlichen gingen als Sozialisten rein und kamen als Nazis raus.” Joachim Gauck in “Zeitzeugen” Phoenix, 9. November 2000, 20:15.

5) Im Zusammenprall der europäischen und amerikanischen Rechtskulturen (Familienrecht, Wirtschaftsethik) wird in Zukunft noch weiterer Zündstoff für latenten Antiamerikanismus liegen. Hierzu die Tagung der Bayerischen Amerika Akademie im Mai 2001: Knud Krakau/Franz Streng, Hgg. Konflikt der Rechtskulturen. Die USA und Deutschland im Vergleich. Heidelberg: Winter Verlag 2003.


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