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WILDCARDS


© by Liesl Ujvary

I

In meinen beiden Vorlesungen zur Literatur möchte ich mich mit bestimmten Grundvoraussetzungen der literarischen Arbeit befassen. Damit meine ich einerseits ein kulturelles Hintergrundverhalten, wie es uns in der zweiwertigen Logik des Aristoteles vorgegeben ist ... dieses "wahr – falsch" der aristotelischen Logik mit seinen Differenziationen in Richtung Moral, also "gut – schlecht", in Richtung Technik, "ein – aus", in Richtung Soziologie, "männlich – weiblich", in Richtung Wetterbericht, "hoch – tief" usw., und das gesamte Wertesystem, das damit zusammenhängt.

Von der zweiwertigen Logik, die uns einen riesigen verästelten Entscheidungsbaum zur Verfügung stellt, der uns harte, ja grausame Zwänge aufdrängt, uns aber auch schöne, intelligente und sensible Verfeinerungen anbietet, möchte ich andererseits den grossen Schritt tun zur Erforschung des Beobachters, nämlich den Blick richten auf das Denken, das sich selbst denkt.

Die Rolle des Beobachters und die sich daraus ergebenden epistemologischen Probleme fallen zuallererst in der Quantenmechanik auf, also in der Interferenz von Beobachter und beobachtetem Objekt. Dann in der Erforschung der Künstlichen Intelligenz, die laufend Turing-Maschinen baut, die vielleicht wie das menschliche Gehirn funktionieren, oder doch nicht? Die Vermischung von Subjekt und Objekt, die in der Metamathematik Kurt Gödels stattfindet. Die Idee Roman Jakobsons, dass sich die Sprache aus einem distinktiven Phonemsystem aufbaut, und die weitreichenden Implikationen dieses Ansatzes für Psychologie & Psychoanalyse. Ist die Literatur die Metasprache der Gesellschaft?

Was die Welt zusammenhält

Harte Zeiten - Weiche Knie
Volle Brüste - Leere Taschen
Heisse Nächte - Kalter Kaffee
Saure Trauben - Süsses Leben
Enge Hosen - Weite Herzen
Teure Heimat - Billige Angebote
Reiche Ernte - Arme Schlucker
Grosse Chancen - Kleine Fische
Dünne Suppe - Dicke Luft
Leichte Mädchen - Schwere Geschütze
Helle Köpfe - Dunkle Geschäfte
Lange Finger - Kurzer Prozess
Alte Lieder - Neue Gesichter
Scharfe Sachen - Milder Wein

(aus: Liesl Ujvary, Sicher & Gut)

Alfred North Whitehead, der zusammen mit Bertrand Russell das Buch "Principia Mathematica" verfasst hat, schrieb in seinem Buch "Science and the Modern World":

"In jedem Zeitalter wird die allgemeingültige Interpretation der Welt der Dinge von einem System von unangefochtenen und nicht erkannten Vorannahmen kontrolliert und der Geist jedes einzelnen, auch wenn er glaubt, sehr wenig Gemeinsames mit seinen Zeitgenossen zu haben, ist nicht ein abgeschlossener Raum, sondern eher wie ein kontinuierliches Medium, die umgebende Atmosphäre seines Ortes und seiner Zeit."

Dieses Hintergrundverhalten wird meist nicht erkannt, und der Versuch, es zu erkennen, verändert es bereits. Die aristotelische Logik herrscht bis heute und sie formt unser Denken bis in Verästelungen und Einzelheiten hinein, die wir nicht als solche wahrnehmen können. Die heutige Technologie und die Entscheidungsprozesse, die heute unser Leben bestimmen, beruhen alle auf der zweiwertigen Logik. Der Beginn der formalen Logik liegt bei Aristoteles. Allerdings herrschte bis zum Ende des 19. Jhds. ein intuitiver Begriff der Wahrheit, erst Mathematiker wie George Boole, Gottlob Frege und Peano arbeiteten an formalen Begriffen der Beweisbarkeit. Was ist überhaupt ein Beweis? In der Mathematik ist das nämlich nicht so klar. Wichtig ist, festzuhalten, dass Beweise innerhalb fester Systeme von Aussagen operieren. Boole ging mit der Kodifizierung streng deduktiver Denkmuster weit über Aristoteles hinaus, sein Buch nannte er "Die Gesetze des Denkens".

Die Aussagenlogik nach Boole beruht erstens auf der Negation: "Heute regnet es. Es ist nicht wahr, dass es heute regnet." Zweitens auf der Konjunktion: "Die Sonne scheint und es ist warm." Drittens auf der Disjunktion: "Es ist warm oder es ist kalt." Viertens der Implikation: "Wenn die Sonne scheint, dann ist es warm."

Es geht dabei nicht um inhaltliche Wahrheit, es geht um logische Wahrheit – Tautologien nennt man diese 'immer wahren' logischen Formeln. Die Logik setzt voraus, dass feststeht, ob Aussagen 'wahr' oder 'falsch' sind, woher diese Einsicht stammt, spielt keine Rolle. Tautologien dienen dazu, widerspruchsfreie Axiomensysteme aufzubauen – darin darf keine Formel zugleich mit ihrer Negation beweisbar sein. Gleichgültig, wie umfangreich diese Axiomatik ist, sie impliziert immer die Annahme einer vollständigen Information der Wissensbasis, die sogenannte "Closed World Assumption", einer "geschlossenen Welt" also. Das Programm prüft die Hypothese nur an seinen Axiomen.
Boole war also der Überzeugung, dass sich menschliches Denken vollständig durch zwei Werte beschreiben lässt: wahr oder falsch. Dieses starre Regelsystem beruht auf dem Satz der Identität, dem Satz vom Widerspruch und dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten:

Alles ist mit sich selbst identisch und verschieden von anderem. Von zwei Sätzen, von denen einer das Gegenteil des anderen aussagt, muss einer falsch sein. Und: Von zwei sich völlig widersprechenden Aussagen muss eine wahr, eine falsch sein.

Dieses scharfe Instrumentarium bescherte der westlichen Welt, besser gesagt der ganzen Welt, ein herrliches und furchtbares Maschinendenken und Maschinenleben, dessen Fortschritte und Fortschreiten wir miterleben.
Nun mag uns zwar scheinen, als bestünde unser ganzes Dasein in einem fortwährenden Erleiden dieser in sich gleichartig durchstrukturierten Lebenswelt - dass dem nicht so ist, beweist schon ein Blick auf die überraschenden Resultate der Quantenmechanik und der Relativitätstheorie, auf die schönen und mutigen logischen Folgerungen, die Kurt Gödel anstellte, auf die weitreichenden Implikationen, die Jakobsons Phonemtheorie für Sprache und Denken, Psyche und Psychoanalyse anbietet. Über Literatur möchte ich hier nicht sprechen, ich werde sie dafür direkt zu Wort kommen lassen.

Was ist ein Paradigmenwechsel? Wie kündigt sich ein Paradigmenwechsel an?
Thomas Kuhn: "Die Frage ist noch offen, ob solche Umschwünge ganzer Netze von Vorannahmen selten, plötzlich und ziemlich dramatisch geschehen oder ob sie häufig und im stillen stattfinden. Wahrscheinlich trifft beides zu."

Die Quantenmechanik setzt die aristotelische Logik ausser Kraft und sollte deshalb auch die Werthierarchien und die auf ihnen basierenden Rollenbilder aushebeln.
Wir wissen, dass Elementarteilchen, Elektronen etc., je nachdem als Teilchen oder als Welle auftreten, also sie haben zwei Aspekte. Es ist aber unmöglich zu sagen, wann genau ein Elektron als Teilchen oder als Welle auftritt. Es gibt da kein wahr-falsch, kein entweder-oder. Niels Bohr hat das als "Komplementaritätsprinzip" bezeichnet - es gibt nur mehr Wahrscheinlichkeiten. Das lässt sich sehr einfach darstellen, indem man einen Teilchenstrahl, es kann auch ein Lichtstrahl sein, durch zwei Schlitze sendet und dahinter auf eine empfindliche Fläche auftreffen lässt. Wenn das Elektron oder Photon auftrifft, trifft es sozusagen als Teilchen auf, alle auftreffenden Elektronen oder Photonen bilden aber zusammen ein einheitliches Wellenmuster. Woher wissen die einzelnen Elektronen, die durch den einen oder anderen Schlitz gehen, dass sie mit den Elektronen aus dem anderen Schlitz ein einheitliches Wellenmuster bilden sollen, oder können, oder müssen? Die Quantenmechanik macht also die Einführung eines Feldes erforderlich, das mit jedem Teilchen verknüpft ist. So eine einheitliche Feldtheorie, die das beschreiben sollte, gibt es aber noch nicht. Ausserdem zeigt sich, dass bei allen Beobachtungen auf Quantenebene eine Interaktion mit dem Messinstrument stattfindet. Bei jeder Messung ändert sich das Feld abrupt!

Niel Bohr hat das so formuliert: "Es geschieht das, was beobachtet wird, und es wird bestimmt dadurch, wie es beobachtet wird. Darüber hinaus gibt es keine weitere Beschreibung der Realität."

Die theoretische Präzisierung dieses Sachverhalts, nämlich dass das Messinstrument mit der beobachteten Realität interagiert, stammt von Heisenberg und heisst
Heisenbergsche Unschärferelation
die aussagt, dass es eine inhärente Unbestimmtheit über die Position und den Impuls eines Teilchens gibt in der Weise, dass, je genauer die Position eines Teilchens eingegrenzt wird, desto grösser die Unbestimmtheit des Impulses dieses Teilchens wird. Diese Unsicherheit zeigt sich in der Unmöglichkeit, Position und Impuls gleichzeitig zu messen.
Die Heisenbergsche Unschärferelation hat weitreichende Implikationen, auch für unser Thema, nämlich dass es keine sozusagen "objektive" Beobachtung einer Realität, eines lebenden Systems gibt, der Beobachter ist immer auch Teil des Systems. Und indem wir über ein Problem sprechen, verändern wir es. Das heisst, das es keine (wissenschaftliche) Untersuchung, und sei sie noch so positivistisch, etwa über Aspekte literarischer Rezeption geben kann, die die Situation nicht zugleich verändert. Es bedeutet aber auch, dass man findet, was man sucht. Daher die Aussage - "Das sehe ich erst, wenn ich es glaube", und auch der Satz von Humberto Maturana - "Alles, was gesagt wird, wird von jemandem gesagt." Wenn ein Physiker das in der technischen Hochschule sagt, hat es eine andere Bedeutung, als wenn ich es hier sage.
Es bedeutet aber auch, dass es in der Physik keine "objektive Realität" mehr gibt. Die "objektive Realität" ist verschwunden - das sagen Physiker! An ihre Stelle sind Erscheinungen getreten, die davon abhängen, welche Art von Beobachtung und Wahrnehmung stattfindet. Wir, oder die "Naturwissenschaftler", sind bis jetzt mit dieser Situation nicht fertig geworden, und man hat sich auf etwas geeinigt, das die Physiker die "Kopenhagener Interpretation" nennen und die von Niels Bohr stammt: "Solange wir nicht eine definitive Beobachtung der Welt machen, ist es sinnlos, ihr eine definitive Realität zuzuschreiben." Von den Physikern wird das gerade anders herum aufgefasst, nämlich "dass wir über eine pragmatische Handhabung hinaus nichts wissen können und dass es daher zwecklos ist, darüber nachzudenken." So wird heute gearbeitet, die Quantenmechanik funktioniert, und der Paradigmenwechsel findet halt nur im CERN statt oder in den Instituten, darüber hinaus wird nicht nachgedacht.
Ich möchte dazu noch einen Punkt erwähnen, der sehr interessant ist und völlig ungeklärt, das sogenannte "Bellsche Theorem". Es besagt, dass zwei Teilchen, wenn sie einmal miteinander agiert haben, über weite Entfernungen und lange Zeiten aufeinander bezogen bleiben. Die waren einmal zusammen um einen Atomkern und ein Elektron ist dann ganz weit weg, und wenn man bei dem einen Elektron das Drehmoment, den Spin, ändert, ändert das andere seinen Spin auch. Das ist überhaupt nicht geklärt, das ist ein sogenanntes "nichtlokales" Phänomen, d.h. nicht-kausal, sollte man eigentlich sagen, es fällt heraus aus der Kausalität oder es verweist auf Bereiche, in denen andere Gesetze gelten.
Der Physiker Paul Davies sagt dazu in seinem Buch "Mehrfachwelten": "Diese Aussagen sind so erschütternd, dass die meisten Wissenschaftler eine Art Doppelleben führen: sie akzeptieren sie im Labor, aber im täglichen Leben lehnen sie sie ohne zu überlegen ab." Paradigmenwechsel vollziehen sich nicht so einfach. Einstein lacht uns von den Plakatwänden entgegen, aber seine Theorien werden praktisch nicht akzeptiert.
Ein anderer Aspekt der Erforschung des Beobachters war die Idee Kurt Gödels, mathematisches Denken zur Erforschung des mathematischen Denkens selbst zu verwenden. Dieser Einfall, die Mathematik "introspektiv" zu machen, erwies sich als ungeheuer fruchtbar, und seine vielleicht weitestreichende Folge war der nach Gödel benannte Unvollständigkeitssatz.

"Alle widerspruchsfreien axiomatischen Formulierungen der Zahlentheorie enthalten unentscheidbare Aussagen."

Dieser Satz, das ist die Perle, meint Douglas R. Hofstadter. Der Beweis von Gödels Unvollständigkeitssatz beruht darauf, dass man einen selbstbezüglichen mathematischen Satz niederschreibt, ähnlich dem Paradoxon von Epimenides: "Alle Kreter sind Lügner." Oder: "Ich lüge." Oder: "Diese Aussage ist falsch." Oder: "Dieser Satz ist unwahr." Diese Paradoxa sind selbstbezügliche sprachliche Aussagen – während es aber sehr einfach ist, in der Sprache über die Sprache zu reden, ist es in der Mathematik nicht so einfach, mit Zahlen über Zahlentheorie zu sprechen.
Gödel erkannte, dass eine zahlentheoretische Aussage etwas über eine zahlentheoretische Aussage aussagen kann, wenn man nur irgendwie bewirken könnte, dass Zahlen Aussagen repräsentieren. Mit anderen Worten: das Kernstück seiner Konstruktion ist die Vorstellung von einem Code. Im Gödel-Code – "Gödelisierung"genannt, stehen die Zahlen für Symbole und Symbolfolgen. Auf diese Weise erhält jede Aussage der Zahlentheorie eine Gödel-Nummer, etwa wie eine Telefon- oder Autonummer, mit der sie bezeichnet werden kann. Und ein Kunstgriff des Codierens macht es möglich, dass man zahlentheoretische Sätze auf zwei verschiedenen Ebenen verstehen kann: als zahlentheoretische Aussagen und auch als Aussagen über zahlentheoretische Aussagen.
Gödel wollte damit nicht sagen: diese Aussage ist falsch, sondern
"Für diese zahlentheoretische Aussage gibt es keinen Beweis." In Gödels Fall ist das feste System zahlentheoretischer Schlüsse, auf diese sich das Wort "Beweis" bezieht, das der "Principia Mathemtica" von Bertrand Russell und Alfred North Whitehead (1913). Deswegen sollte der Gödel-Satz in seiner umgangssprachlichen Fassung genauer lauten:
"Für diesen Satz der Zahlentheorie gibt es im System der Principia Mathematica keinerlei Beweis." Oder noch einfacher:
"Dieser Satz ist unbeweisbar."

Vor Gödel fielen Wahrheit und Beweisbarkeit, Falschheit und Widerlegbarkeit, Unbestimmtheit und Unentscheidbarkeit zusammen. Erst Gödel zeigte, dass es inhaltlich erschlossene Wahrheiten gibt, die mit dem Standardregelsystem der Mathematik nicht bewiesen werden können. Insofern ist Wahrheit umfangreicher als Beweisbarkeit: es gibt mehr Wahrheiten als beweisbar sind. Da jedoch die Beweisbarkeit besser intersubjektivierbar und nachvollziehbar ist, können wir auch sagen, dass Wahrheit schwächer als Beweisbarkeit ist, jedenfalls bezogen auf Genauigkeit, Klarheit und Überzeugungskraft.
Kurt Gödel studierte, dachte und arbeitete in Zusammenhang mit dem Wiener Kreis, dem in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen Naturwissenschaftler und Philosophen wie Moritz Schlick, Otto Neurath, Fritz Mauthner, Rudolf Carnap, Ludwig Wittgenstein angehörten. Vorbild war der Verein "Ernst Mach", dessen Tradition fortgeführt werden sollte. Mach hatte gelehrt, dass die begriffliche Analyse der Widersprüche von Theorien einen Fortschritt in der Naturerkenntnis mit sich bringt. Durch die Explikation und Dekonstruktion der physikalischen Begriffe hat Mach das Feld für die Einsteinsche Relativitätstheorie vorbereitet. Insbesondere seine Kritik der Newtonschen Mechanik mit ihrer Vorstellung der absoluten Zeit, des absoluten Raumes und des invarianten Trägheitsprinzips war von Bedeutung. Sein theoretischer Ansatz beeinflusste auch Künstler, Philosophen und Ökonomen und prägte den Diskurs der Jahrhundertwende. Lenin verfasste seine einzige philosophische Schrift "Materialismus und Empiriokritizismus" (1909) als Kampfschrift gegen die Machsche Denkweise.
Das vordringliche Anliegen des Wiener Kreises war die Vernichtung der Metaphysik. Wie lässt sich ein wissenschaftlicher Satz von einem metaphysischen abgrenzen? Moritz Schlick forderte die Verifizierbarkeit als Kriterium. Friedrich Waismann meinte: „Kann auf keine Weise angegeben werden, wann ein Satz wahr ist, so hat der Satz überhaupt keinen Sinn: denn der Sinn eines Satzes ist die Methode seiner Verifikation.“ Man wollte alle Wissenschaften auf eine Grundwissenschaft, die Physik, reduzieren. Otto Neurath und Rudolf Carnap forderten, jeder Satz einer beliebigen Sprache müsse in die Sprache der Physik übersetzt werden können. Auch Ludwig Boltzmann war durch seinen Modellbegriff für den Wiener Kreis wichtig – er implizierte die Ansicht, dass unsere Wissenschaft nicht die Natur selbst, sondern nur Modelle der Natur erfasst. Diese Modelle ändern sich je nach unseren Theorien und müssen logisch widerspruchsfrei sein, empirisch überprüfbar, ein Maximum an Information besitzen und denkökonomisch, d.h. minimal redundant sein.
So zeitgebunden uns diese Ansätze heute scheinen mögen, wenn etwa die Physik als Grundwissenschaft und Beweisbarkeit als oberstes Kriterium gesehen wird, so modern sind sie andererseits durch ihre durchgehende Sprachbezogenheit und den selbstreflexiven Duktus ihrer Denkmuster.
Ludwig Wittgenstein wandte sein Prinzip
„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“
auch auf die Mathematik an. Das hiess, dass die Mathematik sich nur mit solchen Objekten befassen kann, die sich auch in der Sprache der Mathematik formulieren lassen. Implizit wird hier die Möglichkeit der Wahrheitsfindung von mathematischen Sachverhalten mit den sprachlichen Mitteln der Mathematik vorausgesetzt. Wittgenstein trug dazu bei, dass im Wiener Kreis die Sprache als philosophisches Sujet thematisiert und im Sinn einer sprachkritischen Theorie in Frage gestellt wurde. So fand Kurt Gödel im Wiener Kreis eine Denkart vor, die ihn von der formal-logizistischen Auffassung der Sprache wegführte und ihn für eine intuitive Sichtweise und einen sprachkritischen Realismus sensibilisierte.
Gödels Unvollständigkeitssatz ist zugleich Bestandteil der Objektsprache und Bestandteil der Metasprache und widerlegte so Wittgensteins Prinzip, die Grenzen der Sprache seien die Grenzen der Welt. Gödel sah, dass die Tragfähigkeit der Sprache im Sinne formaler Beweisbarkeit ungenügend ist. Die mathematische Welt ist, nach Gödel, vielfältiger und in diesem Sinne stärker als die mathematische Sprache. Die Sprache ist manchmal präziser als das Denken, jedoch zugleich schwächer in dem Sinn, dass ihre Syntax nicht alle Modellvorstellungen nachzuvollziehen gestattet. Das, was bewiesen werden kann in und mit der Sprache, ist weniger als die Wahrheitsfähigkeit des Denkens. Und das wiederum ist weniger und also schwächer als das, was in der Welt möglich ist.
"Sprache" kann keine "exakte Beschreibung" von "Welt" liefern.
Diese drei Bereiche, in denen menschliches Denken stattfindet, durchdringen und berühren sich auf vielfältige und höchst unterschiedliche Weise – es gibt identische homomorphe Bereiche, es gibt Bereiche, die nach mehr oder weniger abweichendem Reglement funktionieren, und sicher auch Bereiche, die kaum etwas oder gar nichts voneinander wissen.
Gödel hat die Labyrinthe der Selbstreflexion mit mathematischen Mitteln aufgezeigt. Er konnte die Wege ins Labyrinth und die Wege aus dem Labyrinth nach rationalen Regeln durchleuchten.
Gödels "Unvollständigkeitssatz" zeigt aber auch die Grenzen des Computerdenkens und die Grenzen der Künstlichen Intelligenz. Obwohl er ursprünglich aus der mathematischen Logik kommt, hat der Gödelsche Satz heute seine zentrale Bedeutung in der theoretischen Informatik. In beiden Fällen handelt es sich um die Selbstreferenz formaler Systeme.
Gödel glaubt, dass das Gehirn nicht das gesamte Denken erzeugt, sondern dass der Geist eines Menschen mehr ist als dessen Gehirnfunktion. Da die formalen Beweissysteme der Logik eine vollständige Korrespondenz mit den Turing-Maschinen aufweisen, bedeutet das de facto, dass Computer nie alle mathematischen Wahrheiten beweisen können. Es ist aber genauso fragwürdig, ob wir Menschen dazu imstande sind.
Oswald Wiener: "Die Kapazität eines sequentiellen Computers ist mit solchen Programmen, welche die Leistungen der Intelligenz zwar in einem einigermaßen natürlichen Zeitrahmen, aber nur in kleinen Ausschnitten (und vermutlich falsch) illustrieren, ziemlich bald erschöpft. Selbstbeobachtung lässt eine ganz andere Grössenordnung der Parallelität ahnen. Denn selbst das blosse "Haben eines Gegenstands" ist stets von einer inneren Landschaft getragen, die ihn einigermaßen stabil hält und seine für den Augenblick wichtigsten Aspekte profiliert (vergleichbar dem "Hören" der Harmonien beim Erklingen oder sogar beim Vorstellen einer einstimmigen Melodie). Auch der Fokus der Aufmerksamkeit, die wohlbekannte "Enge des Bewusstseins", ist eine enge Weite. Zwar muss das "gedehnte Zeitmoment" des Bewusstseins (Husserls "Zeithof") ein räumlicher Parallelismus sein – jenes das Reden begleitende Wissen z.B., welche Teile des Gedankens im laufenden Satz bereits ausgesprochen sind; oder das Wissen, wie eine gerade laufende Handlung in eine Absicht passt; usw. – aber das unterstreicht nur die Rätselhaftigkeit der empfundenen Dynamik: wie kann ein Vorgang parallel gegeben sein, eine "Gleichzeitigkeit des Nicht-Gleichzeitigen?"
Mit Gödel erfinden wir nicht, sondern wir entdecken!
Die Wirklichkeit ist mehr, als wir darüber aussagen können, aber wir können auch mehr denken, als wir aussagen können. Unser Gehirn kann mehr, als uns bewusst ist.
Anders als der Computer ist sich das menschliche Gedächtnis augenblicklich dessen bewusst, was es enthält – und was nicht. Es braucht keine Liste. Wann wurden Sie geboren? Wenn Sie das nicht wissen, wissen Sie, dass Sie es nicht wissen, und dass kein noch so intensives Nachdenken Ihnen das Datum ins Gedächtnis rufen wird.
Kann Gödels Satz in die Psychologie übersezt werden? Können wir uns selbst sehen? Können wir uns selbst verstehen?
Die psychischen Mechanismen müssen sich gleichzeitig mit den inneren Bedürfnissen des einzelnen nach Selbsteinschätzung und dem ständigen, die Ansicht des Ich von sich selbst beeinflussenden Beweisfluss von aussen beschäftigen. Das Ergebnis ist, dass Information in einem komplexen Strudel zwischen verschiedenen Ebenen der Persönlichkeit fliesst. Während sie sich um sich selbst dreht, werden Teile davon vergrössert, reduziert, verneint oder sonst irgendwie verzerrt, und die Teile ihrerseits sind der gleichen Art von Strudel ausgesetzt – immer und immer wieder.
Das Ergebnis ist, dass das Gesamtbild des "Wer bin ich" auf äusserst komplexe Weise in der gesamten geistigen Struktur integriert ist, und in jedem von uns eine grosse Anzahl von ungelösten, vielleicht gar nicht zu lösenden Widersprüchen enthält. Diese liefern einen grossen Teil der dynamischen Spannung, die für uns Menschen so bezeichnend ist.
Was bedeuten alle diese Überlegungen für unser Thema, also für die literarische Arbeit? Erstens sollten wir uns vor Augen halten, dass beispielsweise "die Welt" und "die mathematische Welt" nicht so direkt zu vergleichen sind. Auch "die Sprache" und "die mathematische Sprache" sind nicht einfach gleichzusetzen. Die reinlichen Trennungen, die in der mathematischen Logik möglich und notwendig sind, lassen sich in der Welt bzw. der Sprache nicht vornehmen. Hier ist alles viel schmutziger, noisiger, verrauschter. Diese riesigen Haufen Schmutz und dieses oft ohrenbetäubende Rauschen können aber auch Perlen evolutionärer Tätigkeit beinhalten, das können wir nicht wissen, die Evolution nimmts da nicht so genau. Denken wir nur daran, dass über 80 % unserer DNA sogenannte Junk-DNA ist, d.h. nicht eingeschaltete DNA, die aber da ist, vielleicht als Reservoir für notwendige oder interessante Mutationen. Auch die DNA ist übrigens eine Sprache und auch so aufgebaut.
Was die Literatur mit dem Gödelschen Theorem gemeinsam hat, also wo eine Analogie möglich scheint, ist die Verwendung von Metasprache und Objektsprache im Text. Nur eben – die Objektsprache besteht ja nicht nur aus Objektakkusativ, Konjugationen und Phonemen, vereinfacht ausgedrückt, sondern sie ist selbst ein Kulturprodukt mit vielen Metaelementen aus Literatur & Ideologie, Religion und Wissenschaft, Technik und Technologie. Und die Metasprache ist nicht nur Metasprache in bezug auf die ohnehin schon vieldimensionale Objektsprache, sie ist Metasprache vor allem in bezug auf die Literatur selbst, weil sie sich vor allem auf die Literatur bezieht, ja beziehen muss, auch wenn diese Tatsache vielen Autoren überhaupt nicht oder nur zum Teil bewusst ist. Autoren erzählen Romane und schreiben Erzählungen, weil sie eine Metasprache gar nicht kennen, sondern glauben, sie können mittels der Sprache, so wie sie ist, mit der Welt umgehen. Andere Autoren thematisieren die selbstbezüglichen Aspekte des Schreibens sehr wohl und führen die Leser in ihrer Literatur durch die komplexen Labyrinthe des Denkens.

II
Während wir die zweiwertige aristotelische Logik als wichtigstes kulturelles Hintergrundverhalten bezeichneten und, als einen ihrer Aspekte, die Formen logischen Schliessens samt der Denkmaschine, die das tut, nämlich unserem Verstand, beobachtet und damit den Beobachter dieser Systematik erforscht haben, ist der andere Aspekt kaum erwähnt und eher links liegen gelassen worden, nämlich die Mechanismen der Differenziation und wie sie unsere Wahrnehmung strukturieren und bereichern.

Überraschende Ähnlichkeiten

ein Gesicht wie ein Bauch
ein Bauch wie ein Gasherd
ein Gasherd wie eine Tulpe
eine Tulpe wie eine Kuh
eine Kuh wie Packpapier
Packpapier wie ein nasses Handtuch
ein nasses Handtuch wie ein Laib Brot
ein Laib Brot wie ein Kuss
ein Kuss wie eine Fichte
eine Fichte wie ein Esslöffel
ein Esslöffel wie ein Ofenrohr
ein Ofenrohr wie eine Träne
eine Träne wie Auspuffgase
Auspuffgase wie Maresi-Alpenmilch
Maresi-Alpenmilch wie rostige Nägel
rostige Nägel wie ein Kopfpolster
ein Kopfpolster wie eine Hose
eine Hose wie ein Sonnenuntergang
ein Sonnenuntergang wie Gummistiefel
Gummistiefel wie Emmentalerkäse
Emmentalerkäse wie ein Schneefeld
ein Schneefeld wie ein Gesicht

(aus: Liesl Ujvary, Sicher & Gut)

Roman Jakobson hat in seiner Schrift
"Kindersprache, Aphasie und allgemeine Lautgesetze"
geschrieben auf deutsch, erschienen 1944 in Uppsala, eine exemplarische Darstellung der phonematischen Differenziationsprozesse geliefert, die unsere Sprachentstehung einrichten und gestalten. Er konnte dabei feststellen, dass Differenziation immer von einfach zu kompliziert verläuft, und dass es eine Rangordnung gibt, Hierarchien, die eingehalten werden. Es kann also in einem primitiven Stadium der Differenziation keine Verfeinerungen geben. Und: der Abbau der Sprachfähigkeit erfolgt beim aphasisch Kranken in genau umgekehrter Reihenfolge.

Den eigentlichen Sprachanfängen, schreibt Jakobson, geht die sogenannte Lallperiode voraus, die bei vielen Kindern eine erstaunliche Menge und Mannigfaltigkeit der erzeugten Laute zum Vorschein bringt. Ein lallendes Kind kann Artikulationen aufhäufen, die sich nie innerhalb einer Sprache oder sogar einer Sprachgruppe zusammenfinden: Konsonanten beliebiger Bildungsstelle, erweicht und gerundet, Zischlaute, Affrikaten, Schnalze, noch kompliziertere Vokale, Diphtonge usw. ... In der Blüte seiner Lallperiode ist das Kind imstande, alle denkbaren Laute zu erzeugen.
Wenn das Kind dann aber wirklich zu sprechen beginnt, beim Übergang vom Vorsprachstadium zum ersten Worterwerb, also zur ersten wirklichen Sprachstufe, verliert das Kind beinahe sein ganzes Lautvermögen. An die Stelle der phonetischen Fülle des Lallens tritt die phonematische Kargheit der ersten Sprachstufen. Die erste kindliche Sprachstufe beginnt mit einem deutlichen Auseinanderhalten und Abgrenzen von Konsonant und Vokal, und derselbe Gegensatz kann auch dann noch vom Aphasischen erkannt werden, wenn die übrigen Lautunterschiede schon aufgegeben sind. Unter dem motorischen Gesichtspunkt sind diese beiden Grundklassen der Sprachlaute als Hemmung und Öffnung einander entgegengesetzt.
Das Optimum der Öffnung wird laut Jakobson im breiten a-Vokal erreicht. Den äussersten Gegensatz zum a-Vokal bilden die Verschlusslaute, und unter den Verschlusslauten sind es wiederum die Lippenlaute, die den ganzen Mundraum sperren.
Zweierlei Unlustentladungen waren dem Kind von jeher vertraut: der Schrei mit vokalartiger, a-ähnlicher Mundöffnung und das nasale Murmeln. Dieses Näseln begleitet die Äusserungen der Unzufriedenheit, das Weinen, die Seufzer.
Und da die Nasalität für das Kind besonders affektbelastet ist, wogegen der Verschluss an sich eher eine Affektschwäche ist, eine Beruhigung anzeigt, so ist es leicht verständlich, dass der Nasalkonsonant im Gegensatz zum oralen reinen Verschlusslaut an der Schwelle der Kindersprache sich als Affektträger betätigt, nämlich als klagender, verlangender, rufender Schmerzlaut und schliesslich als Rufname derjenigen, welche die Affekte des Hungers und der Sehnsucht in erster Linie stillt: der Mutter.

mama

Der orale Verschlusslaut tritt dagegen als affektfreieres bzw. affektloses Gebilde auf, anstatt zum Wehklagen dient er zur ruhigeren, gleichgültigeren Benennung und kündigt somit den eigentlichen Übergang vom Gefühlsausdrauck zur darstellenden Sprache an.

papa

Dem Gegensatz des Mund- und Nasenlautes, also mama-papa folgt der Gegensatz der Labialen und Dentalen, etwa papa-tata und mama-nana. Auf die beiden erwähnten konsonantischen Gegensätze folgt in der Kindersprache der erste vokalische Gegensatz: es wird nämlich dem breiten Vokal ein enger gegenübergestellt, beispielsweise papa-pipi. Die folgende Etappe des kindlichen Vokalismus bringt entweder eine Spaltung des engen Vokals in einen palatalen und velaren, also beispielsweise papa-pipi-pupu, oder einen dritten, mittleren Öffnungsgrad, z.B. papa-pipi-pepe.
Jeder dieser beiden Prozesse führt zu einem System von drei Vokalen, und das ist zugleich der minimale Vokalismus, welchen die lebendigen Sprachen der Welt aufweisen. Die erste Spielart dieses minimalen Vokalismus, das sogenannte Grunddreieck, findet sich in der Kindersprache und gleichfalls in den Völkersprachen besonders häufig. Im Konsonantensystem, welches m,p und t enthält, ist p oral im Gegensatz zum nasalen m und gleichzeitig labial im Gegensatz zum Dentalen t.
So setzt der Erwerb der Engelaute wie h, ch den der Verschlusslaute m, p in der Kindersprache voraus, und in den Sprachsystemen der Welt können die ersteren nicht bestehen, ohne dass auch die letzteren bestehen. Die Fundierung ist nicht umkehrbar: das Vorhandensein der vorderen Konsonanten (bzw. ihrer einzelnen Klassen) fordert keineswegs das der hinteren Konsonanten (bzw. ihrer entsprechenden Einzelklassen). Mit anderen Worten, keine Sprache hat hintere Konsonanten, ohne entsprechende vordere Konsonanten zu enthalten. Es kann also auch beispielsweise in der Kindersprache keine Differenzierung der gerundeten Vokale nach Öffnungsgrad entstehen, solange der gleiche Gegensatz bei den ungerundeten Vokalen fehlt. Das Paar u-o kann also nicht dem Paar i-e vorangehen, und es gibt keine Kinder, die ein o-Phonem besitzen, ohne sich ein e-Phonem angeeignet zu haben. Sehr oft wird dagegen o bedeutend später als e erworben.
Gegensätze, welche in den Sprachen der Welt verhältnismässig selten vorkommen, gehören zu den spätesten lautlichen Erwerbungen des Kindes. So ist die geographische Verbreitung der Nasalvokale relativ beschränkt, und demgemäss erscheinen diese Phoneme bei den französischen Kindern erst nach allen übrigen Vokalen, meistens erst im dritten Lebensjahr, während die nasalen Konsonanten, wie gesagt, in allen Sprachen der Welt bestehen und zu den frühesten sprachlichen Erwerbungen des Kindes gehören.
Der Abbau des sprachlichen Lautbestandes bei den Aphasischen liefert ein genaues Spiegelbild für den lautlichen Aufbau der Kindersprache. So ist z.B. die Unterscheidung der Liquidae r und l eine recht späte Erwerbung der Kindersprache und einer der frühesten und häufigsten Verluste bei der aphasischen Lautstörung.
Die gleichen Gesetzmässigkeiten bestimmen den Aufbau wie den Abbau des individuellen Sprachvermögens – die Einbusse des primären Wertes setzt diejenige des sekundären voraus.

Fassen wir Jakobsons Thesen zusammen:

Der Aufbau schreitet von einer undifferenzierten Ursprungsform zu einer immer grösseren Differenzierung und Trennung.

Jeder Sprachlaut repräsentiert einen Komplex von distinktiven Eigenschaften, und jede von diesen Eigenschaften fungiert als Glied einer binären Opposition, welche das entgegengesetzte Glied notwendig impliziert.

Das allgemeine Gesetz lautet folglich, dass der Begriff des Phonems in keiner Sprache mit dem der distinktiven Eigenschaft identisch, sondern dieser stets übergeordnet ist.

Wir lernen daraus, dass die Differenziationsprozesse, auf denen Sprache und Denken beruhen, in der menschlichen Physis und in der Physik begründet sind, wir lernen aber auch, dass Unterscheidungen keine Dinge sind. Wahr – falsch, gut – böse, schwarz – weiss, rechts – links, aktiv - passiv .... sind Konnotationen, die wir selber zwar nach Belieben erweitern und auch fast im Schlaf bestimmten gesellschaftlichen Regionen zuweisen können, etwa Frauen, Kindern, Juden, Farbigen, Ausländern usw., die aber eigentlich nicht fest an den Dingen haften, sondern beweglich sind oder sein sollten, und als binäre Oppositionen eine plastische Beschaffenheit der Realität garantieren sollten - nicht eine festverdrahtete Variante.

Wir lernen daraus auch, dass Denken als Sprache viel tiefer in unsere Bewusstseinsregionen eingeschrieben ist, als uns selbst Gödels introspektive Metamathematik vermuten lässt.

Sigmund Freud beschrieb in seiner "Traumdeutung" (1899)

ahnungsvoll die sprachliche Struktur der Träume: "Der (manifeste) Trauminhalt ist gleichsam in einer Bilderschrift gegeben, deren Zeichen einzeln in die Sprache der Traumgedanken zu übertragen sind. Man würde offenbar in die Irre geführt, wenn man diese Zeichen nach ihrem Bilderwert anstatt nach ihrer Zeichenbeziehung lesen wollte. Ich habe etwa ein Bilderrätsel (Rebus) vor mir: ein Haus, auf dessen Dach ein Boot zu sehen ist, dann ein einzelner Buchstabe, dann eine laufende Figur, deren Kopf wegapostrophiert ist und dergl. Ich könnte nun in die Kritik verfallen, diese Zusammenstellung und deren Bestandteile für unsinnig zu erklären. Ein Boot gehört nicht auf das Dach eines Hauses, und eine Person ohne Kopf kann nicht laufen; auch ist die Person grösser als das Haus, und wenn das Ganze eine Landschaft darstellen soll, so fügen sich die einzelnen Buchstaben nicht ein, die ja in freier Natur nicht vorkommen. Die richtige Beurteilung des Rebus ergibt sich offenbar erst dann, wenn ich gegen das Ganze und die Einzelheiten desselben keine Einsprüche erhebe, sondern mich bemühe, jedes Bild durch eine Silbe oder ein Wort zu ersetzen, das nach irgendwelcher Beziehung durch das Bild darstellbar ist. Die Worte, die sich so zusammenfinden, sind nicht mehr sinnlos, sondern können den schönsten und sinnreichsten Dichterspruch ergeben. Ein solches Bilderrätsel ist nun der Traum, und unsere Vorgänger auf dem Gebiete der Traumdeutung haben den Fehler begangen, den Rebus als zeichnerische Komposition zu beurteilen. Als solche erschien er ihnen unsinnig und wertlos."
Freud sieht im Traum verschiedene Texte auf verschiedene Weise auf verschiedenen Ebenen miteinander verknüpft. Freud spricht auch sehr oft von "Palimpsest", wo verschiedene Schichten übereinander gelegt sind. Oder: "Verdrängung ist Versagung der Übersetzung von einer Niederschrift in eine andere."
50 Jahre später hat sich Jaques Lacan die Errungenschaften der strukturalen Linguistik zu eigen gemacht und behauptet wie Freud die ödipale Grundstruktur des Unbewussten, also das Inzestverbot, das er zugleich als sprachliche Struktur interpretiert. Beides findet sich bei Freud, explizit als Ödipuskomplex, implizit in diesen vielen Hinweisen Freuds auf die sprachliche Struktur des Unbewussten. Und hier setzt Lacan das linguistische Paradigma ein, nämlich das der unbewussten sprachlichen Strukturen, die sich differentiell artikulieren. Während aber die Linguisten die Sprache als differentielle Artikulation sahen, die so den Ausdruck von Gedanken ermöglicht, also Sinnproduktion durch Differenziation, stellt Lacan dieses Prinzip auf den Kopf: der Sinn liegt in der differentiellen Artikulation selbst, oder, wie Lacan sagt,
"jede Bedeutung verweist auf eine andere Bedeutung"
Im Original liest sich das so: "Es könne keine Bedeutung geben, die sich anders als durch die Verweisung auf eine andere Bedeutung erzeugte."
Die Vermutung, dass unsere Bewusstseinsregionen (einschliesslich des Unbewussten) einer Sprache gemäss strukturiert sind, lässt sich aber auch in ganz andere Richtungen weiterdenken. Beispielsweise in Richtung Gehirnforschung als Erforschung der Intelligenz bzw. der Künstlichen Intelligenz.
Wie könnte demnach unsere Wahrnehmung funktionieren, die ja mit und durch den Körper stattfindet. Wahrnehmung als physischer Prozess hat nichts mit Objekten zu tun und auch nichts mit einer direkten Spiegelung der sogenannten "äusseren Welt". Wir sehen keine Personen und wir hören keine Worte,

was wir wahrnehmen, das sind elektromagnetische Felder, die Muster bilden, verschiedene Muster, die durch Unterscheidungen, die wir treffen, strukturiert sind.

"Wie ein Autopilot, sagt Varela, reagiert das Nervensystem auf die sich verändernde Umwelt. Es durchläuft Zustände, die einerseits von seiner eigenen Struktur begrenzt werden und andererseits von der Geschichte früherer Abläufe von Zuständen, die es in vergangenen Interaktionen mit der Umwelt erfahren hat." Das Entscheidende dabei ist, dass aus der Perspektive des Nervensystems die ihm zur Verfügung stehenden Zustände in keiner Weise eine direkte Spiegelung der sogenannten "äusseren Welt" sind. Das Nervensystem kennt nur seine eigenen Bilder, die Bilder, die es hat. Das Mustererkennen und das Musterbilden des Gehirns beruht auf Differenziation, auf Unterscheidungen, und nun sind zwar die Möglichkeiten, Unterscheidungen zu machen, grenzenlos – aber das "Muster" muss dem Gehirn fest eingeprägt sein, sonst ist es nicht da und kann auch nicht wirksam werden.
Das Mustererkennen beim Menschen ist ein Prozess, der "gefühlsmässig", d.h. vom limbischen System, gesteuert wird.

Das limbische System oder Mittelhirn

ist ein entwicklungsgeschichtlich älteres "Gehirn", also vor dem Kortex entstanden, seine Kategorien sind Hunger und Sex, Angst und Gewalt.
Wenn wir etwas wahrnehmen, das wir nicht einordnen können, wenn unsere spezielle Wahrnehmung nicht an das schon vorhandene Muster angepasst werden kann, tritt Angst auf. Die Angstreaktion wird immer dann ausgelöst, wenn der Organismus eine Wahrnehmung hat, die nicht zu der Erwartung passt, was er in einer bestimmten Situation wahrnehmen sollte. Das Gehirn muss also ganz schnell in der Lage sein, ein passendes Konzept für die Muster zu finden, die in unserem Wahrnehmungsfeld des Sehens, Hörens etc. auftauchen, sonst entsteht Angst.
So steuert das limbische System über den Kortex die Aktionen und Reaktionen unserer Person, dieser Prozess läuft offensichtlich über mehrere Metaebenen und folgt einer Kausalität, oder besser gesagt mehreren Kausalitäten, die ganz sicher nicht homogen sind. Der Akt der Übersetzung physischer Hardware niedriger Stufe in psychologische Software hoher Stufe ist möglicherweise analog der Übersetzung zahlentheoretischer Aussagen in metamathematische Aussagen, womit wir wieder bei Gödel wären. Wir müssen bei der Erforschung des Beobachters, also unseres Geistes, offensichtlich verschiedene Arten von Kausalität zulassen: z.B. die Möglichkeit, dass ein Ereignis andere Ereignisse auf einer anderen Ebene "verursachen" kann. Manchmal sagt man, Ereignis A "verursache" Ereignis B einfach aus dem Grund, dass eines eine Übersetzung des anderen auf einer anderen Beschreibungsebene ist. Manchmal hat "Ursache" die übliche Bedeutung: physikalische Kausalität. Beide Arten der Kausalität, und vielleicht noch ein paar andere, müssen bei der Erklärung des Geistes zugelassen werden, und man wird auch solche Ursachen zulassen müssen, die sich in der komplexen Hierarchie des menschlichen Geistes nach oben wie nach unten ausbreiten können.

Descartes hat im "Traité de l'homme" (1664)
den eigenen Leib mit einer Uhr verglichen. Wie in dieser alle Bewegungen aus der Anordnung der Räder und Gewichte folgten, so auch im Körper. Zug und Gegenzug der Muskeln funktionieren, der Puls tickt dazu – kurz: der Philosoph ist gesund. Jedoch auch René Descartes wusste, dass der eigene Leib im Unterschied zu Uhren nass ist. Da gibt es Blut, Schweiss, Urin und überhaupt Flüssiges aller Art. Deshalb ergänzt er seine Uhrmaschine durch ein hydraulisches System aus spritzenden Fontänen, deren Quellmeister seinen Sitz im Hirn habe, genauer gesagt: in der Zirbeldrüse als dem vermeintlichen Sitz der Seele.

Der chinesische Philosoph Chuangtse (335 – 275 v.Chr.)
erzählt folgenden Traum: Ich träumte, ich wäre ein Schmetterling. Jetzt bin ich aufgewacht und weiss nicht, ob ich ein Mensch bin, der gerade geträumt hat, er sei ein Schmetterling, oder bin ich ein Schmetterling, der gerade träumt, dass er ein Mensch ist.

Rainer Werner Fassbinder hat in seinem Film "Welt am Draht"
eine kleine virtuelle Welt verfilmt, die übrigens in einem Fernsehstudio stattfindet, sonst aber der unseren täuschend ähnlich ist. In diesem Film können wir sehen, wie diese kleinen Identitätseinheiten, also diese Leute, ihre Welt sehen, wo sie an unverständliche Grenzen stossen und ob diese sich von unserer Welt unterscheiden. Es gibt Kontaktbeamte, die zu beiden Welten Zutritt haben.

Haben wir als denkende Menschen eine Chance, uns irgendwie zur nächsthöheren Programmierebene Zutritt zu verschaffen, oder sind wir dazu verurteilt, für immer in der Position Hiobs zu verharren? Ist diese unsere Welt überhaupt sauber konstruiert oder ist da und dort gepfuscht worden? Gibt es Magie in dieser Welt, gibt es Singularitäten, ist Schrödingers Katze tot oder wo lebt Schrödingers Katze?

Vielleicht sollten wir Schriftsteller uns als Kontaktleute sehen, die sowohl in unserer grossen Welt leben können oder dürfen, als auch in den kleinen virtuellen Kunstwelten, die manche von uns in der Literatur entwerfen. Diese Kunstwelten sind ja nach dem Muster unserer grossen Welt entworfen, nur eben mit signifikanten Abweichungen, die den kleinen Bewohnern bzw. uns Lesern dieser Kunstwelten Tips geben, was passiert, wenn sie das oder das machen, oder dass sie eine Überraschung erleben, wenn sie an dieser oder jener Stelle nachschauen. Es sind ja manchmal ziemlich gefährliche Vorstellungen, die da entwickelt werden und die man eigentlich gar nicht akzeptieren kann. Erinnern wir uns auch daran, dass die Sprache durch ihr Potential, Objekt- und Metasprachen auf höchst unreine Weise zu verbinden, viele kleine Welten herzustellen imstande ist, die vielleicht nicht alle gleich schön sind, aber in denen Schrödingers Katze zumindest leben kann.

Textcollage aus Nikolaj Gogol DER WIJ und Liesl Ujvary DAS REINE GEHIRN

Ich glaube, es hat etwas mit ihren Beweggründen zu tun. Aber auch noch anderes. Etwas, das ich nicht einmal erraten kann, obwohl ich weiss, dass es da ist. Sehen wirs mal so: Wir sind nicht eingesperrt in das Bild, das wir uns von uns selber machen. Es könnte auch ganz anders sein ... Sie wird nämlich immer etwas zurückhalten. Ihren innersten Kern. Du kannst ihre Dienste kaufen, aber nicht sie selbst. Du kaufst keinen Automaten.

Dann war die grosse Landstrasse von Grammatikern, Philosophen und Theologen überschwemmt. Die Philosophen und Theologen begaben sich in ihre Konditionen, d.h. sie übernahmen es, Kinder wohlhabender Leute zu unterrichten oder sie für die Schule vorzubereiten; das brachte ihnen jährlich ein Paar Stiefel oder so viel Geld ein, dass es manchmal sogar für einen neuen Rock reichte.

Während ich laufe, suche ich nach etwas. Ich hocke mich hinter den Felsen und warte geduldig. Sie haben mich auf die Probe gestellt und gequält. Mich verhöhnt. Mir zugemutet, was kein Durchschnittsmensch überstanden hätte. Aber ich bin kein Durchschnittsmensch und habe es überstanden. So überlebe ich jahrelang, halte durch, erringe Sieg auf Sieg, über mich selbst und andere, und stehe nun hier vor meiner letzten Prüfung ...

Inzwischen war es Nacht geworden, und ziemlich finstere Nacht. Kleine Wolken vertieften die Dunkelheit, und man konnte, nach allen Anzeichen zu urteilen, weder mit Sternenlicht noch mit Mondschein rechnen. Die Seminaristen bemerkten, dass sie seit einer Weile vom Wege abgekommen waren und querfeldein liefen. Der Philosoph tastete die Umgebung in allen Richtungen mit den Füssen ab und fragte schliesslich abgehackt: "Wo ist denn eigentlich der Weg geblieben?" Der Theologe schwieg eine Weile, überlegte und erwiderte: "Ja, die Nacht ist dunkel." Der Rhetor trat zur Seite und suchte, auf allen vieren kriechend, nach dem Weg, doch seine Hände griffen in einem fort in Fuchshöhlen. Überall Steppe, durch die, so schien es, seit langem niemand mehr gekommen war. Die Wanderer zwangen sich, ein Stück weiterzugehen, stiessen aber überall auf dieselbe Wildnis. Der Philosoph probierte es mit Rufen, doch seine Stimme erstickte irgendwo seitab und fand keinerlei Widerhall. Erst eine Weile später hörte man ein schwaches Echo, das an Wolfsgeheul erinnerte.

Mir gefällt fast alles an ihr: ihre Kaltblütigkeit, ihre Haltung, die Andeutung verborgener Kraft. Auch gelegentliche Anzeichen von Starrsinn, Eigenwillen und Unabhängigkeit gefallen mir. Und ihr tiefer Argwohn. Hier ist eine Frau, die nichts in gutem Glauben annimmt, nichts unbezweifelt lässt. Eine Frau, die Beweise will. Physisch perfekt. Psychisch perfekt.

Plötzlich öffnete sich die niedrige Tür, und die Alte kam in geduckter Haltung in den Stall. "Was ist Grossmutter, was willst du?" fragte der Philosoph. Doch die Alte näherte sich ihm mit ausgebreiteten Armen. Oho! Dachte der Philosoph. Nein, mein Herzchen, dazu bist du mir doch zu betagt. Doch die Alte streckte die Arme aus und haschte nach ihm, ohne ein Wort zu sagen. Dem Philosophen wurde unheimlich zumute, besonders, als er bemerkte, dass ihre Augen übernatürlich funkelten.

Meine ganze Methode ist darauf ausgerichtet, einen Menschen völlig umzukrempeln, ihm keine Geheimnisse zu lassen, ihm, wenn möglich, sein seelisches Gleichgewicht und seine Menschenwürde zu nehmen, ihn zu einem schwitzenden, sich krümmenden Wrack zu reduzieren. Es ist brutal, es ist grausam, aber das soll es ja auch sein.

Der Philosoph gab sich alle Mühe, sie zurückzustossen, bemerkte aber zu seiner Verwunderung, dass seine Arme sich nicht heben, seine Beine sich nicht vom Fleck rühren wollten; und er erkannte mit Schrecken, dass ihm sogar die Stimme versagte – die Lippen bewegten sich, doch sie brachten keine Laute hervor. Er hörte nur, wie ihm das Herz hämmerte.

Sie beginnt, in einem seltsam sanften Tonfall zu sprechen. Ich spüre eine Schwäche in mir, eine Lethargie, als sei ich ausgeblutet. Niemand akzeptiert sie bis jetzt. Es stört mich nicht. Lass die Leute ... muss in Bestform sein und härteste Tests bestehen.

Die Alte trat auf ihn zu, legte ihm die Arme zusammen, liess ihn den Kopf neigen und sprang wie eine Katze auf seinen Rücken. Sie versetze ihm einen Schlag mit einem Besen, und er trabte mit ihr auf und davon, auf- und niederschnellend wie ein Reitpferd. All das war so schnell vor sich gegangen, dass der Philosoph kaum zur Besinnung kam und mit beiden Händen nach seinen Knien griff, um die Beine zum Stehen zu bringen; doch sie hoben sich zu seinem grössten Erstaunen gegen seinen Willen und vollführten Sprünge wie ein rascher tscherkessischer Renner. Und erst, als sie den Weiler hinter sich gelassen hatten und sich eine gleichmässige Senke vor ihnen zeigte, an der etwas seitlich ein rabenschwarzer Wald aufragte, sagte er zu sich selbst: "Oho, das ist ja eine Hexe!"

Es ist ein grausames Land mit grausamen Stürmen, grausamen Gebirgen und grausamen Menschen. Ein furchterregendes Gebirge voll wüster Stürme, Schneefälle und Steinlawinen. Sollen die sich Sorgen darüber machen. Jeder weiss das. Ich bin nicht einmal ganz sicher, für wen ich eigentlich arbeite. Ich habe nichts gegen den engen Raum und die Unbeweglichkeit. Also sitze ich in der Dunkelheit, eingezwängt in meine Einzelzelle, und warte. Es muss beim ersten Mal klappen. Einen zweiten Versuch gibt es nicht. Sie wirbelt durch einen finsteren Abgrund, durch Leere, und dreht sich schwebend im Nichts. Noch kein Grund zur Sorge. Nichts hat sich je so gut angefühlt.

Am Himmel schimmerte die Sichel des Mondes. Ihr schwacher mitternächtlicher Schein legte sich, leicht wie ein durchsichtiges Gewebe, auf die Erde und überzog sie mit einem Schleier. Die Wälder, die Wiesen, der Himmel, die Täler – alles schien mit offenen Augen zu schlafen. Kein Lüftchen regte sich. Die nächtliche Frische hatte etwas Feucht-Warmes an sich. Die Schatten der Bäume und Sträucher fielen gleich spitzen, an Kometen erinnernden Keilen auf die geneigte Ebene. So war die Nacht, in der der Philosoph Choma Brut mit der rätselhaften Reiterin auf seinem Rücken dahingaloppierte. Ein quälendes, unangenehmes und dennoch süsses Gefühl bedrängte sein Herz. Er senkte den Kopf und sah – das Gras, das sich fast unter seinen Füssen befand, schien weit entfernt, tief unter ihm, zu wachsen und von Wasser bedeckt zu sein, das klar wie ein Gebirgsquell war; es kam ihm vor wie der Grund eines hellen, bis in die Tiefe durchsichtigen Meeres. Jedenfalls sah er ganz deutlich, wie er sich mit der Alten auf seinem Rücken ich ihm spiegelte. Er sah, dass dort unten statt des Mondes eine Art Sonne schien, und er hörte, wie die blauen Glockenblumen mit ihren Köpfchen läuteten. Er sah, wie hinter dem Riedgras eine Nixe hervorschwamm und wie ihr Rücken und ihr Bein vorüberblinkten, rund und prall, als wären sie aus Glanz und Wonne gewoben. Sie wandte sich zu ihm um, und ihr Gesicht mit den hellen, funkelnden, stechenden Augen, die bis auf den Grund der Seele drangen, kam immer näher, tauchte an der Oberfläche auf und entschwand, in einem blitzenden Lachen zergehend; sie drehte sich auf den Rücken, und durch die wolkenzarten Brüste, die matt waren wie unglasiertes Porzellan, schimmerte an den Rändern der weissen elastischen Rundungen die Sonne hindurch. Das Wasser übersäte sie in Gestalt kleiner Bläschen wie mit Perlen. Ihr ganzer Körper zitterte und bebte vor Lachen ...

Nur fühlen, nur schmecken? Was sind doch solche Metaphern so hübsch und überraschend. Ich sollte daheim sein, in einer Umgebung, die mich aus meiner selbstgewählten Isolation befreit. Mein Programm ist kaum der Rede wert. He! Vorsicht! Was ist dort unten? Inmitten von Staub und Blut, mit dem beissenden Geruch der Angst in der Nase, stellt das Gehirn oft seltsame Verbindungen her. Worte auf einer Buchseite. Ich kann die Buchstaben beinahe sehen, schwarz auf weiss. Mein Gott, wäre ich nur daheim.

Sah er das nun, oder sah er es nicht? War das Wirklichkeit oder Traum? Und das? War das der Wind oder Musik? Es klang und sang, schwoll an, drang auf ihn ein und durchgellte die Seele mit einem unerträglichen Trillern ...

Aber dann bleibe ich plötzlich stehen und lausche. Sind das Stimmen? Im Grunde hasse ich beide Alternativen. Ich renne los, ducke mich unter Ästen hindurch und weiche verwitterten Baumstümpfen aus. Bald fühle ich einen seltsamen Überschwang. Der Adrenalinschub vor dem Kampf bringt mich fast auf einen Trip. Meine Schritte werden länger und die Büsche fliegen förmlich vorbei. Endlich lassen die Schmerzen nach. Der kalte nächtliche Nebel rollt die Bergflanken herunter. Ich zittere. Nicht vor Kälte, sondern vor Erregung. Nach den Maßstäben dieser Welt verhalte ich mich genau richtig. Mein Überlebenswille verlangt es. Alles in allem ist es erstaunlich, dass eine Frau wie ich so lange überlebt hat.

Was ist das, fragte sich der Philosoph Choma Brut, blickte zu Boden und jagte dahin, was ihn die Beine trugen. Der Schweiss rann in Strömen an ihm herab. Er empfand ein verteufelt süsses Gefühl und einen bohrenden, quälend unheimlichen Genuss. Oft schien ihm, er habe kein Herz mehr, und er fasste sich erschrocken an die Brust. Erschöpft, verwirrt, begann er sich alle Gebete ins Gedächtnis zu rufen, die er kannte. Er ging in Gedanken alle Geisterbeschwörungen durch, und plötzlich spürte er eine gewisse Erleichterung; er fühlte, dass seine Schritte träger wurden, dass sich die Hexe nicht mehr so fest auf seinem Rücken hielt. Das dichte Gras berührte seine Füsse, und er sah nichts Ungewöhnliches mehr in ihm. Die helle Mondsichel leuchtete am Himmel.

Die Stadt selbst wirkt leer. Nun, es wäre nicht das erste Mal. Ich hab im Lauf der Jahre ein eigenes System entwickelt. Ach du Scheisse! Ich zähle bis zehn. Es reicht nicht. Ich konzentriere mich auf meine Atmung. Doch mein Zorn lässt nicht nach. Ich bin nervös wie eine Katze. Ist das eine Überreaktion? Ich renne im Zickzack durch den Wald, weiche peitschenden Ästen aus und ändere mehrmals abrupt die Richtung. Ich halte eine Weile still und denke nach. Ich weiss, dass es nicht so läuft. Man kann immer wieder eine Weile hoffen - und dann kommt ein richtiger Hammer. Aber diese kalkulierte Verachtung, das ist etwas, das ich persönlich nehmen muss. Es kommt natürlich nicht in Frage, einfach fortzugehen.

Na warte! dachte der Philosoph Choma und sagte die Beschwörungen nun schon fast laut her. Schliesslich hüpfte er blitzschnell unter der Alten hervor und sprang ihr auf den Rücken. Die Alte jagte mit kurzen, raschen Schrittten dahin, so dass der Reiter kaum Luft bekam. Die Erde flimmerte unter ihm vorüber. Der Mond, obwohl nicht Vollmond war, hob alles klar hervor. Die Täler waren deutlich zu sehen, und nur die Schnelligkeit liess alles in seinen Augen verschwimmen. Er ergriff ein am Wege liegendes Holzscheit und schlug damit aus Leibeskräften auf die Alte ein. Ein wildes Jammergeschrei war die Antwort. Es klang erst böse und drohend, wurde allmählich schwächer, angenehmer, reiner, verwandelte sich in ein leises Läuten, als klingelten dünne silberne Glöckchen, und drang ihm ins Herz; und unwillkürlich schoss ihm der Gedanke durch den Kopf: Ist das wirklich die Alte? "Ach, ich kann nicht mehr!" sagte diese und sank erschöpft zu Boden.

Ich bin mitten in einem Adrenalinrausch ... Es ist nicht meine Schuld, wenn sie an Märchen glauben. Diese Einfaltspinsel! Spezialisierte Systeme ... meine Persönlichkeit ist ein interaktives, hochkompliziertes System. Wenn du allein bist, dann bist du im Eimer. Das müsstest du doch wissen. Man verfolgt uns auf die übliche Weise - behauptet, wir wären geistig instabil, ideologisch krank, und so weiter. Wie lautet die zentrale Frage? Was habt ihr, das wir gebrauchen können. Geistig instabile Menschen haben einen gewissen Wert, sag ich. Ein paar kleine Durchbrüche in Fragen der Existenz. Ich brauch keine Drogen. Ich hab meine Machtfantasien.

Vor ihm lag eine Schöne mit zerzaustem prächtigen Zopf und Augenwimpern, lang wie Pfeile. Sie warf, halb ohnmächtig, die nackten weissen Arme auseinander und stöhnte, die Augen, die voller Tränen waren, zum Himmel gewandt.

Ich gebe mich dem Schlaf hin. Ich liege unter der improvisierten Decke und verbringe den Rest der Nacht mit Träumen von Parallelwelten. Immerhin lebe ich noch. Es ist ein seltsamer Krieg, unzusammenhängend und chaotisch ... Wenigstens hat es in der Nacht nicht geschneit. Hab ich da was verpasst? Mir verschlägt es die Sprache. Die seltsame Logik ist zuviel für mich. Ich kann nicht folgen. Ein Flehen um Hilfe bei etwas, das sie allein nicht mehr schaffen - beim Erinnern. Ich wundere mich, dass mir meine Gefühle so wenig Schwierigkeiten machen. Das heisst, glaub ich, verborgenes Motiv, oder? Du bist eine Art ... Katalysator.

Inzwischen hatte sich überall das Gerücht verbreitet, die Tochter eines der reichsten Kosakenhäuptlinge in der Umgebung, dessen Gehöft fünfzig Werst von Kiew entfernt lag, sei eines Tages völlig zusammengeschlagen von einem Spaziergang zurückgekehrt, habe sich gerade noch bis zum väterlichen Haus geschleppt, liege im Sterben und habe den Wunsch geäussert, die Sterbegebete und die Gebete während der ersten drei Tage nach ihrem Tode solle einer der Kiewer Seminaristen sprechen, und zwar Choma Brut.

Mein Körper windet sich, zuckt unkontrolliert. Die Luft riecht stark nach Rost und Salzwasser. Tut mir leid, dass ich eure Pläne durchkreuze. Das sind Neandertaler. Du musst dieses Problem selbst lösen. Die Bewohner sind Schlafwandler, von der Welt vergessen, im Zauber ihrer Ideologien gefangen. Mir läuft die Zeit davon. Es ist eine ganz persönliche Angst, die ich seit meiner Kindheit mit mir herumschleppe. Aber ich muss die Chance ergreifen. Meine Pläne hängen davon ab, dass ich durchkomme. Jetzt bin ich bereit. Okay. Klingt ganz nett. Ich wandere langsam aus der Menge heraus und bewege mich ohne bestimmtes Ziel durch die Gänge. Sehr exotisch.

Ich trauere nicht darum, meine über alles geliebte Tochter, dass du, zu meinem bitteren Kummer, die dir gesetzte Frist nicht gelebt, dass du die Erde in der Blüte deiner Jahre verlassen hast. Ich trauere darum, meine Taube, dass ich den grimmigen Feind nicht kenne, der die Ursache deines Todes war. Wenn ich wüsste, wer es gewagt hat, dich zu kränken oder auch nur ein unangenehmes Wort über dich zu sagen – ich schwöre bei Gott, er würde, wenn er in meinem Alter stünde, nie seine Kinder, wenn er noch jung an Jahren wäre, nie Vater und Mutter wiedersehen. Sein Leichnam würde den Tieren und Vögeln in der Steppe zum Frasse vorgeworfen werden. Mein Kummer ist, du meine Ringelrose, mein Wachtelchen, mein Eschenbäumchen, dass ich den Rest meiner Tage freudlos verbringen werde, die Tränen trocknend mit meines Rockes Saum, die üppig den alten Augen entquellen, indessen mein Feind triumphiert und im stillen über den schwächlichen Alten höhnt.

Den Luxus der Unschuld können wir uns nicht leisten. Du bist zu integer und du machst zu viel Ärger. Ist das ein Trick? Was ist das für ein Heulen? Sie hassen dich. Schön. Vielleicht können wir dann endlich einmal offen reden. Ich hab böse Sachen gemacht, um frei zu sein. Ich hab mein Leben aus dem Programm befreit. Jetzt ist alles anders. Sobald sich meine Augen schliessen, läuft in meinem Gehirn ein innerer Monolog ab: Proben ... Instinktiv zerlegt ein Teil meines Gehirns die Arbeit in Computerbefehle: vereinfachen, analysieren, reduzieren. Zu welchem Zweck? Geld entscheidet. Wissen ist keine Macht. Es sind zu viele Abstraktionen im Weg. Aber meine Begabung ist eine Realität. Es ist die Sache selbst. Irgendwie werde ich auch damit fertigwerden. Ich weiss, es liegt an mir, das Opfer zu bringen. Jemand muss eine grosse Geste machen. Nun, dann tue ich es eben. Hättest du mich nicht warnen können? Aber wir können immer noch improvisieren. Ich bekomme die Situation unter Kontrolle. Ich fühle mich ausgezeichnet.

Ein Schauer überlief ihn. Vor ihm lag eine Schönheit, wie es noch keine auf der Welt gegeben hatte. Noch nie, so schien ihm, waren die Züge eines Gesichts so ausgeprägt, so scharf und dennoch so ebenmässig schön gebildet gewesen. Sie lag da, als ob sie lebte. Die reine Stirn, zart wie der Schnee oder wie Silber, schien zu denken; die feinen gleichmässigen Brauen, schwarz wie die Nacht gegen den hellichten Tag, wölbten sich stolz über ihren geschlossenen Augen, und die Wimpern, lang wie Pfeile, waren auf die vor heimlichen Wünschen glühenden Wangen gesenkt; die Lippen glichen Rubinen und schienen lächeln zu wollen ... aber er sah in ihren Zügen zugleich auch etwas unheimlich Durchdringendes, Scharfes. Er fühlte, wie sich sein Herz schmerzhaft zusammenzog, als hätte jemand mitten in einer fröhlichen, im Tanz umherwirbelnden Menge ein Lied vom unterdrückten Volk angestimmt. Die Rubine ihrer Lippen schienen sich an seinem blutenden Herzen festzusaugen. Plötzlich tauchte etwas schrecklich Bekanntes in ihren Zügen auf. "Die Hexe!" rief er mit völlig veränderter Stimme, wandte den Blick zur Seite, wurde kreidebleich und vertiefte sich in seine Gebete. Es war die Hexe, die er erschlagen hatte.

Sie blickt nach unten. Ihre Hände zucken und machen unbewusste Greifbewegungen in ihrem Schoss. Sie hebt sie und schüttelt die Spannung heraus. Dumme kleine Hände. Ich lächle unverbindlich. Ich war die Klassenbeste. Ich kann mich an nichts erinnern. Es ist mir alles entglitten. Unter dem Einfluss der kriegerischen Großstadt fallen grosse Teile meiner Persönlichkeit in sich zusammen. Das Gerede über Loyalität und Ideologien langweilt mich. Ich warte darauf, dass sie zur Sache kommen. Es gefällt mir nicht besonders, aber es ist nicht schwer. Jetzt stehen wir vor einem Krieg der Bewusstseinszustände. Sie wollen dich destabilisieren. Sie wollen dein Paradigma als unhaltbar darstellen. Sie wollen eine kognitive Dissonanz erzeugen, die dich von innen auseinanderbrechen lässt. Es ist unerträglich heiss.

Wovor sollte ich mich hier fürchten? Ein Mensch kann nicht herein, und gegen Geister und Besucher aus dem Jenseits habe ich solche Gebete, dass ich sie nur zu sprechen brauche, und sie rühren mich nicht mit der Fingerspitze an. Wird schon gehen! Warum sollte ich Angst haben? sagte er sich im stillen. Sie wird sich schliesslich nicht aus dem Sarg erheben, denn sie fürchtet das Wort Gottes. Soll sie ruhen! Dennoch schielte er, Seite um Seite wendend, immer wieder zum Sarg hinüber, und ein unwillkürliches Gefühl raunte ihm zu: Gleich, gleich wird sie sich erheben, wird sich aufrichten und aus dem Sarg herausschauen!

Hast du Geld? Ich will dir nichts vormachen. Es gibt keine Bäume mehr. Dies ist kein ursprünglicher Wald. Kannst du dich noch an deinen richtigen Namen erinnern? Das ist der wichtige erste Schritt. Versuch es! Übrigens, wer hat dich angeheuert? Ja, sie haben mich lebendig gefangen und mich überzeugt. Grässlich! Aber jetzt bist du in Sicherheit. Du bist nicht mehr und nicht weniger als ein normales menschliches Wesen. Mein Gehirn fühlt sich an, als gehörte es einem Dinosaurier. Fühlen sich Menschen wirklich so? Wir zwei sind aus demselben Holz, wir verstehen uns. Ich denke lange darüber nach. Es ist erschreckend und bizarr, so rational und ganz selbständig zu denken. Ich hab gar nicht gewusst, wie mühsam und schmerzhaft denken ist. Und jetzt weiss ich auch ganz genau, was ich immer vermutet habe: einfach nur ein Mensch zu sein, macht nicht genug Spass. Danach geht alles sehr rasch.

Und wenn sie sich nun aufrichtete? Sie hob ein wenig den Kopf. Er starrte fassunglos hin und rieb sich die Augen. Aber sie lag tatsächlich nicht mehr, sondern sass aufrecht in ihrem Sarg. Er wandte den Blick von ihr ab, musste jedoch, schreckenerfüllt, gleich wieder hinsehen. Sie war aufgestanden. Sie ging mit geschlossenen Augen durch die Kirche und breitete in einem fort die Arme aus, als wolle sie jemanden greifen. Sie bewegte sich geradewegs auf ihn zu. Er zog in seiner Angst einen Kreis und stellte sich hinein. Und er sprach eifrig seine Gebete und murmelte Beschwörungen. Sie stand fast unmittelbar am Kreis; aber man merkte, dass sie nicht die Macht besass, ihn zu überschreiten, und sie wurde ganz blau, wie ein Mensch, der schon seit Tagen tot ist. Choma fand nicht den Mut, sie anzublicken. Sie war schrecklich. Sie knirschte mit den Zähnen und öffnete die toten Augen. Da sie jedoch nichts wahrnahm, wandte sie sich in ihrer Wut – das erkannte man am Zittern des Gesichts – nach der anderen Seite, breitete die Arme aus und tastete jeden Pfeiler und jede Ecke ab, bemüht, Choma zu fangen. Schliesslich gab sie es auf, drohte mit dem Finger und legte sich in den Sarg.

Ein sanftes Lächeln. Sagen wir, sie kommen sich ziemlich nahe. Was für ein Gefühl das ist ... man hat das Gefühl ... man denkt, das könnte man nie tun. Aber letztlich tut man es doch. Man erinnert sich an bestimmte Dinge. Denn sie sind Teil einer ganzen Ereigniskette, die zu dem Punkt führt, von dem aus man weitermacht. Man hats im Blut, und man hat dieses unbeschreibliche Gefühl, mit dieser Person identisch zu sein. Es findet eine Art Verschmelzung statt. Besteht wirklich Identität?

Eine Stunde vor dem Abendessen versammelte sich fast das ganze Hofgesinde, um Klötzchen, eine Art Kegelspiel, zu spielen, bei dem man jedoch statt der Kugeln lange Stöcke benutzt und der Gewinner das Recht erhält, auf dem Rücken des Verlierers einen Ritt zu machen. Dieses Spiel fesselte die Zuschauer sehr. Oft kletterte der Rinderhirt, der breit war wie ein Fladen, auf den Rücken des schmächtigen, kleinen, fast nur aus Runzeln bestehenden Schweinehirten. Ein anderes Mal hielt der Rinderhirt den Rücken hin, und Dorosch schwang sich hinauf, wobei er jedesmal rief: "So ein prächtiger Bulle!"

Schluss mit dem ganzen Scheiss, denke ich. Die Dinge haben mich dazu gebracht, die schrecklichen Dinge. Keine Ablenkungsmanöver, keine Tricks. Listenreiches Vorgehen ist nicht meine Stärke, ich neige mehr zum Draufgängertum. Ich muss mich der Wirksamkeit brutaler Gewalt versichern. Niemand lauert dort auf dich. Alles ist sehr sauber. Sei nicht beunruhigt. Das sind keine Tricks. Ob ich sterben möchte? Nicht direkt. Es ist nur so, dass ich keinen Wert mehr darauf lege, die zu sein, die ich bin. Ich frage mich, ob ich die Sache jetzt noch durchziehen kann. Buße? Gerechtigkeit. Natürlich wird Gerechtigkeit immer mit Strafe verwechselt. Erstaunlich! Warum tust du es nicht? Ich kann dir sagen, warum. Weil du Mitleid mit mir empfindest... oder vielleicht nicht Mitleid, aber irgendetwas empfindest du für mich. Oh, habe ich deine Seele berührt? Wir leben im finstersten Mittelalter. Also gut, ich werde dir helfen. Brauchst du noch mehr Motivation? Los jetzt, du Arschloch!

Was soll schon sein, sagte er, jetzt sind mir alle diese Kunststücke nicht mehr neu. Sie schrecken einen nur beim ersten Mal. Ja, sie schrecken ein wenig, doch nur das erste Mal; dann hört es auf – es macht einem nichts mehr aus. Er beeilte sich, in den Chor zu kommen, zog den Kreis um sich herum, sprach einige Beschwörungen und begann laut zu lesen, entschlossen, von seinem Buch nicht aufzublicken und nichts zu beachten. Nachdem er eine Stunde gelesen hatte, ermüdete er etwas und musste hüsteln. Zaghaft schielte er zum Sarg hinüber. Sein Herz setzte aus.

Wundervoll! Der Wolfshund knurrt, seine Augen röten sich. Meine Seele ficken? Welch treffender Ausdruck! Genau das wirst du tun, du wirst dich von oben bis unten bespritzen, während du meine Seele zu Tode fickst. Oder ist das nur ein Vorspiel, die freudige Erwartung? Beruhige dich, sage ich zu mir. Du kannst nichts dafür. Ich weiss nicht, was ich gewollt habe. Schmerzlos, so habe ich es gewollt. Genau, stimmt. Aber klar. Schmerzlos, wirklich. Wie das Nasenbluten, das du jetzt hast. Aufhören! Nein, was? Musst du keinen Bericht abliefern? Schnell jetzt, schnell. Welchen moralischen Befehlen gehorche ich? Was erreiche ich damit?

Die Leiche stand unmittelbar vor ihm am Strich und starrte ihn aus toten, grünlichen Augen an. Er zuckte zusammen, und eine Kältewelle überlief ihn von Kopf bis Fuss. Er senkte den Blick aufs Buch, sprach mit noch lauterer Stimme seine Gebete und Beschwörungen und hörte, wie die Tote wieder mit den Zähnen klapperte und mit den Armen in der Luft herumfuhr, um ihn zu greifen. Aber als er mit einem Auge zu ihr hinschaute, merkte er, dass sie ihn an verkehrter Stelle suchte, nicht dort, wo er sich befand und ihn offenbar nicht sehen konnte. Da begann sie dumpf zu raunen und mit ihren toten Lippen schreckliche Worte auszustossen; es hörte sich an wie das Brodeln von siedendem Teer. Was sie bedeuteten, hätte er nicht sagen können, doch er fühlte, dass es etwas Schlimmes war.

Du bist zu verrückt, um weiterzuleben, Kleine. Das ist keine Prüfung ... Ich wollte, es gäbe einen anderen Weg. Ist mir im Traum erschienen. So, Zeit zum Weinen. Schreie in der Ferne. Ich glaube, ich bin wach. Ich wehre mich dagegen, aber dann erkenne ich, dass nichts Verlockendes daran ist, bei Bewusstsein zu bleiben, und lasse mich trudelnd versinken. Das war keine gute Arbeit ... gar keine gute Arbeit. Die Bombe ist ein mächtiges Symbol, viel mächtiger, als es nach ihren unmittelbaren Auswirkungen den Anschein hat. Wie war es? Wir haben von den Selbstmorden, von der Apathie gehört. Das zu sehen ... ich kann es nicht erklären. Die Dinge haben sich geändert. Es ist kompliziert. Warum hast du mich gerettet? Ein Dutzend Absichten prallen in meinem Kopf aufeinander. Hey, hierher. Du solltest mir gegenüber nicht misstrauisch sein. Sieh mal, mir geht es ganz schön beschissen. Ich weiss, wie das ist. Glaub mir, ich weiss, was sie einem antun können.

In der Kirche erhob sich bei ihren Worten ein Wind, und er vernahm ein Rauschen, das von zahlreichen Flügeln herzurühren schien. Er vernahm, wie die Flügel an die Scheiben der Kirchenfenster und an die eisernen Rahmen schlugen; wie Krallen kratzend über Eisen glitten und eine unübersehbare Heerschar die Tür berannte und einzudringen suchte. Sein Herz hämmerte ohne Unterlass; er kniff die Augen zusammen und fuhr, ohne Atem zu schöpfen, in seinen Beschwörungen und Gebeten fort. Schliesslich hörte er in der Ferne etwas schrillen – es war ein Hahnenschrei.

Ich glaube, jetzt geht alles in Ordnung. Alles. Zum überwiegenden Teil arbeite ich im Geheimen. Ich versuche nicht, irgendetwas zu beweisen. Ich habe einfach das Gefühl, dass eine kurze enge Verbindung zwischen uns beiden dir zum Vorteil gereichen wird. Warum nicht, verdammte Scheisse? Erinnerungen an die Kindheit, die verlorene Jugend und den Dschungel flimmern vorüber wie Szenen eines alten Stummfilms auf einer schadhaften Kopie, mit verblassten Farben und übertrieben dargestellten Charakteren, und ich erkenne, wie hoffnungslos falsch meine eigene Handlungsweise gewesen ist. Das sollte reichen. Ich bin bereit, diesen Teil der Wahnidee zu akzeptieren. Werden wir miteinander sprechen? Die Antwort bleibt in der Luft hängen. Also gut. Ich fange an. Was war das? Es wird noch ein Krieg geführt. Ein Krieg innerhalb des Krieges. Ein Machtkampf. Zwischen zwei Gruppen von Psycho-Experten, glaube ich.

Als man kam, um ihn abzulösen, fand man ihn mehr tot als lebendig. Er lehnte mit dem Rücken an der Wand und starrte die Kosaken, die ihn schüttelten und stupsten, mit unbeweglichen Augen an. Sie mussten ihn fast gewaltsam hinausführen und den ganzen Weg über stützen. Ach du lieber Gott! Du bist ja völlig ergraut!

Wenn mich der Computer anspricht, weigere ich mich, darauf einzugehen: Ich will weder seinen Trost noch seine Kameradschaft. Ich habe nie einen Krieg wie diesen erlebt. Er ist verrückt. Der Ort ist mir ein vollkommenes Rätsel. Grünes Licht, grüner Schatten. Ich bin nicht sicher, wieviel ich dir davon erzählen soll. Nach der offiziellen Darstellung steht er unter Quarantäne, aber niemand kann sagen, welche Krankheit der Grund für diese Quarantäne ist. Es gibt Gerüchte über Strassenkämpfe... und sogar noch schlimmere Dinge. Vieles hört sich geradezu lächerlich an, aber man hört es immer wieder. Das ist alles. Ich habe keinerlei Bestätigung dafür, natürlich nicht.

Und Choma beschloss, unbedingt zu fliehen. Der Philosoph schlich zitternd und bebend in den herrschaftlichen Garten, von wo aus zu fliehen ihm am bequemsten und unauffälligsten erschien. Dieser Garten war, wie das so üblich ist, schrecklich vernachlässigt und demzufolge für allerlei heimliche Unternehmungen ausserordentlich gut geeignet. Mit Ausnahme eines einzigen Fusspfads, der gewissen häuslichen Zwecken diente, war alles andere von Kirschbaum-, Holunder-, und Klettendickichten überwuchert, aus denen vor allem die langen Klettenstiele mit ihren widerborstigen rosa Blütenzapfen herausragten. Oben war diese ganze bunte Gemeinschaft von Bäumen und Sträuchern von Hopfen überzogen; er bildete gleichsam ein Netz oder Dach, das bis auf den Flechtzaun herabhing und sich zusammen mit wildwachsender Ackerwinde an ihm hinrankte. Hinter dem Flechtzaun, der den Garten begrenzte, erstreckte sich ein wahrer Wald von Steppengras, in den, wie es schien, nie jemand hineinsah; jede Sense, die es versucht hätte, die dicken, holzigen Stengel umzuhauen, wäre unweigerlich in Stücke gesprungen.

Es ist schön. Staubstürme fegen in Richtung Süden, und die Sonnenuntergänge ... unglaublich. Wie eine prähistorische Landschaft. Es ist eine herrliche Nacht. Sterne, viel mehr Sterne, weil die Luft so klar ist. Ein sichelförmiger Mond, kalt und silbern. Kühle Luft. Eine Nacht voller Klarheit. Mein Gott, wie sie spielt. So fliessend, so ausdrucksvoll. Ich bin ständig leicht benommen. Ich gehe bald weg, sagt sie mit eisiger Stimme. Es wäre leichter, wenn jemand dabei wäre. Ich habe keine Kraft mehr dafür. Wenn es wahr ist. Natürlich ist es wahr. Ich kann es nicht verbergen, ich konnte es nie verbergen. Weil es verdächtig ist, weil alles verdächtig ist. Und vielleicht ist mangelndes Wissen ein Stimulans für Gefühle, vielleicht sind die Dinge besonders anregend, wenn sie etwas unreal bleiben ...

Es ist soweit, sagte Jawtuch, gehen wir! Die Zunge soll dir verdorren, verdammtes Scheusal! dachte der Philosoph, stand aber auf und sagte: Gehen wir! Unterwegs blickte er sich in einem fort nach allen Seiten um und versuchte, seine Begleiter in ein Gespräch zu ziehen. Doch Jawtuch schwieg; und selbst Dorosch liess sich auf keine Unterhaltung ein. Die Nacht war höllisch. In der Ferne heulte ein ganzes Rudel Wölfe. Selbst das Hundegebell wirkte irgendwie schauerlich. Mit scheint, da heult etwas anderes – das sind keine Wölfe, sagte Dorosch.

Ich kenne alle Einzelheiten der Szene, kenne ihre Namen und ihren Zweck, und doch fehlen irgendwie die Zusammenhänge. Der Fehler liegt an mir, daran, dass ich hier bin. Plötzlich kommt es mir vollkommen richtig vor, dass ich gehe. Mehr als richtig. Vielleicht ist mein Wunsch zu gehen aber auch angestachelt von einem Gefühl des verzweifelten Triumpfes, vielleicht brauche ich einfach einen Sieg, und jetzt glaube ich, dass ich einen erringen kann. Nein, denke ich. Das glaube ich nicht. Trotz der Dinge, die ich gesehen habe, bin ich der Ansicht, dass die Zukunft niemals ganz feststeht, gleichgültig, wie klar man sie vor Augen sieht. Aber sie kann sich an all das nicht mehr erinnern, sie hat sich ins Nichts verkrochen. Was das Herz erschafft, kann der Geist nicht zerstören, ha ha.

Alles war wie sonst. Alles bot den bekannten, drohenden Anblick. Er hielt einen Moment den Atem an. In der Mitte der Kirche stand unbeweglich der Sarg mit der schrecklichen Hexe. Ich werde mich nicht ängstigen, bei Gott, ich werde mich nicht ängstigen! sagte er, zog wie sonst um sich herum einen Kreis und rief sich all seine Beschwörungen ins Gedächtnis. Die Stille war schauerlich; die Kerzen flackerten und übergossen die ganze Kirche mit Licht. Der Philosoph blätterte eine Seite um, dann eine zweite und bemerkte, dass er etwas ganz anderes las als das, was im Buche stand. Er bekreuzigte sich erschrocken und hub zu singen an. Das ermutigte ihn ein wenig: er kam mit dem Lesen besser voran, und Blatt um Blatt flimmerte an seinen Augen vorüber. Plötzlich barst, mitten in der Stille, krachend der eiserne Sargdeckel, und die Tote richtete sich auf.

Bitte, ich habe die Dinge seit Jahren nicht mehr so klar erkannt. Vielleicht ist dies meine letzte Chance. Die Familie? Das Zeug, stimmt es? Sie pflegt uns Geschichten über die Familie zu erzählen, über die Fehde. Sie schüttelt dabei den Kopf, als laste die ganze Sache ihr schwer auf der Seele, aber sie geniesst die Geschichten, die blutige Vergangenheit bereitet ihr Vergnügen. Man erkennt es an der Art, wie sie sie ausschmückt. Bei ihr klingt der Horror elegant. Ihr wollt doch herausfinden, was gespielt wird, oder nicht? Sie übertreibt ... Man wird sich um sie kümmern. Ja, man wird sich um mich kümmern. Ich kann den ganzen Tag in einem Raum sitzen, ohne dass ein Gedanke mich belästigt. Eine Mischung aus Gnadentod und Exekution.

Sie war noch schrecklicher als früher. Ihre Zähne schlugen grauenhaft aufeinander, ihre Lippen zuckten wie im Krampf, und Beschwörungen hallten unter wildem Aufkreischen durch den Raum. Ein Wirbelwind erhob sich in der Kirche. Er riss Heiligenbilder von den Wänden; Fensterscheiben zersplitterten und prasselten auf den Fussboden herab. Die Türen sprangen aus den Angeln, und eine unübersehbare Heerschar von Ungeheuern brach in das Gotteshaus ein. Ein grauenhaftes Flügelschlagen und Kratzen von Krallen erfüllte den Raum. Alles flog und wirbelte durcheinander, alles suchte nach dem Philosophen. Er dachte nur noch an eins – sich zu bekreuzigen und Gebete herzusagen, wie sichs gerade traf.

Ich empfinde zu viel. Ich will nicht, dass das ... mich schwächt. Ich meine, welche Wirkung Gefühle auf die Entschlusskraft haben. Eins steht fest: wir werden manipuliert. Allerdings unterlaufen ihnen immer wieder Fehler. Sie sind geschickt, aber unvorsichtig. Alles, was geschieht, unterliegt irgendwie dem Zufall. Ich habe es an mir selbst festgestellt, und ich erkenne es an all dem Scheiss, der mir passiert. Wenn wir es schaffen, einen kühlen Kopf zu bewahren, wenn wir niemandem trauen als uns gegenseitig, können wir sie vielleicht überrumpeln.

Und dennoch fühlte er, dass diese Höllenwesen um ihn herum waren, dass sie ihn mit den Flügelspitzen und den widerwärtigen Schwänzen fast streiften. Er hatte nicht den Mut, sie sich anzusehen; er nahm nur wahr, dass an der einen Wand, so gross, dass es sie fast verdeckte, ein riesiges Ungeheuer stand – in seinem Wust von wirren Haaren wie in einem Wald. Durch das Gewirr der Haare starrten ihn unter leicht gehobenen Brauen zwei schreckliche Augen an. Über ihm hing eine Art riesiger Blase in der Luft, mit Tausenden von Zangen und Skorpionenstacheln, die aus der Mitte nach allen Richtungen auseinanderstrebten. Klumpen von schwarzer Erde klebten an ihnen.

Yeah, also, wie auch immer. Einverstanden? Aber ich weiss, wem dieser Schrei wirklich gilt. Menschen sind Unkraut in dieser Gegend. Und ich hab immer noch Angst vor dir. Ich war ganz schön blöd, dass ich so lang gebraucht hab, um durchzublicken. Mischmasch aus Kameradschaft und Rivalität. Wir werden uns gegenseitig brauchen. Nein, ich fühl nix. Warum soll ich denn was fühlen? Fühlen bedeutet doch gar nix. Ich will nix fühlen. Sie lässt die Faust auf den Tisch niedersausen. Was ist denn los? Aber sie schämt sich. Das war nicht so besonders klug. Also, ich erzähls dir. Eine kalte Ruhelosigkeit ergreift mich, aber ich will es nicht wahrhaben. Für mich ist das nicht nur so ein Spielchen.

Bringt den Wij her! Holt den Wij! sagte die Tote. Und plötzlich wurde es in der Kirche still. In der Ferne hörte man eine Art Wolfsgeheul, und bald darauf erklangen schwere, hallende Schritte. Ein Blick aus den Augenwinkeln zeigte Choma, dass sie einen gedrungenen, plumpen, kräftigen Mann hereinführten. Er war über und über mit schwarzer Erde bedeckt. Die Arme und Beine, auch sie voller Erde, standen wie knotige starke Wurzeln von ihm ab. Er trat schwerfällig auf und stolperte alle Augenblicke. Die gesenkten Augenlider reichten bis an die Erde. Choma bemerkte mit Entsetzen, dass sein Gesicht aus Eisen war. Man griff ihm unter die Arme und brachte ihn bis unmittelbar an die Stelle, an der sich Choma befand.

Weisst du was? Ich glaube, du meinst es sogar ernst. Und das macht mir Angst. Du meinst es so gottverdammt ernst, und du bildest dir ein, Ernsthaftigkeit rechtfertigt alles. Jede Laune und jede Greueltat. Und dann übernimmst du meinen Platz, was? Wer bist du? Mich interessiert deine gottverdammte Philosophie nicht. Ich will wissen, was du treibst ... für wen du arbeitest. Ich traue dir nicht. Es wäre also besser, du würdest mir etwas erklären. Du scheinst okay zu sein. Aber es könnte sein, dass in dir Dinge verborgen sind, Fallen, Befehle. Dinge, von denen nicht einmal du etwas weisst. So, jetzt erzähl mir was von dir! Ich lebe nur. Was ist das hier für eine Geschichte? Sie macht eine Geste der Hilflosigkeit. Hier geht etwas vor sich ... etwas Ausserordentliches. Es ist schwer zu erklären. Zunächst erscheint das zusammenhanglos, zufällig. Doch bin ich zu der Ansicht gelangt, dass diese Erscheinung das Herzstück eines Verschmelzungsprozesses ist, der hier stattfindet. Man kann diesen Prozess in allen Bereichen des Lebens beobachten, und ich glaube, all das ist nur die Spiegelung von etwas viel Wichtigerem, das den gleichen Prozess durchmacht. Es ist noch nicht klar. Ihr müsst hierbleiben, um die Wahrheit meiner Worte zu erkennen. Wir fügen immer neue Teile zu dem Bild hinzu und eines Tages wird es vollendet sein. Warum wollt ihr uns so schnell loswerden?

Hebt mir die Lider hoch – ich seh nichts! sagte der Wij mit Grabesstimme, und der ganze Haufe stürzte herbei, um ihm die Lider zu heben. Schau nicht hin! flüsterte eine innere Stimme dem Philosophen zu. Doch er hielt es nicht aus und tat es. Da ist er! rief der Wij und wies mit dem eisernen Finger auf ihn. Und alle, so viele ihrer waren, stürzten sich auf den Philosophen. Da brach er leblos zusammen, und seine Seele entfloh vor Angst dem Körper.

Nichts, absolut gar nichts. Die Nächte sind grauenvoll. Ich bekomme eine Vorstellung davon, warum Hunde den Mond anheulen. Und jetzt glaubst du also auch, dass das Biest existiert. Diese Wahrheit hat etwas Verlockendes. Und wie jede Wahrheit ist sie äusserst kompliziert in ihren Auswirkungen. Horch! Finde deine eigene Anwort! Ich habe meine auch gefunden. Ich brauche keine verdammten Bilder über den Krieg. Aber man muss doch versuchen, menschliche Werte zu bewahren, oder nicht?

Ein Hahnenschrei erklang. Es war bereits der zweite; den ersten hatten die Kobolde überhört. Sie rannten erschrocken davon – jeder wohin er konnte, zur Tür oder zu den Fenstern - um so rasch wie möglich zu entkommen. Aber es war schon zu spät – sie blieben allesamt in Tür und Fenstern stecken. Als der Geistliche die Kirche betrat und diese Schändung des Gottesheiligtums sah, verharrte er auf der Schwelle und wagte es nicht, an einem solchen Ort die Totenmesse zu lesen. So blieb die Kirche denn für alle Zeiten mit den in Tür und Fenstern steckengebliebenen Ungeheuern stehen. Sie verschwand allmählich hinter den Bäumen, dem Steppengras und dem wilden Schlehdorn, die sie umwucherten, und heute würde niemand mehr den Weg zu ihr finden.

Ich bin gefangen in diesem Raum. Es gibt nichts zu sehen, sogar die Farben sind ausgebleicht und hässlich. Es nützt niemandem, dass ich hier bin. Es ist keine Flucht und kein Rückzug. Es ist einfach meine Bestimmung, hier zu sein. Wie ein Beruf. Niemand braucht mich, niemand spricht mit mir. Ja, ich weiss gar nicht, wie das geht - sprechen. Sie stösst ein nervöses Lachen aus. Das ist gar nicht weit von der Wirklichkeit entfernt. Mir gefällt diese Art von sinnlichem Pessimismus. Natürlich habe ich keine Verantwortung, niemand hat eine ... Warum passiert das immer wieder? Ich meine, ich spüre, wie etwas anfängt. Spüre, wie mein Körper reagiert. Und ich versuche, es unter Kontrolle zu bringen. Aber ich kann es nicht aufhalten, ich kann es nicht einmal verzögern. Vielleicht bin ich eine neue Züchtung. Hat sie überhaupt eine Chance? Kaum. Die Sprengsätze sind überall. Ihr Geist weist so gut wie keine Struktur auf, ihr Denken läuft langsam, zäh und träge. Ich möchte mich übergeben, auf irgendeine Art heftig reagieren, aber ich bin nur benommen.

WILDCARDS BIBLIOGRAPHIE

In meinen Ausführungen über Kurt Gödel folge ich den Quellen Kurt Gödel. Ein mathematischer Mythos von Werner DePauli-Schimanovich / Peter Weibel und Gödel Escher Bach. Ein Endloses Geflochtenenes Band von Douglas R. Hofstadter, den Ausführungen über Roman Jakobson liegt Jakobsons Buch Kindersprache Aphasie und allgemeine Lautgesetze zugrunde.
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