Neues Österreich


Aspekte sozial-ökonomischer und politischer Entwicklungen vor und seit der "Waldheim-Auseinandersetzung"

© Peter Kreisky / 2009


Die Ausgangslage 1986

Warum konnte ein Karrierist wie Kurt Waldheim, der erst spät, in Reaktion auf Proteste (die sich vor allem im Wiener Raum artikulierten), einigermaßen kritische Worte zu seiner militärischen Verpflichtung unter den Zwangsbedingungen des Nationalsozialismus fand, in die höchste repräsentative Funktion der österreichischen Republik nominiert und gewählt werden? Das verspätete offizielle Eingeständnis, dass Österreich ein Land der Opfer und Täter war, ist dadurch zu ergänzen, dass es zu einem großen, wenn nicht überwiegenden Anteil ein Land der Mitläufer und Begünstiger war. Nur eine relativ kleine Minderheit war zu aktivem oder passivem Widerstand bereit. Die jahrzehntelang dominierende Staatsdoktrin, dass Österreich das erste Opfer der Aggressionspolitik Hitler-Deutschlands war, ist eine Beschönigung und Verzerrung geschichtlicher Realitäten. Da die Volksabstimmung 1938 über Österreichs "Anschluss" an NS-Deutschland in einem Klima von Einschüchterung und Manipulation stattfand, war das überwältigende Ergebnis für den "Anschluss" eigentlich kein Indikator für die Stimmungslage. Bedingungen dieser besonderen Bereitschaft vieler ÖsterreicherInnen, dem Nationalsozialismus zur Macht zu verhelfen und sich in nicht unerheblicher Zahl auch an seinen Gräueltaten zu beteiligen, werden in diesem Aufsatz angesprochen. Hohe Arbeitslosigkeit, als Folge der Weltwirtschaftskrise 1929/1930, kann, da sie auch andere Staaten erfasste, keine hinreichende Erklärung für die starke Involvierung vieler ÖsterreicherInnen in den Nationalsozialismus abgeben.

Warum Österreich zu einer Brutstätte derartiger ideologischer Phantasmen werden konnte, hat uns vor und seit dem Bestehen des "Republikanischen Clubs-Neues Österreich" beschäftigt. Neben meiner jüdischen Herkunft, der Ermordung eines Großteils meiner Verwandten und immer wiederkehrender Erfahrungen mit Antisemitismus waren die zeitgeschichtliche politische Bildung im Verband Sozialistischer Mittelschüler (VSM) und frühe universitäre Anregungen, wie die kritischen sozialhistorischen Vorlesungen des österreichischen katholischen Sozialhistorikers Friedrich Heer ("Der Glaube des Adolf Hitler. Anatomie einer politischen Religiosität", München 1968) oder des katholischen Soziologen August Maria Knoll ("Katholische Kirche und scholastisches Naturrecht. Zur Frage der Freiheit", Neuwied 1968) prägend für die Entwicklung meines historisch-politischen Bewusstseins. Das Engagement für Mitbegründung und Mitorganisierung des Republikanischen Clubs leitet sich aus diesen Erfahrungen ab.

Mit dem katholischen Absolutismus waren geschichtliche Brechungsfaktoren verbunden, die die Herausbildung demokratischer Selbstregierung in Österreich behinderten. Die historische Kette reicht von der Niederwerfung von Bauern- und Knappenerhebungen, kirchlicher und kaiserlicher gegenreformatorischer Gewaltherrschaft, antibürgerlichem feudalen Absolutismus bis zur gegen Reformbestrebungen der Arbeiterbewegung gerichteten Gewaltausübung. Was nach dieser Geschichte von Niederlagen von Volksbewegungen blieb, waren weit verbreitete Ressentiments (gegen Slawen, Protestanten, Juden und "die jüdische Weltverschwörung", "die Freimaurer", "die Emanzen", "die Kommunisten", "die Sozis", "die Ausländer", "die Schwulen"), die immer wieder erfolgreich gegen gesellschaftliche AußenseiterInnern mobilisiert wurden. Residuen dieser Kämpfe und der Niederlagen in Kriegen und ihre mehr oder weniger oktroyierten Sündenböcke (Dolchstoßlegenden nach dem 1.Weltkrieg, der "Verrat der verjudeten sozialdemokratischen Parteiführung" 1933/34) sind nachwirkende Faktoren in aktuellen politischen Auseinandersetzungen. Dass auf Anregung des früh verstorbenen Michael Weinzierl der österreichische Jakobiner Franz Freiherr von Hebenstreit zum Namensgeber unseres Kaffee-Restaurants gewählt wurde, war - angesichts der doppelten Bedeutung des Namens - beabsichtigt. Er sollte als Beitrag zur Hebung des Streitniveaus in der österreichischen Politik und Gesellschaft wirken.

Das postfaschistische Geschichtsbild fast aller ÖsterreicherInnen, als von den Nazis Überwältigte, steht in Widerspruch zu zentralen Positionen im österreichischen Gründungsmythos, die sich der Notwendigkeit der Befreiung seit 1945 nicht stellen möchten: Dass Österreich - bis heute - als von Siegermächten besetzt angesehen wird, scheint selbstverständlich, die zumindest ebenso wichtige Dimension der Befreiung - trotz vieler Gewalttaten von Teilen der sowjetischen Militärs - wird nur am Rande vermerkt. Dies zeugt von unzureichender Lernfähigkeit und -bereitschaft vieler Landsleute. Wie schwer es hingegen ÖsterreicherInnen fiel, Deserteure, WiderstandskämpferInnen und PartisanInnen als mutige ExponentInnen eines "anderen Österreichs" anzuerkennen und nicht weiterhin als Verräter zu diffamieren, ist ein Beleg für die Kontinuität eines insgeheim vorhandenen, manchmal sogar nachträglichen Einverständnisses mit Aspekten eines verbrecherischen Systems. Aggressive Projektion verdrängter familiärer Schuldgefühle für unterbliebene Auflehnung, die in vielen Fällen lebensgefährlich gewesen wäre, mag eine Rolle für die bis in die Gegenwart anhaltende Abwertung mutigen und klarsichtigen Verhaltens spielen. Die Muster der Abwehr einer Auseinandersetzung mit Ursachen, Verbrechen und Folgen des Nationalsozialismus äußern sich in vielfältigen Erscheinungsformen.

Kurt Waldheims innerösterreichisch höchste Stufe politischer Karriere verdankte sich also maßgeblich der Nutzung verbreiteter Ressentiments und paranazistischer Stereotypien, die in Österreich bis heute hegemonial sind, und gegen die wenig Einwände erhoben werden. Zwischen Zwang zur Ableistung des Militärdienstes für NS-Deutschland und weitgehender Identifikation mit Kriegszielen oder legitimer Kameradschaft an der Front wird kaum unterschieden. Dass Partisanen und andere Widerständler sich zum einen nicht nur im Rahmen der Vorschriften verhalten konnten, sondern in heroischem Engagement gegen die NS-Diktatur bewusst Regeln und Verbote übertreten mussten, wird zumeist nicht respektiert. Zugleich war die Wahl ihrer Mittel nicht unabhängig von denen der Eroberungs- und Unterdrückungsmächte, so dass Übergriffe von Partisanen auch bedingt waren durch gewalttätige Repressalien von Wehrmacht, Gestapo, SS und SD. Dennoch bleibt festzuhalten: Pauschale Tötungen und andere Gewaltmaßnahmen, vielfach in großer Zahl als Rachehandlungen ohne Gerichtsverfahren, nach dem opferreichen Sieg der "Jugoslawischen Volksarmee" bleiben trotzdem als nicht rechtmäßig zu verurteilen.

Alt- und neonazistische Gruppen und ihnen nahestehende oder ihnen gegenüber verständnisvolle Massenmedien (Kronen-Zeitung oder wie bis vor wenigen Jahren auch Die Presse) konnten mit ihrer Agitation, weit über ihren relativen Einzugsbereich hinaus, breite Bevölkerungsschichten erreichen und deren historisch verzerrte oder entstellte Geschichtsbilder verfestigen. Auch die beiden demokratischen Parteien der Mitte blieben aus wahlopportunistischen Motiven bis heute anfällig für Nachsicht gegenüber rechtsradikalen und revisionistischen Strömungen und deren Kooperations- und Vereinnahmungsversuche.

Die Persistenz ständischen Denkens trägt von sozial oben bis sozial unten dazu bei, vordemokratische Denk- und Verhaltensmuster zu verstetigen. Vielfältige Ressentiments und Vorurteile gegenüber Minderheiten, "das Ausland", Flüchtlinge, Zuwanderer, sind auch als verdrehte Reaktionen auf soziale Ungerechtigkeit dominant. Hingegen ist die Fähigkeit unterentwickelt, sich gegen soziale Ungerechtigkeit, Ausbeutung und herrschaftliche Unterdrückung solidarisch zur Wehr zu setzen. Sündenböcke kommen als Blitzableiter für vorhandenes Aggressionspotenzial gelegen.

Ökonomisch-technische Modernisierung und das relativ hohe Niveau materiellen Wohlstands in Österreich beeinflussten nur wenig das immer noch stark ausgeprägte feudale Denken, das sich auch in Gefühlen von Ohnmacht und Untertanenverhalten ausdrückt. Real-demokratisches Bewusstsein und Verhalten hinken materieller Entwicklung hinterher. Erst die "Arenabewegung" und das Engagement für alternative Jugend- und Kulturzentren, die Protestbewegung gegen das AKW Zwentendorf und das Donaukraftwerk Hainburg sowie gegen unbegrenzten Straßen- und Autobahnbau, Mobilisierungen gegen Sozialabbau, die neue Frauenbewegung, Solidaritätsaktionen mit der "Dritten Welt" und die Friedensbewegung ließen eine neue zivilgesellschaftliche Dimension in Österreich entstehen. Durch ablenkendes Gerede von der "Neidgenossenschaft" wurden Umverteilungserfordernisse jahrzehntelang vernebelt. Erst die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise rückt Verteilungsfragen wieder in den Vordergrund.

Angst vor Fremdartigem oder fremd Erscheinendem verdrängt reale soziale Konflikte. Solidarität, die über karitative Hilfe hinausgeht, insbesondere für Menschen anderer Regionen der Welt, interessiert wenige, da es vielen an Einsicht in soziale und ökonomische Zusammenhänge mangelt. Dass Armut und Elend anderswo, zumeist als Folge der ungerechten Weltwirtschaftsordnung, Spielräume für Einkommens- und Sozialdumping in Österreich vergrößern, wird nur in geringem Maße bewusst. Gesellschaftspolitische Erwachsenenbildung, die über berufliche Fortbildung hinausgeht, spielt nur eine marginale Rolle und ist von Seiten gesellschaftlicher Eliten nicht gerade erwünscht. Sozialdemokratische, gewerkschaftliche und christlichsoziale Defizite der Mitglieder und Sympathisanten in Bezug auf aktive Solidarität mit wirtschaftlich und sozial Schwächeren im In- und Ausland sowie das Ausnutzen lokalen Chauvinismus und der Einsatz von Sozialdemagogie durch maßgebliche Teile politischer Führungen erhöhen die Empfänglichkeit für aggressive Spielarten von Egozentrismus. Lippenbekenntnisse zu christlichsozialen und sozialdemokratischen Grundwerten, dazu diskrepante neoliberale Praktiken und elitäres Nomenklaturaverhalten schufen Räume für rechtspopulistisch aggressive Demagogie.

Offenheit gegenüber Rechtsaußen - Ausgrenzung von Links und Grün

Selbst der vorsichtige cordon sanitaire, der auf Bundesebene gegenüber alt- und neonazistischen Strömungen in und außerhalb von Parteien des "Dritten Lagers" gezogen wurde (1953 im Zuge der Ablehnung der Einbeziehung des VdU in eine ÖVP-geführte Regierung durch Bundespräsident Theodor Körner; 2000 durch den bremsenden Einfluss von Bundespräsident Thomas Klestil auf die personelle Zusammensetzung der ÖVP/FPÖ-Koalition), bestand in west- und südösterreichischen Bundesländern nie. Auch in Wien und Niederösterreich gab es Skandale um nationalsozialistisch Belastete in lokalen Führungspositionen, so um den ÖVP-Bürgermeister von Mayrhofen/Zillertal, Franz Hausberger, den SPÖ-Vizebürgermeister von Innsbruck, Ferdinand Obenfeldner. Prominent wurde auch der Skandal um den SPÖ-nahen Euthanasie-Psychiater Heinrich Gross. Ein eklatantes Beispiel für Tendenzen stillschweigender gesellschaftlicher Kontinuität politischer und wirtschaftlicher Eliten war das freundschaftliche Verhältnis des ehemaligen SPÖ-Landeshauptmannes Theodor Kery zu Tobias Portschy, dem für die Deportation burgenländischer Roma mitverantwortlichen ehemaligen stellvertretenden Gauleiter der Steiermark und des Südburgenlands. Portschy weigerte sich bis zu seinem Tode, auch nur Zeichen der Reue zu zeigen, er bekannte sich sogar zu seinen Schandtaten.
Dass ehemalige Spitzenfunktionäre, Leopold Gratz und Hannes Androsch, die Initiativen zur ohnedies spät erfolgenden Auseinandersetzung von SPÖ und BSA mit der NS-Vergangenheit von Funktionären kritisierten, zeigt ebenfalls, wie dieses uneinsichtige oder "taktische" Milieu die politische Mentalität der "Großparteien" noch bis in die Gegenwart beeinflusst. Dass sich die ÖVP bis heute einer systematischen Aufarbeitung ihrer "braunen Flecken" zu entziehen vermag, spricht Bände.

Dieses Milieu falsch verstandener Toleranz, aber zugleich auch das Ende des vertrauten Zweiparteiensystems in Österreich, eröffneten Möglichkeiten zu neuen Machtallianzen: 1970 (die etwa ein halbes Jahr dauernde Minderheitsregierung der SPÖ, unterstützt durch die FPÖ), 1986 (Kleine Koalition von SPÖ und FPÖ) und 1999/2000 (Koalition der ÖVP mit der FPÖ). Damit machten sie die FPÖ politik- und salonfähig. Unfähigkeit und Unwilligkeit von ÖVP und SPÖ, sich auch auf Länderebene mit rechtsradikalen Strömungen konsequent auseinanderzusetzen und eindeutig von ihnen abzugrenzen, demonstrieren breite Verankerung postnazistischer Gesinnung und hartnäckiger Insensibilität. Trotz vielfältiger Belege für alt- und neonazistische Strömungen in der FPÖ (und auch im BZÖ) war dies kein Hindernis für die Bereitschaft der ÖVP zu gemeinsamer Regierungsverantwortung.

Verdienstvoll hat das "Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes" immer wieder warnend auf demokratiepolitische Belastungen dieser Regierungsallianz verwiesen. Denjenigen, die zu Recht monieren, dass auch die SPÖ sich nach 1945 nicht gescheut habe, um das kaum belehrbare Potenzial des "Dritten Lagers" zu buhlen, soll keineswegs widersprochen werden. Als "Neues-Österreich" haben wir jedenfalls seit 1986 solche gefährliche Tendenzen der SPÖ-Politik seit dem 2. Weltkrieg aufgegriffen und immer wieder zur Diskussion gestellt. Während aber das rechte Auge nach möglichen Kooperationen schielte, blieb das linke Auge fest verschlossen: 1966 war die Kooperation mit einer sich bereits in Ablösung vom Stalinismus befindlichen und auch langsam erneuernden Partei, der damals noch im Parlament vertretenen KPÖ, völlig undenkbar. Reaktion auf dieses Angebot war die "Eisenstädter Erklärung" der SPÖ, die jegliche Kooperation mit Kommunisten ausschloss. Die Gefahr des Kommunismus schien stets virulent, während der Faschismus als der Vergangenheit angehörig und damit erledigt galt. Freilich ist diese Haltung als strukturelle Abgrenzung gegenüber Links zu verorten, die nicht selten vom bürgerlichen Lager und von Rechts eingefordert wurde und wird. Sogar in Bezug auf eine nur in Teilen vorhandene Koalitionsbereitschaft mit "Grünen" befindet sich die österreichische Sozialdemokratie in einer Sondersituation im westlichen Europa. Aber immer wieder bekunden maßgebliche PolitikerInnen und Meinungsführer der SPÖ ihre taktische Offenheit selbst für Koalitionen mit partiell rechtsradikalen Parteien.

Kurt Waldheim und die Wende nach Rechts

Kurt Waldheim stand - ohne dass es ihm wahrscheinlich bewusst war - für ein radikales Wendeszenario in der österreichischen Politik: Nach dreizehn Jahren mehr oder weniger konsequenter sozialdemokratischer und liberaler Reformpolitik (1970 bis 1983) war von bürgerlich-konservativer Seite auch in Österreich politische Revanche und gesellschaftspolitische Restauration angesagt. Immerhin erlebte die Welt 1986 die neoliberale und neokonservative Hochzeit der Thatcher-Reagan-Ära. Leonid Breschnew hingegen stand für das darniederliegende sklerotische Diktatursystem des "Ostblocks". Mit Rückenwind aus dem neokonservativ-autoritären Westen hoffte die ÖVP, ähnlich ihren bürgerlichen Vorgängern in der Zwischenkriegszeit, mit dem "reformerischen Schutt" der Sozialdemokratie aufräumen zu können. Dazu war ihr fast jedes Mittel recht: So scheute sie weder Aktualisierung von Antisemitismus noch Mobilisierung unaufgearbeiteter Ressentiments der, in ihrem Verständnis, "unbedankt gebliebenen Soldatengeneration". Mit Hilfe der scheinbar unverdächtigen und weltgewandten Figur Kurt Waldheims sollte von der ÖVP endlich wieder ein wahlpolitischer Erfolg eingefahren werden.

Geblendet vom neoliberalen und neokonservativen Kurs Großbritanniens und der USA verdrängte die ÖVP immer mehr, dass sie eigentlich aus der sozial-ökonomischen Bankrottpolitik ihrer christlichsozialen Vorgängerpartei und den katastrophalen politischen Folgen Lehren ziehen hätte müssen. Von der ÖVP, der Presse und der Kronen-Zeitung wurde ein Verschwörungsszenario propagiert, wonach maßgebliche Kreise der SPÖ, im Verbund mit der "unter starkem jüdischen Einfluss stehenden US-amerikanischen Ostküste", aus parteipolitischem Interesse oder, noch negativer konnotiert, Motiven wie Vaterlandsverrat (wobei sich die Frage stellt, welches Vaterland - das großdeutsche oder das österreichische - gemeint war) die "campaigne" gegen Kurt Waldheim in Gang gesetzt hätten. Infamie oder Insensibilität lagen aber doch wohl bei jenen, die Kurt Waldheim im Wissen um die vielen "Unklarheiten" seiner Biographie kandidiert hatten. Falls Fred Sinowatz tatsächlich, wie gerichtlich festgestellt wurde, seinen burgenländischen Parteifreunden schon im Sommer 1985 mitgeteilt hatte, man werde die ÖsterreicherInnen rechtzeitig über Waldheims braune Vergangenheit informieren, dann wäre ihm aus demokratiepolitischer Sicht allenfalls eine Inkonsequenz seines Vorhabens vorzuwerfen.

Als "Republikanischer Club" haben wir jedenfalls niemals - was immer wieder unterstellt wurde - Spenden mittleren oder größeren Umfangs von der "Ostküste" erhalten. Leider! Einige wenige der vielen zu Recht verbitterten Überlebenden der NS-Herrschaft haben kleinere Kostenbeiträge für unser Bulletin übermittelt. Sie haben diese damals neuartige Bewegung gegen Verdrängung und Verharmlosung der Rolle vieler ÖsterreicherInnen während der NS-Zeit als eines der wenigen wahrnehmbaren Signale in Österreich angesehen, die gegen offene oder stille Komplizenschaft vieler ÖsterreicherInnen mit dem Gewaltsystem des Nationalsozialismus gesetzt wurden. Einzelne Überlebende des NS-Terrors erfuhren unsere Aktivitäten als Ausdruck später Einsicht in das große Unrecht, das ihnen und anderen auch von ÖsterreicherInnen angetan worden war. Der informelle und offizielle Antinazismus war bis dahin zumeist in überschaubaren Milieus oder im Rahmen öffentlicher Rituale gepflegt worden. Das "Neue-Österreich" und seine in die Tausenden gehenden SympathisantInnen widersprachen mit ihren Aktivitäten der herrschenden Geschichtsinterpretation, die sich auch an den wiederkehrenden österreichweiten Ehrungen der "Helden der beiden Weltkriege" zeigt, die die Opfer nahezu ausschließlich auf Seiten österreichischer Soldaten in der deutschen Wehrmacht, im "Kampf um die Heimat" unter Hitler, sichtbar machen.

Dass die schwarz-blau-braune Koalition - wenn auch weitgehend symbolisch - systematische Entschädigungsmaßnahmen setzen ließ, um ihre international auf heftigen Widerstand stossende unheilige Allianz politisch zu entlasten, wäre ohne vorangegangene jahrelange Mühen engagierter Einzelner und Gruppen wie das "Neue Österreich" nicht möglich gewesen.

Antisozialdemokratische Front von Christlich-Sozialen und Deutsch-Völkischen in antisemitischer Übereinstimmung

Antidemokratische Teile des Bürgertums und feudale Kräfte konnten und wollten im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Staaten wie Österreich unter keinen Umständen weitreichende soziale und demokratische Zugeständnisse machen, weder gegenüber der Arbeiterbewegung noch gegenüber benachteiligten bäuerlichen und anderen ländlichen Bevölkerungsgruppen sowie gegenüber der kleinen Strömung Liberaler bürgerlich-demokratischer Provenienz. Diese restaurativen Kräfte waren auch nicht bereit, mit der Logik nationalistischer und imperialistischer Kriegspolitik zu brechen. Sozialdemokratische Parteimehrheiten in Staaten wie im Deutschen Reich und in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie gaben diesen mächtigen gesellschaftlichen Strömungen nach. Gesellschaftliche Aufklärung, Pluralisierung von Lebensweisen und Kulturen waren diesen rückwärts gewandten antidemokratischen Interessengruppen ein Gräuel. Die Strategie, tiefergreifende Reformen gemeinsam mit Kräften der Kirchen und den Christlichsozialen, aggressiveren Großdeutschen und frühen Nationalsozialisten zu verhindern, verband sie trotz fundamentaler Interessengegensätze und heftiger ideologischer Kontroversen. Die Christlichsozialen in Österreich tragen aus historischer Perspektive nicht nur Verantwortung für die Machtergreifung der ihnen nahestehenden (austro)faschistischen Bewegung, sondern haben auch mittelbaren Anteil an der Machtergreifung des Nationalsozialismus.

Amtskirchliche reaktionäre Strömungen, die Allianz von Thron und Altar, sind in Ländern wie Russland indirekt für die aus Verzweiflung über Elend, Krieg und Unterdrückung entstehenden putschistischen bolschewistischen Bewegungen und spätere grauenvolle Diktaturen mitverantwortlich. Ernst Nolte, Nobert Leser oder Joachim Fest verkürzen die Geschichte des Terrors im 20. Jahrhundert auf jene des Bolschewismus. Faschistische und nationalsozialistische Gewaltherrschaften sind in ihrer Sicht Verteidigungsreflexe bürgerlicher Kreise auf die leninistischen und stalinistischen Repressionsperioden und nur als deren Gewaltkopien intendiert. Diese gewaltsamen Herrschaftsformen hätten die Machtergreifung von Faschismus und Nationalsozialismus bedingt. Andere wichtige Bedingungen auszuklammern, verweist auf eine tendenziös-selektive Argumentation. Antidemokratischer kaiserlicher Absolutismus im Deutschen Reich, in Österreich-Ungarn und in Russland, imperialistische Kolonialpolitik und Kolonialkriege aller damaligen Mächte sowie millionenfaches Töten im Ersten Weltkrieg waren wichtige Vorbedingungen für die Steigerung der Gewaltmaßnahmen moderner Totalitarismen. Sowohl Ernst Nolte wie auch Norbert Leser blenden historische Fakten aus. Wer wie die Kronen-Zeitung seit Jahrzehnten breitenwirksam nationalsozialistische Verbrechen durch Verweis auf millionenfaches Unrecht gegenüber "Volksdeutschen" und "Sudetendeutschen" nachträglich zu relativieren sucht, findet in Ernst Nolte und Norbert Leser ahistorisch agierende Parallelakteure. Diese hatten eine rückwärtsgewandte Relativierung versucht, ohne die brutale Vorgeschichte in ihrer Bedeutung ausreichend zu beachten.

Töten und Zerstören an den Fronten des Ersten Weltkriegs - aber auch während der Interventionskriege, tief in der neugeschaffenen Sowjetunion - hatte entzivilisierende Wirkung, die die mörderische Eskalation des Terrors während und nach der bolschewistischen Machtergreifung und der Herrschaft des Nationalsozialismus erleichterte, indem sie Hemmschwellen herabsetzte. Die massenhaften Verbrechen in staatskommunistischer Verantwortung - in Form leninistischer, stalinistischer und maostischer Varianten von Diktaturen - dürfen keineswegs verharmlost werden. Parallelen zwischen Strukturen und Methoden der Bolschewiki unter Lenin, Stalin sowie den Faschisten und Nationalsozialisten sind durchaus erkennbar. Nicht nur in Österreich wurde der demokratische Weg sozialer Veränderungen durch restaurative antidemokratische Kräfte, Christlichsoziale, monarchistische Legitimisten und konservative, rassistische und antisemitische großdeutsche bis frühnazistische Strömungen, wiederholt blockiert. Im Gegensatz dazu versuchte sozialdemokratische Politik, zu zaghaft und unbeständig, durch soziale, ökonomische und kulturelle Reformen, Demokratisierung sowie Modernisierung feudal-absolutistische Hinterlassenschaften zu überwinden und eine möglichst stabile Form sozialer und demokratischer Gesellschaft anzupeilen.

Aus Konkurrenz und wechselseitiger Bekämpfung von Austrofaschismus und Nationalsozialismus zu schließen, wie es manche tun, dass diese ein unüberwindbarer Graben trennte, scheint selbst mit Blick auf den NS-Putschversuch und auf den NS-Mord an Dollfuß im Juli 1934 historisch nicht zutreffend. Trotz unterschiedlichen Charakters ihres Antisemitismus, religiös oder rassistisch konstruiert, gab es immer wieder ideologische und praktisch-politische Überschneidungen. Diese reichten von mehrmaliger Allianz zwischen Alldeutschen und Christlichsozialen zur Wahl Karl Luegers zum Wiener Bürgermeister über Gemeinsamkeiten von Christlichsozialen, Austrofaschisten, Großdeutschen und frühen Nationalsozialisten im Kulturkampf der 1930er Jahre gegen "verjudetes, liberales, sozialdemokratisches und bolschewistisches Gedankengut" zu einer gemeinsamen militant antisozialdemokratischen und antiliberalen Schul-, Hochschul- und Kulturpolitik der ÖVP und des "Dritten Lagers" (VdU/FPÖ) in den 1950er und 1960er Jahren.

Norbert Leser versuchte zwar, den Antisemitismus der Christlichsozialen als wichtigen Einflußfaktor für den eliminatorischen Antisemitismus Adolf Hitlers und des Nationalsozialismus wegzudisputieren, aber zahlreiche Fakten sprechen gegen seine Argumentation: Nicht nur Adolf Hitler sah die Wiener Prägung, insbesondere durch Lanz-Liebenfels, Schönerer und Lueger und deren antisemitische Hetze, als zentral für die Entwicklung seiner politischen Ziele. Analysen wichtiger Historiker wie Peter Pulzer oder Gerhard Botz, Spezialisten für die Einschätzung dieser Frage, treffen eine eindeutige Bewertung dieses historischen Zusammenhangs. Präfaschistische Ideologen, die - mehr oder weniger bewusst - zur nazistischen Programmatik beitrugen, fanden sich auch im christlichsozialen Milieu. Bereits am Weihnachtsabend 1918 hatte die Christlichsoziale Partei ein Manifest mit folgendem Wortlaut veröffentlicht: "Die auch im neuen Staate hervortretende Korruption und Herrschsucht jüdischer Kreise zwingt die Christlichsoziale Partei, das deutsch-österreichische Volk zum schärfsten Abwehrkampf gegen die jüdische Gefahr aufzurufen. Als eigene Nation anerkannt, sollen die Juden ihre Selbstbestimmung haben; die Herren des deutschen Volkes aber sollen sie nicht sein". 1919 fanden sich in Wien im Antisemitenbund, der organisatorischen Plattform der Hetze gegen Ostjuden (20.000 jüdische Flüchtlinge aus dem Osten der Habsburgermonarchie und 5.000 Pogrom-Flüchtlinge aus Polen), führende Christlichsoziale, Deutsch-Völkische und Nationalsozialisten zusammen. Die im Besitz der katholischen Kirche befindliche Tageszeitung, die Reichspost (offiziöses Organ der Christlichsozialen unter maßgeblichem Einfluss des späteren Bundeskanzlers, Prälat Ignaz Seipel), bot einschlägiger Agitation breiten Raum.

Am 21. Jänner 1933 formulierte der Linzer Diözesanbischof Johannes M. Gföllner, nachdem er sich vom physiologischen Rassenantisemitismus abgrenzt hatte, in seinem Hirtenbrief in Unterstützung des politischen Katholizismus in versuchter Abwehr zum konkurrierenden Nationalsozialismus eine vermeinlich moderatere, aber nach wie vor nachhaltige Version antisemitischer Weltsicht: "Viele gottentfremdete Juden [üben] einen überaus schädlichen Einfluss auf fast alle Gebiete des modernen Kulturlebens, Wirtschaft und Handel, Geschäfte und Konkurrenz, Advokaten und Heilpraxis aus, soziale und politische Umwälzungen sind vielfach durchsetzt und zersetzt von materialistischen und liberalen Grundsätzen, die vorwiegend vom Judentum stammen. Presse, Inserate, Theater und Kino sind häufig erfüllt von frivolen und zynischen Tendenzen, die die christliche Volksseele bis ins Innerste vergiften und die ebenso vom Judentum genährt und verbreitet werden. Das entartete Judentum im Bunde mit der Weltfreimaurerei ist auch vorwiegend Träger des mammonistischen Kapitalismus und vorwiegend Begründer und Apostel des Sozialismus und Kommunismus, der Vorboten und Schrittmacher des Bolschewismus. Diesen schädlichen Einfluss des Judentums zu bekämpfen und zu brechen, ist nicht nur gutes Recht sondern auch strenge Gewissenspflicht eines jeden überzeugten Christen, und es wäre nur zu wünschen, daß auf arischer und christlicher Seite diese Gefahren und Schädigungen durch den jüdischen Geist noch mehr gewürdigt, noch nachhaltiger bekämpft und nicht offen oder versteckt, gar nachgeahmt und gefördert würden […] Die moderne Zeit braucht zwar die Juden nicht des Landes zu verweisen, sollte aber in Gesetzgebung und Verwaltung einen starken Damm aufrichten gegen all den geistigen Unrat und die unsittliche Schlammflut, die vorwiegend vom Judentum aus die Welt zu überschwemmen drohen. Dabei sei rückhaltlos zugegeben, daß es auch im Judentum edle Charaktere gibt" (Bischof Johannes M. Gföllner, zit. n. Staudinger 1990).

Der Zeithistoriker Anton Staudinger zieht eine wohlbegründete Bilanz des Kampfes maßgeblicher Kräfte der Christlichsozialen, gemeinsam mit Deutschnationalen und frühen Nationalsozialisten, gegen die "jüdisch gesteuerte Weltverschwörung": "Im Rahmen der sich ab 1920 formierenden Bürgerblockpolitik hatten unter Ausklammerung sonstiger Antagonismen katholisch-christlichsoziale Antisemiten mit Antiklerikal-Deutschnationalen und Deutsch-Völkischen zusammengearbeitet: sei es im ‚Antisemitenbund', sei es in dem nach 1918 gegründeten Geheimbund ‚Deutsche Gemeinschaft', die ähnlich wie das bekämpfte Freimaurertum organisiert, die Mitglieder auf den Kampf gegen die verabscheuten 'Internationalismen' wie 'Bolschewismus', 'Freimaurerei' und 'Judentum' verpflichtete, eine aus der bürgerlichen Elite sorgfältig rekrutierte Organisation, der unter anderem später führende Nationalsozialisten wie Hermann Neubacher (nach 1938 Bürgermeister von Wien) und Arthur Seyß-Inquart (1938 Chef der 'Anschluß-Regierung', 1939/40 stellvertretender General-Gouverneur von Polen, dann Reichskommissar für die besetzten Niederlande und als einer der 24 NS-Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg 1946 hingerichtet, P.K.) ebenso angehörten, wie eine Reihe von Universitätsprofessoren, Beamten, Offizieren, Wirtschaftstreibenden, [...] christlichsozialen bürgerlichen Politikern wie Engelbert Dollfuß und Emmerich Czermak (1931/32 Unterrichtsminister, 1933/34 von Dollfuß als Obmann der Christlichsozialen Partei zu deren Liquidierung eingesetzt, P.K.). Das (mehrheitlich) völkisch (minderheitlich) katholische Rechtskartell der zwanziger Jahre auf Hochschulboden forderte unter anderem eine rassistisch begründete Isolierung der jüdischen Studenten und deren Unterwerfung unter einen Numerus clausus. (Der letzte Versuch, ein rassistisches Studentenrecht auf Österreichs Hochschulen zu etablieren, war 1932 von Czermak unternommen worden) (Staudinger, S. 261/262).

Programmatisch, aber auch in ihrer politischen Praxis waren die österreichischen Christlichsozialen der Ersten Republik, wie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, auch seit ihrer Neugründung 1918, im Unterschied zur christlichen deutschen Zentrumspartei, stets einem militanten Antisemitismus verpflichtet. Damit trugen sie, gemeinsam mit den Deutschnationalen Schönerers, maßgeblich zu einem Klima bei, das in der Folge die Nationalsozialisten auf einer Welle der Zustimmung durch ihre repressiv ausgrenzende und zuletzt mörderische Politik zu tragen vermochte. Ein führender Repräsentant der Heimwehr, Otto Neustädter-Stürmer (1934 Sozialminister, 1936 bis 1937 Innen- und Sicherheitsminister) sprach sich am 25. März 1933 dafür aus, dass man "den Vernichtungskampf gegen den Marxismus rücksichtslos führen" müsse. "Wir können den Nationalsozialismus in Österreich nur schlagen, wenn wir ihn überhitlern". Ähnlich positionierte sich Bundeskanzler Prälat Ignaz Seipel, als er bereits am 31. Oktober 1931 bedauerte, dass es ihm nicht gelungen wäre, die Christlichsoziale Partei weit genug nach Rechts zu führen, was ein Abschwenken bisheriger Parteigänger zu Heimwehr und NSDAP verhindern hätte können.

Historische Kontinuität?

Gewisse - wenn auch ungefährlichere - historische Parallelen zwischen der Politik der ÖVP (1986 in der Auseinandersetzung um Kurt Waldheim und um die demokratiepolitisch unverantwortliche Regierungsbildung 2000) und ihrer christlichlichsozialen Vorgängerpartei sind durchaus feststellbar. So standen vaterländischer Rhetorik, Demagogie und staatsgefährdender Praxis der Christlichsozialen (Aushöhlung der wirtschaftlichen Basis der Ersten Republik und Kooperation mit den Regimen Mussolinis und Horthys) eine Kampagne für Kurt Waldheim gegenüber, die die - im Verhältnis zu Deutschland - selbständige Gründungslegitimation der Zweiten Republik ("das von Hitler-Deutschland überfallene Österreich") implizit durch Identifikation Kurt Waldheims und der ÖVP mit Kriegszielen Hitler-Deutschlands außer Kraft setzte. Diesmal ging es halt nur gegen "Nestbeschmutzer" und implizite "Vaterlandsverräter" der Anti-Waldheim-Opposition. Mittelbar identifizierte sich aber die ÖVP mit dem Überfall NS-Deutschlands auf große Teile Europas, indem sie unkritisch Kurt Waldheims beschönigende Äußerungen ("Ich habe meine Heimat verteidigt") mit großem Einsatz stützte. Dies geschah durch unterschwellig antisemitische Äußerungen, gegen die "US-Ostküste" und gegen "gewisse Kreise" wie auch durch Appelle an die "Kriegsgeneration des 2. Weltkriegs", ohne sich von den zwar befohlenen, aber häufig von den Soldaten auch mental übernommenen Kriegszielen zu distanzieren.

Immerhin war die ÖVP maßgebliche Mitbegründerin der Zweiten Republik, die sich von großdeutschen Phantasien allmählich zu verabschieden suchte. Der, wenn auch nur halbherzige, Kampf von Christlichsozialen und von Teilen der Heimwehr gegen NS-Deutschland sowie Opfer im Widerstand und in Konzentrationslagern wurden aber eigentlich durch (rechts)populistische "Schulterschlüsse" mit Kurt Waldheim und der Haider-FPÖ desavouiert, die ab ihrem Innsbrucker Parteitag 1986 wieder verstärkt nationalsozialistischer Phraseologie huldigte. In der Ersten Republik wurde durch militärische und politische Kooperation mit Mussolini-Italien und dem autoritären Ungarn unter Diktator Horthy - zunächst seitens der Christlichsozialen Partei und später der Vaterländischen Front - vorerst der Demokratie entgegengearbeitet, letztlich aber durch Etablierung des austrofaschistischen Regimes die repräsentative Demokratie zu Tode gebracht. Trotz aller patriotischer Rhetorik wurden wegen der Allianz mit Mussolini im Falle Südtirols österreichische Interessen aufgegeben. Der Kampf gegen die sozialdemokratische Arbeiterbewegung wurde auf Geheiß Mussolinis weiter verschärft. Durch die bald darauf folgende Achsenbildung Mussolinis mit Hitler hielt jedoch diese Politik gemeinsamer Ablehnung Hitlers nur kurze Zeit. Chancen einer Zusammenarbeit mit der demokratischen Tschechoslowakei wurden hingegen nicht genutzt.

Eine der Lehren aus dem wirtschafts- und demokratiepolitischen Scheitern der Ersten Republik war die von der ÖVP 1945/46 mitgetragene Verstaatlichung der Schwerindustrie, der E-Wirtschaft und mehrheitliche Verstaatlichung von Großbanken und anderer wichtiger industrieller Großbetriebe. Der wirtschaftliche Kollaps der Zwischenkriegszeit war nämlich auch durch starke Außenabhängigkeit der österreichischen Wirtschaft - insbesondere von deutschen Großkonzernen - verursacht. Mit schwindendem Einfluss der Sowjetunion wurde ab den 1960er Jahren diese den öffentlichen Sektor der Wirtschaft stärkende Politiklinie von großen Teilen der ÖVP-Führung aufgegeben und durch allmähliche Ausrichtung auf einen wirtschaftlichen Privatisierungskurs bekämpft. Eine der wenigen Ausnahmen von diesem Politikwechsel in der ÖVP repräsentierte Josef Taus, zumal er die Bedeutung einer nationalen Industrie für eigenstaatliche Spielräume Österreichs begriff.

Noch in der Zweiten Republik gab es - bis in die Gegenwart - eine Kette antisemitischer Ausfälle führender Exponenten der ÖVP. Der erste Präsident des österreichischen Nationalrats, ÖVP-Abgeordneter Leopold Kunschak, bekannte sich noch nach 1945 freizügig zu seinem Antisemitismus. 1970 wurde der ÖVP-Wahlkampf für Josef Klaus und gegen Bruno Kreisky unter der Losung "Wählt einen echten Österreicher. Josef Klaus" geführt. Eine Kette der Abwehr kritischer Auseinandersetzung mit der NS-Zeit und ihrer Verbrechen durchzieht also die Geschichte der Nachkriegs-ÖVP bis heute. Als ein Beispiel von vielen kann die 1998 in Salzburg von Landeshauptmann Franz Schausberger (ÖVP) und Landtagspräsidenten Helmut Schreiner (ebenfalls ÖVP) geführte Kampagne gegen die Ausstellung über den "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944" gelten. Sie argumentierten damals, dass sie sich schützend vor die Kriegsgeneration stellen müssten. Deshalb darf auch die schweigende Zustimmung der ÖVP durch und unter Josef Pröll am 29.10.2008, zur Wahl Martin Grafs (Mitglied der "Olympia", einer rechtsradikal ausgewiesenen Burschenschaft) zum Dritten Präsidenten des Nationalrats nicht bagatellisiert werden. Es ist dies das jüngste Exempel für die geringe Bereitschaft der ÖVP, aber auch in Teilen der SPÖ, ein trennscharfes Verhältnis zu FPÖ und BZÖ herzustellen. Die ÖVP unterstützte Grafs Wahl geschlossen, die SPÖ unterließ es zwar, den Kandidaten der "Grünen" breit mitzutragen, aber sie enthielt sich bei dieser Wahl wenigstens überwiegend der Stimme. Auch die SPÖ erwarb sich in dieser Frage - angesichts ihrer diffusen Positionierung - nicht gerade ein Ruhmesblatt. Koalitionstreue stand vor politisch-redlicher Haltung. Dieses Beispiel zeugt nach wie vor von großer Insensibilität gegenüber rechtsradikalen sowie antisemitischen Haltungen und Aktivitäten. Weitere historische Parallelen der Politik der ÖVP wurden seit 1999 auch insoferne sichtbar, als anstelle des Hauptfeindbildes Juden "falsche Asylanten" und "Wirtschaftsflüchtlinge" traten. Als sozialer Blitzableiter für größer werdende ökonomische und soziale Spannungen kommt Feindbildern unter derzeitigen Verhältnissen eine ähnliche Funktion zu. Die SPÖ war auch an dieser Verschärfung der Politik keineswegs unbeteiligt.

Gemeinsames antiklerikales und antiabsolutistisches Erbe

Seit der Revolution 1848 gab es aus gemeinsamen Kämpfen von Frühsozialisten und Nationalliberalen gegen Klerikalismus und Absolutismus, mit durchaus verschwimmenden ideologischen Positionen, auch nachwirkende Sympathien für einander. Trotz der nach der Krise des politischen Liberalismus und der Spekulationskrise 1873 aggressiv antisemitischen und deutschnationalen Wende großer Teile der ehemals liberal- und sozialrevolutionären Bewegung wurden nicht alle Brücken zwischen den politischen Lagern abgebrochen. So gibt es bis heute einige wenige deutschnationale studentische Burschenschaften, die den "Rassenantisemitismus" des aggressiv deutschnationalen Korporations-Ringes nicht übernommen haben. Aus gemeinsamen Wurzeln von Liberalen und Sozialdemokraten in der Kampfgemeinschaft der Revolutionen 1848 erklärt sich, dass es sogar noch im "Roten Wien" zwischen dem großen Sozial- und Gesundheitsreformer Julius Tandler und einzelnen deutschnationalen Medizinern zu Kooperationen kam. Eine bedenklich positive Haltung zu Euthanasie von "Geisteskranken", die ab Ende des 19. Jahrhunderts sowohl im deutschnationalen wie sozialdemokratischen Milieu vorzufinden war, hatte gemeinsame Wurzeln, wenn sie auch verschiedenen politischen Zielen folgte: Im einen Fall war es das Interesse an Verbesserung der "deutschen Rasse" durch Ausmerzung "Minderwertiger", im anderen Fall war es auf Basis einer abgeschwächten Vorstellung von Rassenhygiene das Ziel sozialer Menschenökonomie.

Drastischer verhält es sich wohl mit exkulpierenden Affinitäten zu Belasteten des "Dritten Lagers" im Wissen um die Verbrechen des NS-Regimes, gerade dann wenn diese im Kontext der Zweiten Republik sich in verschiedenen Milieus der Großparteien "weißwaschen" konnten. Der sozialdemokratische Justizminister Christian Broda wird prototypisch genannt, wenn es um das taktische Verhältnis zu ehemaligen Nationalsozialisten sowie um das "österreichische Klima" mangelnder Auseinandersetzung mit NS-Kontinuitäten geht.

Oscar Bronner dokumentierte in einer Beilage des Neuen Forums im Herbst 1965, unter dem Titel "Die Richter sind unter uns", die Involvierung maßgeblicher österreichischer Juristen (Richter, Staatsanwälte und Universitätsprofessoren) in nationalsozialistische Justizverbrechen. Mehrere dieser Juristen waren Mitglieder im Bund Sozialistischer Akademiker (BSA), einer Vorfeldorganisation der SPÖ. Die Einstellung von Justizverfahren gegen wegen massenhafter schwerer Verbrechen Belasteter wurde von Broda mit der skandalösen Serie von Freisprüchen durch Geschworenengerichte in den 1960er Jahren begründet (zit.n. Gespräch mit Rudolf Gelbard). Jeder dieser Freisprüche, gegen die sich nur wenige Stimmen erhoben, war Anlass für propagandistischen Triumph im breiten Milieu unbelehrbarer Nationalsozialisten und neu rekrutierter Neonazis. Zumindest bis in die 1960er Jahre war verständnisvolles "gesundes Volksempfinden" gegenüber "NS-Tätern" verbreitet. So erinnert sich Oscar Bronner in der Biographie "Trotzdem" - Die Oscar Bronner Story (Klaus Stimeder, Eva Weissenberger, Wien 2008, S. 46) daran, dass er 1965 bei einer fingierten Sammelaktion mit verdeckter Kamera auf der "gutbürgerlichen" Wiener Wollzeile für den schließlich zu acht Jahren verurteilten "Fahrdienstleiter Adolf Eichmanns", Josef Novak, Geld sammelte. Novak hatte von Wien aus die Deportationen von Juden nach Auschwitz organisiert ("Auschwitz war für mich nur ein Bahnhof "). 90 Prozent der Angesprochenen spendeten für Franz Novak, davon die Hälfte im Wissen, um wen es sich handelt. 10 Prozent protestierten in lauer Weise. Die ORF-Sendungsverantwortlichen verweigerten damals eine Ausstrahlung mit dem Hinweis: Die Geschichte sei zu verstörend, als dass man sie den Zuschauern zumuten könnte.

Aber es wäre zu billig, Christian Broda nur für seine Zusammenarbeit mit nationalsozialistisch belasteten Juristen im Zuge der Strafrechtsreform verantwortlich zu machen, wenn dabei übergangen wird, welch inhumane, frauenfeindliche, homophobe und antidemokratische Haltungen bei katholisch-konservativen Juristen und Medizinern noch Anfang der 1970er Jahre anzutreffen waren.

Antiliberaler Scheinliberalismus

Neben rechtsradikalen und neonazistischen Äußerungen und Aktivitäten ist auch der Wettbewerb zwischen FPÖ und BZÖ um effektivere Verhinderung des Baus von Moscheen und Minaretten als Rechtsstaatsverletzung sowie als Rückfall hinter demokratische und toleranzorientierte Errungenschaften des durch die Revolution 1848 erkämpften Staatsgrundgesetzes 1867 (Grundrechte von Freiheit und Gleichberechtigung der Religionsausübung) und der 1911 erfolgenden Anerkennung der muslimischen Glaubensgemeinschaft zu werten. Diese gegen den Geist der Bundesverfassung gerichtete Grundhaltung wiederkehrender Rechtfertigung und Verharmlosung des Nationalsozialismus sowie das Schüren von Ausländer- und Minderheitenfeindlichkeit zeigen, dass FPÖ und BZÖ jegliche Legitimation aus der Freiheitsbewegung der Liberalen von 1848, die sie zwecks Vernebelung ihrer Absichten als allseits akzeptierte Wortfahnen vorantragen, kontinuierlich desavouieren. Sie instrumentalisieren also die Freiheitsbewegung der bürgerlichen Revolution und ihren Konstitutionalismus, indem sie das Erbe des Liberalismus für ihre antiliberalen Absichten usurpieren. Die Universitäts- und Kulturpolitik des - verharmlosend so benannten - "Dritten Lagers" lässt jegliche Spur liberaler Geisteshaltung vermissen. Eigentlich handelt es sich um Etikettenbetrug, der in Österreich - entgegen historischer Fakten und abweichend von internationalen Usancen - als Kanon liberaler Werte durchzugehen vermag. Der authentischen liberalen Strömung um Heide Schmidt und Volker Kier, die sich von der FPÖ trennten und die vielen Intentionen des Republikanischen Clubs verbunden sind, haben wir immer wieder ein gesellschaftspolitisches Gesprächsforum geboten.

Kontinuität im Kalten Krieg: eine postfaschistische Fluchtagentur unter der Ägide des Vatikans und westlicher Geheimdienste

Unter den Organisatoren der "rat-line", des Fluchtweges zehntausender schwerer Verbrechen Belasteter aus Hitler-Deutschland, der faschistisch-kroatischen Ustascha-Diktatur und Mussolini-Italien befanden sich maßgebliche Teile der Römisch-Katholischen Kirche und westlicher Geheimdienste in einer antikommunistischen und de facto auch antisemitischen Interessenallianz, indem sie Tätern des Nationalsozialismus (z.B. Klaus Barbie) die Flucht vor der Gerichtsbarkeit ermöglichten. Bis heute können sich NS-Kriegsverbrecher dem Zugriff der Justiz entziehen (z.B. Alos Brunner, Alfred Haim). Bemerkenswert ist jedenfalls die Tatsache, dass die Flucht von Juden aus Europa nur marginal unterstützt wurde, während die Flucht von Nationalsozialisten und Faschisten zu höchster Staats- und Kirchenagenda aufrückte. Auch westliche Geheimdienste zeigten ein Interesse an dieser Klientel. Ein faschistisches Netzwerk vermochte mit Militärdiktaturen Lateinamerikas eine Symbiose zu bilden. Nach 1945 organisierten sich in Südamerika - in erster Linie unter dem Schutzschirm des argentinischen Diktators Juan Peron - führende Faschisten und Naziverbrecher aus Europa und unterstützten mit faschistischem "Know-how" diverser Art auch verschiedene lateinamerikanische Diktaturen. In dieser unheimlichen Gesellschaft befand sich auch der ehemalige Heimwehrführer, Vizekanzler des "christlichen Ständestaates" und Bundesführer der "Vaterländischen Front" zwischen 1934 und 1936, Ernst Rüdiger von Starhemberg.

Westliche Geheimdienste, aber auch der Vatikan, waren bei der Flucht von Juden aus dem Herrschaftsbereich der Nationalsozialisten und ihrer Bündnispartner nur in wenigen Fällen ähnlich hilfsbereit gewesen. Unzählige flüchtende Juden scheiterten an den administrativen Mauern Nord- und Südamerikas. Nicht einmal nach der Befreiung 1945 änderte sich das restriktive Verhalten westlicher Geheimdienste. Selbst die aus Konzentrationslagern Entkommenen wurden in der Folge als "displaced persons" administriert, aber kaum in ihrem Neubeginn effektiv unterstützt oder gar für ihren Lebensverlust entschädigt. Trotz großer Verdienste einzelner katholischer Laien, Priester und Ordensleute um die Rettung von Juden, insbesondere in Italien, darf diese Achse des Grauens, die "rat-line", nicht vergessen werden.

Diese Anfänge rechten Networkings haben eine Kontinuität zu späteren rechtskonservativen Allianzen - im Namen von Antikommunismus - begründet. Die Formierung des Rechtskonservatismus am Beginn der 1960er Jahre erfolgte in weltweitem Verbund konservativ-autoritärer Parteien. Offen rassistische Regime wie Apartheid-Südafrika oder rechtskonservative Strömungen um Franz Josef Strauss (CSU) und Otto Habsburg, oftmals auch Bündnispartner faschistischer oder militärdiktatorischer Systeme wie Spanien, Portugal oder Griechenland, waren Teil dieser vernetzten Strukturen. Die starken französischen wie Algerien-französischen Rechtsradikalen (OAS), die De Gaulle beinahe wegputschten, gehörten ebenfalls zum aggressiven Kooperationsfeld spätkolonialer Kräfte und rechtsextremer Verteidiger des "christlichen Abendlandes". Die Formierung der rechten Mitte und der Ex-Faschisten in Italien (mit maßgeblicher Hilfe von Seiten des CIA unter Richard Nixon und Henry Kissinger sowie wichtiger Führungsgruppen der Christdemokraten und Sozialisten in Italien) bleibt häufig aus zeitgeschichtlichen Darstellungen der 1960er und 1970er Jahre ausgeblendet. Diese Politik bediente sich auch eines rechtsradikalen Terrorismus, der mehr als hundert Tote forderte und ein rechtskonservatives und neoautoritäres Milieu aufbereitete, das Silvio Berlusconi zur Macht bringen sollte.

Vor dem Hintergrund des Kolonialismus und dem postkolonialen Versuch westlicher Interessen, Einfluss in Zentral- und Südafrika, Lateinamerika, in Asien und im Nahen Osten zu bewahren, sind diese rechtskonservativen und faschistischen Strömungen nicht als isolierte politische Randphänomene zu sehen. Der islamische Fundamentalismus wurde erst als machtpolitisches und miltärisches Instrument gegen "nationale Befreiungsbewegungen" und staatssozialistische diktatorische Expansionsbestrebungen zu einem gegenwärtig realen Bedrohungsfaktor. Fast jedes autoritäre, despotische und reformunwillige Regime von Saudi-Arabien über Ägypten bis zum Kambodscha der "Roten Khmer" wurde als Bündnispartner rekrutiert oder zumindest in Kauf genommen.

Für die Aufrechterhaltung von Kontinuitäten und Netzwerken im rechtsradikalen Bereich waren Rückzugsgebiete wie Argentinien, Spanien und Paraguay nach 1945 von besonderer Bedeutung. Insgesamt begünstigte die Politik des Westens im alten und neuen "Kalten Krieg" die Stabilisierung des Rechtsradikalismus und damit auch die Nachhaltigkeit militanter antisemitischer und rassistischer Agitation. Militärputsche, Putschversuche und -pläne in Griechenland, in der Türkei, in Indonesien, in vielen Ländern Lateinamerikas, in Portugal, in Spanien und in Italien in den 1970er Jahren gehörten zum politisch-strategischen Repertoire "seriöser" konservativer Politiker wie Henry Kissinger, für den alte und neue Faschisten eine wichtige Hilfsfunktion für die Durchsetzung US-amerikanischer Hegemonialstrategien erfüllten. Die Politik weltweiter Aufteilung in zwei Macht- und Einflusshemisphären ließ weder für radikale Reformpolitik in der CSSR (1968) noch in Chile (1970 bis 1973) Raum. Der Spätstalinismus sowjetischer Prägung hielt an Terror- und Unterdrückungsstrukturen fest und exportierte diese in seine wachsenden Einflusszonen. Das westlich-kapitalistische System verursachte mit Hilfe diktatorischer Systeme - auch nach der kolonialen Ära bis in die Gegenwart - durch strukturelle Gewalt seiner Ausbeutungs- und Welthandelsstrukturen hundertmillionenfache Erkrankungen, Opfer von Unternährung, Hungertote und Kriegsopfer.

Ein eilfertiger und opportunistischer Beamter und Diplomat wie Kurt Waldheim kam als UN-Generalsekretär gelegen, trotz oder wegen seiner militärischen und de-facto-geheimdienstlichen Funktion während der NS-Zeit an grauenvollen Kampfplätzen des Vernichtungskrieges am Balkan und in der UdSSR. Er war durch seine Erfahrungen, Beobachtungen und seine spezielle Verdrängungsfähigkeit abgehärtet genug, um brutalen Machtspielen der Großmächte wenig engagiertes konformes Verhalten entgegenzusetzen. "Pflichterfüllung" und Diplomatie gegenüber jeglicher Macht hatte er früh eingedrillt bekommen und entsprechend verinnerlicht.

Die Wende zum neuen Rechtspopulismus: Krise des fordistischen und Hegemonialisierung eines neoliberalen Politikmodells

In vielen Ländern entstanden im Laufe der 1980er Jahre neue rechtspopulistische Parteien oder aber alte gewannen an neuer Bedeutung. Auch in Österreich änderte sich vieles, was die seit den 1950er Jahren stabilen Verhältnisse nachhaltig erschüttern sollte. Internationale und interne Verschiebungen der Machtverhältnisse haben das seit 1945 etablierte "Gleichgewicht der Klassenkräfte" (Otto Bauer) destabilisiert. Weltweite wirtschaftliche Liberalisierung, Privatisierungen und Strukturkrisen wichtiger Industriebranchen (Stahl, Metall, Textil), die Entwicklung und Anwendung grundlegend neuer Technologien sowie weit verbreitete mittlere und höhere Bildung in ihrer technokratisch verengten Form haben die Kapitalseite eindeutig begünstigt. Der fordistisch-keynesianische ökonomisch-soziale Kompromiss zwischen Unternehmerorganisationen und Gewerkschaften wurde nicht aufgekündigt, aber schrittweise zu Gunsten von Unternehmern und des globalen Finanzkapitals modifiziert.

Unter solchen Bedingungen haben es Gewerkschaften schwer, sich rasch auf neue gesellschaftliche Modi umzustellen. Das in Österreich träge gewordene zentralistisch-bürokratische Gefüge dieser Organisationen und ihre breite Mitgliederbasis, was zuvor eine ihrer Stärken ausmachte, hemmten nun rasche und wirksame Antworten auf neue Herausforderungen. Zugleich dominierten inländische männliche Unselbständige die meisten Entscheidungskanäle in den Interessenorganisationen. Großbetriebe wurden personell geschrumpft, in kleinere Betriebsstätten zerlegt oder in lohngünstigeres Ausland verlegt, wodurch gewerkschaftliche Organisierung erschwert wurde. Traditionell schwache Präsenz von Frauen und Zuwanderern in Betriebsräten und Gewerkschaften, geringe Repräsentanz der Gewerkschaften in neuen Berufsfeldern und anfängliche Abneigung gegenüber neuen sozialen Bewegungen (Frauen-, Umwelt-, Solidaritätsbewegungen mit Dritter Welt und Zuwanderern) bedingten letztlich verminderte Attraktivität der Gewerkschaften und Rückgang der Mitgliederzahlen, damit Abnahme des Organisationsgrades und erhebliche politische Schwächung. Die vorwiegend neoliberale Orientierung der EU begünstigte Großkonzerne und Finanzmärkte.

Selbst vor kämpferischen Gewerkschaften in Frankreich, Großbritannien oder Italien, die sich sozialpartnerschaftlich nicht einbinden ließen, machten Schwächungstendenzen nicht halt. Unternehmer zeigten wenig Interesse an einem sozialpartnerschaftlichen Politikmodell, das ihnen unter Umständen auch gewaltige Konzessionen abringen könnte. Viele der Gewerkschaften in diesen Ländern waren zwar weniger bürokratisiert, sie konnten sich aber auch nicht auf eine starke Sozialdemokratie mit weitgehend kontinuierlicher Regierungsbeteiligung oder Alleinregierung stützen. Teilzeitarbeit, Kurzzeitverträge, Leiharbeitsformen, Prekarisierung und Arbeitslosigkeit ersetzten mehr und mehr lebenslängliche ganztägige (selbst bisher eher privilegierte männliche) Erwerbsarbeitsverhältnisse. Bemühungen um neue soziale Gruppen am Arbeitsmarkt setzten erst spät und unzureichend ein. Verstärkte Identitätsaushöhlung der politischen und gewerkschaftlichen Arbeiterbewegung durch gleitende Anpassung an den neoliberalen Mainstream ab den 1980er Jahren führte zu politischer Orientierungs- und Heimatlosigkeit vieler Arbeiter und Angestellter. Das Unbehagen am Proporzsystem der Großen Koalition nahm zu. An dieser personellen und machtpolitischen Aufteilung der Republik zwischen den Großparteien wurde auch während der Alleinregierungen von ÖVP (1966 bis 1969) und SPÖ (1970 bis 1983) im Grunde festgehalten.

Neuen sozialen Bewegungen und NGOs begegnete man von Seiten der österreichischen Sozialdemokratie und der Gewerkschaften längere Zeit mit Skepsis, Ablehnung und Demagogie. Dabei wurde wohl verdrängt, dass die Anfänge politischer und gewerkschaftlicher Arbeiterbewegung durch selbstorganisierte kleine Initiativen erfolgt waren. Der Institutionalisierung von Partei und Gewerkschaft sowie der parlamentarischen Arbeit waren zunächst außerparlamentarische Formen und Vielfalt sozialer Gruppen und Bewegungen vorangegangen.

In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre versuchte es Jörg Haider zunächst mit liberalem Appeal, vorerst freilich ohne besonderen Erfolg. Allmählich verwertete er allerdings die Chancen, die sich aus dem Legitimitätsverlust von Sozialdemokratie und ÖVP ergaben, indem er das politische Vakuum, das sich auftat, mit einer rechtspopulistischen, sozialdemagogischen, zugleich aber auch neoliberalen Positionierung füllte. So gelang es ihm zunächst, völlig gegensätzliche Interessen zu homogenisieren und zu binden. Damit stieß er auf große Aufnahmebereitschaft in sozialdemokratischen Kernschichten ebenso wie bei Industriellen und anderen klassischen Milieus der ÖVP. Die Ideologie "Mir san mir", die die traditionellen Großparteien von gesamtstaatlicher Ebene bis hin zu lokaler Politik durchwachsen hatte, führte zu Verstärkung tradierten nationalen und regionalen Chauvinismus. Bereitschaft und Offenheit für europäische und internationale Solidarität der Arbeiterbewegung wurde nachhaltig geschwächt.

Jörg Haider fiel es trotz oder gerade auf Grund seiner rechtsradikalen und aggressiv deutschnationalen Prägung leicht, auf diffusen, aber militanten österreichischen Chauvinismus umzupolen, dem der Boden durch die Politik der Großparteien längst aufbereitet war. Zugleich hatten auch manifeste Rechtsradikale und Neonazis, in traditioneller Überschneidung mit dem politischen Milieu der FPÖ, mit einer "Ausländer-Halt"-Initiative den rechtspopulistischen Erfolgen vorgearbeitet. Mitglieder des Ringes Freiheitlicher Studenten (RFS), rechtsradikaler Studentenverbindungen, des Ringes Freiheitlicher Jugend (RFJ) und des Bundes heimattreuer Jugend (BHJ) sowie anderer kleinerer rechtsextremer Gruppen wurden angesichts der Wahlerfolge der FPÖ überaus rasch in die Funktionärskader integriert.

Mit der Krise des fordistischen, vor allem auf ökonomisches Wachstum angelegten, Politikmodells konnten neue soziale Anrechtsgruppen (Zuwanderer, Frauen usw.) immer weniger sozial und politisch integriert werden. So schienen Anti-Ausländer-Losungen vielen immer plausibler und ließen rassistische Ressentiments geradezu eskalieren. Zugleich wurde der sozialpartnerschaftliche Konsens überaus strapaziert: Unternehmer wollten billigere und gefügigere Arbeitskräfte. Gewerkschaften fürchteten von Seiten ausländischer Lohnabhängiger, teilweise durchaus zu Recht, Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt sowie Lohn- und Sozialdumping. Zugleich hatten die Arbeitnehmerorganisationen konsequente Schritte der Integration am Arbeitsplatz und innerhalb der eigenen Organisationen versäumt, als es nämlich ökonomisch durchaus noch möglich war. Während in anderen Staaten Zuwanderer schon früher im Sozialwohnungssektor Berücksichtigung fanden, gewiss nicht ohne Konflikte zwischen verschiedenen Bewohnergruppen, blieben in Österreich ausländische StaatsbürgerInnen bis vor kurzem von dieser wichtigen Existenzgrundlage ausgesperrt. Integrative Maßnahmen im Schul- und Erwachsenbildungsbereich waren ebenfalls wenig entwickelt.

Das Wachstum des Rechtspopulismus hat viel mit enttäuschten Erwartungen zu tun, die an traditionelle politische Parteien und Interessenorganisationen, insbesondere der historischen Arbeiterbewegung, gerichtet waren: Weitgehende Preisgabe gesellschaftspolitischer und demokratischer Zielsetzungen, die Selbstbeschränkung auf finanzielle Formen sozialer Sicherung sowie die Vernachlässigung gerechter Verteilung, alles in allem Verzicht auf emanzipatorische, kulturelle und aktiv solidarische Ansprüche, haben neuen Wohlstandschauvinismus sprießen lassen. Eine Forcierung egalitärer Schulreformen, breit angelegte Erwachsenenbildung, die über berufsorientierte Weiterbildung hinausgeht, Förderung aktiver Breitenkultur, Unterstützung von Menschen in ökonomischen, sozialen und kulturellen, möglichst selbstorganisierten Projekten sowie intensivierte Integrationspolitik und Gleichstellung der Geschlechter hätten wesentliche Ansätze konsequenter Reformpolitik bilden können. Anstatt dessen wurden vielfältige progressive Initiativen aus der Regierungszeit Alfred Dallingers (Sozial- und Arbeitsmarktpolitik) und Johanna Dohnals (Frauen- und Gleichstellungspolitik) gestoppt. Aus Angst vor politischem Kontrollverlust und übertriebener Anpassung an den neoliberalen Mainstream wurden viele dieser Reformansätze rückgängig gemacht. Die Empfänglichkeit für offene oder verkappte rechtsradikale Parolen wurde in einer wieder deutlich passivierten Bevölkerung größer.

Für die Stabilität eines auch nach 1945 nach wie vor autoritär geprägten politischen Systems und für partiell ungeläuterte Machteliten war es zweckdienlich, nur wenig reale Demokratie zuzulassen. So fehlte tiefenwirksame und breite Auseinandersetzung mit autoritären Verhaltens- und Denkmustern, wie sie für den Austrofaschismus und Nationalsozialismus bestimmend waren. Die Bereitschaft, konsequent-demokratische Lehren aus der Machtergreifung durch zwei Diktaturen zu ziehen, war gering. Erst die viel geschmähte 1968er-Bewegung in ihrer antiautoritären Hauptströmung und den aus ihr hervorgegangenen neuen sozialen Bewegungen haben in vielen Staaten, so auch in Österreich, mit Zeitverzögerung verspätete Liberalisierung und Demokratisierung stimuliert. Oliver Rathkolb weist auf Grund vergleichbarer empirischer Studien über das weit verbreitete autoritäre Syndrom auf deutliche Abnahme autoritärer Denkmuster zwischen 1978 und 2004 hin, was er auch als nachhaltigen Erfolg der österreichischen 1968er Bewegung wertet.

Eine christlich-fundamentalistische Welle erfasste in den 1980er Jahren nicht nur die protestantisch dominierte USA, sondern auch das katholisch geprägte Österreich. Zwischen der Erosion sozialer Beziehungen, dem Verlust an Solidarität durch politische Maßnahmen neoliberal geprägter Akteure und gravierender Deformationserscheinungen in Gewerkschaften und Sozialdemokratie besteht ein gesellschaftsstruktureller Zusammenhang. Entpolitisierender Konsumismus seit den 1970er Jahren und wachsende Attraktivität gesellschaftlicher Pseudo-Sinnangebote (überentwickeltes Entertainment, esoterische Weltflucht, ständige Leistungssporthypes usw.), die ungerechte gesellschaftliche Strukturen und politische Verantwortlichkeiten ausblenden, haben verstärkend auf einander eingewirkt. Manichäische Bilder von Gut und Böse, Angst- und Schuldverstärkungen, sowie Sündenböcke lenken von gesellschaftlichen und ökonomischen Unrechtsstrukturen ab. Politisch Alleingelassene suchen Halt in rechtspopulistischen und nationalchauvinistischen Identifikationsangeboten.

Der in Österreich zumeist nur "sublimierte Klassenkampf", der Kampf der Gewerkschaften am "grünen Tisch", war nach außen nur schwer wahrnehmbar und wurde bloß durch rechtspopulister Agitation nacheifeernder Deklaration neuer Sündenböcke abgelöst. Mit Anti-Ausländer-, Anti-Flüchtlings-, "Sozialschmarotzer"- und "Das Boot ist voll"- Losungen schufen führende Sozialdemokraten wie Josef Hesoun, Josef Cap, Karl Löschnak, Karl Schlögl, Manfred Matzka und Peter Marizzi zwecks Machterhalt diese keineswegs neue nationalchauvinistische Profilierung von SPÖ und Gewerkschaften. Sicherung des sozialpartnerschaftlichen Konfliktmodells, verbunden mit Erneuerung der Klassenidentität unter Einbeziehung von Zuwanderern, wie es in der skandinavischen Arbeiterbewegung, aber auch in der westdeutschen Industriegewerkschaft Metall, mit Hilfe breiter Bildungsarbeit und anhaltender Konfliktbereitschaft einigermaßen gelungen ist, wurde in Österreich weitgehend vernachlässigt. Man sonnte sich selbstzufrieden auf der vermeintlich harmonischen und bis dahin relativ erfolgreich agierenden "Insel der Seligen", fühlte sich durch die im europäischen Vergleich relativ niedrige Arbeitslosenrate bestätigt. Freilich die globale Krise sollte auch vor der österreichischen Grenze nicht haltmachen.

Die österreichische Sozialdemokratie war weder neoliberalen noch rechtspopulistischen Herausforderungen gewachsen, da sie diesen, ihre historische Identität gefährdenden Ideologien und Politiken nur wenig an Widerstand und vor allem an akzentuierten Reformalternativen entgegenzusetzen vermochte. Sie versuchte vielmehr, ohne überzeugende Aktionen, im Sog konträrer Strömungen des Zeitgeistes mitzuschwimmen. Nicht einmal wahlpolitisch waren diese Taktiken von Erfolgen gekrönt. Dies verwirrte ehemalige wie verbliebene Mitglieder, Sympathisanten und Wähler und trieb viele von ihnen nach dem Prinzip, "lieber gleich zum Schmied als zum Schmiedel", der FPÖ zu. Wählerstromanalysen belegen diesen drastischen Wechsel der Parteipräferenz. Aber nicht nur die SPÖ, auch die ÖVP sollte in erheblicher Zahl Wahlstimmen an die FPÖ verlieren.

Eiserner Vorhang und europäische Inhumanität der Gegenwart

Eine "Ausländerpolitik", die nach US-amerikanischem und kanadischem Vorbild in erster Linie qualifizierte Zuwanderer bevorzugt, ist eine nur scheinbar humane Position. Diese Vorgangsweise verstärkt die strukturelle Diskriminierung armer Länder in Afrika, Lateinamerika und Asien, auch wenn sie in Einzelfällen humanitär zu wirken vermag. Diese Staaten weisen fast immer drastischen Mangel an Qualifizierten auf. "Brain drain" war schon bisher eine der Ursachen für Entwicklungsprobleme vieler Länder. "Reiche" Staaten ersparten sich hingegen in erheblichem Maße Ausbildungskosten. Entfaltete Rückkehrprogramme mit deutlichen Anreizen auf freiwilliger Basis werden kaum geboten.

Die Festungspolitik der USA und Europas, Weise und Umfang der Subventionierung von Landwirtschaft und Fischerei (vorwiegend der Großproduzenten), verursacht inzwischen direkt und indirekt zehntausende Tote pro Jahr. Die Handelsliberalisierung für Industrieprodukte kann auf Grund ungleicher Ausgangsbedingungen für viele Staaten trotz skandalös niedriger Lohn-, Sozial- und Umweltstandards keinen Ausweg aus der strukturell erzwungenen Misere bieten. Ein Unterschied zum "eisernen Vorhang" staatssozialistischer Diktaturen besteht lediglich darin, dass diese Art der " Abschirmung" durchlässiger ist (längere Meeresgrenzen in den wärmeren Zonen). Jedoch bedingt die unmenschliche Festungspolitik der EU, und in Besonderem Italiens, insgesamt mehr Todesfälle und betrifft vorwiegend farbige Menschen. Schutzwälle oder -zäune könnten wichtige Fremdenverkehrsgebiete Südeuropas beeinträchtigen. In den spanischen Enklaven in Marokko (Ceuta und Melilla) gibt es diese Barrieren bereits. Nur eine neue gerechtere Weltwirtschaftsordnung und "good governance" auf beiden Seiten der Elendsgrenzen könnten diesen weltweiten Skandal beenden. Nur so wäre wachsendem Rechtspopulismus - als eine falsche und unmenschliche Reaktion auf Zuwanderung - langfristig zu begegnen.

Angemerkt sei an dieser Stelle auch, dass nicht nur in Österreich bürgerliche Parteien der Mitte aus Machtopportunität mit rechtspopulistischen Parteien, oder zumindest unterstützt durch diese, nach weit Rechts hin offene Regierungen bildeten. In Italien, in den Niederlanden und in Dänemark ließen sie sich jeweils von rechtspopulistischen bis rechtsextremen Parteien unterstützen. Das Bekenntnis zum Faschismus Mussolinis, abgeschwächt durch Kritik an seinem Rassismus, beschränkt sich nicht auf Spitzenrepräsentanten der ehemaligen neofaschistischen Regierungspartei Italiens. Ministerpräsident Silvio Berlusconi - Vorsitzender einer der wichtigen Schwesterparteien der ÖVP - formulierte in ähnlicher Weise seine Anerkennung der Person Mussolinis.

Berlusconi repräsentiert die europäische Galionsfigur qualitativer Aushöhlung demokratischen Parlamentarismus. Sein politischer Kampf gegen den Rechtsstaat und die Deckungsgleichheit größter Medienmacht und politisch-administrativer Führungsfunktion in einer Person stellt eine schrittweise Ausschaltung demokratischer Kontrollmechanismen in Italien dar. Eine Relevanz für Österreich ergibt sich auch daraus, dass die ÖVP ihrer italienischen Schwesterpartei im Rahmen der europäischen Fraktion kaum Kritik entgegengebracht hat. Es ist nämlich durchaus als demokratiepolitischer Skandal zu werten, dass diese entdemokratisierenden, ja antidemokratischen Misstände in Italien durch die größte Fraktion im europäischen Parlament, die der Konservativen und Christdemokraten, einfach als Normalität hingenommen werden. Auch der konservative französische Präsident Sarkozy nimmt in der "Ausländerpolitik" eine dem rechtsextremen Weltbild durchaus affine Position ein. Diese politische Entwicklung zur Gleichgültigkeit gegenüber entdemokratisierenden und rassistischen Tendenzen erinnert fatal an die Anfälligkeit eines großen Teil des Bürgertums und dessen Parteien in der Zwischenkriegszeit für verschiedene Aspekte der Politik des Faschismus.

Die Welt vor und nach 1968: Reaktionen auf den Verlust sozialer und demokratischer Perspektiven

Die Forderungen der schwedischen Sozialdemokratie unter Olaf Palme nach mehr Alltagsdemokratie und Gleichheit, Willy Brandts Losung "Mehr Demokratie wagen" und daran anknüpfende Reformkonzepte, die "Nord-Süd-Kommission" und Bruno Kreiskys Aufruf zur "Durchflutung aller Lebensbereiche mit sozialer Demokratie", der innerstaatliche und internationale Reforminitiativen folgten wie zum Beispiel die Idee neuer Marshallpläne für die "Dritte Welt", der "Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung", all das waren wichtige Beispiele zukunftsweisender Politik. Francois Mitterands vielfältige Reforminitiativen öffneten ebenfalls neue Perspektiven für soziale und kulturelle Demokratie in regionalen, nationalen wie im internationalen Zusammenhängen. Colin Crouch markierte daher diese Ära der 1970er Jahre als den zuversichtlichen "kurzen Augenblick" der Demokratie, dem nun seit den 1990er Jahren das schmerzliche Syndrom von "Postdemokratie" entgegensteht.

Ohne den Aufbruch neu-linker Studenten, einer neuen Jugendbewegung und gewerkschaftlicher Basisbewegungen, vor allem in Großbritannien, in Frankreich, Italien, aber auch in der BRD, wäre diese - nur allzu rasch beendete - Reform-Ära nicht möglich gewesen. Der Rückzug fast aller sozialdemokratischen Parteien auf einzelstaatliche Positionen (des Standortwettbewerbs und der "nationalen Interessen") unter Aufgabe des Anspruchs solidarischer Zielsetzungen im Inneren sowie international, trug dazu bei, eine Erosion einzuleiten, die bis in die Gegenwart anhält und deren Ende nicht abzusehen ist. So manche linke und an neuen sozialen Bewegungen orientierte Mitglieder und Sympathisanten der SPÖ warnten vor dieser Politik der Abkapselung bei gleichzeitig opportunistischer Anpassung. Zur Erinnerung: 1979 erreichte die SPÖ bei Nationalratswahlen noch über 50 Prozent. Freilich existierten damals die "Grünen" als Partei noch nicht, deren Entstehung auch auf die technokratische, ökonomistische und bürokratische Politik der Sozialdemokratie zurückgeht. Engagiert sozialchristliche WählerInnen wiederum wandten sich von der ÖVP ab und wechselten ebenfalls zu den "Grünen", teilweise nach einer Übergangsphase im Umkreis der SPÖ. Für manche waren reformerische und antinazistische Positionen bei den "Grünen" oder später beim "Liberalen Forum" klarer zu erkennen. Gegenwärtig muss die Sozialdemokratie zufrieden sein, wenn sie an die 30 Prozent heranreichen kann. Das demokratische, kritische und liberale Wählerpotenzial ist kleiner geworden, mehr wahlwerbende Gruppen schöpfen inzwischen aus diesem Milieu.

Wider erneuerten Geschichtsrevisionismus und Historisierung nachwirkenden Grauens

Seit 1945 war es in Österreich zu einer Vielzahl von Konflikten um Vorfälle mit Alt- und Neonazis gekommen. Jedoch erhielten diese weit weniger inneröstereichische und internationale Aufmerksamkeit als der "Waldheim-Skandal". Diese stärkere Wahrnehmung hatte viele Gründe: Ein Mitläufer der Nationalsozialisten, der sich 1986 als Kandidat einer der staatstragenden Parteien für die höchste politische Funktion in Österreich noch zu aggressiven Kriegszielen der nationalsozialistisch geführten Wehrmacht in Ost- und Südosteuropa bekannte, stellte eine Steigerungsstufe in einem Lande dar, in dem Sensibilität gegenüber NS-revisionistischen und -revanchistischen Äußerungen wenig entwickelt war. Kurt Waldheim brachte eine gängige Mentalität zum Ausdruck und legitimierte diese zugleich von höchster Stelle.

Vor allem in jüngeren Teilen der" Bildungsschicht" wuchs eine Strömung nach, die sich von der ideologischen Last der Vergangenheit und eines Teils ihrer Großeltern und Eltern emanzipieren wollte.

Der "Republikanische Club-Neues Österreich" verstand sich von Anbeginn als Fortführung der überparteilichen antinazistischen Tradition, die von 1945 bis zur Einstellung der Tageszeitung Neues Österreich im Jahre 1967 als artikulierte, wenn auch zu wenig breitenwirksame Stimme gegen übermächtige gesellschaftliche Tendenzen von Verdrängung und Verharmlosung existierte. Diese landesweit herrschende Mentalität, die von Kronen-Zeitung bis Presse durch die Fälle Taras von Borodajkewycz über Walter Reder bis zu Kurt Waldheim medial vermittelt wurde, zeigte in der Art eines Wiederholungszwanges die Uneinsichtigkeit in die schuldhafte Involvierung vieler ÖsterreicherInnen in die Verbrechen des NS-Regimes auf. Fast noch schlimmer war die nahezu permanente Verharmlosung breiten Mitläufertums, die bis in die Gegenwart fortdauert. Es bedurfte jedes Mal eines hohen argumentativen und demonstrativen Aufwandes, um dieser dumpfen Hegemonie einer Zudeck-, Verharmlosungs- und Relativierungshaltung gegenüber der NS-Zeit und ihren Folgen für Österreich, um mit einer eigentlich selbstverständlichen antinazistischen Gegenposition entgegenwirken zu können. Dieser Bogen spannt sich von der Zeit des Buhlens um Stimmen und Exponenten des "Dritten Lagers" (1948/1949) bis zur schwarz-blau-braunen Koalition (2000). Möglicherweise befinden wir uns gegenwärtig erneut vor einer solchen demokratiegefährdenden Regierungskonstellation.

Vor allem in US-amerikanischen Medien wurde Kurt Waldheim, wenn auch ohne detaillierte Belege, einer direkten Täterrolle bezichtigt. Allerdings kandidierte er für das höchste Amt der österreichischen Republik und da gelten zweifellos andere Maßstäbe für demokratisch untadelige Lebensläufe als für öffentliche Tätigkeiten "normaler" Staatsbürger. Kurt Waldheim wurde, wie Gerhard Botz, ein für engagierte Aufarbeitung jüngerer Geschichte wichtiger österreichischer Historiker, im Interview "Wir schreiben unsere Geschichte ständig um" feststellt, nicht nur wegen seiner wirklichen oder vermeintlichen Rolle in der Wehrmacht kritisiert. Vielmehr machte ihm der "Republikanische Club-Neues Österreich" eklatante Verdrängung und Verschweigen seiner wahrscheinlich untergeordneten militärischen und geheimdienstlichen Rolle während des 2. Weltkrieges am Balkan und in der UdSSR zum Vorwurf. Außerdem war ihm Hinnahme und Mitagieren im Rahmen einer antisemitischen Wahlkampagne der ÖVP vorzuhalten, was letztlich zu Wiederaufleben und Verstärkung antisemitischer und rassistischer Vorurteile in Österreich beitrug. Die rechtfertigende Wortwahl für den verbrecherischen Eroberungskrieg von Teilen der deutschen Wehrmacht, in Zusammenarbeit mit Gestapo und SS, war nicht nur hemmungsloser Wahlopportunismus, sondern bestärkte ein Geschichtsbild, das Rechtsradikalen in die Hände arbeitete. Nicht zufällig lag das auf einer Linie mit der "Kronen-Zeitung."

Waldheim verharmloste seine Rolle auf dem Balkan und in Russland zur "Pflichterfüllung" und spielte sie zudem zu einem "Kampf um die Heimat" herunter. Dass dies jahrzehntelang quer durch Österreich und die Bundesrepublik Deutschland sehr viele Menschen taten, unter gleichzeitiger Leugnung gewaltiger Verbrechen von Teilen der Wehrmacht, macht Waldheims Verhalten nicht besser, sondern, auf seine führende politische Position bezogen, noch verantwortungsloser.

Die Aktionen und Veranstaltungen des "Republikanischen Clubs-Neues Österreich" richteten sich vor allem gegen defensive und offensive Äußerungen Waldheims und der ihn tragenden ÖVP. Ihnen gelang so erfolgreiche Mobilisierung von Ressentiments ehemaliger Wehrmachtssoldaten und ihrer unkritischen Verteidiger. Kurt Waldheim ist als Exempel für die letztlich ungebrochene Grundhaltung großer Teile der österreichischen Bevölkerung und eines erheblichen Teils ihrer "Eliten" in ihrem Verhältnis zum NS-Regime zu sehen. Die Terrorherrschaft im Inneren und der Expansions- und Vernichtungskrieg der großdeutschen Wehrmacht wurden verdrängt oder überhaupt geleugnet.

Kurt Waldheims Tod im Jahre 2007 konnte dann neuerlich in dieser politischen Absicht missbraucht werden. Es war nicht nur falsch verstandene Pietät, die zu einer wenig differenzierten Bewertung von Waldheims Lebensbilanz in Medien und politischen Diskussionen führte. Diese Resonanz auf Kurt Waldheims Tod entsprach vermutlich der mehrheitlichen Empfindungslage der Bevölkerung. Sogar Bundespräsident Heinz Fischer, dem eine prinzipiell antinazistische Grundhaltung nicht abzusprechen ist, und keineswegs nur ÖVP-Politiker, sprach in seiner Würdigung des Verstorbenen vom "großen Österreicher" oder "Weltbürger", was Gerhard Botz angesichts Kurt Waldheims langjähriger Uneinsichtigkeit in den historischen Charakter des Nationalsozialismus und der in der westlichen Welt erlangten Bedeutung seiner Aufarbeitung allerdings überzogen erschien. Eher hatte er als Aufklärer wider Willen über Österreichs lange verdrängte und verharmloste Vergangenheit gewirkt.

Wie weit inzwischen der "normalisierende" Diskurs und die Bagatellisierung des Verhaltens Kurt Waldheims sowie seiner antisemitisch agierenden Unterstützer wirken, zeigt selbst Gerhard Botz im zuvor zitierten Interview im kulturpolitischen Journal des Landes Niederösterreich (Mai 2008), in dem er beschwichtigend meinte, dass im Fall Waldheim "nicht vom Versagen einer persönlichen Geschichtseinschätzung, sondern als einer Elitenerzählung der Diplomatie, die aus strategischen Gründen die Opferthese verbreitete" auszugehen sei. Botz befand zudem allzu verständnisvoll, dass "die NS-Zeit kritisch zu sehen, für Waldheims Generation schwierig war - außer man war Widerstandskämpfer, und auch die haben ihre Mythen". Weiters hob Botz hervor, dass Waldheim keinem Nazimilieu entstammte - als ob dies ein persönliches Verdienst wäre und sich daraus zwangsläufig Gegnerschaft zum Nationalsozialismus ergäbe.

Gerhard Botz' These grenzt an relativierende Geschichtsbetrachtung und geht entschieden zu weit. Eine dialektische Spannung zwischen einfühlendem Verstehen der Ausgangs- und Rahmenbedingungen handelnder wie inaktiver Menschen und der Vermeidung von Selbstgerechtigkeit und Arroganz "nachgeborener" Personen (Helmut Kohl) sowie Orientierung an objektivierender historischer Analyse scheinen angebracht. Der alte, vermutlich zu idealistische Begriff von Wahrheitssuche scheint mir aber dennoch nicht unzeitgemäß. Die Befürchtung, einer Selbstgerechtigkeit von Nachgeborenen geziehen zu werden, oder der mögliche Schock, die tatsächliche Rolle des eigenen Vaters in der NS-Zeit erst spät wahrgenommen zu haben, können seinen jüngst gegenüber Kurt Waldheims Verhalten zu konstatierenden Geschichtsrelativismus verstehbar machen. Ich selber habe das Glück, nicht mit solcher psychischer Belastung konfrontiert gewesen zu sein. Dennoch machte es mir phasenweise zu schaffen, dass mein Vater, obwohl er in vielem meinem politischen Idealbild nahekam, in manchen wichtigen politischen Konflikten doch von diesem Ideal abwich.

Als wichtiges Beispiel kann gelten, dass Bruno Kreisky als Bundeskanzler, trotz antimilitaristischer und friedensengagierter Grundhaltung, aus Rücksichtnahme auf die Sicherung von Arbeitsplätzen und angesichts starken Drucks durch führende Gewerkschafter und Manager der Verstaatlichten Industrie zu schwachen Widerstand gegen den Ausbau der Rüstungsindustrie und gegen österreichische Waffenexporte in kriegführende Gebiete wie Irak und Iran leistete. Damals gab es aber auch rühmliche Ausnahmen, die Zivilcourage zeigten, etwa den leitenden Metallarbeiterfunktionär Sepp Wille und Arbeiterkammerpräsident Wilhelm Hrdlicka, Obmann der Gewerkschaft der Chemiearbeiter und Präsident der österreichischen Arbeiterkammern, später Präsident der Aufsichtsrates der Verstaatlichtenholding (ÖIAG). Diese Haltung führte auch zum Rücktritt in der ÖIAG.

Aber auch Bruno Kreiskys mehr als vorsichtige Positionierung zur aggressiven Kriegsführung der USA im Indochinakrieg zählt zu meinen politischen Enttäuschungen. Seine späte Einsicht in die fatalen Gefahren "friedlicher" Nutzung von Kernenergie, war für mich leichter zu verarbeiten, als wäre er Mitläufer des NS-Regimes gewesen, besonders angesichts der Tatsache, dass Bruno Kreisky vor der Volksabstimmung über das AKW Zwentendorf, die überhaupt erst auf sein Betreiben hin zustande kam, eine diskursive Konfrontation zwischen Experten der BefürworterInnen und Experten der GegnerInnen von Atomenergie ermöglichte. Immerhin konnte Bruno Kreisky vor seinem Tod noch seine prinzipielle Gegnerschaft zur Atomenergie artikulieren. Ebenfalls bereits mehrere Jahre vor seinem Tod sprach sich Bruno Kreisky für die Möglichkeit grundsätzlicher Kooperation zwische Rot und Grün in Europa aus.

Gerhard Botz' undifferenziert negatives Urteil über Bruno Kreisky, das er in krassem Kontrast zur nachträglichen Freisprechung Kurt Waldheims fällt, scheint mir einigermaßen bedenklich. Zu dieser Einschätzung komme ich, weil ich nie zu den bedingungslosen Verteidigern und Verehrern der politischen Persönlichkeit meines Vaters zählte. Unsere Kontroversen sind hinlänglich medial dokumentiert. Gerade als Zeithistoriker müsste aber Gerhard Botz wissen, dass Bruno Kreisky nicht "im Sinne seiner Integrationspolitik die NS-Vergangenheit ausgeklammert hat", sondern dass er eine langfristig orientierte und damit selbstverständlich auch widersprüchliche Politik betrieben hat, die der geschichtswissenschaftlichen und persönlichen Position von Gerhard Botz recht nahekommt: Nämlich Mitläufern und "kleineren" Tätern sehr wohl die Hand zu reichen, ihnen die Chance zu geschichtskritischer Einsicht und Ausdruck des Bedauerns zu bieten, mit ihnen aber nicht, wie im Falle der Berufung von SPÖ-Regierungsmitgliedern oder der Rehabilitation Friedrich Peters, einfach kommentarlos zu kooperieren. Aus mangelnder Auseinandersetzung ist für demokratische Erneuerung nichts zu gewinnen. Langfristig zeithistorische Agenden mit den jeweiligen RessortministerInnen und WissenschafterInnen in Angriff zu nehmen, mag zwar als Widerspruch zur Anpassung an das rechte Milieu gelten, war aber realpolitisch wahrscheinlich nicht anders zu erreichen. Ob eine solche Strategie aufzugehen vermag, bleibt angesichts der Beständigkeit eines nicht unerheblichen rechtsradikalen, vor allem eines zumindest indifferenten Potenzials in der österreichischen Bevölkerung eine offene Frage. Keineswegs möchte ich Ausfälle in Bruno Kreiskys Auseinandersetzung mit Simon Wiesenthal oder seine leichtfertige Auswahl von Ministern mit NS-Vergangenheit rechtfertigen.

Auch in der Anfangszeit des "Republikanischen Clubs-Neues Österreich" gab es immer wieder undifferenzierte Kritik an der Politik meines Vaters. Teilweise kam diese von geläuterten und gewendeten Linksradikalen, vor allem maoistischer oder trotzkistischer Provenienz, die noch wenige Jahre zuvor eine pauschal antizionistische und antiisraelische sowie unkritisch pro-palästinensische Position vertreten hatten. Jüdischen Befreiungsnationalisten wurde prinzipiell Solidarität versagt. Dies, obwohl sie nicht die einzige nationale Befreiungsbewegung verkörperten, die ihren Kampf auf Kosten anderer Völker und ethnischer sowie religiöser Minderheiten führten. Eine Gruppe älterer NS-Opfer und Anti-Nazis warf Bruno Kreisky - teilweise zu Recht - seinen zu versöhnlichen und opportunistisch-pragmatischen Umgang mit alten Nazis und Neonazis vor.

Bis zur Waldheim-Auseinandersetzung ging Bruno Kreisky davon aus, dass antisemitische und nationalsozialistische Strömungen vor allem "biologisch obsolet" werden würden, wie er es mir gegenüber äußerte. Bei vielen Angehörigen der älteren Generation, die zu keiner oder zu wenig Einsicht bereit wären, würden erst mit ihrem Tod auch deren fatale Ideologien untergehen und damit in der Bevölkerung demokratisch-politischen Mentalitäten und Handlungsmustern Platz machen. Bis dahin sei daher oft nur eine Art von Koexistenz erreichbar. Freilich musste er später seine Hoffnung relativieren.

Leitende PolitikerInnen nicht-jüdischer Herkunft hätten es in den unmittelbaren Nachkriegsjahren durchaus in der Hand gehabt, die Aufarbeitung der Geschichte systematisch und mit Breitenwirkung anzugehen, zumal viele von ihnen erzwungenermaßen durch die "Gemeinschaft der Lagerstraße" verbunden waren. Dies aber primär von einem Politiker jüdischer Herkunft zu erwarten, kommt einer Überforderung gleich und entspricht fast dem Klischee eines philosemitischen Vorurteils. Warum sollen in erster Linie Menschen jüdischer Herkunft, JüdInnen oder Angehörige anderer Opfergruppen sich erneut antisemitischen Aggressionen aussetzen? Warum sollten Menschen nicht-jüdischer Herkunft in Vergangenheit und Gegenwart aus dieser Verantwortung entlassen sein? Auch sie stehen in einer Art kollektiver Verpflichtung - den Begriff Kollektivschuld halte ich für verfehlt. Er wird meist von Apologeten des Nationalsozialismus zur Abwehr kritischer Auseinandersetzung mit der Geschichte des NS-Regimes, seiner besonderen Herrschaftsformen und massenhafter Verbrechen missbraucht. Hinzu kommt, dass antinazistische Aktivitäten von Menschen jüdischer Herkunft oder Zugehörigkeit begrenzte Wirkung haben, weil tendenziell Eigeninteresse in Anschlag gebracht wird. Genügt nicht das Leid, das ihren Angehörigen und ihnen zugefügt wurde?

Aus diesen Gründen sah es mein Vater als folgerichtig an, mich zu Zeiten der Mahnwache gegen Kurt Waldheim vor dem O5-Zeichen am Haupttor des Stephansdoms davon zu überzeugen, mich daran nicht zu beteiligen. Er war der Meinung, dass dieser Protest in erster Linie eine Verpflichtung von Nicht-Juden sei. Christian Albert, Friedrun Huemer, Volker Kier und andere engagierten sich damals beispielhaft, nicht ohne heftigen verbalen Attacken von Neonazis ausgesetzt zu sein.

Gerhard Botz scharfe Kritik an Bruno Kreisky drückt eine verständliche Ungeduld mit der Persistenz nazistoider und antisemitischer Vorurteile in der Bevölkerung aus. Aber gerade Bruno Kreisky hatte Zeit seines Lebens versucht, überfällige und tiefgreifende gesellschaftspolitische Reformen in Österreich mit zu bewirken. Die wirtschafts- und gesellschaftspolitische Modernisierung sollte Voraussetzungen schaffen, rassistisches und antisemitisches Handeln und Denken Schritt für Schritt, wenn schon nicht zu beseitigen, so doch zumindest zu schwächen.

MALLORCA NEWS >>> Tod auf Wanderung: Peter Kreisky starb an Herzinfarkt Der 66-jährige Sohn des früheren österreichischen Kanzlers war seit Sonntag vermisst worden / 29-12-2010

Peter Kreisky, der Sohn des früheren österreichischen Kanzlers Bruno Kreisky, ist an einem Herzinfarkt gestorben. Das hat die am Dienstag (28.12.) durchgeführte Autopsie ergeben. Kreisky war am Montag (27.12.) tot im Wald von Na Burguesa im Südwesten von Mallorca aufgefunden worden. Der 66-Jährige hatte am Sonntag eine Wanderung unternommen, von der er nicht zurückgekehrt war.

Peter Kreisky wollte nach Angaben österreichischer Zeitungen Silvester auf Mallorca im Haus der Familie in Costa d'en Blanes verbringen und dann nach Wien zurückkehren, um an einem Feierakt zu Ehren seines Vaters Bruno Kreisky teilzunehmen. Der frühere SPÖ-Kanzler, der von 1970 bis 1983 regierte, wäre am 22. Januar 100 Jahre alt geworden. Bruno Kreisky galt als großer Mallorca-Fan, er brachte bedeutende Politiker wie den früheren palästinensischen Präsidenten Jassir Arafat oder Libyens Machthaber Gaddafi auf die Insel. In seinem Haus in Costa d'en Blanes wurde der frühere Kanzler nach Angaben der Zeitung "Diario de Mallorca" auch vom spanischen König Juan Carlos oder dem früheren spanischen Ministerpräsidenten Felipe González besucht.


http://www.mallorcazeitung.es/aktuelles/2010/12/30/tod-wanderung-peter-kreisky-starb-herzinfarkt/18168.html

Der Text von Peter Kreisky ist als Buchbeitrag im Sammelband >Dokumente gegen Ressentiment und Rassismus seit 1986< (Hg. Brigitte Lehmann, Doron Rabinovici, Sibylle Summer) Dez. 2009 erschienen. Er wurde zur Wiedergabe im Electronic Journal Literatur Primaer aus einer Aussendung des Republikanischen Clubs uebernommen. Als Vermaechtnis des Peter Kreisky wird man den Text nicht ansehen koennen, es ist wohl eher die spaete Textierung einer Einsicht, die viele Oestereicher und Oesterreicherinnen im Zuge der Waldheimaffaire und vor allem in der Erfahrung des Danach in der Bewertung der tagespolitischen laufenden Ereignisse ohnehin schon getroffen haben.


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