Austriaca V - VI

Austriaca Bilderbogen 2 > Braumueller Lesethek > arrangiert Dezember 2010 von Franz Krahberger



Die

lesethek

von Braumueller hat zwei interessante Baende herausgebracht. Der eine, herausgegeben vom akkurat redigierenden Adolf Opel, beinhaltet erstmals saemtliche Schriften von Adolf Loos, dem begnadeten Gestalter von Stadthaeusern, Villen, Interieurs und Moeblagen, Beobachter von Moden und Kleidungsstilen und allgemeinen kulturellen Erscheinungen jener ereignisreichen Zeit, in der gelebt, gearbeitet, designed und geschrieben hat. Ein absolut empfehlenswerter Exkurs in die Wiener Moderne, deren Geist heute noch immer zurecht, trotz aller historischen Widrigkeiten, nicht erloschen ist.


Der zweite Band, eine literarische Rundreise durch die Wiener Alpen, Semmering / Reichenau / Rax, verfasst von Markus Rieger und fotografiert von Yvonne Oswald begibt sich auf die Spuren, die eine Reihe von Dichtern in den Waeldern des Voralpengebietes hinterlassen haben.

Autoren wie Arthur Schnitzler in Reichenau, Heimito von Doderer in Prein, der epochemachende Wissenschaftler Sigmund Freud auf der Rax, Franz Werfel und Alma Maler am Kreuzberg, Robert Musil im Thalhof, Peter Altenberg, Hugo von Hofmannsthal, Karl Kraus und Stefan Zweig in den Semmering Hotels, ebenso wie Hermann Bahr, Peter Rosegger, Felix Salten und Ludwig Stein. Alle bevorzugten die Landschaft des Semmering und der umliegenden Berge zur Erholung, als Refugium, zur Inspiration und dienten auch als Vorbilder ihrer Beschreibungen. Rosegger etwa beschreibt eindrucksvolle Wanderungen im Rax- und Schneeberggebiet.

Das ist fuer jeden Schriftsteller und auch fuer Neuen Medienartistos, wie ich es bin, wichtig. Die Grosstadt erfordert in jeder Hinsicht grosse Praesenz und Geistesgegegenwart, die nicht immer dem Werk zugute kommen kann.

Das Land vermittelt jene Ruhe, die einem in das weite Land des Geistes fuehren kann und es auch tut. Das habe ich selbst nach meinem Umzug nach Baden erneut erfahren. Die provinzielle Schnoddrigkeit, vor der auch dieser Kurort nicht gefeit ist, muss man in Kauf nehmen. An der kann man allerdings auch freundlich nickend vorbei gehen. By the way and forget it. Es gibt aber auch wirklich ehrliche und freundliche Leute hier.

Die eben sowenig unerheblich wie nicht uneitle Semmering Versammlung von Autoren der 20 Jahre hat mittelbar mit der Wiener Gruppe, die von Doderer und Dorothea Zeemann sehr gefoerdert worden ist, eines gemeinsam. Sie spielten gerne des Dandy und das Lady Spiel. Die einen verfuehren und die anderen lassen sie gerne verfuehren.

Die einen haben sich schon mondaen gegeben und waren begabte Flaneure,die naechsten haben den Faden wiederum aufgenommen. Das Spiel des Dandy und des eleganten Flaneurs, frei nach Adolf Loos > Alles englische Flotte. Dieser Ausdruck war jedoch fuer eine Wiener Kuenstlergruppe in den 60 er Jahren vorigen Jahrhunderts bestimmt, die sich gerne very british in der Englischen Flotte am Wiener Graben einkleidete und im Hawelka verkehrte.

Ich denke, der ehrlichste und am wenigsten umstaendliche von allen ist Sigmund Freud, der ein halbes Jahrhundert vorher gerne ins Cafe Central in der Herrengasse gegangen ist, gewesen. Der war gegenueber anders uneinsichtig geaeusserten Meinungen keineswegs bloss Schreiber und Ver -Dichter. Er ist ein ausgezeichneter Nervenarzt und ein noch groesserer Analysant der menschlichen Seele, deren Tore er imstande war zu oeffnen, gewesen. Freud beherrschte den Koenigsweg der Worte und konnte so den Zugang zum Unterbewussten herstellen. Infolge dessen meldete aber auch die zu erfuellende und zu befiedigende Sexualitaet ihre Rechte an, die heute im Bogen von Pille und Viagra merkwuerdige Hochleistungswellen zu schlagen beginnt. Alles hat so sein seine Droge, sein Soma, wie es bereits Aldous Huxley Ende der 30 er Jahre in seinem Text Brave New World beschrieben hat. Mitte der 50er Jahre bestaetigt Huxley nochmals seine Einsichten und Erkenntnisse in Form von Brave New World revisited. Dieser Erganzungsband wird von seiner Frau erst nach dem Tod von Huxley publiziert, dreissig Jahre nach dem Erscheinen der schoenen Neuen Welt.

Den Felix Salten habe ich schaetzen gelernt, nicht allein wegen der hard core verfassten Mutzenbacherin, nicht wegen des Bambis, das auch sehr lieb ist, dass der Hubert Burda heute noch in Muenchen in Goldlammeta vergibt, sondern ob seines Textes 5 Minuten Amerika, in dem er wichtigeres zu erzaehlen als etwa der rasende Egon Erwin Kisch in einem vergleichbaren Band.

Arthur Schnitzler war der gefaehrlichste von allen. Was dem einen Pflicht gewesen ist, zu heilen, hat der andere evoziert. Bloss, dem Schnitzler ist der Spagat sehr bewusst gewesen, er war ja selber Arzt.
Schnitzler hat mit der gefaehrlichen und abgruendigen Seite der Freiheit ein daemonisches Spiel gespielt, in dem er selbst permanent riskiert hat, ob im Reigen oder in der Traumnovelle. Manche der Auffuehrungen des Reigens, etwa in Berlin, haette er selbst gerne untersagt.

Er musste ja ein Doppelspiel treiben, das des gesellschaftlichen begehrten Arztes, das ihm ordentliche Honorare eingebracht hat, und das des Autors, der oft die Grenze zum poet maudit hin hasardierend gedehnt hat. Schnitzler war subversiv, mindestens so wie Ingmar Bergman Jahrzehnte spaeter, vor allem im Schweigen und in Szenen einer Ehe

Schnitzler war mehr Wegbereiter der sexuellen Revolution, als viele wahrhaben wollen. Er war gewiss kein Mann des moralisierend erhobenen Zeigefingers.

Sigmund Freud hingegen halte ich nach wie vor fuer die Emanzipation der Frauen wie des Mannes, nicht allein in ihren sexuellen Beziehungen, zustaendig. Er war der weisere und peniblere Analyst und vor allem war er ein hervoragender Nervenarzt. Das getraue ich mir zu sagen, weil ich sehr frueh seine Texte zur Hysterieuebertragung durchgenommen habe, die von De Laing, Beavin, Watzlawick weiter entwickelt worden sind.

Sexuelle Emanzipation braucht ein anderes paar Schuhe, als die sexuelle Revolution an hat.

Es wird zeit, Schnitzlers Weg ins Freie zu lesen, wenn auch dieser Weg Europa in die Katastrophe der Shoa gefuehrt hat. Bereits Theodor Herzl hat festgestellt, dass der Antisemitismus folge der juedischen Emanzipation gewesen ist. Daraus ist dann der unerbittliche wie voellig unverstaendliche Holocaust geworden.

Diese katastrophale Einsicht war mir immer schon gelaeufig, Kafkas Verwandlung als Kehrseite. Jetzt habe ich Herzls Statement in Annette Meyhoefers hervorragender Freud Biografie gefunden.

Markus Rieger bescheibt eine beruehrende Erinnerungskultur, die in Payerbach Reichenau im Rahmen der Reichenauer Festspiele als Kunstprojekt stattgefunden haben soll. Ein Gueterzug aus Waggons, die denen glichen, die Millionen Juden und Juedinnen nach Auschwitz und anderswo hin in den sicheren Tod gefahren haben, traegt ein grosses Foto von Franz Werfel und eins von Stefan Zweig. Tatsaechlich laesst es sich so dem innersten Wesen der Shoa und des alles vernichtenden Churban nicht im entferntesten nahe kommen. Was heisst da beruehrende Erinnerungskultur ? Wie laesst sich denn der Genocid mittels Totenkult ueberhaupt erfassen ? Wollte man den Reichenauern und den aus der Umgebung zu den Festspielen Angereisten das Abbild der schrecklichen Wirklichkeit ersparen ? Wollte man eine falsche Faehrte legen ?

Eines ist gewiss, Unkultur kann nicht kultiviert dargestellt werden, nur weil sich das bloss ein paar Funktionaere so einbilden, Menschen die weder Opfer noch Taeter gewesen sind, die bloss wiederum durch falsche Verzerrungen die eigentliche Tat verschleiern wollen und es so auch tun. Der Holocaust betrifft nicht allein die Juden, er hat generell das noetige Grundvertrauen aller Menschlichkeit zerstoert. Bevor man so ein momento mori setzt, wie auf dem Reichenauer Bahnhof geschehen, soll man es eher bleiben lassen. So wird man bloss in die Irre gefuehrt.

Franz Werfel ist dem Holocaust entgangen, er ist 1945 in Beverly Hills verstorben. wikipedia 1940, als die Wehrmacht große Teile Frankreichs besetzte, fand er Zuflucht in Lourdes, und Werfel gelobte, falls er gerettet würde, ein Buch über die heilige Bernadette zu schreiben. Zu Fuß überquerte er mit seiner Frau Alma, Heinrich, Nelly und Golo Mann die Pyrenäen nach Spanien. Das Ehepaar erreichte von dort Portugal und emigrierte in die USA, nach Beverly Hills und Santa Barbara. Werfel erhielt 1941 die amerikanische Staatsbürgerschaft. 1943 wurde sein Roman Das Lied von Bernadette mit Jennifer Jones in der Titelrolle mit großem Erfolg verfilmt..

Walter Benjamin, der ebenso diesen Fluchtweg im Auge hatte, gelang es nicht, durch zu kommen. Bevor in die Nazi Schergen ergriffen, toetete er sich mit einer Ueberdosis Morphin. Es gibt allerdings Spekulationen, dass Benjamin von stalinistischen Agenten ermordet bzw. in den Tod getrieben worden ist, vergleichbar dem Tod von Willi Muenzenberg.

Stefan Zweig wurde indirekt Opfer der Shoa, er beging gemeinsam mit seiner Frau am 22. Februar 1942 in Petrópolis, Rio de Janeiro in Brasilien Selbstmord, weil er geglaubt hat, Hitler wuerde die Weltmacht erringen. Er hat den Antisemitismus mit der drohenden Ausloeschung verwechselt. Der brilliante Deuter der Sternstunden der Menschheit und des Joseph Fouche hat fuer sich und seine Frau keinen hoffnungsvolleren Plan ausser den des vorzeitigen Suicides gehabt. Es waere nicht notwendig gewesen und koennte auch andere Gruende gehabt haben, als die angefuehrten.

Adolf Loos baute eine eindrucksvolle Villa, das Looshaus am Kreuzberg, in dem Alma Mahler und ihr Mann und Liebhaber Franz Werfel wohnten. Es war ein weiter Weg von Werfels Tod eines Kleinbuergers 1927 erschienen und nicht sein erstes Werk, bis hin zum Stern der Ungeborenen, der erst nach seinem Tod publiziert worden ist. Die Mahler ist ihm treu geblieben und hat ihn nie wieder verlassen. Das ist weder Mahler noch Gropius und so auch nicht dem Oskar Kokoschka widerfahren. Puppenkiller sind keine besondere Hoffnung fuer Frauen.




Sigmund Freud und seine Tochter Anna



Arthur Schnitzler faehrt vor




Yvonne Oswald; Fotograf <



Markus Rieger; Verfasser <


Adolf Loos und Peter Altenberg


Thonet Stuhl, Entwurf Adolf Loos, fuer das Cafe Museum Karlsplatz Wien



Altenberg als Tuersitzer im Wiener Cafe Central, Herrengasse A-1010 Wien.
Altenberg ist seine Rolle des Kaffeehaushaengers nie los geworden. Er wurde darin verewigt.













Arthur Schnitzler











Payerbach Reichenau


Landlady



Braumueller lesethek


Franz Krahberger Semmering > eine kleine Zeitreise






Medienbaustein


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