Werkhintergründe -
zu Helmut Peschinas Bearbeitung von Hugo Bettauers Stadt ohne Juden


Eine Betrachtung - ein Vergleich

© Franz Krahberger

Seit den frühen 70 er Jahren verfolgt mich eine düstere Ahnung, an die ich wiederum denken musste, als ich jetzt Helmut Peschinas Bühnenversion von Hugo Bettauers Stadt ohne Juden gelesen habe. Ich begann damals den Holocaust für eine weitere Inquisition des christlichen Abendlandes an den Juden, an politisch wie weltanschaulich Andersdenkenden, an aufrichtigen Demokraten, an ehrlichen Sozialisten, Intellektuellen, nicht angepassten Künstlern und überhaupt der europäischen Linken zu halten.
Lange Zeit hielt ich das für eine dramatische Überzeichnung, und dies nicht allein wegen der aufgeregten damals noch anhaltenden Debatten um Rolf Hochhuths Stellvertreter. Offensichtlich weigerte ich mich als katholisch geprägter und christlich denkender Mensch, eine Verbindung von Katholizismus, Nationalsozialismus und Holocaust herzustellen.

Heute, nachdem ich den jüdischen und den politischen Opfern auf langen Recherchen, in Lektüre und Ansicht von Filmdokumenten virtuell auf ihrem Weg ins und durchs Inferno in dieser Tragödie, die nichts göttliches an sich hatte, sondern rein teuflischer menschlicher Natur gewesen ist, gefolgt bin, muss ich mit Bitterkeit feststellen, dass meine ursprüngliche, scheinbar überzeichnete Ansicht richtig gewesen ist, und das christliche Abendland, insbesondere jenes des 19. Jahrhunderts, wesentliche Voraussetzungen für den Holocaust geschaffen hat, in dem es ab dem dritten Drittel dieses Jahrhunderts hemmungslos den Antisemitismus zu predigen begann, der auf die endgültige Vertreibung der Juden aus gewessen ist. Die Vernichtung wurde 60 bis 70 Jahre später den Nazis überlassen.

Doch ohne die Vorleistungen der französischen Jesuiten, deren Wut und Hass sich vor allem gegen die Aufklärung und die damit im Bunde stehenden Juden sowohl der liberaldemokratischen wie sozialistischen Orientierung richtete, ohne die Hetzreden des protestantischen Hofpredigers Stöckers in Berlin und des katholischen Priesters und Abgeordneten Scheicher in Wien und dessen Parteifreunds Lueger, hätten die Nazis ihr Werk nicht auf die Spitze treiben können.

Der 1872 in Baden bei Wien geborene Hugo Bettauer veröffentlichte 1922 seinen Roman Stadt ohne Juden. Diese damals vielleicht ebenso grotesk anmutende dramatische Überzeichnung, die die Vertreibung der Juden aus Wien, den damit verbundenen wirtschaftlichen Zerfall und die schlussendliche Wiederkehr der Juden in die Stadt, schildert, hatte ihr historisches Vorbild in einer Utopie aus dem Jahr 1900, eine katholische Hetzschrift Scheichers, auf die ich später noch zurückkehren werde.

Hugo Bettauer ist jedenfalls im März des Jahres vom Zahntechniker Otto Rothstock mit Schüssen tötlich verletzt worden. Rothstock war zu diesem Zeitpunkt bereits Mitglied der NSDAP, aber die hatten politisch damals noch nichts zu reden.
Bettauer war vor allem wegen seines Eintretens für sexuelle Aufklärung und Freizügigkeit umstritten.

Das Volkstheater hat nun in seinem Bellaria Studio Helmut Peschinas Bearbeitung der Stadt ohne Juden vielbeachtet multimedial in Szene gesetzt.

Ich bringe einen Auszug aus der Bearbeitung Peschinas, die später in voller Länge im E-Journal erscheinen wird.

Aus Helmut Peschinas Bearbeitung von Hugo Bettauers Stadt ohne Juden

I. 7. KAPITEL: MEINE LIEBEN CHRISTEN

ERZÄHLER:

Der letzte Jahrestag wurde für Wien zu einem Festtag, wie ihn die lustige und leichtsinnige Stadt noch nie erlebt hatte. Unter Aufbietung aller Verkehrsmittel, mit Hilfe von Lokomotiven, die aus den Nachbarstaaten entliehen waren, war es gelungen, an diesem Tag in dreißig riesigen Zügen die letzten Juden fortzubringen. Vormittags fuhren die Direktoren und leitenden Funktionäre der Großbanken, mittags die jüdischen Journalisten mit ihren Familien. Sie hatten bis zum letzten Augenblick ausgeharrt, noch die Abendblätter waren von ihnen geschrieben und redigiert worden, und erst als die feuchten Blätter aus den Rotationsmaschinen flogen, rückten die neuen Herren in die Redaktionsstuben ein. Um ein Uhr mittags verkündeten Sirenentöne, daß der letzte Zug mit Juden Wien verlassen, um sechs Uhr abends läuteten sämtliche Kirchenglocken zum Zeichen, daß in ganz Österreich kein Jude mehr sei.

In diesem Augenblicke begann Wien sein großes Befreiungsfest zu feiern. Von hunderttausend Häusergiebeln wurden die rotweißroten Fahnen gehißt, Tücher in diesen Farben schmückten alle Geschäfte, Lampions vor allen Fenstern wurden entzündet, und bei sternenheller Frostnacht zog eine Million Menschen über den knisternden Schnee, um sich zu Zügen zu vereinigen. Und immer wieder zerriß ein Ruf die Luft

RUFE: Es lebe das christliche Wien! Es lebe das christliche Wien!

ERZÄHLER:

Auf einer Tribüne spielten die unvergleichlichen Wiener Philharmoniker, von Juden gesäubert und daher ein wenig reduziert, volkstümliche Weisen, und der Wiener Männergesangverein bot seine besten Lieder dar. Endlich kam der große Moment. Bürgermeister Karl Maria Laberl erschien mit Bundeskanzler Dr. Schwertfeger auf dem Balkon.

SCHWERTFEGER:

Mitbürger, ein ungeheures Werk ist vollendet! Alles das, was in seinem innersten Wesen nicht österreichisch ist, hat die Grenzen unseres kleinen, aber schönen Vaterlandes verlassen! Wir sind nun allein unter uns, eine einzige Familie, wir sind fürderhin auf uns und unsere Eigenart gestellt, mit eigener Kraft werden wir unser gesäubertes Haus frisch bestellen, morsche Mauern stützen, geborstene Pfeiler aufbauen.

RUFE: Hoch der Bundeskanzler, er lebe hoch, hoch! Es lebe Österreich, Dr. Schwertfeger lebe hoch! Der Befreier Österreichs!

SCHWERTFEGER:

Wir feiern heute ein Fest, wie es noch nie gefeiert wurde. Morgen beginnt ein neues Jahr und für uns alle ein neues Leben. Unser ganzes Können müssen wir unserem Vaterlande widmen, jede Stunde muß genützt werden. Wir werden der ganzen Welt zeigen müssen, daß Österreich auch ohne Juden leben kann, ja daß wir deshalb gesunden, weil wir das Fremde aus unserem Blutkreislauf entfernt haben. Mitbürger schwört mir, daß wir arbeiten, arbeiten und nichts als arbeiten, bis uns die Früchte unserer Arbeit erblüht sind!

ERZÄHLER: Und der Ruf:

CHOR: Wir schwören es!

ERZÄHLER:

Brauste auf. Männer und Frauen sanken einander weinend und lachend in die Arme, die neue Volkshymne wurde intoniert und mitgesungen und dann erklang ohne Verabredung und doch wie aus einem Munde

CHOR: Hoch unser Doktor Schwertfeger, der Befreier Österreichs!
ERZÄHLER:

Als sich der Jubel und Tumult ein wenig gelegt hatte, kam endlich auch Bürgermeister Karl Maria Laberl zum Wort.

LABERL:

Meine lieben Christen ....

Peschinas Sprache und Darstellungsform ist direkt, wie bei solchen Themen meist auch irritierend. Aber ist der Wiener erstmals losgelassen, fallen in Kaisermühlen alle auferlegten Hemmungen. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass während der Aufführung die Zuschauer einem ambivalenten Wechselbad der Gefühle ausgesetzt sind. Aber das hat der dyonysisch gestimmte österrreichische Realimus so an sich, der mit Direktheit unverhüllt an den Tabuzonen rührt.

Die Originalfassung von Bettauers Roman finden Sie unter Stadt ohne Juden und Informationen zu Hugo Bettauer im Gutenberg Projekt auf spiegel.de.

Die Vorankündigung des Wiener Volkstheaters der Aufführungen im Bellaria Kino.

Ich möchte nun noch auf das offensichtliche Vorbild Bettauers bzw. dessen Anlass zu seiner kritischen Umarbeitung, die Hetzschrift Joseph Scheichers aus dem Jahre 1900 hinweisen.

Auszug aus dem von mir verfassten Text Das grosse Verderben Antisemitismus

Joseph Scheicher wurde 1842 als Sohn eines Bergbauern im steirischen Stainz geboren, studierte ab 1865 Theologie im Priesterseminar im niederoesterreichischen St. Poelten und wurde ebenda 1878 zum Professor für Moraltheologie berufen.
Scheicher wurden vor allem von Sebastian Brunner gefoerdert, der mit Joseph von Goerres, einem fruehen Exponenten des deutschen politischen Katholizismus und Herausgeber des Rheinischen Merkurs in eine Reihe gestellt wird.
Seine Position in St.Poelten nutzt Joseph Scheicher mit Hilfe des Bischofs von St. Poelten, Matthaeus Josef Binder den jungen Klerus in Österreich im Sinne der Lehren Karl von Vogelsangs und des rabiaten antisemitischen politischen Katholizismus entscheident und wirksam zu beeinflussen.

Scheicher war sowohl Abgeordneter zum niederoesterreichischen Landtag wie auch des Reichstages. Scheicher scheint ein militanter Politiker gewesen zu sein und wurde vom Statthalter Joseph Graf Kielmannsegg bei Kaiser Franz Joseph I. als Aufwiegler von Volk und Klerus gegen Thron und Staat verklagt.
Die besondere politische Sorge Scheichers galt der politischen Organisation der baeuerlichen Bevoelkerung und hat mit Sicherheit zur Erneuerung des Antisemitismus im laendlichen Raum beigetragen.

Scheicher verfasste theologische, kirchengeschichtliche, sozialpolitische Schriften und lterarische Erziehungsromane.

Eine kleines wie bezeichnendes Traktat ist die im Jahr 1900 verfasste Utopie Aus dem Jahre 1920 , Ein Traum vom Landtags- und Reichsrathsabgeordneten Dr.Joseph Scheicher.
Scheicher hatte zwar das Ende der Monarchie herbeigewuenscht, doch nicht den vorangegangen Krieg, der seine Ursachen in den sich verschaerfenden Nationalitaetengegensaetzen der Donaumonarchie hatte, in denen sich die Widersprueche vor allem zwischen slawischer, ungarischer und deutscher Bevoelkerung unloesbar zuspitzten.


In Scheichers Vision tritt anstelle des zerfallenden Kaiserreichs ein Staatenbund von zwanzig Teilstaaten. Einer dieser Teilstaaten ist die Ostmark mit Wien als Hauptstaat. Wien ist Sitz des Staatenrates aller vereinigten Oststaaten, die ein gemeinsames Sternenbanner mit 20 goldenen Sternen auf rotem Grund führen, eine bewusste Anlehnung an den nordamerikanischen Staatenbund.

Staat und Kirche sind klar getrennt. Die Religion ist kein Polizeimittel mehr, wie man einst gesagt haben wuerde. Eine bemerkenswerte Feststellung eines Priesters und Zugestaendnis zur repressiven Funktion des Katholizismus in der feudalen Ordnung.

Den gemeinsamen Wertekatalog bilden die Menschenrechte. Eine allen Staaten gemeinsame Regierung besorgt die gesellschaftlichen, sozialen Angelegenheiten und vertritt die Staaten nach aussen. Die Verwaltung wird von jedem Einzelstaat frei und selbststaendig geordnet. Eine staatenuebergreifende Konstruktion von Zentralismus und Foederalismus, wie wir sie aus der oesterreichischen Republik im kleinen ohnehin kennen. Das Heer ist abgeschafft und an seine Stelle eine Art Volksmiliz getreten, die je nach Bedarf aktiviert wird. Die fuehrenden Amtsinhaber, also Staatsvorsitzenden, Ministerialen werden nun Obristen genannt. Ein Vergleich mit der staendestaatlichen Ordnung und der Vaterlaendischen Front mit ihren faschistioiden Fuehrerpersoenlichkeiten erscheint hier angebracht. Tatsaechlich hat Dollfuss einen Staatsrat, allerdings nur im bescheidenen Restoesterreich eingerichtet, im Rest der kleinen Welt in der die grosse ihre Probe haelt.

Die Obristen waren von den Volksvertretern zu waehlen und durch die Krone, die in konstitutioneller Form verblieben war, zu bestaetigen. Der politischen Willensbildung wird durch Volksabstimmungen nach Schweizer Vorbild Ausdruck verliehen.
Die sozialdemokratische Partei scheint in der Politik keine Rolle mehr zu spielen.
In den Zeitungen der socialdemokratischen Arbeiter in den 90 er Jahren waere laut Scheicher jeder Satz eine Aufforderung zu Mord und Totschlag, jedes Wort eine gemeine Beschimpfung der Nicht Soci, besonders der Christlichsozialen, jede Silbe eine Ehrenbeleidigung, ja jeder Buchstabe nahm sich wie ein Gassenstein oder Kothpatzen aus, der von Juden nach Christen geschleudert wurde.

Die Sozialdemokraten und die Deutschnationalen bezeichnet Scheicher als Judensoci und die Nationalen als radicale Wurzelhafte.
Die Wurzelhaften hielten sich mehr an die sogenannten gebildeten, beziehungsweise studierten oder studierenden Kreise, die Soci an die nichtstudierten.

Tatsaechlich hatte der antisemitische Deutschnationalismus grossen Rueckhalt an den Universitaeten, an denen sich die Konflikte zwischen Nationalen und juedischer Intelligenz verschaerften. Sowohl Parlament wie auch der Hochschulboden waren die ersten Buehnen extremistischer Kontroversen und Quell oesterreichischen Verbalradikalismuses.

Den Parlamentarismus seiner Zeit sah Scheicher vor allem von Obstruktionisten und radikalen Minderheiten missbraucht, die seiner Ansicht nach jede konstruktive Arbeit verhinderten, waehrend dem hingegen sich die Massen ruhig verhielten.
Tatsaechlich scheiterte der Reichsrat am fortwaehrenden Nationalitaetenstreit. Die deutschnationalen betrieben ihre Politik der Vereinigung der deutschsprachigen Teile Oesterreichs mit Preussen, die anderen Nationen drangen auf Abspaltung.

Die Rolle des Gruenders des neuen Staatenbundes nimmt in Scheichers Utopie Karl Lueger ein.
Wir sind Brueder ! Wir reden deutsch, boehmisch, slovenisch, kroatisch, wälsch, ruthenisch, rumaenisch. Aber wir lieben uns. und im weiteren Schlimme Gesichter machten nur die Juden, die Judensoci und die Anhaenger Wolff Schoenerers.
Da zeigt sich, dass ein wesentliches Element des Politikverstaendnisses des christlichsozialen Abgeordneten Scheicher die Judenfeindlichkeit gewesen ist, die sich im weiteren bis zur Forderung nach Vertreibung steigern wird.
Eine wesentliche Rolle im neuen Staatswesen weist Scheicher der Wirtschaft zu, die in Form des Kammersystems, dass bis ins heute die Republik mitbestimmt, geregelt ist, dem sowohl Vertreter der Arbeiter, des Gewerbes und des Handels angehoeren. Die auf freien Wahlen beruhende allgemeine parlamentarische Demokratie ist abgeschafft. Die hoeheren Staatsämter werden durch die Kammervertreter gewaehlt und die Staatsraethe (Obristen) aller vereinigten Staaten waehlen den Staatenrat, auch heute noch manchmal Reichsrat genannt.

Das enstspricht dem Wahlsystem eines totalitaer durchkonstruierten Staende-Staatswesens. Offensichtlich hat Ignaz Seipel die Scheichersche Utopie in seinen Ueberlegungen zu einem Staendestaat mit faschistischen Koerperschaften zum Vorbild genommen. Der Staendestaat war also nicht Antwort auf die sozialdemokratischen Umsturzversuche 1934, sondern eben ein seit langem gehegtes wie fundiertes Projekt, wahrscheinlich vergleichbar den Vorstellungen der spanischen Falangisten.
Auch paepstliche Enzykliken bevorzugen derartige Staendekammern von Bauern; Gewerbe- und Handelstreibenden wie Arbeitern.

Scheicher ist Gegner des wirtschaftlichen Liberalismus und so kommt es, dass in seiner Utopie Grossbetriebe und die Industrie insgesamt verstaatlicht sind, die von den Obristen verwaltet werden.

Den Sozialisten wirft Scheicher durchgaengig vor, einen Sklavenstaat errichten zu wollen und unterstellt ihnen, vor allem juedischen Interessen zu dienen. Auch hier ist ein Vergleich mit den rechtsradikalen Verschwoerungstheorien der Nazis angebracht.
Scheicher ist andererseits auch Gegner des Kapitalismus und so ist in seinem utopischen Staatengebilde die Zinswirtschaft abgeschafft und anstelle des Geldkreislaufes treten frei sich bildende Kooperativen und Geschaeftsmodelle, die an die ebenso utopische Freigeldlehre erinnern.
Die Mittel fuer grosse Infrastrukturvorhaben werden allein vom Staat vorgeschossen. Einen privaten Kapitalmarkt gibt es nicht mehr. Auch hier wird das zeitweilige Versagen des freien Kapitalmarktes von Scheicher genutzt, um seinen notorischen Antisemitismus anzubringen.

In Wien haben wir einmal dreihundert Juden und zwanzig Arier an einem Tag gehaengt. Die Kerle hatten einen schwarzen Freitag praeparieren wollen.

Scheicher meint damit nicht den New Yorker Boersenkrach vom 25.10.1929, den konnte er nicht vorhersehen, er spielt auf den Zusammenbruch des Wiener Boersenverkehrs am 9.5.1873 infolge rapider Zunahme von Insolvenzen kurz nach Eroeffnung der Wiener Weltausstellung an. Dieser katastrophale Boersentag wurde ebenso Schwarzer Freitag genannt. Ein Ereignis, dass auch Stoecker in Berlin zu seinem politischen Engagement bewogen hat.

Der Auswanderung der Juden widmet Scheicher ein eigenes, das letzte Kapitel. Ich fuehre diese Punkte an, weil sie sowohl einem weit verbreiteten christlichen wie auch nationalsozialistischen Antisemitismus entsprechen, der in weiten Teilen der Bevoelkerung, ob die nun deutsch, boehmisch, ungarisch oder ruthenisch gewesen ist verbreitet gewesen ist. Scheicher ist ein eliminatorischer Antisemit. Er wollte die Juden vertreiben, zwar nicht umbringen wie die Nazis, aber doch insgesamt aus der Gesellschaft draussen haben.

Oesterreich waere reich an Juden, und deswegen so arm. Die Juden machten etwa 4,20 Prozent der gesamten Bevoelkerung aus. Sie wuerden sich aber benehmen, als ob das Verhaeltnis ein umgekehrtes waere. Ueberall versuchten sie die erste Geige zu spielen, in den Vereinen, unter der Maske des Freisinns und der Humanitaet. Auch die Freimaurer waeren von ihnen beeinflusst.

Die Literatur wird von Juden gerade zu ueberschwemmt, die juedischen Schriftsteller, besonders die des dramatischen Faches, bilden eine Clique, die einen Nichtjuden einfach nicht aufkommen lassen.
und wuerden fast ausschliesslich von juedischen Kritikern rezensiert. Vier Fuenftel der gesamten oesterreichischen Presse sei in den Haenden von Juden. Was natuerlich Unsinn ist, da es auch genuegend deutschnationale Zeitungen gegeben hat, bis hin auf die Bezirksebene und die Predigtkanzeln in den Kirchen vor allem auf dem Lande.
Selbst die Minister wuerden sich vor jeder Handlung fragen, was denn die Neue Freie Presse dazu sagen wuerde.
Und was ist der Inhalt dieser Neuen Freien Presse. Die Entstellung der wahren Tatsachen, die Verhetzung der Nationen untereinander, die Irrefuehrung und der Betrug des Volkes, die Verhimmelung der Lumpen und die Verleumdung der ehrlichen Leute und vor allem die Verhoehnung des Christentums, speciell der katholischen Kirche und ihrer Diener. Ja, diese Verhaeltnisse sind unertraeglich.

und weiter

Wie steht es in volkswirtschaftlichen Dingen ? Das Bank-und Boersenwesen, fast alle Versicherungsanstalten sind in den Haenden von Juden.
Woher stammt dieses Geld ?
Aus den Taschen der christlichen Handwerker, Bauern und Arbeiter, Wer bekommt dieses Geld. Der Jude...
.... Sie schachern im Grossen mit den Lebensmitteln des christlichen Volkes, sie bilden Ringe für den Vertrieb der Kohle, der Metalle, des Petroleums und schreiben dem Volk die Preise vor, die dieses gutmuetig bezahlt. Die rentabelsten Bahnen, Dampfschiffsgesellschaften, die Minen und Bergwerke - ihre Actionaere sind Juden...

Im weiteren laesst sich Scheicher über den juedischen Kleinhandel und Geldverleih aus. Er ruiniere ganze Gegenden durch Wucher und Betrug, er benuetze den Unverstand des Bauern, diesen von Haus und Hof zu vertreiben.
Juden betreiben vor allem im noerdlichen Oesterreich und in Ungarn Schnapsschenken, und bestaechen Beamte.

Selbst im Gesellschaftleben wuerden sie in Sommerfrischen, Kurorten, Baedern, im Theater und den Konzerthaeusern, auf Bällen und Soireen dominieren.

Den Aerzte und den Advokatenstand haetten sie voellig uebernommen und auch in der Armee haetten sie in den Offiziersraengen der Reserve fuss gefasst.

Kaum ein Minister kann sich halten, der nicht nach der juedischen Pfeife tanzt, kaum eine Verordnung kann ohne Zustimmung der Juden erlassen werden.
Denn diese machen die Wahlen, sie haben die Herrschaft in den Parteien an sich gerissen. Die Liberalen, die Socialdemocraten, der Polenclub in Österreich sind nichts weiter als organsierte Judenschutztruppen, Deutschnationale und Deutschradicale ihre Zutreiber.

Da ist es. Das Verschwoerungsgespinst aus demokratischer Aufklaerung, umstuerzlerischen Kommunismus und liberalem Kapitalismus, das vor allem immer wieder den Juden zugeschrieben worden ist. Das Gespenst, das in Europa umgeht und nach Umsturz trachtet.

Der traditionelle Antisemitismus wurde dazu genutzt, alles fortschrittliche, alle aufklaererischen Regungen, alle Moderne zu verteufeln und als semitische Subversion und Machtgier zu denunzieren. Der Antisemitismus musste im Kampf gegen die Moderne als das Denunzierungsmoment schlechthin herhalten und einer seiner herausragenden Propagandisten ist Joseph Scheicher. Der Politiker, der damit Wahlen gewinnt, ist Karl Lueger, der mit Parolen wie Grosswien darf nicht Grossjerusalem werden zur Volkswahl antritt und damit Wahlen in uberwaeltigender Zustimmung gewinnt.
Selbst der Kaiser muss nach vier Jahren Widerstand aufgeben und Lueger im Amt bestaetigen.

Die Juden benahmen sich, als ob sie die Herren von Wien waeren, die Christen nur mehr die versklavte Urbevoelkerung.

An den Hoehepunkt wie Schlusspunkt seiner 1900 verfassten Utopie stellt Scheicher die Vertreibung der Juden aus Wien und der Ostmark.
Scheicher verwendet fuer sein utopisches neues Oesterreich den Namen Ostmark. So sollte Oessterreich nach der Einverleibung ins deutsche Reich durch Hitler 40 Jahre spaeter heissen.

Schleicher weiter in seiner Utopie.

Da erwachte endlich der deutsche Muth, da besannen die Christen auf sich selbst. Und nun begann die Scheidung. Hie Jud, hie Christ, beziehungsweise Deutscher oder Slave. Der Wolf heulte, es half nichts. Man griff zu den naemlichen Mitteln, dass die Socijuden oftmals gegen die christlichen Buerger empfohlen und angewendet hatten, dem Boykott.
Worin jemand gefehlt, damit wird er gestraft, sagt ein bekanntes Sprich- und Wahrwort. Im Zeitraume von zwei Wochen schwuren hundertausend Wiener, nur an das eigene Volk zu denken, schwuren die Bewohner der Staedte ausserhalb und die des Landes, mit keinen Juden, direct oder indirect mehr in Verbindung zu treten.

Das kann man als eine Art freiwillige Vorwegnahme der Nuernberger Rassengesetze ansehen.

In den Geschaeften am Kai wurde es stille, in denen der Kaerntnerstrasse und in Mariahilf aenderte sich das Bild vollstaendig. Von auswaerts kamen die Reisenden der Judenfirmen verzweifelt zurueck: "Kein Geschaeft, keine Auftraege".

Die Judenzeitungen schimpften. Da traf auch sie der Boykott. Kein Abonnement, kein Einzelverkauf. Die christliche Liebe wurde wach. Christliche Schuldner an die Juden wurden durch eigens gebildete Loesungsgesellschaften der Verbindlichkeiten enthoben. Dafuer wurde es lebendig in den Fabriken christlicher Unternehmer und Meister. Kein Mensch kaufte Judenware.

und

Eine unabsehbare Schar bewegte sich zum Staatsbahnhofe und dampfte nach Budapest ab.
Der Uebermuth der Juden hatte ihnen das historische Geschick neuerdings bereitet: Der ewige Jude musste wandern, weil der dem Volke, das ihm Gastfreundschaft geboten, keine Achtung bewiesen hatte.

Im weiteren beschwoert Scheicher die Gefahren, die von den Juden ausgingen. Sie haetten das Volk moralisch runiert. Moeglich, dass ihm die Hetzschrift Die Weisen von Zion bereits bekannt gewesen ist, eine den Juden unterschobene, von der zaristischen Ochrana verfasste subversive Anleitung zur Unterminierung von staatlichen und gesellschaftlichen Ordnungen.

Gewisse Juden hatten unser Volk verdorben; sie hatten es eigentlich schon unfaehig gemacht, ein freies Staatswesen lebensfaehig zu erhalten. ...Soll ein Volk bestehen, soll es vorwaerts schreiten und bluehend werden, ist unbedingt Moralität noetig. Nicht wahr ?

Und von Budapest reisen immer mehr Semiten ab und kehren in den Orient zurueck.
Unter dem Eindruck des Dreyfusprozesses kam Theodor Herzl zur Ansicht, das der Antisemitismus in Europa auch in Zukunft dauerhaft sein wuerde und beschloss so die Juden zur Rueckkehr nach Palestina zu bewegen. Ansichten und Hetztiraden wie die Joseph Scheichers , die ihm sicher bekannt waren, werden ihn in seiner Auffassung bestaerkt haben.

Doch die Auswanderung der Juden fuehrte sie nicht allein ins gelobte Land der Vorfahren, sie fuehrte sie zum grossen Teil in die Vernichtungs- und Todesfabriken der Nazis.
Politiker und katholische Theologen wie Scheicher tragen daran an ihre Mitschuld, waren sie doch aktive Wegbereiter der Eliminierung und bereiteten die Hetze in grossem Masstab vor.

Scheicher setzt sogar noch den Schritt zum eliminatorischen Rassismus, der wesentlich charakteristisch für den Nationalsozialismus gewesen ist.

Im Exodus behinderten uns vor allem die Talmi Christen, d.h. jene, welche die Taufe sich nur geben hatten lassen, um officiell oder zum Scheine als Christen zu gelten. Wir kamen bald zur Ueberzeugung, dass die Kryptojuden ausser Moeglichkeit gesetzt werden muessten, geistiges Gift den Zeitgenossen einzuimpfen.

Wir reinigten darum die Universitaeten, die Schulen. Dabei lernten wir das Geheimnis praktisch kennen, warum die Juden jahrzehntelang bemueht gewesen waren, die weiland spanische Inquisition mit einer Kruste von Koth zu umgeben, d.h, in Verleumdungen zu begraben.

Die Inquisition hat naemlich auch einst die Kryptojuden unter den Talmichristen Spaniens herausgesucht. Damals gab es talmichristliche Statthalter, Richter, sogar Bischoefe und Pfarrer, aeusserlich Christen, innerlich Juden. Wofuer sie wirkten, laesst sich denken.
Da ist es wieder eröffnet, das schreckliche Gespenst der Inquisition…

Ueber den antisemitischen Charakter der spanischen Inquisition gibt Simon Wiesenthal in seinem Buch Segel der Hoffnung kenntnisreiche Auskunft.

Die endgueltige Elimination und Ausloeschung sollte drei Jahrzehnte spaeter mit den Nuernberger Rassengesetzen und der Vorschreibung eines Ahnenpasses beginnen, bis hin zur Endloesung in Auschwitz und den vielen anderen Vernichtungsstaetten der Nazis und Ostmitteleuropa, in Oesterreich und in Deutschland, im russischen Feldzug und mit der Deportation der Juden aus Frankreich, Holland, Griechenland, Belgien in die Todeslager.

Zu Ende seines Buches bejubelt Scheicher die Wiedergeburt des christlichen Volkes, wuenschte saemtlichen Völkern der Donaumonarchie Glueck und Segen und schliesst mit Heil uns und allen unseren Freunden in der ganzen Welt. Katholischer O-Ton Wien 1900. Der Mann ist Leiter eines Priesterseminars gewesen. Und man kann sich leicht vorstellen, was seine Schüler von niederösterreichischen und Wiener Kanzeln gepredigt haben.

Nur einem Volk hat Joseph Scheicher Glueck und Segen verweigert, und die Menschenrechte, auf die sich sein utopisches Staatengebildete gruenden sollte, versagt: Den Juden. Dass er damit eine der furchtbarsten Katastrophen der Menschheit mithalf, vorzubereiten und auch die Ethik seines christlichen Glaubens ausser Kraft setzte, hat er nicht wahrnehmen wollen.



Auch Friedrich Heer raeumt in seinem 1968 erschienenen Buch Der Glaube des Adolf Hitler Joseph Scheicher breiten Raum ein. Heer meint, dass Scheichers Ansichten und Themen so bedeutsam für den gesamten mentalen, politischen, religoesen und gesellschaftlichen Umkreis des jungen Adolf Hitler in seinen oesterreichischen Jugendjahren waere, dass es sich lohnt, Leben und Werk Scheichers zu analysieren.

Friedrich Heer liest Joseph Scheichers Jahrhunderttraum Wien um 1920 nach der Erfahrung und in der Zwischenzeit eingetretenen Realiataet des Holocausts mit tiefem Erschrecken, den Scheicher sagt an, was ist; er spricht offen aus, was aus "tiefstem Herzensgrunde" so viele christliche Volksgenossen wuenschten: was sein hochgeschaetzter (christlichsozialer) Parteigenosse Ernest Schneider im Reichsrat offen forderte: Die Ausrottung der Juden.

Nach dem Zusammenbruch seiner Herrschaft (Hitlers), nach seinem Tode, nach dem Sieg der Alliierten wurde in den deutschen Landen, zumal in christlichen und konservativen Kreisen, Hitler gerne als Daemon, als ein Antichrist, als ein Teufel, zumindest als eine ganz inkommensurable Erscheinung, nicht zu ermessen, in metaphysische Wolken gerueckt. Diese Entrueckung in eine wenigstens metaphysische Hoelle entsprach nicht nur der frueheren, zum Teil von denselben Menschen ausgesprochen Entrueckung in einen Himmel, der von seiner, Hitlers "Vorsehung" bestimmt war, sondern diente vor allem der Entlastung: Man wollte nicht wahrhaben, dass man mitverantwortlich war für den Aufstieg, die Machtuebernahme, die verheerende, Europa verwuestenden Erfolge dieses Mannes.

Und abschliessend Heer ueber Joseph Scheicher:

Das erhoeht das Mass der Tragoedie. Der Seelsorger eines armen, geistig, seelisch und materiell verwahrlosten Volkes in Deutsch-Oessterreich, der Kaempfer fuer ein kuenftiges Bruderreich der Kirche und fuer ein Bruderreich der Nationen im Donauraum, ist gleichzeitig der Visinonaer jener Massaker, die sein Landsmann Adolf Hitler, der Ostmark, seinem Europa einem univers concentrationnaire, bereiten sollte.

Heers Buch wurde in den 70 er Jahren des vorigen Jahrhunderts nicht von vielen gelesen, seine Tragweite von wenigen verstanden. Der teuflische Antisemit ist an Österreichs Altaren gestanden und nur wenige österreichische Katholiken und Priester haben dagegen gehalten und die, die es getan haben, sind von der Kirche jahrzehntelang verschwiegen worden.


Da ist sie also, die grosse Perspektive der Inquisition des 20.Jahrhunderts und ich halte es gerade deswegen für besonders bedeutend, dass sich zwei Päpste unserer Zeit, Johannes der XXIII. und Johannes Paul der II. sich gegenüber den Juden entschuldigt haben, für das, was ihnen angetan worden ist.


·^·