Hans Georg Behr > Fast ein Nomade

Eine Besprechung von Franz Krahberger

Hans Georg Behr erinnert sich. Seiner Autobiografie Fast eine Kindheit aus dem Jahre 2002 folgte nun bei Zsolnay 2009 Fast ein Nomade.
Sein aristokratischer Hintergrund ist mir bislang nicht bekannt gewesen. Sein Back Up bildet eine inhaltsschwere Metapher fuer den Niedergang von Monarchie und Aristokratie. Behr als den Sproessling einer dekadenten und verlorenen Zeit anzusehen, hat etwas reizvolles. Das erklaert zumindest seine spitze Zunge, mit der er ueber alles jetzige hergezogen hat. Doch Behr kommt mit seiner Rolle gut zurecht, jammert der verlorenen Vergangenheit nicht nach, und will kein verbissener Annaeherungsprolet sein, wie etwa die Postgraeflichkeit Kielmannsegg, der zu Ende der 60 er Jahre fuer eine Untergangskommune, die jedoch keinerlei Zulauf hatte, in Wien geworben hat.

Das ist das Angenehme an Behr, der seine Biografie in Abwandlung der Form Pluralis auctoris in einem Singular auctoris verfasst. Die Person wird nicht festgeschrieben, sie taucht bloss als Wahrnehmende der Ereignisse und ihrer eigenen Befindlichkeiten auf.
Behr zeigt sich an der langen Leine seines Grossvaters, der sich noch aristokratische Lebensart und Weisheit bewahrt hat, die jedoch den Niedergang der ererbten Gueter nicht verhindern kann. Doch fuer sein Leben reicht es noch aus.

Hans Georg hingegen muss sich den Stuermen der Neuen Zeit stellen. In die Lehre geht er zu allererst im Art Club, in einer Seitengasse der Wiener Kaerntnerstrasse, beschuetzt von der Magnifizenz der Akademie am Schillerplatz, die wahrscheinlich Albert Paris Guetersloh gewesen sein duerfte.

Behr beginnt den Umgang mit der grossen Welt der Literatur. Jean Cocteau naehert sich ihm im Strohkofer, das Quartier des Artclubs, in sexueller Absicht. Doch dem jungen Behr, der mit 16 Jahren aus dem Stiftsgymnasium Melk nach Wien abgehauen ist, ist das noch unangenehm. In die Schweiz reist er, um den Buddhisten Hermann Hesse nach Prinz Siddharta zu befragen, mit klaeglichem Ergebnis. Hesse hatte sich einen Wiener Studenten der Germanistik erwartet, doch nicht so einen abenteuerlichen Teenie wie den Behr.
Brecht am Schiffbauerdamm, bei dem er volontiert, nimmt ihn ernst. Doch das hat keine weiteren erkennbaren Auswirkungen in Behrs Literatur.

Behrs Erinnerungen lassen viele Szenedetails des Wiener Nachkriegskulturlebens bis zum Ende der 70 er Jahre aufleuchten. So laesst sich einiges aus dem Cafe Hawelka wieder erinnern. Auch die radikalen Aussteigertreffs und anarchischen Rebellentreffs Cafe Sport und die Weinstube der Steffi naechst dem Stefansplatz sind Behr nicht fremd. Max Lersch, der mit einem Motorrad in den 50 er Jahren Westafrika und Teile der Sahara durchquerte, fuehrte den jungen Behr ins Haschischrauchen ein. Lersch fuehrte die American Bar und betreute den Keller des Artclubs, den Stohkoffer, der unter der Bar lag. Der Patrone im Hintergrund des Art Clubs war Charles von Ripper. Der altoestererreichische Aristokrat war einer der ersten, die Anfangs der 30 er Jahre in Berlin ins KZ Sachsenhausen gesperrt worden sind. Nach einer abenteuerlichen Flucht kaempfte er auf Seite Amerikas gegen Nazi-Deutschland. Nach dem 2. Weltkrieg wurde der Maler, der zur Abstraktion neigte, Vebindungsmann zu den Kulturoffizieren der US Besatzungsmacht, insbesondere zu den Repraesentanten der CIA in Wien und in Salzburg. Damit ist die gesellschaftliche Orientierung des Art Clubs klar gelegt. Solche wesentlichen Hintergrunddetails finden wir in Behrs Erinnerungen jedoch nicht.
Die Insider und Zugehoerigen profitierten von Ripper. Wer damals eine Steuererklaerung abzugeben hatte, schrieb vereinbarungsgemaess zusaetzlich den Namen Charles von Ripper auf die Erklaerung. Von den Wissenden ueber diesen Trick wurden keine Abgaben eingehoben. So hat es mir der amerikabegeisterte Werner Leinfellner, der Bruder des Bildhauers Leinfellner erzaehlt. Andererseits zeigt die Story auch, wie streng dieser kleine Kreis von Kuenstlern und Wissenschaftern, ohne deren Wissen, kontrolliert worden ist. Waere das Ripper Finanzgate weiteren Personenkreisen bekannt geworden, haette es gewiss eine Ripper Inflation gegeben.

Im Cafe Sport findet er einen weiteren zuverlaessigen Umschlagplatz der fernoestlichen Droge und er wird sein ganzes Leben davon nicht mehr lassen. Legal oder illelegal, scheiss egal.

Eine Szene zwischen H.C.Artmann und Raimund Gregor Ferra berichtet er aus Steffis Lokal. Die beiden kamen da in fuerchertlichen Streit. Artmann griff sich Ferra und warf den ueber den Tisch ins automatische Orchestrion, das dabei in Brueche ging und seine letzten Toene ausraunzte. Artmann war aus der Deutschen Wehrmacht desertiert, zu recht, hat Jahre lange illegal in Deutschland als Kanadier, Deckname Cecil Hayward, ueberlebt, waehrend Ferra bis zum bitteren Ende seine Pflicht als Fallschirmjaeger erfuellt hat.

Den groessten Trinker des Kunst & Kultur Untergrunds, Hermann Schuerrer, erklaert Behr boshaft zum Lyriker ( der Schuerrer im uebrigen auch gewesen ist, siehe den bei Medusa von Lui Dimanche herausgegebenen Band Klar Schilf zum Geflecht) , weil Schuerrer vor lauter Suff sich nicht mehr artikulieren konnte und nur mehr arythmisch vor sich hinlallte. Original Ton Steffi: Rechts die Rechnung, links die Rechnung, wer zahlt dem Herrn Schuerrer sein Bier

Behr zeigt sich in der Wiener Kunst- und Kulturszene bestens verankert. Er teilte sich mit Gulda eine Wohnung, bloss durch einen Bretterverschlag abgeteilt. Gulda uebte und paraphrasierte am Klavier und Behr versuchte nebenbei verzweifelt fuer seine Matura, diesmal an einem Wiener Gymnasium, zu lernen. Nach bestandener Matura reiste er nach Indien und vermietete seinen Wohnungsteil dem Maler Hundertwasser, der ihm in einjaehriger Mal-Arbeit den grossen Perserteppich runierte, der fuer Behr wohl der fliegende Teppich gewesen sein duerfte. Das war aber auch schon das einzige von Wert, das Behr da in seiner eher notduerftigen Unterkunft besessen hat.

Von Hans Weigel berichtet er, dass dieser von Kaethe Dorsch eingangs seines Stammcafes Raimund, gleich gegenueber dem Wiener Volkstheater, geohrfeigt worden ist. Der Filmemacher Hans Antel hat sich danach in uebelster antisemitischer Weise ueber Weigel in einem Wiener Nachtlokal ausgelassen. Antel nannte Weigel einen fiesen Juden und bekannte sich selbst als stolzer Nazi. Diesen Nachtlokalskandal, ueber den auch in Muenchen berichtet worden ist, nahm Fritz Kortner zum Anlass, sein Wiener Engagement im Theater in der Josefstadt fuer alle Zeit zu beenden. Franz Antel ist es auch Jahrzehnte spaeter mit dem Bockerer nicht gelungen, seinen urspruenglichen Antisemitismus zu entkraeften. Das dieser Film zum Kultfilm mutiert ist, zeigt bloss, dass die Wiener in ihrer Schnoddrigkeit unbelehrbar sind. Hans Georg Behr hatte einige Zeit am Stammtisch von Fritz Kortner in dessen Wiener Zeit verbracht.

Magnifizenz (vermutlich Guetersloh) nennt Friedrich Torberg, Vertrauensmann des CIA-gesteuerten Kongresses fuer Freiheit, einen exzellenten Fussballer, der aber jetzt nur mehr unter dem Cafehaustisch auf die Fuesse von anderen treten wuerde. Ferscheln statt Fiassln.

Es waer nicht Wien, haette man nicht seine trefflichen wie charakteristischen Bissigkeiten parat. In Wien kann man ohnehin nur ueberleben, wenn man selbst seine Beisserchen spitzt.

Eine Sache kauf ich dem Behr gewiss nicht ab. Er habe Wien in Richtung London verlassen, weil der Wiesenthal den Prozess gegen den Schlaechter von Riga, Franz Murer aus Gaishorn, damals schon wieder Obmann der Bezirksbauernkammer Liezen, also ein zum Schwarzen gewendeter SS Mann und Henker lettischer Juden, verloren hatte. Der Prozess war nicht nur Wiesenthals groesste Niederlage, sondern auch Oesterreichs groesste Schande in der zweiten Republik. Die meisten OesterreicherInnen verstanden damals unter der Gerechtigkeit gegenueber Juden mehr Gas.

Im Murerprozess hat sich der Richter laut Behr folgend geaeussert:Ich seh nicht ein, dass ich einer polnischen Juedin mehr glauben soll als einem anstaendigen Oesterreicher. Der anstaendige Oesterreicher war der Herr Murer aus Gaishorn bei Trieben, ueber den Simon Wiesenthal in seinem ausgezeichneten Buch Recht, nicht Rache noch deutlich seine Meinung gesagt hat. Er hat ihn da konsequent Schlaechter von Riga genannt, obwohl sein Sohn Gerulf Murer aus Gaishorn bei Trieben, Abgeordneter der Haider FPOE zum Nationalrat, noch in den 90 er Jahren diese Bezeichnung Schlaechter von Riga, die der wahren Identitaet seines Vaters entsprochen hat, per Gericht erfolgreich untersagen hat lassen. Der Richter aus den 90 er Jahren trug der Entscheidung des Richters aus den 70 er Jahren Rechnung. Wer freigesprochen ist, darf in dieser Causa nicht mehr beschuldigt werden. Eindeutig eine justitiarische Fehlentscheidung mit nachhaltiger Wirkung.

Hatte sich Behr in diesem Prozess zu Beginn der 70 er Jahre des 20. Jahrhunderts Aufschluss erhofft, um zu aehnlichen Erkenntnissen zu kommen, wie Peter Weiss in seiner Ermittlung sieben Jahre zuvor ?

Behrs angestrebte Karriere als Theaterautor war jedoch bereits vor dem Murer Prozess, durch einen Skandal, den er selbst verschuldet hatte, fuer alle Zeit beendet. Dass er wegen des Ausganges des 1. Murer Prozesses fluchtartig nach London gegangen waere, ist bloss Vorwand, um anderes zu verbergen.

Behr hat zu diesem Zeitpunkt ueber seinen Verlag Universal Editon nicht nur der Josefstadt ein Stueck angeboten, sondern es ganz nach alter Theaterkavaliersschule der Vilma Degischer, die dann auch die Hauptrolle zu spielen hatte, gewidmet.
Alsbald wurde jedoch publik, dass das Stueck nicht von ihm selbst stammte, sonders es bloss von ihm aus dem Griechischen uebertragen und leicht varriert worden war. Dem noch lebenden griechischen Autor war die Wiener Auffuehrung zu Ohren gekommen. Er hatte die Arbeit als die seinige erkannt und schaerfsten Protest wegen Plagiats und Urheberrechtsverletzung durch Hans Georg Behr beim Verlag eingelegt und mit dem Gericht gedroht. Die Universal Edition hatte Einsicht und liess Behr von heute auf Morgen fallen. Behr, der offensichtlich wie viele andere Kuenstler geglaubt hat, in Wien ein abgehobenes Inseldasein fuehren zu koenne, so wie Murer geglaubt hat, in Oesterreich seine Untaten in Riga erfolgreich leugnen zu koennen, wurde daraufhin in Wien nicht mehr gesehen.

Im nach hinein versucht er den Theaterskandal - Laerm, den er verursacht hat, durch einen um vieles groesseren realpolitischen Laerm, der leider nicht zum Krach gefuehrt hat, aus ferner zeitlicher Distanz zuzudecken. Ueber den Plagiats Eklat im Josefstaedter Theater, Hauessermans American Hausburg, weiss ich deswegen gut Bescheid, weil ich in dieser Zeit selbst einen Vertrag mit der Universal Edition hatte. Ich habs zwar nicht hautnah miterlebt, aber in solchen Verbindungen spricht sich das informell rasch wie unbeschoenigt durch.

Behrs Weggang nach London wurde zur Reise in die Neue Zeit. Martin Esslin, der Theoretiker und Literaturwissenschafter des absurden Theaters, der auch Wolfgang Bauer gefoerdert hat, verschaffte ihm opulenten Wohnraum in einer abbruchreifen Villa in bester Lage und Behr freundete sich mit dem zur neuen Weltkultur aufstrebenden Pop& Rock Szene an. John Lennon soll bei ihm 40 Kg besten Afghanen eingelagert haben. Ein Anlass fuer die Beatles, zahlreiche Partys in der Behrschen Absteige zu feiern. Lennon markiert er als Schnorrer, weil ihn der fuer die Einlagerung von 40 Kilo Sheet, die eine Zitterpartie gewesen sei, bloss mit einem 10 Dekagramm Stueck Haschisch honorierte.

In der Hascher- und Drogenszene hat sich der Behr wirklich ausgekannt, abgesehen davon, dass er selbst ein notorischer Hascher ist, der sich in den kuenstlichen Paradiesen wohl gefuehlt hat. Er hat zu diesem Thema und ueber die damit verbundene Kriminalitaet einige gut recherchierte Sachbuecher verfasst, die allesamt in Deutschland erschienen sind.

Den Rolling Stones Saengern Brian Jones und Mick Jagger sagt er nach, dass sie, bevor sie ins grosse Musikgeschaeft gekommen sind, um der Karriere willen anschaffen gegangen sind. Der erstere mit Lust und der andere allein um des Geldes willen. Ueber Jaggers Bisexalitaet, die er unuebersehbar wie gekonnt in den Konzerten der Stones ausspielt und seiner Zughoerigkeit zur Londoner Latex Szene ist oft geredet worden. Behr hat aus den Anfaengen berichtet.

Alles in allem. Auf jeden Fall erzeugen die Behrschen Erinnerungen ein authentisches Bild der Wiener Kunstszene der 60 er Jahre wie des Uebergangs in die Annaeherung an die transatlantische Pop und Rockkultur, die sich 20 Jahre spaeter zu einer globalen auswachsen wird. Insbesondere mit den Wiener Erinnerungen, die auch Einsichten in die fatale politische Vergangenheit des Landes und des Umganges bis in die aktuelle Gegenwart nicht aussparen, sind Behr durchaus lesenswerte Memoiren gelungen.

Aber es ist doch der Blick eines traditionellen Dekadentisten mit reststrahliger Lebensart aus einer laengst zusammengebrochenen und verfallenen Gesellschaft auf den neuen Lifestyle, aufgebaut auf Drogen, fernoestlicher Meditation, Antiautoritaet, Rebellion, dessen Wiener Anfaenge unter anderem im laengst verschollenen Cafe Sport zu suchen sind. Die Sache damals hatte aber noch subversiven wie kreativen Charakter. Ganz kontrovers zum Lifestyle der Gegenwart, der nur mehr der Show dient und bloss noch durch Kohle legitimiert wird. Drogen fressen sie noch immer.


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