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Natur ist nur der Name einer Wirkung

Helmut Eisendle

über das Buch

natur-gedichte von Franz Josef Czernin

erschienen bei Hanser

Im Marcel Reich-Ranicki, eine Kritik (Steidl, 1995) schreibt Czernin:
Während zum Beispiel für die meiste von Marcel Reich-Ranicki rezensierte Prosa die Trennung zwischen Sprache und Sache... einen brauchbaren Ausgangspunkt für eine Interpretation ermöglicht, kann man das für jegliche lyrische Dichtung nur sehr abgeschwächt behaupten... Die Trennung zwischen Sprache und Sache nämlich, die einschliesst, dass man eben über jenes primäre Verhältnis zum Wort nicht oder nicht stark genug verfügt, wird hier...häufig zu einem ästhetischen Hindernis.

Die selbstverständliche Trennung zwischen Sprache und Sache, die Czernin hier für die Dichtung im Unterschied zur Prosa nur sehr abgeschwächt gelten lässt, kann man schon im Titel seines neuen Gedichtbandes in Frage gestellt sehen. Indem er das Buch natur-gedichte und nicht Naturgedichte nennt, soll verhindert werden, dass der Gegenstand dieser Gedichte, offenbar die Natur, von den Gedichten über sie getrennt werden könnte. Die Natur und die Gedichte sollen hier womöglich nicht nur einander gegenübergestellt werden - in Form von Gedichten über die Natur - sondern mit der Bezeichnung natur-gedichte könnte auch von der Natur der Gedichte die Rede sein oder auch von gleichsam natürlichen Gedichten.
Czernin schreibt in seinem achtbändigen Werk: die aphorismen - eine einführung in die mechanik folgendes:
natur: während alles, was man wahrnehmen kann, das tut, was es tun muss, wirkt es so auf mich, als wäre es das, was es tun sollte; während ich das tue, was ich tun sollte, wirkt es so auf mich, als wäre es etwas, das ich wahrnehmen kann und tun muss. Die Sprache, meine ich, wird von Czernin wahrgenommen, und sie wirkt auf ihn so, als mache sie - die Sprache - das, was sie tun sollte; während er dichtet, was er tun muss, wirkt sie - die Sprache - so auf ihn, als wäre sie etwas, das er so und nur so wahrnehmen und verwenden kann.
Tatsächlich führen diese Momente, die schon im Titel enthalten sind, in ein Hauptanliegen seines Schreibens. Ein Anliegen, das Czernin selbst innerhalb des Gedichtbandes in einer Art poetologischen Essay (Eine kleine Vor- oder Nachschule der Ästhetik, auch der Naturgeschichte), der im Vokabular seiner Gedichte gehalten ist, so darzustellen versucht:
So mag es kommen, dass man - immer setzend wie auch über- setzend oder über-tragend, dass Menschen erscheinen und ihre Köpfe - nicht nur auf Gipfeln Gespräche kennt, sondern die Gespräche selbst auch Gipfeln, Füsse von Bergen oder Tal-Sohlen haben, wie auch alles andere, mag es nun näher oder ferner liegen oder gelegt werden.
Man kennt nicht nur auf Gipfeln Gepräche, einen Fuss des Berges oder auch Tal-Sohlen. Natur wird hier gegen Sprache gesetzt aber zugleich wird diese Setzung als solche begriffen und vielleicht in einer Dichtung aufgehoben oder wenigstens in ihrer Widersprüchlichkeit ausgetragen, die Natur in der Natur der Sprache entdeckt und womöglich auch die Sprache in der Natur.
Diese komplexe Ansicht seiner natur-gedichte behauptet, dass sich in diesen Gedichten das, was spricht, stets als Sprechendes und damit als literarische Weise einer Welterzeugung zu begreifen versucht, zugleich aber auch, und im Widerspruch dazu, als etwas, das sich auch auf eine offenbar schon vorhandene Welt oder Wirklichkeit natürlicher Gegenstände bezieht. Natur als Tatsache wird hiermit der Name einer Wirkung, nichts anderes.
Czernins Sprachgebrauch hat demzufolge zwei Seiten. Die Sprache wird zum einen als schon etwas Vorhandenes verwendet, als ein Arsenal von Redewendungen gebraucht, andererseits aber werden diese idiomatischen Automatismen blossgelegt; sie schlagen, wie er sagen könnte, wie zum ersten Mal die Augen ihrer Bildhaftigkeit auf, sie bekommen ihren modellhaften Charakter zurückerstattet, und somit schafft der Zusammenhang ihrer konsequent entwickelten Bilder eine Weise der poetischen Welterzeugung oder eben eine Natur.
Das Gedicht totale beginnt mit dem Satz:
und es bläut sich leuchtend ein, in dem gleich zwei Redewendungen miteinander gekreuzt werden: sich etwas einbläuen und etwas einleuchten. Beides wird normalerweise einfach gebraucht, ohne dass die Bildhaftigkeit deutlich wird. Doch weil diese Bilder konsequent mit anderen im selben Gedicht verbunden sind, wird das Idiomatische dieses Sprachgebrauchs gleichsam durchdrungen, und vor dem inneren Auge kann so etwas wie ein Landstrich voller Natur (ein blauer Himmel mit leuchtender Sonne) entstehen.
Die Mechanik dieses Vorgehens hat aber noch etwas, das für das Verständnis dieser Gedichte wichtig ist: Dem selbstverständlichen und idiomatischen Begreifen der verwendeten Phrasen entspricht immer ein allgemeiner Gedankengang; diese Phrasen können in ihrer Verwendung und Bedeutung immer als Veranschaulichung von Gedanken gelesen werden: jemanden etwas einbläuen, lässt sich übersetzen in: jemanden ein Wissen eintrichtern; dass etwas einleuchtet wiederum kann übersetzt werden in: dass etwas unabweisbar klar wird oder dass etwas unabweisbar einsichtig wird. Ein Bild folgt dem anderen. Mit der Landschaft, die so durch die Folge der bildhaften Aspekte der gebrauchten Sprache entsteht, entwickelt sich gleichermassen ein Bereich aus Gedanken, ja, Reflexionen über das Vorhandene. So gut wie jede Folge von Wörtern in den Gedichten ist beides Gedanke und Anschauung.
Der alltägliche Sprachgebrauch, vermittelt durch die idiomatischen Wendungen, die Bildhaftigkeit, die aus dem entsprungen ist, was man Natur nennt und der Bereich von Reflexionen entfalten sich miteinander und gegeneinander in einem hymnischen Ton im Sinne Hölderlins oder Trakls. Dieser Tonfall aber wiederum steht im Widerspruch zur alltäglichen Ebene der Gedichte. Zugleich ist es diese alltägliche Ebene der Gedichte, die ihnen Charakter von Hymnen verleiht, diesen selbst neue Seiten und Möglichkeiten eröffnet und da- durch bezeugt, dass sie ein Teil der literarischen Moderne sind und dennoch auf Vorhandenes vertraut.
Es geht in diesen Gedichten also um Natur. Sowohl um die Natur der Sprache als auch um diejenigen natürlichen Dinge, die angeblich jenseits der Sprache liegen: Fels und Meer, Wolken und Himmel, Wald und Wasser, Blätter, Pfade etc.
Und wenn es sowohl um die Natur der Sprache geht als auch um sogenannte natürliche Dinge, dann geht es um den Punkt, von dem aus sich diese beiden Naturen als aus- und miteinander entfaltende erkennen lassen. Dies könnte das sein, wovon dies Gedichte zu sprechen behaupten.
Da dieser Punkt aber selbst das Bestimmende ist - nicht aber etwas Bestimmtes - heisst konsequenterweise einer der Be- zeichnungen dieses Punktes: ich: weit ich in all die trümmer gehe hin dir.
Oder auch:wir:
dass es den wolken längst zerbrochen war/ fallen wir daraus verblüfft doch stets.
Oder auch :es:
doch es entspringt sich damit auch.
Sehr häufig sind es Dinge beziehungsweise Begriffe selbst, welche die Stelle des Satzsobjektes einnehmen:
pfade zweigten ab einander.
Jener Punkt, der das Bestimmende ist, kann der sein, von dem aus, das, was spricht, zugleich als das Welt-Erzeugende oder das Welt-Erleidende gerade erst sichtbar wird.
Nelson Goodman sagt in seinem Buch: Weisen der Welterzeugung etwas, das sich gut auf Czernins Poesie anwenden lässt:
Wenn ich nach der Welt frage, kann man mir als Antwort anbieten, wie sie innerhalb eines oder mehrerer Bezugsrahmen beschaffen ist; wenn ich aber darauf beharre, dass mir gesagt werde, wie sie ausserhalb aller Bezugsrahmen sei, was kann man mir dann sagen ? Wir sind bei allem, was beschrieben wird, auf Beschreibungsweisen beschränkt. Unser Universum besteht sozusagen aus diesen Weisen und nicht aus einer Welt oder aus Welten.
Mehreres von Czernins Gedichten spricht für eine spezielle Lesart. In vielen Gedichten kommen alle Zeiten vor: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, mehrere Zeiten häufig in einem Satzgefüge. Dazu kommen noch eine Vielzahl von Temporal-Adverbien (wie :damals, bald selten, häufig):
formation
...so gezeitigt, war manchmal zu bestellen hier ein feld/ oder bleibt auch häufig noch zu räumen,/ bis dieser rauhe hauch beschwichtigt/ wird sich glättend damit ausgewogen haben/..

Wenn alle Zeiten zur dichterischen Verfügung stehen, dann wird offenbar von einem Ort aus gesprochen, der sowohl als Resultat aller in dem und durch das Gedicht entfalteten Zeiträume erscheint als auch als ihr Anfang. Angestrebt wird eben dadurch jene Totale oder auch jener Zenith oder Nadir, jener Überblick über das ganze Panorama, von dem aus Zeit und Raum selbst zu Entwürfen werden oder wenigstens als etwas Entwerfbares erscheinen.
Zwei Sätze aus dem Tractatus logico-philosophicus von Ludwig Wittgenstein kommen mir gezwungenermassen bei der Lektüre der natur-gedichte oder früherer Arbeiten von Czernin in den Sinn:
6.343
Die Mechanik ist ein Versuch, alle wahren Sätze, die wir zur Weltbeschreibung brauchen, nach einem Plane zu konstruieren.
6.13
Die Logik ist keine Lehre, sondern ein Spiegelbild der Welt. Die Logik ist transcendental.
Franz Josef Czernins immer weiter fortgesetzte einführung in die mechanik des Sprachgebrauchs und Dichtens ist ein Versuch, Sätze, die er zur Welterzeugung braucht, nach einem Prinzip zu konstruieren.
Demzufolge bleibt seine Dichtkunst keine Wahrheitsfindung über die Welt, sondern ein Spiegelbild der Sprache und dabei transzendental als auch transzendent.
Nicht zuletzt geht es ihm in seiner Welt-Erzeugung auch um einen semantischen Rahmen. So heisst es zum Beispiel im Gedicht:
firmament
während all die wälder dort verebben/ auch zu einem kahlen wipfel uns verdonnern hier,/ überflutet dies gebirge welchen eignen kamm/...

Die Art und Weise, in der die Bilder innerhalb der einzelnen Gedichte und in allen zusammen gebraucht werden, verrät es: das Verebben der Wälder ist nicht nur als Metapher zu lesen, sondern ist wörtlich zu nehmen. Und das behauptet:
Czernin spricht von einem Punkt aus, indem die Dinge erst geschaffen werden, und dementsprechend Eigenschaften zugesprochen bekommen können, die nicht ihren üblichen entsprechen. Ein Wald, der wörtlich versanden, verebben kann, ein Gebirge, das seinen eigenen Kamm überfluten kann, ist etwas anderes als der Wald, das Gebirge, das wir kennen. Und wir selbst, insofern wir zu einem Wipfel verdonnert werden können, sind auch etwas anderes als wir es zufolge unserer geläufigen Selbst-Zuschreibungen wären. Es ist also hier von einem Punkt die Rede, wo alles nach Belieben vergleichbar und unterscheidbar ist, einfach weil hier so unterscheiden oder vergleichen zugleich heisst, die Dinge so oder so schaffen.
2.026
Nur wenn es Gegenstände gibt, kann es eine feste Form der Welt geben.
2.027
Das Feste, das Bestehende und der Gegenstand sind Eins.
2.0271
Der Gegenstand ist das Feste, Bestehende; die Konfiguration ist das Wechselnde, Unbeständige. (Wittgenstein, tractatus)
Wenn ich statt Gegenstände nun Worte, Begriffe einsetze, erklärt sich Czernis mechanik als Methode und vielfältige Austausch- und Verwendbarkeit der Sprache, über die er Welt erzeugt.
Es sind die zahllosen Mehrdeutigkeiten einzelner Wörter, die dazu führen, dass sie sowohl als Eigenschaften innerer Zustände eines Subjekts als auch als Eigenschaften von Dingen gelesen werden können:
wie im belämmern dieser wolken oder wogen/ es mich öffnend mündet.
Da sind die Wolken einerseits Lämmer und zum anderen werden sie auch belämmert, verweisen also auf einen inneren Zustand, den man grob mit Verblödung umschreiben kann. Ähnlich funktioniert im selben Gedicht die Zeile:
was mir so gedämmert hat
Das Dämmern ist sowohl etwas, das stattfindet, wenn es gerade Tag oder gerade Nacht wird, als auch ein Geisteszustand.

All diese Gedanken über Czernins natur-gedichte würden nicht notwendig etwas Positives über sie sagen, wenn sie nicht einer Konsequenz entstammten, die durch sie selbst ausgelöst wird. Die Gedichte erzeugen eine seltsam entrückende Aura, die, bei all ihrer Komplexität, zum Lesen und Versenken in sie führt.
Sie türmen verstiegene (im doppelten Sinn des Wortes) Gesprächsgipfel oder Gipfelgespräche und sie türmen also sowohl Wogen als auch Wortwogen, lassen sowohl Ströme fliessen als auch Wortströme, legen sowohl Wurzeln frei als auch Wortwurzeln.
Sie sind tatsächlich Expeditionen ins Innere der Sprache oder auch wie solche auf ihre Gipfel, während sie doch zugleich den Eindruck einer extremen und elementaren Natur heraufbeschwören, einer menschenleeren Natur; es ist die Natur in ihren extremen Zuständen, die Natur der Berggipfel, des Meeres, der Wüste. Es ist die Natur, in der der Mensch keine Rolle mehr spielt. Wie in den Gedichten Gedanken oder Reflexionen in Bilder umkippen, Bilder Gedanken auslösen, schlägt auch die Natur in Sprache um und die Sprache umgekehrt lässt eine Natur entstehen, sodass man geneigt ist zu glauben, es gehe tatsächlich um die letzten Dinge dieser Welt. .... meine Ritterburg; sie liegt wie ein Adlerhorst auf der Spitze eines Berges und ragt hoch in die Wolken. Niemand kann sie stürmen. Von diesem Wohnsitz aus fliege ich hinunter in die Wirklichkeit und ergreife meine Beute. Aber ich halte mich unten nicht auf; ich trage sie heim auf mein Schloß. Was ich erbeute, sind Bilder; die wirke ich in eine Tapete und bekleide damit die Wände in meinem Zimmer. So lebe ich wie ein Abgeschiedener. An jedem Erlebnis vollziehe ich die Taufe der Vergessenheit und weihe es der Ewigkeit der Erinnerung. Alles Endliche und Zufällige wird abgestreift und vergessen. Da sitze ich, gedankenvoll ... und erkläre mit leiser, fast flüsternder Stimme Bild um Bild;und neben mir sitzt ein Kind und lauscht meinen Worten, obwohl es längst alles weiß, was ich zu erzählen habe.


Franz Josef Czernin, natur-gedichte, Hanser, 1996, DM 28,-


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