<li><a href="../index.html">e.journal</a> : [ <a href="../toc-nf.html">Inhalt</a> ]<br> <li><b>es.say</b> : [ <a href="toc.html">Inhalt</a> | <b>Wolf Wondratschek</b> ]<br> <hr>

Kelly - Briefe von Wolf Wondratschek


© by Helmut Eisendle

Eine Frau und ein Mann schreiben Briefe. Nicht weil sie voneinander weit entfernt leben. Nein, es handelt eher davon, sich die Annehm-lichkeit der Einsamkeit zu sichern, ohne deren Schrecken über sich ergehen zu lassen. Das Problem der Zweisamkeit. Es löst sich von selbst, könnte man nach der Lektüre dieser Briefe meinen, wenn die Liebe gleichzeitig Abwesenheit und Anwesenheit ist. Fast läßt sich vermuten, daß das ganze Ausmaß der körperlichen und seelischen Freiheit, die eine Mann und vielleicht eine Frau ebenso braucht, sich im Leben zu zweit findet, das sich in Briefen äußert.

Kelly - Briefe ist in mehrfacher Hinsicht eine Liebeserklärung: einerseits tatsächlich an die Frau, der W. antwortet; andererseits an die Sprache - auch oder vor allem die Sprache der Liebe, die des Aus- und Einredens, des Alters, des Hin- und Darstellens, des Zustandes, in den die Liebe die Menschen zu bringen imstande ist, und nicht zuletzt eine Liebes-erklärung an das Denken über etwas und die Literatur selbst.

Damit die Liebe - und es handelt davon - eine Art Wunder bleibt, darf sich der Gegensatz zwischen denen, die einander und auch sich lieben, nur einen Augenblick verwischen. All die Leidenschaft der Vereinigung muß am Rande eines Abgrunds von Gleichgültigkeit, einer zärtlichen Gleichgültigkeit geschehen, über die sich sowohl der Mann als auch die Frau schwingen könnte, doch aber mit dem eigenartigen Flug eines Schmetterlings, der immer abzustürzen droht; Ebensowenig geschaffen wie der Mensch, der denkt, daß er Liebe für Ergebenheit hielte.

In einem der Briefe steht folgender Satz, der - zwar auch auf eine Schreibarbeit bezogen - auf seine ganze Haltung und Zielsetzung den Antworten auf die Kelly - Briefe gegenüber Vermutungen zuläßt:
...um endlich... diese verdammte Geschichte (der Liebe) zu schreiben. Sie sollte vom Spiel des Zufalls mit dem Schicksal handeln, oder anders ausgedrückt: von den Wundern der Notwendigkeit-.

Wondratschek läßt seinen Protagonisten, also auch sich selbst einmal folgendes sagen:
Draußen singen die Amseln. Die singen schon, denke ich dann. Und singe ein wenig in Gedanken mit ihnen. Hier begibt er sich in eine romantische Gefühlswelt eines Clemens Brentano, wenn dieser schreibt:
Als wir zusammen waren / Da sang die Nachtigall / Nun mahnet mich ihr Schall / Daß du von mir gefahren.
Es sang vor langen Jahren / Wohl auch die Nachtigall, / Das war wohl süßer Schall, / Da wir zusammen waren.
Seit Du von mir gefahren / singt stets die Nachtigall / Ich denk´ bei ihrem Schall / Wie wir zusammen waren.

Und doch bemüht sich der Autor in seinen Briefen um ein Denken, das jenseits von Liebesbeteuerungen die verbale Kommunikation zweier Liebender übersteigt:
Ich habe keine Theorie, was die Lösung solcher Konflikte (er meint: Eifersucht, Traurigkeit, Enttäuschung) betrifft, aber immer habe ich die Unvernunft menschlicher Ekstasen mehr respektiert als die Würde des Verzichts. .
Oder in einem anderen Brief, wo er sich den Mut der Hingabe zugesteht:
Du, Gegenstand noch immer meiner Begierde, meiner Achtung, meiner Bewunderung. Du bist diese Frau...Warum ich der Glückliche ? Ich, der ich nie glücklich sein wollte, sondern gefährlich ? .
Nach einigen Seiten bemerkt man, daß Wondratschek unter Begierde oder Begehren nicht das Verlangen versteht, im physischen Sinne des Wortes zu lieben. Das Begehren wartet auf ein Zeichen, so könnte ich es auffassen oder ist es eine Art von abstrakter Bereitschaft, auf ein weibliches Zeichen zu hoffen?

Die Kelly Briefe selbst erscheinen dem Leser als graphische Einschübe von Lilo Rinkens, deren Inhalt er in den Kommentaren und Zitaten der Antwortbriefe erfährt.
Es stellt sich die Frage, ob es dem Buch dienen würde, wenn man neben den Briefen, die mit W. unterzeichnet sind, auch jene von Kelly lesen könnte ? Die Ästhetik der Bilder dient der Entspannung und der Spannung dient die Unlesbarkeit, sicher.

Ist Liebe, fragt Christian d´Orville, Psychiater aus München in dem als Notiz zur Publikation bezeichneten Vorwort, ist Liebe letztlich ein Ort, unmöglich, sich dort zu treffen ? Ist der Ort möglicherweise ein Ort poetischer Phantasie, wie ihn nur der Briefwechsel, wild und melan-cholisch, auch komisch und grotesk, zu spiegeln scheint ?

Wondratschek hat es geschafft eine Liebe in die halbe Welt zu verpflanzen: New York, Kairo, Miami, Beach, Wien.
Wien. Überhaupt die erstaunlichste Fähigkeit dieser Österreicher, gesalbt durch Blutströme aus aller Herren Länder, vor allem Länder des Ostens. Wie sie es hinkriegen, daß es sie überhaupt noch gibt heut-zutage ? Findest Du nicht auch, daß in dieser Stadt an jeder Straßenecke das Jenseits beginnt ? .

Die Kelly - Briefe legen über die große Metapher Liebe einen Bilderbogen, der zwar Melancholie und Verzweiflung zuläßt, keine Sehnsucht erfüllt, eine Welt aus Erinnerungen erzählt, doch aber die Wahrheit über die Liebe mit literarischen Mitteln verschlüsselt, um sie das sein zu lassen, was sie ist: ein Geheimnis.
Es gibt nichts, was das Geheimnis unserer Liebe stärker macht als die Gewißheit ihrer Wahrheit. .

Die Grundlage sind tatsächlich Briefe und ich kann fast annehmen, daß diese durch Zufall zu einem Buch geworden sind.
Er führt damit die Leserin, aber auch den Leser mit Geschick in eine Phantasiewelt, die zwar immer wieder auf ihn, den Briefschreiber zurückfällt, doch aber jeden Steg und Pfad in alle Richtungen ermöglicht: Mr. Ouglok, Dr. Mitchell, Dr. Bagatella.

Nicht zuletzt sind es Briefe eines Schriftstellers; voller Weggabelungen, wo die Ungewißheit selbst, die Tatsache, daß die Dinge auch anders liegen könnten, eine Form der Freiheit ist: Verweise, Geschichten, Beschreibungen und Konstruktionen.
Es ist wichtig, daß es ein Buch geworden ist.

Ja, Liebe ist ein privates Weltereignis.
Eines Tages werden wir beide alt geworden sein. Und nichts wird aufgebraucht sein von allem, was wir verschwendet haben. .

Wenn einer schreibt - vor allem Briefe - vertraut er darauf, daß einer oder eine etwas erfahren will. Etwas. Auch über die Liebe. Zwar weiß der Schreibende nicht genau, ob er das Vertrauen der Leserin oder des Lesers besitzt, aber ohne diese kleine Hoffnung wäre er gar nicht zum Schreiben bereit.

Und so wie üblich verwirrt über die Vielzahl der Dinge, die nach einer Erklärung verlangen und uns ihre Botschaft aufprägen, ohne einen Hinweis auf ihren Sinn zu hinterlassen. Diesen Satz von Virginia Woolf hat Wondratschek als Motto vor die Briefe gesetzt.

Wolf Wondratschek / Lilo Rinkens, Kelly - Briefe, Matthes & Seitz, 1998, ÖS 217.-



<li><a href="../index.html">e.journal</a> : [ <a href="../toc-nf.html">Inhalt</a> ]<br> <li><b>es.say</b> : [ <a href="toc.html">Inhalt</a> | <b>Lagebericht</b> ]<br>
·^·