KYSELAK. Skizzen einer Fußreise durch Österreich, Salzburg und Wien.

© Thomas Northoff


Wollen Sie wissen, wie viele Pferde 1825 den Fuhrwerken am Semmering vorgespannt wurden, wieso in der für Forellenreichtum prädestinierten Schwarza damals kaum Forellen lebten, oder wie man in größeren Mengen Gewehrschrot herstellte ?


Die "Skizzen einer Fußreise durch Österreich" ist das Buch, in dem man diese und weitere Einblicke ins vor allem ländliche Alltagsgeschehen der Habsburgischen Erbländer des Biedermeier erhalten kann. Eingewebt sind die Infos in zwei Texten: einmal im ausführlichen Vorwort von Gabriele Goffriller und Chico Klein, die sich dem Phänomen Kyselak wissenschaftlich zuwandten, und zum andern in des Beamten und Reiseschriftstellers Joseph Kyselaks Beschreibung seiner "Fußreise durch Oesterreich, Steiermark, Kärnthen, Salzburg, Berchtesgaden, Tirol und Baiern nach Wien".

Joseph Kyselak war kein hervorzuhebender Literat. Für den Lesegenuss seines langen Textes ist ein wenig Faible für heutzutage überkommene Ausdrucksweisen von Nutzen. Doch erzeugt auch die Sprache eine Einstimmung ins Zeitbild.

Kyselaks Bekanntheitsgrad beruht auf dessen Eigenschaft, an exponierten Stellen seine Signatur zu hinterlassen, meist mit schwarzer Ölfarbe, in bis zu 12cm hohen Lettern. Die Rezensionen des Reisebuchs richteten zumeist verärgert die Aufmerksamkeit auf diese Tatsache. Das Interessante dabei: In Kyselaks Buch selbst sind nur zwei Hinweise auf seine Ich-war-hier-Graffiti zu finden.

Kyselak nennt seine Reisen zwar unbedeutend, doch war ihm daran gelegen aufzuzeigen "wie oft Kleinigkeiten hinreichen, den Menschen zu fesseln, zu ergötzen". Er sei wie ein Pilger, "der gerne in den entlegendsten Winkeln Leben entdeckt". Das tut er am ausführlichsten im Bereich alter Burgen und Ruinen. Die Burgen- und Ruinenforschung dankt ihm einige Details. Aus naturhistorischer Sicht bewertet Kyselak seine Dachsteinbesteigung mit Gletscherquerung als sein bedeutendstes Unternehmen.

Sein Reisegepäck im Gewicht von 15 Pfund listet er so auf: "Einige Hemden, Tücheln, Fußsäckel ec, ein paar Schuhe zum Wechsel der Stiefeln, ein gutes Fernrohr, blecherne Feldflasche, Steigeisen, Feuerzeuge, Windlichter und Wachskerzen, Papier, Bleistift, auf Leinwand gespannte topographische Karten zum Zusammenlegen in Bücherform, starke lange Schnur, Bürste ec." sowie sein Gewehr und einen Vorrat von Pulver und Blei. Im Vorsatz 6 Meilen täglich zurückzulegen, verzichtete er auf den Mantel.

Einige Strecken legte Kyselak mit dem Postwagen zurück. Sein weißer "Wolfshund" lief dann daneben her. Ansonsten wanderte Kyselak, im Gebirge teils mit Führer. Er erstand sogar ein Boot, um damit den Inn abwärts zu fahren.

Die Mur wiederum befuhr er eine längere Strecke mit einem Floß nach Graz. Im Buch fällt ein Satz, wie er heute seit Jahrzehnten für die praktisch toten Gewässer der Mur-Mürz - Furche unglaublich wäre: "Das Wetter verstummte, Wohlgerüche dampften aus dem verschwägerten Mürz- und Murtale empor und durchdufteten mein Gemach." Hier rückt Kyselak mit einer seiner zeitweiligen Kritiken heraus: "Viel Wald wurde abgefällt. Teils auch wegen der Eisenhämmer, durch die es ebenfalls immer wieder zu Waldbränden kommt." Den Besitzern seien die Brände willkommen, "um ein oder zwei Jahre etwas Korn zu ernten, und dann, wenn die Asche und besseres Erdreich von Regengüssen abgespült wurde, die Berge auf immer verwüstet zu lassen [.....] ohne des sicheren Nachteils der Nachkommen zu gedenken".

Viele Orte wurden durch Kyselak erstmals touristisch beschrieben. Auf seinen Wegen durchmisst er Bandengebiet, betritt ein anscheinend von geistig Behinderten bewohntes Dorf, läuft Strecken, entlang derer die Wirtshäuser dem erschöpften Gast kaum mehr als Wein, Bier, Schnaps und Käse anboten. Er nimmt auch die wechselnden Grundgestalten der Häuser in unterschiedlichen Regionen wahr. Nicht zuletzt konsumiert er Dinge, von denen er zum ersten Mal hört, z.B. das Steinbier in Völkermarkt, zu dem er befindet, es sei nur dem schlechten Wasser hierorts zuzuschreiben, dass Menschen dieses Bier für besser halten. Die Forschung mit ihren Analysemethoden schöpft aus solchen Schriften Gewinn. Die Fama aber vom Signaturen-Setzer Kyselak inspirierte vornehmlich Literaten. Am skurrilsten ist ein fiktiver Brief eines Kriegssoldaten, der von einem Joseph Kyselak aus Braunau berichtet, welcher dort am gleichen Tag wie Adolf Hitler zur Welt gekommen sei. Ihm hatte die Hebamme am Sterbebett gestanden, die Säuglinge verwechselt zu haben. Hitlers Aufstieg mitverfolgend, wird nun der eigentliche Hitler mit sich selbst nicht fertig. Die BBC strahlte unter dem Autoren-Pseudonym der satirischen Widerstandsfigur Adolf Hirnschal zwischen 1940-1945 diesen und andere Briefe aus.

Goffriller und Klein erforschten alles Belegbare zu Kyselak.18 seiner Signaturen sind erhalten. Sechs weitere wurden auf gemalten Bildern entdeckt. Durch schriftliche Hinweise konnten zahlreiche "Kyselaks" rekonstruiert werden. Allein das Dokument mit der egründung, warum Kyselak trotz bester Dienstbeschreibung nicht in eine besser bezahlte Stelle versetzt werden sollte, ist ein unvergleichlicher Beitrag zum Verständnis des Lebens jener Zeit. Kyselak, Goffriller und Klein geben einen schönen Rundblick.

Gabriele Goffriller und Chico Klein (Vorwort und Hgg): Kyselak. Skizzen einer Fußreise durch Österreich. (Verl. Jung und Jung, 2009) 479 S., 30 Abbildungen, E 29,90.-


·^·