Rechte Verwachsungen


Eine Besprechung von Thomas Northoff

Es nervt der Aufwand, den die Rechtsextremismus-Diskussion seit den späten 80ern des vorigen Jahrhunderts auch im Alltag erfordert. Man ist nicht TäterIn und will eigentlich seine/ihre Ruhe haben. Doch man ist verstrickt: Die Rechten geben keine Ruhe.

Nach Wolfgang Purtschellers Veröffentlichungen über die rechtsextreme Szenerie bis in die frühen 90er Jahre nahm die Geschichte ein gutes Dutzend Jahre weiter ihre Verläufe. Entsprechend verliefen Anpassungsvorgänge, auch an die strengeren Gesetzesnormen, sowie Neuformierungen von Menschen mit rechts der FPÖ stehenden Ideologien. Mit "Der rechte Rand" ist nun eine Arbeit zur Hand, die die extreme Rechte der letzten 17 Jahre thematisiert. Autor ist Heribert Schiedel, Mitarbeiter im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes.

Die extreme Rechte stellt keineswegs eine homogene Menschenmenge dar. Schon gar nicht in der Hierarchie ihrer Drehpunktpersonen. Es existieren unterschiedlichste Anschauungen in unterschiedlichsten Gruppierungen, deren Rede von Tier-KZs bis zum Preisen aktueller Gewalt auf versteckt-perfide Weise reicht. Immer wieder werden Rechtsextreme zu Vorträgen in FP- und vor allem in Burschenschaftskreisen eingeladen. Ein Austausch findet statt. Jüngere Neu-Nazis lachen oft über die alte Generation der Nazis. "Die Scheitel" nennen sie sie, als wären die von Gestern. Ob mit dem Gesicht des Generationenkonflikts oder dem des Ehrenstreits unter zittrigen Gleichaltrigen der Kriegsgeneration: in jeder Konstellation geht es nebst Eitelkeiten letzlich darum, sich als besonders echter Vertreter der sehr rechten Gesinnung zu wähnen.

Man schlägt sich und verträgt sich, wie in vielen Vereinen oder Vereinigungen landauf landab. Religionsbezogene verachten Hooligans, Verschwörungstheoriker ("Weltjudentum") könnten mit militanten Tierschützern nichts anfangen, obwohl die den Begriff KZ missbrauchen. In einem her geht die Problematik vieler Inländer, sich mit nicht hier Geborenen kaum "gemein" zu fühlen - und genauso ergeht es umgekehrt Letzteren. In Angelegenheit beispielsweise des Palästina-Problems wiederum gibt es erstaunliche verbale Schulterschlüsse. Zahlreiche solcher Konstellationen werden in Schiedels Arbeit erkennbar gemacht. Seine Beschreibung hinterleuchtet zugleich Zusammenhänge, die auf dem Bild, das die Oberfläche abgibt, nicht zu existieren scheinen.

Der Autor bestimmt zunächst Begriffe wie Rechtsextremismus, Neonazismus, Biologismus. Sodann geht er profund zu sozialisationstheoretischen und psychoanalytischen Ansätzen über und breitet präzise und lesbar die unterschiedlichen Erklärungsansätze aus. Stellt man die Frage, was Menschen zu einer überzeugungsmäßigen Einordnung ins rechtsextreme Spektrum bewege, ist schnell das Argument der Prägung in der Kindheit parat. Den ihr geschuldeten Wirkungen widmet Schiedel große Aufmerksamkeit und kritisiert die Techniken eines Erziehungs- beziehungsweise Anpassungsapparats, der in Schule, Beruf und bis in die Familie hinein Wirkung tut und infolge auch wieder von dieser ausgeht.

Der Apparat allein ist es aber nicht. "Zunächst möchte ich daran erinnern, dass hinter dem Rechtsextremismus wie hinter jeder Ideologie auch das Bedürfnis steht, sich die Welt und vor allem deren schlechte, bedrohliche Seiten zu erklären", schreibt der Autor. Demagogische Einflüsse von Führern ist eines der Elemente, die manche Menschen in Richtung Rechtswendung anzurühren vermögen. Für andere sind es Situationen, auf die ihre erstarrte oder verängstigte Identität nicht eingestellt ist.

Die Intensität des Einfindens in eine gewaltbereite extrem rechte Position bedarf mehr als diese hier beispielhaft herausgehobenen Faktoren. Das Mischungsverhältnis ist ambivalent. Der Autor ruft ausdrücklich auf, "von der Vorstellung fixer Charaktertypen Abstand zu nehmen".

An zahlreichen Stellen entwickelt Schiedel die Erkenntnisse hinsichtlich der derzeitigen Phase des Rechten Randes weiter. Wenn auch, wie der Autor schreibt, die Rechtsextremen nicht so stark seien, wie vielfach angenommen, dringen in der Gesamtbevölkerung mehr und mehr Meinungen und Verhaltensweisen als akzeptiert an den Tag, die sich mit jenen der organisierten und missionierenden Ultra-Rechten manchmal und tendenziell öfter werdend überschneiden.

Wenn auch auf Österreich sein Hauptaugenmerk liegt, versäumt es Schiedel nicht, nachbarstaatliche rechtsextreme Umfelder sowie gesinnungsverwandte Gruppierungen beispielsweise in den USA zu beleuchten. Bei den unglaublichsten Zusammenkünften wurden im Ausland Verbindungen auch mit Österreichern geknüpft. Überhaupt hat sich die Kommunikation zwischen den rechtsradikalen Gruppen durch das Internet weltweit vervielfacht. Dies gilt natürlich auch für ihre Darstellungen nach außen. Es vergeht praktisch kein Tag ohne Auftauchen einer nationalsozialistisch intentierten Website. Die meisten existieren für kurze Zeit. Manche lavieren geschickt entlang der Gesetzessäume und bleiben dabei doch für SympathisantInnen eindeutig interpretierbar.
Wenn es an diesem Buch etwas auszusetzen gibt, dann einzig, dass die Nummerierung der Fußnoten zu klein geriet. Der Autor bleibt trotz seines wissenschaftlichen Blickwinkels stets am Menschen. Indirekt fordert er auf, auch uns selbst aus einer differenzierteren Perspektive zu beleuchten und zu überdenken.
Wir können nicht alle Experten des Rechten Randes werden, dazu bedürfte es der jahrelangen Erfahrung Schiedels. Das Buch zu studieren wäre die klügste Alternative.

Heribert Schiedel: Der rechte Rand. Extremistische Gesinnungen in unserer Gesellschaft. Edition Steinbauer, Wien 2007. 200 Seiten, Euro 22,50.-


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