<li><a href="../index.html">e.journal</a> : [ <a href="../toc-nf.html">Inhalt</a> ]<br> <li><b>es.say</b> : [ <a href="toc.html">Inhalt</a> | <b>Czernin &uuml;ber Ransmayr</b> ]<br> <hr>

Ein Rudel schwanzwedelnder Hunde


Notizen zu Christoph Ransmayrs Deutsch

© Franz Josef Czernin

In vielen Rezensionen von Christoph Ransmayrs Werk, insbesonders auch seines letzten Romans Morbus Kitahara, wird behauptet, dass es sich, oder gar jedes seiner Sätze, harter und ausdauernder Spracharbeit verdanke, ja es hat sich der Mythos gebildet (an dem der Autor selbst nicht ganz unbeteiligt ist), dass es das Ergebnis ungeheurer Entbehrungen sei, einer Art sprachlicher Extrembergsteigerei, und somit einen Gipfel an Sprachvollkommenheit darstelle.
Da ich die Hypothese, dass sich die Qualität einer Dichtung in so gut wie jedem Satz und zugleich auch in den (für den alltäglichen Umgang) oberflächlichen Aspekten der Sprache zeigt, wenn auch nicht unter allen Umständen für wahr, so doch wenigstens zumeist (und auch in diesem Fall) für fruchtbar halte, begnüge ich mich hier mit einer punktuellen Analyse einzelner Wörter, Sätze oder kurzer Textpassagen; mit einer Analyse, die vor allem sprachlogische und grammatikalische, aber auch stilistische Gesichtspunkte berücksichtigt.
Zweifellos kann eine solche Analyse eine integrale Kritik des Romans nicht ersetzen, eine Kritik, welche die Ergebnisse einer solchen Analyse sowohl mit dem, was der Roman insgesamt zu sagen und zu zeigen versucht, als auch mit seinem literaturgeschichtlichen Ort in Beziehung zu setzen und das Verhältnis dieser Momente zu bewerten hätte.

Zwei mögliche Missverständnisse möchte ich vorweg auszuschliessen versuchen.
Zum einen: Selbstverständlich kann alles, was hier als Fehler oder Versehen dargestellt wird, in bestimmten Zusammenhängen zu einem überzeugenden literarischen Mittel werden. Wenn ich hier also von Fehlern oder Versehen spreche, dann unterstelle ich, zumeist ohne das im einzelnen zu begründen, dass es keine überzeugende ästhetische Rechtfertigung für den jeweiligen Sprachgebrauch im Rahmen dieses Romans gibt. Zum anderen: Mir ist klar, dass jeder literarische Satz eine unendliche Aufgabe darstellt, eine Aufgabe jedenfalls, der man immer nur mehr oder weniger gerecht werden kann; es scheint mir offenkundig, dass schon in einer einzigen Sprache, ja eben in einem einzigen Satz die ganze babylonische Verwirrung steckt, die ganze Dunkelheit. Ich glaube auch zu erkennen, dass Dichtung der Versuch ist, eingedenk dieser Verwirrung, dieser Dunkelheit, eine Art Ordnung hervorzurufen, eine Ordnung, welche womöglich, gegen jene Dunkelheit gehalten, fast nichts ist. Weder erwarte, noch verlange ich den vollkommenen Satz, die ungetrübte sprachliche Erleuchtung. Ich halte es deshalb für wahrscheinlich, dass es keinen Schriftsteller gibt, dem man nicht sprachliche Versehen nachweisen könnte. Wenn ich hier Ransmayrs Sätze dennoch scharf und ausführlich kritisiere, dann also nicht im Namen einer Vollkommenheit, die vielleicht unerreichbar ist. Und so kommt es hier sowohl auf die Häufigkeit als auch auf die Art der Fehler oder Versehen an. Ich gebe aber zu: der Anspruch sprachlicher Perfektion, der in diesem Fall vom Autor explizit erhoben und dessen Einlösung von der Kritik vielfach behauptet worden ist (während er doch eklatant und wiederholt verfehlt wird), ist ein zusätzlicher Anreiz, sich mit diesem Text zu befassen; und das auch deshalb, weil mir die Behauptung der Einlösung jenes Anspruchs für symptomatisch für den Zustand der literarischen Welt insgesamt halte: Das Schreiben und Lesen von literarischen Texten und die kritische Auseinandersetzung mit ihnen scheinen mehr und mehr auf die Ungenauigkeit und Beliebigkeit herunterzukommen, die ihre mediale und merkantile Verwertbarkeit vorgibt. In einem seltsamen und nur halb bewussten oder nicht eingestandenen Spiel bestärken einander Autoren, Verlage, Journalisten, Germanisten im Verein mit dem sogenannten Markt, auf dass ein Rad ins andere greife.
Die hier gegebenen Beispiele für phrasen- und bürokratenhaften Sprach- und so inkonsequenten wie oberflächlichen Bildgebrauch, für logische Ungereimtheiten, stilistische Unsicherheiten usw. sind nur ein Teil jener, die ich in den ersten hundertfünfzig Seiten dieses vierhundertvierzig Seiten starken Romans gefunden zu haben glaube. So liesse sich ihre Reihe noch um vieles verlängern, und das gilt um so mehr, als ich hier auch keineswegs alle mir fragwürdigen Stellen aus den ersten hundertfünfzig Seiten aufliste, ja nicht einmal alle in den Sätzen, die ich in diesen Notizen zitiere.

Ein scheinbar oberflächlicher Fehler - der Duden betrachtet ihn nicht einmal mehr als solchen - unterläuft im folgenden Satz. Doch er ist deshalb der Rede wert, weil er in seinem Kontext zu Missverständnissen führen kann:
"Die Waffe. Es war das gleiche Modell."
Hier sollte es dasselbe Modell heissen, denn das Modell einer Waffe ist ein abstrakter oder konzeptioneller Gegenstand, gleichsam das Programm oder Muster aller seiner Verkörperungen, der einzelnen Waffen, die nach diesem Programm oder Muster gefertigt sind. Eben deshalb kann es für alle Waffen, die gleich sind, nur ein Modell geben, eben ein und dasselbe Modell. (Das gleiche Modell wäre somit ein anderes, ähnliches.) Doch der Kontext dieser Passage verrät, dass Bering (einer Hauptfigur des Romans) die Waffe deshalb bekannt ist, weil sie nach einem Modell gefertigt ist, das er durch eine andere seiner Verkörperungen, also eine bestimmte andere Waffe, kennengelernt hat. Anders als das Wort Modell bezeichnet das Wort Waffe etwas sinnlich Wahrnehmbares, etwas von dem es mehrere Exemplare geben kann, die einander gleichen können.
Im darauffolgenden Satz spricht Ransmayr wieder von der Waffe: "Bering kannte diese Waffe besser als jeden anderen Mechanismus, den er jemals zerlegt und wieder zusammengefügt hatte."(Seite 105)
Aber meint er hier nicht eigentlich wieder das Modell, da er diese Waffe, diese Pistole, gerade zum ersten Mal zu Gesicht bekommen hat? Aber ich gebe zu: kennt man das Modell, kann man auch behaupten, die Waffe zu kennen, ja selbst behaupten, diese Waffe zu kennen, die man zum ersten Mal vor Augen hat. Und wie man sich mit dem Wort Fehler auf dessen Kategorie oder auf den bestimmten Fehler selbst beziehen kann, kann man sich mit dem Wort Waffe sowohl auf eine sinnlich wahrnehmbare Waffe als auch auf ihr Modell beziehen.
Doch es gibt noch etwas Zweifelhaftes in diesem Satz: Bezeichnet das Wort Mechanismus etwas, das in dem Sinn wahrnehmbar ist wie die Waffe selbst oder Teile von ihr wie Schaft oder Lauf? Allerdings gibt es einen Sprachgebrauch, der das suggeriert. Für ihn ist der Mechanismus einfach etwas Materielles, etwas, das sich genau in dem Sinn identifizieren lässt wie die Waffe oder bestimmte ihrer materiellen Teile. Aber ist dieser Sprachgebrauch, wenn er auch üblich sein mag, nicht höchst ungenau und insofern irreführend? Bezeichnet das Wort Mechanismus nicht eine Eigenschaft, zu deren Identifikation sinnliche Wahrnehmung eine andere, nämlich eine viel stärker von bestimmtem Vorwissen oder bestimmten Kenntnissen geprägte Rolle spielt als im Fall der Identifikation der Waffe selbst oder ihrer materiellen Teile? Bezeichnet das Wort Mechanismus nicht etwas, das sich erst durch ein - wie immer vages - Verstehen der Funktion der Waffe, das heisst durch das Verstehen des Zusammenspiels einiger ihrer Teile begreifen lässt? - Man muss also, wie das Wort Mechanismus selbst verrät, die Mechanik, etwas von der spezifischen Anwendung physikalischer Gesetze auf Waffen, begreifen, um einen Mechanismus identifizieren zu können.
Wenn in diesem Sinn der Mechanismus auch nicht sinnlich wahrnehmbar ist, sondern nur die Waffe selbst oder bestimmte ihrer Teile, die man, bestimmte Kenntnisse vorausgesetzt, allenfalls mit bestimmten Mechanismen identifizieren kann, so kann man eine Waffe - in einer Art metonymischer Übertragung - auch als Mechanismus bezeichnen. Doch man sollte dann gerade nicht, wie Ransmayr in jenem Satz, die Waffe als Mechanismus bezeichnen, den man zerlegen oder zusammenfügen kann und damit die rhetorische Figur gleichsam wieder ungeschehen machen. Denn zerlegen oder zusammenfügen kann man wiederum nur eine Waffe oder manche ihrer Teile, auch wenn man wahrscheinlich ihren Mechanismus verstehen muss, um sie so zu zerlegen und wieder zusammenzufügen, dass am Ende nicht etwas anderes als eine Waffe daraus wird.
An jenem Satz zeigt sich, dass diese scheinbar so geringfügige Trübung und Unklarheit eng mit dem Bereich des Sprachlichen zusammenhängt, der so vage mit dem Wort Stilistik umschrieben wird: Gerade um jener rhetorischen Figur (Metonymie) willen, in der die Waffe als Mechanismus bezeichnet wird, während die Figürlichkeit dieser Rede doch damit zurückgenommen wird, dass dann dieser Mechanismus zerlegt oder zusammengefügt wird, als wäre er tatsächlich einfach die Waffe selbst, wird etwas offenbar, das auch tiefer in die ästhetische Problematik von Ransmayrs Schreibweise hineinführt. Der Satz Bering kannte diese Waffe besser als jeden anderen Mechanismus, den er jemals zerlegt und wieder zusammengefügt hatte, der die Waffe mit einem Gegenstand ihrer funktionalen Beschreibung gleichsetzt, diesen Gegenstand aber sogleich wieder umstandslos zu einem sinnlich- Wahrnehmbaren macht, hat etwas Prunkvolles; eine Spur von technoidem Prunk ist ihm eigen, etwas von jenem Paradoxon, dass Termini, die technische Verfügung oder gar wissenschaftliche Beschreibung und Präzision suggerieren, als Ornament gebraucht werden. (Und diese Tendenz zum Ornament ist in anderen Sätzen des Romans noch viel deutlicher. Ich werde darauf zurückkommen.)

"Er starrte durch den Tanz der Hunde auf die lachende Frau. In seinem Leben hatte er noch keiner Fremden länger als einen Herzschlag in die Augen gesehen. Und er senkte auch jetzt den Blick in der gleichen Sekunde, in der Lily ihn ansah."(Seite 101)
Von der Verwechslung zwischen dem Gleichen und demselben - in der gleichen Sekunde - abgesehen ist der chronometrische Begriff (Sekunde) hier fehl am Platz, geht es doch gar nicht darum, eine Zeitspanne zu messen, sondern nur darum zu sagen, dass Bering gerade dann den Blick senkt, als Lily ihn ansieht. (Und angesichts des Kontexts beziehungsweise der Diktion dieses Romans ist es auch kein gutes Argument für den Gebrauch dieses Wortes, dass eine sehr kurze Zeitspanne oder ein Augenblick umgangssprachlich Sekunde genannt wird.)

Fehlgriffe bei der Wortwahl gibt es eine ganze Reihe in diesem Buch - etwa auch die jeweils angeschlagene Sprachhöhe angehend. Häufig wird zu hoch gegriffen, manchmal aber auch zu tief. Ein Beispiel dafür ist die kürzelhaft-verbrauchte und zugleich wissenschaftlich-sachliche Formel vom atlantischen Tief: "Wenn die Regenschauer eines atlantischen Tiefs den Blick über den See trübten, waren die Berge mit ihren bis tief in den Sommer überdauernden Schneefeldern manchmal von einer Unwetterfront kaum zu unterscheiden."(Seite 32)
Hier sollte, dem Tonfall des Satzes gemäss, doch eher von den Schauern einer Regenzone, die aus den Tiefen des Atlantik herkommt, die Rede sein oder von etwas von vergleichbarer Pathetik.
Ausserdem ist hier das Wort manchmal, wenn nicht überflüssig, so doch zweifelhaft. Denn will Ransmayr hier wirklich sagen, dass nicht immer, wenn ein atlantisches Tief den Blick über den See trübte, die Berge von der Unwetterfront kaum zu unterscheiden waren, sondern nur manchmal?

Ein Wort, das angesichts des Zusammenhangs aus einer allzu tiefen Sprachschicht stammt, wird auch in diesem Satz gewählt: "Durch die offenen Schiebetüren der Viehwaggons wehte ein Gestank nach Urin und Scheiße [...]"(Seite 29)
Sollte es hier nicht entweder heissen Urin und Kot, oder Pisse und Scheisse? Also weder Urin und Scheisse noch Pisse und Kot?

"Wenn die Stürme im März und April manchmal rote Staubwolken über die morastigen Felder trieben [...]"(Seite 50) Auch hier ist, wie im vorletzten Beispiel, manchmal überflüssig. Wenn von den Stürmen im März und April die Rede ist, ist schon klar, dass es nicht ununterbrochen stürmt und also auch die roten Staubwolken nicht ununterbrochen über die morastigen Felder treiben. Dass andererseits soll nicht gesagt werden, dass nicht immer, sondern nur manchmal, wenn es stürmt, rote Staubwolken über die morastigen Felder trieben, beweist der Kontext dieser Stelle, ja des Romans überhaupt: Denn auf die genaue metereologische Unterscheidung zwischen Stürmen, die rote Staubwolken über Felder treiben und solchen, die das nicht tun, kommt es dort nirgends an.

*

So überflüssig wie manchmal im letzten Beispiel ist stets im nächsten:
"Sie malte dieses Bild nach einer Fotografie, die sie bis zu ihrem Tod stets bei sich trug und die den Vater lachend vor der Oper in Wien zeigte."(Seite 122)

Wenn man etwas bis zu seinem Tod bei sich trägt, dann ist damit schon gesagt, dass man es immer bei sich trägt. Aber auch wenn dieses Wort nicht überflüssig wäre, etwa dann, wenn man betonen wollte, dass jemand etwas Tag und Nacht bei sich trägt, dann wäre stets wiederum nicht das bestmögliche Wort. Dann nämlich wäre das Wort ständig wirksamer, das, anders als das blasse, verschliffene und formelle stets, das Unaufhörliche oder auch das Ununterbrochene stärker anklingen lässt, also stärkere raumzeitliche Implikationen trägt und zugleich auch viel deutlicher Bildhaftes evoziert (da es noch Stand oder Stehen hören lässt).
Doch in diesem Satz ist noch eine Fragwürdigkeit ganz anderer Art enthalten - die beiden durch und verknüpften Relativsätze: "[...] die sie bis zu ihrem Tod stets bei sich trug und die den Vater lachend vor der Oper in Wien zeigte." In einem einzigen Teilsatz wird hier sowohl von dem gesprochen, was mit der Fotografie geschieht, als auch von dem, was auf ihr zu sehen ist. Man muss schon gute Gründe haben, um in einem literarischen Text zwei so verschiedenartige Sachverhalte einander so nahe zu rücken. Dass es in diesem Text an guten Gründen dafür mangelt, zeigt das aber nicht der nächste Satz, in dem die Beschreibung dessen weitergeführt wird, was auf der Fotografie zu sehen ist? "Er trug seine schwarze Uniform mit allen Orden und eine Schirmmütze, die seine Augen im tiefen Schatten beließ." Hier werden - so beiläufig wie in nichtliterarischer Sprache - zwei verschiedenartige Sachverhalte in einen einzigen Teilsatz gesteckt, ohne Rücksicht sowohl darauf, dass in ihm zwei Realitätsebenen gleichgesetzt werden, als auch darauf, dass der zweite Sachverhalt im nächsten Satz so weitergeführt wird, dass der erste keine Rolle mehr spielt. - Ein einfacher Vorschlag zur Güte: Sie malte dieses Bild nach einer Fotografie, die sie bis zu ihrem Tod bei sich trug. Der Vater war auf ihr zu sehen, lachend vor der Oper in Wien. Er trug eine schwarze Uniform usw...
Allerdings lässt sich gegen diese, meine Darstellung einwenden, dass sie den Kontext dieser beiden Sätze nicht hinreichend berücksichtige. - Ich zitiere den Absatz, aus dem die beiden Sätze stammen:
"An Sonntagnachmittagen aber saß sie oft an einem lebensgroßen Brustbild ihres Mannes, das sie nie vollendete. Sie malte dieses Bild nach einer Fotografie, die sie bis zu ihrem Tod stets bei sich trug und die den Vater lachend vor der Oper in Wien zeigte. Er trug seine schwarze Uniform mit allen Orden und eine Schirmmütze, die seine Augen im tiefen Schatten beließ. Die Mutter saß und malte und ersetzte die schwarze Uniform Pinselstrich für Pinselstrich durch einen Lodenanzug mit Hirschhornknöpfen und die Schmirmmütze durch einen Filzhut, dem sie ein Sträußchen Heidekraut aufsteckte."
Angenommen, die beiden so verschiedenartigen Sachverhalte, dass sie die Fotografie bis zu ihrem Tod stets bei sich trug, und, dass diese den Vater lachend vor der Oper zeigte, werden insofern zu Recht in einem einzigen Satz ausgesagt, als sie - ihrer Verschiedenartigkeit zum Trotz - mehr miteinander zu tun haben als der folgende Satz ("Er trug seine schwarze Uniform [...]") mit dem zweiten jener beiden Sachverhalte. Es könnte ja so sein, dass sie gerade diese Fotografie mit sich trägt, weil auf ihr der Vater lacht, oder sogar, weil er vor der Oper in Wien lacht (sie will ein schönes oder erfreuliches Bild des Vaters aufbewahren), während der zweite Teil der Beschreibung dessen, was auf der Fotografie zu sehen ist, sich insoferne von dem lachenden Gesicht des Vaters deutlich absetzt, als er das an dem Bild betrifft, woran seine Frau gerade nicht erinnert werden will (die schwarze Uniform, die Schirmmütze, welche die Augen im Schatten belässt). Wenn dem aber so ist, ist dann Ransmayrs Lösung nicht dennoch keineswegs die beste? Hätte er dann nicht besser daran getan, den zweiten Sachverhalt (und die den Vater lachend vor der Oper in Wien zeigte) aus der Folge zweier Relativsätze zu lösen, aus einer Folge, die ihr zweites Glied zu so etwas wie einem Appendix macht, zu etwas, das einfach hinzugefügt, ja hineingestopft wird und deshalb sein eigenes Gewicht beinahe ganz einbüsst?
Unter der Voraussetzung, dass die Beschreibung dessen, was auf der Fotografie zu sehen ist, zwei deutlich voneinander zu unterscheidende Teile haben soll, wäre vielleicht diese Lösung besser, die einen Absatz zwischen die beiden Teile der Beschreibung dessen setzt, was auf der Fotografie zu sehen ist:

Sie malte dieses Bild nach einer Fotografie, die sie bis zu ihrem Tod bei sich trug. Sie zeigte den Vater lachend vor der Oper in Wien.
Er trug eine schwarze Uniform usw...

Und - vielleicht allzu hellhörig gemacht - irritiert da noch etwas: Das Wort trug kommt in zwei Sätzen vor, die in Ransmayrs Version unmittelbar aufeinander folgen: "Sie malte dieses Bild nach einer Fotografie, die sie bis zu ihrem Tod stets bei sich trug und die den Vater lachend vor der Oper in Wien zeigte. Er trug seine schwarze Uniform mit allen Orden und eine Schirmmütze, die seine Augen im tiefen Schatten beließ." -
Zweimal das gleiche Wort auf so engem Raum zu gebrauchen, das könnte eine bestimmte rhetorische Wirkung entfalten, etwa wenn es hiesse: sie trug die Fotografie bei sich, er trug eine schwarze Uniform. In diesem Fall würde der Gebrauch desselben Verbs gerade den Kontrast, vielleicht auch das Widersprüchliche der beiden Tatsachen betonen oder jedenfalls die Beziehung zwischen ihnen. Zwischen den Tatsachen, dass sie die Photografie bei sich trug und er eine schwarze Uniform, ist aber eine solche semantische Beziehung nicht gegeben. Und das zeigt sich auch damit, dass vor dem Satz, in dem das Wort trug zum zweiten Mal vorkommt, noch der Halbsatz und die den Vater lachend vor der Oper in Wien zeigte eingeschoben wird.
So bleibt nur, dass Ransmayr diesen störenden Gleichklang versehentlich hervorgerufen hat.

Jenes Beispiel für die zweifelhafte Gliederung einer Textpassage steht für eine ganze Reihe ähnlicher. Aber auch die Gliederung einzelner Sätze missrät Ransmayr häufig:
"Berings Mutter glaubte an ein Zeichen des Himmels und trug den Hühnerkäfig entsetzt aus der Kammer, als der Säugling...zu schreien begann."(Seite 19)
Das Wort entsetzt wird hier so in den rhythmischen und grammatikalischen Verlauf des Satzes eingefügt, dass es beinahe wirkungslos bleibt. Dort, wo dieses Wort steht, könnte jedes andere Partizip oder Adjektiv stehen. Bei dieser Wortstellung ist es völlig gleichgültig, ob der Hühnerkäfig entsetzt oder fröhlich, hinkend, schnell oder langsam aus der Kammer getragen wird. Dem, was beschrieben werden soll, eher gerecht würde zum Beispiel: Berings Mutter glaubte an ein Zeichen des Himmels und entsetzt trug sie den Hühnerkäfig...

Vergleichbar fühllos für Bedeutungsnuancen, die durch die Wortstellung hervorgerufen werden, ist Ransmayr auch hier: "Militärpatrouillen schützten längst nur noch die Verbindungslinien zwischen den Kommandanturen des Tieflands und waren für Hilferufe aus den Kaffs gewöhnlich taub."(Seite 54) Da hier das Wort gewöhnlich unmittelbar vor taub steht, könnte es auch eine nähere Bestimmung der Art und Weise des Taubseins sein - Als könnten die Militärpatrouillen nicht nur gewöhnlich taub sein, sondern auch ungewöhnlich taub. Tatsächlich wird gewöhnlich hier aber als Temporaladverb gebraucht (etwa wie meistens); es sagt etwas über die Häufigkeit aus, mit der die Militärpatrouillen für die Hilferufe taub waren.

Nicht nur unangemessener Satzbau (wie in dem Beispiel mit der entsetzten Mutter), sondern auch der blinde Gebrauch von Phrasen kann dazu führen, dass das, was gesagt wird, um seine Wirkung gebracht wird, dass es nicht gegenwärtig, nicht, wie Karl Kraus es ausdrückt, Wortgestalt wird. Der Widerspruch zwischen Formel und Darzustellendem kann geradezu kontraproduktiv sein: "Jetzt strich Elliot seine Blätter glatt, die sich, kaum losgelassen, immer wieder einrollten, hob sie endlich dicht vor seine Augen und begann, die Paragraphen eines Friedensplanes mit einer solchen Geschwindigkeit abzulesen, dass die Kolonnen nur Satzfetzen, Fremdworte - vor allem aber die Beschimpfungen und Kommentare verstanden, mit denen Elliot seinen förmlichen Ton immer wieder unterbrach."(Seite 42)
Wie schnell abgelesen wird, kann nicht weniger deutlich werden als mit der langsamen, nämlich mehrwortigen und vielsilbigen Formel mit einer solchen Geschwindigkeit. Zudem ist Geschwindigkeit ein Begriff, der stark durch seinen Gebrauch als ein physikalischer Terminus technicus geprägt ist und deshalb wenig dafür geeignet, die subjektive Erfahrung des Lesens zu vermitteln. - ...begann so rasch (so schnell) abzulesen hätte wenigstens einiges von dem spürbar gemacht, worum es geht.

"Der Wagen war von einer übermächtigen Fliehkraft aus der Bellevuekurve getragen worden, war am Wasser gegen die zur Befestigung des Ufers eben erst errichtete Steinmauer und von dort auf die Straße zurück geprallt."(Seite 68)
Wäre die eine übermächtige Fliehkraft so, wie diese Wörter suggerieren, nämlich schwerfällig-statisch beziehungsweise attributiv und nominal (eine Substanz mit einem Attribut), dann könnte kein Wagen von ihr aus einer Kurve getragen werden. Zugleich ist aber von einer übermächtigen Fliehkraft womöglich überhaupt überflüssig. Wenn ein Wagen aus einer Kurve getragen wird, dann wird, wenn keine anderen Gründe erwähnt werden, wenigstens sehr nahegelegt, dass das durch nichts anderes verursacht wird als durch das, was in der Physik als Fliehkraft beschrieben wird. Aber selbst wenn man zugibt, dass es notwendig ist, die Kraft zu bezeichnen, die den Wagen aus der Kurve trägt: ist es auch notwendig, diese Kraft noch mit dem Attribut übermächtig zu charakterisieren?
Nur in einem Roman, zu dessen Sinn es wesentlich gehört, sich auf physikalische Kräfte zu beziehen und sie auch zu vergegenständlichen, könnten solche Formeln zu Recht stehen. Gerade das trifft aber auf Ransmayrs Roman nicht zu. (So könnte eine Kritik von Morbus Kitahara von dem nur dekorativ- rhetorischen Wert dieser und ähnlicher Formeln ausgehen.)

Zu einer Stil-Blüte, die Elfriede Jelinek in ihrer Prosa als Kunstmittel einsetzen könnte, wird im nächsten Satz papierenes Bürokratendeutsch im Verein mit dem linkischen Versuch, etwas von der Redeweise englischsprachiger Soldaten wiederzugeben: "Und wenn sie dann unter den Augen der Soldaten auf Ballons, Scheiben oder Feinde aus Pappe schoß, setzte sie ihre Treffer stets in ein unverdächtiges Out."(Seite 128)
Mit der blindlings gebrauchten Phraseologie (einen Treffer...setzen) verschwindet das, was vor allem beschrieben werden soll, der Fehlschuß, nämlich in der seltsamen sprachlichen Verrenkung, die Treffer zu beschreiben versucht, die keine sind.
Und wendet man hier ein, dass man ja einen beabsichtigten Fehlschuss auch als eine Art Treffer bezeichnen könnte, dann hindert dennoch die blindlings gebrauchte Phraseologie daran, den zu beschreibenden Vorgang gegenwärtig zu machen: Ransmayrs Satz zwingt zur Vorstellung, dass die Treffer ihr schon vor dem Schuß zur Verfügung stehen und dann in etwas - eben in das unverdächtige Out - gesetzt werden.

So überflüssig wie manchmal und stets in den zitierten Beispielen ist hier zum Anfangen:
"Als Elliot das Kommando zum Anfangen gab, wälzte der Schmied einen großen Steinquader auf seine Trage, band ihn fest, nahm das Gewicht auf den Rücken, stand taumelnd auf und stieg mit der Kolonne wohl dreißig oder mehr Stufen empor."(Seite 48) Dass der Schmied eine Anordnung befolgt, geht hinreichend aus dem Zusammenhang hervor. Und zweifelt man daran, dann hätte es gereicht zu schreiben: Als Elliot das Kommando dazu gab, wälzte der Schmied [...]. Die Substantivierung des Verbs Anfangen jedenfalls, die nichts als ungeschickt wirkt, kann man ohne weiteres vermeiden.

*

"Von einem Rudel schwanzwedelnder Hunde bedrängt, war Lily gerade dabei, die Zügel ihres Maultiers am Arm eines steinernen Fauns..."(Seite 100)
Gibt es noch andere Körperteile, mit denen Hunde wedeln? Oder gibt es Hunde, die mit anderen Körperteilen wedeln als mit ihren Schwänzen? Man spricht ja auch nicht von armwinkenden oder fusslaufenden Menschen! Ist es am Ende bezeichnend für Ransmayrs Schreiben, dass hier unversehens aus dem Anspruch genauer Beschreibung der Gestus von Genauigkeit wird, der sich als eine Art von Pleonasmus entpuppt?

Pleonastisch auch das noch einmal in diesem Satz:
"Das Feuer loderte über die Toten hinweg, löschte ihre Augen und Gesichtszüge, entfernte sich prasselnd, kehrte im Sog der eigenen Hitze noch einmal wieder und tanzte auf den zerfallenden Gestalten, bis ein Wolkenbruch die Flammen in die eisengraue Asche gestürzter Quaresmeirabäume zurücktrieb und schliesslich alle Glut in das feuchte Herz der Stämme zwang. Dort erlosch der Brand."(Seite 7)
Es reichte zu sagen: das Feuer kehrt wieder. Vielleicht wollte Ransmayr sagen, dass das Feuer ein letztes Mal wiederkehrt. Aber auch diese nähere Bestimmung des Wiederkehrens wäre überflüssig, da der Brand erlöscht, bevor sich das Feuer noch einmal entfernen kann.
Und dass in diesem Satz das Feuer ausgerechnet ihre Augen und Gesichtszüge löscht (während sonst doch das Feuer selbst das ist, was gelöscht wird), verdankt sich wohl nicht der Plausibilität einer Anschauung oder ungewöhnlicher semantischer Durchtriebenheit, sondern nur den Redewendungen, für die Menschen ausgelöscht werden oder verlöschen. Und dafür, dass das Bild von dem Feuer, das Augen und Gesichtszüge löscht, Ransmayr unterläuft, spricht auch, dass im übernächsten Satz davon die Rede ist, dass der Brand selbst erlosch. Denn wenn es sich hier tatsächlich um ein geschicktes Spiel mit semantischen Oppositionen handeln würde, hätte Ransmayr nicht die Gelegenheit nützen müssen, dieses Spiel deutlich zu machen?

"Die letzte, Jahre zurückliegende Nachricht von ihm, eine Ansichtskarte, zeigte den Hudson River, dessen graue Flut immer auch die Trauer über den Ertrunkenen wieder wachrief."(Seite 11) Auch in diesem Satz spielen temporale Bestimmungen eine unglückliche Rolle: Zum einen ist fraglich, ob immer nicht selbst dann überflüssig wäre, wenn wieder nicht vorkäme: "[...] dessen graue Flut immer auch die Trauer über den Ertrunkenen wachrief." - Liesse man immer hier weg, wäre dann nicht dennoch klar, dass die Trauer über den Ertrunkenen jedesmal wachgerufen wird, wenn die Ansichtskarte betrachtet wird?
Ich gebe aber zu: immer würde dann zurecht gebraucht, wenn die Unausweichlichkeit bezeichnet und betont werden soll, mit der die Ansichtskarte jedesmal aufs neue das Trauern wachruft. Wenn aber etwas immer wachgerufen wird und man - wie der Kontext des Satzes nahelegt - zugleich annimmt, dass immer wachrief hier nicht ausdrückt, dass das Wachgerufenwerden der Trauer nie aufhört, sondern dass die Trauer jedesmal, wenn die Ansichtskarte betrachtet wird, aufs neue wachgerufen wird, dann wird diese Trauer auch jedes Mal (ausser, um genau zu sein, beim ersten Mal) wieder wachgerufen. Also ist wieder überflüssig. Es gibt nur eine einzige Kombination, in der immer und wieder in dem Satz vorkommen könnten, ohne, dass eines von beiden überflüssig wäre: ...dessen graue Flut immer wieder auch die Trauer über den Ertrunkenen wachrief. - Ob Ransmayr nicht gerade das meint?

*

"Wer immer es wollte, durfte also mit dem Einverständnis des Kommandanten Attrappen tragen, aus Pappmaché, Karton oder zusammengekleisterten Lumpen bloß nachgebildete Steine, ja, Elliot duldete auch noch leichteres und federleichtes Material! - zu Steinen gefaltetes Zeitungspapier, steingraue Kissen [...]" (Seite 47)
Weil in dem diesem Satz vorausgehenden Absatz schon berichtet wird, dass der Kommandant keinen seiner Statisten dazu zwang, einen echten, zentnerschweren Steinquader (...) auf sein Traggestell zu wuchten, und weil durch das Wort durfte hinlänglich deutlich gemacht ist, dass seiner Erlaubnis folgend gehandelt wird, ist das - noch dazu bürokratisch-floskelhafte - Mit dem Einverständnis des Kommandanten hier redundant und überflüssig.
Und dieser Satz enthält noch etwas Überflüssiges: das Wort bloß in der Wendung bloß nachgebildete Steine.
Soll mit dem Wort bloß deutlich gemacht werden, dass nur Steine getragen werden mussten, die deshalb leichter als echte sind, weil sie nachgebildet sind, dann ist bloß deshalb überflüssig, weil der Kontext - Eliot duldete auch noch leichteres und federleichtes Material - diese Tatsache hinreichend klar macht; ausserdem würde dann gerade jener Kontext suggerieren, dass die Steine, die aus noch leichterem Material hergestellt sind als aus Pappmaché, Karton oder zusammengekleisterten Lumpen, nicht bloss nachgebildet seien (also entweder nicht ausschliesslich nachgebildet oder überhaupt nicht).
Soll mit dem Wort bloß betont werden, dass die Steine nicht echt sind, sondern nur nachgebildet, so ist bloß insoferne missverständlich, als es hier nicht darum geht, die Tatsache, dass die Steine nachgebildet sind, negativ zu bewerten. Soll die Rede von den bloß nachgebildeten Steine aber bedeuten, daß man aus Pappmaché, Karton oder zusammengekleisterten Lumpen keine echten Steine herstellen kann, so ist mit bloß impliziert, dass man aus jenen Materialien echte Steine herstellen könnte, es aber in diesem Fall nur zu nachgebildeten bringt. Da aber - in der Wirklichkeit dieses Romans - ohnehin niemand vermuten kann, man könne aus jenen Materialien echte Steine herstellen, ist bloß auch in dieser Bedeutung überflüssig.
Auch die Wendung von den nachgebildeten Steinen selbst ist wenigstens zweifelhaft. Denn mit ihr wird eine zweistellige Relation (x wird y nachgebildet) als einstellige dargestellt (x hat die Eigenschaft, etwas Nachgebildetes zu sein).
Mit anderen Worten: Dieser Gebrauch des Partizips macht das Nachgebildetsein zu einem Attribut der Steine. Also bleiben die Steine Steine, Steine allerdings, welchen eine Eigenschaft zugesprochen wird, die entweder besagt, dass die Steine zugleich keine Steine sind (contradictio in adjectio), oder, dass das Wort Stein hier einen Überbegriff darstellt, unter den sowohl die echten als auch die nachgebildeten Steine fallen. - Gerade das aber ist mit Ransmayrs Satz nicht gemeint, denn in ihm geht es darum, dass die Nachbildungen, so täuschend sie sein mögen, etwas ganz anderes sind als die echten Steine, die nachgebildet werden.
Und auch die dritte Möglichkeit, die Wendung nachgebildete Steine zu verstehen, nämlich so, dass die "Steine" aus Pappmaché, Karton usw. irgendetwas anderem nachgebildet sind, aber darüber, was dieses andere ist, nichts gesagt wird, widerspricht dem Kontext, in dem Ransmayrs Satz steht. Spricht aber nicht auch einiges für den Gebrauch der Wendung von den nachgebildeten Steinen? - Vor allem, dass für jemanden, der diese Attrappen sieht, das, was er sieht, eben wie ein Stein aussieht, und es deshalb naheliegt, das, was wie ein Stein aussieht, auch Stein zu nennen, auch wenn es keiner ist. So verstanden wäre Stein in Ransmayrs Wendung eine Metapher. Eine Metapher, die aber bemerkenswert anders funktioniert als es Metaphern sonst tun: Normalerweise erlauben gemeinsame Eigenschaften verschiedener Dinge ihre metaphorische Gleichsetzung - das klassische Beispiel: So verschieden Menschen von Löwen sind, ist der Mensch doch ein Löwe, weil sowohl er als auch der Löwe tapfer sind. Auch die Nachbildung des Steins und der Stein selbst sind verschieden, haben aber gemeinsame Eigenschaften. Doch in diesem Fall liegt das Gemeinsame der Eigenschaften darin, dass die Dinge selbst einander optisch gleichen, also für das Sinnesorgan, dessen Tätigkeit am stärksten bestimmt, was für ähnlich beziehungsweise unähnlich gehalten wird. Im Fall der Wendung von den nachgebildeten Steinen werden Dinge metaphorisch gleichgesetzt, die in wesentlicher Hinsicht ohnehin als gleich identifiziert werden. Wenn normalerweise der Akzent der metaphorischen Operation darauf liegt, als verschieden angenommene Dinge auf Grund von als gemeinsam angenommenen Eigenschaften gleichzusetzen, so liegt der Akzent dieser metaphorischen Operation darauf, gerade durch die metaphorische Gleichsetzung den Unterschied zwischen Dingen zu betonen, die zunächst als gleich angenommen werden. Man nennt die Nachbildung mit dem Namen dessen, was sie nachbilden soll, und betont damit, dass man das anscheinend Gleiche als unterschiedlich, eben als Nachbildung, erkannt hat. Was nun Ransmayrs Satz angeht, so spricht zufolge dieser Analyse nichts dagegen, die Nachbildungen Steine zu nennen und damit ein Glied der zweigliedrigen Relation (x ist eine Nachbildung von y) für das andere zu setzen beziehungsweise beide Glieder durch eine einzige Bezeichnung zu vereinen. Nur spricht jetzt wiederum viel dagegen, dieses metaphorisch Steine genannte noch einmal mit dem Attribut nachgebildete zu versehen. Hiesse es: Steine (gefertigt) aus Pappmaché, Karton oder zusammengekleisterten Lumpen, dann würde man zum einen der optischen Wahrnehmung der Gleichheit zwischen echten Steinen und ihren Nachahmungen viel besser gerecht und zum anderen auch der Entdeckung des Unterschieds zwischen ihnen.
Dazu kommt noch, dass Ransmayr ja das aus Pappmaché, Karton usw. Angefertigete ohnehin schon als Attrappen ("...durfte also....Attrappen tragen...") ankündigt, das Wort Attrappe (zufolge Dudens Fremdwörterbuch) auch ein Synomym von Nachbildung ist, so dass der Satz in Ransmayrs Fassung noch einen weiteren, durch das Fremdwort verschleierten Pleonasmus enthält.

Genauso überflüssig wie im letzten Beispiel ist das Wort bloß auch im nächsten, in dem es wieder um eine Form von Nachbildung geht, nämlich um Nachahmung:
"Wann immer der Sohn des Schmieds nach diesem Lachkrampf Zuflucht in Hühnerställen oder im Schatten auffliegender Vogelschwärme suchte, pfiff, gurrte und krächzte er nur noch wie ein Mensch, der ein Huhn, eine Drossel oder eine Taube bloß nachzuahmen versucht - und war doch nie wieder die Vogelstimme selbst."(Seite 37)
Wenn der Sohn des Schmieds "nur noch wie ein Mensch pfeift, gurrt und krächzt", dann ist damit schon gesagt, dass er die Vögel bloss nachahmt oder auch nur nachzuahmen versucht. Ob man nun weder bloß noch nur noch weglässt, oder eines von beiden oder beide - in allen diesen Fällen ist das Ende des Satzes unplausibel. Denn da heisst es, dass Bering doch nie wieder die Vogelstimme selbst war. Das entgegensetzende doch setzt voraus, dass es Bering gelingen könnte, wieder die Vogelstimme selbst zu sein. Gerade das wird aber sowohl durch den Vergleich (nur wie ein Mensch, der...) von vornherein ausgeschlossen als auch dadurch, dass vom Nachahmen beziehungsweise vom Versuch nachzuahmen die Rede ist. Dagegen, dass das Wort bloß überflüssig sei, könnte man nur einwenden: es ist hier deshalb notwendig, weil der Sohn des Schmieds, wenn er auch pfiff, gurrte und krächzte, die Vögel nicht nachahmt, sondern bloß nachzuahmen versucht. Durch das Wort bloß wird dann ausgedrückt, dass das Nachahmen der Vögel misslingt (Er ahmt nicht nach, er versucht es bloß).
Akzeptiert man diesen Einwand, dann allerdings wird der letzte Teil des Satzes (und war doch nie wieder die Vogelstimme selbst.) nur um so unplausibler.
Und wie seltsam auch, dass - wie die Reihung der Verben und der Substantiva suggeriert - in jenem Satz das Huhn pfeift, die Drossel gurrt und die Taube krächzt!

Um etwas Ähnliches wie Nachahmung und Nachbildung, nämlich um Abbildung und Spiegelung geht es auch hier:
"An manchen Abenden hatte dieses Zeichen im Schein einer tiefstehenden Sonne plötzlich zu leuchten begonnen; dann spiegelten unsichtbare Fenster, die in der Zugluft schlugen oder schon zur Nacht geschlossen wurden, das Abbild der Sonne als rasende Folge von Lichtblitzen über den See."(Seite 75) Dass die Fenster nicht einfach die Sonne spiegeln, sondern das Abbild der Sonne, ist ein Pleonasmus, der nur dann keiner wäre, wenn das Licht einer ihrerseits abgebildeten (also zum Beispiel gespiegelten) Sonne auf das Fenster treffen würde.

Und noch ein ähnliches Versehen: "Lautlos, das Bild der Sonne als ein Chaos blendender Lichtreflexe auf Windschutzscheibe, Chrom und Lack, rollte dort oben Die Krähe aus der Einfahrt." (Seite 97)
Reflex heisst bekanntlich Widerschein oder Rückstrahlung. Demnach ist die Verdopplung Bild/Reflex überflüssig. Und ist das, was Ransmayr sagen will, in dieser Form nicht eindrücklicher: Lautlos, die Sonne als ein Chaos blendender Lichtreflexe auf der Windschutzscheibe, Chrom und Lack rollte dort oben Die Krähe aus der Einfahrt.
In seiner Grosspurigkeit und zugleich Unanschaulichkeit wenig geglückt ist in diesem Satz auch das Wort Chaos. (Es fügt sich in eine ganze Reihe vergleichbarer verbaler Maßlosigkeiten ein. Ich komme darauf zurück. )

*

"Mächtiger als alles, was aus Moorer Sicht von der Welt zu sehen war, erhob sich über dem Steinbruch das Gebirge."(Seite 32) Was aus Moorer Sicht zu sehen war: Hier spielt dem Autor die blindlings gebrauchte Phrase aus der Sicht von x einen Streich, der ihn selbst blind dafür macht, dass man keine Sicht braucht, um etwas zu sehen.
Zudem konvergiert der Mangel an sprachlogischer Ökonomie und der blinde Gebrauch von Phrasen hier mit dem Hang zum Prunk: Denn Was von Moor aus von der Welt zu sehen war sagt nicht mehr als Was von Moor aus zu sehen war.
Und schliesslich ist in dem Satz noch eine logische Unstimmigkeit enthalten: Denn wenn es heisst "Mächtiger als alles, was aus Moorer Sicht von der Welt zu sehen war, erhob sich über dem Steinbruch das Gebirge", dann ist entweder das Gebirge von Moor aus nicht zu sehen (was dem Kontext des Satzes zufolge nicht der Fall ist), oder der Satz ist logisch paradox: das Gebirge, das auch von Moor zu sehen wäre, wäre dann, insofern es mächtiger als alles ist, auch mächtiger als es selbst. Gemeint war wohl: Mächtiger als alles andere, was...zu sehen war.

"Aber selbst wenn er nicht klagte, Vorwürfe leierte oder seine Flüche durchs Haus schrie, schien Berings Vater die Jahre seines Ausgedinges darauf verwenden zu wollen, jeden Handgriff des Erben mit der unnachsichtigen, genauen Beobachtungsgabe eines Ausgeschiedenen zu verfolgen."(Seite 50)
Dem Sehen aus einer Sicht vergleichbar ist die Wendung, Handgriffe mit einer Beobachtungsgabe zu verfolgen: Verfolgen wäre allenfalls noch von einer gewissen Plausibilität, wenn man jemanden mit Blicken verfolgt. So wenig man jedenfalls, um zu sehen, der Sicht bedarf, muss man einen Handgriff verfolgen, um ihn zu beobachten. Angemessener wäre wohl: beobachtete unnachsichtig, genau jeden Handgriff des Erben. Dem Wort unnachsichtig, das wieder Sicht oder Sehen enthält, und sich hier trüb mit beobachten beziehungsweise Beobachtungsgabe mischt, wäre allerdings streng vorzuziehen.
Und dass hier Handgriffe, wenn sie schon verfolgt werden, nicht mit Beobachtungen verfolgt werden, sondern mit einer Beobachtungsgabe! Diese Wendung wäre nur dann berechtigt, wenn es darauf ankäme klarzumachen, dass die Beoachtungsgabe die Bedingung dafür ist, um beobachten zu können. Das ist aber hier nicht der Fall. Denn genau oder unnachsichtig kann (im Zusammenhang einer solchen Prosa) nicht eine Beobachtungsgabe sein, sondern nur die Beobachtung selbst.
Sieht man auf den Kontext dieses Satzes, dann wird manches noch ungereimter. Denn eine Seite vorher (auf Seite 49) heisst es:
"Im gleichen Jahr verletzte ein von der Drehbank hochschnellender Schwarm aus Eisenfeilspänen die Augen seines Vaters so sehr, dass der Schmied von diesem Tag an die Welt nur noch wie durch ein winziges, von Eisblumen überwachsenes Fenster sah."
Und einen Absatz weiter unten wird von dem Vater gesagt, dass er sich in in seiner Werkstatt nur mehr tappend fortbewegen kann. Und dieser beinahe blinde Vater soll jetzt alles unnachsichtig und genau beobachten! Bekommt jetzt Ransmayrs seltsame Wendung von der Beobachtungsgabe, mit der genau und unnachsichtig Handgriffe verfolgt werden, nicht doch auf widersinnige Weise recht? Wenn man kaum mehr sieht und also aller Wahrscheinlichkeit nach nichts mehr genau beobachten kann, dann muss man es vielleicht mit Hilfe (s)einer Beobachtungsgabe versuchen...
Und dann ist da noch etwas: Offenbar um nicht sagen zu müssen: mit der unnachsichtigen, genauen Beobachtungsgabe eines beinahe Blinden, schreibt Ransmayr: mit der unnachsichtigen, genauen Beobachtungsgabe eines Ausgeschiedenen. In beiden Fällen aber würde die Beobachtungsgabe auf die Folgen des Unfalls zurückgeführt. Eine Gabe ist aber etwas, das nicht auf ein bestimmtes Ereignis zurückgeführt werden kann, sondern von vornherein und unabhängig von den Umständen jemandem mitgegeben.

"So bizarr diese Verwandlung auch war, so oft sie im Wirtshaus am Dampfersteg oder an Bord der Schlafenden Griechin während der Überfahrten zum Steinbruch täglich neu besprochen wurde - den Hundekönig schienen weder Schnabel noch Krallen zu stören."(Seite 96)
Versteht man diesen Satz, so wie er da steht, dann entwickelt er eine äusserst komplexe Aussage über zeitliche Verhältnisse: Denn vorausgesetzt werden mit der Kombination von so oft und täglich neu mehrere Folgen von Tagen, in denen jene Verwandlung täglich neu besprochen wird und dazu eine geringere Anzahl von Folgen von Tagen, in denen das nicht der Fall ist.
Doch der Kontext dieser Äusserung macht es so gut wie unmöglich, dass es Ransmayr um eine Komplexität dieser Art geht.
Was würde diesem Satz genommen, wenn man täglich neu wegliesse? Dass jene Verwandlung häufig besprochen wurde, wäre allein durch das so oft deutlich.
Und wenn es Ransmayr hier darauf ankommt, dass jene Verwandlung täglich neu besprochen wird, dann könnte man wiederum so oft weglassen: So bizarr diese Verwandlung auch war, wenn sie auch im Wirthaus täglich neu besprochen wurde...
Doch was heisst hier eigentlich täglich neu besprochen? - Wahrscheinlich meint Ransmayr: täglich aufs neue besprochen wurde. Dann würde er aber besser schreiben: jeden Tag aufs neue (neu) besprochen wurde; denn dann käme es eben darauf an, dass jeden Tag das gleiche aufs neue geschieht, so als wäre es nicht schon an den vorhergehenden Tagen geschehen. Gerade der Kontrast oder Widerspruch zwischen dem gleichmässigen Wiederkehren der Tage und der Tatsache, dass so über die Verwandlung gesprochen wird, als hätte man nicht schon an den vorhergehenden Tagen über sie gesprochen, wird durch das Adverb täglich verwischt, in dem die Tage selbst ihr Substantielles an ihre Funktion eingebüsst haben, eine regelmäßig wiederkehrende Zeitspanne zu benennen. (Käme es nur auf die Benennung einer solchen Zeitspanne an, dann wäre täglich tatsächlich angemessen: Würde auf dem Schild eines Gasthauses nicht täglich von x bis y Uhr geöffnet, sondern jeden Tag (aufs neue) von x bis y Uhr geöffnet, dann würde aus der notwendigen Information so etwas wie ein, vielleicht aufdringlicher, Werbespruch.)
Soll es aber in Ransmayrs Satz gar nicht darauf ankommen, dass da jeden Tag etwas aufs neue besprochen wird (sozusagen von neuem aufgerollt, als wäre es zum ersten Mal), steht also täglich neu besprochen, für täglich wieder besprochen, dann wiederum könnte man neu oder eben auch wieder weglassen, denn die Wiederholung des Besprechens wäre schon durch das Wort täglich hinlänglich bezeichnet.
Möglich (aber dem Kontext zufolge sehr unwahrscheinlich) wäre auch, dass Ransmayr sagen will, die Verwandlung werde jeden Tag anders oder auf andere oder neue Art besprochen. Dann allerdings wäre neu wiederum der falsche Ausdruck; dann sollte es tatsächlich heissen: die Verwandlung wurde täglich anders oder auf andere oder auf neue Weise besprochen.

*

Sprachliche Ungeschicklichkeit, papierern-bürokratische und umständliche Formeln führen häufig zu falscher Wortwahl: Da heisst es einmal (Seite 54 f), dass Schutzgelder erhoben werden (statt eingehoben), ein anderes Mal (Seite 35) erfüllen sich Gerüchte (statt sich als wahr oder falsch herauszustellen), und auch den Unterschied zwischen beschwören und heraufbeschwören übersieht Ransmayr:
"Der Schmied nahm an diesem fleckigen Kopfverband seines Sohnes aber nur Erinnerungen an seine Zeit in der Wüste wahr und erzählte Geschichten von Wanderdünen, die aufgeriebene Konvois unter sich begruben, beschwor am Küchentisch wehende Felder aus Sandfontänen, die sich als Vorboten eines Sturms in einer einzigen Sekunde erhoben und gleich wieder hinlegten [...]"(Seite 30)
Man beschwört eine Schlange oder jemanden, dieses oder jenes zu tun oder zu lassen. Das ist wohl nicht das, was Ransmayr sagen will. In diesem Roman jedenfalls, dem die übliche Wahrnehmung und Beschreibung von Welt das Vor-Bild ist, wehen keine Felder von Sandfontänen am Küchentisch, die man in diesem Sinn beschwören könnte.
Doch selbst wenn Ransmayr schreiben wollte, dass der Schmied [...] am Küchentisch wehende Felder von Sandfontänen heraufbeschwor,ist nicht nur in meiner Version, sondern auch in der Ransmayrs die Lokalbestimmung am Küchentisch an ihrer Stelle deshalb ungünstig, weil sie erlaubt, die Felder von Sandfontänen (seien sie nun beschworen oder heraufbeschworen) auf dem Küchentisch wehen zu sehen, während es doch darum geht, dass sie dem Geist der Zuhörer sichtbar gemacht werden.
Bemerkenswert unanschaulich oder auch unklar ist hier auch das Bild von den wehenden Feldern von Sandfontänen. Vielleicht gleichen die visuellen Eindrücke von Sanddünen noch irgendwie wehenden Feldern. (Wie manchmal der Wind die Felder in fliessende, wellenartige Bewegung versetzt, so vielleicht auch die Dünen). Aber gleichen die Sandfontänen, unter welchem man sich offenbar in die Höhe schiessende oder auch herabfallende Sandmassen vorzustellen hat, wehenden Feldern? Gleichen sie etwas, das zum einen vor allem etwas Flaches, nämlich eine weit ausgebreitete Fläche assoziieren lässt und dazu auch etwas Ab- oder Eingegrenztes, da hier - in der Wüste, wo nichts wächst - jene Bedeutungen des Wortes Feld, die mit landwirtschaftlicher Bewirtschaftung und Fruchtbarkeit zu tun haben, in den Hintergrund treten?
Aber das ist noch nicht alles: Auch das Bild von den aufgeriebenen Konvois, welche von jenen wehenden Feldern von Sandfontänen unter sich begraben werden ist nicht glücklich. Hier spielt Ransmayr ein geläufiges Bild aus Kriegs- oder Kampfberichterstattung einen Streich: Man spricht von aufgeriebenen militärischen Einheiten. Sand jedoch ist selbst nichts anderes als zerriebenes oder aufgeriebenes Gestein. Die Wirkung des Bildes von den Konvois, die unter Sandfontänen begraben werden, besteht aber wesentlich darin, dass etwas Festgefügtes, Schweres (womöglich etwas vor allem aus Metallen Gefertigtes) und auch Menschengemachtes von etwas nicht-Festem, Leichtem und Natürlichem überdeckt wird, dass dieses Natürliche und Unbegrenzte die Oberhand behält. Wenn aber die Konvois ohnehin schon aufgerieben sind, also dem Bild nachgesprochen, ohnehin schon zu Sand oder zu einer Art Sand geworden sind, dann könnte man genau genommen gar nicht sehen, wie diese Konvois unter Sandfontänen begraben werden.

Das Bürokatische und das Ungeschickte finden sich auch in diesem Satz, in dem sie nicht einfach zurückgekehrt wäre, sondern sich der Rückkehr zu erst einmal zugewendet hätte: "[...] - vielleicht hätte sie sich aus der Deckung der Legföhren sogar erleichtert der Rückkehr an den See zugewandt, um nie wiederzukommen."(Seite 127)

Und verlangt der phraseologische und umständliche Satz "Mit einem Geschick, das von seinem Rausch völlig unbeeinträchtigt schien [...]"(Seite 89) nicht nach einer Übersetzung ins Deutsche? - Mein Vorschlag: So geschickt, als wäre er nicht betrunken...
Auch fällt hier Ransmayr die unerwünschte Nebenbedeutung von Geschick, nämlich Schicksal, ebensowenig auf wie die Tatsache, dass im nächsten der idiomatische und übertragene Sinn der Wendung jemandem in den Rücken fallen, gerade dieser Beschreibung selbst in den Rücken fällt:
"Der Schmied ist ein dünner Mann, der so plötzlich stehengeblieben ist, daß ihm ein Nachkommender in den Rücken fällt."(Seite 27)
Denn hier soll dieses In-den-Rücken-Fallen nur als (allerdings wenig überzeugende) Beschreibung gelesen werden.

*

Dass zwischen fehlerhafter Wortwahl, mangelnder sprachlicher Ökonomie, den papieren-phraseologischen, den pleonastischen und auch den ornamental prunkvollen, nach rhetorischen Effekten haschenden Zügen von Ransmayrs Schreiben ein Zusammenhang besteht, lässt sich an so manchen Sätzen seines Romans erkennen: "...und schliesslich mit Füllhaltern auf holziges Papier mehr graviert als geschrieben, war Stellamours Name längst unauslöschlich im Gedächtnis einer neuen Generation bewahrt."(Seite 38 f.)
Dass etwas im Gedächtnis bewahrt wird, sagt doch schon, dass es nicht ausgelöscht wird. Das hier sowohl pathetisch auftrumpfende als auch abgedroschene unauslöschlich - es könnte aus einer Politikerrede oder einer Sonntagspredigt stammen - ist überflüssig, und das um so mehr, als ohnehin nur von dem Gedächtnis einer neuen Generation die Rede ist. (Würde von vielen Generationen die Rede sein, dann hätte das Betonen der Unauslöschlichkeit des im Gedächtnis Bewahrten noch eine gewisse Berechtigung.)

Und es ist wohl auch dieser Zwang zu unvermittelter und heftiger rhetorischer Wirkung, der für die Mängel des nächsten Satzes mitverantwortlich ist:
"Reglos lauschte Bering dann den Stimmen der Angst."(Seite 19) Diese Stimmen der Angst sind, wie aus dem Zusammenhang hervorgeht, das aufgeregte Gackern von Hühnern. Das Wort Stimmen ist hier deshalb denkbar ungeeignet, weil man zwar von Vogelstimmen spricht, aber im Zusammenhang mit dem Singen von Vögeln, also von Vogellauten, die, wie es wenigstens ein traditioneller und geläufiger Topos will, in ihrem Wohltönen und in der formelhaften Wiederkehr ihrer Phrasen und Phasen stark an die menschliche Stimme, ja, an den menschlichen Gesang erinnern. Hühner aber singen gerade in diesem Sinn nicht.
Was zu dem ungemässen Gebrauch des Wortes Stimmen aber wohl zuerst geführt hat, war Ransmayrs Drang zu der pathetisch aufgedonnerten Formel von den Stimmen der Angst. Und nicht nur die Formel insgesamt, die so wenig zu dem panischen Gackern von Hühnern passt, ist unangemessen, sondern auch das Wort Angst, ist es doch ein Wort, das, anders als das Wort Schrecken - das eine unmittelbare Reaktion auf einen als bedrohlich empfundenen Reiz bezeichnet - einen seelischen oder inneren und damit prononciert menschlichen Zustand benennt; einen Zustand, der gar keine unmittelbare, äussere Ursache haben muss, einen Zustand, der - etwa in der existentiellen Philosophie seit Kierkegaard - nicht zufällig zum Gegenstand philosophischer Reflexion geworden ist.

Zu so grossen Worten wie das Nichts, die Ewigkeit und das Chaos gehört auch die Welt, eines von Ransmayrs Lieblingswörtern, ein Wort, das in vielen Sätzen vorkommt und auch in diesem Satz wie aus der Sonntagsbeilage einer Zeitung:
"[...] wo nicht nur das Glück und das Leben ihrer Opfer, sondern eine ganze Welt zu Ende ging."(Seite 116)

Und es darf auch nicht einfach der Lärm sein, sondern es muss gleich der Lärm der Welt sein - "Der Lärm der Welt drang nun ungemildert auf ihn ein." (Seite 21) - oder auch der Weltlärm, der in diesem Satz aber nicht die einzige bombastische Formel ist: "Tief im Inneren der großen Musik einer Band mußte er den schmerzhaften Weltlärm nicht mehr aus seinen eigenen Lungen und aus seiner eigenen Kehle übertönen..."(Seite 147)
- Tief im Inneren der großen Musik....! - Stammt das aus einem Trivialroman oder aus seiner Parodie?

"Und selbst wenn ihm die Lautstärke eines Konzerts manchmal das Gehör zu sprengen drohte und ihn für einige Sekunden ertauben ließ, empfand er noch in dieser plötzlichen, klingenden Stille die geheimnisvolle Nähe einer Welt, in der alles anders war als am Ufer und in den Bergen von Moor."(147 f.)
Einmal abgesehen von Ransmayrs Raunen von der geheimnisvollen Nähe einer Welt: Nicht nur manchmal ist hier, wie in so manchen anderen seiner Sätze, überflüssig, nicht nur ist auch hier der chronometrische Ausdruck Sekunden unglücklich (da es um die Empfindungen Berings geht, nicht um das "objektive" Messen von Zeit): auch dass die Lautstärke eines Konzerts droht, das Gehör zu sprengen, ist seltsam: Einmal ist Lautstärke ein stark wissenschaftlich oder wenigstens durch Sachlichkeit geprägter Begriff (am Lautstärkenregler steht das Wort Lautstärke), der deshalb das eine subjektive Empfindung ausdrückende Bild vom Gehör, das gesprengt wird, schwächt. Geschwächt wird dieses Bild ausserdem noch dadurch, dass die Lautstärke (gemäss einer zeitungsdeutschen Formel) nur damit droht, das Gehör zu sprengen. Eine Drohung, die dann, obwohl sie nicht wahrgemacht wird, doch dazu führt, dass er (Bering) für einige Sekunden ertaubt. (Dieses Ertauben wird offenbar durch eine Vorstufe jener Gehörsprengung verursacht.) Und schliesslich ist es widersprüchlich oder wenigstens ungenau, hier zuerst von der Lautstärke des ganzen Konzerts zu sprechen, und dann davon, dass diese offenbar ein für alle Male gegebene Lautstärke manchmal droht, das Gehör zu sprengen.

*

Zwei Fehler, die eigentlich jeder Lektor bemerken müsste, finden sich im nächsten Satz, und einer hat (wie in dem Beispiel des Sehens aus Moorer Sicht) wiederum mit Sicht oder Sehen zu tun: "Jener zerschossene, von Algenfahnen umwehte Dampfer gleichen Namens aber, der immer noch vor den Piloten des alten Stegs in der Tiefe lag, schien mit jeder neuen Fahrt unsichtbarer zu werden, so, als ob Schaufelräder, Schraube und Ruderblatt seiner Nachfolgerin nicht bloss den Sand und Schlick des Grundes aufwirbelten und die Sicht trübten, sondern das Vergessen selbst."(Seite 91).
Der Name ist derselbe und nicht der gleiche (auch wenn es das wenig schöne, nämlich papierene Wort gleichnamig gibt), und wenn etwas schon unsichtbar ist, dann kann es nicht noch unsichtbarer werden, ausser vielleicht in einem surrealistischen Text, in dem auch viereckige Kreise oder runde Quadrate vorkommen können. Ransmayrs Satz enthält aber noch ein schwerwiegenderes Versehen: Beschrieben wird das Verblassen der Erinnerung an den alten Dampfer angesichts des neuen. Am Ende jenes Satzes heisst es aber: "[...] nicht bloß den Sand und Schlick des Grundes aufwirbelten und die Sicht trübten, sondern das Vergessen selbst." Wenn aber das Vergessen getrübt wird, wird dann nicht gerade das Erinnern geklärt oder erhellt? Wollte Ransmayr also nicht im Gegenteil schreiben, dass das Erinnern selbst getrübt wird?
Oder meint er: so, als ob nicht bloss Schaufelräder, Schraube und Ruderblatt seiner Nachfolgerin Sand und Schlick des Grundes aufwirbelten und die Sicht trübten, sondern das Vergessen selbst"? (Schief aber wäre dann das Bild vom Aufwirbeln des Sands; denn Bewegung ist normalerweise eher mit dem Erinnern verbindbar, das allerdings auch manches trüben könnte - zum Beispiel die Wahrnehmung eines Gegenwärtigen.)

"[...] und wie das Herz eines Sauriers ein auf schwere Holzblöcke gewuchteter Motorblock ohne Kolben und Ventile, schwarz, ölverschmiert und so riesig, daß er unmöglich jemals zu einem der Fahrzeuge unter den Bäumen gehört haben konnte."(Seite 52)
Dieser Satz verfängt sich in der Komplexität der Logik, in diesem Fall der Modallogik. Es geht hier um die Konstruktion: er unmöglich jemals...dazu...gehört haben konnte. Unmöglich ist logisch gleich kann nicht sein. Also lässt sich die Ransmayrsche Konstruktion in diese transformieren: er konnte nicht jemals dazu gehört haben können; sie zeigt, dass hier ein können zu viel vorkommt.

"Denn obwohl es in den ersten Verhören unter Elliots Kommando zu den am heftigsten geleugneten Tatsachen gehörte, wußte mittlerweile doch jeder am See, dass die meisten der Toten im Massengrab am Fuß der Großen Schrift auf dieser Treppe gestorben waren."(Seite 47)
Es ist zunächst die Entgegensetzung (obwohl), die diesen Satz unsinnig macht: Dass eine Tatsache in einem Verhör geleugnet wird, widerspricht nicht dem Wissen von jedem am See, dass das Geleugnete eine Tatsache ist. (Ausser man setzt voraus, dass die Tatsache, die im Verhör geleugnet wird, gerade deshalb auch ausserhalb des Verhörs verschwiegen wird. Aber dafür spricht in Ransmayrs Text nichts.)
Ob Ransmayr meint und also sagen will: Obwohl bald jeder wusste, dass die meisten der Toten im Massengrab am Fuß der Großen Schrift auf dieser Treppe gestorben waren, gehörte diese Tatsache in den ersten Verhören unter Elliots Kommando zu den am heftigsten geleugneten?
Und selbst wenn man behauptet: eine Tatsache zu leugnen, bedeute nicht, eine einem selbst offenkundige Tatsache abzustreiten, also wissentlich die Unwahrheit zu sagen, selbst wenn man also in Ransmayrs Satz das dann missverständliche Wort Tatsache weglässt (Denn obwohl es in den ersten Verhören unter Elliots Kommando beinahe am heftigsten geleugnet wurde...), bleibt der Satz wiederum durch das Wort mittlerweile unsinnig. Denn wenn zunächst jene Tatsache unbekannt war und deshalb (von den Leugnenden aus gesehen zu Recht) in Verhören geleugnet wurde, dann steht das nicht im Widerspruch dazu, dass zu einem späteren Zeitpunkt jeder von ihr weiss.
Zudem enthält der dritte Teilsatz - "dass die meisten der Toten im Massengrab am Fuß der Großen Schrift auf dieser Treppe gestorben waren" - selbst noch einen gravierenden Fehler...Er besteht darin, dass Ransmayr hier Tote sterben lässt! Und das ist nicht nur eine Frage der Logik, sondern hier bleibt die Dramatik des Sterbens, auf deren Darstellung es doch eigentlich ankommt, unerfahrbar; das Resultat des Sterbens, nämlich tot zu sein, wird damit vorweggenommen, dass das Sterben nur Toten geschieht.
Zur Unklarheit des ganzen Satzes mag schliesslich noch beitragen: die Regeln der Zeitenfolge werden in ihm nicht befolgt. mittlerweile verrät, dass das Wissen aller um den Ort des Sterbens der meisten Toten zu einem späteren Zeitpunkt eintritt als die ersten Verhöre. Der erste Teilsatz verlangt also nach dem Plusquamperfekt. (In dem entsprechend reformulierten Satz könnte dann das wenig schöne mittlerweile wegfallen.)

Im folgenden Satz ist von einem Schiff die Rede, das auf dem Moorer See schwimmt:
"Parfümiert vom stechenden Aroma frischer Farbe und dem Teer der Kalfaterung, unter der Wasserlinie immer noch mit Muschelkränzen besetzt [...]"(Seite 62)
Das Wort Parfüm hat (nach Dudens Fremdwörterlexikon) zwei Bedeutungen: "1. Flüssigkeit mit intensivem (länger anhaltenden) Duft (als Kosmetikartikel).
2. Duft, Wohlgeruch."
Duft ist das Gegenteil von Gestank, und ein Parfüm ist damit und der Duden-Definition zufolge eine Flüssigkeit oder ein Duft, der wohlriechend zu sein beansprucht (wenn auch Parfüms nicht von jedermann als wohlriechend empfunden werden müssen). Wenn man nun behauptet, etwas sei parfümiert, dann muss man auch annehmen, dass es wohlriechend ist. Ein stechendes Aroma kann also normalerweise keine Eigenschaft von etwas sein, das parfümiert ist. Diese Wendung wäre nur plausibel, wenn von einem parfümiert in ironischem Sinn die Rede wäre oder (wie für den Kontext dieses Satzes plausibler) das subjektive Empfinden der Bevölkerung von Moor angedeutet werden soll, die vor lauter Freude oder Aufregung über das Schiff dessen Gestank vielleicht als einen Wohlgeruch erlebt. Aber würde sie diesen Geruch dann auch als stechend erleben? Müsste der Erzähler dann nicht auch irgendwie klarmachen, dass gerade jenes Stechende des Geruchs nicht mehr als solches erlebt wird?
Dazu kommt noch ein hier verwirrender Mangel an sprachlicher Ökonomie: nämlich das Wort Aroma. Denn auch Aroma ist (laut Duden Fremdwörterlexikon) in der Bedeutung, die hier in Frage kommt,"ein deutlich ausgeprägter, (angenehmer) würziger Duft, Wohlgeruch von etwas (besonders eines pflanzlichen Genußmittels)", also wiederum ein Wort, das durchaus positive Konnotationen hat. Parfümiert vom (stechenden) Geruch frischer Farbe und dem Teer der Kalfaterung würde doch auch reichen, ob nun jene Passage ironisch gemeint ist oder als Darstellung der Empfindungen der Moorer Bevölkerung.
Doch nicht genug damit: Jene Bedeutung von parfümieren, die hier beansprucht wird, ist laut Duden: mit Parfüm betupfen, besprühen. Die Wortfolge, so wie sie da steht, bedeutet: besprüht, betupft von einem Parfüm (= von wohlriechender Flüssigkeit) des stechenden Aromas (= des Wohlgeruchs frischer Farbe); oder - gemäss der zweiten Bedeutung von Parfüm - etwa: eingehüllt von einem wohlriechenden Duftstoff des stechenden Aromas (= des Wohlgeruchs frischer Farbe). Zufolge der zweiten Bedeutung von Parfüm beziehungsweise Parfümieren ist dieser Satz pleonastisch.
Aber auch das ist noch nicht alles: Denn liest man so, dass der Pleonasmus nicht auftritt, also besprüht oder betupft von der wohlriechenden Flüssigkeit des Wohlgeruchs frischer Farbe, dann ist das Bild wiederum widersprüchlich, nämlich sprachlogisch unsinnig: Denn wie kann ein Aroma (= Wohlgeruch), also etwas Gasförmiges, zugleich eine Flüssigkeit sein, die das Schiff besprüht oder betupft?

Ein weiteres Beispiel dafür, wie eng Verstösse gegen die sprachliche Logik mit dem inkonsequenten Gebrauch von Bildern zusammenhängen:
"Einige der Beschenkten können sich nicht mehr auf den Beinen halten, krümmen sich, sinken in die Knie. Endlich darf jeder gehen, wohin er will, zum erstenmal seit Jahren wieder, wohin er will."(Seite 25)
Da können sich die Beschenkten nicht mehr auf den Beinen halten, sinken in die Knie, und die Folge davon ist, dass endlich jeder gehen kann, wohin er will!

"Durch das Verschwinden der Brüder zum einzigen Sohn und Erben befördert, übernahm Bering nach diesem Unglück die Werkstatt aus den Händen des tappenden Vaters, beruhigte in den Nächten seine von mehr und mehr Erscheinungen, schliesslich von verklärten Heerscharen heimgesuchte Mutter und erfüllte neben diesen Pflichten nun widerwillig auch die eines Schmiedes von Moor."(Seite 49)
In diesem Satz gibt es mindestens zwei Ungereimtheiten. Da ist zunächst das Bild der Übernahme der Werkstatt: Es müsste schon ein Gulliver in einer Zwergenwelt sein, der einem anderen Riesen die Werkstatt eines Zwergs in die Hände legt. Aber damit noch nicht genug: Der Vater hält nicht nur die Werkstatt in den Händen, sondern er tappt dabei auch noch - was man ja auch mit den Händen tun kann. Dann hätte dieser arme Vater tatsächlich mehr als alle Hände voll zu tun!

Manchmal sind die Bilder, die Ransmayr gebraucht, nicht schief oder blind gebraucht, sondern einfach völlig unmotiviert; wie in dem folgenden Satz das Bild vom Kernstück: Beginnt aber Literatur nicht erst dort, wo jedes Bild Folgen hat, nämlich seine Konsequenzen über den Text hin entfaltet, sich mit allen anderen Bildern zu jenem Gewebe von Beziehungen verbindet, in dem das unmittelbar Mitgeteilte zu nur einem Aspekt einer Gestalt wird, die auch das enthält, was sonst verloren geht?


<li><a href="../index.html">e.journal</a> : [ <a href="../toc-nf.html">Inhalt</a> ]<br> <li><b>es.say</b> : [ <a href="toc.html">Inhalt</a> | <b>Lagebericht</b> ]<br>
·^·