Der dritte Mann - auf den Spuren eines Filmklassikers


Franz Krahberger

Der Wiener Czernin Verlag hat im Oktober 2002 im Historischen Museum der Stadt Wien einen umfangreichen Bild - und Textband zur Enstehungsgeschichte des Filmklassikers Der dritte Mann vorgestellt. Der Bildteil wurde von Frederick Baker in Form eines umfangreichen Bildessays eindrucksvoll mit Standfotos aus dem Film, mit Aufnahmen vom Set, vor und hinter den Kulissen sowie aus dokumentarischen Bildmaterial aus dem Wien der Nachkriegsjahre gestaltet.
Den eigentlichen Kern des Buches bildet jedoch der Text von Brigitte Timmermann, die in detailreicher Kenntnis die Entstehungs- wie die Erfolgsgeschichte des Films in 10 Kapiteln, die jeweils mit dem Bild-Essay von Baker abwechseln, schildert.
Abgesehen von der umfassenden Darstellung der Entwicklung und der Produktion des Filmes vom Drehbuch bis zum finalen Schnitt des grossartigen Filmes, der kongenialen Zusammenarbeit von Regisseur Carol Reed, dem Autor Graham Greene und des Wiener Musikers Anton Karas, bietet der Text über wesentliche Aspekte internationaler wie auch österreichischer Filmgeschichte hinaus eine kenntnisreiche Schilderung der sozialen und politischen Situation des besetzten und vom Krieg zerstörten Wiens vor dem sich im Hintergrund bereits aufbauenden historischen Prospekts des Kalten Krieges. Brigitte Timmermann hat hier nicht nur eine ausgezeichnete Filmografie, sondern eben auch ein gutes Stück Zeitgeschichte vorgelegt.
Einmal mehr wird deutlich gemacht, dass dieser Film selbstverständlich kein österreichischer Film ist, obwohl er als perfekte Momentaufnahme Wiens zu einem bestimmten Zeitpunkt gelten kann. Er steht so ausserhalb aller Klischees Wiener Walzerseligkeit, die jahrzehntelang den Stil des Wien Films prägten. Das ist kein Wien mit himmelblauer Operettenseligkeit. und trifft so hart den patriotischen Stolz des damaligen österreichischen Kinopublikums.
Allein schon der Part des musikalischen Hintergrunds von Anton Karas, dem einzigen Österreicher, der in diesem Film eine Hauptrolle spielt, dieses Exponenten ansonsten gemütlicher Wiener Heurigenromantik, zur düstereren im Zwielicht des Schiebermilieus einer demoralisierten und besetzten Stadt sich abspielenden Handlung, erzeugt einen völlig anderen Blickwinkel auf das harmoniesüchtige österreichische Selbstverständnis jener Zeit.
Brauchtum, Volksverbundenheit, dörfliche Religiosität, Mutterliebe und das „typisch Österreichische“ stehen bei der neu zu definierenden nationalen Identität Vordergrund, Filme wie „Rendezvous im Salzkammergut“ belegen den wiedergefundenen gefundenen Stolz auf das eigene Land und die Hoffnung auf einen baldigen wirtschaftlichen Aufschwung. Franz Antels „Auf der Alm da gibt’s ka Sünd“ mit Maria Andergast und Susi Nicoletti, Gustav Ucickys Frauenschicksal „Cordula“ mit Paula Wessely und Attila Hörbiger oder der auf die Geschicke Österreichs zurückgreifende Film „Erzherzog Johanns grosse Liebe“ mit Marte Harell und Rudolf Prack - sie alle kommen im selben Jahr wie der „Der dritte Mann“ in die österreichischen Kinos.
Ein Image übrigens, das von der kläglichen englischsprachigen ORF-TV Produktion Hello Austria-Hello Vienna, in vorgeblicher Referenzierung amerikanischen Geschmacks, bis in die Gegenwart verlängert worden ist.
Drastischer lässt sich der Gegensatz zwischen eigenem Verständnis und dem begleitenden Blickwinkel Carol Reeds auf die Wiener Seele, die insgesamt in Nebenrollen von herausragenden österreichischen Schauspieler(inn)en verkörpert wird, nicht zeigen.

Deutlich macht auch das Projekt „Dritter Mann“ die Rolle, die Österreich im künftigen internationalen Geschehen zugewiesen bekommt. Nebenschauplatz, Kulisse, Nebenrolle und Statisterie.
Ein Bild, das die künftige Wahrnehmung des Landes in seiner Ambivalenz im internationalem Masstab mitprägen sollte. Ein düsterer Ort am Rande der freien Welt, der zu einem späteren Zeitpunkt wiederum in seinen Verstrickungen in nationalsozialistische Verbrechen ins Gerede kommen wird.
Wer so wie dieses Land und diese Stadt in den Abgrund der Geschichte gefallen ist, kann über sein künftiges Image nicht mehr selbst bestimmen und kann es im nachhinein auch nur mehr teilweise korrigieren.
Tatsächlich zeigen die Produktionsbedingungen gerade dieses international überaus erfolgreichen Films jene Verhältnisse, denen sich das Land künftighin zu fügen hatte.
Regie, Finanzierung, Drehbuch die Hauptdarsteller und Projektumsetzung sind in britischen wie amerikanischen Händen.

Sowohl Holly Martins (Joseph Cotten) und Harry Lime (Orson Welles) sind einem nicht näher definierten Geheimdienstmilieu zuzuordnen.
Was sich da nun im Schiebermilieu und im wahrsten Sinne des Wortes im Untergrund der Wiener Kanalisation so nebenbei an Spy- Athmosphere abspielt, hat seine reale Entsprechung der Besatzungszeit wie in der Neugestaltung der 2.Republik.
In Wien wimmelt es von Agenten und Informanten - unter den Alliierten, in höchsten österreichischen Regierungsstellen und im Polizei- und Sicherheitsapparat, in der Medienlandschaft wie in der Kulturszene, aber auch in der Wirtschaft. Ob unter Österreichern verschiedener politischer Ausrichtung und aus allen sozialen Schichten kommend, unter Flüchtlingen , zivilen oder militärischen sowjetischen Überläufern oder Abenteurern - die hier tätigen Geheimdienste können auf der Suche nach willigen Agenten aus dem Vollen schöpfen. Die Verdienstmöglichkeiten sind gut: Aus amerikanischen Geheimdienstakten geht hervor, dass ein hauptamtlicher Agent monatlich bis zu 200 US-Dollar verdienen konnte, seine Dienste oft auch mit Carepaketen, Alkohol-oder Zigarettenrationen bezahlt wurden. In Wien beginnt so manche steile Agentenkarriere. Wer sich hier bewährt, ist bei allen Spionageorganisationen in aller Welt geschätzt. besonders gefragt sind Leute mit Nazi-Geheimdiensterfahrung, je stärker belastet. desto besser, und da wieder jene aus Österreich, von denen man annehmen kann, dass sie über potenzielle Osterfahrung verfügen.

Graham Greene selbst kannte die Sphäre der Dienste, er war während der Kriegsjahre und offensichtlich auch danach für die Military Intelligence MI 6 des britischen Geheimdienstes tätig gewesen. In dieser Eigenschaft hat er Kim Philby, den englischen Topspion, der zu den Sowjets übergelaufen ist, kennengelernt und dürfte mit ihm befreundet gewesen sein. So gesehen könnte Der dritte Mann auch die Verarbeitung seiner persönlichen Geschichte der Distanzierung von einem Verräter gewesen sein. Umgekehrt liess sich Greene wiederum von einem dritten Mann beraten, der auch Philby gut gekannt zu haben scheint, vom ehemaligen Kommunisten und gebürtigen Wiener Peter Smolka, der noch bis zu Ende der 70 er Jahre die Diplomatenzeitung Austria Today redigierte, ebenso ein Überläufer, bzw. Doppelagent, eben nur in die andere Richtung.

Als eine nicht unwichtige Randnote bleibt die Wiedergabe eine Fotos zu erwähnen, das Orson Welles Ankunft auf dem Wiener Südbahnhof zeigt. Begrüsst wird er von Marcel Pravy und von Ernst Haeusserman, beide zu diesem Zeitpunkt noch Cultural Officers der USA und Repräsentanten von ISB, Information Services Branch, des US Informationsdienstes.
Beide sollten im weiteren einen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung des österreichischen Kulturlebens der 2. Republik ausüben.

Der Dritte Mann - auf den Spuren eines Filmklassikers
Timmermann, Brigitte / Frederick Baker
Czernin Verlag 2002
ISBN 3-7076-0143-9


 




 


 


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