Hansjörg Zauners Gedichtband luft verkehrt stock papier und die Lage literarischer Dinge

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© Franz Josef Czernin

Die Poesie ist ausserordentlich oder sie ist nicht. Denn sie selbst ist das, was Ordnung dar- oder herstellt, in ihr selbst sollen alle Dinge, vom ersten bis zum letzten, geordnet sein. So bedeutet jedes Gedicht nicht weniger als alles, wenn auch alles auf seine, nicht zuletzt durch es selbst bedingte und bestimmte Weise.
Wie jedes andere Ding ist auch jedes Gedicht einzig, wenn auch nicht notwendig einzigartig. Denn die Poesie folgt, wenn auch begrifflich nicht hinreichend fass- oder festlegbaren, Gesetzen. Muss die Poesie, um zu sein, auch ausserordentlich sein, so hat und sie ist immerhin Gründe, so abgründig diese auch sein mögen.
Da ein Gedicht alles bedeutet, besagen die Gesetze, denen es folgt, nicht, was es bedeuten und was es nicht bedeuten kann, sondern, auf welche Weise Gedichte alles sind oder bedeuten und deshalb auch, auf welche Weise ein bestimmtes Gedicht alles ist und bedeutet. So ist die Poesie selbst das (mehr oder weniger) geordnete Zusammenspiel einer unabsehbaren, vielleicht unendlichen Reihe solcher Gesetze, die in jedem einzelnen Gedicht wirksam sind.
Denn jedes einzelne Gedicht hat Anteil an den Gesetzen (den Gründen oder Abgründen) der Poesie, die es, wie die Ordnung aller anderen Dinge, nicht zuletzt selbst her- oder auch darstellt.
Alles also erscheint auf bestimmte, für die Poesie gesetzmässige Weise in einem Gedicht; doch in jedem Gedicht liegen (wie in jeder anderen Ordnung) manche Dinge näher, andere aber ferner, ja es gibt auch beinahe unendlich Fernes für jedes Gedicht, das für es kaum vorhanden, und doch wirksam ist. Ein Gedicht ist zum Beispiel nicht in erster Linie eine andere Form der Äusserung, es liegt etwa heute (doch diese Dinge mögen sich ändern) zumeist nicht nahe, dass es in erster Linie eine Predigt; es ist auch wohl kaum einmal so sehr Wissenschaft, wie es Gedicht ist, es ist auch nur unter sehr besonderen Umständen vor allem politische Verlautbarung, und es ist fast jederzeit so gut wie unmöglich, dass es ungefähr das ist, was ein Zeitungsartikel ist. Und dies, obwohl es auch zur Poesie gehört, in irgendeiner Linie alles zu sein, so dass es auch Zeiträume geben mag, in denen die Poesie in hohem Maß Predigt, Wissenschaft, Moral usw. ist, ja vielleicht auch irgendwann und irgendwo einmal einen Augenblick lange ein stummer Stein.

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Was ist Dummheit im Umgang mit der Poesie? Sie ist eben das, was sie im Umgang mit allen anderen Dingen ist, das alltägliche Quid pro quo. Sie hält die Poesie, die doch nur dann ist, wenn sie ausserordentlich ist, für etwas, das nichts als ein Ding unter anderen Dingen, nichts als eine Ordnung unter anderen Ordnungen sein soll. Und weil diese Dummheit nicht begreift, dass die Dinge in der Poesie von Grund auf anders liegen sollen als ausserhalb der Poesie, hält sie das, was ausserhalb eines Gedichtes naheliegt auch für das, was das Gedicht selbst in erster Linie ist.
So wird die Poesie, eben weil sie ausserordentlich oder nicht ist, alltäglicherweise nicht gerne als das wahrgenommen, was sie ist; weil sie entweder grundlegend ist oder nicht, legt sie einen Grund, der nicht allgemein dafür gehalten wird;.und weil die Poesie nicht ist, wenn sie nicht ein erstes oder letztes Ding ist, hält man sie häufig für gegenstandslos und meint, nichts anderes als sachlich zu sein, wenn man sie nur dort finden will, wo die anderen Dinge so liegen, wie sie dies eben gewöhnlich tun. Dass die Poesie, dieses erste oder letzte Ding, den anderen Dingen der Welt erst das Gesetz geben könnte (so der romantische Dichter Shelley), kommt kaum jemandem auch nur in den Sinn, der für den wahren und also auch für den Wortsinn gehalten wird.
Weil die Poesie ist, wie sie ist, ist die Lage der literarischen Dinge nicht die der Poesie. Es werden aus mancherlei Gründen Romane, Theaterstücke oder Gedichte geschrieben. Sie liegen dann so, wie all die anderen Dinge liegen, die weder die ersten, noch die letzten sind. Überall will man Dinge, die man schon kennt, Gründe, die man schon hat, Ordnungen oder auch Unordnungen, die es schon gibt. Da aber hat die Poesie nichts zu suchen, um so mehr aber zu finden hat dort, was den Anschein von Poesie erweckt. (Manchmal erweckt auch die Poesie selbst den Anschein von Poesie; dann gerät sie unversehens unter die anderen Dinge und wird für etwas anderes gehalten als sie ist.)
Die Lage der literarischen Dinge ist nicht die der Poesie, sondern die der meisten anderen Dinge. Gerade weil die literarischen Dinge dort sind, wo die Poesie nicht ist, geht alle Welt viel lieber mit ihnen um als mit der Poesie selbst. Diese gewöhnlichen und ordentlichen oder gewöhnlich unordentlichen Dinge treten deshalb in den Zeitungen, den Rundfunkanstalten, in all den Medien an Stelle der Poesie in Erscheinung. Denn auch die Medien vermeinen, einer Welt eine Art Gesetz zu geben, und sie haben auch, wie es scheint, die besten Gründe dafür, werden sie doch, im Gegensatz zur Poesie (so wie sie Shelley sieht) als Gesetzgeber allgemein anerkannt.
Die Welt, in der die literarischen Dinge dort sind, wo die Poesie wäre, wenn sie anerkannt würde, will nicht wissen, wie schwer es unter den Umständen, die ihre eigenen sind, jemand hat, der Poesie hervorbringt, die dort ist, wo noch kein Grund gelegt, keine Ordnung geschaffen und jedes Ding erst im Begriffe ist, erkannt zu werden.
Ein Dichter wie Hansjörg Zauner spricht von Grund auf, ausserordentlich; er spricht im Wortsinn bedingend und deshalb unbedingt; seine Poesie spricht dort, wo es sonst an Worten fehlt. Ein Dichter wie er kann deshalb kaum in Erscheinung treten. Wo die unbemerkte Sprachlosigkeit herrscht, das Gerede, wo die mediengemässen Gescheitheiten, die Diskussionen und Diskurse stattfinden, lässt er sich nicht hören, und aller Wahrscheinlichkeit nach wird deshalb auch seine Poesie überhört.

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In dem eben erschienenen Gedichtband Hansjörg Zauners findet sich dieses Gedicht:

die tafel schreibt
auf der schrift
so wird bewegung geschnitten
oder flattern verspritzt
so ist jeder schuß schokolade
und die grotte ein turm
das zuspätsein kommt also zu früh
es hat den hörfehler verwechselt
und umhergeleert griff
um uns herum ist ein innen
das auch ein schmelzen ist
läßt flattern die tafel
fällt hinein in die schrift
so ist turm der boxer
und karotte aus schokolade
ganz weich schält sich messer ab dabei

Es ist kaum vorstellbar, dass, wie der erste Vers sagt, eine tafel tatsächlich auf der schrift schreibt, jedenfalls, wenn es eine Schreibtafel oder ein Esstisch ist und nicht eine Tafel schokolade (Vers 5). Sie könnte allenfalls als Schreibgerät verwendet werden, wenn sie nur weich genug ist; doch dies noch viel eher, wenn sie keine Tafel mehr ist, sondern, wie es sein könnte (vorletzter Vers), Karottenform angenommen hat.
Auch dass eine grotte, also eine Höhlung, geradewegs ihr Gegenteil, ein turm, sein soll (Vers 6), leuchtet keineswegs ein; auch kann man sich weder eine Schreibtafel, noch einen Esstisch, noch eine Tafel Schokolade, wie es Vers 12 doch verlangt, gut flatternd vorstellen; und es ist wenigstens sehr unklar, wie es wohl sei, wenn flattern verspritzt wird und ein griff umhergeleert. Und warum ist der turm nicht nur eine grotte, sondern auch ein boxer oder - denn Vers 14 ist grammatikalisch doppeldeutig - der boxer ein turm? Steht der boxer da wie ein turm, türmt er sich auf? Und wie soll es möglich sein, dass sich ein messer selbst abschält(letzter Vers)? – Die Gedichte Zauners nähern sich jener Vorstellungsgrenze, an der viereckige Kreise und verheiratete Junggesellen warten - ohne allerdings diese allein begrifflich widersprüchlichen Kombinationen zu erreichen. Denn irgendwie kann man sich sogar eine Schreibtafel oder auch einen Esstisch vorstellen, die auf der schrift schreiben; vielleicht wäre eine solche tafel nicht flach, sondern leicht gewölbt und hätte Noppen, aus denen, wenn sie auf etwas anderes gedrückt werden, Tinte quillt. Will man jedoch die materiellen Dinge und ihre Beziehungen so, wie wir sie zu kennen glauben, in den Formeln des Gedichtes wiederfinden, muss man jedenfalls reichlich unwahrscheinliche Annahmen machen.
Und wenn man versuchte, das, was in den Gedichten gesagt wird, als Darstellung seelischer oder mentaler Zustände zu verstehen? Vielleicht ist die tafel ja weniger aus schokolade oder eine Schreibtafel oder ein Esstisch, sondern ein Bild, eine Metapher; etwa für ein inneres Gesetzgeben, das sich irgendwie der Schrift, die vielleicht die Gedanken sind, einschreibt. Und der schuß schokolade könnte die Bezeichnung für einen angenehmen (süssen) Gefühlszustand sein; wie es auch das innen, das ein schmelzen ist, andeuten könnte. Die karotte aus schokolade des vorletzten Verses könnte dann für eine Reihe diffus vermengter erotischer Sehnsüchte stehen. Und auch das messer, das sich ganz weich abschält, mag in den Verdacht geraten, eher einen qualvollen inneren Vorgang als eine physikalische Realität zu bezeichnen. Sehr weit jedoch käme man mit einer Zuordnung dieser Art wohl auch nicht; es gibt da zu viele Möglichkeiten und keine ist selbstverständlich und überzeugend und allesamt passen nicht recht zueinander.

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Das Gedicht nicht plausibel als Darstellung der bekannten äusseren oder inneren Welt lesen zu können, ist Bedingung dafür, dass die anscheinend so verlässliche Beziehung der Sprache zu ihren Gegenständen fragwürdig wird; das Gedicht legt nahe, seine Sprache von jedem bekannten Wirklichen abzulösen, ja loszureissen.
In den Vordergrund tritt dafür etwas anderes: die Logik sprachlicher, insbesondere begrifflicher oder kategorialer Beziehungen. - Wenn es schon kaum vorstellbar ist, wie eine Schreibtafel tatsächlich auf der schrift schreibt, so lässt sich doch durch diesen Satz etwas anderes begreifen, etwas Allgemeineres: die Klassifikation von Dingen in Mittel und Zwecke, etwa in den Zweck des Schreibens und in sein Mittel, das die tafel sei; oder die Klassifikation von Dingen in Zeichen und in den Raum zwischen ihnen, etwa in die Schriftzeichen und das von ihnen Ausgesparte. Möglich wird dies erst durch die Umkehrung des in in diesem Zusammenhang erwartbaren Satzes, der besagt, dass die schrift auf der tafel schreibt. Dieser würde jene Klassifikationen und damit auch die klassifizierten Verhältnisse, weil sie selbstverständlich angenommen würden, unmerklich und also im Hintergrund belassen.
Nicht zufällig also finden sich einige vergleichbar umgekehrte Verhältnisse in dem Gedicht. So etwa im letzten Vers (ganz weich schält sich messer ab dabei): da wird das Werkzeug, das Mittel messer, das normalerweise dazu bebraucht wird, um einen Zweck zu erreichen (hier: etwas anderes abzuschälen), zu dem, was sich selbst abschält; es wird sich also selbst zum Zweck. Gegen sich selbst gewendet wird das Mittel als solches deutlich und zugleich seine Klassifikation als Mittel. Und diese Umkehrung erinnert wiederum an den Gegen- oder Widersinn einer grotte, die ein turm ist (Vers 6) - Die grotte kann ja auch als eine Art Gegenteil eines Turms, als gleichsam negativer Turm gedacht werden. So werden die Kategorie des leeren Raumes und die seines Gegenteils, des raumverdrängenden Gegenständlichen, merklich. Andererseits ist jener turm, der eine grotte ist, auch einer karotte (vorletzter Vers) vergleichbar. Denn auch diese mag als turmförmig angesehen werden und deshalb - wächst eine Karotte doch nach unten, in die Erde - als ein verkehrter oder negativer Turm. Auch damit wird ein Verhältnis - und mit ihm, eine Möglichkeit zu klassifizieren - erkennbar. Die Verbindung aber zwischen der karotte, die vielleicht ein turm ist, und dem turm, der eine grotte ist, wird um so näher gelegt, als sich grotte und karotte reimen, so dass sich hier ein Bedeutungskreis in einem Reim schliesst. Eine weitere, vergleichbare Umkehrung: das messer, zumeist das Harte schlechthin, wird in dem Gedicht genannt (letzter Vers). Damit mag es sich so ähnlich verhalten wie mit dem Schuß Schokolade (Vers 5). - Denn auch ein Schuß ist in mancher Hinsicht eine harte Sache, hier aber vielleicht schokoladeweich, ja flüssig. (Die Sprache von Kochrezepten klingt an.) Da Schokolade leicht geschmolzen werden kann, passt dieses Schokoladeflüssige zu einem innen, das auch ein schmelzen ist (Vers 11). Dieses innen jedoch ist selbst wiederum ein Äusseres, denn es ist ja um uns herum, also gewissermaßen ein umgedrehtes Innen. Auch hier ist es die Umkehrung des Erwartbaren, die dazu zwingt, die möglichen vertrauten Gegenstandsbeziehungen hintanzustellen, so dass das Augenmerk auf die Gegensatzverhältnisse selbst gelegt wird: auf hart/weich und innen/aussen. Und entsprechen diese Umkehrungen nicht ihrerseits dem Gegensatz zwischen Vordergrund und Hintergrund, und erinnern sie also nicht in manchem an das im Gedicht umgekehrte Verhältnis von tafel und schrift? Und sind alle diese Umkehrungen nicht zudem auf verschiedene Weise jene Fehler und Verwechslungen, von denen das Gedicht - dann selbstbezüglich - redet? Ähneln sie nicht dem zuspätsein, das zu früh kommt(Vers 7), das ja selbst wiederum ein verwechselter hörfehler ist (Vers 8), so dass da eine vielfache Verwechslung oder Verfehlung im Spiel ist, und eben diese Vervielfachung wie mit Fingern auf die Kategorien oder Begriffe deutet, unter die sie fällt, und deshalb auch auf das Gedicht insgesamt, das nicht zuletzt deshalb nicht leicht als Wiedergabe oder Darstellung einer Wirklichkeit ausserhalb seiner selbst verstanden werden kann? Dass die tafel aus dem ersten Vers, die tafel, die auf der schrift schreibt, gar keine Schreibtafel sein muss, sondern auch eine tafel schokolade oder ein Tisch sein kann, an dem getafelt wird (zum Beispiel ein Nachtisch, der mit einem schuß schokolade versehen wurde), dass zu den merkwürdig umgedrehten Verhältnissen auch noch Vieldeutigkeiten und Unstimmigkeiten in den Vordergrund treten, ist eine weitere Bedingung dafür, die Sprache des Gedichts von jedem bekannten Wirklichen abzulösen oder loszureissen. Ebenso tragen die Beziehungen zwischen den unterschiedlichen Motiv-, aber auch Laut- oder Buchstabenbereichen dazu bei: Ob etwa die tafel nicht auch deswegen flattert, weil in dem Wort flattern alle Buchstaben von tafel enthalten sind? Und ist vielleicht der turm auch deshalb ein boxer oder der boxer ein turm, weil das Zusammenspiel von Assonanzen und Bedeutungsumkehrungen in grotte, karotte, boxer und schokolade die Beziehung herstellt?

Der Sprachraum selbst, die Ordnung der Bedeutungen, so wie sie sich durch ihr Zuammenspiel mit den Lauten oder Buchstaben des Gedichtes darstellt, tritt also in den Vordergrund, will in seiner Eigenmacht, seinem Eigensinn erfahren und erkannt werden. So wird nicht nur das Kategorienbilden, das Klassifizieren, das sonst Hintergrund ist - gleichsam die Tafel, auf der die bezeichneten Dinge sichtbar werden sollen -, zum Vordergrund, sondern auch die Beziehungen zwischen den verschiedenen Möglichkeiten des Kategorienbildens oder Klassifizierens. Die Dinge aber, wie wir sie sonst kennen, verschwinden.

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In Zauners Gedichten wird der Sprachraum beinahe so eigenständig oder eigensinnig, wie es der musikalische Raum, als Inbegriff all der Umkehrungen, Spiegelungen, Variationen zwischen musikalischen Parametern, in einer musikalischen Komposition zumeist ist. Und wie das verständige Hören von Musik verlangt das Verstehen des Gedichtes die Übertragung seiner Ordnung auf andere Dinge. Denn so sehr jene sprachlichen Verhältnisse auch in den Vordergrund geraten mögen, sie stehen nicht nur für sich selbst. Weil aber der Sprachraum die üblichen Verbindungen zu den Dingen gelöst oder abgerissen hat und deshalb die vorgegebene Zuordnung einzelner Wörter oder Sätze zu Dingen oder Tatsachen nicht ohne weiteres gelingt, können diese Gedichte die Beziehung zwischen Sprache und Dingen neu und von Grund auf her- oder darstellen. - die Sprache kann sich unter den Bedingungen dieser Gedichte anders und auf anderes beziehen.
Zum einen wird dieses Andere begreifbar in den kategorialen oder klassifikatorischen Beziehungen selbst. Der kategoriale oder Begriffs-Raum des Gedichtes insgesamt, beispielsweise die abstrakten Beziehungen zwischen Formeln wie die tafel schreibt auf der schrift, die grotte ist ein turm, um uns herum ist ein innen und zwischen grotte und karotte, ja die Summe solcher Beziehungen, kann dann als Verkörperung einer Ordnung anderer, nicht-sprachlicher Dinge erkannt werden, die ansonsten verborgen bleibt oder gar nicht existiert. Denn eben jene Beziehungen gewinnen körperliche Eigenschaften, werden selbst zu einem Ding, zu einer Gestalt, die als Übertragung anderer Dingverhältnisse begriffen werden kann, diese her- oder darstellt.
Zum anderen, jedoch untrennbar davon, wird die Ordnung nicht-sprachlicher Dinge auch fühlbar in Gestik und Gebärde der Sätze des Gedichtes. Sie sind in Bau und Wortstellung zumeist prosaisch und ametrisch und folgen ohne starke grammatikalische Abhängigkeit aufeinander. Nur zweimal ein verbindliches so (3. und 14. Vers) und einmal (7.Vers) ein also; nur einen einzigen hypotaktischen Satz gibt es in dem Gedicht (Vers 10 bis 13), doch eben dieser schwächt die Wirkung seiner syntaktischen Komplexität durch liedhaft-anaphorische Wiederholung ab. Im Zusammenhang mit dem ständigen und gleichförmigen Vertauschen oder auch (das Übliche als Maßstab) Verwechseln aller Dinge, mit dem wie mutwilligen und manchmal verzweifelt-komischen Umkehren des Erwartbaren und mit dem zwanghaften Durchspielen permutativer Möglichkeiten entsteht die Wirkung einer seltsamen Drehorgelmusik, die sich einmal rascher, dann wieder langsamer oder gar stockend fortbewegt. Auch das offenbare Ausgeliefertsein an die wie unverantwortliche Zufälligkeit reimender Wörter (grotte/karotte), und dies im Zusammenspiel mit der fast kindersprachlichen Einfachheit der Sätze und ihrer definitorischen - die grotte ist ein turm, der turm ein boxer, das innen ist ein schmelzen - oder einfache Sachverhalte behauptenden Form (die tafel schreibt auf der schrift, die karotte ist aus schokolade, ganz weich schält sich messer ab) trägt zu dieser Wirkung bei.

Alle Momente des Sprachraums - die begrifflichen oder kategorialen Beziehungen, die Laut- oder Buchstabenordnung und die Gestik oder Gebärde der Sätze - greifen ineinander, um die wirklichen Gegenstände des Gedichtes darzustellen oder zu verkörpern. Doch dies nur im Verein mit einem weiteren Moment, das wiederum zum Ausgangspunkt der Betrachtung zurückführt - zu der Schwierigkeit, das Gedicht als wörtliche Darstellung von äusseren Dingen oder Tatsachen, so wie wir sie zu kennen glauben, oder auch als metaphorische Darstellung innerer Zustände zu lesen.
Denn diese, zu gewissem Grad scheiternden, jedenfalls nicht zu überzeugenden Lösungen führenden Versuche, gehören selbst zur Wirkung des Gedichtes: Wenn das Gedicht etwa die Frage provoziert, wie es denn vorstellbar sei, dass die tafel auf der schrift schreibt, und welche tafel (Schreibtafel, Esstisch oder Schokolade) denn gemeint sei, dann rücken erst mit der Schwierigkeit, klare Antworten im Sinne der vertrauten Welt zu geben, die begrifflichen, sinnlichen und satzgestischen Aspekte des Gedichtes in den Vordergrund, die eben in dem Prozess dieses In-Den-Vordergrundrückens den ihnen eigenen Sinn erhalten. Umgekehrt gehört zum Sinn des Gedichtes dann auch das Scheitern der Versuche, seine begriffliche oder auch seine klangliche, rhythmische oder satzgestische Ordnung zu verlassen: Jedesmal, wenn die Immanenz des Gedichtes verlassen werden will, wird man darauf gestossen, wie unwahrscheinlich oder spekulativ die Hypothesen sind, die notwendig sind, um die Sätze als Darstellungen bekannter oder innerhalb des Bekannten möglicher Tatsachen zu lesen. So gerät man zurück in den Kreislauf der immanenten Verweise, die ihre eigene Gegenständlichkeit verlangen. Doch was wäre dann der Sinn dieses Gedichtes?
Keine das Gedicht auch nur annähernd erschöpfende generalisierende Bezeichung gibt es, keine überzeugende begriffliche Resultante der gegensätzlichen Formen des Umgangs, die das Gedicht verlangt. Doch vielleicht lässt sich der Zustand, der durch das Gedicht gegenwärtig wird, als ein fundamentales wieder- und wiederkehrendes Sich-Selbst-Verfehlen, Erneut-Suchen und Sich-Wieder-Verfehlen andeuten. Dann würden nicht von ungefähr in manchen Gedichten des Bandes auch jene Begriffe, die zu ontologisch verschiedenartigen oder gegensätzlichen Bereichen gehören, Teil der Kombinatorik:

das maul einer mücke
ist ein aufgeschnittenes foto
das in speisen zusammenrinnt
oder fällt aus zeitschaum in lupen
die schachtel als rinnen
und diese mücke fegt maul
ohne fleisch und ohne wörter
durch das es jetzt kollert
als schnitt um den mundberg knoten
so bin ich kein körper
nur der wortduft faden
oder die fotoschaufel reifen
im spiegelloch film
es fließt im faden gehschaum
der spiegel bricht die gegend
im kübel zerfällt das haus

Vielleicht also wird in diesen Gedichten die Verfassung der Welt selbst wirksam: die sinnlose wechselseitige Abhängigkeit aller Dinge, ihr auswegloses Aufeinander-Verwiesensein oder ihre so gleichförmige wie ziellose Verwandelbarkeit. Wenn nicht einmal der Wechsel der ontologischen Bereiche einen Ausweg bietet, wenn der Unterschied zwischen Wirklichkeit und ihrem Bild, zwischen Bild und Spiegel, zwischen Spiegel und Photographie und Film, zwischen Film und Wirklichkeit keine fundamentalen Unterschiede zu machen erlaubt, wenn etwa zwischen der Sprache und dem, was sie darstellt, nicht mehr Unterschied herrscht als zwischen Äpfeln und Birnen: dann wird alles als geschlossenes oder sich ständig schliessendes System erfahren. Der Sprach- und der Dingraum verwandeln sich dann in ein Labyrinth, zu einer immer in die Irre führenden Folge von Beziehungen, die sich aufeinander endlos übertragen lassen. Nichts als ein System von Spiegelungen (spiegel ist eines der häufigsten Worte in dem Band) existierte dann: Ähnlichkeiten führen dann zu Unterschieden, die Vergleiche hervorrufen, die zu Ähnlichkeiten führen, die Unterschiede bedingen, die sich in anderen Unterschieden spiegeln - in einem immer wieder in sich selbst zurückführenden Ablauf. So würde das Kategorien-, das Begriffe- und mit ihm das Welt-Bilden mitsamt den dadurch hervorgebrachten oder wenigstens bestimmten Dingen als so verhängnisvoller wie unverrückbar-gesetzmässiger Zusammenhang blossgelegt.
Vielleicht stellen sich also in Hansjörg Zauners Gedichten alle Dinge als Gefängnis her oder dar, dessen Gitter Wort- für Dingkombination ergriffen werden, während sich der Gefangene doch in jenem Gefängnis nur suchen kann, sich jedoch immer verfehlen muss. Die unwahrscheinlichsten Kombinationen werden ausprobiert, extreme Begriffskollisionen in Kauf genommen, das anscheinend Unsinnige ausgehalten - und doch scheint es weder ein Entkommen, noch ein Sich-Selbst-Finden zu geben. Und eben deshalb wird das Gesuchte, das, wie man nach Nietzsche sagen kann, welt-bildende Tier, nur als sich ständig entziehender Fluchtpunkt, ja als das ganz Andere erahnbar. Denn was dann erreichbar bleibt, ist nur die schrecklich-schöne Sprachmusik, hervorgerufen durch jenes Tier: durch sein unablässiges Treten der Sprachräder, oder durch sein zähneknirschendes Aneinanderreiben aller Dinge - in einem Gedicht, das sich selbst als ihr Grund darstellt, als ihr erstes oder als ihr letztes Ding.

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