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DAS HOHE UND DAS BANALE


© Franz Josef Czernin

Bemerkungen zu einigen verbreiteten Einseitigkeiten oder Missverständnissen.

1

Schlimm scheint das Schicksal zu sein, welches das Hohe, und nicht nur in den Künsten, in den, sagen wir, letzten hundertdreissig Jahren - spätestens seit den ersten naturalistischen Programmen - erlitten hat. Das Hohe hat sich, so hat man bis vor kurzem häufig sagen gehört, unmöglich gemacht. Es sei eine Täuschung, eine Lüge, falscher Schein; es mache sich - gleichsam - schuldig an seinem Gegenteil, etwa am Alltäglichen, am Niedrigen oder eben am Banalen. Wenn sich inzwischen vielleicht auch so etwas wie eine Renaissance des Hohen anbahnt, so überwiegen, wenigstens in den Reflexionen zu zeitgenössischer Kunst, jene Vorwürfe an das Hohe noch immer deutlich.

Natürlich kann niemand so genau sagen, was das Hohe und das Banale in den Künsten, aber auch ausserhalb von ihnen, eigentlich sind. Was das Hohe im Zusammenhang mit den Künsten angeht, insbesonders mit der Literatur, so hat das auch damit zu tun, dass der Begriff des Hohen (und damit auch der seines Gegenteils; wie immer man es bezeichnen mag) eine in der Antike beginnende, und wie jede, widerspruchsvolle Geschichte hat. Und zu dieser Geschichte gehört auch, dass die Begriffe des Hohen und des Banalen mit anderen verbunden werden und das wiederum auf sehr verschiedene Weisen. Der Begriff des Hohen etwa wird mit jenen des Erhabenen, des Schönen, des Pathetischen oder des Feierlichen verknüpft oder auch mit jenen des Schwierigen und Komplexen (so wird heute manchmal, vielleicht auch um ihrer angeblichen Schwierigkeit willen, die ganze Literatur als hohe Literatur bezeichnet); der Begriff des Banalen wird etwa mit den Begriffen des Niedrigen, des Alltäglichen, des Trivialen, des Einfachen oder auch des Unterhaltenden verbunden.
Und die Relationen zwischen jenen Begriffen können selbst wiederum alle möglichen Formen annehmen. Da wurde das Hohe, etwa als Erhabenes oder Schönes, als das Banale enttarnt, als Schwulst, Bombast, Prunk oder leeres Ornament, wie, umgekehrt und vor allem in jüngerer Zeit, das Banale oder Niedrige als das eigentlich Hohe verklärt. Aber auch das Schöne und das Erhabene wurden nicht nur miteinander identifiziert, sondern auch einander entgegengesetzt, genauso wie das Triviale und das Einfache oder das Banale und das Unterhaltende. Selbst in den notwendig vereinfachenden Darstellungen in historisch- philosophischen und in rhethorischen Wörterbüchern erscheint die Geschichte dieser Begriffe als so komplex, diffus und widersprüchlich, dass man versucht ist zu glauben, diese können, wenn überhaupt, erst dann zur Ruhe kommen, wenn alle denkbaren Relationen zwischen ihnen durchgespielt sein werden.

Will man nicht überhaupt versuchen, ohne sie auszukommen, so scheint das Beste zu sein, was man mit so diffusen und geschichtsträchtigen Begriffen tun kann, sie im Zusammenhang mit bestimmten Gegenständen, zum Beispiel Kunstwerken, zu gebrauchen, ihre Bedeutung also ad hoc zu entwickeln. Man kann dann diese Gegenstände als Beispiele oder Hinweise ansehen, wenn es darum geht, zu verallgemeinern und Vorschläge zu machen, worauf sich jene Begriffe überhaupt beziehen oder nicht beziehen können.
Doch bekanntlich ist dieses Anwenden der Begriffe des Hohen und des Banalen auf bestimmte Dinge, zum Beispiel auf Kunstwerke, selbst untrennbar von allgemeinen Vorstellungen davon, was diese Begriffe enthalten können und was nicht. Und diese allgemeinen Vorstellungen selbst können mehr oder weniger verständlich oder angemessen sein.
Ich glaube nun, dass sie heute zumeist (vielleicht sind sie es aber zu jeder Zeit) sehr wenig verständlich oder angemessen sind, nämlich sehr einseitig und insofern missverständlich; einmal, insofern sie aus dem Umgang mit Gegenständen, etwa bestimmten Kunstwerken, unvermittelt oder blindlings verallgemeinern, und zum anderen, insofern sie bestimmte einseitige Vorstellungen davon, was diese Begriffe enthalten können und was nicht, unvermittelt auf Gegenstände, zum Beispiel auf Kunstwerke, anwenden.
Das, was ich da als einseitig oder missverständlich ansehe, werde ich als Vorwürfe gegen das Hohe formulieren. Es geht mir aber nicht darum, das Hohe an und für sich zu rechtfertigen, sondern eben um einen verständlicheren, angemesseneren Begriff sowohl des Hohen als auch des Banalen und damit auch um eine angemessenere Anwendung dieser Begriffe im Zusammenhang mit bestimmten Kunstwerken.
Insofern aber vorausgesetzt wird, dass die Einseitigkeiten des Verstehens sowohl der Kunstwerke als auch der Begriffe, die in ihrem Zusammenhang eine Rolle spielen, die Geschichte ihrer Reflexion erst herstellen, ist auch meine eigene Skizze zum Gebrauch der Begriffe des Hohen und des Banalen wiederum ein Teil dieser Geschichte, und das heisst auch: durch ihren vergangenen und gegenwärtigen Gebrauch im Zusammenhang mit ihren Gegenständen bestimmt. Unter dieser Voraussetzung ist auch meine Beschreibung von Einseitigkeiten oder Missverständnissen, die im Zusammenhang mit den Begriffen des Hohen und des Banalen häufig und geläufig sind, und ihre Konfrontation mit Gegen- Verständnissen einseitig und historisch und damit, bestenfalls, vergleichsweise erhellend oder angemessen, bestenfalls also weniger missverständlich. Und dasselbe gilt dann auch für meinen Versuch, einige der Beweggründe oder Hintergründe für jene Einseitigkeiten oder Missverständnisse anzudeuten.

2

Der erste Vorwurf gegen das Hohe, das jetzt auch das Erhabene ist oder das Feierliche oder Pathetische: gerade insofern es das Hohe sei, könne es die Wirklichkeit nicht wiedergeben oder darstellen.
Dieser Vorwurf gegen das Hohe gehört der Realismus-Diskussion an und kann mit mindestens vier Annahmen verbunden werden, die, wenn es gegen das Hohe geht, häufig, und wie ich meine, zu Unrecht, als unbefragbar hingestellt werden.
Die erste Annahme: die Wirklichkeit selbst ist banal oder niedrig und nicht etwas Hohes oder Erhabenes. Die zweite Annahme: diese banale oder niedrige Wirklichkeit existiert unabhängig von ihrer Darstellung oder Wiedergabe oder kann wenigstens von ihr unterschieden werden. Die dritte Annahme: gerade insofern das Hohe oder Erhabene das Hohe oder Erhabene ist, kann es die Wirklichkeit, die banal oder niedrig ist, nicht darstellen oder wiedergeben. (Was nicht impliziert, dass nur eine banale oder niedrige Form der Darstellung die banale oder niedrige Wirklichkeit wiedergeben oder darstellen kann.) Die vierte Annahme: die Wirklichkeit, die unabhängig oder wenigstens unterscheidbar von ihrer Darstellung existiert, ist hoch oder erhaben (oder: manche ihrer Aspekte sind hoch oder erhaben), aber eine hohe oder erhabene Darstellungsform kann dieser Wirklichkeit nicht gerecht werden.

Der Dogmatismus der ersten Annahme, dass die Wirklichkeit selbst banal oder niedrig sei und nicht hoch oder erhaben, liegt offen zu Tage, und als Antwort reicht hier vielleicht, darauf hinzuweisen, dass die Annahme, die Wirklichkeit sei eine hohe oder erhabene, wenigstens auf der Ebene begrifflicher Festlegung genauso akzeptabel ist wie ihre Antithese.

Die Antwort auf die zweite Annahme, dass jene banale oder niedrige Wirklichkeit unabhängig von ihrer Darstellung oder Wiedergabe existiere oder wenigstens von ihr unterschieden werden könne, und sich diese Darstellung oder Wiedergabe jener Wirklichkeit somit zu fügen habe, wird in den Realismus- Diskussionen heute häufig gegeben. Einige wesentliche Aspekte dieser Antwort lassen sich so zusammenfassen: Gerade angesichts des anscheinend viel überzeugenderen Anspruchs auf Wahrheit der Darstellung in den Naturwissenschaften ist dieser Vorwurf an das literarische Hohe insofern fehlgeleitet, als er die Darstellungsabhängigkeit jeglicher Wirklichkeit unterschlägt oder unterschätzt. Wenn der Verismus in den Naturwissenschaften sich einerseits durch die erfolgreiche Unterscheidung zwischen Darstellung und Dargestelltem rechtfertigen lässt, andererseits durch die Möglichkeit, den Wahrheitsanspruch der Darstellung durch Experimente zu überprüfen, dann hat die Literatur nichts Vergleichbares zu bieten. Wenn dazu noch der Verismus- oder Wahrheitsanspruch naturwissenschaftlicher Theorien, wie die philosophische Reflexion dieses Wahrheitsbegriffs zeigt, dann selbst problematisch ist, wenn er eine darstellungsunabhängige Wirklichkeit annimmt, dann gilt das um so mehr für den veristischen Anspruch an eine Literatur. Es gibt kein Kriterium dafür, die Wirklichkeit, welche Literatur darzustellen sucht, von ihrer Weise, sie darzustellen, zu unterscheiden (geschweige denn als unabhängig von ihrer Darstellung zu setzen), das nicht selbst Literatur ist beziehungsweise Voraussetzung oder Resultat der Deutung von bestimmten literarischen Texten.
Und so gesehen gibt es auch keine Möglichkeit, die Annahme einer banalen, niedrigen Wirklichkeit von dieser Annahme konsequent zu unterscheiden, geschweige denn die Möglichkeit, die Annahme einer unabhängig von ihrer Darstellung existierenden Wirklichkeit von dieser Annahme.

Zur dritten Annahme, das Hohe oder Erhabene könne, gerade insofern es hoch und erhaben sei, die Wirklichkeit, die banal, niedrig, etwa alltäglich ist, nicht wiedergeben oder darstellen: Frei nach Emile Zola wird dabei meist mitgedacht: Wenn die Straße, auf welcher der Spiegel des Kunstwerks steht, das Banale oder Niedrige ist, dann soll die hohe oder erhabene Darstellung, in der das Banale oder Niedrige nicht wiedererkannt werden kann, Unrecht haben oder eine Art von Lüge sein. Wem gegenüber da Unrecht getan oder was da belogen wird, das ist also die aller hohen oder erhabenen Darstellung als entgegengesetzt vorausgesetzte Wirklichkeit, die banale, alltägliche Realität. Die hohe oder erhabene Form der Darstellung ist hier insofern das, wörtlich verstanden, Welt-Fremde, als sie nicht die Wirklichkeit wiedergibt oder darstellt.

Die Einseitigkeit der Annahme, das Hohe oder Erhabene könne, gerade insofern es hoch und erhaben sei, die Wirklichkeit, die banal oder niedrig oder alltäglich ist, nicht wiedergeben oder darstellen, zeigt sich wiederum dann, wenn man die Antithese aufstellt: Wenn die Straße, auf welcher der Spiegel des Kunstwerks steht, das Hohe oder Erhabene ist (etwa im Sinne des Ausserordentlichen), dann ist die banale oder auch nur die nicht-hohe oder nicht-erhabene Darstellung eine Art Lüge, Schein usw. Und die nicht-hohe oder nicht-erhabene Darstellung ist dann jenes Welt-Fremde, insofern sie nicht die Wirklichkeit wiedergibt oder darstellt. Will man den Dogmatismus beider Annahmen vermeiden, dann bietet sich eine Paraphrase an zu Wittgensteins berühmtem Wort, Die Welt des Glücklichen ist eine andere als die des Unglücklichen: Das Hohe oder Erhabene ist einfach ein anderer Aspekt der Welt als das Banale oder Niedrige. Und damit liesse sich auch eine hohe oder erhabene Darstellungsform rechtfertigen.

Eine Antwort auf den Ausschluss des Hohen oder Erhabenen, den jene Annahme enthält, könnte aber auch darin bestehen, die hohe oder erhabene Darstellung als die Form eines Prozesses zu begreifen, der das Banale, Niedrige oder Alltägliche verwandelt, einschmelzt und somit gewissermaßen enthält. (Man würde dann allerdings nicht ohne weiteres von der Wiedergabe des Banalen oder Niedrigen sprechen können und ohne grössere terminologische Verrenkungen auch nicht von seiner Darstellung.) Auch diese Antwort wird bekanntlich in ästhetischen Diskussionen manchmal gegeben.
Würde man da aber nicht auf ein Bild angewiesen bleiben, das selbst poetisch ist, auf so etwas wie einen Mythos des Ästhetischen? - Wenn die hohe oder erhabene Form der Darstellung das verwandelte Niedrige oder Banale ist, dann besteht das Poetische dieses Bildes darin, dass etwas, das als Nicht- Darstellendes oder Nicht-Ästhetisches gesetzt wird, durch eine mysteriöse Transformation eine hohe oder erhabene Darstellung, also zu etwas Ästhetischem werden soll. Und besteht das Mysteriöse dieser Transformation nicht darin, dass sie entweder vorauszusetzen nahelegt, dieses Banale oder Niedrige sei nicht nur etwas Unmittelbares, sondern selbst zeichenhaft, oder, die Form der Darstellung sei nicht nur etwas Vermitteltes oder Zeichenhaftes, sondern auch etwas Unmittelbares? Diese Antwort hätte also den Nachteil, analytisch unbefriedigend zu sein, das heisst: eine Poesie der Poesie oder eine Dialektik des Verhältnisses zwischen Darstellung und Dargestelltem zu beanspruchen, welche den Unterschied zwischen Kunstwerk beziehungsweise zwischen Zeichen und Wirklichkeit nicht absolut setzt, sondern als eines der Momente einer Wirklichkeit und Zeichen umfassenden Realität.
Diese Poesie der Poesie oder Dialektik, zeigt ihr Mythisches vielleicht deutlicher, wenn man sie umgekehrt entwickelt, indem man behauptet, das Niedrige, Banale, etwa im Sinne des Alltäglichen sei das, worin sich die hohe, erhabene Form der Darstellung verwandelt, wenn sich ihre ästhetischen Qualitäten verdünnen oder verwässern. So wie in manchen gnostischen Traditionen diese, unsere Welt der Abfall oder die verwässerte Form von höheren oder reineren Welten ist, wäre das Niedrige oder Banale, etwa im Sinne des Alltäglichen, der Abfall oder die verwässerte Form ästhetisch reinerer Welten.

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Die vierte Annahme, die Wirklichkeit, die unabhängig oder wenigstens unterscheidbar von ihrer Darstellung existiere, sei selbst (oder wenigstens in einigen ihrer Aspekte) hoch oder erhaben, während ihr aber gerade hohe oder erhabene Formen der Darstellung nicht gerecht werden könnten, bedarf einer Erläuterung. Unterstellt wird, hohe oder erhabene Darstellungsformen seien gerade in Bezug auf als hoch oder erhaben gedachte Gegenstände - wie etwa die Liebe, den Tod, die Ausweglosigkeit menschlichen Schicksals oder die Natur - die Garanten dafür, dass diese Gegenstände nicht oder nicht angemessen wiedergegeben oder dargestellt werden. Gerade angesichts der wirklichen Erhabenheit dieser Dinge sei die hohe oder erhabene Darstellungsform etwa zur Lächerlichkeit, zur unfreiwilligen Komik verurteilt oder auch zur peinlichen Sentimentalität. (Ein gemalter Sonnenuntergang sei notwendig Kitsch, heisst es da zum Beispiel.)
Das Hohe oder Erhabene wird angesichts seiner nur vorgeblichen Übereinstimmung mit diesen Gegenständen zum unfreiwillig Banalen, Trivialen. Gerade die Trivialliteratur, etwa die Liebes- und Schicksals-Romane in Heftform, insofern sie wenigstens Elemente hoher Darstellungsformen gebrauchen (etwa feierliche Lyrismen, schmückende Beiwörter, Abstraktion oder Verallgemeinerung etc.) sind dann nur die krassesten Beispiele für den angeblich notwendig scheiternden Versuch, hohen und erhabenen Gegenständen mit hohen oder erhabenen Darstellungen gerecht zu werden. Unterstellt wird dabei auch, dass die hohe oder erhabene Darstellungsform einer bestimmten Intensität der Wirklichkeit oder ihres Erlebens nicht gerecht werden könne; bestimmte Dinge könne man so nicht darstellen, ohne diese Dinge zu verraten.
Auch diese Annahme enthält übrigens nicht, dass hier niedrige oder banale Darstellungen gefordert werden, sondern nur, dass hohe oder erhabene Darstellungsformen vermieden werden sollen. Gefordert wird zum Beispiel Nüchternheit, Klarheit (wenn das Hohe auch als Dunkles verstanden wird), vielleicht auch Genauigkeit der Beschreibung oder Versenkung ins Detail, wenn, wie manchmal, zu diesem Vorwurf der Unangemessenheit der hohen oder erhabenen Darstellungsform auch gehört, dass sie ein allzu hohes Maß von Abstraktion beziehungsweise Verallgemeinerung enthalte. Gefordert wird in diesem Zusammenhang aber auch manchmal Ironie, versteht man diesen Begriff als Titel für alle Möglichkeiten, Distanz zu den eigenen Darstellungsmitteln zu bezeugen.

Der Dogmatismus besteht hier in der Annahme, hohe oder erhabene Darstellungsformen scheiterten notwendig an einer Wirklichkeit, die als hoch oder erhaben angesehen wird. Und dieser Dogmatismus zeigt sich wiederum darin, dass die Antithese, nicht-hohe Darstellungsformen scheitern notwendig an als hoch oder erhaben begriffenen Gegenständen, nicht weniger plausibel wäre. Und auch diese These wird nicht nur manchmal vertreten, sie ist die eigentlich klassische These: In der antiken Rhetorik, ob nun bei Cicero oder Quintilian, entspricht der erhabene Stil auch erhabenen Themen, ja können bestimmte erhabene Themen oder Gegenstände nur mit Hilfe des erhabenen Stils dargestellt werden.

Wenn nun aber jenseits dieser Dogmatik und also im Zusammenhang des Umgangs mit bestimmten Kunstwerken sowohl die Annahme plausibel sein kann, hohe oder erhabene Darstellungsformen scheiterten an einer als hoch oder erhaben vorausgesetzten Wirklichkeit, als auch die Annahme, nicht-hohe oder nicht- erhabene Darstellungsformen, warum sollte dann nicht auch die Annahme plausibel sein, alle künstlerischen Darstellungsformen, also sowohl hohe als auch nicht-hohe oder banale oder niedrige scheiterten an jener als hoch oder erhaben vorausgesetzten Wirklichkeit? Und tatsächlich hat auch diese Annahme eine Tradition; sie spricht nicht nur in dem Bilderverbot mancher Religionen mit, sondern vielleicht auch in Platons Verdikten gegen die Kunst und schliesslich auch in manchen Worten und manchen Taten der klassischen Moderne: so auch im Dadaismus, etwa in Raoul Hausmanns oder Walter Serners Schriften (Serner: "Jede Kunst ist eine Kinderkrankheit"), überhaupt in dem Versuch, jegliche Kunst von aussen zu sehen, von einer Wirklichkeit aus, der die Kunst nur spotten könne, deren Darstellung durch die Kunst notwendig unangemessen sei.

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So missverständlich der unbefragte Gebrauch jener realistischen Annahmen ist und damit etwa auch die Behauptung der notwendigen Unangemessenheit hoher oder erhabener Darstellungsformen und so dogmatisch die Leugnung der Existenz von hohen oder erhabenen Gegenständen, so wenig kann der Wert dieses Vorwurfs gegen das Hohe unter bestimmten historischen Umständen oder bezogen auf einzelne Kunstwerke bestritten werden.
Man kann jenen Vorwurf gegen das Hohe etwa im Zusammenhang mit Säkularisierung, Metaphysikkritik, der zunehmenden Bedeutung der Naturwissenschaften, allgemein im Zusammenhang mit Aufklärung sehen und, was die Literaturgeschichte selbst angeht, als Reaktion einerseits auf einen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts herrschenden Gipsklassizismus verstehen, der - wohl zum guten Teil - missverständlichen Rezeption der Werke Schillers und Goethes, oder andererseits auch als Reaktion auf die Romantik, wenigstens auf ihre antiaufklärerischen, weltflüchtigen und parareligiösen Tendenzen.
Aber auch jenseits von Antworten auf bestimmte ästhetische und geistesgeschichtliche Traditionen gibt es berechtigte Kritik an hohen oder erhabenen Darstellungen, denn auch in einzelnen zeitgenössischen Kunstwerken gibt es unangemessene Verklärung, falsche Erhabenheit, unglaubwürdige Feierlichkeit oder aufgesetztes Pathos, und das auch als Ergebnis des Scheiterns an hohen oder erhabenen Gegenständen. Etwa für meine Begriffe (und um nur ein Beispiel zu nennen) in den jüngsten Werken Peter Handkes. Zweifellos gibt es den Fall, dass - unter der Voraussetzung realistischer Interpretation - etwa weihevoller, hochgestochener Ton, Hohes, angemaßtes Erhabenes gerade insofern das verfehlt, was dargestellt werden soll. Und umgekehrt gibt es ja auch den falschen, nach Adorno, hohlklingenden Versuch, Kunstwerke durch vorausgesetzt hohe oder erhabene Gegenstände bedeutend zu machen, gleichsam über ihre Darstellungsmittel hinweg, einen Versuch, dessen Scheitern wiederum zu dem Schluss verleiten kann, die Kunst sei überhaupt ungeeignet, hohe oder erhabene Gegenstände darzustellen.
Weder der Einsatz des (in der Rhetorik so genannten) grossen Stils, etwa hymnischer oder dithyrambischer Formen, noch, auf welche Weise auch immer, über Liebe, Schicksal, das Göttliche oder die Natur zu schreiben (wenn das hohe, erhabene Gegenstände sind) garantiert bedeutende Kunstwerke. - Nun, beinahe alle geben diese beiden diametral gegenüberliegenden Möglichkeiten ästhetisch zu scheitern zu, doch so manche gehen in der Hitze der Rezeption des Zeitgenössischen entweder dem weihevollen, feierlichen Ton oder der Vorgabe hoher oder erhabener Gegenstände auf den Leim. (Ein Beispiel für das zweite, aus jüngster Zeit: der Roman Schlafes Bruder von Robert Schneider.) Und es ist vielleicht gerade wieder dieser Umstand, der aus jenem gegebenenfalls berechtigten Vorwurf gegen das Hohe die Behauptung macht, hohe oder erhabene Darstellungen seien notwendig unangemessen.

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In dem von realistischen Annahmen aus geführten Kampf gegen das Hohe oder Erhabene als Darstellungsform kann noch ein guter Grund enthalten sein, nämlich der, unter vielen ästhetischen und historischen Umständen berechtigte, Widerstand gegen ihr Verallgemeinerndes, Abstrahierendes: Angenommen, Hölderlins späte Hymnen, Novalis' Hymnen an die Nacht oder etwa auch Mallarmés, Trakls oder Georges Gedichte seien Beispiele für Hohes, im Sinne des Erhabenen und des grossen Stils, so haben Texte dieser Art gemeinsam, einem bestimmten Begriff des Einzelnen oder Besonderen nicht gerecht zu werden. Die hohe oder erhabene Form der Darstellung enthält insofern stark verallgemeinernde, abstrahierende Züge, als nur vergleichsweise allgemeine Bezeichnungen gebraucht werden können: In einem Gedicht von Trakl etwa kann vielleicht das Wort Hut vorkommen, aber nicht die Wörter Zylinder, Bowler, Steirer- oder Tirolerhut. Hoch oder erhaben sind also bestimmte Darstellungsformen auch insofern, als sie das, was sie bezeichnen, gleichsam wie von weit oben bezeichnen, von einem Punkt, von dem aus die Dinge nur mehr in ihren allgemeinen, vielleicht auch wesentlichen Eigenschaften erscheinen. Und nicht zufällig geschieht der berühmte Schritt vom Erhabenen zum Lächerlichen oder vom Hohen zu seiner Parodie gerade dann, wenn Allgemeines, in diesem Sinn Abstraktes, mit Konkretem, Einzelnem, zum Beispiel Lokalem, kollidiert: Wenn etwa in hohen, höchsten Tönen von Steirerhüten gesprochen wird oder von dem grossen, erhabenen Gegenstand Freiheit, dies aber in Krähwinkel. Eine Elegie auf das Waldviertel oder eine Hymne für einen bestimmten politischen Führer oder eine politische Partei ist aus diesem Grund entweder von vornherein zum ästhetischen Scheitern verurteilt oder dazu, Parodie zu sein. Auch dieser Kampf gegen das Hohe kann also berechtigt sein. Gerade die grossen realistischen Romane des neunzehnten Jahrhunderts lassen sich als der erfolgreiche literarische Versuch verstehen, das Allgemeine durch das oder in dem Einzelnen zu vermitteln, das Beispielhafte oder Wesentliche in einem reich gegliederten Feld von anscheinend kontingenten Differenzierungen zu versenken oder es in ihm erscheinen zu lassen. Dieser Kampf gegen die hohe oder erhabene Darstellungsform ist also auch ein Kampf gegen eine vermutete leere Universalität.
Was aber hier häufig übersehen wird, ist, einmal, dass nur ein bestimmter Begriff des Konkreten, Einzelnen in Anspruch genommen wird, und zum anderen, dass einem anderen Begriff des Konkreten oder Einzelnen gemäss, das Besondere, das Einzelne, das Konkrete in der hohen, erhabenen Darstellungsform auf andere Weise deutlich werden kann: nämlich in den sprachlichen Ereignissen selbst, in der jeweils konkreten Konstellation von einzelnen Klängen, Bedeutungen, grammatikalischen Formen oder in dem, was dabei jeweils an nicht-sprachlichen Prozessen ausgelöst wird. Übersehen wird also, dass jene allgemeinen oder universalen Eigenschaften nur dann in einem negativen Sinn allgemein bleiben, wenn man sie für sich betrachtet, so als ob sie nicht in dem konkreten Kontext der Schrift, des Klangs, in den jeweils sich aussonderenden semantischen und nicht-sprachlichen Kontexten selbst eine Einzelheit, etwas Besonderes wären.

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Auch der Vorwurf gegen die hohe oder erhabene Form der Darstellung, sie sei notwendig nur Schmuck oder Ornament, gleichsam Zierrat oder auch verdunkelnde Unklarheit, jedenfalls etwas, das die darzustellende Sache (wird sie nun als hoch oder erhaben oder aber als alltäglich oder banal gedacht) verdecke wie ein Kleid, das den darunterliegenden Körper, um den es eigentlich gehe, unkenntlich mache, beruht auf einigen der skizzierten realistischen Annahmen, die offenbar nicht bemerkt oder einkalkuliert werden.
Es gibt da (wiederum spätestens seit den ersten naturalistischen Programmen) einen seltsamen Kampf um sogenannte Sachlichkeit in der Literatur und damit gegen den grossen Stil, insofern dieser darin besteht, Sprache so zu gebrauchen, dass rhetorische Figuren gehäuft identifizierbar sind. Es ist der Kampf gegen den sogenannten uneigentlichen Ausdruck, wie er sich etwa als Kampf gegen die prominenteste rhetorische Figur, die Metapher, zeigt. Dieser Kampf, so historisch verständlich er ist (wenn man etwa den leeren klassizistischen Prunk gesellschaftlicher Rede im neunzehnten Jahrhundert betrachtet) oder so sehr er als Antrieb für das Werk einzelner Schriftsteller geeignet sein mag, fällt doch als verallgemeinerndes ästhetisches Programm nicht nur hinter den tatsächlichen Sprachgebrauch einer ganzen Reihe bedeutender literarischer Kunstwerke zurück, sondern auch hinter das Nachdenken über Sprache, wie es etwa in den Fragmenten der Frühromantiker Schlegel und Novalis, in Nietzsches Aphorismen oder auch im Spätwerk Wittgensteins offenbar wird. In diesem Nachdenken zeigt sich geradezu, dass die Unterscheidung zwischen wörtlicher und übertragener Rede, also auch diejenige zwischen Sachlichkeit und Schmuck nur ein Moment des Gebrauchs von Sprache ist (ein Moment, das allerdings geeignet ist, den üblichen Sprachgebrauch zu definieren, und wohl deshalb für maßstäblich gehalten wird); ein Moment, das aber nicht ohne weiteres auf literarischen Sprachgebrauch übertragen werden und schon gar nicht zu einer notwendigen Bedingung für das Gelingen von Literatur umgedeutet werden sollte.
Von der für die Moderne so folgenreichen Einsicht in die Relativität der Unterscheidung zwischen schmückender und sachlicher Rede aus könnte der Kampf (wie es ja auch geschehen ist) gegen die Figürlichkeit der Rede auch geradezu mit umgekehrten Vorzeichen geführt werden: nämlich als Kampf gegen die Unterscheidung von figürlicher und eigentlicher Rede, Schmuck und Sachlichkeit zugunsten einer Schmuck und Sache umfassenden oder aufhebenden Einheit. Von diesem Kampf aus gesehen würde eine Rede, in der Sache und Schmuck ohne weiteres unterschieden werden können, den Möglichkeiten des Literarischen nicht gerecht, orientierte sie sich doch an der Vorstellung von rede-unabhängigen Gegenständen. Und damit entweder unbedacht an dem alltagssprachlichen beziehungsweise pragmatischen Begriff von Rede oder an dem wissenschaftlich-theoretischen, oder aber an einer Möglichkeit mit literarischer Sprache umzugehen unter anderen.
Andererseits entspricht es wohl auch einer wesentlichen Tendenz des Modernismus, einseitig, nämlich ausschliesslich, die Identität zwischen Schmuck und Sachlichkeit zu behaupten und damit wiederum jenes Moment unvermittelt zu negieren, in dem sehr wohl ein Unterschied zwischen eigentlichem und uneigentlichem Ausdruck gemacht werden kann. Allerdings (und das, scheint mir, übersehen so manche Apologeten des sogenannten Postmodernen) wäre auch in dem Fall einer solchen gerechtfertigten Unterscheidung der ästhetische Wert des literarischen Textes unmittelbar abhängig davon, wie fruchtbar die Beziehung zwischen Schmuck und Sachlichkeit ist beziehungsweise zwischen eigentlichem und uneigentlichem Ausdruck. Selbstverständlich reicht es in der Literatur nicht, eine Rede willkürlich, beliebig oder beiläufig mit rhetorischen Figuren zu schmücken, sondern dieser Schmuck sollte, auch wenn man ihn (für eine Interpretation oder einen Interpretationsschritt) von der sachlichen Rede unterscheiden kann, mit dem eigentlichen Ausdruck und damit auch mit dem Gegenstand in Beziehungen stehen, welchen eine Art von Notwendigkeit eignet. (Was hier jeweils unter Notwendigkeit zu verstehen wäre, hängt von dem zu interpretierenden literarischen Text ab.)

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Es gibt aber im Zusammenhang mit jenen realistischen Annahmen nicht nur Gründe, sich gegen das Hohe oder Erhabene zu wenden, die wenigstens unter bestimmten ästhetischen Umständen gute Gründe sein können, sondern auch solche, die auf Hinter-Gründen beruhen, die offenbar unter keinen Umständen ästhetisch rechtfertigbar wären: So steckt in manchen Versuchen der Moderne, der hohen oder erhabenen Form der Darstellung, etwa dem Feierlichen oder Pathetischen, das Wirkliche in seiner Niedrigkeit oder Banalität vorzuhalten, auch der Versuch der Kunst, ihren Status als Schein abzuwerfen. Stillschweigend wird angenommen, die Kunst sei je weniger Schein, desto mehr sie an die als banal vorausgesetzte Wirklichkeit erinnert, die wir durch unser alltägliches Verhalten ständig beglaubigen. Schein wird da offenbar mit Illusion oder Täuschung zusammengedacht. Und die hohe oder erhabene Form der Darstellung ist in diesem Bild deshalb etwas, das Anstoss erregt, weil es die Distanz, die Kluft zwischen der Kunst beziehungsweise der ästhetischen Erfahrung und der alltäglichen deutlich macht. Eine Kunst, die in diesem Sinn ihren Eigensinn oder ihre Eigengesetzlichkeit präsentiert oder offenlegt, zeigt auch, dass sie (immer realistische Prämissen vorausgesetzt) Schein ist und also sekundär und damit relativ unwirklich.
Der Versuch, das Scheinhafte durch möglichst genaue Nachahmung eines (banalen) Wirklichen loszuwerden, ist jedenfalls in sich widersprüchlich, setzt dieser Versuch doch den Unterschied, die Distanz zu dem Wiederzugebenden oder Darzustellenden gerade voraus. Denn eine der Annahmen eines solchen Realismus besteht darin, zwischen Wiedergabe und Wiedergegebenem, zwischen Darstellung und Dargestelltem zu unterscheiden oder sogar Unabhängigkeit zwischen diesen beiden Momenten zu behaupten.

Es ist bezeichnend für das Missverständliche dieser Haltung, dass, wenn es darum geht, das Scheinhafte der Kunst loszuwerden, auch die gegenteilige Strategie naheliegen würde. Sie bestünde darin, der Kunst nicht eine Wirklichkeit, die sie nicht sein kann, nämlich bestenfalls wiedergeben oder darstellen, gleichsam als ihr Korrektiv oder ihren Maßstab (und häufig auch als ihr schlechtes Gewissen) vorzuhalten, sondern sie selbst zu einer Wirklichkeit sui generis zu machen, die im Vergleich zur Wirklichkeit, die sie nicht ist, und die sie nach realistischem Verständnis wiederzugeben oder darzustellen hätte, nicht sekundär ist.
Auch unter diesem Gesichtspunkt wäre es übrigens denkbar, dem Hohen oder Erhabenen hinreichende Wirklichkeit abzusprechen. Das könnte aber dann nur heissen, dass diese oder jene Kunst-Wirklichkeit als in nicht überzeugender Weise hoch oder erhaben erfahren wird. Man würde hier über die Wirkung eines Gegenstands urteilen, über den Wert, der ihm bezüglich seiner Erhabenheit oder Grösse zukommt. In diesem Fall wäre das Hohe oder Erhabene sowohl die Bezeichnung für eine bestimmte Form der Darstellung als auch für einen bestimmten, erhabenen Gegenstand, wäre das Kunstwerk doch die untrennbare Einheit von beidem. Und so berechtigt hier ein negatives Urteil sein kann, so wäre doch auch hier der verallgemeinernde Schluss unangemessen, das Hohe oder Erhabene könne es unter keinen ästhetischen Umständen geben.

3

Ein zweiter Vorwurf gegen das Hohe: Dem Hohen, das jetzt nicht in erster Linie das Erhabene, Feierliche oder Pathetische ist, sondern mindestens so sehr das Ungewöhnliche und das Schwierige und vielleicht auch das Un- oder Widernatürliche und Künstliche, wird vorgehalten, dass es das Banale, das Niedrige oder Triviale, etwa im Sinne des Einfachen, Eingängigen, Natürlichen, aber auch des Kitschigen oder Sentimentalen vermeide oder auch, dass es sich ihm nicht aussetze oder stelle.
Dieser Vorwurf steht häufig im Zusammenhang mit dem Vorwurf der mangelnden Wirklichkeit oder Wirklichkeitsdarstellung des Hohen oder Erhabenen, ist aber nicht identisch mit ihm. Denn der Vorwurf zielt nicht so sehr auf eine durch das Hohe angeblich nicht wiedergegebene oder dargestellte (oder auch durch das Kunstwerk selbst hergestellte) Wirklichkeit als auf die Wirkung des Kunstwerks auf seine Rezipienten. In Bezug auf die Wirkung von Darstellungsformen von Kunstwerken wird da so etwas wie Pragmatismus vermisst. An bestimmten, als hoch bezeichneten Darstellungen wird da etwa das Einfache, Eingängige oder Gewohnte, aber auch das Klischee, der Kitsch, das Sentimentale vermisst und deshalb eingefordert.
Dieses Banale wird zu dem, was uns alle angeht oder tatsächlich ausmacht. In Wirklichkeit, wird da unterstellt, ist das Banal- Einfache das, was uns alle bewegt, mögen wir uns so gescheit stellen, wie wir nur wollen.
Da wird dann geradezu der Mut zum Banalen oder Trivialen gefordert, so als ob der Künstler oder das Kunstwerk, um wirklich Held zu sein, vor allen anderen oder anderem ästhetische Frösche oder Kröten zu fressen hätte; so auch, als ob es einer Kunst oder einem Künstler, welche dem Banalen nicht Rechnung tragen, an Selbsterkenntnis mangelte, gleichsam an Psycho-Analyse. Als wäre ein Künstler, wenn er das Hohe in jenem Sinn leistete, puritanischer Purist, zwanghafter Extremist oder verklemmter ästhetischer Radikaler.
Man wird dann, was die Literatur angeht, etwa dazu aufgefordert, das, was als das Auszusprechende angesehen wird, möglichst direkt oder unverblümt auszusprechen. Seien es nun die sogenannten Dinge der äusseren Welt oder jene der inneren wie Leidenschaften, Gefühle oder Gedanken. Dabei wird aber offenbar direkt und unverblümt selbstverständlich mit allgemein üblich gleichgesetzt. Es ist ein altes und für meine Begriffe garstiges Lied: Gerade bedeutenden Künstlern beziehungsweise ihren Kunstwerken wird, in wie immer verschleierter Form, ihr Mangel an Gefühl oder Unmittelbarkeit vorgeworfen, ja ihr sogenannter Intellektualismus, während man doch eigentlich meint, dass sie bestimmte eingängige, gewohnte, scheinbar natürliche Darstellungsformen vermeiden. In Robert Musils Mann ohne Eigenschaften gibt es die Figur des stets schwärmenden und so klischee- wie wortberauschten Friedl Feuermaul, repräsentativ sowohl für einen bestimmten missverständlichen Begriff von Kunst als auch für die entsprechend weitverbreiteten Erwartungen eines Publikums.

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Bei diesem Vorwurf gegen das Hohe beziehungsweise diesen Versuchen der Ehrenrettung des Banalen wird häufig der Unterschied unterschlagen zwischen dem Banalen selbst, zum Beispiel Kolportageromanen wie den Romanen Simmels oder (um ein Beispiel aus jüngster Zeit zu nennen) dem Roman Opernball von Josef Haslinger, und dem Einsatz des Banalen oder Trivialen im Kunstwerk; der Unterschied also zum Beispiel zwischen dem einfachen Den-Klischees-auf-den-Leim-Gehen und dem ästhetischen Einsatz von Klischees. Ein Klischee, das als solches in einem Text eingesetzt wird, ist keines mehr; es ist dann etwas, das an Klischees erinnert oder auch etwas, das das Zustandekommen von Klischees vorführt, aber nicht selbst ein Klischee: das heisst es kann nicht bewusstlos oder automatisch gebraucht werden. Ein Text also, der das Banale erfolgreich als künstlerisches Mittel gebraucht, ist weder selbst banal, noch sind seine Mittel notwendig nicht die des Hohen und schon gar nicht notwendig nicht die Mittel des Ungewöhnlichen, des Schwierigen oder des Un- oder Widernatürlichen oder Künstlichen. Behauptet man das Gegenteil, verlangt man da nicht eigentlich, dem überall oder wenigstens in den meisten Schriften ohnehin reichlich vorhandenen Banalen noch etwas Banales hinzuzufügen? Und setzt man dann aber nicht jenen Begriff von Kunst ausser Kraft, der zu Recht als maßgeblich angesehen wird?
Mit der Möglichkeit, Klischees, das Triviale oder Sentimentale zu gebrauchen, treiben etwa viele Theaterstücke und Gedichte Wolfgang Bauers ihr Spiel oder auch Dieter Roths Bastelnovellen (die schon so aussehen wie Bastei-Heft-Romane.), aber auch die Romane von Elfriede Jelinek. Ja, man kann sagen: jeder Dichter schafft aus dem Dreck, aus der Alltagssprache sein ästhetisches Gold, aus einer Sprache jedenfalls, die ununterbrochen auf die trivialste oder banalste Weise missverstanden wird. Und jenes Schaffen des ästhetischen Goldes kann eben auch heissen, dass Hohes geschaffen wird, sei es im Sinn des Erhabenen, Feierlichen oder Pathetischen, sei es im Sinn des Schwierigen, des Komplexen, des Künstlichen.
Dieses Missverständnis, das Banale selbst mit seinem Einsatz in Kunstwerken zu verwechseln, nährt sich wohl auch davon, dass der Unterschied zwischen einfacher Banalität und dem Einsatz von ansonsten banalen Formeln nicht zweifelsfrei nachweisbar ist. Man kann zum Beispiel nicht beweisen, dass man dieses oder jenes ironisch meint oder, allgemeiner, dass man etwas nicht nur gebraucht, sondern zugleich auch erwähnt oder zeigt, dass man es gebraucht. Man kann den Finger nicht auf das legen, was zwischen den Zeilen steht.

Und zu dieser Verwechslung trägt noch etwas bei, das vielleicht eine bestimmte moderne Parteinahme gerade von Schriftstellern oder auch Philosophen für das Banale oder Triviale erklärt: Wenn etwa Heft-Romane, Detektiv-Geschichten, Heimatromane oder auch Comics gerade von Lesern hoher Literatur oder Philosophie zu jenem Gewöhnlichen werden, das sie verklären, dann übersehen sie häufig, dass ihre Rezeption hochkulturell oder hochliterarisch ist. Sie sind dann jemand, der nicht ausschliesslich das Triviale trivial rezipiert, sondern zugleich auch die Mechanismen dieser Rezeption betrachtet; sie machen somit aus dem Trivialen wiederum eine Art Kunstwerk, welches das Triviale gebraucht und zugleich einkalkuliert, dass es das Triviale gebraucht. Solche Leser setzen das Triviale, die triviale Darstellung selbst gleichsam unter Anführungszeichen, unterschlagen das aber in ihrer Reflexion und glauben, das Banale selbst sei das, wofür sie parteinehmen. (Auch hier gerade hat H.C. Artmann recht, wenn er behauptet, man könne ein Dichter sein, ohne eine einzige Zeile geschrieben zu haben.)
Dieser, wie ich glaube, missverständliche Umgang mit dem Banalen führt dann in den Überlegungen so mancher, die heute über Kunst nachdenken, dazu, das Banale, vor allem als Niedriges, Heruntergekommenes, Triviales, als geeignetes Mittel dafür anzusehen, das Hohe (etwa als das Feierliche, Pathetische, aber auch als das Prunkvolle oder als das Schwierige oder Komplexe) zu bekämpfen.
In ästhetischen Reflexionen führt die Vorstellung, für das Banale, Triviale, Niedrige Partei ergreifen zu sollen, zu seltsam einseitigen dialektischen Paradoxa, zu einem zweifelhaften, weil eben einseitigen, Spiel von Oppositionspaaren. Unversehens wird da das Banale zum eigentlich ästhetisch Wertvollen oder Hohen, während das Hohe oder ästhetisch Wertvolle zum eigentlich Trivialen oder Banalen wird. Zu dieser Einseitigkeit trägt bei, dass sich diese Überlegungen auf einige wesentliche Strömungen der Moderne (repräsentierbar zum Beispiel durch Dadaismus, Wiener Gruppe oder die Literatur Wolfgang Bauers) berufen zu können glauben, auf die für jene Moderne charakteristischen Absetzbewegungen von dem Hohen oder Erhabenen. Die Berufung auf diesen Zusammenhang übersieht häufig dreierlei. Erstens, dass diese Strömungen womöglich nicht gegen das Hohe oder Erhabene schlechthin Widerstand leisten, sondern, wenn auch vielleicht im Widerspruch zu ihrem Selbstverständnis, gegen ein bestimmtes, als konventionell und leer empfundenes Bild des Hohen oder Erhabenen (ich komme auf diesen Punkt im letzten Abschnitt zurück); zweitens, dass dieser Widerstand (und gerade in den schwächeren Beispielen) sehr häufig auf eine Parodie des Hohen oder Erhabenen hinausläuft, also auf eine Form, die von einem stillschweigend vorausgesetzten Hohen oder Erhabenen abhängig ist, und drittens, dass in den komplexeren Beispielen, das Hohe oder Erhabene insofern gegenwärtig bleibt, als zum einen der Konflikt zwischen verschiedenen Stilebenen ausgetragen wird (auf der Ebene der Darstellung) und zum anderen (auf der Ebene des Dargestellten) jener zwischen ausserordentlichen, extremen Zuständen und gewöhnlichen alltäglichen, in diesem Sinn banalen.

Aber auch in Reflexionen, die aus dem sozialen Bereich beziehungsweise aus Soziologien auf den ästhetischen übertragen, finden sich Spuren jener Verwechslung zwischen einfacher Banalität und dem Einsatz von ansonsten banalen Formeln in Kunstwerken; auch in diesen Reflexionen wird manchmal jener missverständliche Kampf gegen das Hohe als Schwieriges oder Ungewöhnliches und für das Banale oder Triviale gefochten. Man sieht dann das Banale oder Niedrige als das Subversive an, als das, dem die Kraft zu einem wesentlich anderen, neuen und auch wertvolleren, zugleich aber zu einem natürlicheren oder einfacheren Gesichtspunkt innewohnt; so als ob im Bereich des Ästhetischen das Banale, Niedrige oder Triviale gleichsam eine ausgebeutete, aber zugleich Erneuerung versprechende Klasse wäre, die um einer ästhetischen Wahrheit oder Gerechtigkeit willen, die Macht ergreifen sollte.
Ein Hintergrund dieser Überlegungen mag wiederum die Forderung nach allgemein eingängigen Darstellungsmitteln sein und auch jene nach der Darstellung von für alle wichtigen Gegenständen, Ereignissen oder Vorgängen, also die Forderungen eines unreflektierten Realismus.
Ein anderer Hintergrund mag ein Unbehagen an der Gesellschaft und damit an der Kultur insgesamt sein, das sich zu einer universalen Skepsis auswächst, für welche die ganze Kultur und damit auch jede künstlerische Äusserung notwendig als banal oder trivial erscheint und somit das anscheinend Hohe (sei es als Ungewöhnliches oder sei es als Erhabenes) zu nichts anderem wird als zu einem das Hohe vortäuschenden Banalen. Folgt man dieser Möglichkeit oder Vision, die in der Moderne eine bedeutende Rolle spielt (Brecht: der Palast der Kultur ist aus Scheisse), dann ist es aber nur inkonsequent das Banale, Niedrige oder Triviale zu verklären, es zum Hoffnungsträger zu stilisieren.

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Wenn diese Verwechslung zwischen dem Banalen, Trivialen selbst und seinem bewussten Gebrauch in Kunstwerken nicht die skizzierten Motive hat oder einfach eine Rechtfertigung für die eigene Bequemlichkeit ist oder bewusste oder unbewusste Geschäftstüchtigkeit, dann steckt in ihr vielleicht auch die Aufforderung, den Dreck, das Triviale, den Kitsch, das Billige gleichsam als Teil des Lebens zu bejahen, ja zu lieben. So etwa, wie man in der Bergpredigt aufgefordert wird, seine Feinde oder überhaupt alles und jedes zu lieben, so soll man auch das Banale, etwa jeden noch so erbärmlichen Kitsch, jede Sentimentalität usw. lieben. Das Kunstwerk soll zu einer Art Christus auf dem Gebiet des Ästhetischen werden; man hat das Kreuz des Kitsches, des Trivialen oder Banalen auf sich zu nehmen. Und da drängt sich der Gedanke auf, dass das nur möglich sei, wenn das Kunstwerk selbst auch Kitsch, Triviales Banales usw. wäre. (Dieses Argument ähnelt jenem einer frühchristlichen Sekte, die postulierte, dass Christus der hässlichste Mensch von allen gewesen sein muss, da er ja alles Übel auf sich genommen habe.)

Und so steckt hinter dieser Forderung, das Banale, Niedrige als das eigentlich Wertvolle hochzuschätzen, vielleicht tatsächlich etwas, das tiefer in ästhetische Probleme reicht. Vielleicht ist jene Forderung auch Ausdruck davon, dass der Grat zwischen strategischem Einsatz von Kitsch, Trivialem oder Banalem und dem Kitsch, dem Trivialen und dem Banalen selbst schmal ist (ich möchte sagen: unendlich schmal).
Denn die vernünftige und theoretisch so plausible und sauber trennende Annahme, dass ein gelungenes Kunstwerk per definitionem nicht banal oder niedrig sein kann und also das Banale, Triviale, etwa das Kitschige oder Sentimentale schlimmstenfalls gebrauchen kann, und dies auch dann, wenn zu Recht interpretiert werden kann, das Kunstwerk nehme die ganze Banalität der Welt auf sich, diese so vernünftige Annahme entspricht vielleicht nur einem Rationalismus, der aus Regeln zur Verknüpfung von Begriffen bei der Beschreibung von Gegenständen auf die Verfassung der Gegenstände selbst kurzschliesst.
Denn wie will man die mystisch-moralische oder auch magische Vorstellung einfach ausschliessen, dass ein Kunstwerk an dem, was es darstellt, teilhat; dass also ein Kunstwerk auch tatsächlich hässlich, trivial, banal zu sein hat, um das Banale, Hässliche, Triviale darzustellen? Lässt man diese Möglichkeit ausser acht, tut man sie einfach als Begriffsverwirrung, als Unsinn oder als atavistisch und nicht mehr angemessen ab, dann nimmt man jedenfalls einen dezidiert modernen und auch rationalistischen Standpunkt ein, der das Modell theoretischer Erkenntnis womöglich ungerechtfertigt auch auf die künstlerische Form von Erkenntnis ausdehnt.
Man würde sich dann auch der, sagen wir, dialektischen Erfassung des Problems verschliessen. Nicht zufällig ist im Gefolge der Hegelschen Ästhetik Rosenkranz' Ästhetik des Hässlichen entstanden. Hegelianisch kann man sagen: die Teilhabe des Kunstwerks an - oder gar Identität des Kunstwerks mit dem Banalen, Trivialen usw. (verstanden als Formen des Hässlichen) ist ein Moment seines Ganzen, ein Moment seines Wesens und auch seines Verstehens; ein Moment eines Prozesses, in dem sich das Kunstwerk und sein Verstehen allerdings keineswegs erschöpft. Wenn man dieses Problem aber dialektisch zu fassen versucht, dann sollte man das konsequent tun, alle Möglichkeiten der begrifflichen Relationen entwickeln, und es nicht bei einer einseitiger Verklärung des Gewöhnlichen belassen beziehungsweise bei einseitiger Identifikation eines Hohen mit dem Trivialen oder Banalen.
Und sollte man sich nicht auch wiederum (wie schon bei der Vorstellung, das Hohe oder Erhabene sei das verwandelte Niedrige oder Banale) darüber im klaren sein, dass die dialektische Form der Reflexion auch genausogut selbst als Poesie, als Dichtung gelesen werden kann, indem sie versucht, die analytischen Regeln des Denkens aufzuheben und eine Dynamik her- oder darzustellen, die jener des poetischen Denkens so ähnlich ist, dass sie die Einsicht in dieses geradezu verhindern könnte?

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Ein dritter Vorwurf gegen das Hohe: das Hohe, sei es nun das Erhabene oder das Schwierige (etwa als Dunkles oder Verschlüsseltes) ist das Exklusive, das, was die meisten ausschliesst.
Dieser Vorwurf des Exklusiven oder auch Elitären wird häufig mit jenem zusammengebracht, der unterstellt, das Hohe weiche dem Banalen oder Trivialen aus, doch zielt er nicht in erster Linie auf den Rezipienten als Einzelnen ab, auf dessen angebliche seelische Bedürfnisse. Und dieser Vorwurf wird auch häufig mit jenem verbunden, das Hohe oder Erhabene sei selbst nichts Wirkliches oder könne die Wirklichkeit, so wie sie ist, gerade insofern es hoch oder erhaben sei, nicht angemessen wiedergeben. Aber auch diese realistische Annahme steht hier nicht im Vordergrund.
Wie schon bei der Vorstellung, das Banale oder Triviale sei das eigentlich Subversive, wird hier zumeist eine Form von Soziologisierung des Ästhetischen beziehungsweise von Kunstwerken ins Treffen geführt: Was nicht alle oder die meisten verstehen, was nur wenige verstehen, das hat keine Daseinsberechtigung, das soll es nicht geben, oder, weniger radikal: das hat keine Bedeutung, insofern es keine vernünftige soziale Funktion hat oder keine wichtige soziale Rolle spielt. Dieser Vorwurf, der zum Beispiel von rechten wie auch von linken Ideologien ausgehen kann, wird etwa mit dem Wesen des Menschen (gemessen eben an den angeblichen Empfindungen der meisten) begründet oder, ohne Bezug auf eine Wesensbestimmung, unmittelbar durch die Empfindungen der meisten beziehungsweise der Mehrheit, die eben dann demokratisch bestimmt, was ein bedeutendes Kunstwerk ist und was nicht. Was nur wenige zu verstehen scheinen, das ist also jetzt ein feiner Unterschied und zeigt gerade deshalb, dass es nichts anderes ist als ein Exklusivitätsmerkmal einer Klasse, einer Schichte, einer Gruppe oder aber auch von Einzelnen, und hat eben insofern keine Bedeutung. Umgekehrt soll gerade das Banale, jetzt wiederum vor allem das Einfache oder Eingängige oder Natürliche, gerade insofern Bedeutung haben, als es die meisten oder alle verstehen.

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Ein Hintergrund der so suggestiven Vorstellung einer auf alle Bereiche, und also auch auf den ästhetischen, ausdehnbaren Gleichheit mag die verbreitete (und gar nicht ohne weiteres widerlegbare) Anschauung sein, dass es Geschmackssache sei, was man als das Hohe im Sinne des Bedeutenden ansieht, was als das bedeutende Kunstwerk, und was als das Banale, Niedrige, Unbedeutende.
Man ist es, wie der Umgang mit ästhetischen Dingen liegt, sehr gewöhnt zu unterstellen, die Behauptung eines qualitativen Unterschieds zwischen Kunstwerken sei unmittelbar vergleichbar mit der Behauptung eines qualitativen Unterschieds zwischen Vanillieeis und Erdbeereis. Und wenn es also, dieser Annahme zufolge, subjektiv sei, was hohe Kunst sei und was das Triviale oder Banale, dann, so wird offenbar weitergedacht, kann man ja gleich das zum Maßstab machen, was den meisten gefällt. Und was den meisten gefällt, hat sich dann gewissermaßen demokratisch oder dem Wesen des Menschen gemäss als das Beste herausgestellt.

Und wer gerade das, was den meisten gefällt, als banal, niedrig oder trivial bezeichnet, der disqualifiziert sein Urteil eben damit selbst.

Es ist übrigens auffällig und bezeichnend, wie häufig dabei diese Inkonsequenz deutlich wird: Beinahe jeder, der mit Literatur umgeht, gibt zu, dass zwischen einem Schlagertext und einem Gedicht von Hölderlin, zwischen einem Roman von Harold Robbins und Musils Mann ohne Eigenschaften ein Qualitätsunterschied besteht, der nicht auf das subjektive Empfinden des einzelnen reduzierbar ist, unabhängig davon, ob nun die meisten den Schlagertext oder den Roman von Robbins für besser oder schöner halten oder auch nicht. Dann aber, wenn die Sphären, wie es scheint, näher voneinander liegen, wenn etwa der Qualitätsunterschied zwischen der Lyrik Brechts und seiner Epigonen, zum Beispiel jener Günter Kunerts oder Wolf Biermanns behauptet wird, dann zieht man sich häufig auf die angebliche Beliebigkeit, Zufälligkeit und Subjektivität jedes ästhetischen Werturteils zurück. Ich will sagen: ästhetische Werturteile werden selbstverständlich als verbindliche gefällt, solange man sich auf (wie immer implizite) Kriterien berufen kann. Ist der Gegenstand des Werturteils aber so beschaffen, dass man über diese Kriterien nicht verfügt, dann schliesst man daraus, dass alle Werturteile zufällig, beliebig, subjektiv sind, eben Geschmackssache.

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Man kann diese Vorstellung von der sogenannten Geschmackssache auch als Ergebnis eines verbreiteten, seinerseits trivialen Verständnisses von Wissenschaftlichkeit begreifen, namentlich von wissenschaftlicher Objektivität. Es ist eine bestimmte, flache Form von Rationalismus, die diese Ansicht suggeriert: Was nicht deduzierbar oder falsifizierbar ist, ist nicht objektiv oder verbindlich. Die einzigen Formen von Objektivität, welche die meisten ernstnehmen, sind die formal- und die naturwissenschaftlichen (Darüber kann man kulturphilosophisch werden, darüber ist man ja auch häufig kulturphilosophisch geworden.)
Mit diesem trivialen Verständnis von Wissenschaftlichkeit geht auch ein triviales Verständnis des Begriffs des Subjekts einher. Man assoziiert das Subjekt mit dem Privaten, das Private mit dem Subjektiven, das Subjektive mit dem Willkürlichen oder Zufälligen. Und das ästhetische Urteil, das insofern subjektives Urteil ist, als es sich den Kriterien der Wissenschaftlichkeit nicht fügt, wird damit eben zur Geschmackssache. Dass man den Begriff des Subjekts auch ganz anders fassen kann, wie die Philosophiegeschichte, aber auch die Kunstgeschichte lehrt, bleibt dabei unbemerkt oder unbedacht.
Mit diesem trivialen Verständnis von Wissenschaftlichkeit und des Begriffs des Subjekts verbindet sich auch die unbewusste Übernahme einer quasi-externen Betrachtung auf ästhetische Gegenstände. Man glaubt, die Kunstwerke am besten von aussen sehen zu können, so ähnlich wie die Gegenstände von Naturwissenschaften; man tut so, als könnte man den Teil der Lebensform, der darin besteht, mit Kunstwerken umzugehen, seinen eigenen Voraussetzungen gemäss begreifen, ohne an dieser Lebensform auch teilzunehmen. Und daraus schliesst man wiederum, man könne Kunstwerke hinreichend verstehen, ohne auch ihren Wert mitvollziehend zu erfahren und zu beurteilen. Dass zur Erkenntnis von Kunstwerken wesentlich auch die Erkenntnis ihres Werts gehört und damit ihr Wert-Verhältnis zu anderen Kunstwerken, bleibt dann ausserhalb des Betrachtbaren.

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Doch auch dieser Vorwurf an das Hohe, es sei exklusiv oder elitär, ist, so kunstfremd er häufig auftritt, nicht völlig sinnlos. Auch er kann als ein Anzeichen für etwas angesehen werden, das man durchaus erstnehmen kann.
Zunächst kann sich dieser Vorwurf mit Recht gegen bestimmte Kunstwerke richten, aber vor allem auch gegen bestimmte Formen des Umgangs mit Kunstwerken, die aus ihr ein Klassen- oder Einkommensschichtmerkmal machen. Selbstverständlich gibt es Kunstwerke, die so sind, dass sie sich allzu mühelos als Zeichen von Exklusivität beanspruchen lassen.
Der Vorwurf des Hohen als das Elitären oder Exklusiven kann also konkreten Sinn gewinnen gegenüber bestimmten literarischen Texten, die insofern exklusiv sind, als sie sich vor allem als Vermittlung von Geheimwissen (etwa von entlegenem Bildungswissen) darbieten und daraus ihren Status des Hohen, sei es des Schwierigen oder sei es des Erhabenen, zu sichern suchen. Das gibt es ja wohl auch gerade heute wieder einmal: eine Literatur der feinen Unterschiede; eine Professoren-, also eine säkularisierte Priesterkasten-Literatur. Aber auch diese Tatsache erlaubt nicht, daraus allgemeine Schlüsse auf das Hohe in der Literatur zu ziehen.

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Vor dem Hintergrund des Vorwurfs gegen das Hohe, es sei notwendig nur Schmuck oder Ornament, nämlich unsachliche, figürliche und damit sekundäre Rede, und vor dem Hintergrund des Vorwurfs, es mangle dem Hohen an Wirklichkeit und es weiche dem Banalen aus, kann zu dem Exklusivitätsvorwurf auch die Behauptung gehören: das Hohe ist entweder bedeutungslos (täuscht also Bedeutung nur vor), oder es ist nur das verschlüsselte oder verdunkelte Banale im Sinne des Üblichen oder Alltäglichen; eines Üblichen oder Alltäglichen, das als das Einfache, Klare in der alltäglichen Kommunikation anwendbar erscheint. Das Hohe, das Schwierige, das Exklusive an den Kunstwerken ist dann entweder bedeutungslos, oder Verzierung als Verschlüsselung, überflüssige Erschwernis. Und wozu, wird dann gefragt, ausser um Exklusivität zu erzeugen, kann diese Verschlüsselung oder Verdunklung gut sein, wenn das Entschlüsselte oder Erhellte, der Klartext, ohnehin die eigentliche Bedeutung dieses Verschlüsselten oder Verdunkelten ist.
Insofern Entschlüsselung oder Aufhellung auch häufig hinsichtlich möglicher Funktionen des Kunstwerks gedacht wird, gehört zu diesem Vorwurf der Exklusivität des Hohen entweder als leere Verzierung oder als Verschlüsselung von etwas Einfachem auch der, dass das Hohe unbrauchbar sei.
Wird dieser Vorwurf praktisch verstanden, dann wird dem Hohen entweder vorgeworfen, es gäbe keine Antwort auf konkrete Fragen, oder, es verdunkle, verschlüssle die Antwort auf die Frage, was man in dieser oder jener Lage tun solle.
Wird dieser Vorwurf theoretisch verstanden, dann wird dem Hohen vorgeworfen, dass es entweder keine Antwort auf die Frage gäbe, wie man unter bestimmten Umständen über die Welt zu denken habe oder was man von ihr zu halten habe, oder wiederum, dass es die möglichen Antworten auf diese Frage verdunkle oder verschlüssle.

In einem seltsamen Kurzschluss scheint dann das Banale oder Triviale, insofern es das ist, was dem Hohen oder Exklusiven entgegengesetzt wird, auch nützlich zu sein oder wenigstens grössere Chancen dazu zu haben. Das Banale oder das Triviale wird dann häufig einfach kraft seiner Einfachheit oder Eingängigkeit zum Handfesten, zum Praktikablen, zum verlässlich Anwendbaren. Trivialromane zum Beispiel sind dann das, was unmittelbar auf Lebensprobleme oder auf Lebensfragen abbildbar sein soll, während sie doch nur unmittelbar abbildbar sind auf das gewohnte Bild, das man sich von seinen Lebensproblemen oder Lebensfragen macht.
Ähnlich wird auch dem, was dem Hohen als Verschlüsseltem oder Dunklem entgegengesetzt wird, nämlich der Klartext einer Theorie, zum Beispiel einer politischen oder gesellschaftskritischen, selbstverständlich zugebilligt, nützlich zu sein. Denn vorausgesetzt wird, dass solche Theorien ein angemessenes Bild von der Welt vermitteln (und damit auch Möglichkeiten, sie zu verändern).
Zum einen rührt diese Selbstverständlichkeit von der mit dem Theoretischen gegebenen Trennung zwischen Theorie und ihrer Anwendung her. Was dabei häufig übersehen wird, ist, dass gerade diese Tatsache enthält, dass man mit der jeweiligen Theorie ein bestimmtes Bild der Welt voraussetzen muss, also das, was man, wenn mit Kunstwerken umgeht, gerade nicht tun muss, sondern im Rahmen einer Interpretation tun kann.
Andererseits rührt jene Selbstverständlichkeit daher, dass wiederum die theoretische Form von Erkenntnis stillschweigend als die einzig ernstzunehmende vorausgesetzt wird. Was nun speziell politische oder gesellschaftskritische Theorien angeht, die man aus Kunstwerken als deren Klartext herauszudestillieren glaubt: diese Theorien sind noch dazu häufig nur solche unter Anführungszeichen, nämlich eher so etwas wie weder analytisch hinreichend durchdringbare, noch empirisch hinreichend überprüfbare Weltbilder; sie haben ihrerseits zumeist stark spekulativen, welt-entwerfenden und damit poetischen Charakter. Dagegen ist nichts zu sagen, wenn nicht gerade darüber hinweggesehen wird, indem man sie ohne weiteres als Klartext akzeptiert und ihnen gerade deshalb unmittelbaren Nutzen zuspricht beziehungsweise den angeblich unbrauchbaren Kunstwerken gegenüberstellt. (Es bedarf jedenfalls schon einer sehr spekulativen Interpretationskunst beziehungsweise stark selektiver Wahrnehmung, bestimmte Ereignisse, die jenseits der Lektüre von solchen theoretisierenden Texten geschehen, auf diese zurückzuführen.)

Die Antwort auf diesen Vorwurf der Unbrauchbarkeit des Hohen im Sinne des Exklusiven ist also leicht zu geben (und diese Antwort wird auch häufig gegeben), wenn man behauptet, dass der Vorwurf insofern ins Leere gehe, als man ein Kunstwerk gerade dann missverstehe, wenn man bestimmte praktische oder theoretische Funktionen in ihm suche, wenn man es auf bestimmte Weise auf sein Leben jenseits seiner Rezeption anzuwenden versuche. - Spezieller: wenn man die Eigenschaften eines literarischen Kunstwerks, die es angeblich zum Verschlüsselten oder Dunklen machen, als Schmuck oder Ornament auffasst, gleichsam als überflüssigen Stuck, der, wenn man ihn abschlägt, entweder die Bedeutungslosigkeit des Kunstwerks zu Tage bringt, oder eben bestimmte praktische Hinweise oder theoretische Antworten, für deren Verschlüsselung oder Verdunklung es keine guten Gründe gibt.

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Doch haben die Forderungen nach praktischer Anwendung oder theoretischer Antwort, so unangemessen sie sein mögen, etwas Berechtigtes und das wiederum im Zusammenhang mit dem Gedanken, dass jedes Kunstwerk aufs Ganze gehe. Wenigstens dann, wenn man annimmt, dass zu jenem Ganzen auch wesentlich seine Anwendbarkeit gehört, impliziert dieser Gedanke ja auch, dass Kunstwerke ihren Nutzen, das heisst, praktisch, Handlungsanweisungen und, theoretisch, Wahrheit enthalten, vielleicht so ähnlich wie für manche eine Konstellation von Sternzeichen sowohl das enthält, was einer tun oder lassen soll, als auch eine angemessene Beschreibung oder Darstellung dessen, was er ist. (Dieses Bild ist allerdings nicht gerade tröstlich.) - So wie man auf die Forderung, das Hohe solle das Banale enthalten, damit antworten kann, dass man jenes Banale (als Klischee, Sentimentales usw.) als Moment des Hohen auffasst, kann man auf die Forderung, das Kunstwerk solle brauchbar sein, damit antworten, dass man mögliche Anwendungen oder Wahrheiten des Kunstwerks als in ihm selbst angelegte Momente seiner Aneignung versteht. (Der Preis dafür wäre aber wiederum eine Poesie der Poesie, eine analytisch fragwürdige Dialektik.)

Tatsächlich verdeckt in diesem Punkt die sich so häufig entzündende Polemik beinahe jeden begrifflichen Möglichkeitssinn. Bekanntlich stehen einander da zumeist zwei Positionen gegenüber: Die eine behauptet das Kunstwerk als autonom beziehungsweise als Ursache der Bedeutungen, die ihm (in einer plausiblen) Interpretation zugeschrieben werden können. Und die andere Position behauptet das Kunstwerk als heteronom, als Wirkung von Ursachen oder Übersetzung von Texten, die jenseits seiner selbst liegen.
Die Vorstellung der Autonomie ist insofern angemessen, als ein Text, der plausibel auf eine seiner Auslegungen im Sinne einer praktischen oder theoretischen Anwendung reduziert werden kann, als Kunstwerk scheitert, die Vorstellung der Heteronomie des Kunstwerks ist es insofern, als ein Kunstwerk, je weniger es sowohl mögliche möglichen Philosophien und ihren Wahrheiten als auch mögliche praktische Anwendungen enthält, desto bedeutungsloser ist. Denn ist ein Kunstwerk nicht bedeutungslos, das nicht wenigstens plausibel als etwas interpretiert werden kann, das gleichsam vollgesogen ist mit Visionen vom richtigen, erfüllten Leben, mit Visionen, zu denen auch der angemessene Begriff oder die angemessene (wahrheitsgemässe) Beschreibung oder Darstellung dieses Lebens gehören?

So zeigt sich, der sagen wir: tiefere Grund für diesen Vorwurf an das Hohe, es sei das Exklusive, das zu Unrecht nicht für alle Verständliche, vielleicht erst dann, wenn man ihn als Ausdruck des Wunsches nach einem paradiesischen Zustand versteht, als Ausdruck des Wunsches nach dem Zustand, in dem alle alles verstehen und jedes durch alles andere erhellt oder erklärt wird. Und in einem, allerdings sehr unklaren, Sinn enthält die Kunst (oder wenigstens eine klassische Auffassung von ihr) die Vision eines solchen paradiesischen Zustands schon selbst, eben insofern Kunst den Anspruch hat, aufs Ganze zu gehen, als Teil für das Ganze zu stehen. Aufs Ganze gehen heisst dann aber auch: Alle und alles zeigen, mit allen oder allem kommunizieren. Und diese Vision, für deren Realisation es keine unbeteiligten Zeugen gibt, sondern nur einzelne emphatische Teilnehmer am Verstehen von Kunstwerken, diese Vision, die also, nach vernünftigen, empirischen Begriffen, eine Utopie bleiben muss, schliesst auch ein, dass das Kunstwerk für alle verständlich sein sollte. Doch diese Utopie wird gerade dann missverstanden, wenn man für sie empirische Evidenz sucht beziehungsweise sie für verwirklichbar hält, wenn etwa Kunstwerke tatsächlich in Hinblick darauf hergestellt werden, von möglichst vielen verstanden zu werden, oder wenn in ästhetischer Reflexion auf Kunst gefordert wird, Kunst habe so zu sein, dass sie für möglichst viele verständlich ist.

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Ein vierter und letzter Vorwurf gegen das Hohe: das Hohe (vor allem wohl wiederum als das Erhabene, aber auch als das Feierliche oder Pathetische, doch manchmal auch als das Schwierige oder Ungewöhnliche) ist historisch, es hat sich überlebt, es kann heute in Kunstwerken nicht mehr gebraucht werden.
Hier stellt man sich unter dem Hohen etwas Bestimmtes vor. Man verdinglicht es, sieht es etwa in Beethovens pathetischen musikalischen Gesten oder in Michelangelos beinahe berstenden Muskelkörpern oder man sieht es in bestimmten Gegenständen der Darstellung; sei es in jüngsten Gerichten oder in einer Freude, die ein schöner Götterfunken ist usw. Und was speziell die Literatur angeht, identifiziert man das Hohe einerseits mit bestimmten Formen der Darstellung wie zum Beispiel bestimmten Reim- oder Strophen- oder Gedichtformen, mit einem bestimmtes Vokabular (etwa mit jenem der Gedichte Hölderlins oder Schillers) oder auch mit bestimmten syntaktischen oder rhetorischen Eigenschafen; und man identifiziert es andererseits auch mit bestimmten Gegenständen der Darstellung wie mit der Liebe und dem Tod oder mit Krieg und Frieden oder mit der Natur.
Man erfährt dann, dass man (als Schreibender oder als Lesender) dieses Hohe nicht mehr brauchen kann, dass es, was die Darstellungsform angeht, leer und nichtsagend und konventionell geworden ist, und, was die Gegenstände der Darstellung angeht, unerreichbar oder undarstellbar, und man nimmt den Kampf auf. Und immer wieder gibt es Augenblicke in den Geschichten der Künste, in denen dieses Bild wirksam ist. Etwa im Paris um 1860, als die Impressionisten gegen den Klassizismus und die mythologisierende Historienmalerei der Akademien protestierten; oder, was die Literatur angeht, um 1770, als der junge Goethe auf die ihm vorgegebene Tradition lyrischer Dichtung reagiert, und zwischen 1910 und 1920, als die literarischen Avantgarden gegen Gipsklassizismus und Spätromantik ästhetischen Widerstand leisten.
Zumeist zeigt sich dieser Kampf, wenn er ästhetisch reflektiert wird, in Polemiken. Es soll etwas anderes, Neues durchgesetzt werden. Darauf, dass bestimmte Kunstwerke oder andere Gegenstände beziehungsweise einige ihrer Eigenschaften ein für alle Male zu dem Hohen verdinglicht werden, wird damit geantwortet, dass man sagt: Kunst darf nicht mehr das Hohe sein, sondern Kunst muss hässlich oder alltäglich, banal, niedrig oder natürlich sein. (Etwa um wahr zu sein, wirklich oder wirksam. Hier kann auch wieder die Realismus-Diskussion hereinspielen, von der oben die Rede war.)
Die polemische Form dieser Auseinandersetzung verdeckt dabei häufig zwei ihrer Beweggründe: Einmal, dass es gar nicht das Banale, Niedrige, Hässliche ist, welche das Hohe ersetzen sollen, sondern etwas, das von denjenigen, die jenes Hohe mit bestimmten, womöglich unveränderlichen, Eigenschaften identifizieren (es zu bestimmten Eigenschaften verdinglichen), zum Nicht-Hohen, zum Banalen und Niedrigen oder auch Hässlichen erklärt wird. Man kann sagen: der Kampf um einen neuen Begriff des Hohen und seines Widerparts, des Niedrigen, Banalen, wird unbewusst ontologisiert. Man entwickelt neue, andere Begriffe des Hohen und des Banalen und tut so, als ginge es um das Hohe und das Banale selbst.
Und zweitens, doch auch im Zusammenhang mit dieser Ontologisierung, verdeckt die polemische Form der Auseinandersetzung häufig den Unterschied zwischen der Darstellung und dem Dargestellten.
Da wird zum Beispiel eine hässliche, alltägliche, jedenfalls nicht-schöne Kunst gefordert und gemeint wird eigentlich: die Kunst solle nicht vor Gegenständen zurückscheuen, die von bestimmten Konventionen oder Traditionen aus als niedrig oder banal ausgeschlossenen werden; oder es wird (etwa im Namen eines Traditionalismus) eine schöne, erhabene Kunst gefordert und gemeint wird eigentlich: die Kunst solle Gegenstände nicht behandeln, die von bestimmten Traditionen als niedrig oder banal ausgeschlossenen werden. Benns Morgue-Gedichte etwa werden dann von manchen ihrer Bewunderer als Beweis dafür angesehen, dass moderne Kunstwerke selbst das Hässliche oder Niedrige sein können oder gar sein sollen, während von manchen der Verächter dieser Gedichte behauptet wird, dass sie (und womöglich alle in diesem Sinn modernen Kunstwerke) hässlich, niedrig und insofern ästhetisch misslungen seien, weil sie es unternehmen, hässliche oder niedrige (oder wengistens für die Kunst ungeeignete) Gegenstände darzustellen.
Umgekehrt wird aus der ästhetisch misslingenden Darstellung von hohen oder erhabenen Gegenständen nicht nur geschlossen, dass diese Gegenstände sich der Darstellung entziehen, sondern manchmal auch (in kunstrevolutionärem Überschwang), dass gerade jene Gegenstände für die künstlerische Darstellung besonders geeignet seien, die normalerweise als niedrig, trivial oder alltäglich angesehen werden. Dafür wird aus der, nach allgemeiner Übereinkunft in historischen Kunstwerken ästhetisch gelingenden Darstellung hoher oder erhabener Gegenstände, nicht nur geschlossen, dass diese Gegenstände zu ihrer künstlerischen Darstellung besonders geeignet seien, sondern auch, dass jene Gegenstände, die bestimmten Traditionen oder Konventionen zufolge als hässlich, niedrig oder alltäglich angesehen werden, für die künstlerische Darstellung besonders ungeeignet seien.

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An diesem, wie man sagen könnte, desontologisierenden Blick auf jene Polemik kann man alledings auch zweifeln, nämlich daran, dass sich dieser Kampf in einem polemischen Kampf der Begriffe erschöpft. (Hier von Polemik zu sprechen, ist womöglich selbst polemisch.) Vielleicht enthält eine solche "Polemik" etwas, das sich so verstehen lässt, dass jene Form der Auseinandersetzung als notwendig oder angemessen erscheint.
Denn so wie schon im Zusammenhang der Frage, ob gelungene Kunstwerke, dennoch auch banal, niedrig oder trivial sein können, könnte die Grenze der Betrachtung jener Auseinandersetzung als Polemik wiederum in ihrem unreflektierten Rationalismus liegen, der auch in diesem Fall aus den Regeln der Verknüpfung von Begriffen bei der Beschreibung von Gegenständen auf die Verfassung des ästhetischen Gegenstands selbst kurzschliesst. Nach dem Maßstab jener Regeln ist es unsinnig (paradox) zu behaupten, ein gelungenes Kunstwerk, das etwas darstelle, das (zufolge bestimmter Konventionen) als hässlich, alltäglich oder trivial angesehen wird, sei selbst hässlich oder alltäglich oder, vorsichtiger, habe Anteil an jener Hässlichkeit oder Alltäglichkeit (Denn ein in diesem Sinn hässliches Kunstwerk wäre eben ein misslungenes). Genauso wie es nach dem Maßstab jener Regeln unsinnig oder paradox wäre zu behaupten, ein Kunstwerk, das misslingt, aber einen (zufolge bestimmter Konventionen) schönen oder erhabenen Gegenstand darstelle, sei dennoch selbst erhaben oder schön, oder, vorsichtiger, habe Anteil an jener Schönheit oder Erhabenheit.
Nun ist aber gerade (wie schon weiter oben behauptet) die Annahme plausibel (und kennzeichnend für einen bestimmten Begriff von Kunst, für eine bestimmte Weise, mit Literatur umzugehen), dass ein Kunstwerk an der Wirklichkeit, die sie darstellt, teilhat. Dieser Annahme, diesem Umgang mit Kunst zufolge, ist ein Kunstwerk auch die Einheit zwischen Darstellung und der dargestellten Wirklichkeit und das auch dann, wenn insofern von realistischen Annahmen ausgegangen wird, als nicht behauptet wird, das Kunstwerk erfinde jene Wirklichkeit erst, welche es darstelle oder wiedergebe. Zugleich ist auch die Annahme plausibel, dass Kunstwerke, Theorien enthalten (in welchem Sinn des Wortes enthalten auch immer), insofern sie auch Wahrheit beanspruchen beziehungsweise eine Form von Erkenntnis, die auch als gegenständliche aufgefasst werden kann (als Erkenntnis von Dingen). Diese Gegenstände wiederum, so kann angenommen werden (so wird in einem bestimmten Umgang mit Kunstwerken angenommen), bestehen ihrerseits immer auch aus dem Verhältnis von Werten, - gerade dieses Verhältnis soll ja durch die Klassifikation jener Wirklichkeit in höhere und weniger hohe Aspekte ausgedrückt werden.
Wenn nun Kunstwerke mit Recht nicht nur als die Einheit von Darstellung und dargestellter Wirklichkeit aufgefasst werden können, sondern auch als Aussagen über Werte oder als deren Darstellung, dann können diese Aussagen oder Darstellungen, wie es eben in jenen "polemischen" Auseinandersetzungen geschieht, auch zu Recht in Reflexionen wiedergegeben werden, die Wahrheit beanspruchen; in Reflexionen, in denen Werturteile über Gegenstände gefällt werden, die eben als höher oder weniger hoch, schöner oder weniger schön erfahren werden. In diesen Reflexionen kann also, gerade insofern sie das wiederzugeben versuchen, was in den Kunstwerken selbst angelegt ist, zu Recht ontologisiert werden. Die Verdinglichung bestimmter Gegenstände beziehungsweise ihrer Eigenschaften als an und für sich schöner als als andere kann einen Moment jener Erkenntnis wiedergeben, die Kunstwerke vermitteln.
Wenn also jene "Polemik" keine ist, dann ist sie ein Moment einer nicht abgeschlossenen, vielleicht auch nicht abschliessbaren Auseinandersetzung um die richtige, die angemessene Ordnung der Eigenschaften des Hohen und des Banalen oder Niedrigen und der Verhältnisse, die sie als Form der Darstellung und als deren Gegenstand annehmen können. Wenn die Geschichte der Literaturen, ja die Geschichte der Künste die Geschichte dieser Auseinandersetzung ist, vielleicht soll sich dann am Ende dieser Geschichte, an ihrem jüngsten Tag sozusagen, jene Ordnung der Eigenschaften, jene Verhältnisse endgültig und ihrem Gewicht gemäss herausgestellt haben. Vielleicht stellen sich die Eigenschaften des Hohen und des Banalen einmal endgültig heraus, vielleicht ordnen sich diese Sphären irgendwann einmal ein für alle Male. (Als ob die Folge von künstlerischen Werken nicht einfach willkürlich oder zufallsbedingt wäre, sondern die Logik einer Entwicklung enthielte, so wenig erforschlich diese Logik auch sein mag.)

So allerdings, wie die Dinge, auch die ästhetischen Dinge zu liegen scheinen, wäre jede Behauptung des Endes jenes Kampfs um die richtige, die angemessene Hierarchie vom Höchsten bis zum Banalsten wohl nur Ausdruck einer Art Donquichotterie, vergleichbar Goethes Suche nach der Urpflanze, also einer Suche, deren Ende zu behaupten, gerade bedeuten würde, nicht gefunden zu haben.
Denn gerade um der antithetischen, nicht weniger plausiblen Auffassung willen, Kunstwerke seien nicht die Einheit von Darstellung und der dargestellten Wirklichkeit, und um der ebenso plausiblen Auffassung willen, dass Kunstwerke, wenn sie die Einheit von Darstellung und Dargestelltem sind, die Wirklichkeit, die sie darstellen, erst selbstständig herstellten oder erfänden, kann diese Ontologisierung nur ein Moment und ein Extrem einer umfassenden Betrachtung sein. (Und es sind ja diese beiden Auffassungen, welche die Moderne viel mehr bestimmen.) Doch wiederum, und zum letzten Mal, will ich mich hier daran erinnern, dass sich ein solches Denken, das jede Position und damit auch widersprüchliche Aussagen als bestimmte Momente innerhalb eines Prozesses darstellt, sich - wenigstens nach dem Maßstab des Analytischen - dazu verurteilt, seinerseits poetische und damit, was seine Möglichkeit angeht, Erkenntnis zu vermitteln, zweifelhafte Züge annimmt.


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